Nachdem HANNIBAL zehn Jahre auf sich warten ließ, folgte die Neuverfilmung des ersten Romans um Hannibal Lecter nur wenig später. 1986 hatte Michael Mann bereits seine Adaption MANHUNTER vorgelegt – einer seiner stärksten Filme -, doch der war seinerseits massiv gefloppt und musste zudem noch ohne Anthony Hopkins auskommen, der seit THE SILENCE OF THE LAMBS untrennbar mit dem kannibalistischen Serienkiller verknüpft war. In Manns Film hatte Brian Cox eine extrem unterkühlte, sachliche Interpretation des Charakters vorgenommen, die vielen, die den Film nach SILENCE gesehen hatten, als nicht „spektakulär“ genug erschien (ich glaube ja, dass Hopkins sich ganz genau angeschaut hatte, wie sein Vorgänger den Killer angelegt hatte und dann darauf aufbaute). Mit der Entscheidung, Brett Ratner auf den Regiestuhl zu setzen, der vorher lediglich als Regisseur der Chris-Tucker-Vehikel MONEY TALKS, RUSH HOUR und RUSH HOUR 2 aufgefallen war, zeigt sich schon deutlich, wo hier die Prioritäten lagen. RED DRAGON ist in allererster Linie getrieben von dem Wunsch, den Harris-Stoff in die bestehende Erfolgsserie einzugemeinden. Mit der Besetzung von Anthony Hopkins war das wichtigste Zugpferd an Bord, der Rest müsste lediglich absolviert werden. Und das macht Ratner dann auch, sich dabei auf ein Drehbuch stützend, dass ganze Passagen originalgetreu von Michael Manns Script übernimmt: Bezeichnete man RED DRAGON als ein Remake von MANHUNTER läge man nicht ganz falsch damit.
Ratners Film ist solides Entertainment, das sich die Produzenten mit barer Münze erkauften: Die Besetzung ist schon recht beeindruckend, aber wie der ganze Film auffallend risikolos. Edward Norton war damals unter Hollywoods Top-Stars sicherlich der Vorzeigeintellektuelle und somit prädestiniert für die Rolle des Profilers Will Graham, der dem teuflischen Lecter zu nah gekommen war und nun mit Bildern zu kämpfen hat, die er nicht mehr los wird. Aber diese Besessenheit nimmt man Norton eben nicht ab: Das verhielt sich bei Manns Graham William Petersen noch anders. Ralph Fiennes ist ein weiterer Fall eines Top-Darstellers, der „Mut“ mit einer riskanten Rolle beweist: Doch wo Tom Noonan in MANHUNTER mit einer zwischen den Polen „furchteinfößend“ und „bewegend“ changierenden Darstellung der Bestie restlos begeisterte, manövriert sich Fiennes auf Autopilot durch eine Darbietung, die man wohlwollend als „routiniert“ bezeichnen könnte, für die die Begriffe „gelangweilt“ oder „uninspiriert“ aber weitaus treffender sind. Elfengesicht Emily Watson muss in erster Linie ihre großen Kulleraugen aufreißen, um als verletzliches, weil blindes Opfer Empathie zu erzeugen, Philip Seymour Hoffman spielt Schmierlappen wie den Tabloid-Journalisten Lounds im Schlaf, Keitel konnte für den Part als FBI-Agent Jack Crawford seine RESERVOIR DOGS-Garderobe noch einmal verwenden und Mary-Louise Parker reiht sich ein in die endlose Riege von attraktiven Hollywood-Film-Ehefrauen, die sich zu Hause dekorativ und tränenreich Sorgen um den weltrettenden Protagonisten machen dürfen. Bleibt die USP des Films, Anthony Hopkins als Hannibal Lecter: Von dessen beunruhigender Kraft bleibt kaum noch etwas übrig, weil er längst eine Masche abspult und die Szenen zwischen ihm und Graham nicht mehr sind als eine aufgewärmte Variante der Psychoduelle mit Clarice Starling aus Demmes Film. Die Macher gaben sich alle Mühe, möglichst nahtlos an diesen anzuknüpfen – Anthony Heald gibt erneut den schmerigen Anstaltsleiter Chilton, sogar für die hier höchst unbedeutende Rolle des Wärters Barney Matthews holte man Frankie Faison zurück und natürlich baute man das Original-Setting nach -, ganz so als handle es sich bei RED DRAGON um THE EMPIRE STRIKES BACK, aber die Defizite treten im direkten Vergleich sowohl mit SILENCE als auch mit MANHUNTER natürlich nur noch offener zu Tage. Ratners Film ist ein leidlich effektiver, professionell gemachter Thriller, dem aber jede Eigenständigkeit oder gar Vision vollkommen abgeht.
Immerhin hält sich die Enttäuschung in Grenzen (ich war auf das Schlimmste vorbereitet und fand RED DRAGON immerhin ganz unterhaltsam), denn man ahnt gleich in der Auftaktszene, dass man seine Erwartungen hier nach unten schrauben sollte: Die für Graham so traumatische Begegnung mit Lecter, über die Mann seine Charaktere nur in vielsagenden Andeutungen sprechen ließ, wird hier zum klischierten Kintopp-Zweikampf eines sich nur mäßig clever verhaltenden Kriminalbeamten mit dem Killer, der seinen Gäste der Hochkultur nur wenige Stunden zuvor ein Menü aus Menschenfleisch serviert hatte (und dabei ein eitles Zöpfchen trug). Und natürlich muss es, anders als in MANHUNTER, auch einen herausgezögerten Showdown geben, bei dem dann die Familie des Profilers noch einmal in Gefahr gerät. MANHUNTER und THE SILENCE OF THE LAMBS waren herausragend, weil sie ganz neue Bilder und Strategien für den Thriller erfanden, HANNIBAL konnte immerhin noch für sich in Anspruch nehmen, einzigartig geschmacksverirrt zu sein. RED DRAGON ist einfach nur solide Stangenware.