Mit ‘Heinz Bennent’ getaggte Beiträge

Die letzten KOMMISSAR-Sitzungen liegen lang, nämlich fast drei Jahre, zurück: Ein langes, kinderloses Wochenende schien mir der ideale Zeitpunkt, die Sichtung fortzuführen und erneut einzutauchen in die von Reinecker protokollierte, mit Zigarettenrauch und Bierduft durchwaberte Welt des Bürgertums. Mehr noch als DERRICK ist DER KOMMISSAR comfort food, perfekt für die bevorstehende Zeit um Feiertage und Jahreswechsel, wenn der geschäftige Trubel Platz macht für Vorfreude und Entspannung. Im Gegensatz zum kalten Stephan Derrick vermittelt Kommissar Keller (Erik Ode) diese altväterliche, kompromisslose, aber im Kern wohlmeinende Strenge – wie der Weihnachtsmann, der am Ende des Jahres mit prüfendem Blick in sein schlaues Buch die ungezogene Spreu vom artigen Weizen trennt. Mir fiel diesmal auf, dass DER KOMMISSAR manchmal fast wie eine Familienserie rüberkommt: Im Zentrum also der strenge Papa, der seine „Jungs“ (er nennt sie mehrfach wirklich so) Grabert, Heimes und Klein an der langen Leine laufen lässt, um sie aufs Leben vorzubereiten, am Rande das treue „Rehbeinchen“, das dazu Stullen und Bier serviert und manchmal auch einen guten Tipp hat. Die Serie ist wunderbar, gemütlich wie ein alter, vertraut müffelnder Sessel, toll auch, um dabei sanft wegzudösen – und immer wieder für Überraschungen, Begeisterung, Gelächter und offene Münder gut.

 

Episode 056: Tod eines Hippiemädchens (Theodor Grädler, Deutschland 1973)

Der Kollateralschaden der langen Pause: Diese Episode habe ich damals noch gesehen, aber dann vergessen, einen Text darüber zu schreiben.

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Episode 057: Das Komplott (Wolfgang Staudte, Deutschland 1973)

Der Büroangestellte Andreas Steintaler (Udo Vioff) ist nach Dienstschluss noch im Büro, als ihn sein Chef per Telefon zu sich bestellt. Steintaler findet Sekunden später nur noch die Leiche und einen leeren Tresor vor und verständigt die Mordkommission. Die nimmt ihm seine Geschichte aber nicht ab: Wie soll der Täter in der knappen Minute, die der Angestellte von seinem Arbeitsplatz ins Büro des Chefs brauchte, einen Mann erschossen, einen Tresor geleert, alle Spuren verwischt haben und dann auch noch unbemerkt entkommen sein? Als das vermisste Geld kurz darauf an Steintalers Arbeitsplatz gefunden wird, scheint er als Mörder überführt. Dennoch hält er an seiner Geschichte fest. Es scheint, als wolle jemand ihm den Mord in die Schuhe schieben.

Der Kriminalfall ist trickreich gescripteter Standard mit einer allerdings superabsurden Auflösung, die ich hier nicht verraten möchte, bei der aber der immer tolle Charles Regnier überaus passend zum Einsatz kommt. Reineckers Hauptaugenmerk liegt wieder einmal auf dem verlogenen großbürgerlichen Ringelpiez um den eigentlichen Mordfall und er fährt eine beachtliche Schar an suspekten Gestalten auf: Die mondäne Gattin des Toten (Ursula Schult) hat ein Verhältnis mit Steintaler und kann sich nicht im Geringsten dazu durchringen, die trauernde Witwe zu spielen. Dasselbe gilt für ihre beiden Töchter (Ingrid Steeger & Barbara Stanek). Ihr zur Seite steht der hypernervöse Dettmann (Leopold Rudolf), seit Jahrzehnten ein treuer Diener des Toten, dessen anfängliche Fassung immer mehr zum Teufel geht, bevor er in einer eindrucksvollen Szene vor seiner Familie komplett die Nerven verliert. Als sein arroganter, selbstverliebter und aufreizend ungerührter Sohn gibt Wolf Roth eine frühe Kostprobe jenes Typus, den er später noch einige Mal bei DERRICK perfektionieren sollte. Leicht über dem Durchschnitt angesiedelt, ist „Das Komplott“ eine gute Folge zum Wiedereinstieg.

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Episode 58: Schwarzes Dreieck (Theodor Grädler, Deutschland 1973)

In der Abwesenheit seiner Gattin Helga (Käthe Gold) verunglückt der Ehemann in der Badewanne, als ein elektrischer Rasierapparat ins Wasser fällt. Der vermeintliche Unfall wird zum Mord, als Untersuchungen ergeben, dass sich der Mann immer nur nass rasierte. Aber wer brachte den Mann um und verschwand dann unbemerkt aus der abgeschlossenen Wohnung? Neben der Gattin, die von ihren beiden Söhnen (Karl Walter Diese & Peter Fricke) bedrängt wird, die Anteile am Geschäft des Vaters an sie zu übertragen, gerät die rätselhafte Frau Böhle (Angelika Salloker) in Verdacht: Auch ihr Mann starb vor Jahren bei einem höchst sonderbaren Unfall.

Die Grundkonstellation erinnert ein klein wenig an Hitchcocks STRANGERS ON A TRAIN, aber interessanter sind Reineckers Betrachtung von Ehe und Alter im Hinblick auf die älteren Frauen, die im Mittelpunkt der Geschichte stehen. Die drei Damen, um die es geht, werden von ihren Gatten als bessere Hausbedienstete betrachtet und jeder liebevollen Zuwendung beraubt. Mehr noch: Auch Helgas Söhne interessieren sich nur so lange für ihre Mama, wie sie etwas von ihr haben wollen. Kaum hat sie ihre Unterschrift unter dem Vertrag hinterlassen, machen sie sich wieder aus dem Staub, haben noch nicht einmal die Zeit, ihren Kaffee zu trinken und ihr Stück Kuchen zu essen. „Die Ehe ist ein Kampf, den die Frauen verlieren“, sagt Frau Böhle gegenüber Kommissar Keller: eine Überzeugung, die sie dazu geführt hat, einen teuflischen Mordplan auszuhecken. DER KOMMISSAR (und später DERRICK) zeichnet sich nicht unbedingt durch ein besonderes Verständnis für Frauen aus: Reinecker weist ihnen meist eine feste, wenig flexible Rolle zu und verurteilt sie, wenn sie aus dieser ausbrechen. Für ältere Damen macht er aber eine Ausnahme, zumindest ist das der Schluss, zu dem man nach Betrachtung dieser traurigen Episode kommt. Das Schicksal von Helga bewegt, auch weil Käthe Gold eine sehr anrührende Darbietung gibt. Der Anblick der Rentnerinnen, deren größte Freizeitvergnügung es ist, Tauben im Park zu füttern, ist der Gipfel der Tristesse.

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Episode 59: Der Tod von Karin W. (Theodor Grädler, Deutschland 1973)

Die junge Karin Winter (Simone Rethel) wird in einer Kneipe niedergeschossen, nachdem sie noch versucht hat, ihre Mutter (Ida Krottendorf) anzurufen. Die Ermittlungen ergeben, dass Karin in einem Erziehungsheim war und mehrfach durch kleinere Vergehen aufgefallen ist. Die familiären Verhältnisse sind kompliziert: Die alleinstehende Mutter brachte regelmäßig Männerbekanntschaften nach Hause, unter anderem ihren Nachbarn Otto Pajak (Harald Leipnitz), was ihr bei dessen Schwester (Maria Schell) den Ruf der Schlampe einbrachte. Aber Pajak hatte nicht nur Interesse an der Mutter.

Die Folge bestätigt, was ich oben über Reineckers Frauenbild schrieb, denn dass Karins Mutter aktiv Ausschau nach Männern hielt und diese mitunter auch nach Hause brachte, wird ihr ausschließlich negativ ausgelegt. Gut, man mag darüber streiten, inwiefern die Tatsache, dass ihr Schlafzimmer direkt neben dem der Tochter liegt, nicht etwas mehr Zurückhaltung ihrerseits erfordert hätte, aber diese Einschränkung nimmt Reineckers Drehbuch eigentlich nicht vor. Es sind der „Egoismus“ und die Freizügigkeit der Mutter, die die Tochter zur Ladendiebin, Heiminsassin und schließlich zum Mordopfer machten. Pajaks Missbrauch einer Minderjährigen ist demgegenüber ein Kavaliersdelikt: Schließlich fungierte die Mama als Kupplerin. Diese Ausrichtung ist aus heutiger Sicht natürlich extrem streitbar, aber das macht diese und viele andere Episoden der Serie  ja auch so faszinierend. Es ist ein Stück deutscher Mentalitätsgeschichte, derer man da ansichtig wird. Und es ist beileibe keine schöne Geschichte. Harald Leipnitz, sonst meist als kerniger, schlagkräftiger Machotyp besetzt, gibt hier einen der typischen Reinecker-Waschlappen, einen Mann ohne Mumm in den Knochen, der voll unter der Fuchtel sowohl seiner herrischen Schwester als auch seiner Geliebten steht. Diese Charakterisierung ist natürlich zweischneidig: Man spürt Reineckers Verachtung für diese mummlosen Männer (in der man ebenfalls ein sehr traditionelles Männerbild erkennt), gleichzeitig entlässt er sie so auch ein Stück weit aus ihrer Verantwortung.

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Episode 60: Die Nacht, in der Basseck starb (Wolfgang Staudte, Deutschland 1973)

Der Nachtclubbesitzer Basseck (Jürgen Goslar) wird in seiner Wohnung von einem Unbekannten erwartet und erschossen. Keller und sein Team erfahren, dass der Mann regelmäßig junge Mädchen aus seinem Laden als Geliebte rekrutierte und dann wieder auf die Straße setzte, wenn er die Lust an ihnen verlor. Die letzte, die es getroffen hat, ist die schöne Dana (Evelyn Opela). Und dann ist da auch noch Günter Wagner (Jochen Bißmeier), ihr letzter Kunde und der Bruder eine von Bassecks Verflossenen.

Ich fand diese Episode nur mittelmäßig interessant: Sie verschenkt Horst Tappert (als Bassecks Geschäftspartner) und dessen Talent zum Schurkentum in einer völlig unterentwickelten Rolle und nervt zudem mit endlosen Musikeinspielungen der Les Humphries Singers, die als Attraktion des Nachtclubs eine Nummer nach der anderen zum Besten geben und dabei die Tanzfläche ganz allein für sich in Anspruch nehmen. Jürgen Drews, damals ein Mitglied der Combo, tanzt so am Rande mit und wirkt, als sei ihm das alles furchtbar unangenehm. Das zeugt von mehr Geschmack und Stil, als ich ihm zugetraut hätte, aber auch von einer fragwürdigen Arbeitsmoral. Diese breiten Musikeinlagen (neben dem penetranten Ohrwurm „Mamama-mamamalu!“ gibt es auch ein Liedchen über Mexiko, bei dem der Sänger natürlich einen Sombrero tragen muss) sind schon faszinierend – mit welch elender Scheißmusik man damals zu Ruhm und Geld kommen konnte -, aber verfehlen das Ziel, hier ein bisschen Glamour reinzubringen. Viel besser gelingt das der betörenden Evelyn Opela, deren tschechischer Akzent („Ich habe ein Dacksi gerufen.“) in Verbindung mit der markanten Mund- und Kieferpartie sowie dunkeln Augen und Haaren mehr Mystik in die Episode bringen, als alle Scriptwindungen Reineckers.

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Episode 61: Der Geigenspieler (Theodor Grädler, Deutschland 1973)

Der Geigenspieler Triberg (Günther Stoll) erhält eine Warnung, nach seinem Konzert auf gar keinen Fall wie gewohnt mit dem Zug nach Hause zu fahren. Er nimmt die Warnung zur Kenntnis, steigt dann aber doch in den Zug – und wird durch das Fenster erschossen. Seine Ehefrau Irene (Sonja Ziemann) kann am Bahnhof nur noch die Leiche in Empfang nehmen. Wie sich herausstellt, hatte sie ein Verhältnis mit dem mittellosen Maler Kolding (Heinz Bennent). Und der verfügt kurz nach dem Mord plötzlich über eine große Menge Geld, die ihm vom Irene Triberg überreicht wurde.

Ein weiterer Eintrag in Reineckers bis tief in die Neunzigerjahre reichende Abrechnung mit bürgerlichem Ehe-Ennui: Hier geht die Ernüchterung sogar so weit, dass der Ehemann die eigene Ermordung geradezu als Erlösung hinnimmt. Insgesamt ist „Der Geigenspieler“ nur Durchschnitt, was immerhin „gute Unterhaltung“ bedeutet, die zudem durch die Leistungen von Sonja Ziemann, dem immer großartigen Heinz Bennent, Elisabeth Flickenschildt und Erik Schumann in einer ungewohnten Rolle als gammliger Schmierlappen aufgewertet wird.

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Episode 62: Ein Funken in der Kälte (Wolfgang Staudte, Deutschland 1973) 

Die alternde Prostituierte Heide Hansen (Mady Rahl) wird ermordet und aus dem fahrenden Auto geworfen. Sie ging für den fiesen Zuhälter Schönau (Hans Brenner) auf den Strich und unterhielt zudem eine zärtliche Beziehung zu dem Säufer Alfons Schichta (Klaus Behrendt), vor dessen Kellerwohnung sie immer auf Freier wartete. Warum musste sie sterben?

Traurige Dramen im Milieu: Auch darauf verstand sich Reinecker, der hier eine besonders trostlose Geschichte erdachte. Alte Nutten, die keiner mehr haben will und die sich mit einer Erkältung im Kellerloch eines Alkoholikers aufwärmen, der jede Selbstachtung verloren hat, und ein Loddel, der Minderjährige als sein neuestes Geschäftsmodell entdeckt hat: Das sind die Zutaten dieser Episode, die es bundesdeutschen Fernsehzuschauern anno 1973 erlaubte, sich davon zu vergewissern, wie gut sie es selbst hatten, und sich nebenbei von Reineckers Elendstourismus einen wohligen Schauer über den Rücken jagen zu lassen. Vieles hier wärmte Reinecker später bei DERRICK wieder auf, am prominentesten sicherlich den Coup, Behrendt als Säufer im Endstadium zu besetzen. Die Folge ist nicht so spannend und ihr Highlight ist Brenner als schmieriger Zuhälter.

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Episode 63: Sonderbare Vorfälle im Hause von Professor S. (Wolfgang Becker, Deutschland 1973)

Die Haushälterin von Professor Steger (Hans Caninenberg) wird von einem Einbrecher umgebracht: Anstatt die Flucht zu ergreifen, legt er die Leiche in ihr Bett und macht es sich anschließend gemütlich. Er hört Musik, liest, macht sich sogar etwas zu essen. Der Professor, ein Psychiater, verdächtigt seinen Sohn Alfred (Matthieu Carriére), der einst selbst in Behandlung war, und verwischt deshalb alle Spuren. Doch dann gibt es einen ganz ähnlichen, zweiten Fall im Haus des Malers Erdmann (Günther Ungeheuer).

Ein Psychothriller! Die interessante Folge mit tragischer Auflösung bietet Carriére in seiner Paraderolle als aufmüpfig-arroganter, kalter Schnösel, den er eigentlich sein ganzes Leben lang spielte. Margarethe von Trotta bleibt lange im Hintergrund, was zwar die Überraschung am Ende vergrößert, aber hinsichtlich ihrer Figur Potenzial verschenkt. Dazu läuft Lobos Nummer-eins-Hit „I’d love you to want me“ in Dauerschleife, bis man sich die Ohren abreißen möchte. Wenn es um Popmusik und Jugendkultur ging, offenbarten sich Reinecker und mit ihm seine Produzenten meist als völlig Ahnungslose. Nun gut, Lobos Ohrwurm, der auch in den USA zum Hit avancierte, fand reißenden Absatz und dürfte auch bei Teenies für Verzückung gesorgt haben, aber dass die Platte im Haushalt eines Akademikers wie Steger Einzug hält, halte ich für einigermaßen unwahrscheinlich.

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Episode 64: Ein Mädchen nachts auf der Straße (Theodor Grädler, Deutschland 1973)

Die Studentin Inge Sobach (Uschi Glas) wird erwürgt in ihrer Wohnung aufgefunden. In dem erfolgreichen Unternehmer Harald Bergmann (Curd Jürgens) hatte sie einen wohlmeinenden Gönner – und einen Geliebten? Der Mann berichtet Keller, wie er Inge kennen lernte und welche Beziehung er zu ihr unterhielt. Brachte er sie um, weil sie sich in seinen Sohn Rolf (Amadeus August) verliebte? War Rolf der Täter, weil er es nicht ertragen konnte, sie mit dem Vater teilen zu müssen? Oder war gar Bergmanns erzürnte Gattin Elvira (Inge Birkmann) die Täterin?

Eine KOMMISSAR-Folge mit Curd Jürgens muss zwangsläufig ein Ereignis sein: Der „normannische Kleiderschrank“ gibt wieder eine seiner berüchtigten Darbietungen als ergriffen-lüsterner Onkel, der mit seiner einzigartig sonoren Stimme über die „Lebensfreude“ und den unbeirrbaren Optimismus des jungen Mädchens schwärmt, alle berechtigten Nachfragen über die möglicherweise sexuelle Natur seiner Bekanntschaft brüsk von sich weist, solche Unterstellungen als bornierte Fantasielosigkeit von Menschen kritisiert, die einfach keinen Einblick in die höheren Weihen wahrer, platonischer Liebe haben. Dass er einräumen muss, die schöne, reine, freudige und optimistische Inge, die seine Tochter sein könnte, dann doch auch mal gefickt zu haben (aber nur einmal!), ist in seinen Augen kein Widerspruch und schon gar nicht irgendwie anrüchig. Es ist ein Fest. Dass die Männer im KOMMISSAR (und auch später bei DERRICK) auffallend oft ganz selbstverständlich deutlich jüngere Geliebte haben, wird kaum hinterfragt – die Tatsache folgt eben ganz logisch aus der gesellschaftlichen Realität der BRD der Siebzigerjahre, in der die Männer die Karrieren hatten und sich dann jüngere, „repräsentative“ Frauen nahmen, die vom Wohlstand des Gatten schließlich nur profitierten – und mit denen sich vor den Geschäftsfreunden gut protzen ließ. Curd Jürgens führt die Denke, die hinter solchen Beziehungen steht, gnadenlos vor – gerade weil er sich so unreflektiert in seine Rolle wirft, die sich von seiner Lebensrealität wahrscheinlich kaum unterschied. Auch im echten Leben angelte er sich mit Vorliebe deutlich jüngere Mädchen, die seine müden Knochen mit ihrer „Lebensfreude“ munter machten und im Gegenzug in den Genuss seines luxuriösen Lebensstils und natürlich seiner großen Weisheit als Künstler kamen. Uschi Glas macht mit beim schmierigen Spiel, versieht ihre Inge mit großäugiger, reichlich naiver Unbedarftheit und Offenheit, und verleiht dem geilen alten Bock damit mehr oder weniger die Carte blanche. Wahnsinn.

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Episode 65: Sommerpension (Jürgen Goslar, Deutschland 1973)

Im Moor wird ein Toter neben seinem im Schlamm stecken gebliebenen Wagen aufgefunden. Ganz in der Nähe befindet sich die abgelegene Pension von Amalie Schöndorf (Marianne Hoppe), die ihre Zimmer an einige Rentner vermietet. Ihre Tochter Barbie (Gerlinde Döberl) hat ein lahmes Bein, seit die Mama sie zusammen mit ihrer Haushälterin Paula (Bruni Löbel) über den Haufen fuhr – und ihr so das Leben und die Tour bei den Männern vermasselte: Eigentlich hatte der Gasthof-Besitzer Schuster (Götz George) die Barbie schon als Ehefrau in spe auserkoren – bis er das Hinkebein zu sehen bekam. Aber was hat der Tote mit dieser Geschichte zu tun?

German Gothic mit komischen Untertönen, die vor allem auf das Konto der Rentner gehen, die Beweisstücke einsacken, sich über erkaltete Suppe beschweren, Keller zum Baden im Moorsee einladen und natürlich beim Mordfall schön die Klappe halten, weil sie nichts lieber wollen, als dass die brave Barbie endlich den Mann bekommt, der ihr zusteht. Götz George hat einen ca. drei Meter breiten Schnurrbart, aber ansonsten kaum mehr als einen ausgedehnten Gastauftritt, der ihn deutlich unterfordert. KOMMISSAR- und DERRICK-Profis sortieren die Folge als eines von mehreren Beispielen ein, in denen Menschen mit Behinderung äußerst schlecht wegkommen. Ob das nur Reineckers Sicht widerspiegelt oder sie damals dem bundesdeutschen Status quo entsprach, kann ich nicht befriedigend beantworten. Fest steht, dass Barbie durch ihre Behinderung „damaged goods“ ist, völlig unvermittelbar auf dem Ehemarkt. Der eben noch bis über beide Ohren verliebte Schuster schaut auf einmal drein, als habe ihm jemand kräftig in die Suppe gerotzt, als er das Humpeln der jungen Frau erblickt, und das Drehbuch gibt ihm mehr oder minder Recht: Was will ein Gastwirt auch mit einer lahmen Frau, die kann ja weder Gäste bedienen noch Bierfässer schleppen! Dann doch lieber gar keine Gattin! Es ist zum Verrücktwerden.

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Episode 66: Herr und Frau Brandes (Leopold Lindberg, Deutschland 1973)

Die Malerin – was hat Reinecker nur ständig mit Malern? – Gerda Brandes (Agnes Fink) hat soeben Besuch von einem ihrer Kunden, da zerreißt ein Schuss im nahegelegenen Wald die Stille. Wenig später wird ein Toter gefunden, ein junger Mann, der Frau Brandes Modell stand und außerdem ein Verhältnis mit ihr hatte. Der Verdacht fällt natürlich sofort auf ihren Mann Wolfgang (Bernhard Wicki), der von der Affäre weiß – und nach einem Tag des Nachdenkens auch ein Alibi hat, das ihm Ursula Becker (Gisela Stein) gibt, die Erzieherin des geistig behinderten Sohnes Ulrich (Andreas Seyferth), mit der wiederum er sich über die Entfremdung der Ehefrau hinwegtröstet. Dann malt der Junge ein Gewehr.

Zerrüttete Ehen, eines der Leib- und Magenthemen Reineckers. Die Überraschungen halten sich in Grenzen, die Episode lebt ganz von dem Zusammenspiel von Fink und Wicki, die auch im echten Leben verheiratet waren. Wicki beim Rauchen zuzuschauen, ist allein schon ein Fest und die Stimme der Fink, die sie unter anderem Katharine Hepburn und Ellen Burstyn lieh, lässt einen in Ehrfurcht erzittern. Auf der anderen Seite haben wir mit Ulrich wieder ein Beispiel für die erbarmungswürdige Darstellung von Menschen mit Behinderung. Nicht nur, dass der Junge als komplett schwachsinnig dargestellt wird, er wird auch von keiner der ihn umgebenden Personen als auch nur annähernd gleichwertig und zurechnungsfähig behandelt. Das ist aus heutiger Sicht einfach nur erschütternd.

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Episode 67: Tod eines Buchhändlers (Theodor Grädler, Deutschland 1973)

An einem Sonntagmorgen wird der Dorf-Buchhändler Kapp (Werner Bruhns) ersoffen am Ufer der Isar aufgefunden, unweit seines Autos. Im Ort scheint man sich sicher zu sein, dass der Tod Folge eines Unfalls ist, denn jeder weiß, dass Kapp sich samstags gepflegt einen hinter die Binde zu gießen pflegte – nur um danach seine schöne Gattin Herta (Judy Winter) zu verdreschen. Weil aber einige Indizien auf Fremdeinwirkung schließen lassen, nehmen Kommissar Keller und seine „Jungs“ die Ermittlungen auf. Die führen sie schnell zu Kapps Azubi Roland Beyfuss (Pierre Franckh): Der konnte es nicht ertragen, das Leid der Gattin seines Chefs mitanzusehen, denn er schwärmte für die junge Frau.

Wenn mich nicht alles täuscht, beginnt hier die lange Tradition Münchener Krimis mit Pierre Franckh in der Rolle des gutmütigen, treudoofen und schlappschwänzigen Pechvogels. Wer ihn wie ich bereits in Dutzenden von DERRICK-Episoden in Variationen dieses Typus gesehen hat, für den hält sich die finale „Überraschung“ ziemlich in Grenzen. Wobei „Tod eines Buchhändlers“ generell zu den eher vorhersehbaren Folgen des umfangreichen Reinecker’schen Schaffens gehört. Interessant ist sie vor allem hinsichtlich ihrer Haltung zu ehelicher Gewalt: Zwar wird der Gattinnenverprügler Kapp ziemlich deutlich als Unsympath gezeichnet, sein Handeln zudem noch dadurch verschlimmert, dass seine Fäuste die göttliche Judy WInter treffen, die damals wirklich zum Niederknien schön war, aber es ist dennoch auffällig, dass sich Reinecker eine eindeutige, explizite Bewertung verkneift. Keller äußert sich nie zu Kapps Entgleisungen, auch die Aussagen der Nebenfiguren in Richtung „Was andere Leute tun, geht uns nichts an“ bleiben unwidersprochen und am Ende wird der geschundenen Ehefrau gar der schwarze Peter zugeschoben, weil sie dem jungen Roland solche Flausen in den Kopf gesetzt hat. Problematisch, aber faszinierend.

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Episode 68: Domanns Mörder (Wolfgang Becker, Deutschland 1974)

Ernst Faber (Erich Schellow) und sein Sohn Ulrich (Peter Chatel) finden in der Familienvilla den toten Domann (Michael Maien) auf – und fangen sofort an, wilde Pläne zu schmieden und Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, damit die Polizei bloß niemanden verdächtigt. Weder Mutter Gerda (Gisela Uhlen) noch Tochter Hannelore (Gitty Djamal), Hausmädchen Luise (Gustl Halenke) oder die junge Irmi (Irina Wanka) sind da – was auch ein bisschen das Problem der Familie ist, deren Mitglieder alle ihre eigenen Wege gehen, ohne sich groß um die anderen zu kümmern. Die Mitglieder sind sicher, dass einer aus ihrer Mitte der Mörder ist, aber wer, warum und wieso, interessiert sie nicht. Hauptsache, sie gehen straffrei aus.

„Kann denn nicht endlich mal jemand an die Kinder denken!?“, pflegte Ned Flanders‘ Ehefrau bei den SIMPSONS auszurufen. Ihr Flehen könnte auch diese Episode überschreiben, in der Reinecker zeigt, wie die Eitelkeiten der Erwachsenen unsere süßen Kinderlein ins Unglück stürzen. Irina Wanka, die die nahezu stumme Irmi spielt, blieb dem Rollenbild, das sie hier im zarten Alter von 12 zeigte, auch in den folgenden zwei Jahrzehnten bei unzähligen DERRICK-Auftritten treu. Immer spielte sie den Unschuldsengel reinen Herzens, der durch das amoralische Treiben der Sünder um sich herum in tiefste Abgründe gestoßen wurde. Das ist ein fetter Spoiler, ich weiß, aber mehr als die Frage nach dem Täter interessiert in „Domanns Mörder“ die Sezierung großbürgerlicher Arroganz, die Reinecker mit blitzendem Skalpell vornimmt. Vor allem Erich Schellow ist großartig als Patriarch, dem der Gedanke, es mit der Wahrheit zu halten, nicht im Entferntesten in den Sinn kommt.

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Episode 69: Ein Anteil am Leben (Ullrich Haupt, Deutschland 1974)

Die Kellnerin Alma (Heidi Stroh) wird in ihrer Wohnung von ihrer männlichen Begleitung brutal erstochen. Ihre Arbeitskollegin, die Putzfrau Anna Bergmann (Käthe Gold), die bei Alma im Flur schlafen darf, weil sie ihre Wohnung verlor, überrascht den Mörder und lässt sich ihr Schweigen gut bezahlen. Keller ahnt, dass die Frau etwas weiß – und dass der Täter aus dem Kreise gut betuchter Münchener Geschäftsleute und Politiker stammen muss, die Alma jeden Freitag bediente. Keller versammelt die Männer im Brauhaus, doch die wissen, dass er ihnen nichts nachweisen kann.

Das Setting der verschworenen männlichen Saufgemeinschaft, die die mangelnde sexuelle Bereitschaft einer jungen Frau drastisch bestraft, griff Reinecker auch später bei DERRICK noch einige Male auf. Hier verbindet er es mit einer seiner Betrachtungen zur Einsamkeit im Alter. „Ein Anteil am Leben“ ist kein Highlight der Serie, was mehrere Gründe hat: Die ganze Prämisse wirkt überkonstruiert, das Verhalten der alten Dame unglaubwürdig und übertrieben, die Auflösung gegenüber dem Aufbau dann übereilt und zu allem Überfluss spielt auch noch Dieter Schidor mit, der einfach immer fehlbesetzt ist. So wird dann auch die Tragik von Anna Bergmanns Schicksal zunichte gemacht. Es ist schon bitter: Es muss erst jemand umgebracht werden, damit sie ein einziges Mal das Leben aus vollen Zügen genießen kann.

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Episode 70: Die Nacht mit Lansky (Erik Ode, Deutschland 1974)

Kommissar Keller und die „Jungs“ sind zum monatlichen Abendessen bei Heimes‘ Mutter (Ruth Hausmeister) eingeladen, als sie von der Nachbarin Frau Lansky (Heli Finkenzeller) um Hilfe gebeten werden: Ihr Ehemann Heinz (René Deltgen), ein Handelsvertreter, verhalte sich seltsam, sei abwesend und völlig außer sich. Doch der ältere Herr besteht darauf, dass alles in Ordnung sei und schickt die Kriminalbeamten wieder weg: Verdutzt bemerken diese aber Blutflecken an den Händen, den Koffern und am Steuerrad des Wagens des Mannes.

Reinecker sinniert mal wieder über das Alter, darüber wie Menschen irgendwann aufs Abstellgleis geschoben werden und dann dazu gezwungen sind, irgendwie weiterzumachen. In der fest gefügten Ordnung der Siebzigerjahre sind es natürlich vor allem die Männer, die dieses Schicksal trifft. Darauf gedrillt, als Versorger ihrer Familien zu wirken, fühlen sie sich plötzlich nutzlos und impotent. (Das Schicksal der Frauen ist es hingegen, ab einem gewissen Alter von ihren Männern sitzen oder links liegen gelassen zu werden: Auch das haben wir beim KOMMISSAR schon häufiger gesehen.) Im Falle des armen Lansky geht die Verzweiflung so weit, dass er der Familie ein ganzes Jahr lang eine Berufstätigkeit vorgaukelt, montags das Haus verlässt, in sein Auto steigt und dann am Freitag zurückkehrt. Die Tage füllt er mit Einbrüchen bei seinen ehemaligen Kunden, die das nötige Geld bringen und sicherstellen, dass er seine Fassade als Versorger zu Hause aufrechterhalten kann. Bis sein Nachfolger Kessler (Eckart Dux) ihm auf die Schliche kommt. Die Episode ist zermürbend, auch weil sie ziemlich lang auf der Stelle tritt. Keller und Kollegen wissen, dass Lansky etwas verbrochen hat, aber sie haben auch keinen echten Grund, gegen ihn vorzugehen – schließlich scheint es noch gar kein Opfer zu geben. Und alle Versuche, den Mann zum Rede zu bringen, scheitern – bis er dann schließlich doch irgendwann einbricht und seine Geschichte erzählt, die dem Zuschauer dann in Rückblenden serviert wird. Ich bin etwas unentschlossen: Deltgen ist toll, die Episode unendlich traurig, aber ihr Ende ist eben auch recht vorhersehbar.

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Episode 71: Spur von kleinen Füßen (Theodor Grädler, Deutschland 1974)

Ein junges Mädchen (Sabine Sinjen) wird erschossen und dann von einer Brücke geworfen. Sie war vor einem Jahr vom Land nach München gekommen und die lange Galerie ihrer Verehrer führte sie schließlich ins Drogenmilieu.

Die Episode, in der mehrfach die auffallend „kleinen Füße“ des Opfers angesprochen werden, ohne dass das eine echte Bedeutung hätte (Sabine Sinjens Füße sind darüber hinaus keineswegs besonders klein: Fehlbesetzung!), ist mal wieder eines der gruseligen Beispiele für Frauenmystifizierung und Altherrenerotik. Wie schon Uschi Glas in der Episode „Ein Mädchen nachts auf der Straße“ ist auch Sinjen hier das Objekt der haltlosen Idealisierung diverser Männer, die schon ans Pathologische grenzt. Reinecker lässt seine diversen Männertypen von der „reinen Lebenslust“ und einer „verdinglichten Erfahrung“, die das Zauberwesen verkörpere, fabulieren, dabei mit verträumtem Blick ins Leere starren, als könnten sie dort Einhörner beim Kopulieren sehen. Sinjen weiß mit diesem Quatsch offensichtlich gar nichts anzufangen und interpretiert die zarte Elfe als ständig enthusiasmiert grinsende, herumrennende oder wild hüpfende Kindfrau, die jedem Menschen bereits nach kürzester Zeit fürchterlich auf die Nerven fallen würde. Wie eine Biene fliegt sie von einem Mann zum anderen, weil die pure Lebenslust und Neugier sie antreibt. Zurück bleiben Peter Ehrlich als ihr mit seiner verdörrten Schwester zusammenlebender Chef, Martin Lüttge als junger Fotograf, Udo Vioff als eleganter, der Mama (Alice Treff) höriger Drogenhändler und Christian Reiner als Junkie. Keiner ist in der Lage, dieser Nymphe dauerhaft zu geben, was sie braucht. Und es ist klar, dass das nur mit dem Tode enden kann. Die Besetzung der Folge ist natürlich unfuckwithable, zumal auch noch der stets mürrische Günther Neutze als mies gelaunter Kneipenwirt mitmischt. In einer sehr rätselhaften Szene rufen einige junge Partygäste bei einem Telefonseelsorge an, um sich über den Selbstmordversuch eines anwesenden Freundes lustig zu machen. Jesus, what is it with these people?!

Wichtig ist die Folge aber noch aus einem anderen Grund: Es ist die letzte Episode mit Fritz Wepper als Harry Klein: Er wird zu Beginn in einer tatsächlich sehr rührenden Szene in die Obhut von Oberinspektor Derrick verabschiedet und präsentiert dann seinen Bruder Erwin (Elmar Wepper) als Nachfolger. Der erntet zwar sofort die Sympathien von Chef Keller (weil er erkennt, dass das Mordopfer auffallend kleine Füße hatte), steht aber im weiteren Verlauf mehrfach wie Falschgeld herum. Mal sehen, wie er sich entwickelt. Das gilt auch für die Serie insgesamt, die Reinecker doch mittlerweile merklich auf Autopilot betreibt.

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falleEpisode 091: Eine Falle für Derrick (Theodor Grädler, 1982)

Derrick ermittelt gegen dem Mörder Ludenke (Hans Georg Panczak), Sohn einer Münchener Unterweltgröße (Traugott Buhre). Ein anonymer Informant will ihm wichtige Hinweise geben und lockt Derrick in einen entlegenen Gasthof, wo der Oberinspektor jedoch vergeblich wartet. Am nächsten Morgen die Hiobsbotschaft: In der Nähe des Gasthofes wurde ein Fahrradfahrer totgefahren. Mit Derricks Wagen …

Derrick in Schwierigkeiten! Wer hätte das gedacht? Dass der obersouveräne Oberinspektor hier einmal selbst um seine Existenz bangen muss, ist ein schöner Bruch im Fluss der Serie, und geht nicht ohne Spuren an ihm vorbei. Wenn er dem Journalisten (Tommi Piper), der ihm gesteht, ihn immer für arrogant gehalten zu haben, entgegnet, er wisse, dass er auf manche Menschen so wirke, ist das auch ein Kommentar auf kritische Stimmen, die mit Tapperts Polizisten nie so richtig warm wurden. Dass mancher Derrick allzu gern einmal zittern sehen wollte, scheint Reinecker ganz genau zu wissen. Es ist geradezu eine Triebfeder der Episode. In Cornelia Froboess, die auch immer irgendwie unfreundlich und herablassend rüberkommt (spielt die das wirklich nur?), findet der Oberinspektor dann ja auch eine geradezu kongeniale Verbündete. In einem daumendick aufgetragenen Dialog schwingt sich Derrick anlässlich des mit äußerster Grausamkeit verübten Mordes, dem man ihm da in die Schuhe zu schieben gedenkt, zu der etwas absurden Aussage hoch, die Menschheit habe nichts begriffen, aber da ist dem Reinecker gewiss wieder nur der Theologe durchgegangen. Er macht es damit wett, in einer Discoszene „Girls on Film“ von Duran Duran laufen zu lassen.

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bennentEpisode 092: Nachts in einem fremden Haus (Helmuth Ashley, 1982)

Auf der Suche nach Hilfe bei einer Reifenpanne betritt das Ehepaar Stettner (Stefan Behrens und Susanne Beck) ein offen stehendes Haus, das vollkommen leer zu sein scheint – bis auf einen Toten. Als die beiden wenig später mit Derrick und Klein im Schlepptau dort auftauchen, ist die Leiche jedoch spurlos verschwunden und auch sonst deutet nichts auf ein Verbrechen hin. Das Haus gehört dem berühmten Chemiker Dr. Stoll (Heinz Bennent), der gerade dabei ist, sein Labor nach einer großen Entdeckung aufzulösen …

Heinz Bennent! Er ist ein Großereignis in dieser Folge, der er – durchaus ein Kunststück – einigen Humor abringt. Alles was er anfasse, verwandele sich in Gänseleberpastete sagt er einmal ohne jede falsche Bescheidenheit, ein andermal bezeichnet er sich als „As“. Und er hat sichtbar Spaß an dieser Rolle, die es ihm ermöglicht, so über die Stränge zu schlagen, ohne dabei jemals wirklich überzogen zu wirken. Sein Dr. Stoll ist so ein angeschwulter Exzentriker, der mit Derricks graubrauner Nüchternheit nur wenig anfangen kann. Seine Fassungslosigkeit, als Derrick den ihm angepriesenen Wein nur „sehr gut“ findet, ist alles. Mein Favorit ist aber seine Reaktion auf Derricks Feststellung, dass der verschwundene Tote spätestens dann wieder ein Thema werde, wenn man irgendwo festelle, dass ein Mensch fehle: So viel Logik hat er einfach nichts entgegenzusetzen, das muss er einfach anerkennen. Super!

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Episode 093: Die Fahrt nach Lindau (Alfred Vohrer, 1982)

Der „Finanzzauberer“ Martin Gericke (Klausjürgen Wussow) hat einen Geschäftstermin mit einigen ominösen Schweizer Partnern in Lindau und macht sich auf den Weg, obwohl er eine sehr konkrete Morddrohung erhalten hat. Es kommt wie es kommen muss: Er verunglückt auf der Fahrt und verbrennt im Wrack seines Wagens. Die Obduktion bringt die wahre Todesursache ans Licht: Er wurde am Steuer seines Fahrzeugs erschossen. Die Frage, die sich Derrick und Harry, aber auch Gerickes Gattin (Lotte Ledl) und sein Sohn (Ekkehardt Belle) zu stellen haben: Wer hatte ein Interesse am Tod des Mannes und warum? Was sie nicht ahnen: Gericke erfreut sich bester Gesundheit …

Eine Episode ohne echte Eigenschaften: Läuft gut rein, belastet nicht, ist gefällig, hinterlässt aber auch keine bleibenden Spuren. Klausjürgen Wussow ist wie immer eine Bank, diese jovialen Typen, hinter deren weltmännischem Gewinnerlächeln sich das vielzahnige Grinsen eines Wolfs verbirgt, der dann ganz unerwartet hervorbricht, spielt keiner mit derselben onkeligen Intensität wie er. Das heißt aber auch, dass „Die Fahrt nach Lindau“ in der Zeit, in der er von der Bildfläche verschwindet, Klasse vermissen lässt. Ekkehardt Belle hat eine Superstimme (die ihn zu einem vielbeschäftigten Synchronsprecher macht), aber die Kombination aus Milchbubigesicht und ausgewachsenem Dreidollarhaarschnitt törnt eher ab.

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derrickEpisode 094: Ein Fall für Harry (Zbynek Brynych, 1982)

Derrick fährt in Urlaub und überlässt die Arbeit seinem Kollegen. Der bekommt es gleich mit einem Mordfall zu tun: In das Haus des Restaurantbesitzers Heinrich Gruga (Karl Lieffen) wird eingebrochen. Sein Hausdiener versucht, die Einbrecher zu überwältigen und wird dabei erschlagen. Wenige Tage später hat Gruga schon Ersatz für ihn: Die wunderhübsche Herta (Irina Wanka), die jedoch keinerlei Erfahrung in dem Job hat. Harry vermutet, dass sie gegen ihren Willen für Gruga arbeitet …

Karl Lieffen lief(f)ert mal wieder Argumente für die These, dass Komiker die besseren Schurkendarsteller sind. Sein Gruga ist gleichermaßen abstoßend wie lächerlich und man merkt dem Darsteller an, welchen Spaß er daran hat, einen sadistischen Perversling zu spielen. Aber die Episode hat so ihre Probleme (Vorsicht, Spoiler ahead): Der Mord an Grugas Hausdiener wird gegenüber seinem Deal, sich sein Schweigen mit der wohl auch sexuellen Gefügigkeit von Herta, der Schwester der Einbrecher, zu erkaufen, bagatellisiert. Am Ende scheint die Ermordung des armen Teufels kaum mehr als ein Kavaliersdelikt zu sein, während Gruga den Freitod wählt, als herauskommt, wie er an sein neues Hausmädchen gekommen ist. Es gelingt weder Reinecker noch Brynych, das irgendwie plausibel zu machen, und die ganze Episode wirkt aus diesem Grunde fehlgeleitet und misslungen. Die arme, vom Schicksal gebeutelte Familie, die gegen alle Missstände zusammenhält, wird auf Kosten des Mordopfers heroisiert, für das sich keiner mehr so recht zu interessieren scheint. Das wirkt im Kontext einer Serie, die sonst keinen Zweifel daran lässt, dass es niemals eine Rechtfertigung für Mord geben kann, doppelt fahrlässig.

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Episode 095:  Das Alibi (Alfred Vohrer, 1982)

Harry greift auf dem Heimweg die in Tränen aufgelöste, geradezu hysterische Martina (Dietlinde Turban) auf und bringt sie nach Hause. Das Mädchen ist nicht in der Lage Auskunft über die Ursache ihrer Tränen zu geben und so lässt Harry sie zurück. Als er sich am nächsten Morgen nach ihrem Befinden erkundigen will, findet er sie tot auf: Selbstmord. Es stellt sich heraus, dass sie von ihrem Freund Ulrich (Karl-Heinz von Liebezeit) und seinen Kumpels Horst (Ekkehardt Belle) und Rudolf (Eckhard Heise) vergewaltigt wurde, was die Jungs, unterstützt von Ulrichs Vater, dem Anwalt Schumann (Lambert Hamel), jedoch abstreiten. Martinas Klassenkameradinnen sind empört, und als Ulrich wenig später tot ist, fällt der Verdacht auf sie. Doch ihre Lehrerin Frau Liebermann (Elfriede Kuzmany) verschafft ihnen ein Alibi …

Eine Rape-and-Revenge-Folge mit hübsch gialloesker Auflösung, die aber leider – wie mir scheint ein generelles Manko der Episoden aus dieser Phase – ein echtes eigenes Profil vermissen lässt. Es fehlt etwas der für dieses Thema nötige Exzess, und damit meine ich nicht unbedingt hinsichtlich der Gewaltdarstellung, sondern überhaupt den Willen, in Grenzbereiche vorzudringen. In den Siebzigerjahren zeichnete die DERRICK-Folgen oft so eine melodramatische Schmierigkeit aus, die auch aus biederen Standardplots noch das Abgründige herauskitzelte, hier bleibt alles an der Oberfläche, ohne echtes Gespür für das verborgene Störpotenzial. Nicht schlecht, aber angesichts des Themas doch eher underwhelming.

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hausmusikEpisode 096: Hausmusik (Alfred Weidenmann, 1982)

Der gutsituierte Berthold Dettmers (Sky Dumont) wird vor seinem Haus überfahren. Sein Vater Wilhelm (Wolfgang Reichmann) sowie die Geschwister Rudolf (Till Topf) und Anita (Ute Willing) sind erschüttert – die Mama (Doris Schade) sitzt in einem Sanatorium und wird verschont -, haben aber keine Idee, wer hinter der Tat stecken könnte. Erste Spuren führen zum kleinen Dealer Kober (Dirk Galuba), der rausrückt, wie Bethold zu seinem Reichtum kam: Der Mann verkaufte im großen Stil Drogen und macht dabei offensichtlich nicht einmal vor seiner eigenen Familie halt …

Als hätte er meine Kritik vernommen, inszeniert Weidenmann „Hausmusik“ so, als seien die Siebzigerjahre nie vorbeigegangen. Die ganze Folge ist graubraun und deprimierend, selbst das protzige Appartement Bertholds erinnert eher an den barocken Pomp, der im vorangegangenen Jahrzehnt angesagt war, als an zeitgenössische Entgleisungen und wenn das Dettmer’sche Familienidyll im Ideal der gemeinsamen Hausmusik kulminiert – ein Bild, das  in seiner fast surrealen Glücksseligkeit schonungslos zu demontieren so etwas wie das Ziel der Folge ist -, bedeutet das sehr wohl eine Rückkehr zu Themen, die in den vorvergangenen Episoden brach lagen. Das Ende ist bitter, auch weil man den Mörder gut verstehen kann.

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weisEpisode 097: Der Mann aus Kiel (Alfred Vohrer, 1982)

Nach mehreren Jahren Haft wird Karl Waginger (Edwin Marian) aus dem Gefängnis in Kiel entlassen. Er reist nach München, mietet sich in einer Pension ein und ruft Dora (Heidelinde Weis) an. Die Schauspielerin ist seine Ehefrau, was sie aber erfolgreich geheim gehalten und noch einmal geheiratet hat, nämlich den Geschäftsmann Korin (Peter Pasetti), der zwei erwachsene Kinder Ulrich (Hans-Jürgen Schatz) und Maria (Kristina Nel) mit in die Ehe gebracht hat. Waginger verspricht zu schweigen, wenn sie ihm einen Platz in ihrer Nähe sichert. Er wird flugs als Chauffeur eingestellt, doch schon an seinem ersten Arbeitstag wird Korin umgebracht …

Heidelinde Weis! Nicht nur, dass die Schauspielerin eine Augenweide ist, sie spielt auch noch exzellent. Das Mitleid mit Doras Situation weicht dann auch recht schnell dem Gefühl, dass da neben ihrer Bigamie noch einiges mehr faul ist. Vohrer tut gut daran, sich auf sie zu konzentrieren; Marian, bei dessen Waginger man nie so genau weiß, ob seine devote Freundlichkeit nicht doch nur ein Spiel ist, ist ein kongenialer Partner. „Der Mann aus Kiel“ ist eine der Episoden, die von der fiebrigen Nervosität ihrer Protagonisten leben, von der sich langsam einstellenden Gewissheit, dass sich hinter der makellosen Fassade finstere Abgründe auftun.

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Episode 098: Ein unheimliches Erlebnis (Theodor Grädler, 1982)

Bei einem Einbruch wird der Berufskriminelle Engler von seinen Partnern ermordet. Derrick kannte den Mann und fordert dessen Sohn Udo (Michael Wittenborn) auf, sich im Familienumfeld umzuhören. Stattdessen stellt der Student eigene Ermittlungen an, mit dem Hintergedanken, den Mörder seines Vaters zu töten. Den entscheidenden Hinweis auf die Identität liefern ihm Answald Hohner (Claus Biederstaedt) und Anita Schneider (Louise Martini), die die Täter auf frischer Tat ertappten und von ihnen gezwungen worden waren, den leblosen Körper wegzubringen.

Die Episode ist ein bisschen umständlich gescriptet, aber das macht den streng genommen nur mittelmäßig interessanten Fall auch wieder spannend. Der Titel bezieht sich auf die initiale Konfrontation von Hohner und Schneider mit dem Verbrechen, nach der die beiden jedoch recht schnell in den Hintergrund treten. Der Subplot bietet Biederstaedt immerhin die Gelegenheit, einen seiner jovialen Playboys zu spielen: Wie er die Schneider bei einem Betriebsfest aufgabelt, bei dem sie sich mit ihrem Mann verkracht hat und sie dazu überredet, ihm eines auszuwischen, indem sie sich von ihm mitnehmen lässt, nur um dann mit ihr ein Schäferstündchen im Auto anzupeilen, ist schon ziemlich geil. Anstatt ihm den Laufpass zu geben für diese Dreistigkeit, belohnt sie seinen Mut – oder hat das zumindest vor, denn dann kommen die Einbrecher dem Vollzug in die Quere. Man erwartet eigentlich, dass der Umstand, dass die beiden Verängstigten den Toten einfach irgendwo abladen für den weiteren Fall eine größere Rolle spielt oder der Umstand, dass sie bedroht werden, aber nichts davon tritt ein. Stattdessen gibt Agnes Fink als Frau des Toten eine tolle Darbietung als misstrauische Hüterin ihrer Brut, die ihre Kinder selbst auf die schiefe Bahn drängt. Die Übeltäter werden gespielt vom unvermeidlichen Dirk Dautzenberg, Siegur Fitzek und Edgar-Wallace-Veteran Dieter Eppler, was dem ganzen so einen schönen Malochercharme gibt. Keine Sensation, aber nett.

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genuaEpisode 099: Via Genua (Helmuth Ashley, 1983)

Der Geschäftsmann Lammers (Michael Degen) wird in einem Hotel erstochen, nachdem er zuvor mehrfach von anonymen Anrufern belästigt und einem Lieferwagen verfolgt worden war. Als seine Erben reisen bald der Grundschuldorflehrer Rudolf Lammers (Klaus Behrendt) und dessen Sohn Hans (Eckhard Heise) an, Lammers‘ Geschäftspartner Huber (Wolf Roth) kümmert sich um die beiden – offensichtlich mit Hintergedanken. Derrick und Klein finden heraus, dass Lammers im Hotel mit dem Reiseschriftsteller Lusenke (Siegfried Rauch) verabredet war. Die beiden vermuten, dass irgendwelche dubiosen Waffendeals hinter dem Mord stecken …

DERRICK goes Politthriller: Ins handliche Stundenformat gepresst geht es hier um die Millionengeschäfte, die deutsche Fabrikanten mit dem Elend in Dritte-Welt-Staaten machen. Nach den ganzen Privatschicksalen, mit denen sich der Oberinspektor sonst üblicherweise herumschlagen muss, ein willkommener Tapetenwechsel. Klar, im Grunde unterscheidet sich auch „Via Genua“ nur oberflächlich von den anderen Episoden: Der Titel ist ein Fake, von Genua gibt es hier rein gar nichts zu sehen, genauso wenig wie von dem Konflikt in Westafrika, von dem immer die Rede ist, oder auch nur von den Waffen, die da verschifft werden sollten. Als exotisches Zugeständnis muss die furchtbare Kapelle „Gammarock“ herhalten, Afrikaner mit gelben Sweatshirts, Synthiepercussion und langweiligen Scheißsongs, die in der Hotelbar für sedierte Stimmung sorgen, aber behandelt werden wie die Neuerfindung der Musik. Rauch lässt sich als Lusenke dazu herab, angesichts der Schunkelmucke von der Melancholie der afrikanischen Seele zu schwafeln und Harry findet die Combo auch dann noch Weltklasse, wenn der Bongospieler mitten im Song einfach mal weggeht – natürlich ohne, dass man das irgendwie hören würde. Ich finde gerade dieses Element super, weil da eine ernste Geschichte wieder mit diesem fernsehdeutschen Schmierfilm überzogen wird. „Gammarock“ sollten hier Authentizität reinbringen, stattdessen kommen sie wie eine rassistische Verunglimpfung rüber: Die Harrys dieser Welt fühlen sich schon ergriffen und weltoffen, wenn in ihrem Bonzenhotel ein paar Schwarze auf Bongos rumtrommeln. Eklig. Ansonsten sei hier noch vermerkt, dass Wolf Roth spitzenmäßig ist und Kurt Raab einen gruseligen Butler spielt.

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hausEpisode 100: Die Tote in der Isar (Alfred Weidenmann, 1983)

Eine Prostituierte (Christiane Krüger) wird in ihrer Wohnung erschossen, wenig später die junge Annemarie (Ulli Maier) tot aus der Isar geborgen. Dahinter steckt der fiese Zuhälter Kabeck (Horst Frank), der mithilfe von Ingo (Sven-Eric Bechtolf) immer neuen Zulauf für seinen Stall bekommt. Am Tatort läuft Derrick und Harry auch ständig der Zoologe Dissmann (Horst Buchholz) über den Weg, der Ehemann der Erschossenen. Was weiß er?

Was mich für diese Folge eingenommen hat: Die Establishing Shots des Appartement-Komplexes, in dem ein Großteil der Folge spielt, untermalt von Frank Duvals Synthiemusik. Bechtolf ist der Inbegriff des schmierigen Mädchenausnutzers und mithin idealbesetzt, Horst Frank muss mit goldenen Haaren, Knautschgesicht und roter Lederjacke eigentlich nur da sein, um einen perfekten Zuhälter abzuliefern. Highlight in dieser Hinsicht sicherlich die Szene, in der er Ingo im Bademantel die Tür aufmacht, nachdem die tränenüberströmte Annemarie im Foyer zusammengebrochen ist. Inszenatorisches Understatement, das einem das Blut in den Adern gefrieren lässt.

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Episode 101: Geheimnisse einer Nacht (Alfred Vohrer, 1983)

Der Unternehmer Vrings (Jürgen Goslar) schickt seinen Angestellten Sobach (Christian Wolff) nach Straßburg, um sich mit dessen Gattin Maria (Thekla Carola Wied) zu verlustieren. Sobach weiß das und sucht den Mann nachts auf, fest entschlossen, ihm umzubringen. Der Todesschuss fällt dann auch, aber erst nachdem Sobach das Haus von Vrings schon wieder verlassen hat. Nur will das niemand bezeugen. Derrick findet bei seinen Ermittlungen unter anderem heraus, dass Vrings‘ Ehefrau (Gila von Weitershausen) zuvor mit dessen Bruder (Heinz Bennent) liiert war.

Familienhorror à la DERRICK: Darauf kann man sich immer noch verlassen. Die Verhältnisse im Hause Vrings ziehen einem wirklich die Schuhe aus und lassen selbst dem obercoolen Ermittler die Gesichtszüge entgleisen. Wie so oft ist es gar nicht die Kaltschnäuzigkeit, mit der Menschen die Grundsätze des Zusammenlebens beugen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt, sondern die Verdrängungsleistung, die die Opfer erbringen, um sich mit den Umständen zu arrangieren. Sie führt dann auch meist mittelfristig zur Katastrophe. Will sagen: Vrings ist ein egoistisches Dreckschwein, aber dass sein Bruder dessen Verrat einfach so hingenommen hat, hat durchaus etwas von Beihilfe. Ein typisches DERRICK-Element: die Ohnmacht der Opfer, die die Täter noch weiter bestärkt. Wobei man Vrings Bruder nicht wirklich als „Opfer“ bezeichnen möchte. Dass er es so einfach hinnimmt, dass der Bruder ihm die Frau weggenommen hat, hat auch etwas mit einer gewissen Gefühlskälte und Gleichgültigkeit zu tun. Richtig schockiert hat mich die einstige Mutter der Nation, Thekla Carola Wied: Wie sie ihren Ehemann ans Messer liefert, ist schon ein dicker Hund. Andererseits: Christian Wolff ist auch ein Langweiler vor dem Herrn.

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Episode 102: Der Täter schickte Blumen (Helmuth Ashley, 1983)

Auf Alexander Rudow (Peter Bongartz) wird ein Mordanschlag verübt, der leider einen Unschuldigen trifft. Wie Derrick erfährt, hatt Rudow vor, sich am selben Tag mit Vera Baruda (Ruth Leuwerik) zu verloben. Deren Schwiegervater (Ernst Fritz Fürbringer), der Neffe Udo (Jacques Breuer) sowie die befreundeten Herr Lenau (Hans Quest) und dessen Sohn Walter (Edwin Noel) sind nur wenig begeistert: Zu glatt, zu freundlich scheint ihnen dieser Rudow. Dann erfährt Derrick, dass der Gatte in spe ein vorbestrafter Heiratsschwindler ist: Doch Vera Baruda weiß bereits davon …

Melodramatische Folge, deren Krimipart wie zusätzlich aufgepfropft wirkt. Der Twist am Ende strapaziert die Glaubwürdigkeit zudem auf ungeahnte Weise. Ich mochte, wie Rudow am Ende einfach stehen gelassen wird, wie er von der Vergangenheit eingeholt und trotz bester Absichten bestraft wird. Die Folge ist traurig und stellt dem Menschen kein gutes Zeugnis aus, weder dem einen noch dem anderen.

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ahrensEpisode 103: Die kleine Ahrens (Günter Gräwert, 1983)

Der Geschichtslehrer Blomann (Hans Caninenberg) verbringt seine Abende neuerdings in einer Nachtbar, in der er mit den Amüsierdamen Champagner schlürft. Einer der anderen Gäste, der dubiose Molz (Peter Chatel), wird eines Tages erhängt in einem leerstehenden Fabrikgebäude aufgefunden. Er arbeitete für eine karitative Einrichtung, die Lebensmittelpakete nach Indien schickt. Was hat Blomann damit zu tun?

Die Episode greift Caninenbergs Selbstjustizler aus „Die Stunde der Mörder“ auf, führt den Zuschauer jedoch zunächst auf eine völlig falsche Fährte. Viele Aspekte bleiben lange Zeit nahezu unverständlich, ihre Bedeutung für die Geschichte rätselhaft. Leider misslingt es aber, die vermeintlich unverbundenen Elemente zusammenzuführen, ohne dabei in öde erklärende Dialoge zu verfallen. Das ist ein Manko, das in dieser Phase der Serie leider charakteristisch ist. Reineckers Drehbücher sind geradezu schmerzhaft unelegant und die Regisseure scheinen keinen Weg gefunden zu haben, sich von ihnen zu emanzipieren und dieses Manko irgendwie auszubügeln. Die Auflösungen und wie sie angebahnt werden, sind regelmäßig der Schwachpunkt. Alles kommt mit einem Quietschen, Krachen und Knirschen zum Stehen, stattdessen dürfen sich die Täter lang und breit erklären, was dank der mitgelieferten Rückblendenbilder völlig redundant wirkt. „Die kleine Ahrens“ hat viele gute Ansätze, aber es will einfach keine befriedigende Episode daraus werden.

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beate2Episode 046: Kaffee mit Beate (Alfred Vohrer, 1978)

Die Schauspielerinnen Beate (Helga Anders) und ihre Freundin Helga (Johanna Elbauer) warten auf ein Vorsprechen. Helga ist nervös, also gibt Beate ihr eine Cognacbohne: Wenig später bricht Helga tot zusammen. Die Cognacbohnen waren vergiftet. Um den Mörder zu finden, wird Harry im Haus Beates eingeschleust. Sie lebt als einer von vier Untermietern in der Wohnung von Frau Pacha (Agnes Fink). Alle sind potenzielle Täter.

„Kaffee mit Beate“ ist aus mehreren Gründen ein weiterer Gewinner von DERRICK-Regisseur Alfred Vohrer. Zunächst einmal weicht die Folge strukturell vom Standard ab: Derrick selbst hat nur eine kleine Rolle und tritt kaum aktiv in Erscheinung, fast der ganze Fall spielt sich in der Wohngemeinschaft ab, in der Harry verdeckt ermittelt. Das sorgt schon für eine gewisse zusätzliche Aufmerksamkeit, aber bei mir hat „Kaffee mit Beate“ vor allem aus anderen Gründen gepunktet. Schon im Titel kommt dieser deutsche Kitschroman-Schmelz zum Vorschein, der wie immer bei DERRICK mit einer Extradosis Tristesse und Verzicht verabreicht wird. Der Name „Beate“ wird wohl dutzende Male ausgesprochen und damit zum Mantra der Episode, die Trägerin des Namens zur sexuellen Wunschfantasie und Heilsbringerin hochstilisiert, was naturgemäß in krassem Missverhältnis zur etwas anämischen Trägerin und der angestaubten Altherren-Fernsehrerotik steht, die sie verkörpert. (Man erkennt Helga Anders, die schmollmündige Versucherin aus MÄDCHEN MIT GEWALT, kaum wieder.) Alle Männer der WG – Peter Pasetti als geschiedener Supermarkt-Leiter Serball, Christian Quadflieg als jungdynamischer Architekt Herwig, Klaus Herm als nerdiger Lektor Pacha – sind geil auf die freundliche Beate, die gar nicht weiß, wie ihr geschieht, geradezu besessen von ihr und der Vorstellung, von ihr empfangen zu werden, und das Innuendo, mit dem sie davon sprechen, Kaffee mit ihr getrunken oder gar ein mexikanisches Gericht von ihr gekocht bekommen zu haben – ein scharfes selbstredend! -, lässt Bilder im Kopf des Betrachters entstehen, die die tatsächlichen Ereignisse der Episode niemals rechtfertigen. Aber genau darum geht es eben: Um die wüsten Fantasien geiler Böcke, die in der Nähe eine jungen Frau und der milden Versuchung, die sie repräsentiert, völlig den Kopf verlieren. Harrys mehrfach gestellte Frage, ob sein Gegenüber mit der jungen Frau „geschlafen habe“, wird in ihrer ehrlichen Direktheit hingegen stets als unverschämt abgewiesen: Mit Beate schläft man nicht! Und dann der Clou mit den Cognacbohnen, dem Aufputschmittel ergrauter Mauerblümchen. Da macht es auch nichts, dass die Auflösung reichlich überstürzt daherkommt und nach so viel aufgestauter Lust eine kleine Enttäuschung ist.

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hotte2Episode 047: Solo für Margarete (Michael Braun, 1978)

Die Folge, in der der 45-jährige Horst Buchholz den aufstrebenden (aber heroinabhängigen) Musikstar, Gitarrengott und Frauenschwarm Alexis gibt, der die Gitarrensoli, die die einzige Daseinsberechtigung seines sterilen Bluesrock-meets-Disco-Sounds sind, mit geilen Gniedelgesichtern garniert. Ansonsten benimmt er sich wahlweise wie ein verwöhntes Kleinkind, das die Eltern mit Psychomethoden zum Kauf eines Spielzeugs bewegen will, oder wie ein verzärtelter Künstler auf dem endlosen Egotrip. Weiße Cowboystiefel über der Jeans, das darf sowieso nur Lemmy. Aber natürlich ist das auch alles wieder ganz geil: Diese Vorstellung vom Musicbiz etwa, wo ein Mittvierziger, der eine Woche lang vor ca. 50 Leuten in einem kleinen Kellerclub auftritt, the next big thing sein soll, eine Band zusammen in einer WG haust und das Heroin aus einer Apothekenampulle in die Spritze gezogen wird. Seitdem Erik Ode als Kommissar Keller einen Marichuana-Süchtigen fragte, ob er das Zeug esse oder trinke, hat sich in Sachen Aufklärung um Reinecker offensichtlich nicht viel getan. Und natürlich dieser melodramatische Schmelz: In der zweiten Hälfte taucht die Zwillingsschwester der Toten auf, um Alexis – in einer Wendung, die an Episode 2, „Johanna“, erinnert – zu konfrontieren und verliebt sich prompt in ihn – und er in sie. Reineckers Drehbuch behandelt diese doch eher pathologisch anmutende Gefühlsverwirrung als mystisches Happy End, gewissermaßen als verspätete VERTIGO-Verwirklichung. Nur eben mit Drogen und schmieriger Musik.

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Episode 048: Lissas Vater (Alfred Vohrer, 1978)

Mittelstarke Standardepisode von Vohrer, bei der man das Gefühl hat, dass man Vergleichbares ca. alle zehn Folgen einmal untergeschoben bekommt. Die Schauspieler und die Profiroutine reißen es raus. Heinz Bennent ist Ludwig Heimer, der seiner Ex-Frau Elsa (Christine Wodetzky) nachstellt, die ihn wegen seiner Alkoholsucht mitsamt Töchterchen Lissa (Anne Bennent) verlassen hat und nun mit dem unsympathischen Geschäftsmann Hassler (Ulrich Haupt) verheiratet ist. Seine aufdringlich-unbeholfenen Versuche, sich ihr zu nähern, werden von ihr überaus bestimmt abgeschmettert, weshalb er sich zu einer Morddrohung hinreißen lässt. Als ein Assistent Hasslers beim Verlassen von dessen Haus niedergeschossen wird, scheint alles klar. Ist es aber natürlich nicht. Helen Vita hat einen Auftritt als mitfühlende, ketchuprothaarige Vermieterin Heimers, den Haupt, den finde ich immer wieder gut, und Bennent ist als Häufchen Elend ebenfalls klasse. Aber ansonsten gibt es nicht viel zu berichten. Vohrer jedenfalls bekommt kaum Gelegenheit, zu zeigen, was er kann.

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spitzel3Episode 049: Der Spitzel (Zbynek Brynych, 1978)

Ein verdeckter Ermittler wird beim Einbruch in ein Antiquitätengeschäft erschossen: Er hatte den einschlägig bekannten Berufskriminellen Georg Lukas (Götz George) beschattet und war ihm gefolgt. Derrick und Klein werden bei ihren Ermittlungen an den Spitzel Henze (Klaus Behrendt) verwiesen, der seltsam nervös auf die Beamten reagiert. Er lebt zur Untermiete bei einer Ex-Prostituierten Doris (Kai Fischer) und ihrem gewalttätigen Freund Rosse (Ulli Kinalzik) und kümmert sich rührend um ihre jugendliche Tochter Inga (Ute Willing). Ein weiterer Tatverdächtiger ist der Schießstandbesitzer Burkhardt (Stefan Behrens) und der ist wiederum mit Maria Singer (Kornelia Boje) liiert, der Tochter des Antiquitätenhändlers …

Brynych inszeniert sehr zurückgenommen (verwendet dafür aber Boney Ms. „Rivers of Babylon“ als seinen „Refrain“): Wahrscheinlich, weil die Storyline vergleichsweise komplex ist. Anders als andere DERRICK-Folgen, in denen es um „heißgelaufene“ Mörder geht, also um Amateure, die in einem Moment der Schwäche zu Verbrechern werden, spielt „Der Spitzel“ im Milieu: Alle Charaktere haben eine einschlägige Vorgeschichte und sind gute Bekannte der Polizei. George interpretiert seinen Lukas als brutalen, aber gewieften Gewalttäter, Behrendt den diesem diametral gegenüberstehenden Henze als mitleiderregenden, gutmütigen Pechvogel, der seine Wurzeln nicht kappen kann. Die Beziehung zu Inga, die er zur Basketballspielerin machen und sie so ihrer tristen Umgebung entreißen will, ist eigentlich das Herz der Episode, krankt aber daran, dass Ute Willing einen Hauch zu alt für die Rolle des hilflosen Töchterleins ist: Szenen wie die, in der Henze ihr nach dem Besuch eines Disney-Films erklärt, wie Zeichentrickfilme gemacht werden, wirken unfreiwillig komisch und seine Philantropie bekommt unweigerlich eine sexuelle Komponente, die das Drehbuch aber logischerweise nie thematisiert. Es gibt ein paar schöne Bilder, die Szene, in der Derrick in bester Dirty-Harry-Manier mit Pokerface seine Schießkünste unter Beweis stelllt, ist wunderbar badass, und George zieht die Aufmerksamkeit des Zuschauers mit jedem seiner Auftritte auf sich wie ein Magnet. Man sieht hier (und in seinen KOMMISSAR-Folgen), was für ein außergewöhnlicher Darsteller er war. Seltsam, dass er nie den Sprung über den großen Teich versucht hat.

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Episode 050: Die verlorenen Sekunden (Alfred Vohrer, 1978)

Frau Leubel (Elfriede Kuzmany), eine Schneiderin, überrascht bei einem Botengang einen Mörder bei der Arbeit. Bevor er sich auch ihrer entledigen kann, wird er durch die Ankunft der Polizei in die Flucht geschlagen. Die alte Dame steht unter Schock, kann sich nicht an den Täter erinnern, obwohl sie ihn auf frischer Tat ertappt hat. Das Opfer, Frau Kwien, war erst vor kurzem von ihrem Mann (Hans Korte) geschieden worden: Das gemeinsame Geschäft fällt durch ihren Tod an ihn …

Eine durchschnittliche Folge, der auch Alfred Vohrer nichts abringen kann. Hans Korte ist gut als unsympathischer Geschäftsmann, Herbert Herrmann, der Filou des deutschen Fernsehens der Achtzigerjahre, ist in einer Nebenrolle als verdächtiger Harro Brückner zu sehen, Maria Sebaldt als vornehme Modedesignerin und der schöne Michael Maien als Mörder. Der Plot dreht sich um die im Titel angesprochenen „verlorenen Sekunden“ in der Erinnerung der Zeugin: Der Mörder hat natürlich ein Interesse daran, dass sie ihr Gedächtnis nicht wiedergewinnt, aber wirklich in Gefahr gerät sie nie. Im Gedächtnis des Zuschauers hingegen bleiben der stets besoffene Ehemann (Uwe Dallmeier) der Frau Leubel, ein willenlos schlaffer Sack, den Herbert Reinecker als Krückstock benötigte, und Harros nett gemeinte, aber unglaublich herablassende Aussage, Frau Leubel sei „ein armes Huhn“, und einem von Derricks meist großartigen Ausflügen in eine Diskothek. Selbst die Unschuldigen sind bei DERRICK fast immer Arschgeigen.

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uteEpisode 051: Ute und Manuela (Helmuth Ashley, 1978)

Ein junger Mann wird in einem Parkhaus erschossen, nachdem er in der Diskothek „East Side“ eine flotte Sohle aufs Parkett gelegt hat. Unbedingt tatverdächtig ist seine Freundin Manuela (Monika Baumgartner): Nicht nur hatte er sie am selben Abend übel zusammengeschlagen, der Wirt will sie als die Anruferin identifiziert haben, die den Toten ins Parkhaus beorderte. Ein Alibi bekommt Manuela von der Sozialarbeiterin Ute (Cornelia Froboess), die alles dafür tut, die aus schwierigen Verhältnissen kommende Manuela zu beschützen.

Auch dies ist eher Durchschnittskost: Der Fall ist nur wenig aufregend, es fehlen die Details in der Beobachtung, die die Serie in ihren besten Momenten auszeichnen, und bedingt durch das Sujet auch dieser bürgerliche Mief, der aus heutiger Sicht so faszinierend und abgründig ist. Aber die Ute ist eine großartige Figur: Cornelia Froboess legt in ihrem Spiel einen geradezu inbrünstigen Eifer an den Tag, der ihre Sozialarbeiterin noch unangenehmer macht, als es das Drehbuch eh schon vorsieht. Mit ihrer Riesenbrille, dem Kleinmädchenpony und dem abgehärmten Verzichtergesicht gibt sie eine Missionarin der Gerechtigkeit, die für Abweichler vom Pfad der Tugend keinerlei Empathie übrig hat. Wie bei „Der Spitzel“ gibt es hier einen deutlich sexuellen Unterton, der aber nie explizit aufgegriffen wird, was zu Utes selbstvergessenem Engagement natürlich passt wie die Faus aufs Auge. Die Rückblende mit der geschundenen Manuela ist ungewohnt schmerzhaft, der Schlusskniff am Ende, wenn wir Ute zum ersten Mal ohne Brille sehen, einer jener genialen Einfälle, für die man DERRICK schätzt. Dafür ist Martin Semmelrogge als Manuelas Bruder total verschenkt. (Gisela Uhlen ist als Utes Mutter zu sehen.) In der Diskothek läuft „Let’s All Chant“ von der Michael Zager Band.

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Episode 052: Abitur (Theodor Grädler, 1978)

Ein Slow-Burner, der wie die vorangegangene Episode mit einer tollen Schlusseinstellung aufwartet und darüber hinaus eher ungewöhnlich strukturiert ist. Eigentlich geht es in „Abitur“ um zwei Fälle und der Mord ist eher nebensächlich: Trauerkloß Robert (Michael Wittenborn) steht vor dem Abitur, dass er unbedingt mit gutem Notendurchschnitt bestehen muss, um fürs Medizinstudium zugelassen zu werden, schließlich soll er das Geschäft des herzkranken Arztpapas (Hans Quest) übernehmen. Leider ist er unglaublich wankelmütig und unsicher und die Versuche seiner Schwester Lisa (Agnes Dünneisen), seinen Nachhilfelehrer (Peter Dirschauer) zur Manipulation zu überreden, scheitern an dessen Rechtschaffenheit. Bis er eines Abends einen jungen Mann anfährt und Fahrerflucht begeht: Nun hat Lisa ein geeignetes Druckmittel gegen ihn in der Hand. Was sie nicht weiß: Das Unfallopfer starb nicht an den Folgen des Unfalls, sondern wurde anschließend erschlagen …

Das Discofieber, das sich in den vorangegangenen Episoden schon ankündigte, ist hier nun auf dem Siedepunkt. Im „Yellow River“, einem holzvertäfelten Albtraum im Partykeller-Style laufen „Miss you“ von den Rolling Stones, „More than a woman“ von Tavares, „I can’t stand the rain“ von Eruption und die unvermeidlichen Hot Chocolate, während Klein mit Lisa eine flotte Sohle aufs Parkett legt. Die ist einer dieser eiskalten, intriganten Schönen, die Herbert Reinecker sich regelmäßig ausdenkt und ihnen dann einen besonders waschlappigen Typen gegenüberstellt. Hier sind es mit ihrem Bruder und dem Lehrer sogar gleich zwei. Die Erpresserin und ihr Bruder kommen (wahrscheinlich) ungeschoren davon, weil der Fall für Derrick mit der Festnahme des Mörders erledigt ist, aber die Schlusseinstellung suggeriert das Fegefeuer des schlechten Gewissens – und außerdem, dass alle illegalen Bemühungen letztlich umsonst waren. Fies.

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1757376igcijmfszbxdpj_z_wbuykutdodrbtukyvlrakrljbr6jwekkf6u8vu_efzyoynrpbpkhr8zhxy_5wx_rusgqAurelio Morelli (Mel Ferrer) ist ein alternder Schriftsteller, dessen einstiger Kritikererfolg den Abstieg in die Bedeutungslosigkeit nicht hat verhindern können. Ein Relikt einer vergangenen Zeit, wie die antiken Ruinen Roms, die er bei seinen Spaziergängen bewundert. Seinen letzten Roman mit dem gespreizten Titel „Ich bin Alkibiades“ haben in den vergangenen Jahren nur zwei Menschen aus der Bücherei ausgeliehen, die Hippies im Park, die Joints rauchen und sich gegenseitig befummeln, verlachen ihn als „Opa“, sein Verleger teilt ihm mit, dass sein Stil, seine Sprache nicht mehr gefragt seien. Nur einer legt noch wert auf eine neue Publikation Morellis und ist bereit, sie fürstlich zu bezahlen: Der schmierige Sensationsjournalist Bossi (Klaus Kinski), der weiß, dass sich hinter der Fassade des gebildeten Schöngeistes ein mehrfacher Frauenmörder verbirgt. Er zwingt Morelli dazu, seine Memoiren exklusiv für sein Revolverblättchen zu Papier zu bringen. Während Inspektor Canonica (Heinz Bennent) im Dunkeln tappt und Bossi auf das letzte Kapitel wartet, lernt Morelli die junge Agnese (Susanne Uhlen) kennen …

In Deutschland erfuhr DAS NETZ vor einigen Jahren eine DVD-Veröffentlichung, die auf das „Eurokult“-Publikum abzielte und Purzers Film als eine Art deutschen Giallo vermarktete. Wenn Purzer mit seiner Geschichte auch ein ähnliches Feld beackert wie die italienischen Thriller, kommt man der Essenz von DASS NETZ aber wesentlich näher, wenn man einen Blick auf seine Macher wirft: Hinter der Produktion steckt Luggi Waldleitner, der zu jener Zeit große Erfolge mit den Simmel-Verfilmungen feierte, für die Manfred Purzer die Drehbücher zu liefern pflegte. An der Kamera stand wie bei diesen Charly Steinberger und schuf fantastische Bilder, für die Musik – geprägt von schwelgerischen Stücken und dramatischen Streicherparts – zeichnete Klaus Doldinger verantwortlich, der kurz zuvor bereits den Score von BIS ZUR BITTEREN NEIGE komponiert hatte (in dem es um einen alternden Schauspieler ging, der in Rom sein Comeback feiern will). Wie die Simmel-Filme protzt auch DAS NETZ mit einem großen Aufgebot damaliger Fernseh- und Filmstars, Bildern mediterraner Sehenswürdigkeiten und – das scheint mir am wichtigsten – jener dekadenten-selbstverliebten Entkoppelung von der Lebenswirklichkeit seines zeitgenössischen Publikums. Einerseits zeigt sich DAS NETZ mit seinen Seitenhieben gegen die Verlogenheit des Bildungsbürgertums und seiner verkopft-verklemmten Ideale einerseits – Morelli bezeichnet sich als „Revolutionär“, der die Welt vom Schmutz und der Zügellosigkeit der Jugend befreien will -, und der Geld- und Sensationsgeilheit der Presse andererseits als gesellschaftskritisch (ein Atomkraftwerk und Umweltverseuchung kommen auch noch vor), andererseits suhlt sich der Film aber in Bildern des geschmacklosen Chics und lüsterner Altherrenerotik.

Auch wenn explizite Gewalt ebenso vermieden wird wie allzu nackte Tatsachen: DAS NETZ ist reine Exploitation, eng verwandt mit den mehrteiligen Enthüllungsstorys, die deutschen Boulevardzeitschriften damals Rekordauflagen bescherten und wie diese zutiefst heuchlerisch (ein definierendes Merkmal der Exploitation seit deren Anfangstagen). Es darf nicht einfach ein Frauenmörderfilm sein, nein, da müssen auch noch höchst bedeutungsschwanger Fragen zum Stand der Dinge und zur Zukunft des Abendlandes erörtert werden, auch wenn die Antworten über platte Phrasen und kitschige Gefühlsduselei kaum hinauskommen. Dass das Herz von DAS NETZ eigentlich knapp unter der Gürtellinie schlägt, da wo die dunklen Triebe und die einäugige Viper lauern, hat vor allem Klaus Kinski verstanden, dessen Darbietung als Bossi das Eintrittsgeld allein schon wert ist: Wie er sich mit wallender Löwenmähne und bis zum Bauchnabel aufgeknöpfter Leder- oder Jeansjacke ins Zeug schmeißt, puren koksbeflügelten Machismo aus jeder weit geöffneten Pore verströmt, wie er sich in Pose wirft und sein straff behostes Becken dabei aufreizend nach vorn schiebt, als wolle er dem ganzen Zuschauerraum seinen Schwanz ins Maul stecken, ist schon eine Schau. DAS NETZ ist in seiner ganzen Schizophrenie hoch faszinierend, ein schönes Beispiel dafür, was da einst in Deutschland im Schoße des Mainstreams für bizarre Werke entstehen konnten. Ungefähr so, als hätte Heinz G. Konsalik „Der Tod in Venedig“ geschrieben.