Mit ‘James Bond’ getaggte Beiträge

11203374_oriMit SPECTRE nimmt die Amtszeit von Daniel Craig als James Bond nach neun Jahren und vier Filmen ein Ende (EDIT: Oder doch nicht? Bin da offensichtlich nicht so ganz auf dem Laufenden.) Nachdem die insgesamt holprige Brosnan-Phase mit dem reichlich unwürdigen DIE ANOTHER DAY zu Ende gegangen war, hatte Craigs Debüt in CASINO ROYALE eine phoenixartige Wiederauferstehung eines totgeglaubten Franchises bedeutet und diesem zugleich einen der besten Filme der gesamten Reihe beschert. Die Psychologisierung und Erdung der Figur hatte spannende neue Perspektiven eröffnet und ihr ein neues, der Zeit angemessenes Profil verliehen, was während der Brosnan-Phase versäumt worden war. Und Craig gab dem Agenten die edge zurück, die er seit dem Abschied von Connery eingebüßt hatte. Leider hatte diese Neuorientierung auch eine Kehrseite, die in den folgenden Filmen – QUANTUM OF SOLACE und SKYFALL –  deutlich zum Vorschein trat: Mit den sich bietenden neuen Möglichkeiten wussten die Verantwortlichen nämlich nicht wesentlich mehr anzufangen, als Figur und Franchise konsequent zu „marvelisieren“, überraschende Enthüllungen über familiäre Querverbindungen zwischen den Figuren zu erfinden oder alteingesessene, beliebte Figuren neu einzuführen. Wirkte der erwachsene, reife CASINO ROYALE noch wie ein frischer Wind im zunehmend infantilen Mainstream-Geschehen, war das schon mit dem vom ungeeigneten Marc Forster inszenierten Nachfolger wieder dahin, wurden alle interessanten Ansätze zugunsten einer branchenüblichen Rachgeschichte mit Cliffhanger-Charakter über Bord geworfen. Und SKYFALL erinnerte, aller wieder neu eingeführten Eleganz zum Trotz, mit seinem unglaubwürdig überkonstruierten Plottwist gar an Hollywood-Dutzendware.

SPECTRE führt die so interessant angefangene Geschichte nun zu ihrem doch etwas ernüchternden Ende. Als großer Coup feiert der wohl berühmteste Bond-Schurke Ernst Stavro Blofeld sein Comeback, entpuppt sich seine Geheimorganisation Spectre als illuminative Vereinigung, deren langer Arm bis in die höchsten Staatsorgane reicht. Der Rachefeldzug Bonds hat den Kritikern des personalisierten Geheimdienstes reichlich Munition geliefert: C (Andrew Scott) plädiert für einen globalisierten und vollkommen technisierten Überwachungs- und Sicherheitsdienst, entpuppt sich dann wenig überraschend als Handlanger von Spectre, die mit der von ihnen entwickelten Technologie die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Vorher muss Blofeld (Christoph Waltz) aber noch eine alte Rechnung begleichen und seinen Halbbruder Bond über den Jordan schicken, dessen Leben er seit Jahren beobachtet und infiltriert. SPECTRE sieht fantastisch aus, und wenn die Handlung den Geheimagenten von Mexiko über Rom in die österreichischen Alpen und dann nach Marokko führt, kommt längst vergessenes Flair auf, das aber leider schnell wieder verfliegt. Der Film ist aseptisch, trotz der üppigen Laufzeit von 140 Minuten seltsam leer, für Action fehlt Regisseur Mendes jegliches Interesse: Die Leichtfüßigkeit vergangener Tage ist dahin, stattdessen wird alles von großer Bedeutungsschwere niedergedrückt. Dabei bedeutet die Zurückführung internationaler politischer Konflikte auf bloß familiären Zwistigkeiten keineswegs eine Vertiefung, sondern im Gegenteil eine reichlich unbefriedigende Trivialisierung auf Superheldencomic-Niveau.

Spectre war in den alten Filmen gerade deshalb so reizvoll, weil nie ganz geklärt wurde, was sich dahinter genau verbarg. In Craigs Schwanengesang verliert die Organisation leider erheblich an diabolischem Charme und Ambivalenz, gerinnt in der Sequenz, in der Bond eine ihrer Sitzungen infiltriert, zur Illuminatenfantasie für Verschwörungsparanoiker, später dann, wenn Blofelds Motivation enthüllt wird, zum aufgeblasenen Spielzeug eines neurotischen Papakinds. Waltz ist ein guter Schauspieler, ohne Frage, aber seine Masche, lange, wortreiche und selbstverliebte Reden zu schwingen und dann mit dem entwaffenenden Grinsen eines verwöhnten Blags im Omnipotenzwahn zu garnieren, hat sich innerhalb nur weniger Jahre abgenutzt. In seiner Interpretation wird der Superschurke zur komplexbeladenen und beleidigten Leberwurst, die ihre Weltbeherrschungspläne durch einen Schwanzvergleich mit dem ungeliebten Stiefbruder selbst in Gefahr bringt. Das ist nicht nur albern, sondern auch sträflich unterkomplex: Aber wen wundert das, wenn man bedenkt, dass Weltpolitik mittlerweise erheblich in den Kategorien des Boulevards gedacht, interpretiert und kommentiert wird. Als einsames Glimmen vergangener Tugenden agiert Ralph Fiennes, dessen M noch jene angeblich überkommenen Werte des Empires repräsentiert und der mit unbeugsamer Würde an ihnen festhält, auch wenn ihm alle zu verstehen geben, dass er damit nicht mehr zeitgemäß sei, und die alte Welt um ihn herum in grauem Chaos versinkt.

Die Frage ist nun, wie es nach Craig weitergeht. Ich sehe Bonds nächster Inkarnation mit Spannung, Hoffnung, aber vor allem mit Skepsis entgegen. Ich glaube nicht, dass die Welt keinen Bond mehr braucht, aber ich fürchte, dass sie ihm die Luft zum Atmen genommen hat.

Etwas für die Listenfreunde, die bei mir meist zu kurz kommen. Auf Facebook habe ich heute mein Bond-Ranking gepostet. Ich erhebe damit keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder historische Belastbarkeit, vielmehr ist es das Ergebnis meiner soeben beendeten Retro (mal sehen, wann ich den alten CASINO ROYALE und NEVER SAY NEVER AGAIN nachlege), bezieht sich also vor allem auf mein aktuelles Empfinden und ist damit zutiefst kompromittiert. Manche Filme der Reihe profitierten davon, dass ich sie zum ersten Mal überhaupt gesehen habe oder aber beim ersten Mal überhaupt nicht mochte. Andere scheiterten an der immensen Erwartungshaltung, mit der ich ihnen begegnet bin. Einige müssten vielleicht tiefer, andere höher stehen, aber ich wollte die Waage halten zwischen meinem ganz subjektiven und spontanen Eindruck und einer gewissen, über diesen hinausgehenden Aussagekraft. Mit dieser Inkarnation bin ich eigentlich ganz zufrieden, könnte es morgen aber schon nicht mehr sein. Without further ado:

Klasse für sich:
01) ON HER MAJESTY’S SECRET SERVICE (Peter Hunt, 1969)
02) YOU ONLY LIVE TWICE (Lewis Gilbert, 1967)
03) THE SPY WHO LOVED ME (Lewis Gilbert, 1977)
04) CASINO ROYALE (Martin Campbell, 2006)

Weltklasse:
05) DR. NO (Terence Young, 1962)
06) MOONRAKER (Lewis Gilbert, 1979)
07) GOLDFINGER (Guy Hamilton, 1964)

Erste Klasse:
08) LICENCE TO KILL (John Glen, 1989)
09) OCTOPUSSY (John Glen, 1983)
10) THE MAN WITH THE GOLDEN GUN (Guy Hamilton, 1975)
12) FROM RUSSIA WITH LOVE (Terence Young, 1963)
13) THUNDERBALL (Terence Young, 1965)
11) THE WORLD IS NOT ENOUGH (Michael Apted 1999)

Gehobene Mittelklasse:
14) THE LIVING DAYLIGHTS (John Glen, 1987)
15) GOLDENEYE (Martin Campbell, 1995)
16) SKYFALL (Sam Mendes, 2012)

Touristenklasse:
17) LIVE AND LET DIE (Guy Hamilton, 1973)
18) FOR YOUR EYES ONLY (John Glen, 1981)
19) TOMORROW NEVER DIES (Roger Spottiswoode, 1997)
20) QUANTUM OF SOLACE (Marc Forster, 2008)

Förderunterricht:
21) A VIEW TO A KILL (John Glen, 1985)
22) DIE ANOTHER DAY (Lee Tamahori, 2002)
23) DIAMONDS ARE FOREVER (Guy Hamilton, 1971)

Größte Enttäuschung:
FOR YOUR EYES ONLY

Größte Überraschung:
THE WORLD IS NOT ENOUGH

Das Engagement von Sam Mendes – nach vielen, vielen „Handwerkern“ vielleicht der profilierteste Regisseur, der sich überhaupt jemals an einem Bondfilm versuchen durfte – lässt darauf schließen, dass den Produzenten die Bedeutung von SKYFALL für den Fortgang der Serie sehr bewusst war. Nach der fulminanten Wiederbelebung und Frischzellenkur mit CASINO ROYALE musste man QUANTUM OF SOLACE in jeder Hinsicht als Enttäuschung empfinden – vor allem, weil der Film den Eindruck machte, die Produzenten hätten gar nicht verstanden, was das Comeback überhaupt erst zu diesem Erfolg hatte werden lassen. Die Kurkorrektur gelingt mit Bondfilm Nr. 23 weitestgehend: Mendes inszeniert mit dem Wissen, dass Actionszenen erst im Kontrast mit der nötigen Ruhe ihre volle Wirkung entfalten und bringt zudem ein Maß an visuellem Einfallsreichtum und Stilbewusstsein mit, das die Reihe zuletzt in den Tagen von Lewis Gilbert auszeichnete. Mit der inhaltlichen Konzentration auf den MI6, die Organisation hinter Bond, eröffnet der Film zudem neue erzählerische Möglichkeiten, die bislang brachlagen. Das Dilemma des Agenten – gleichzeitig ein Mensch und dann doch nur ein Werkzeug, ein Rädchen in einem großen Getriebe zu sein –, das CASINO ROYALE zu solch großer Spannung und dem Helden zu neuer, scharfer Konturierung verhalf, verschafft auch SKYFALL die entscheidende Dramatik abseits des Plots. Dennoch: So richtig zufrieden bin ich mit Mendes‘ Film nicht.

Über weite Strecken des Films gibt es keinen Grund zur Beschwerde. Mit einem ausgedehnten, actionlastigen Prolog geht es, wie aus den beiden Vorgängern gewohnt, schwungvoll und krachig los. Bei Over-the-Top-Stunts wie einer Motorrad-Verfolgungsjagd über die Dächer (!) Istanbuls, der Fahrt mit einer Planierraupe über einen Zug und einer schön oldschooligen Prügelei auf dem Dach desselben knüpft Mendes im Geiste an den Irrsinn der Ur-Bonds an, anstatt die Modernisierung auch auf motivischer Ebene voranzutreiben. Im Gegensatz zu Marc Forster, der alle Actionszene kaputtschneiden ließ, zeigt der nun auch nicht gerade als Actionexperte geltende Mendes außerdem, dass er verstanden hat, worum es geht: Immer wieder gibt es lang gehaltene Totalen, die es erlauben, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen und überhaupt zu begreifen, was da gerade passiert. Der Kampf im Inneren eines von außen mit psychedelischen Leuchtelementen illuminierten Shanghaier Hochhauses dürfte ein visueller Höhepunkt der gesamten Reihe sein, der Gastauftritt eines Komodo-Warans weckt Erinnerungen an die seligen Zeiten, in denen jeder Bondschurke, der etwas auf sich hielt, ein Piranha- oder Haifischbecken sein eigen nannte und Javier Bardem legt seine Rolle als abtrünniger homosexueller Ex-Geheimagent mit Rachgedanken ebenfalls schön cartoonesk an, was nach den ganzen Beamten eine willkommene Abwechslung ist. Auch Adeles Titelsong ist wieder von jenem pathetischen Schmelz, den man erwartet. Der Brückenschlag zwischen der liebgewonnenen Bond-Tradition und dem Bemühen, dem Zeitgeist wieder ein Stück vorauszueilen, gelingt formal über weite Strecken ausgezeichnet. Leider tritt SKYFALL in der zweiten Hälfte in einige Fettnäpfchen, die ihn nicht so sehr als Vorreiter als als Kind seiner Zeit ausweisen.

Ich war noch nie ein besonderer Freund von Computerterrorismus im Film, weil sich dieses Thema für mein Empfinden nur sehr schlecht in packende Bilder übersetzen lässt. Das ist auch hier der Fall: Wenn auf Ms (Judi Dench) Laptop-Monitor ein putzig animierter Virus mit Totenköpfen aufpoppt, wirkt das auf mich einfach albern, genauso wie das bedeutungsschwangere Rumdaddeln an irgendwelchen Hightechscreens und das angestrengte Starren auf seltsame Grafiken, die einen Code verbildlichen sollen. Warum? Damit man ihn leichter knacken kann? Das scheint der Fall zu sein, wenn sogar der hemdsärmelige Bond schneller auf die Lösung kommt als das neuen Wunderkind Q (Ben Whishaw), das immerhin ein vergleichbares, angeblich unüberwindbares Sicherheitssystem erfunden haben will. Apropos Q: Es leuchtet mir ein, das es für ein Computergenie einen anderen Darstellertypus braucht als Desmond Llewelyn oder John Cleese, aber musste es wirklich wieder so ein Wuschelfrisuren- und Pullunderträger sein, wie man ihn auch aus den Krimiserien kennt, die meine Gattin so gern sieht? Auch mit Javier Bardem geht es mit zunehmender Laufzeit bergab: Wie er da im Schneidersitz in seiner gläsernen Gefängnis-Litfasssäule sitzt und selbstzufrieden grinst, fragt man sich, ob es anno 2012 wirklich mal wieder eine Hannibal-Lecter-Hommage brauchte. Immerhin ist der Make-up-Effekt, wenn er sich seine Kieferprothese herausnimmt, wunderbar scheußlich geraten. Das sind alles nur Kleinigkeiten, aber sie addieren sich, zumal sich auch in Plotentwicklung dieses Abdriften in den Durchschnitt erkennen lässt. Wie sich der Showdown da am Ende in zwei aufeinanderfolgende Auseinandersetzungen aufsplittet, Bond und M eine Reise in die Vergangenheit unternehmen und sich so nicht nur dem Feind, sondern auch ihren persönlichen Problemen miteinander stellen müssen, fühlte ich mich in einen Kurs „Screenwriting 101“ versetzt. Ohne die bekannten Figuren hätte das nahezu jeder moderne, großbudgetierte Actionfilm sein können. Auch wenn das entsetzlich blöd und engstirnig klingt: Mir fehlte da einfach das spezielle Bond-Feeling, das CASINO ROYALE auf jeden Fall hatte, obwohl er ganz anders aussah und sich auch ganz anders anfühlte als alle Bonds davor. Es kommt hier nach dem letzten Absatz vielleicht nicht so richtig durch: SKYFALL ist ein guter Bond, auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, aber nach der exquisiten ersten Hälfte überwiegt einfach die Enttäuschung darüber, dass er nicht mehr ist als „nur“ gut. Da wurde immenses Potenzial verschenkt, und sowas finde ich immer besonders ärgerlich.

Wenn man Rezensionen im Netz liest, wird die Kritik am nur lauwarm empfangenen QUANTUM OF SOLACE nicht zuletzt mit der Inszenierung der Actionszenen festgemacht. Marc Forster, nicht gerade ein Spezialist für handfeste Kost, um es mal freundlich auszudrücken, geht den Weg, den so viele Filmemacher in den letzten Jahren gegangen sind, und versucht Dynamik vor allem am Schneidetisch zu erzeugen. Nach dem, was ich so gelesen hatte, hatte ich mir diese Exzesse zwar schlimmer vorgestellt, aber gerade in der Verfolgungsjagd, mit der der Film beginnt, kommen viele der unglaublichen Stunts nicht zur Geltung, weil Forster der Meinung zu sein scheint, fünf Einstellungen seien grundsätzlich besser als eine. Wo man früher eine statische Totale gewählt hätte oder sogar dieses wahrhaft irrwitzige Stilmittel namens „Zeitlupe“, da wird hier alles in winzige Fragmente zerhäckselt. Man fragt sich, wofür die Stuntmen da eigentlich ihr Leben riskieren, wenn man am Ende gar nichts mehr von ihrer Arbeit sehen kann. Aber wie ich schon andeutete: Das ist nicht das Hauptmanko des Films, lediglich eines der Symptome, die Ausdruck seiner Anlage als Finale des vorangegangenen CASINO ROYALE sind. Und diese Ausrichtung raubt gleich auch ein wenig von dem Enthusiasmus, den die Neuerfindung im genannten Vorgänger ohne Zweifel auslöste.

QUANTUM OF SOLACE schließt unmittelbar an CASINO ROYALE an, erzählt die Geschichte der Rache Bonds für die Ermordung seiner Geliebten Vesper Lynd. Der Ruhe, mit der Campbell zuvor seinen Protagonisten langsam entwickelte, vom blunt object hin zum Menschen aus Fleisch und Blut, setzt Forster nun ein nahezu pausenloses Actionfeuerwerk entgegen, in dem kaum Raum für Charakterentwicklung bleibt. Das mag konsequent sein, wenn man QUANTUM OF SOLACE lediglich als Schlusskapitel von CASINO ROYALE betrachtet, aber er ist nun einmal ein eigenständiger Film, der nach dem überreichen Vorgänger demzufolge leer und eindimensional wirken muss. Betrachtet man die Art und Weise, mit der der zuvor behutsam entwickelte innere Konflikt Bonds hier schnell und handfest gelöst, der Agent gewissermaßen auf den Nullpunkt resettet wird, sieht das fast ein wenig so aus, als hätten die Produzenten Angst vor der eigenen Courage – einem zerrissenen Bond eben – bekommen. Der Held soll schnell, schnell wieder einsatzbereit sein, weil eine allzu brüterische Figur dem Franchise vielleicht doch im Wege stünde. Dabei wäre es doch gerade interessant gewesen, genau diesen Weg weiterzuverfolgen.

Visuell ist QUANTUM OF SOLACE, abgesehen von den eingangs erwähnten Einschränkungen, wieder sehr reich, die Sequenz in der Oper oder das Finale in einem bauhausartigen Luxushotel in der Wüste stechen als Höhepunkte hervor, die Action knallt, sofern man was erkennen kann, ganz gut rein, auch Mathieu Amalric ist als Schurke höchst effektiv, gemessen an dem, was ihm das Drehbuch da an Zeit zur Verfügung stellt. Aber es bleibt einfach nicht viel hängen und irgendwie wirkt das alles, als habe man nur schnell eine als lästig empfundene Pflichtaufgabe abhaken wollen. Wo sind der Erfindungsreichtum, die Risikofreude, Eleganz und Tiefe von CASINO ROYALE abgeblieben? Gegen die „Wham, bang, thank you, ma’am“-Kurzatmigkeit von QUANTUM OF SOLACE wirkt ja selbst TOMORROW NEVER DIES noch wie ein Epos. Ich hoffe jedenfalls inständig, dass SKYFALL wieder besser ist und sich CASINO ROYALE nicht als Strohfeuer entpuppt. Das wäre dann tatsächlich eine absolut unentschuldbare Fehlleistung.

Ich habe CASINO ROYALE damals aus mangelndem Interesse nicht gesehen, die begeisterten Reaktionen zwar nicht abgetan, aber doch mit einiger Skepsis betrachtet. Die Bond-Reihe schien sich, trotz der insgesamt durchaus respektablen, wenn auch durchwachsenen Brosnan-Ära, seit eigentlich gut 20 Jahren überholt zu haben und der Clou eines gritty reboots war nun auch nicht der allerneueste und kreativste Schachzug, einem darbenden Franchise neues Leben einzuhauchen. Nach der Sichtung stehe ich nun vor einem ziemlichen Dilemma: CASINO ROYALE hat meine Erwartungen weit übertroffen und es lässt sich mit gutem Recht argumentieren, dass Martin Campbell nach über 40 Jahren den besten Bondfilm überhaupt vorgelegt hat. Die Charakterisierung Bonds, die die Drehbuchautoren gemeinsam mit Daniel Craig vorlegen, entspricht so ziemlich genau dem Bild, das die Connery-Bonds gelegentlich andeuteten, aber schließlich zugunsten von Sixties-Charme und Europulp verwarfen, das mit Moore vollkommen auf den Kopf gestellt und weder bei Dalton noch bei Brosnan wirklich ausgearbeitet wurde. Hier ist der Bond, über den ich etwa in meinem Text zu DR. NO schrieb: Ein blunt instrument, wie M (Judi Dench) ihn beschriebt, keinesfalls ein international man of mystery, wie es in der Bond-Persiflage AUSTIN POWERS in treffender Beschreibung vor allem der Moore-Bonds hieß, nicht die geschliffenste Waffe des britischen Geheimdienstes, sondern lediglich ein recht banaler Auftragskiller, für optimale Effizienz ausgebildet, ultimativ austauschbar und im Notfall mitleidlos zu entsorgen. Craig verleiht dem Agenten eine nie zuvor gesehene Körperlichkeit, die er mit geradezu todessehnsüchtiger Wucht in die Schlacht wirft. Der massige Körper, das Knautschgesicht mit den unförmigen Blumenkohlohren, die eingeschränkte Mimik: Sein Bond ist ein Golem, Frankensteins Monster, eilig und ohne jede künstlerische Ambition rein auf Funktionalität modelliert, zwar dazu geschult, sich auch in der Glitzerwelt der High Society sicher bewegen zu können und mit dem nötigen Stilbewusstsein ausgestattet, aber im feinen Anzug, wie seine Kollegin Vesper Lynd (Eva Green) treffend bemerkt, immer auch ein wenig verkleidet, verloren, deplatziert, traurig aussehend. Und anders als seine Bondvorgänger gerät sein Dienst für ihn nicht zum ausgedehnten Junggesellenabschied: Das Töten, das ständige Schweben in Lebensgefahr, das Wissen, dass das Eingehen zwischenmenschlicher emotionaler Bindungen ihn nicht nur verwundbar macht, sondern auch tödliche Gefahren für den Partner mit sich bringt, zehren ihn aus, zerren an ihm, sind dabei, ihn vollständig auszuhöhlen. Als Bond auf Vesper Lynd trifft, ist er bereits auf dem besten Wege, ein Zombie zu werden. Als sie am Ende des Films stirbt, drohen ihn Zorn und Schmerz zu zerreißen. Die Explosion wird durch nur die Schlusscredits vertagt, aber sie wirft ihren Schatten auf den Nachfolger.

Es ist beeindruckend, wie es Campbell – der schon gut zehn Jahre zuvor mit GOLDENEYE für einen erfolgreichen Neustart der Serie verantwortlich war – mit CASINO ROYALE gelingt, einen Film vorzulegen, der gleichermaßen voll und ganz neu und frisch wirkt, ohne dabei jedoch seine Blutlinie zu leugnen. Die Übernahme bestimmter Trademarks verortet seinen Film ganz klar innerhalb der Reihe: der Blick durch den Pistolenlauf auf den von rechts ins Bild schreitenden Bond, die bekannte Titelmelodie von Monty Norman, die Verwendung einer Pre-Title-Sequenz – Bonds in Schwarzweiß gehaltene Origin-Story –, ein mit viel Pathos vorgetragener Titelsong (hier von Chris Cornell), die Anwesenheit vom M, natürlich die zu Trademarks geronnenen Dialogzeilen, auf die kein Film bislang verzichten konnte, die attraktiven Schauplätze, die teuren Drinks und Autos. Aber nicht nur hinsichtlich seiner Hauptfigur könnte sich CASINO ROYALE kaum mehr von seinen Vorläufern unterscheiden. Sowohl in Stimmung, Ton als auch in der Dramaturgie verbindet Campbells Film nichts mehr mit ihnen. Die Geschichte wird wesentlich kohärenter erzählt. Die Schauplatzwechsel korrelieren mit einem konsequenten Fortschreiten der Handlung, sind kein Ersatz für eine solche. Der Zuschauer wird ganz anders involviert und angesprochen, weniger auf Distanz gehalten, sondern mehr gefordert. Das Kino der Attraktionen wird wieder zu einem Kino der Emotionen. Gelegentliche Lacher schaffen keine Distanz, sondern Nähe. Was geblieben ist, ist die edle Optik: CASINO ROYALE dürfte einer der bestaussehenden Bondfilme sein, ganz egal, ob er an einen sonnendurchfluteten Karibikstrand, in die mondäne Kulisse Montenegros (tatsächlich Tschechien) oder ins romantische Venedig entführt. Kein Bond hat die Verlockungen des Luxus – und die Gefahren, die damit einhergehen – so  greifbar ins Bild gerückt. Und dann die Actionsequenzen, in denen der Effektbombast zugunsten realistischer Körperaction zurückgenommen, ein beachtliches Tempo und eine schroffe Härte etabliert werden. Die Parcour-Sequenz auf Madagaskar, die Verfolgungsjagd auf der Rollbahn eines Flughafens oder der Kampf in einem zusammenstrüzenden venezianischen Haus sind Instant-Highlights und werden wunderbar kontrastiert von den hochkonzentrierten Mind Games, die Bond und sein Kontrahent Le Chiffre (Mads Mikkelsen) miteinander spielen. Zu guter Letzt die wunderbare Chemie, die Craig und die betörende Eva Green entwickeln und damit alle Liebesgeschichten seit Lazenbys Techtelmechtel mit der unsterblichen Diana Rigg in den Schatten stellen. Doch, doch: CASINO ROYALE ist Kinoperfektion im positivsten Sinne und tatsächlich, wie ich oben schrieb, ein ernstzunehmender Kandidat für die Krone. Auch wenn das zuzugeben dem Nostalgiker in mir nicht leicht fällt.

dieanotherday1_1024Der schizophrene Gipfelpunkt der Brosnan-Jahre. DIE ANOTHER DAY erntete von allen Bondfilmen wahrscheinlich am meisten Spott. MOONRAKER, A VIEW TO A KILL, OCTOPUSSY und THE MAN WITH THE GOLDEN GUN sind auch nicht besonders beliebt, aber auf DIE ANOTHER DAY wird mit seltener Einmütigkeit eingedroschen. Zielscheibe der Kritik sind vor allem einige an die absurden Spitzen der Moore-Ära erinnernden Einfälle und das Übermaß an CGI-Effekten. Beide Einwände sind nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Nach den doch eher realistischen, in jedem Fall zurückgenommenen Vorgängerfilmen, wendet sich DIE ANOTHER DAY wieder ganz der Science Fiction zu: Es gibt einen mit DNA-Manipulation umgewandelten Oberschurken, ein unsichtbares Auto, einen Satelliten, der mit Diamantenkraft das Sonnenlicht zu einem alles vernichtenden Feuerstrahl bündelt, und eine Festung aus Eis. Das alles wäre allein nicht unbedingt Grund zur Beschwerde, im Gegenteil: Nach den eher düsteren GOLDENEYE, TOMORROW NEVER DIES und THE WORLD IS NOT ENOUGH und den ebenfalls bodenständigen THE LIVING DAYLIGHTS und LICENCE TO KILL weckt Tamahoris Serienbeitrag fast nostalgische Erinnerungen an die unschuldigeren Zeiten, als comichaft überzeichnete Superschurken die Welt aus ihren futuristischen Stützpunkten heraus bedrohten. Es ist jedoch das Übermaß miserabler Computereffekte, das einem mehr als einmal die Freude am Gebotenen vergällt. Die Sequenz, in der Bond vor dem Feuerstrahl aus dem All flieht und der Eispalast zum Schmelzen gebracht wird, auch der Showdown an Bord eines langsam auseinanderfallenden Flugzeugs, sehen einfach scheußlich aus, sind eines Bondfilms in dieser Form nicht würdig. Und sie stören den Gesamteindruck empfindlich, denn DIE ANOTHER DAY zeigt eindeutig Potenzial.

Der ganze Anfang ist großartig: Bond gerät nach einer furiosen Pre-Title-Sequenz in nordkoreanische Gefangenschaft, in der er 14 Monate verbleibt, weil der Geheimdienst ihn aufgegeben hat. Ein vermeintlicher Verrat Bonds erzwingt ein Tauschgeschäft: Der böse Zao (Rick Yune) wird an die Nordkoreaner im Austausch für den Agenten übergeben. Bond ist weiterhin isoliert, man glaubt ihm nicht, dass jemand ihn benutzt hat, also muss er auf eigene Faust vorgehen. Das ist ein schöner, vor allem einmal neuer Ansatz, der ganz im Einklang mit dem Bild steht, das die Brosnan-Bonds vom Geheimdienst gezeichnet hatten. Die Action ist zupackend und rasant, auch visuell ansprechend umgesetzt. Auch die erste Auseinandersetzung mit dem Oberschurken Gustav Graves (Toby Stephens) – hinter dessen Gesicht sich eigentlich der nordkoreanische Colonel Moon verbirgt – ist toll, ein rücksichtslos geführter Fechtkampf. Und das Eispalast-Setting ist, wie gesagt, eine Augenweide (genauso wie Rosamund Pike als Doppelagentin Frost). Auch wenn ein paar fragwürdige Einfälle suggerieren, dass man bei der Konzeptionierung nicht ganz zurechnungsfähig, zumindest aber verunsichert war – der Titelsong von Madonna ist genauso schlimm wie ihr Gastauftritt als Fechtlehrerin, Halle Berry passt überhaupt nicht in den Film (ich mochte sie noch nie besonders) und auch das unsichtbare Auto ist etwas zu viel des Guten –, deutet noch nichts darauf hin, wie der Film in der zweiten Hälfte entgleist.

Nichtsdestotrotz fand ich DIE ANOTHER DAY immerhin nicht so schrecklich öde wie DIAMONDS ARE FOREVER oder so traurig wie A VIEW TO A KILL. Aber das mag aber auch daran liegen, dass ich ihn bisher noch nicht kannte. Daran, dass das hier ein Tiefpunkt der Reihe ist, gibt es jedenfalls keinen Zweifel.

the-world-is-not-enoughTHE WORLD IS NOT ENOUGH war der erste und bislang auch einzige Bondfilm, den ich im Kino gesehen habe, und ich habe ihn damals gehasst. Es war eine schwere Zeit, die der Geheimagent und ich durchmachten, von gegenseitiger Entfremdung und zunehmender Ablehnung geprägt. Der Film konnte bei mir nur verlieren und das tat er dann auch. Dass er mir heute besser gefallen würde, stand für mich außer Frage: Beim ersten Mal tat’s noch weh, beim zweiten Mal nicht mehr so sehr, man kennt das ja. Allzu viel Hoffnung hatte ich dennoch nicht: THE WORLD IS NOT ENOUGH ist bei Fans nicht besonders wohl gelitten und nimmt in Rankings meist einen der unteren Plätze ein. Er hat definitiv seine Probleme, zum Beispiel die etwas blasse, unentschlossene Inszenierung Apteds, aber auch ein paar missratene CGI-Effekte. Sein Hauptmanko dürfte aber sein, dass ihm die Pointe fehlt, das Zwingende, das, was ihn als logische Weiterentwicklung, als neuen Gipfel der Reihe auswiese. Gegenüber TOMORROW NEVER DIES wirkt er zurückgenommen, gegenüber GOLDENEYE wieder deutlich wärmer. Es fehlen auch die spektakulären Settings oder die irrwitzigen Stunts, über die man danach unbedingt sprechen müsste. Aber wenn man darüber einmal hinweggekommen ist, dann fesselt er mit seiner ungewöhnlichen Schurkenkonstellation und einer subtilen Tragik.

Statt eines Schurken sind es hier zwei, die sprichwörtlich Hand in Hand arbeiten: zum einen der Terrorist Renard (Robert Carlyle), durch eine durch sein Gehirn wandernde Pistolenkugel zum baldigen Tod verdammt, bis dahin aber von Tag zu Tag stärker, belastbarer und schmerzunempfindlicher werdend, zum anderen die Millionenerbin Elektra King (Sophie Marceau), die jedoch zunächst das Opfer in einem recht typischen Plot zu sein scheint. Hinter den vorgetäuschten Anschlägen auf ihr Leben und ihre Ölpipeline, die von Aserbaidschan durch die Türkei nach Westeuropa führt, steckt jedoch lediglich ein Ablenkungsmanöver Kings selbst, mit dem sie von ihrem eigenen Monopolvorhaben ablenken will: Zur Vollendung ihrer Pläne will sie mithilfe von Renard eine Atombombe im Schwarzen Meer zünden. Die beiden Verbrecher unterhalten eine höchst faszinierende Beziehung zueinander: Elektra King war einst als Geisel in Renards Gewalt. Bond vermutet, dass sie dem Stockholm-Syndrom zum Opfer fiel und sich in ihren Peiniger verliebte, doch das Gegenteil erweist sich als richtig. Der vom britischen Geheimdienst als Köder zur Festsetzung Renards missbrauchten Elektra gelang es, den Terroristen auf ihre Seite zu ziehen und zum Verbündeten in ihrem Racheplan zu machen, als sie merkte, dass sie nicht auf Hilfe durch den Staat zu hoffen brauchte. So vollendet sie schließlich nicht nur die Prophezeiung ihres Namens, ihre Verletzung schlägt auch in unstillbaren Hass um, für den sich wiederum Renard verantwortlich fühlt, der Elektra als junges, verwundbares Mädchen kennenlernte und ihre Verwandlung zur verbitterten Rächerin miterleben musste. Zum ersten Mal in einem Bondfilm kann man Mitleid mit den Schurken empfinden, zum ersten Mal handelt es sich auch um Opfer der tragischen Umstände. Das verschafft dem Film auch einige grandiose, ungewohnt emotionale Momente: Die Erschießung Elektras durch den Geheimagenten ist geradezu grausam in ihrer unausweichlichen Härte, Renards Blick, wenn Bond ihm gesteht, dass seine Vertraute tot ist, absolut niederschmetternd.  Ich weiß noch, dass ich vor allem von Renard damals enttäuscht war, aber die Figur ist in Wahrheit eine der faszinierendsten der ganzen Reihe, von einer tiefen Traurigkeit geprägt und paradoxerweise höchst verletzlich in seiner Schmerzunempfindlichkeit. Und Carlyle ist großartig.

In dieser Konstellation kommt auch die Selbstkritik wieder zum Tragen, die mit GOLDENEYE Einzug in die Serie gehalten hatte: Das Wirken des britischen Geheimdienstes befreit die Welt mitnichten vom Bösen, sie schafft es mitunter selbst. Diese Erkenntnis legt sich bleischwer über den Film, dem sowohl das Zelebratorische der Connery- und Moore-Jahre als auch die technokratische Kälte der ersten beiden Brosnan-Bonds abgeht. THE WORLD IS NOT ENOUGH wirkt gehemmt, in seinen Actionszenen macht sich keine Freude breit, der breite Humor ist seltsam fehl am Platze (vor allem John Cleeses Auftritt als Nachfolger von Q ist eher schmerzhaft). Das gilt auch für die Figur von Denise Richards‘ Kernphysikerin Dr. Christmas Jones, die meist herangezogen wird, wenn es darum geht, die Fehlleistungen des Films aufzuzählen. Aber mal ganz davon abgesehen, dass sie in dieser Rolle weitaus weniger albern ist, als man zunächst glauben mag, weiß ich nicht, was sexistischer ist: eine Atomphysikerin mit einer drallen Blondine mit Schmollmund zu besetzen, oder anscheinend zu glauben, dass Atomphysikerinnen nicht aussehen könnten wie Denise Richards? Dürfen etwa nur hässliche Frauen intelligent sein? Wie dem auch sei: Mir gefällt THE WORLD IS NOT ENOUGH immer besser, je mehr ich über ihn nachdenke, und er dürfte die vielleicht größte Überraschung meiner Retrospektive sein. Ein ungewöhnlicher Bond, ganz sicher, aber auch ein ungewöhnlich starker.

 

TOMORROW NEVER DIES ist eine eher flüchtige Affäre. Mit einer Laufzeit von knapp unter zwei Stunden ist es der kürzeste Bondfilm seit YOU ONLY LIVE TWICE, und die düsteren Anflüge, die GOLDENEYE in der Interpretation seiner Hauptfigur an den Tag gelegt hatte, werden hier ganz außen vor gelassen. Was der Film an Tiefe vermissen lässt, macht er durch nahezu ununterbrochene Action und einen gesteigerten Camp-Appeal wett. Sichtlich vom damals zu internationaler Popularität gelangten Hongkong-Kino inspiriert, präsentiert er mit Michelle Yeoh nicht nur einen überaus schlagkräftigen Partner für Bond, sondern wartet im Mittelteil auch mit einer unglaublichen Motorradverfolgungsjagd auf, in der sich ein halsbrecherischer Stunt an den nächsten reiht. Im ausgedehnten Finale an Bord eines „Stealth-Bootes“ (nee, is klar) wird das wahrscheinlich sündhaft teure Setting komplett in handliche Einzelteile zerlegt und eine Vielzahl von Schurken effektvoll ins Jenseits befördert. So krawallig und rasant war bis dahin kein Bond-Film.

An der Darbietung von Jonathan Pryce und an seinem Schurken Elliot Carver, einem Rupert Murdoch nachempfundenen Medienmogul, der sich nicht mehr damit begnügt, nur das zu berichten, was passiert, sondern seine eigenen Nachrichten macht, werden sich die Geister scheiden. Wie er da in Schallgeschwindigkeit auf dem Vorläufer eines Tablets herumtippt und vor seiner riesigen Bildschirmwand enthemmte Monologe über seine Monopolideen hält, wird sein Superschurke zur grellen Karikatur, wie TOMORROW NEVER DIES überhaupt deutlich satirische Züge trägt. Die Bondfilme waren mit dem Begriff „realistisch“ zwar nur selten wirklich zutreffend beschrieben, meist auf tagesaktuellen Entwicklungen fußende und dann über die Grenzen zur Science Fiction hinaus betriebene Gedankenspiele (oder eben – wie in MOONRAKER – offensichtlicher Blödsinn), aber sie verkauften ihre Spinnereien mit einem Pokerface. TOMORROW NEVER DIES krankt indes daran, dass man nicht recht zu wissen schien, wie man einen Bondfilm um einen Medienmann konstruieren sollte, dessen Waffen ja gewissermaßen immateriell sind: Er arbeitet mit gezielt geschalteten oder zurückgehaltenen Informationen, eignet sich mithin nur mäßig als Schurke für einen Actionfilm, der auf Körperlichkeit, Materialität und Konkretion fußt. Die Autoren begegnen diesem Problem, indem sie Carver zum typischen Bondschurken machen: Sein Plan – einen Krieg zwischen Großbritannien und China zu provozieren, um so am Ende einer langen Kausalkette die alleinigen Fernsehrechte in China zu erhalten – ist nicht nur reichlich umständlich, er kommt auch einer Trivialisierung seines eigentlichen Drohpotenzials gleich. Das Furchterregende an Medienmännern wie Carver ist ja gerade, dass sie in der Realität gar keine drastischen Mittel benötigen, um zu ihrem Ziel zu gelangen, dass ihre Manipulation schleichend und unbemerkt geschieht, ohne physischen Kollateralschaden. Zur Ehrenrettung der Verantwortlichen sei gesagt, dass sie ihren „Fehler“ selbst bemerkten und Carver demnach zum augenrollenden Irren machten. Wenn man das akzeptieren mag, ist TOMORROW NEVER DIES durchaus witzig. Als Diskussionsbeitrag zum Thema „Medienmanipulation“ eignet er sich eher weniger.

Wunderschön finde ich den Finalmoment, wenn Bond nach erbittertem Kampf gegen Carvers deutschen Kettenhund Stamper (Götz Otto) ins Wasser springt, wo die gefesselte Wai Lin (Michelle Yeoh) kurz vor dem Ertrinken steht. Sie, eine toughe, selbstständige chinesische Agentin, hat bis zu diesem Zeitpunkt alle Avancen des britischen Agenten an sich abprallen lassen, doch jetzt vereinen sich beide unter Wasser unter dem Vorwand der Beatmung in einem innigen Kuss. Es ist eine perfekt getimete, gleichermaßen pulpige wie wunderschöne Pointe eines turbulenten Showdowns, und zudem ein traumhaftes Bild, wie die beiden da schwerelos im Wasser treiben, das von den über der Oberfläche tosenden Flammen illuminiert wird. Es ist auch ein schöner, romantischer Kontrapunkt zur sonst auffallenden Technokratie. Die Technik spielt natürlich in allen Bonds eine überaus wichtige Rolle, aber in TOMORROW NEVER DIES steht sie besonders im Vordergrund. In der Erinnerung spielt der Film fast ausschließlich in von flackernden Bildschirmen beleuchteten Innenräumen, Natur gibt es fast gar nicht zu sehen. Mit etwas mehr Ambitionen würde ich jetzt versuchen, das als Paradigma des Films zu interpretieren, aber Spottiswoode inszeniert so auf den vordergründigen Thrill hin, legt einen innerhalb der nun nicht gerade für Tiefsinn bekannten Reihe solch seichten Film vor, dass exegetische Hohenflüge ein bisschen zu sehr den Methoden Carvers glichen: „Mit Kanonen auf Spatzen schießen“, nennt man das, glaube ich.

goldeneyeWenn man, so wie ich derzeit, eine ganze Filmreihe in chronologischer Folge schaut, beeinflusst das ohne Frage die Wahrnehmung der einzelnen Filme. Man betrachtet jeden einzelnen Beitrag weniger für sich, sondern stellt Vergleiche an, sucht Verbindungen und Unterschiede, ordnet ein und strickt insgesamt an einer Art übergeordneten Dramaturgie. Das ist, denke ich, ein legitimer Ansatz, der mir zudem Spaß macht, aber er ist nicht unproblematisch: Man läuft Gefahr, jeden Beitrag nur noch hinsichtlich seines Platzes im Gesamtwerk zu betrachten. Eigenheiten werden zu Abweichungen von einer imaginierten Linie, oder man blendet sie gleich ganz aus, um das Bild des großen Ganzen, das man insgeheim schon gemalt hat, nicht revidieren zu müssen.

In meinem Text zu LICENCE TO KILL beschrieb ich die Brosnan-Ära gegenüber den letztlich gescheiterten Innovationsversuchen mit Dalton durchaus voreilig – von keinem seiner Bonds habe ich einen wirklich belastbaren Eindruck in Erinnerung behalten – als „Rückschritt“. Diese Diagnose lag für mich nah: Der etwas rohere Dalton-Bond war nicht akzeptiert worden und mit Brosnan feierte die Bond-Reihe zumindest in der Gunst des Publikums ihr Comeback mit einem Darsteller, um den sich die Produzenten schon zehn Jahre zuvor bemüht hatten. Brosnan, der mit seiner Rolle eines bondesken Privatdetektivs in der Fernsehserie REMINGTON STEELE eine Art Bewerbungsvideo für die Rolle als Doppelnull abgeliefert hatte, scheint auf den ersten Blick wie eine Verlängerung der Moore-Tradition: Er ist ein insgesamt glatterer Typ als Connery, ideal für den smarten, kultivierten Verführer im Smoking, gutaussehend und mit spitzbübischem Lächeln zur Selbstironie befähigt. Während Dalton als eher handfester und auch etwas durchschnittlicher Typ etwas Neues mitbrachte, wirkt Brosnan wie eine leicht angeraute Version von Moore. Aber er legt den Agenten gänzlich anders an und sorgt gemeinsam mit den neuen Autoren – Richard Maibaum, bis auf wenige Ausnahmen für alle Bond-Drehbücher verantwortlich, war 1991 verstorben – dafür, dass die Erneuerungsversuche mit Dalton letzten Endes als äußerst halbherzig und inkonsequent angesehen werden müssen. Immerhin aus inhaltlicher Sicht kann ich meine Rückschrittsbehauptung verteidigen: GOLDENEYE steht mit seinem einen irrwitzigen Plan verfolgenden Schurken, der an Science Fiction grenzenden Hightech-Waffe, dem Rückgriff auf die Kalter-Krieg-Thematik, der Verbindung von Thrill und Komik, der Gegenüberstellung von zwei attraktiven Frauen und der rasanten Aneinanderreihung von Action-Set-Pieces ganz in der Tradition, die die Serie groß gemacht hatte.

Es sind im Wesentlichen einige kurze Dialogszenen, die die Charakterisierung von Brosnans Bond konturieren und die Figur wieder mehr in Richtung „funktionierender Söldner“ interpretieren, den Connery verkörperte, bevor sie unter Moore zum dandyhaften (später altersmüden) Superhelden mutierte. Von M (Judy Dench) wird der Agent als sexist, misogynist dinosaur“ und „relic of the Cold War“ bezeichnet: In wenigen Sekunden verwandelt sich Bond vor den Augen des Zuschauers vom unhinterfragten zum Antihelden, werden seine über die Jahre zu liebenswerten Marotten degradierten Eigenschaften ganz klar benannt. GOLDENEYE geht das Dilemma der Serie damit ganz offensiv an: Mit dem Zusammenbruch der UdSSR war auch eine ganz wesentliche Bedingung weggebrochen, hatte der Agent zumindest einen Teil seiner Daseinsberechtigung eingebüßt. Die Frage, was man mit der so beliebten Figur nun eigentlich anfangen sollte, die spätestens mit Ende der Moore-Ära offen im Raum stand, wird somit auf die Handlungsebene geholt. Was fängt der Staat (die Produzenten) mit einem Relikt aus alten Tagen an? Bonds erste Konfrontation mit seinem ehemaligen Partner, dem totgeglaubten und zum Feind übergelaufenen Alec Trevelyan (Sean Bean), knüpft indes an Bonds Austausch mit Dr. No im allerersten Bondfilm und an Scaramangas Bemerkungen aus THE MAN WITH GOLDEN GUN an: Trevelyan nennt Bond „her majesty’s loyal terrier, defender of the so-called faith“, fragt ihn, ob „all those vodka martinis ever silence the screams of all the men you’ve killed… or if you find forgiveness in the arms of all those willing women for all the dead ones you failed to protect“ und stellt schließlich die ganze Legitimität ihres Berufs in Frage: „Did you ever ask why? Why we toppled all those dictators, undermined all those regimes?“ Bond ist williger Helfer eines Systems, dessen Rechtmäßigkeit er gelernt hat, nicht zu hinterfragen. Und Trevelyan ist so etwas wie der Kontingenz-Beweis: Seine Eltern starben nach dem Zweiten Weltkrieg in einem russischen Gefangenenlager durch den Verrat des Empires, das ihnen seine Hilfe zugesagt hatte. Das Relikt Bond ist ein Vollstreckungsgehilfe, überzeugter Vertreter überkommener Werte und somit zu einem Verwandten all jener alten Seelen, die so oft im Zentrum des Actionkinos stehen: Männer, die sehen, wie die Welt sich um sie herum verwandelt, und die nun dagegen ankämpfen, auf dem Schrottplatz der Geschichte entsorgt zu werden. Nach Jahren der bloßen Verwaltung ist GOLDENEYE der erste Bond, der etwas Neues zu sagen hat.

Formal knüpft er indes nahtlos an seine Vorgänger an, lediglich den Soundtrack von John Barry vermisst man angesichts des etwas ziellosen Geklimpers von Eric Serra. Der Opening Shot ist einer der schönsten der ganzen Serie, die Pre-Title-Sequenz, auf deren Höhepunkt Bond mit dem Motorrad einem abstürzenden Flugzeug hinterher springt, ist schierer Wahnsinn, und es gibt sogar wieder eine sonnendurchflutete, romantische Pause, bevor der Film sich in den Showdown stürzt. Campbell inszeniert mit großer visueller Eleganz, aber ohne den in den Moore-Jahren vorherrschenden, ironisierenden Camp-Appeal. So bleibt ein starker Bond mit lediglich kleinen Schwächen, die ich mit meiner Neunzigerjahre-Ablehnung in Verbindung bringe: Alan Cummings vereint als russischer Hacker alle Nerdklischees auf sich, vom Hawaiihemd über die Notgeilheit bis zum nervösen Tic, und die göttliche Famke Janssen hätte ihre eh schon absurde, nymphoman und sadomasochistisch angelegte Schurkin Xenia Onatopp durchaus etwas zurückhaltender spielen dürfen. Für mich war der Film insgesamt aber eine mehr als positive Überraschung. Ich hatte ihn als äußerst mäßig in Erinnerung behalten und nehme daher an, dass ich ihn damals von vornherein scheiße finden wollte. Das ist er nicht, ganz im Gegenteil.

6_236-237_ltk_optIn meinem Text zu THE LIVING DAYLIGHTS hatte ich vorgegriffen und LICENCE TO KILL als „finanziellen Flop“ tituliert: Das ist nicht ganz falsch, da der Film in den USA von allen Bonds tatsächlich am wenigsten einspielte, in den Konkurs stürzte er die Produzenten aber gewiss nicht. Dennoch, ein Rücklauf des Interesses und eine gewisse Unzufriedenheit mit der Entwicklung des Franchises sowohl aufseiten der Produzenten wie auf der der Zuschauer, ließ sich kaum verhehlen. Die düsterere, ernstere, auch realistischere Ausrichtung mit einem auf eigene Faust kämpfenden Bond und einer deutlichen Anhebung des Gewaltlevels stieß nicht auf uneingeschränkte Gegenliebe. LICENCE TO KILL war der erste Bondfilm, der erst nach zahlreichen Kürzungen den Weg in die britischen Kinos fand, und er bietet zwei Haifütterungen und die Verarbeitung Benicio del Toros zu Geschnetzeltem als besonders blutige Höhepunkte an, die das saubere Familienentertainment sabotierten. Mit 25 Jahren Abstand außerhalb seines historischen Kontextes betrachtet, mutet der damalige Aufschrei angesichts heutiger CGI-Blutfontänen und allgegenwärtiger grittiness etwas übertrieben an, genauso wie die Klage, LICENCE TO KILL sei zu sehr aus der Art geschlagen: Meiner Meinung nach ist John Glens letzter Beitrag zur Serie an deren Essenz nämlich deutlich näher dran als der vorangegangene THE LIVING DAYLIGHTS.

Hatte Dalton den Bond dort noch als ritterlichen Kämpfer in einem Hightech-Abenteuermärchen interpretiert (übrigens auch auf eigene Faust operierend), wird er in diesem Rachethriller von seinen Emotionen übermannt und geht mit der Härte, Zielstrebigkeit und Effizienz vor, die auch Connery als Geheimagent an den Tag legte. Als Gegner steht ihm dabei mit dem Drogenbaron Franz Sanchez (Robert David) ein in seinen Plänen zwar durch und durch weltlich denkender Schurke gegenüber, aber dennoch einer, der seinen zahlreichen größenwahnsinnigen Vorgängern in Sachen Reichtum, teuflischer Grausamkeit und skrupelloser Dienerschaft in nichts nachsteht. Da waren Bonds Gegner in THE LIVING DAYLIGHTS – ein weitestgehend harmloser Hochstapler und ein aufgeplusterter, aber doch auch irgendwie eher komischer Waffenhändler – deutlich weniger bedrohlich. (Den tollen Robert Davi in einer solch prominenten Rolle zu sehen ist wunderbar, durfte er doch wenig später allenfalls kleinere Produktionen und Videofilme mit seiner charismatischen Präsenz bereichern. Und die Wahl des Las-Vegas-Crooners Wayne Newton für die Rolle des zwielichtigen Sektenführers ist kaum weniger inspiriert.) Die Settings entführen den Zuschauer wieder in exotisch-sonnige Gefilde voll mondänem Chic und dem schillernden Türkis des Meers, anstatt in die ausgedörrte Ödnis Afghanistans. Konzentrierte 007 seine amourösen Ambitionen zuvor ganz auf eine Frau, so ringen hier gleich zwei attraktive Damen um seine Aufmerksamkeit, ganz wie in alten Zeiten. Wie Bond sich in Sanchez‘ Organisation einschleicht, erinnert ebenfalls daran, wie er sich zuvor an seine Zielpersonen herangepirscht hatte, und letzten Endes unterscheidet sich sein Ziel hier kein Iota von seinen üblichen Missionen: Es geht darum, einen Schurken dingfest zu machen und ihn nebenbei an der Ausführung seiner Pläne zu hindern. Dabei steht ihm Q sogar in einer diesmal besonders ausgedehnten Rolle zur Seite, und es gibt zahlreiche Set Pieces, die Gelegenheit für die spektakulären Stunts bieten, die man von der Serie mittlerweile gewohnt ist. Dass Bond stärker als sonst persönlich involviert ist, ist eigentlich ein eher nebensächliches Detail. LICENCE TO KILL ist ausgezeichnet, als harter Actionfilm, aber auch als eleganter Agententhriller, und es gelingt ihm besser als dem direkten Vorgänger, das Bedürfnis nach Erneuerung und Auffrischung mit der Tradition zu versöhnen.

Das interessante Verhältnis, dass LICENCE TO KILL zu dieser eigenen Tradition unterhält, zeigt sich sowohl in der Verwendung des Titels als auch im dazugehörigen Song von Gladys Knight: Ersterer handelt gerade davon, wie dem Helden die berühmte „Lizenz zum Töten“ – wie die Vorstellung des Agenten und seine Getränkpräferenz eines der unverzichtbaren Mantras der Reihe – entzogen wird (ein Arbeitstitel lautete dann auch „Licence Revoked“). Er bedient sich sozusagen des Wiedererkennbaren und stellt es dann auf den Kopf. So ähnlich, wie der Titelsong auf der Bläserfanfare aus Shirley Basseys „Goldfinger“ basiert, die das Hymnisch-Triumphale hier aber mit einer bedrohlichen Unterströmung versieht. Es ist schon komisch, was die Zeit mit der Wahrnehmung anstellt: LICENCE TO KILL gilt heute als rehabilitiert und im Grunde genommen ist er deutlich näher dran an dem, was Martin Campbell 2006 mit CASINO ROYALE realisierte, als die aus heutiger Perspektive als kleiner Rückschritt bewertbaren Brosnan-Bonds. Die härtere, rohere Aurichtung des Craig-Bonds wurde weitestgehend begeistert aufgenommen, während man ganz ähnliche Versuche 1989 noch als Stilbruch und Sündenfall empfand. Timothy Dalton kann sich für die verspätete Wertschätzung freilich nichts mehr kaufen. Er hatte das Pech, dass die Zeit für seine Interpretation von Bond noch nicht reif wahr. 15 Jahre Roger Moore ließen sich einfach nicht innerhalb des normalen Veröffentlichungszyklus tilgen. Es folgte mithin eine sechsjährige Pause, die längste innerhalb der Reihe überhaupt. Hier geht es schon morgen weiter mit GOLDENEYE.