Mit SPECTRE nimmt die Amtszeit von Daniel Craig als James Bond nach neun Jahren und vier Filmen ein Ende (EDIT: Oder doch nicht? Bin da offensichtlich nicht so ganz auf dem Laufenden.) Nachdem die insgesamt holprige Brosnan-Phase mit dem reichlich unwürdigen DIE ANOTHER DAY zu Ende gegangen war, hatte Craigs Debüt in CASINO ROYALE eine phoenixartige Wiederauferstehung eines totgeglaubten Franchises bedeutet und diesem zugleich einen der besten Filme der gesamten Reihe beschert. Die Psychologisierung und Erdung der Figur hatte spannende neue Perspektiven eröffnet und ihr ein neues, der Zeit angemessenes Profil verliehen, was während der Brosnan-Phase versäumt worden war. Und Craig gab dem Agenten die edge zurück, die er seit dem Abschied von Connery eingebüßt hatte. Leider hatte diese Neuorientierung auch eine Kehrseite, die in den folgenden Filmen – QUANTUM OF SOLACE und SKYFALL – deutlich zum Vorschein trat: Mit den sich bietenden neuen Möglichkeiten wussten die Verantwortlichen nämlich nicht wesentlich mehr anzufangen, als Figur und Franchise konsequent zu „marvelisieren“, überraschende Enthüllungen über familiäre Querverbindungen zwischen den Figuren zu erfinden oder alteingesessene, beliebte Figuren neu einzuführen. Wirkte der erwachsene, reife CASINO ROYALE noch wie ein frischer Wind im zunehmend infantilen Mainstream-Geschehen, war das schon mit dem vom ungeeigneten Marc Forster inszenierten Nachfolger wieder dahin, wurden alle interessanten Ansätze zugunsten einer branchenüblichen Rachgeschichte mit Cliffhanger-Charakter über Bord geworfen. Und SKYFALL erinnerte, aller wieder neu eingeführten Eleganz zum Trotz, mit seinem unglaubwürdig überkonstruierten Plottwist gar an Hollywood-Dutzendware.
SPECTRE führt die so interessant angefangene Geschichte nun zu ihrem doch etwas ernüchternden Ende. Als großer Coup feiert der wohl berühmteste Bond-Schurke Ernst Stavro Blofeld sein Comeback, entpuppt sich seine Geheimorganisation Spectre als illuminative Vereinigung, deren langer Arm bis in die höchsten Staatsorgane reicht. Der Rachefeldzug Bonds hat den Kritikern des personalisierten Geheimdienstes reichlich Munition geliefert: C (Andrew Scott) plädiert für einen globalisierten und vollkommen technisierten Überwachungs- und Sicherheitsdienst, entpuppt sich dann wenig überraschend als Handlanger von Spectre, die mit der von ihnen entwickelten Technologie die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Vorher muss Blofeld (Christoph Waltz) aber noch eine alte Rechnung begleichen und seinen Halbbruder Bond über den Jordan schicken, dessen Leben er seit Jahren beobachtet und infiltriert. SPECTRE sieht fantastisch aus, und wenn die Handlung den Geheimagenten von Mexiko über Rom in die österreichischen Alpen und dann nach Marokko führt, kommt längst vergessenes Flair auf, das aber leider schnell wieder verfliegt. Der Film ist aseptisch, trotz der üppigen Laufzeit von 140 Minuten seltsam leer, für Action fehlt Regisseur Mendes jegliches Interesse: Die Leichtfüßigkeit vergangener Tage ist dahin, stattdessen wird alles von großer Bedeutungsschwere niedergedrückt. Dabei bedeutet die Zurückführung internationaler politischer Konflikte auf bloß familiären Zwistigkeiten keineswegs eine Vertiefung, sondern im Gegenteil eine reichlich unbefriedigende Trivialisierung auf Superheldencomic-Niveau.
Spectre war in den alten Filmen gerade deshalb so reizvoll, weil nie ganz geklärt wurde, was sich dahinter genau verbarg. In Craigs Schwanengesang verliert die Organisation leider erheblich an diabolischem Charme und Ambivalenz, gerinnt in der Sequenz, in der Bond eine ihrer Sitzungen infiltriert, zur Illuminatenfantasie für Verschwörungsparanoiker, später dann, wenn Blofelds Motivation enthüllt wird, zum aufgeblasenen Spielzeug eines neurotischen Papakinds. Waltz ist ein guter Schauspieler, ohne Frage, aber seine Masche, lange, wortreiche und selbstverliebte Reden zu schwingen und dann mit dem entwaffenenden Grinsen eines verwöhnten Blags im Omnipotenzwahn zu garnieren, hat sich innerhalb nur weniger Jahre abgenutzt. In seiner Interpretation wird der Superschurke zur komplexbeladenen und beleidigten Leberwurst, die ihre Weltbeherrschungspläne durch einen Schwanzvergleich mit dem ungeliebten Stiefbruder selbst in Gefahr bringt. Das ist nicht nur albern, sondern auch sträflich unterkomplex: Aber wen wundert das, wenn man bedenkt, dass Weltpolitik mittlerweise erheblich in den Kategorien des Boulevards gedacht, interpretiert und kommentiert wird. Als einsames Glimmen vergangener Tugenden agiert Ralph Fiennes, dessen M noch jene angeblich überkommenen Werte des Empires repräsentiert und der mit unbeugsamer Würde an ihnen festhält, auch wenn ihm alle zu verstehen geben, dass er damit nicht mehr zeitgemäß sei, und die alte Welt um ihn herum in grauem Chaos versinkt.
Die Frage ist nun, wie es nach Craig weitergeht. Ich sehe Bonds nächster Inkarnation mit Spannung, Hoffnung, aber vor allem mit Skepsis entgegen. Ich glaube nicht, dass die Welt keinen Bond mehr braucht, aber ich fürchte, dass sie ihm die Luft zum Atmen genommen hat.