Mit ‘Jennifer Jason Leigh’ getaggte Beiträge

FAST TIMES AT RIDGEMONT HIGH habe ich hier in den vergangenen Beiträgen bereits mehrfach erwähnt. Seine Bedeutung für die Teeniekomödie ist kaum zu überschätzen, in den USA wird der Film geradezu kultisch verehrt, nicht zuletzt weil er Jungstars wie Jennifer Jason Leigh, Phoebe Cates, Forest Whitaker, Eric Stoltz, Anthony Edwards oder Nicolas Cage auf den Weg brachte. Sean Penn spielte sich mit seiner Darstellung des immer bekifften Surfers Jeff Spicoli in die Herzen der jugendlichen Zuschauer und schuf einen Charakter, der seitdem wohl dutzendfach imitiert wurde (am populärsten etwa in BILL & TEDS EXCELLENT ADVENTURE). In Deutschland scheint mir der Film eher weniger bekannt, was wohl auch dem ultimativ nichtssagenden und austauschbaren Verleihtitel ICH GLAUB‘ ICH STEH‘ IM WALD zuzuschreiben ist, der wüsten Klamauk suggeriert, den Heckerlings Film eher nicht bietet.

Schon die Entstehungsgeschichte von FAST TIMES AT RIDGEMONT HIGH ist interessant: Rolling-Stone-Journalist Cameron Crowe kam, gelangweilt von seiner Arbeit, auf die Idee, sich als Highschool-Schüler auszugeben und sozusagen „undercover“ noch einmal zur Schule zu gehen. Seine Erlebnisse während dieser Schulzeit hielt er im gleichnamigen Roman fest, der noch vor seine Veröffentlichung das Interesse Hollywoods weckte und für eine Adaption optioniert wurde. Crowe selbst schrieb auf Grundlage seines Buches das Drehbuch und der Film, der weder groß beworben wurde noch namhafte Stars aufwies, entwickelte sich in der Folge zu einem Geheimtipp. FAST TIMES AT RIDGEMONT HIGH startete demnach nicht nur die Karrieren der oben aufgezählten Jungdarsteller, sondern auch die von Cameron Crowe, der nur wenig später das Script zum Quasi-Sequel THE WILD LIFE vorlegte und 1989 schließlich den ebenfalls sehr verehrten SAY ANYTHING inszenierte. SINGLES, dem Film zum Grunge-Hype, folgten u. a. der Oscar-prämierte JERRY MAGUIRE und schließlich der autobiografische ALMOST FAMOUS. Erstaunlich angesichts dieses Hintergrundes, dass Crowes Buch seit Jahren OOP ist.

FAST TIMES AT RIDGEMONT HIGH hat keine geschlossene Handlung, sondern kreist um eine Gruppe von Schülern während eines nicht näher definierten Schuljahres: Jeff Spicoli interessiert sich mehr für Parties als für den bevorstehende Abschluss und wird von seinem strengen, aber fürsorglichen Lehrer Mr. Hand (Ray Walston) in die Mangel genommen. Stacy (Jennifer Jason Leigh) sehnt sich angestachelt von ihrer erfahrenen Freundin Linda (Phoebe Cates) nach dem ersten Mal und wird schließlich vom „hustler“ Mike Damon (Robert Romanus) geschwängert. Ihr Bruder Brad (Judge Reinhold) arbeitet in einem Burgerladen an der großen Karriere, erfährt aber eine herbe Enttäuschung, als er von seinem Chef kurzerhand gefeuert wird. Der schüchterne Mark (Brian Backer) ist wiederum in Stacy verliebt und muss miterleben, wie sein bester Freund Mike sie ihm ausspannt und benutzt. Diese eigentlich bekannten Geschichten erzählt Heckerling zum Teil mit großen Zeitsprüngen, aber hoher Sensibilität für jugendliche Befindlichkeiten und einem Gespür für die markanten Details, die dafür sorgen, dass sie sich echt anfühlen.

Herausstechend ist die Episode um Stacy, deren Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht überaus ernüchternd sind und nichts mit dem zu tun haben, was ihr Linda einflüstert: Von einem zehn Jahre älteren Weiberheld wird sie sehr unromantisch des Nachts im Dugout des örtlichen Baseballfelds entjungfert, Mike beglückt sie erst mit einer frühzeitigen Ejakulation, ignoriert sie anschließend und gibt ihr schließlich die alleinige Schuld, als sie ihm von ihrer Schwangerschaft berichtet. Obwohl er ihr verspricht, sie zur Abtreibungsklinik zu begleiten, lässt er sie sitzen, sodass sie sich von ihrem nichts ahnenden Bruder chauffieren lassen muss, dem sie eine Verabredung im Bowling Center vorgaukelt. Man spürt die weibliche Hand in der Inszenierung dieser Sequenz, die ganz ohne aufgesetzte TV-Movie-Drama und ohne die oft obligatorischen marktschreierischen OP-Szenen auskommt. Im Rahmen der Teeniekomödie, die Sex vor allem aus männlicher Perspektive betrachtete und sich eher selten mit seinen Konsequenzen auseinandersetzte, markiert sie eine bemerkenswerte Ausnahme. Besonders beachtlich: Die Entscheidung Stacy selbst wird nicht hinterfragt, wie das sonst gang und gäbe ist. Es gibt keine Ausflüge in den Beichtstuhl, keine Exkurse über den Wert des ungeborenen Lebens, keine Liebäugelei mit einer Teeniemutterschaft. Stacy tut, was sie tun muss und Drehbuch wie Regie stehen ihr dabei ganz ohne elterliche Bevormundung zur Seite. Diese Haltung ist noch heute, fast 40 Jahre später, nicht selbstverständlich.

Nach einer Lieblingsfigur gefragt, dürften die meisten Freunde des Films Jeff Spicoli nennen: Sean Penn hat die witzigsten Momente und die zitierwürdigsten Dialogzeilen abbekommen, ist von seiner Rolle des Stoners kaum zu trennen. Auch Robert Romanus darf seinem unerfahrenen Zögling Mark als altersweiser „Berater in Liebesdingen“ geschliffen formulierte Ratschläge mit auf den Weg geben und Phoebe Cates hat mit ihrer Oben-ohne-Szene den wahrscheinlich ikonischsten Auftritt des ganzen Films (der wahrscheinlich unzählige Onanie-Sessions beflügelte – ganz wie im Film selbst). Wenn ich mich entscheiden müsste, so würde ich wahrscheinlich Brad nennen, der das tragikomische Element von FAST TIMES AT RIDGEMONT HIGH ausmacht und mit Judge Reinhold wahrhaft kongenial besetzt ist. Er verkörpert den herzensguten Pechvogel mit jeder Faser seines Körpers und wenn er am Ende seinen großen Triumph feiert, nachdem er ein 90-minütiges Tal der Tränen durchwandern musste, gönnt man ihm das als Betrachter von ganzem Herzen. Die Idee, die Zukunft seiner Protagonisten am Ende in einer kurzen Texteinblendung vorherzusagen, haben Heckerling und Crowe aus Lucas‘ AMERICAN GRAFFITI übernommen und im Sinne ihres Films verbessert, indem sie auf unnötige Downer, die einem die Freude nachträglich verderben, verzichtet haben. Überhaupt muss ich den ausnehmend optimistischen Blick, den Heckerling auf das Leben wirft, loben. Selbst ein Charakter wie Mike Damone wird nicht zum „Schurken“ degradiert: Er hat sich wie ein Arschloch verhalten, ja, aber der Film gesteht ihm eine Entwicklung zum Positiven zu. Das scheint dann auch die wesentliche „Aussage“ des Films zu sein, wenn man eine solche denn unbedingt herausfiltern möchte: Die Jugend ist eine Zeit, in der man Erfahrungen sammelt. Diese beinhaltet Enttäuschungen und Fehltritte genauso wie Erfolge und Glücksmomente. Entscheidend ist, dass man nicht auf der Stelle stehen bleibt, sondern mit seinen Erfahrungen wächst. Schön, dass FAST TIMES AT RIDGEMONT HIGH einem dies vermittelt, ohne dabei auch nur einmal den belehrenden Zeigefinger zu heben.

 

 

So wie ich das mitbekommen habe, war ANNIHILATION im vergangenen Jahr hierzulande vor allem deshalb mediales Gesprächsthema, weil Netflix sich weigerte, den von EX MACHINA-Regisseur Alex Garland inszenierten Film an deutsche Kinos zu verleihen, auch wenn diese explizit den Wunsch äußerten, ihn zu zeigen. In meiner Social-Media-Blase schloss sich daran eine bis heute nicht wirklich abgeebbte Diskussion über das Geschäftsgebaren von Netflix, die Pros und Contras von Streaming-Portalen, die Zukunft des Kinos sowie darüber, wie man denn Film nun „richtig“ zu sehen habe, an. Über den Film wurde dabei meines Wissens eher nicht gesprochen: Wie denn auch, es hatte ihn ja bis zu diesem Zeitpunkt noch niemand sehen können. Aber es schien klar, dass ANNIHILATION im Idealfall in deutschen Kinos gezeigt werden solle (vor allem, da ja eine offenkundige Nachfrage danach bestand), weil Film nun einmal auf die große Leinwand gehöre – und natürlich, weil das in den USA und Großbritannien auch möglich gewesen war. Allerdings hatte Garlands Film sein mit 40 Millionen Dollar nicht eben übermäßig beeindruckendes Budget in den USA nicht annähernd wieder eingespielt: Wahrscheinlich nur ein weiteres Argument für Netflix, von einer kostenintensiven Kinoauswertung abzusehen

ANNIHILATION basiert auf dem gleichnamigen ersten Band der von Jeff VanderMeer verfassten Southern-Reach-Trilogie. Im Zentrum der Geschichte steht die Biologin Lena (Natalie Portman), deren Ehemann, der Soldat Kane (Oscar Isaac), auf eine rätselhafte Mission geschickt wird, von der er erst ein Jahr später völlig verändert zurückkehrt – und dann verwirrt und blutspuckend zusammenbricht. Die Wissenschaftlerin Ventress (Jennifer Jason Leigh) erklärt Lena, was vorgefallen ist: Kane war Teil eines Erkundungstrupps, der in das sogenannte „Shimmer“ geschickt wurde, einer Art sich langsam aber unaufhörlich ausbreitender Dunstglocke wahrscheinlich außerirdischen Ursprungs. Lena erklärt sich bereit, mit vier anderen Frauen ebenfalls ins Shimmer vorzudringen, um herauszufinden, was dort mit ihrem Mann passierte. Hinter dem Vorhang finden die Frauen eine völlig veränderte Welt vor, in der die Gene aller Lebewesen immer wieder neu kombiniert werden und zu bizarren Mutationen führen …

Alex Garland widmet sich mit ANNIHILATION einer Spielart der Science Fiction, die eher nicht im Mainstream beheimatet ist. Als Vergleich fallen Filme wie Tarkowskis STALKER oder SOLARIS sowie Kubricks 2001: A SPACE ODYSSEY (oder auch Aronofskys THE FOUNTAIN) ein: Filme, in denen es nicht in erster Linie um Action und die Zurschaustellung von Technik geht, sondern um die Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen und das Erzeugen einer bestimmten Atmosphäre. Letzteres bewerkstelligt Garland vor allem mithilfe seines Scores, der introvertierten Singer/Songwriter-Pop, fremdartige Soundcollagen und experimentell anmutende Synthie- und Elektroklänge maximal effektiv miteinander kombiniert. ANNIHILATION konfrontiert den Betrachter nicht mit Spektakel, sondern nimmt ihn an der Hand und geleitet ihn behutsam in diese fremde Welt, die sich wie ein Traum vor ihm eröffnet. So entfaltet der Film eine meditative Stimmung, die sehr gut zur Haltung Lenas passt. Die Expedition führt die Protagonistin in eine andere Welt, ja, aber gleichzeitig tritt sie auch eine Reise in ihr eigenes Innenleben an. Die rätselhafte Präsenz wirft ihre Wahrnehmung durcheinander, verändert ihr Zeitempfinden sowie schließlich ihren Körper und ihr gesamtes Sein. Sind die Lena und der Kane, die das Shimmer am Ende anscheinend gesund verlassen, tatsächlich noch die Menschen, die es betreten haben?

Die titelgebende „Auslöschung“ – so die deutsche Übersetzung des Originaltitels – findet gleich auf mehreren Ebenen statt: Sie bezieht sich zum einen ganz einfach auf die existenzielle Bedrohung, die von der außerirdischen Dunstglocke und den unter ihr beheimateten Kreaturen ausgeht, aber noch vielmehr überhaupt auf die Auflösung jeglicher trennender Elemente zwischen den die Welt bewohnenden Organismen. Im Shimmer, so bemerken die Forscherinnen, ist alles eins, bestimmt ein allem übergeordneter Strukturwille die Gestalt aller Lebewesen. Es ist die radikale Interpretation des einleitenden Off-Kommentars Lenas, die darüber referiert, dass alles irdische Leben auf eine einzelne Zelle zurückzuführen ist. In gewisser Weise ist ANNIHILATION ein religiöser Film, der einer Art aufgeklärtem, naturwissenschaftlich unterfüttertem Pantheismus anhängt. Der Mensch ist eingewoben in ein riesiges Geflecht des Lebens, aus demselben Stoff wie die Bäume, Pflanzen und Tiere, die ihn umgeben. Schon diese Erkenntnis ist Teil der „Auslöschung“, weil der Mensch mit dem Wissen über seine „Verflechtung“ auch akzeptiert, dass er nur ein fließender Teil eines größeren Ganzen ist, „Bewusstsein“ und „Individualität“ im Grunde nur Illusionen, die ihm das genetische Programm einimpft. Während die Todesschreie der Forscherin Sheppard (Tuva Novotny), die von einer Kreuzung aus Bär und Wildschwein zerrissen wird, fortan als verzerrtes Röhren aus dessen Maul dringen und sich Lena am Ende einem außerirdischen Spiegelbild ihrer selbst stellt, wählen die todkranke Expeditionsleiterin Ventress und die Programmiererin Radek (Tessa Thompson) die freiwillige Auflösung: Vendress explodiert förmlich in Licht, Radek verschwindet ganz einfach vom Erdboden, der sie wahrscheinlich in sich aufgenommen hat. Ob man das nun für esoterischen Kokolores oder anregende Wissenschaftsphilosophie hält, sei mal dahingestellt. Es spricht nämlich Einiges dafür, dass Garland seinen Stoff als überaus treffende Verbildlichung von Trauerarbeit und Traumabewältigung betrachtete, es ihm mithin gar nicht so sehr um eine außerirdische Bedrohung oder naturwissenschaftliche Spekulationen ging, sondern vor allem um psychische Prozesse. So hatte ich gegen Ende des Films sogar die Befürchtung, ANNIHILATION könne mit einem gar nicht mal so überraschenden Plottwist alle Phänomene, die er vorher so prachtvoll ins Bild gerückt hatte, als Halluzinationen Lenas enttarnen, einer Frau, die den Tod ihres geliebten Ehemanns einfach nicht verarbeiten konnte. Zum Glück geht Garland nicht so weit, aber er lässt diese Interpretation als Möglichkeit gewissermaßen mitlaufen. Dieses gleichberechtigte Nebeneinander von Innen und Außen zeichnet ANNIHILATION aus und es passt natürlich zu einer außerirdischen Intelligenz, die alles Leben in einem gigantischen Prisma spiegelt und vervielfacht.

Mir hat ANNIHILATION ausgezeichnet gefallen: Ich mochte seine Stimmung, diese gleichgültige Stille, die den Film gefangen nimmt, und dass seine durchaus happigen Effektszenen immer als Akzente gesetzt werden, den schlafwandlerischen Rhythmus des Films aber nie auflösen. Es gelingt Garland meines Erachtens ausgezeichnet, ein Gefühl der Fremdartigkeit und des Unbegreiflichen in Bild und Ton einzufangen, ohne dabei in die totale Abstraktion abzugleiten. Der Film bleibt durch seine Erdung in einem für jeden nachvollziehbaren emotionalen Konflikt immer greifbar, auch wenn er sich in die Sphäre eines Gedankenexperiments erhebt. Mit markanten Bildern geizt ANNIHILATION zwar nicht, dennoch fühlte ich mich von ihm nie angesprungen oder überrumpelt. Während andere Genrefilme oft in die Falle tappen, die im Plot gemachten Versprechungen durch Überexposition mit halbgaren CGI nicht einlösen zu können, möchte man bei ANNIHILATION eher mehr von dieser rätselhaften Welt und den Schöpfungen, die sie hervorbringt, sehen. Ob aus den ursprünglich wahrscheinlich angedachten Fortsetzungen indes etwas wird, erscheint nach dem mäßigen Erfolg eher fraglich. Ob die Produzenten noch einmal bereit sind, tief in die Tasche zu greifen? Wobei „tief“ eh relativ ist, denn ANNIHILATION wurde gemessen an Exzessen wie jenen des MCU nahezu für Peanuts produziert. Ich bin mir nach der Betrachtung auch gar nicht mehr so sicher, ob die Entscheidung, ihn ins Kino zu bringen, nicht eher nachträglich gefällt wurde: Speziell in den Dialogszenen sieht ANNIHILATION sehr fernsehmäßig aus, farbarm und matschig in den dunklen Tönen. Es ist der einzige echte Kritikpunkt, den ich habe.

 

 

 

Das Tolle an der Filmografie der Coens ist ja nicht nur, dass sie es über einen Zeitraum von (mindestens) gut 20 Jahren geschafft haben, auf einem gleichbleibend hohen Niveau zu arbeiten: Es ist ihnen dabei auch gelungen, einen unverwechselbaren Stil zu schaffen, ohne jemals auf der Stelle zu treten. Jeder ihrer Filme ist ein echter Coen, aber dennoch ist keiner wie der andere. So kommen nach dem eleganten Gangsterfilm MILLER’S CROSSING und dem kafkaesk-schwarzhumorigen Kammerspiel BARTON FINK in THE HUDSUCKER PROXY wieder die Capra-Anleihen und Cartoon-Elemente zum Zuge, auf die man bereits in RAISING ARIZONA einen Vorgeschmack erhielt. Neu ist hingegen der deutliche Screwball-Einfluss, der auch später noch eine Rolle spielen wird, und perfekt ins Bild passt.

Der Voice-over-Erzähler (Bill Cobbs) etabliert zu den Bildern eines monochrom und flächig strahlenden nächtlichen Manhattans, wie man es aus alten Schwarzweiß-Filmen der Vierziger und Fünfzigerjahre kennt, den märchenhaften Ton, den wir mit den morality tales von Frank Capra assoziieren. THE HUDSUCKER PROXY erzählt die urtypisch amerikanische Geschichte, wie ein Landei vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigt, auf dem Gipfel des Ruhms seine Wurzeln vergisst und während des unvermeidlichen tiefen Falls Demut lernen muss, um als gereifter, besserer Mensch aus dem Erlebnis hervorzugehen. Die Coens wären nicht die Coens, wenn sie diese Geschichte mit blinder Naivität erzählten, aber als Filmliebhaber und -kenner besitzen sie glücklicherweise genug Stilsicherheit, auch nicht in herablassenden Ironiemodus zu verfallen. Die Zuneigung zu dem gutmütigen Einfaltspinsel Norville Barnes (Tim Robbins) ist genauso echt wie die Begeisterung für die große Kunst von Kinomagiern wie eben Frank Capra und Preston Sturges – und der Glaube an den amerikanischen Traum. Das Wissen darum, dass der sich auch als Albtraum entpuppen kann, ist damit nicht ausgeschlossen. Er verleiht dem Film die nötigen Kanten. Wie passend, dass sich die gesamte Komposition des Films aus dem Kontrast von geraden, scharfen Linien und einer sanften Kreisbewegung beschreiben lässt.

THE HUDSUCKER PROXY ist ein komplett durchgestylter Film: Das beginnt bei der Dramaturgie, deren kreisförmiger Verlauf sich im wichtigsten Requisit des Film widerspiegelt, setzt sich fort in den großartigen Settings, die an den deutschen Expressionismus oder auch an das erinnern, was man heute „Steampunk“ nennt: Einer von Set-Designer Dennis Gassners großen Einflüssen war unverkennbar Terry Gilliams BRAZIL. (Interessant auch, wie THE HUDSUCKER PROXY in seiner märchenhaften Naivität trotzdem als intelligent-klarsichtiges Spiegelbild einer Yuppie-Hymne wie THE SECRET OF MY SUCCESS gesehen werden kann: Man beachte die offenkundigen Gemeinsamkeiten.) Die Dialoge belegen einmal mehr das unfehlbare Timing und Sprachgefühl, das die Coens – hier in Gemeinschaftsarbeit mit Sam Raimi – in ihrer Karriere immer wieder an den Tag legten und Jennifer Jason Leigh ist als Katharine-Hepburn-Approximation einfach zum Niederknien, die cartoonesken Slapstick-Einlagen sitzen auf den Punkt. Wer sich hier und da an Raimis CRIME WAVE erinnert fühlt, liegt damit sicherlich nicht ganz falsch: Das Script zu THE HUDSUCKER PROXY entstand bereits in den frühen Achtzigerjahren und wurde unter anderem während der Dreharbeiten zu besagtem Film geschliffen (an dem wiederum die Coens als Autoren und Bruce Campbell als Nebendarsteller beteiligt waren). Aber bei aller Künstlichkeit verrät der Film nie sein Herz, das er vor allem Tim Robbins zu verdanken hat (nicht auszudenken, wenn Produzent Joel Silver Tom Cruise als Hauptdarsteller durchgedrückt hätte). Sein hoffnungslos gutherzig-naives Landei Norville Barnes zieht mit seinem entwaffnenden Grinsen und dem erwartungsvollen Enthusiasmus, mit dem er immer wieder eine Skizze seiner großen Erfindung – einen Kreis – vorzeigt, alle Zuschauersympathien magisch an. Wie göttlich ist diese Lachmontage, bei der er sich vor ungläubiger Freude über den eingetretenen Erfolg kaum halten kann? Natürlich fiebern wir auch deshalb mit ihm mit, weil wir mehr wissen als er: nämlich dass er nur der nützliche Trottel in den finsteren Plänen des Kapitalisten Sidney J. Mussburger (Paul Newman) ist. Und weil wir ein Herz für den Underdog haben und ihm den Erfolg von Herzen gönnen.

Im echten Leben klappt das leider nicht so gut wie im Kino: Nach vielen kleinen Filmen, mit denen die Coens vor allem bei den Kritikern punkteten, sollte THE HUDSUCKER PROXY der große Mainstream-Erfolg werden, doch der Film ging fürchterlich baden, spielte gerade einmal ein Zehntel seines üppigen 25-Millionen-Budgets wieder ein. Schade, denn nach den bei allen humoristischen Anflügen doch eher dunklen Vorgängern war THE HUDSUCKER PROXY wirklich ein Film zum Liebhaben, Kino für die ganze Familie sozusagen. Wahrscheinlich fiel er dem Tatbestand zum Opfer, der heute ja längst zementiert ist: Er war einfach zu sophisticated für die breite Masse, deren filmisches Geschichtsbewusstsein eben nicht bis in die Vierzigerjahre zurückreichte, zu unverstellt für von Ironie und Coolness gestählte Herzen, zu magisch für auf Realismus und Authentizität fixierte Sehgewohnheiten. Die große Rehabilitation dieses wunderschönen Films steht leider noch aus, auch wenn Cineasten natürlich längst wissen, was für ein Zauberwerk die Coens geschaffen haben: THE HUDSUCKER PROXY ist bis heute nur über die On-Demand-Schiene namens Warner Archives Collection auf Blu-ray erhältlich. Es sollte einige Jahre dauern, bis sich die Coens mit INTOLERABLE CRUELTY erneut an einer Screwball-Komödie versuchten. Um die Kreisbewegung von THE HUDSUCKER PROXY hier aufzunehmen: Der geneigte Zuschauer musste sich nicht grämen, denn die Vielseitigkeit der Coens garantierte, dass der Rebound fulminant ausfallen würde. Next Stop: FARGO.

f001Back in the day, als Quentin Tarantino mit PULP FICTION zum vielleicht größten amerikanischen Regisseur der Neunzigerjahre avancierte, da konnte er fast nichts falsch machen. Diskussionen begleiteten sein Schaffen zwar schon damals – Michael Madsens Tänzchen aus RESERVOIR DOGS erhitzte die Gemüter genauso wie der unabsichtliche Kopfschuss oder der sehr freie Gebrauch des N-Worts -, aber der wenn auch zerknirscht konstatierte Konsens hinter den Debatten besagte ohn Zweifel, dass Tarantino tatsächlich eben jenes Wunderkind war, als das man ihn medial gern bezeichnete. Monografien wurden über ihn verfasst, noch bevor seine dritte Regiearbeit erschienen war, Trittbrettfahrer kopierten seinen Stil und sorgten für eine wahre Flut von spektakulär besetzten Filmen über geschwätzige Killer und skurrile Zwielichtkreaturen.

Heute, 20 Jahre später, ist ein neuer Tarantino-Film immer noch Anlass für große Aufregung, noch dazu aus fast genau denselben Gründen wie damals, aber der Tenor hat sich, meine ich, seit einigen Jahren verändert. Die, die ihn damals schon für überschätzt, seinen Umgang mit Gewalt und der Rassenthematik problematisch fanden, fühlen sich mit jedem neuen Film bestätigt in ihrem Urteil, und die, die ihn einst vehement gegen die Kritiker verteidigten, sind mittlerweile gelangweilt davon. Was früher als des Regisseurs höchst eigener Stil galt – die popkulturellen Referenzen, die manirierten, ausufernden Dialoge, die Gewaltschübe inmitten der Komik -, wird heute als totgerittene Masche empfunden. Kurz gesagt: Das Wunderkind, das enfant terrible hat es versäumt, endlich erwachsen zu werden, sich weiterzuentwickeln. Die Aufregung um seinen neuesten Film, THE HATEFUL 8, erreichte – geschürt durch die marketingträchtige Entscheidung, den Film auf 70 mm zu drehen und in dieser Form in ausgewählten Kinos zu zeigen – dabei ganz neue Ausmaße. Erneut konstatierten einige Rezensenten, dass QT den Bogen nun aber endgültig überspannt habe, zogen seine Entscheidung infrage, einen Film, der eh nur in einem Raum spielt, auf 70 mm abzulichten, ekelten sich ob der „selbstzweckhaften“ Splattereffekte und fanden THE HATEFUL 8 schlicht „langweilig“. Aber welche Meinung man zu dem streitbaren Filmemacher auch einnehmen mag, man muss anerkennen, dass es derzeit keinen anderen gibt, dessen Arbeiten ähnliche Reaktionen zu entfachen in der Lage sind.

Meiner ganz unbescheidenen Meinung nach hat Tarantino mit THE HATEFUL 8 nicht weniger als einen seiner allerbesten Filme vorgelegt und sich nach dem tatsächlich eher faden, masturbatorischen DJANGO UNCHAINED nicht nur seiner Stärken besonnen, sondern konsequent den Rahmen geschaffen, um sie zum Leuchten zu bringen. Die Kritik, seine Filme seien „verlabert“ und „statisch“, begleitet ihn ja nun schon seit einigen Jahren – nicht ganz zu Unrecht. In THE HATEFUL 8 fällt dies nun vielleicht zum ersten Mal seit RESERVOIR DOGS überhaupt nicht mehr ins Gewicht, weil es sich konsequenterweise um ein Kammerspiel handelt, angesiedelt in zwei ganz und gar abgeschlossenen Räumen (einer Kutsche und der Abgeschiedenheit von „Minnie’s Haberdashery“). In seiner ganzen Dramaturgie, die wie ein Whodunit auf die große Auflösung hinausläuft (und Samuel L. Jacksons Major Marquis Warren einmal gar als geistigen Ahnen von Hercule Poirot in Erscheinung treten lässt), dem moritatenhaften Charakter der Erzählung und der Thematisierung von Dichtung und Wahrheit kommt Tarantino in seinem neuesten Film ganz zu sich und seiner Vorstellung von Kino. Was nicht bedeutet, dass es nicht hier und da Anlass zum Widerspruch oder zum Zweifel gäbe.

Wie auch schon im Vorgänger geht es auch in THE HATEFUL 8 um Rassismus, um Hass generell und um die daraus sich ergebende Gewalt. Nahezu alle Charaktere sind Mörder mit fragwürdigen oder gar verachtenswerten Ansichten, selbst dann, wenn sie auf der Seite des Gesetzes stehen. Kopfgeldjäger John Ruth (Kurt Russell) trägt den Spitznamen „der Henker“, weil er seine Opfer stets lebendig beim Scharfrichter abliefert, ihnen so einen schnellen Tod vorenthält. Sein Kollege Major Marquis Warren hat während seiner im Krieg legitimierten Jagd auf weiße Rassisten billigend in Kauf genommen, dass auch mal die Falschen ins Gras beißen. Sheriff Chris Mannix (Walton Goggins), der etwas einfältige Sohn eines Südstaaten-Rebellen, spuckt in einem Fort rassistische Invektive. Sein großes Idol, General Sandy Smithers (Bruce Dern) tat sich im Krieg dadurch hervor, ein ganzes Batallion gefangener schwarzer Soldaten hingerichtet zu haben, weil sie ihm die Mühe einer Überführung nicht wert waren. John Ruths Gefangene, Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh), eine Schwerverbrecherin, auf deren Kopf satte 10.000 Dollar ausgesetzt sind, spuckt Geifer und Galle und scheint gar nicht zu normaler Kommunikation fähig. Und Scharfrichter Oswaldo Mobray (Tim Roth) rühmt sich mit wohlfeilen Worten der absoluten Gefühslkälte, die ihn umfängt, wenn er den Hebel umlegt, der seinen „Klienten“ das Genick bricht. Gesäumt werden diese Gestalten vom Mexikaner Bob (Demian Bichir) und dem Cowboy Joe Gage (Michael Madsen), zwei eher durchschnittlichen Halsabschneidern. 

Zwischen diesen Charakteren entspinnt sich schnell ein Psychospielchen: John Ruth ist überzeugt, dass ein Komplott zur Befreiung Daisys geplant wurde, und natürlich hat er Recht. In der klaustrophobischen Abgeschlossenheit von Minnie’s Haberdashery geht es nun darum, den Übeltäter zu enttarnen oder ihn zumindest so lang auf Distanz zu halten, bis der draußen tobende Schneesturm vorübergezogen ist und die Weiterreise zum Zielort aufgenommen werden kann. Das Ganze endet, wie man erwarten durfte, überaus blutig und schließlich in einer Konstellation, die an John Carpenters THE THING erinnert – nicht nur wegen des vorherrschenden eisigen Klimas. Auf dem Weg dorthin spielen Geschichten und die Frage, ob diese nun wahr sind oder erlogen, eine wichtige Rolle, ja sie ziehen sich fast leitmotivisch durch den Film: Ist der Lincoln-Brief von Warren echt? Lügt Bob über den Verbleib von Minnie und ihrem Mann Sweet Dave? Will Joe wirklich seine Mama zu Weihnachten besuchen? Hat Daisy Domergue wirklich eine 15 Mann starke Gang in der Hinterhand, die nur darauf wartet, „Minnie’s Haberdashery“ zu stürmen? Das Ganze kulminiert in der Geschichte, die Warren dem von Hass zerfressenen Smithers zur Provokation auftischt: Der will seinen vor Jahren verschollenen Sohn bestatten und muss sich von Warren nun in schillernden Details erzählen lassen, dass der diesen nicht nur umgebracht, sondern zu Tode gefoltert und dann oral vergewaltigt habe. Es bleibt offen, ob sich das wirklich so ereignet hat, aber es steht zu vermuten, dass Warren den Rassisten bloß dazu bringen will, die Waffe gegen ihn zu erheben, damit er ihn endlich abknallen kann.

Und so steht jede Einordnung des Geschehens auf wackligen Füßen. Die Brutalität, die Ruth gegenüber seiner Gefangenen an den Tag legt, scheint im weiteren Verlauf nicht mehr so ungerechtfertigt. Aber wenn sie ihrem Bruder Jody (Channing Tatum) in die Augen blickt, in denen wahre Liebe und Erleichterung aufflammt, ist sie auch nur ein Opfer, ein Mensch. Aber natürlich sind mit Minnie, Sweet Dave und deren Bediensteten auch Menschen für Jodys Coup gestorben, die für ihr Schicksal rein gar nichts können. Warrens Hass auf Weiße, die ihn nur aufgrund seiner Hautfarbe am nächsten Baum aufknüpfen wollen, ist nachvollziehbar, trotzdem hat man Mitleid mit dem greisen General, der sich kurz vor seinem Tod anhören muss, dass sein geliebter Sohn den Schwanz eines Schwarzen gelutscht hat. Es spielt gar keine Rolle, ob die Geschichte wahr ist oder nicht: Smithers glaubt sie, reagiert entsprechend, für Warren erfüllt sie ihren Zweck. Und im Rahmen des Films noch einen weiteren: Sie lenkt die Figuren (und den Zuschauer) für einige Minuten vom Wesentlichen ab, das sich im Hintergrund vollzieht. Man könnte auch sagen: Das kleine Scharmützel, das sich Warren zur Befriedigung seiner eigenen Gelüste leistet, kostet ihn mittelfristig das eigene Leben. Der Hass, der Zorn, der die Figuren durchtost, besiegelt auch ihren Untergang. Durch Mord lässt sich kein Leben erkaufen. THE HATEFUL 8 ist gewiss der moralischste Film Tarantinos.

Aber auch der bislang schmerzhafteste. Es hilft kein Bisschen, dass die Splattereffekte in ihrer Überzogenheit eher komisch sind und Distanz schaffen, im Gegenteil. Man fühlt sich betrogen um den Schmerz, um die Katharsis. Man ist noch nicht fertig mit diesen Figuren, auch wenn sie schon lange tot sind, sie nagen immer noch, nerven uns, lassen uns nicht in Ruh, wie das verräterische Herz, das in Poes Kurzgeschichte unter den Dielen schlägt. Eine Ausnahme ist Daisy Domergue, die Ruth von der ersten Sekunde an zum menschlichen Sandsack degradiert, ebenso großzügig wie beiläufig Schläge an sie verteilt und die am Ende, wo es eigentlich keinen Unterschied mehr macht, auch noch aufgeküpft wird. Da muss man dann lange zusehen, wie sie mit starrem Entsetzen im Blick vergeblich um ihr Leben kämpft, der weiße Rassist und der schwarze Sadist sich zusammenschließen, um die Frau zu beseitigen, von deren Tod sie rein nichts haben. Das ist so bitter, so sinnlos. Es wurde Tarantino immer vorgeworfen, dass seine Gewaltinszenierung verharmlosend sei. Bullshit. Das einzige, was ich ihm nach THE HATEFUL 8 noch vorwerfen würde, ist sein etwas seltsames Anbiedern bei den Schwarzen, das mehr als nur etwas misguided wirkt und mich etwas an Dave Chappelles Sketch mit dem „Black White Supremacist“ erinnert, nur mit umgekehrten Vorzeichen. An der Extraklasse von THE HATEFUL 8 ändert aber auch das nichts.

 

Wenn man Texte und Rezensionen zu FLESH & BLOOD liest, wird darin vor allem der „Realismus“ hervorgehoben, mit dem Verhoeven (in seinem ersten international produzierten Film) das Mittelalter in Szene setzt. Ich möchte diesen „Realismus“ hier mal infrage stellen: Meiner Meinung nach ist Verhoeven nämlich nicht unbedingt mit dem Anspruch angetreten, einen „authentischen“ Historienfilm zu drehen, der dann das Lob von studierten Mittelalter-Experten bekommt. Vielmehr hat er den Look typischer Ritterfilme überarbeitet, aktualisiert und „authentifiziert“: FLESH & BLOOD ist dreckig, seine Protagonisten sind blutrünstig, geil, unmoralisch, hinter jeder Ecke lauern der Tod oder die Pest. Das mag man gegenüber farbenfrohen Technicolor-Spektakeln mit strahlenden Helden in Strumpfhosen als „realistisch“ empfinden, dennoch ist FLESH & BLOOD Im Geiste gar nicht so weit von diesen entfernt: Verhoeven beschwört die Kameradschaft unter den Halunken, verwendet viel Zeit darauf, sie beim Feiern, Saufen und Lachen zu zeigen, zeichnet Adlige hingegen als hinterhältige Betrüger und untermalt das Ganze mit einem Score von Basil Poledouris, der Heldentaten und Schelmenstücke mit viel orchestralem Pathos und lebhaften Freudenklängen begleitet. Wenn das Mittelalter in Verhoevens Film auch eine ziemlich schmutzige Angelegenheit ist, so haben sich seine Bewohner damit ganz gut arrangiert.

Diese Zerrissenheit – schmutziger Realismus vs. reueloses Abenteuer – zieht sich durch den ganzen Film, der während der Produktion von verschiedenen Seiten torpediert wurde: So bestand Hauptgeldgeber Orion Pictures auf einer Liebesgeschichte, die nachträglich ins Script geschrieben werden musste und in der Endfassung nunmehr den wichtigsten Handlungsstrang ausmacht. Wollte sich Verhoeven ursprünglich auf die Rivalität zwischen dem Söldner Martin (Rutger Hauer) und seinem Auftraggeber Hawkwood (Jack Thompson) konzentrieren, spielt der Konflikt der beiden Männer in FLESH & BLOOD nur noch eine sehr untergeordnete Rolle und weicht einer Dreiecksbeziehung zwischen Martin, der entführten Adelsdame Agnes (Jennifer Jason Leigh) und Steven (Tom Burlinson), ihrem Ehemann in spe und dem Sohn des schurkischen Arnolfini (Fernando Hilbeck). Zu allem Überfluss überwarf sich Verhoeven während der Dreharbeiten auch noch mit seinem Hauptdarsteller Rutger Hauer, der sehr darauf bedacht war, eine Filmpersona als stoischer Held aufzubauen und dementsprechend nur wenig Interesse daran hatte, einen Schurken zu spielen, wie es dem holländischen Filmemacher vorschwebte. Das alles führt zu heftigen tonalen Schwankungen, die den Film zwar nicht aus der Bahn, wohl aber die Frage aufwerfen, was Verhoeven mit FLESH & BLOOD ursprünglich vorschwebte. Der ätzende Zynismus und der satirische Humor, der seine späteren Hollywood-Arbeiten, vor allem ROBOCOP, TOTAL RECALL, BASIC INSTINCT, SHOWGIRLS, STARSHIP TROOPERS und HOLLOW MAN, kennzeichnet, sind hier weitestgehend abwesend, auch wenn die sichtliche Freude an saftigen Geschmacklosigkeiten den Autoren wiedererkennen lässt. Aber es ist typisch für FLESH & BLOOD, das die Szene, die ich für die Verhoeven-typischste halte, am stärksten aus dem Film hervorsticht und das deutlichste Zeichen seiner schizophrenen Natur ist. Nachdem Martin und seine Männer Agnes entführt haben, ein junges, hübsches, reichlich verwöhntes Mädchen, das es kaum erwarten kann, endlich seine Jungfräulichkeit zu verlieren, wird diese bei der nächtlichen Rast am Lagerfeuer reihum vergewaltigt. Martin scheint zunächst eingreifen zu wollen, doch dann besinnt er sich eines besseren, lässt das Opfer von seinen Männern (darunter u. a. Brion James, Bruno Kirby und John Dennis Johnston) hochheben und penetiert sie im Stehen. Es ist eine hochgradig unangenehme, schmerzhafte und entwürdigende Szene, die durch die Tatsache, dass sie der Anfang einer „wunderbaren“ Liebe zwischen Agnes und Martin ist, nicht gerade verdaulicher wird.

Im Folgenden verbeißen sich Martin und Agnes heftig ineinander, es gibt viel explizite full frontal nudity zu bestaunen, und FLESH & BLOOD scheint auf eine Art „Love conquers all“ hinauszulaufen, bei dem Martin durch die Kraft der Liebe zu einem besseren Menschen wird – und sich infolgedessen mit seinen Kumpanen überwirft. Bevor es jedoch dazu kommen kann, werden die Söldner von Steven und Hawkwood angegriffen, mit dem Ziel, die holde Dame, die sich gar nicht retten lassen möchte, zu befreien. Der finale Showdown dreht sich nicht zuletzt um die Frage, welche Entscheidung Agnes treffen wird: Bleibt sie „ihrem“ Martin treu oder erlebt sie einen Gesinnungswandel, erkennt, was ihr eigentlich angetan wurde, und bekennt sich zu Steven, dem sie einst ewige Liebe geschworen hatte? Ihre Wahl rückt das Vorangegangene in die richtige Perspektive, fühlt sich aber trotzdem seltsam stromlinienförmig an, gerade wenn man bedenkt, dass sich Verhoeven später den Ruf eines ausgewiesenen Provokateurs erarbeiten sollte. Die Interventionen des Studios taten FLESH & BLOOD letztlich überhaupt nicht gut, die Bemühungen, ihn massentauglicher zu machen, ergaben unterm Strich einen Film, der genau zwischen den Stühlen saß und sein Publikum verfehlen musste. Verhoeven war für die Zukunft gewappnet, nahm die Erfahrungen seines Flops zum Anlass, in die USA umzusiedeln und sich mit den Bedürfnissen des amerikanischen Publikums vertraut zu machen. Mit dem Wissen über den weiteren Verlauf seiner Karriere betrachtet, ist es komisch, dass er ausgerechnet mit FLESH & BLOOD auf Grund lief, während die nachfolgenden, deutlich bissigeren Filme ihn zum Starregisseur machten.

Vielleicht liegt das Versagen von FLESH & BLOOD auch einfach darin begründet, dass es in den Achtzigern keinen echten Markt für den Historienfilm gab, schon gar nicht für einen solch trostlosen. Als erwachsener Actionfilm bietet Verhoevens Film zwei Stunden prachtvolle Unterhaltung mit einigen herausragenden Einfällen, spektakulären Set Pieces und saftigen Details. Die erste Liebesszene zwischen Steven und Agnes, bei der die beiden eine Alraune unter zwei Gehenkten ausgraben, ist so ein Moment, bei dem sich Verhoeven-typisch das Profan-Abstoßende und das Erhabene treffen. Absolut atemberaubend sind der Einsatz und die Zerstörung einer von Student Steven aus Holz erbauten „Feuerwehrleiter“, mit der er die Burg, in der sich Martin uns seine Leute verschanzt haben, einnehmen will. Und wenn die Pest dann noch ihren ausgedehnten Gastauftritt feiert, gibt es endgültig kein Halten mehr, ganz egal, ob da eitrige Beulen aufgeschnitten werden oder der in Einzelteile geschnittene Körper eines verseuchten Köters als Katapult-Munition dient. Die enorme Kurzweil, die FLESH & BLOOD bietet, geht vielleicht etwas auf Kosten seiner Stringenz: Ein an Cormans MASQUE OF THE RED DEATH erinnerndes Belagerungsszenario wird zum Schluss angedeutet, dann aber wieder verworfen, die Einführung einer Nonne, die dank ihres durch einen Schwerthieb gespaltenen Schädels ein trauriges Dasein als grunzendes, Krampfanfälle erleidendes Bündel fristet, führt zu nichts außer dazu, den Film noch weiter mit Ideen vollzustopfen. Ich mag sowas tatsächlich sehr gern, aber dennoch merkt man FLESH & BLOOD an, dass jeder an der Produktion Beteiligte meinte, seinen Beitrag leisten zu müssen. Dass Verhoevens Film dennoch nicht implodiert, insgesamt einen überraschend geschlossenen Eindruck macht, zeigt, wozu der Holländer fähig war. Den Beweis hat er dann ja auch in den USA noch erbringen dürfen. Ohne ungebetene „Mithilfe“.

Am Ende, während die Abschlusscredits laufen, fährt die Kamera einen Stadtplan von Los Angeles ab, zeigt die unüberschaubare Vielzahl von sauber vertikal und horizontal oder aber kurvig und scheinbar natürlich verlaufenden Linien, die die Straßen der Westküstenmetropole repräsentieren, und deren gemeinsame Kreuzungen. Mit SHORT CUTS, mit dem Altman nach seinem Comeback THE PLAYER bewies, dass der mitnichten ein Zufallstreffer gewesen war, und an seinen ambitionierten, ausschweifenden Ensemblefilm NASHVILLE anknüpfte, entwirft der Regisseur so etwas wie einen emotionalen Straßenplan, zeichnet die Stadt als ein engmaschiges Geflecht, aus sich kreuzenden Lebenswegen von Menschen, die über mehrere Ecken miteinander in Verbindung stehen, ohne es zu wissen. Nicht alle dieser Begegnungen begründen eine dauerhafte Beziehung, manche sind sehr flüchtig und werden von den Betroffenen kaum weiter bemerkt, weil ihnen der Kontext fehlt, sie in den „Stadtplan“ einzuordnen. Genau daraus entspringt die Schönheit, die Komik, aber auch die Tragik von SHORT CUTS: Altman zeigt, wie Jeder mit Jedem verwoben ist, wie die Handlungen des Einzelnen das Leben eines Fremden auf völlig unvorhergesehene Weise beeinflussen und wie alle viel zu sehr mit ihren niederen Problemchen oder auch großen Krisen beschäftigt sind, als dass sie diesen größeren Zusammenhang, in den sie eingebunden sind, verstehen könnten. Der Mensch ist in SHORT CUTS wie ein Tourist ohne Straßenplan.

Die Kellnerin Doreen Piggot (Lily Tomlin) fährt den kleinen Casey an, Sohn von Andy und Howard Finnigan (Andie McDowell & Bruce Davison). Der Junge übersteht den Unfall anscheinend unverletzt, doch er wird an seinen Folgen sterben, seine Eltern in tiefe Trauer stürzen, während Doreen am Schluss die Überwindung einer Ehekrise ausgelassen mit ihrem Gatten Earl (Tom Waits) feiert, nicht wissend, welches Leid ihre Unachtsamkeit ausgelöst hat. Die Ehe des für Casey zuständigen Arztes Dr. Ralph Wyman (Matthew Modine) mit der Malerin Marian (Julianne Moore) krankt an einem nicht aufgearbeiteten vermeintlichen Seitensprung der Frau, die des Polizisten Gene Shepard (Tim Robbins) und seiner Frau Sherri (Madeleine Stowe) an der Unfähigkeit beider, sich ihrer sexuellen Zuneigung zu versichern. Jerry Kaiser (Chris Penn) leidet an der Telefonsex-Tätigkeit seiner Frau Lois (Jennifer Jason Leigh) und der wahrgenommenen Diskrepanz zwischen dem Enthusiasmus, mit dem sie diesen ausübt, und der Tristesse des gemeinsamen Sexlebens, die Cellistin Zoe (Lori Singer) an der Unaufmerksamkeit und Selbstbezogenheit ihrer Mutter Tess (Annie Ross), die für ihre emotionale Unfähigkeit wiederum den Drogentod ihres einstigen Mannes heranführt. Stuart Kane (Fred Ward) betrachtet die Leiche der jungen Frau, die just dort am Flussufer liegt, wo er mit seinen Freunden ein Angelwochenende verbringt, nicht als Körper eines Menschen, der Angehörige hat, sondern lediglich als Hindernis, das es für ein paar Tage zu ignorieren gilt, und die Versuche von Howard Finnigans Vater Paul (Jack Lemmon), den jahrelang brachliegenden Kontakt zu seinem Sohn wiederherzustellen, scheitern daran, dass er sich dafür ausgerechnet den Zeitpunkt ausgesucht hat, an dem der mit seiner Frau wohl den schlimmsten Tag erlebt, den sich Eltern vorstellen können.

Keine dieser ursprünglich von Raymond Carver als einzelne Short Stories verfassten und erst von Altman verbundenen Geschichten ist besonders spektakulär, genauso wenig wie ihre am Ende des dreistündigen Films manchmal doch etwas abrupt wirkenden Auflösungen. Sie sind, wie meine Gattin nach dem Film sagte, damit einen unausgesprochenen Gedanken von mir bestätigend (wenn man über Film schreibt, formuliert man ja noch während des Filmschauens ständig mögliche Sätze), „wie das Leben“. Das heißt aber konsequenterweise nicht nur, dass sie sehr authentisch erscheinen, sondern auch, dass sie immer wieder auch banal, hässlich, undramatisch, unterentwickelt, pointen- und humorlos sind. Dies ist aber keineswegs als Kritik gemeint, schon deshalb nicht, weil es dazwischen immer wieder auch zahlreiche Momente von sprühendem Witz, menschlicher Wärme und bleischwerer Traurigkeit gibt, sondern eben ausdrückliche Stärke des Films, der sein Thema nicht aus einem Zurechtbiegen oder eine dichterischen Überhöhung und Stilisierung entwickelt, sondern einzig aus der Verbindung seiner einzelnen, kompakten Teile. Die Gesamtheit aller menschlichen Leben, ist jedes einzelne davon auch noch so mangelhaft und defizitär, ergibt ein wahrhaft göttliches Konstrukt, dessen wahre Schönheit auch im Hässlichen dem Menschen leider verschlossen bleiben muss, weil er zu sehr in seiner individuellen Narration gefangen ist, ihm der Überblick fehlt, sich selbst als Puzzleteil in einer gewaltigen Erzählung namens „Leben“ zu begreifen.

Vielleicht finde ich es auch deshalb so schwierig, mich zu SHORT CUTS zu verhalten. Die drei Stunden vergehen wie im Flug und die Charaktere werden einem – so idiotisch man ihre Neurosen und Probelme vielleicht auch finden mag – über die Spielzeit mit all ihren Macken so vertraut, dass man sich unweigerlich fragt, was beim eigenen Nachbarn denn eigentlich so vor sich geht. Aber dann ist der Film, dessen Protagonisten ja alle im Sumpf der irdischen Durchschnittlichkeit gefangen bleiben, ohne Hoffnung jemals aus diesem emporzusteigen, auch verdammt deprimierend. Und nichts, aber auch gar nichts kann für mich den Tod des kleinen Casey, die Schmerzen seiner Eltern und die unweigerlich aufkeimende Angst, es könnte dem eigenen Kind genauso ergehen, in eine tröstliche Perspektive rücken oder irgendwie abmildern. Diese auch von Altman zentral positionierte Geschichte prägt die Stimmung des ganzen Films, der damit sehr unmissverständlich in Erinnerung ruft, dass Leben immer ein Leben mit dem stets zur falschen Zeit eintreffenden Tod ist. Ich sagte es bereits: SHORT CUTS ist wie das Leben: voller Paradoxien. Ganz leicht zu schauen, dabei nur schwer zu ertragen. Eine ambitionierte Abhandlung über das moderne urbane Leben, die dabei aber nie zur Erbauungsprosa verkommt, auf metaphysische Paradiesversprechen und Romantisierungen ganz verzichtet. Ein zweifellos großer filmischer Wurf, der mir jedoch nie das Gefühl gab, einem Meister der Kunst bei der Ausübung seiner heiligen Kunst zusehen zu dürfen, sondern der in seiner narrativen Akribie nur wie gewissenhafte, ganz dem Zweck unterworfene Arbeit wirkt. Ein Film, der nicht dafür gemacht zu sein scheint, ihn schön zu finden, oder der sonstwie auf Zustimmung und Applaus aus wäre, sondern der einfach da ist. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt noch klarer hinbekomme: Mir ist SHORT CUTS irgendwie unheimlich.

Das war der vorläufige Abschluss meiner am Ende doch etwas ermüdenden Altman-Reihe. Ein guter Schluss, weil SHORT CUTS doch auch gut als Antwort Altmans auf den nicht zuletzt von mir öfter mal erhobenen Zynismus-Vorwurf gelten darf. Das letzte Drittel seines Werkes werde ich bestimmt irgendwann mal nachholen. Jetzt freue ich mich erst einmal, mich neuen Dingen zuwenden, die längst überfällige Fleischer-Werkschau mit neuem Elan beginnen und mich einem Regisseur widmen zu können, der einen gänzlich anderen Typus des Filmemachers vertritt.

In Miami geht ein Serienmörder um. Seine weiblichen Opfer werden von ihm zunächst mit obszönen Anrufen terrorisiert, bevor er sie dann umbringt. Die Fernsehjournalistin Jane Harris (Lauren Tewes), die über den Fall berichtet, hat bald berechtigten Grund, ihren Nachbarn Stanley Herbert (John DiSanti) zu verdächtigen, doch weil sie keine handfesten Beweise für ihren Verdacht hat, beginnt sie auf eigene Faust Ermittlungen anzustellen. Damit bringt sie jedoch nicht nur sich selbst in Gefahr, sondern auch ihre kleine Schwester, die blinde und stumme Tracy (Jennifer Jason Leigh) …

Die Anfangssequenz ist Terrorkino par excellence, rückt Wiederhorns Film gar in die Nähe von Lustigs berüchtigtem MANIAC und dessen m. E. unübertroffener U-Bahn-Sequenz. Hier greift alles ineinander: Die Bildkomposition, die dunkle Schatten bedrohlich den Bildhintergrund bestimmen lässt, der Score, der von der tödlichen Bedrohung kündet und die Spannung stetig nach oben treibt, die Dramaturgie, die einen konsequent im Unklaren darüber lässt, wann der todbringende Überfall erfolgen wird, und nicht zuletzt die Darstellung von John DiSanti, der den mörderischen Biedermann perfekt verkörpert und dessen Drohanrufe an creepiness kaum zu überbieten sind. Nach diesem furiosen Auftakt (der in mir Zweifel darüber aufkommen ließ, ob es so eine gute Idee war, diesen Film nachts allein zu schauen) schaltet Wiederhorn zwar einen Gang zurück, begibt sich auf etwas nervenschonenderes Thrillerterrain, doch EYES OF A STRANGER bleibt trotzdem ein Nägelkauer erster Güte.

Leider verliert sich Wiederhorn hier und da in fragwürdigen Drehbuchentscheidungen: Warum Janes Schwester blind und stumm sein muss, bleibt unverständlich, weil doch auch die nicht gehandicappten Opfer dem Mörder letztlich hilflos gegenüberstanden, es einer zusätzlichen Behinderung eigentlich nicht bedurft hätte, und nach dem sehr geduldigen Aufbau, dessen Timing annähernd perfekt ist, kommt der Umschwung zum Finale dann so plötzlich und schnell, dass man als Zuschauer etwas den Anschluss verliert. Ein bisschen wirkt es so, als hätten die Beteiligten die Zeit vergessen und gemerkt, dass sie schleunigst zum Ende kommen müssen. Doch das sind letztlich keine Mängel, die den Film als Ganzes scheitern lassen, ihm lediglich die ganz hohen Weihen verweigern.

Wer das harte Horrorkino der Siebziger- und Achtzigerjahre schätzt, als Gewalt noch richtig wehtat und Splattereffekte nicht ausschließlich dazu eingesetzt wurden, um  Szenenapplaus von Gorebauern und Nerds zu erheischen und vom Geschehen zu distanzieren, sondern um es im Gegenteil realistischer und schmerzhafter zu gestalten, der wird an diesem höchst effektiven Serienmörderfilm seine helle Freude haben. Tom Savini steuerte die gewohnt kompetenten und drastischen FX bei und auf einem Fernseher läuft im Hintergrund Wiederhorns SHOCK WAVES. Das reicht, zumal sich für den Kenner des Horrorkinos zahlreiche interessante Parallelen aufdrängen (etwa zu Carpenters SOMEONE’S WATCHING ME, Fleischers SEE NO EVIL, Terence Youngs WAIT UNTIL DARK oder natürlich Hitchcocks REAR WINDOW).