Zwar kann man WES CRAVEN’S NEW NIGHTMARE mit seinen metafilmischen und selbstreflexiven Avancen als typischen Film der Neunzigerjahre und zudem als Cravens persönliche Vorarbeit für den zwei Jahre später folgenden SCREAM sehen, trotzdem ist er vor allem eines: seltsam und eigen. Nachdem Freddy Krueger drei Jahre zuvor im schwächsten Film der Reihe umgebracht worden war, das stark in den Achtzigerjahren verhaftete Franchise Abnutzungserscheinungen nicht mehr verbergen konnte, war wohl nur eine radikaler Bruch, wie Craven ihn mit seinem siebten Teil vollzieht, möglich. Trotzdem lässt sich WES CRAVEN’S NEW NIGHTMARE kaum als „Reboot“ bezeichnen. Und auch wenn er mit der Filmserie den Schurken, Darsteller sowie motivische und erzählerische Gemeinsamkeiten aufweist, einige Ideen so konsequent wie nur möglich fortsetzt, so fällt es dennoch schwer, ihn überhaupt als NIGHTMARE-Film, als klassische Fortsetzung zu bezeichnen. Vielmehr verhält er sich zu den Vorgängern wie die Sekundär- zur Primärliteratur, wie eine Fußnote zum Text. Er ist Hommage, Kommentar, Essay, funktioniert dennoch als völlig eigenständiger Film, obwohl er ohne die Reihe, auf die er sich bezieht, natürlich nicht denkbar wäre.
Kurz zum Inhalt: Heather Langenkamp (Heather Langenkamp), Darstellerin der Nancy Thompson aus A NIGHTMARE ON ELM STREET und A NIGHTMARE ON ELM STREET 3: DREAM WARRIORS, wird von einem anonymen Anrufer bedroht und ist zunehmend beunruhigt: Der Mann am anderen Ende klingt wie Freddy Krueger. Auch ihr kleiner Sohn Dylan ist betroffen: Er erzählt, dass ein Mann namens Freddy ihn nachts in seinem Bett besuche und mit seiner Krallenhand bedrohe. Kurz nachdem Heather von Wes Craven (Wes Craven) erfahren hat, dass dieser ein neues NIGHTMARE-Sequel plane, an dem nicht nur sie, sondern auch ihr Mann, ein Spezialeffekt-Techniker, mitwirken sollen, kommt dieser bei einem Autounfall ums Leben. Sein Leichnam zeigt eine Verletzung, die aussieht, als stamme sie von Freddys Klaue …
Wie sich dieser Kurzzusammenfasung unschwer entnehmen lässt, verlässt Craven die fiktive Ebene und authentifiziert seine Geschichte, indem er sie in unserer Realität ansiedelt. Die wichtigsten handelnden Personen spielen sich selbst – Heather Langenkamp, Wes Craven, Robert Englund, John Saxon sowie Produzent Robert Shaye –, und vor allem in der Exposition geht es nicht zuletzt darum, wie die Filmfigur Freddy ihr Leben beeinflusst und verändert hat. Heather sieht sich immer wieder Fragen ausgesetzt, ob sie ihren Sohn „diese Filme“ denn auch sehen ließe, ihre anderen Arbeiten werden gar nicht wahrgenommen. Und der Schreck, der sie durchzuckt, als Robert Englund als Überraschungsgast in voller Freddy-Montur in die Talkshow stürmt, in der sie zu Gast ist, lässt erahnen, dass ein Teil der Fiktion für sie Realität geworden ist. Diese Art der Ver-Wirklichung wird zur Grundidee von Cravens Film: Freddys Bestreben, aus der Sphäre der Träume in die der Wirklichkeit vorzudringen, das schon vorher eine Triebfeder der Reihe war, wird in WES CRAVEN’S NEW NIGHTMARE auf eine denkbar radikale Art und Weise von Erfolg gekrönt. Freddy gelingt es dabei nicht etwa, bloß in die Wirklichkeit des fiktiven Örtchens Springwood, in dem die Filme zuvor angesiedelt waren, einzudringen, auch nicht bloß als popkulturelle Chimäre in das Bewusstsein des Publikums, sondern in unsere „echte“ Wirklichkeit. Er lässt nicht nur die Sphäre des Traums, sondern anscheinend auch die des Films hinter sich. Die Erklärung, die Craven, sowohl als Autor als auch als Figur im Film, im Drehbuch – das in bester Metafilm-Tradition selbst Bestandteil des Films ist – dafür findet, ist vordergründig mythologisch: In der Erzählung wird die Kraft, von der sie handelt, gewissermaßen gebannt. Doch sobald die Erzählung sozusagen „inaktiv“ wird – wie etwa die NIGHTMARE-Reihe nach ihrer Beendigung – wird diese Kraft wieder freigesetzt. Der Freddy, der im Folgenden Heather und ihren Sohn verfolgt, ist mithin die gefährlichere, dunklere „Idee“ hinter der bloßen filmischen Abbildung durch Englund.
Wie bei solchen Filmen üblich, gewinnt auch WES CRAVEN’S NEW NIGHTMARE vor allem wegen der bizarren Spiegelungen, Verzerrungen und Ambivalenzen, die sein Mise-en-Abyme-Charakter hervorruft. Cravens Erklärung der rätselhaften Vorgänge ist eine augenzwinkernde Rechtfertigung einer nicht enden wollender Sequelmanie, aber natürlich auch eine gültige Erklärung dafür, warum das Publikum diese Fortsetzungen besucht, warum es damit irgendwann aufhört und warum dann langsam aber sicher ein neues Bedürfnis heranwachsen kann. So wie der Film auf seiner Handlungsebene von seiner eigenen Entstehung handelt – er endet damit, dass Heather ihrem Sohn das Drehbuch zum diegetisch nicht entstandenen Sequel vorliest, das wir soeben gesehen haben –, handelt er auf einer subtextuellen Ebene von den Kräften, die eine Horrorfilmfigur zu eben jener Popularität verhelfen, die für eine mehrteilige Horrorfilmreihe nötig ist.
Im Zuge der Diskussionen, die ich als Reaktion auf meine Texte hier in den Kommentaren, auf Facebook oder im „echten Leben“ geführt habe, habe ich erfahren, dass der siebte NIGHTMARE-Film deutlich schlechter gelitten ist, als ich vermutet habe. Für mich war er damals eine absolute Überraschung, nicht zuletzt, weil er mit seiner Prämisse noch eine Ausnahmeerscheinung war, das selbstreflexive Kino der Neunzigerjahre zu jener Zeit erst langsam auf die Beine kam. Gestern habe ich ihn zum ersten Mal seit vielen Jahren wiedergesehen und bin noch etwas unschlüssig, wie ich ihn beurteilen soll: Der Film macht das, was er macht sehr gut. Mehr als anderen Filmen, die sich an solchen erzählerischen Verrenkungen versuchen, merkt man diesem den Intellekt Cravens an, der in seiner Inszenierung nie aus dem Tritt kommt, immer den Überblick über die ineinander verschachtelten Ebenen behält. Der Film ist sehr konsequent in der Umsetzung seiner Idee, aber er wirkt eben doch auch ein bisschen forciert und gewollt. Ich streite mich immer noch mit mir selbst darüber, ob WES CRAVEN’S NEW NIGHTMARE nun der kongeniale, einzig mögliche Schlusspunkt unter das Franchise ist (der er tatsächlich nur war, weil er an der Kinokasse gar nicht gut abschnitt) oder ob man ihn nicht ganz unabhängig davon betrachten sollte. So oder so: Ein einzigartiger Horrorfilm und eine hoch interessante Selbstreflexion, die man wenigstens einmal gesehen haben sollte, um sich sein eigenes Urteil zu erlauben.