Mit ‘Fritz Lang’ getaggte Beiträge

Wer mich kaufen will, kann das dieser Tage gleich dreifach:

Schon etwas länger auf dem Markt, aber immer noch aktuell genug, um ihn hier zu würdigen ist die Blu-ray-Veröffentlichung von Ruggero Deodatos gottgleicher Poliotteschi-Quasi-Parodie EISKALTE TYPEN AUF HEISSEN ÖFEN via filmart. Gemeinsam mit Pelle Felsch habe ich das Vergnügen gehabt, einen Audiokommentar aufnehmen zu dürfen, in dem wir etwas über die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zur damaligen Zeit palavern. Alles garantiert unwissenschaftlich!

Etwas neuer ist der Filmkalender 2019 von Schüren, mit dem man das kommende filmische Jahr planen kann. Unter den Kurzaufsätzen, die den Kalender auflockern, befindet sich auch ein Porträt über Bud Spencer von mir.

Last but not least ist soeben die neueste Ausgabe des 35 MM Retrofilmmagazins erschienen, die unter dem Motto „Sommer – Sonne – Sumpf“ steht. Die große Hitzwelle scheint zwar (zum Glück) vorbei zu sein, wer davon aber nicht genug bekommt, findet auf den reich bebilderten Seiten sicheerlich sein Glück. Auch ich habe mich von den Temperaturen inspirieren lassen und mich in meiner Noir-Kolumne mit dem Fritz-Lang-Klassiker THE BIG HEAT befasst. Das Heft kann man hier bestellen.

Ausnahmsweise kam ihm bei Dr. Mabuse mal nicht Horst Wendlandt in die Quere: Die Rechte an der seit 1933 brachliegenden Figur des verbrecherischen Masterminds sicherte sich Artur Brauner ganz allein. Weil düsteren Crime- und Mysterystoffen im ersten Nachkriegsjahrzehnt jedoch keine besonderen Erfolgsaussichten ausgestellt wurden, verzichtete Brauner zunächst auf eine Umsetzung – und überließ doch wieder anderen die Initiative: Als 1959 der erste Edgar-Wallace-Film DER FROSCH MIT DER MASKE erschien und zu einem unerwarteten Publikumsschlager avancierte, war die Saat für düstere Schwarzweißkrimis mit Gruseleinschlag zwar gelegt, der Weg für eine Mabuse-Reihe frei, doch die Marktführer-Position hatte sich die Rialto mit ihrem Engagement erkämpft. Mit DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE landete Brauner mit der Verpflichtung des 1956 aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland zurückgekehrten Fritz Lang, dem Urheber der ersten beiden Dr. Mabuse-Filme, DR. MABUSE, DER SPIELER und DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE, zwar einen echten Coup (er hatte mit Lang zuvor schon DER TIGER VON ESCHNAPUR und DAS INDISCHE GRABMAL realisiert), schien aber dennoch nur auf der neuen Welle der „Gruselkrimis“ mitzuschwimmen. Ein Erfolg an der Kinokasse wurde er dennoch, trotz der Kritik, die bemerkte, dass Langs Film nicht an die Klasse seiner Vorkriegsklassiker heranreichte. DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE blieb Langs letzter Spielfilm. Seinen letzten Auftritt als Regisseur absolvierte er 1964 mit seiner Rolle in Godards LE MÉPRIS, bevor er 1976 starb.

DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE  beginnt mit einer Szene, die fast 1:1 aus TESTAMENT übernommen wurde: An einer Ampel wird der Fernsehreporter Barter in seinem Auto von einem von Mabuses Killern (Howard Vernon) mit einer Stahlnadel erschossen. Der ermittelnde Kommissar Kras (Gert Fröbe) findet heraus, dass Barter einer großen Sache auf die Spur gekommen war, die er publik machen wollte, Interpol enthüllt die Parallelen zu jenem Mord von vor 30 Jahren. Könnte es sein, dass Dr. Mabuse, das kriminelle Genie von damals, gar nicht tot ist? Oder hat er einen Trittbrettfahrer inspiriert? Im Folgenden konzentriert sich die Handlung auf das Hotel Luxor, in dem der amerikanische Milliardär Travers (Peter van Eyck) abgestiegen ist, der sein Geld unter anderem im Bereich der Atom- und Waffenindustrie macht. Er verhindert den Selbstmord seiner Zimmernachbarin Marion Menil (Dawn Addams) und zwischen den beiden entwickelt sich eine zarte Romanze. Unterdessen macht Kras bei seinen Ermittlungen Bekanntschaft mit dem rätselhaften blinden Hellseher Peter Cornelius (Wolfgang Preiss) und dem Versicherungsvertreter Mistelzweig (Werner Peters). Alle scheinen sie in den Mord an Barter und die folgenden Ereignisse, darunter auch zwei Mordanschläge auf Kras, verwickelt zu sein …

Fritz Lang greift viele Elemente aus seinem Klassiker wieder auf. Das reicht von kleineren Plot- und Gestaltungsdetails, wie etwa der Einführung des Kriminalbeamten Kras oder der erwähnten Ermordung Barters, bis hin zu Ideen, wie jener einer aus dem Hintergrund geführten Verbrecherorganisation, die durch moderne Überwachungs- und Kommunikationstechnologie perfekt vernetzt und den Ermittlern immer einen Schritt voraus ist. Das übersinnliche Element – Dr. Mabuse verfügte über ein außergewöhnliches Gehirn, das es ihm ermöglichte, Besitz von anderen Menschen zu ergreifen – findet Eingang durch die Figur des Cornelius, der immer wieder Ereignisse vorhersieht oder aber Informationen besitzt, die er eigentlich gar nicht haben kann. Und während Lang in DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE gegenwärtige politische Strömungen in Deutschland noch verklausuliert kritisierte – die von Mabuse angestrebte „Herrschaft des Verbrechens“ wies deutliche Parallelen zum Terror des Dritten Reichs auf –, nimmt er hier ganz offen Bezug auf die Methoden der Nazis und ihr Erbe im Deutschland der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahre sowie auf die aufkeimende, sich später noch als sehr berechtigt entpuppende Angst vor Rüstungswettstreit und nuklearem Krieg. Natürlich sorgt auch wieder  Langs bewährte Technik des „reimenden Schnitts“ für einen annähernd nahtlosen Fluss des Films. Der große Unterschied zu TESTAMENT zeigt sich dann auch vor allem in Aspekten, die nicht unbedingt auf Anhieb greifbar und möglicherweise in nicht unerheblichem Maß auf die seit damals vollzogene technische Entwicklung zurückzuführen sind: DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE ist deutlich weniger unheimlich und beunruhigend als sein berühmter Vorgänger, die vormals mysteriöse Titelfigur auf das Maß eines relativ gewöhnlichen Superschurken gestutzt. Das ist zum einen auf den relativ herkömmliche strukturierten Krimiplot zurückzuführen, der zwar ein großes Geheimnis um die wahre Identität des ominösen Strippenziehers macht, dabei aber ganz auf die bewährte Whodunit-Schablone setzt, bei der viele verdächtige Personen mit unterschiedlichen Motivationen sich die Klinke in die Hand geben, und den übersinnlichen Aspekt der Geschichte recht schnell als Zirkusnummer enttarnt.

Zum anderen, und das scheint mir entscheidender, steht dem Film aber seine formale Geschliffenheit oder besser: seine Sauberkeit im Weg, die mit den an ihn geknüpften kommerziellen Interessen einhergeht. DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE ist ein lupenreiner Genrefilm, der auf dem Fundament aufbaut, das sein Vorgänger erst begründete. Was damals noch neu und gewissermaßen auch roh und im besten Sinne unausgereift war, irgendwo zwischen den Stühlen von expressionistischem Horror, Thriller und Kriminalfilm verortet, ist hier zum optimalen Funktionieren als Publikums- und Unterhaltungsfilm hin bereinigt und begradigt. Unorthodoxe, idiosynkratische Ideen, störende Elemente sucht man ebenso vergebens wie diese im TESTAMENT so meisterhaft etablierte Stimmung einer schleichenden, unaufhaltsamen Bedrohung, vor der man auch als Zuschauer nicht sicher war. Nicht geringen Anteil an dieser Wirkung hatte mit Sicherheit auch seine äußere Form. Auf die komplizierte, bewegte Editionsgeschichte von TESTAMENT bin ich schon eingegangen und sie hat sich auch in die uns heute vorliegende Kopie eingeschrieben. Der Zahn der Zeit hat an ihm genagt und deutliche Spuren in Form von Verunreingungen und Kratzern hinterlassen, das Bild ist insgesamt weniger scharf als bei neueren Filmen oder eben solchen, die nicht die Knute der Zensur zu spüren bekamen und in irgendwelchen Kellern verschwanden. Aber es ist eben auch jene Patina, der DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE einen Teil seines Mysteriums verdankt. Er wirkt weniger „gemacht“ als wie ein Zeitzeugnis, ein früher Found-Footage-Film gewissermaßen, und das authentifiziert ihn in gleichem Maße wie es ihn dem analytischen Zugriff entzieht. Das soll den Erfolg von DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE nicht schmälern, der mit den glänzend aufgelegten Gert Fröbe und vor allem Werner Peters auftrumpfen kann und immer wieder mal mit überraschenden Ideen oder unerwarteten Ruppigkeiten aus dem zufriedenen Dämmerzustand, den solche Kraut-Pleaser (sorry …) bei mir auslösen, aufschrecken lässt. Aber an diesem Lob zeigt sich eben die gewaltige Kluft: Fritz Langs letzter Film bewegt sich immer im Rahmen eines Genrefilms und er bringt den Zuschauer niemals in Gefahr. Dr. Mabuse bleibt ein Prä-Bond’scher Superschurke, gefährlich, aber eben ausrechenbar. Im Vorgänger wusste man am Ende nicht, ob er die vierte Wand nicht hinter sich gelassen hatte.

Filme wie DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE machen mir immer ein bisschen Angst, weil sie mit der Bezeichnung „Klassiker“ fast noch unterbewertet sind. Fritz Langs legendäre Fortsetzung seines eigenen 1922 entstandenen DR. MABUSE, DER SPIELER schafft als früher, aber formal bereits unheimlich avancierter Tonfilm überhaupt erst die Grundlage, anhand derer wir die Kriterien, nach denen wir auch heute noch bestimmen, was einen „Klassiker“ oder ein „Meisterwerk“ auszeichnet, aufstellen konnten. DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE ist mehr als ein Film, auch mehr als ein historisches Dokument oder kulturelles Artefakt: Er ist gewissermaßen das filmische Äquivalent des Urmeters, die Blaupause, an der sich noch heute – wissend oder unwissend – jeder Filmemacher orientiert, wenn er sich in der Schnittmenge von Thriller, Paranoiafilm und Horror bewegt, und ohne dessen formalen Errungenschaften seine Kunst heute um Einiges ärmer wäre – wenn sie die 80 Jahre, die seitdem vergangen sind, ohne sie überhaupt überdauert hätte. Mein Textchen hier ist von vornherein zur Redundanz verdammt, weil sich bereits Dutzende von Filmwissenschaftlern und -historikern an Langs Film abgearbeitet, seine komplizierte Editions- und Rezeptionsgeschichte durchleuchtet, jedes Einzelbild auf links gedreht, jeden Schnitt analysiert, jede Dialogzeile interpretiert und dabei Erkenntnisse zu Tage gefördert haben, die ich hier weder zusammenfassen noch übertreffen könnte. Ich kann mir nicht helfen, mir nötigt ein Werk wie DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE höchsten Respekt ab. Vielleicht bin ich von Natur aus autoritätsgläubig: Ich kann mich vom Status von Langs Film unmöglich freimachen und ihn betrachten wie irgendeinen beliebigen Film. Trotzdem kann ich ihm an dieser Stelle aber auch keinen Text widmen, der diesem Status auch nur annähernd gerecht würde.

Der Name „Mabuse“ ist mir seit meiner Kindheit geläufig, als ich ihn von einem Schulkameraden aufschnappte, wahrscheinlich weil der einen von Brauners Mabuse-Filmen aus den Sechzigerjahren im Fernsehen gesehen hatte. Dann gab es in den Achtzigern ja auch noch den Song „Dr. Mabuse“ der Düsseldorfer Synthiepopgruppe Propaganda (den ich aber auch nur vom Namen her kannte). Schließlich fand die vielleicht unheimlichste Szene aus Langs Film Eingang in den „Lieblingsszenen“-Artikel, der 1995 anlässlich des 100. Geburtstags des Kinos in der Splatting Image veröffentlicht wurde. „Mabuses Geist, ausgestattet mit hypnotischen, übergroßen Augen und einem offenliegenden Gehirn, sitzt dem Irrenarzt gegenüber und faselt von der ,Herrschaft des Verbrechens‘ […] die Szene [ist] nach Mitternacht bei vereinsamter Wohnung besser als jede Koffeintablette“, schrieb damals Peter Blumenstock. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich die Reihenfolge der verschiedenen Mabuse-Filme auf die Reihe bekam, verstand, dass Langs späterer DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE, den er nach seiner Rückkehr nach Deutschland drehte, mit den beiden vorangegangenen Filmen zwar den titelgebenden Schurken teilte, sonst aber eine ganz andere Baustelle war. Aber die beschriebenen Konfusionen trugen erheblich dazu bei, dass die Figur des kriminellen Masterminds eine enorme Faszination auf mich ausübte: Die Figur war irgendwie schon immer da und das machte sie seltsam real für mich. Wie dieses kriminelle Mastermind – vom luxemburgischen Autor Norbert Jacques 1919 erdacht – sich über das Medium Film ins kollektive Bewusstsein schlich und seinen Keim legte, dann über Jahrzehnte verschwand, nur um dann doch noch einmal zurückzukehren, wie er seit den Sechzigerjahren von der Bildfläche verschwunden, aber trotzdem nicht vergessen ist: Das erinnert frappierend an seine Methode, eine Stimmung der Angst zu erzeugen um mit ihr auch noch in die entlegendsten Winkel zu kriechen, die Fritz Lang in DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE beleuchtet.

Und diese Stimmung prägt auch den Film. Von der ersten Szene an, die von einem maschinellen Dröhnen ohne Ursprung bestimmt wird, liegt sie wie ein Schleier über den Bildern, nicht greif- aber doch spürbar. Sie materialisiert sich in den kurzen Momenten, in denen wir den Geist Mabuses erblicken, wie er als Projektion der von ihm beeinflussten Opfer Kontrolle über sie ausübt, aber eigentlich handelt der Film davon, wie sich das Böse als self-fulfilling prophecy selbstständig und von Menschen unabhängig macht. Die Gemeinsamkeiten von Mabuses angestrebter „Herrschaft des Verbrechens“ und dem Regime des Dritten Reichs, das sich eine Nation „williger Vollstrecker“ heranzüchtete, sind unübersehbar – nur Goebbels fielen sie nicht auf. Vom Verbot des Films hielt ihn das nicht ab, aber der Grund war nicht, dass er sich und die Pläne Hitlers enttarnt fühlte, sondern – ironischerweise – einen schlechten Einfluss auf die Volksmoral berfürchtete: Er war der Meinung DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE stifte zum Verbrechen an. Das war der Anfang einer überaus turbulenten Editionsgeschichte mit verschiedenen Sprach- und Schnittfassungen, deren vorläufiger Entstand annähernd vollständig, aber eben immer noch nicht mit Langs finaler Version identisch ist. Man merkt es ihm nicht an: Schon während der Sichtung erweist sich DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE als perfekt, einer jener raren Filme, bei denen sich jede Szene nahtlos an die vorangegangene anschließt, nichts mehr hinzugefügt oder weggenommen werden kann (die kürzeren Versionen behalten die Szenenfolge nahezu bei, kürzen lediglich innerhalb der Szenen). Trotzdem wirkt TESTAMENT zu keiner Sekunde steril oder leblos, er wurde von Lang nicht zu Tode optimiert, sondern bewahrt sich ein zentrales Mysterium und seine rohe Energie. Das ist zum einen auf Langs „reimenden Schnitt“ zurückzuführen, der den Film nicht so sehr voranschreiten als -fließen lässt, auf die spannungsreiche Bildsprache und die einprägsamen Protagonisten, zum anderen auf den actiongeladenen Szenenaufbau. Einige der Stunts und Effekte lassen das Alter des Films völlig vergessen: Großartig etwa die Sequenz in der der gefügig gemachte Kent (Gustav Diessl) mit seiner Freundin in einem Raum eingesperrt ist, und eine Überflutung initiiert, um ein Fluchtloch in den Dielenboden zu sprengen. Lang hat seinen Schauspieler auch körperlich einiges abverlangt. Und dann ist da natürlich Mabuse: Eine faszinierende Figur, vom hakennasigen Rudolf Klein-Rogge mit diabolischer Präsenz ausgestattet und einem Blick, der durch und durch geht. Er wahrt sein Geheimnis bis zum Schluss, ist umso unheimlicher und furchteinflößender, als man nie genau weiß, was er ist, was ihn treibt, wie man ihn stoppen kann. Es dürfte sich bei ihm um eine der interessantesten Schurkenfiguren des populären Kinos handeln. Dass es seit fast 50 Jahren keinen Film mehr mit ihm gegeben hat, liegt definitiv nicht daran, dass die Figur nicht mehr zeitgemäß wäre (im Gegenteil), sondern allenfalls daran, dass DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE heute immer noch voller Kraft und Frische ist, keines Updates bedarf. Ein Meisterwerk eben.