Mit ‘Jess Franco’ getaggte Beiträge

Francos Gothic-Trilogie findet nach dem schwachen LA FILLE DE DRACULA ihren unangefochtenen Höhepunkt in LE MALDICIÓN DE FRANKENSTEIN, der die dunkelromantische Poesie von Filmen wie UNE VIERGE CHEZ LES MORTS VIVANTS oder LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT mit der pulpigen Wildheit und der unbekümmerten Improvisation von DRACULA CONTRA FRANKENSTEIN, dem Auftakt des Dreigespanns, vermählt. Alle Stärken des Spaniers kommen hier ungefiltert zum Vorschein: die betörende Ungeschliffenheit seiner traumgleichen Bildkompositionen, seine ungezügelte Fabulierfreude, die sich auch von einem wieder einmal sichtbar kargen Budget nicht in Ketten schlagen lässt, die mitunter verblüffenden visuellen Einfälle und dann natürlich diese fremdartige Stimmung, mit der das alles beatmet wird. Eigentlich müsste LE MALDICIÓN DE FRANKENSTEIN ein fürchterlicher Rohrkrepierer sein, aber stattdessen wird man schon von den ersten Sekunden völlig in seinen Bann geschlagen. Was auch daran liegt, dass Franco mit einem richtigen Knalleffekt einsteigt. Anders als andere Filme, die einem Auftakt nach Maß nichts hinzuzusetzen wissen, wird sein durchgedrehtes Frankenstein-Epos danach aber nur noch wahnsinniger.

Dr. Frankenstein (Dennis Price) ist am Ziel seiner Träume als Wissenschaftler angelangt: Er hat ein silbernes Monster (Fernando Bilbao) erschaffen, das nach dem passenden Elektroschock zu brüllen anfängt: „Mein Kopf! Diese Schmerzen!“ Der Forscher, der sich von kleinen Unzulänglichkeiten den Spaß nicht verderben lässt, frohlockt: Die Kreatur spricht, also ist sie denkfähig! Wenig später stürmt eine halbnackte Frau (Anne Libert) in das Labor: Sie ist mit Federn bedeckt, hat Klauen statt Finger, stößt einen schrillen Vogelschrei aus und attackiert dann den Hals des hilflosen Frankenstein, während ihr Assistent seinen Gehilfen (Jess Franco) erdolcht. Die beiden Attentäter karren das Monster daraufhin in einer Kiste ins malerisch auf einer Klippe gelegene Schloss des schurkischen Cagliostro (Howard Vernon), der es benötigt, um eine Rasse von Supermenschen zu erschaffen. Dem Plan Cagliostros stellen sich Dr. Seward (Alberto Dalbés) und Vera Frankenstein (Beatriz Savón), die Tochter des Wissenschaftlers entgegen, der – ebenfalls mit dem Wunder der Elektrizität zu bemitleidenswertem Leben erweckt – hilfreiche Ermittlungstipps gibt.

Schon dieser Versuch einer Zusammenfassung sollte Liebhabern grellen Pulps die Herzen aufgehen lassen: Was Franco hier auftischt, ist natürlich hirnerweichernder Blödsinn, aber das spielt angesichts des gebotenen Ideenreichtums und der betörenden, Genredefinitionen sprengenden Eigenartigkeit seines Films keine Rolle. LA MALDICIÓN DE FRANKENSTEIN operiert jenseits gängiger erzählerischer Paradigmen: „Spannung“ oder „Dramaturgie“  im herkömmlichen Sinne verstanden spielen keine Rolle für das, was Franco tut. Der Film folgt seiner eigenen Logik: Selbst der auch recht abgedroschene Begriff der „Atmosphäre“ beschreibt nur unzulänglich, was hier passiert. Gleichzeitig ist sein Horrormärchen aber auch wieder recht straight: Man kann seiner Geschichte durchaus folgen, nur ist sie ihm lediglich Mittel zum Zweck für seine wüsten Einfälle. In einer Sequenz werden Vera Frankenstein und der verräterische Gehilfe Cagliostros aneinandergefesselt, in einen Kreis aus am Boden befestigten Eisenstacheln gestellt und dann vom silbernen Monster ausgepeitscht, während um sie herum die Schöpfungen von Cagliostros „neuer Rasse“ – Statisten in Halloweenkostümen – anfeuernd zuschauen. Ziel des perfiden Spiels ist es, zu überleben, indem man den anderen als „Fallschutz“ missbraucht. Franco dehnt die Sequenz gnadenlos aus, aber das ganze Setting ist so herrlich durchgeknallt, dass man dem ganzen gern in voller Länge beiwohnt. Hervorzuheben ist auch Howard Vernon, der seinen Cagliostro als charismatisch-selbstverliebten Zampano mit soulpatchigem Kinnbart gibt und damit weniger wie der Schurke eines Horrorfilms als vielmehr wie ein besonders exzentrischer Showmaster oder Las-Vegas-Magier rüberkommt. Auch Schauspielveteran Dennis Price verdient unsere Aufmerksamkeit: Kurz vor seinem Tod und von der Alkoholsucht gezeichnet, liefert er als wiederbelebter und auf einer Liege aufgebahrter Frankenstein eine Leistung ab, bei der man nicht weiß, ob man seine Aufoperungsgabe bewundern oder seinen Grad an Selbstverleugnung bemitleiden soll. Und Anne Libert, die bereits in UNE VIERGE CHEZ LES MORTS VIVANTS als Muse für Francos Phantasmagorien diente, ist als Vogelfrau ein echter Showstopper.

Wer diesen speziellen Franco-Vibe zu lieben gelernt hat, kommt um LE MALDICIÓN DE FRANKENSTEIN kaum herum; wer nicht weiß, was es mit Franco auf sich haben soll, findet hier einen wie ich finde recht munteren Einstieg. Wem das zu vage ist, der kann sich überlegen, wie reizvoll er die Vorstellung eines zu Beginn der Siebzigerjahre in Kollaboration von Jean Rollin, Helge Schneider und René Cardona inszenierten BARBARELLA-Horror-Remakes findet.

 

 

 

Raymond Franval (Andrés Resino) und seine Geliebte Beatriz Coblan (Geneviève Robert) werden von Emilia (Danielle Godet), Raymonds eifersüchtiger Schwiegermutter, und dem despotischen Machthaber Mendoza (Jean Guedes), dem gehörnten Ex Beatriz‘, aus Rache eines Mordes bezichtigt und landen auf der titelgebenden Gefängnisinsel, wo sie von den tyrannischen Wärtern Senora Cardel (Rose Palomar) respektive Weckler (Jean-Louis Collins) gedemütigt und gequält werden. Am Sterbebett Mendozas erfährt ihr Anwalt (Dennis Price), was er schon lange wusste, nämlich dass die beiden unschuldig sind, und unternimmt daraufhin einen Versuch, sie zu retten.

Der WiP-Film, an dessen Popularität Franco mit etlichen Filmen maßgeblich mitgearbeitet hat, ist ein problembehaftetes Genre: Die vordergründige Kritik an Totalitarismus und Strafvollzug ist ihm in der Regel nur ein willkommenes Deckmäntelchen, das seinen männlichen Zuschauern ein Alibi liefert, sich ruhigen Gewissens Lesbensex, Vergewaltigungen und Sadomaso-Einlagen hinzugeben. Wahrscheinlich gibt es kein einziges kommerzielles Filmgenre neben dem Porno, das so auf die Objektifizierung von Frauen setzte wie dieses. Freilich funktionierte das auch andersrum, wie etwa in Jonathan Demmes eher links zu verortendem Genrebeitrag CAGED HEAT, der das Versprechen von Sex und Gewalt wiederum dazu nutzte, um seinen Zuschauern eine Botschaft von Nonkonformismus, Auflehnung und Konsumverweigerung unterzujubeln, und tatsächlich steht LOS AMANTES DE LA ISLA DEL DIABLO diesem deutlich näher als anderen Frauenknastfilmen Francos. Der Film spielt in einem nicht näher konkretisierten süd- oder mittelamerikanischen Staat, aber es ist ziemlich offensichtlich, dass Franco sich an der faschistischen Regierung Spaniens abarbeitet und die Handlung lediglich auf einen anderen Kontinent verlegte, um der Zensur aus dem Weg zu gehen. Mehr als um genüsslich zelebrierte Sadismen geht es hier also um die Grausamkeit eines totalitären Regimes, dessen einziges verlässliches Prinzip es ist, dass der Staat immer Recht hat. Die Kolportage- und Episodenhaftigkeit, sonst ein deutliches Merkmal des WiP-Films, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, jede sexuelle Vorliebe seines Publikums zu bedienen, weicht demnach der Konzentration auf die beiden Hauptfiguren und ihr grausames Schicksal, und die sie umgebenden Figuren sind lediglich von Interesse, sofern sie dieses Schicksal beeinflussen. LOS AMANTES DE LA ISLA DEL DIABLO ist kein greller Exploitation-Feger voller spektakulärer Episoden, comichafter Charaktere und geschmackloser Highlights, sondern aus einem Guss, sehr konsequent und von Franco tatsächlich ungewöhnlich konzentriert auf sein niederschmetterndes Finale hin konstruiert und inszeniert. Erstaunlich eigentlich, dass er zu den eher unbekannteren, seltener gepriesenen Werken des Spaniers zählt. Natürlich muss man ein paar Abstriche bei den Production Values machen: Die „Teufelsinsel“ ist ganz offensichtlich keine solche, denn Franco zeigt immer nur das an einer Steilküste liegende festungsartige Gebäude. Howard Vernon hat lediglich zwei, drei kurze Szenen, die nahelegen, dass er nur eine Stippvisite am Set absolvierte, weil er vielleicht gerade in der Gegend war. Das irritierendste Merkmal ist aber der gut sichtbare Fleck am Revers von Price‘ Anzugjacke: Der britische Mime hatte ein starkes Alkoholproblem entwickelt und auch sein Anwalt wirkt eher wenig vertrauenswerweckend, insofern ist es denkbar, dass Franco ihm absichtlich ein verschmutztes Jackett anzog. Ich vermute aber, dass Price sein Jackett verschmutzte und in der Kürze der Zeit keine Lösung für das Problem gefunden werden konnte. Eine erzählerische Ungereimtheit erinnert hingegen an EL SECRETO DEL DR. ORLOFF mit der geradezu magischen Genesung eines todkranken: Hier altert der schurkische Mendoza zwischen der Eröffnungssequenz, in der er die Protagonisten in den Bau bringt, und seinem Geständnis um Jahrzehnte, gesteht sein Verbrechen auf dem Sterbebett, während Raymond und Beatriz anscheinend nur einige Monate im Gefängnis weilen. Da ist im Eifer des Gefechts irgendwas schief gelaufen.

Trotzdem ist LOS AMANTES DE LA ISLA DEL DIABLO ein durchaus sehenswerter Film. In Frankreich wurde er unter dem Titel QUARTIER DE FEMMES in einer mit mehr Sex aufgebrezelten Fassung gezeigt. Die Version, die mir zur Verfügung stand, dauerte knapp 76 Minuten und ist damit rund 15 Minuten kürzer als es für die spanische Kinofassung des Films in Throwers Buch „Murderous Passions“ angegeben ist. Schien mir aber nicht gekürzt zu sein.

Mit diesem Mittelteil in Francos loser Gothic-Horror-Trilogie der frühen Siebzigerjahre (nach DRACULA CONTRA FRANKENSTEIN und vor LE MALDICIÓN DE FRANKENSTEIN) gelingt dem Regisseur das Kunststück, einen auf dem Papier geradlinigen, dazu vergleichsweise sauber inszenierten Film hoffnungslos zu vergeigen. Die Liste der unerklärlichen Fehlentscheidungen beginnt mit dem fragwürdigen Clou, eine Geschichte um Vampirismus ins Gewand eines bräsigen Whodunits zu kleiden, bei dem ein uninteressanter Inspektor (Alberto Dalbés) die Schar der Nebendarsteller befragt, deren Antworten den Zuschauer aber nicht tangieren, weil er ja längst weiß, woher die Bissmale kommen. Noch fahrlässiger ist aber sein Umgang mit der nominellen Hauptfigur Luisa Karlstein (Britt Nichols), der „Tochter Draculas“, die zu Beginn des Films vom Vampirgrafen (Howard vernon) gebissen wird und sich dann kontinuierlich in einen Vampir verwandelt, bis sie am Ende den Tod findet: Sie bleibt als Charakter vollkommen unscharf, taucht immer mal wieder auf, damit der Zuschauer nicht vergisst, dass sie ja auch noch da ist, und bestreitet ihre beiden größten Szenen nackt im Bett mit ihrer Cousine Karin (Anne Libert) im lesbischen (aber sehr soft gefilmten) Liebesspiel. Am Schluss, wenn sie in Sarg schlafend angezündet wird, bekommt sie noch nicht einmal einen Close-up spendiert, der sie unzweifelhaft identifizieren würde.

So verworren und in sich selbst versunken Francos Filme auch manchmal sind, normalerweise merkt man, was den Regisseur an ihnen interessierte. Und wenn man möchte, kann man die Schraddeligkeit eines Films wie DRACULA CONTRA FRANKENSTEIN auch ausgesprochen liebenswert finden. LA FILLE DE DRACULA hingegen ist anders, er macht zunächst einen planvollen und geordneten Eindruck, der dann aber dem Verdacht weicht, dass Franco schon vor der ersten Klappe den Bezug zum Stoff verloren habe und nun vergeblich versuche, ihn wiederzufinden. Er inszeniert die erste Vampirattacke tatsächlich im Stile eines Giallos mit Close-ups aufs geile Voyeuristenauge und einem mit schwarzem Trenchcoat und Hut vermummten Blutsauger, gibt sich selbst eine ziemlich große Nebenrolle als Skepsis-Skeptiker, der den Inspektor dazu mahnt, die Möglichkeit übersinnlichen Treibens nicht ins Reich des Aberglaubens zu verweisen, und lässt ein kleines, hier eher unbedeutendes Handlungsdetail aus LE MANO DE UN HOMBRE MUERTO Revue passieren. Handwerklich lässt LA FILLE DE DRACULA die auf große Eile deutende Schlamperei aus DRACULA CONTRA FRANKENSTEIN weitestgehend vermissen, aber dann gibt es eben doch wieder diese fragwürdigen Entscheidungen, die zeigen, dass doch vieles on the spot improvisiert oder verworfen werden musste. Hat er seine Hauptfigur vergessen oder hat er das Interesse an ihr verloren? Und warum wirken die Auftritt Draculas, die doch nach eine dramatischen Inszenierung verlangen, geradezu lustlos hingeworfen? Es ist nicht nachzuvollziehen.

Es fallen immerhin ein paar schöne Aufnahmen ab, die Musik ist eigentlich in fast allen Franco-Filmen zumindest dieser Zeit ausnehmend positiv hervorzuheben und Francos Part ist tatsächlich eines der besten Elemente von LA FILLE DE DRACULA, der von mir tatsächlich jenes Prädikat erhält, dass mir bei den allerwenigsten seiner Werke in den Sinn kommt: Mittelmaß.

 

Ach herrje, das hatte ich mir deutlich charmanter erhofft.

DRACULA CONTRA FRANKENSTEIN (deutscher Titel: DIE NACHT DER OFFENEN SÄRGE) ist Francos Rückkehr zum klassischen Horrorfilm knarziger Prägung, eine persönliche Wiedergutmachung, nachdem NACHTS, WENN DRACULA ERWACHT, seine als „vorlagengetreu“ geplante Verfilmung des Stoker-Romans, von Budgetkürzungen torpediert und schließlich von den Kritikern in Bausch und Bogen verrissen worden war. Ich weiß nicht, ob der Mut der Verzweiflung hinter DRACULA CONTRA FRANKENSTEIN steckte, unerschütterliches Selbstbewusstsein, schlicht Verblendung oder einfach nur eine Scheißegal-Haltung: Wenn schon beim von Harry Alan Towers produzierten Vorgänger die Kohle hinten und vorn nicht reichte, um den Vampirgrafen zur Ehre zu verhelfen, wie zum Teufel sollte das dann mit diesem Film gelingen, dessen Budget vermutlich noch nicht einmal für ein anständiges Besäufnis mit Cast und Crew ausgereicht hätte? Hier war nicht Meister Schmalhans Küchenmeister, sondern dessen anorektischer Urenkel und der deftige Eintopf, den er hätte zubereiten sollen (mit viel Schweinespeck!) geriet so zu einem dünnen, lauwarmen Süppchen das auch mit dem als Beilage gereichten trockenen Kanten Brot nicht besser schmeckte. Ich will nicht zu hart mit dem Film ins Gericht gehen: Irgendwie finde ich es schön, dass es ihn gibt, er ist ganz unverkennbar Franco und hat einige charmante Einfälle und Unzulänglichkeiten, aber die 80 Minuten fühlen sich an, als kaute man auf einer ausgelatschten Birkenstock-Sandale. Das ist schade, weil die Story an diese wunderbar pulpigen Horror-Hörspiele von anno dunnemals erinnert. Ich hatte mich wirklich auf den Film gefreut.

Dr. Seward (Alberto Dalbés) sucht den Grafen Dracula (Howard Vernon) in seiner Gruft auf und treibt ihm einen Pflock durchs Herz. Doch die Überbleibsel – eine vertrocknete Fledermaus – reißt sich Frankenstein (Dennis Price) unter den Nagel, der kurz zuvor schon sein Monster (Fernando Bilbao) zu neuem Leben erweckt hatte und dasselbe nun mit dem Vampigrafen tut, der fortan unter seiner Kontrolle steht. Mit den beiden Ungetümen will der verrückte Wissenschaftler die Herrschaft über die Welt erlangen, doch vorerst müssen einfach nur ein paar unschuldige Frauen dran glauben. Dr. Seward kommt dem Treiben auf die Schliche, fällt dem Monster zum Opfer und wird von einer Zigeunerin zusammen mit einem Werwolf (Brandy) wiederbelebt. Die Zeichen stehen auf Monster Mash.

Wer angesichts dieser Beschreibung nicht sofort Bock auf diesen Film bekommt, dem ist wahrlich nicht mehr zu helfen, aber vielleicht ahnt er auch nur, dass das unter den gegebenen Voraussetzungen – kein Geld und keine Zeit – einfach nichts werden konnte. Gedreht wurde in Spanien und Portugal und auch wenn der Himmel stets verhangen und grau ist (Nachtdrehs waren offensichtlich finanziell nicht drin), Franco die Nebelmaschine nauf Hochtouren laufen lässt, wird DRACULA CONTRA FRANKENSTEIN sein mediterranes Flair nicht los. Die Maske von Frankensteins Monster ist katastrophal (gut, in Al Adamsons DRACULA VS. FRANKENSTEIN ist sie noch mieser), Vernon spielt den Dracula mit eingefrorenem, unbeweglichen Dauergrinsen, der Wolfsmann sieht aus wie Reinhold Messner und die Effekte um die Pfählung legen den Verdacht nahe, dass Dalbés mit Hammer und Pflock über einem komplett leeren Sarg stand. Der Film ist in der Gegenwart angesiedelt, dennoch fährt Seward zu Beginn mit einer Kutsche herum und Franco legte seine Schauermär – wahrscheinlich als Hommage an die Universal-Klassiker – als Quasi-Stummfilm an. Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis die ersten Worte gesprochen werden, und die Dialoge des Films könnte man ohne Probleme auf einem Bierdeckel unterbringen. Nicht, dass es hier ausufernder Wortgefechte bedurft hätte, aber es passiert auch sonst nicht viel und visuell wird der Film von der offenkundig gebotenen Eile unterlaufen. Zeigte Franco sonst auch in seinen billigen Filmen immer noch sein außergewöhnliches Talent für spannende oder poetische Bildkompositionen, sieht DRACULA CONTRA FRANKENSTEIn einfach nur ranzig und schäbig aus. Einschränkend sei gesagt, dass die Version, die mir vorlag, nicht gerade der Weisheit letzter Schluss ist, unscharf und verwaschen, aber ich habe meine ehrlichen Zweifel, dass diese Regiearbeit Francos das Blu-ray- und Restaurations-Treatment verdient hat.

 

Kurze Vorbemerkung: Ich überspringe in meiner chronologischen Franco-Werkschau an dieser Stelle sowohl JUNGFRAUEN-REPORT, Francos Beitrag zur deutschen Reportfilm-Welle, als auch ROBINSON UND SEINE WILDEN SKLAVINNEN, eine Softsexkomödie von 1971. Auf beide habe ich gerade keine Lust. (Über SIE TÖTETE IN EKSTASE, DER TEUFEL KAM AUS AKASAVA, DER TODESRÄCHER VON SOHO und DR. M SCHLÄGT ZU habe ich bereits geschrieben.)

Mit UNE VIERGES CHEZ LES MORTS VIVANTS bewegen wir uns wieder auf das Terrain der „privaten“ Franco-Filme, das wir zuletzt für LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT betreten hatten. Laut Throwers Buch „Murderous Passions“ drehte Franco den Film in 1971 in Portugal, wo er zur gleichen Zeit zusätzliches Material für den von Artur Brauner finanzierten JUNGFRAUEN-REPORT sammelte und es ist denkbar, dass Franco für diesen bereitgestellte Mittel für seinen erotischen Horrorfilm zweckentfremdete. (Die Zusammenarbeit mit Brauner endete nach Fertigstellung des Report-Films.) Als Produktionsfirma fungierte die liechtensteinische „Prodif Ets.“, die bereits hinter Francos LES CAUCHEMARS, EUGÉNIE sowie SEX CHARADE stand und möglicherweise aus Steuergründen von Franco „gegründet“ wurde. Im Drehbuch hieß der Film ursprünglich LA NUIT DE L’ETOILES FILANTES, doch er erschien nie unter diesem Titel, dafür aber u. a. 1973 als CHRISTINA, PRINCESSE DE L’EROTISME, erweitert um zusätzliches Material, das Darstellerin Alice Arno als Stand-in für die eigentliche Hauptdarstellerin Christina von Blanc aufbietet. Spätere französische Videofassungen wurden im Zuge der Zombiewelle um entsprechende Zombieszenen gestreckt, für die kein Geringerer als Jean Rollin verantwortlich zeichnete. Die von mir begutachtete Blu-ray-Fassung aus dem Hause Redemption beinhaltet sowohl das Rollin-Material als auch zwei Sexszenen, von denen die erste Semi-Hardcore ist (es gibt einen erigierten Penis zu sehen), deren Darsteller auffällig bemüht sind, ihr Gesicht nicht zu zeigen. Es handelt sich definitiv nicht um die Darsteller des Films, auch wenn sie diesen ähneln sollen. Ich vermute, dass UNE VIERGE ohne dieses Material noch deutlich runder liefe, aber es fügt dem wunderbaren Werk auch keinen echten Schaden zu.

Franco erzählt eine beinahe klassische Spukgeschichte: Die junge Christina (Christina von Blanc) reist aus London in das Schloss, in dem der Rest ihrer Familie residiert, um dort der Verlesung des Testament ihres Vaters (Paul Muller) beizuwohnen, den sie nie kennen gelernt hat – und der sich mutmaßlich selbst das Leben nahm. Auf der Fahrt zu dem Schloss behaupten mehrere Menschen, es sei völlig unbewohnt, und am Ziel angelangt zeigt ihr Onkel Howard (Howard Vernon) eiskalte Haut und keinerlei Mitgefühl mit seiner im Sterben liegenden Schwägerin Hermine, die ihr Leben just in dem Moment aushaucht, als Christina sie begrüßt. Die junge Frau wird im Folgenden von merkwürdigen Träumen und der Erscheinung ihres Vaters heimgesucht und schließlich von einer schwarzhaarigen Frau, der Königin der Nacht (Anne Libet) mit ins Schattenreich genommen, wohin ihr dann auch der Rest der Sippe folgt.

UNE VIERGE CHEZ LES MORTS VIVANTS ist ein poetischer, schwarzromantischer, mitunter ziemlich unheimlicher Bilderreigen, der von einer tiefen Traurigkeit durchzogen ist und, wie man das von Franco erwarten darf, manche Frage aufwirft. Auffälligstes Merkmal ist seine dichte, traumgleiche Atmosphäre, die Franco unter anderem mithilfe der wunderbaren Musik von Bruno Nicolai und seiner charakteristischen Weitwinkelfotografie sowie der Beugung von Logik und Kausalität erzeugt. Kaum dass die Protagonistin vom zurückgebliebenen Diener Basilio (Jess Franco) zum Schloss chauffiert wird, verlässt der Betrachter mit ihr zusammen die Realität und taucht ein in ein rätselhaftes, mal unheimliches, dann wieder verführerisches Zwischenreich, in dem Zeit und Raum eigenen Gesetzen unterworfen sind, Traum und Realität verschwimmen in einem diffusen Zwielicht. Wir verstehen schneller als die Protagonistin, was los ist: Ihre ganze Familie ist tot, Opfer eines rätselhaften Fluchs, gefangen im Limbo, und ihre Anwesenheit Teil des Plans, sie auf die andere Seite zu ziehen und den Fluch zu lösen. Die junge Frau wacht nachts auf, wandelt durch das Schloss und den angrenzenden Park und macht dort immer wieder merkwürdige Beobachtungen, für die sie keine Erklärung findet – und mit ihr auch der Zuschauer nicht: Warum trägt Christina etwa einen anderen Nachnamen als ihr Vater? Was hat die Familie für eine Schuld auf sich geladen, dass sie mit einem Fluch beladen wird?

Stephen Thrower schlägt vor, UNE VIERGE CHEZ LES MORTS VIVANTS als eine Art „Sequel“ von EUGÈNIE zu betrachten, mit Mullers Charakter als Bindeglied: Dann hätte er als praktizierender Sadist und Lustmörder vielleicht eine zweite Tochter aus einer anderen Beziehung gehabt und diese vor sich in Sicherheit gebracht. Wir lernten nun seine Familie kennen, zu der mit seinem Bruder Howard, der vampirhaften Carmenzé (Britt Nichols), der steinernen Abigail (Rose Palomar) und dem irren Basilio noch weitere zwielichtige, gewalttätige und dem Okkultismus zugeneigte Personen gehören, die sich auf dem Schloss mit unberechenbaren Mächten eingelassen haben. Aber wenn solche Fragen auch aufgeworfen werden und es spannend ist, über sie nachzudenken, spielen sie bei der ersten Betrachtung des Films eigentlich keine Rolle: Ich folgte ihm wie unter Hypnose, bereit, mich von ihm verzaubern zu lassen und ohne Interesse an den inneren Motivationen der Figuren oder dem Füllen von vermeintlichen Plotholes. UNE VIERGE CHEZ LES MORTES VIVANTS bietet nämlich mehr als genug Reize, um die Ratio weit hinter sich zu lassen, was manchen kalten Schauer begünstigt – vor allem, wenn man den Film wie ich nachts in einem Zustand fortschreitender Schläfrigkeit betrachtet. Exemplarisch sei hier die Begegnung Christinas mit ihrem Vater erwähnt: Ein einfacher, aber wirkungsvoller Trick lässt den Mann, der nach seinem Tod durch den Strick eben jenen um seinen Hals trägt, vor der Subjektiven seiner Tochter durch den Wald schweben. Später wird er dann, an seinem Schreibtisch sitzend, von der sich aus der Schwärze hinter seinem Stuhl schälenden Königin der Nacht ergriffen und langsam und lautlos in den Schatten und aus dem Blick der Tochter gezogen. Ein wunderbarer, magischer, märchenhafter Moment, visuell brillant umgesetzt.

Über dem allen liegt, ich erwähnte es schon, eine tiefe Traurigkeit, die sich aus der Einsamkeit seiner Protagonistin speist: Das Narrativ zeichnet sie als Verstoßene, als Person ohne jeden Vertrauten, aufgewachsen ohne jede elterliche Liebe und Zuneigung und sie eilt angesichts der Möglichkeit einer Vereinigung mit den Verwandten voller Erwartung und Hoffnung in die Fremde. Die Kälte, mit der man ihr begegnet, erkennt sie gar nicht, so entwöhnt ist sie von jedem menschlichen Kontakt, und ihr Wunsch, sich in diese unheimliche Gemeinschaft einzugliedern, ist geradezu herzzerreißend. Die Frage nach der möglichen Schuld an ihrer Einsamkeit tangiert Franco aber ebensowenig wie der Wunsch, sie zu befreien. Es gibt kein Gut und Böse, keine Bestrafung, keine Charakterentwcklung. Der Film verharrt in einem Gefühl der Melancholie, der Hoffnung auf Liebe. Doch diese Liebe muss unerwidert bleiben. Was Franco anbieten kann, ist nicht Er-, sondern Auflösung.

 

Niemand wird jemals auf die Idee kommen, ausgerechnet Francos unterfinanzierte Ausflüge ins Abenteuer- oder Fantasygenre zu seinen besten Leistungen zu zählen: Mit seinen persönlichen Interessen, Obsessionen und Fetischen sowie seiner ästhetischen Sensibilität war er im dunkelromantischen bis sadistischen Horror-, Erotik- und Sexfilm sicherlich am besten aufgehoben und fühlte sich dort auch zu Hause. Das zeigt auch X312 – FLUG ZUR HÖLLE, der gewiss auf keiner Franco-Best-of-Liste landet, aber trotzdem ganz vergnüglich ist, wenn man sich auf seiner kargen Reize einlassen kann. Der Film hat auf seiner Habenseite aber auch eine Top-Besetzung und einer launige deutsche Synchro zu verbuchen, die über seine traurigen Production Values – eigentlich der Genickbruch eines Abenteuer- und Actionfilms – hinweghelfen und wenn schon nicht für Begeisterung, so doch für angeregtes Amüsement sorgen. Was X312 – FLUG ZUR HÖLLE gegenüber anderen Versuchen Francos im klassischen Erzählkino auszeichnet, ist seine Geradlinigkeit: Während etwa seine „Thriller“ DER TEUFEL KAM AUS AKASAVA, DR. M SCHLÄGT ZU oder DER TODESRÄCHER VON SOHO, die ungefähr zur gleichen Zeit entstanden, gnadenlos konfus, holprig und von etlichen erzählerischen Problemen und Ungereimtheiten geplagt sind, kann man diesem Abenteuerfilm folgen, ohne immer wieder an seinem Verstand zweifeln zu müssen. Franco entwickelt tatsächlich so etwas wie Zug, was ihn sonst eher wenig interessierte und ihm daher auch nur selten gelang.

Worum geht’s: Der Reporter Tom (Thomas Hunter) nimmt für einen Freund von der Polizei einen Bericht auf Tonband auf: Laut eigenen Angaben kommt er soeben von einem Abenteuer zurück und er weiß nicht, ob er noch lange leben wird. Er war Passagier eines Flugzeuges, das auf dem Weg von Chile nach Brasilien über dem Amazonas abstürzte. An Bord war neben etlichen „normalen“ Bürgern – darunter die österreichische Studentin Steffi (Gila von Weitershausen), der schöne Jüngling Carlos (Hans Hass jr.), die attraktive Spanierin Anna Maria (Esperanza Roy) sowie eine amerikanische Nachtclubtänzerin (Ewa Strömberg) -, die vor der Diktatur fliehen mussten, auch ein gewisser Alberto Ruprecht (Siegfried Schürenberg), seines Zeichens ehemaliger Chef der chilenischen Landesbank, der sich mit Juwelen im Wert von mehreren Millionen Dollar absetzen wollte. Natürlich hatten diverse Schurken davon Wind bekommen: Nach dem durch einen Verbrecher provozierten Absturz Im Urwald entbrannte aus diesem Grund ein Kampf um die Reichtümer: Der fiese Somers (Paul Muller) hatte seine Männer auf Ruprecht angesetzt und vor Ort hatte es auch der Halsabschneider Pedro (Howard Vernon) auf die Juwelen abgesehen. Doch im folgenden Gemetzel ist es Tom gelungen, die Juwelen in seinen Besitz und zurück nach Rio zu bringen.

X312 – FLUG IN DIE HÖLLE krankt, wie man das erwarten durfte, an seinem nicht vorhandenen Budget: Der Flugzeugabsturz wird mithilfe von wildem Kameragewackel und herumtorkelnden Schauspielern in einem engen Raum (= Cockpit) realisiert, als Stand-in der für den wilden Amazonasdschungel muss ein gepflegter Park herhalten, den Rest besorgt Stock Footage. Wer sich große Schauwerte erhofft, wird demnach enttäuscht werden, wobei die finale Auseinandersetzung zwischen den Überlebenden und Pedros Männern dann doch mit einigem Krawumm verbunden ist. Der größte Reiz liegt aber im Miteinander der Charaktere, einem bunten Panoptikum an Klischeefiguren, die sich in der schönen deutschen Synchronfassung in einem Fort Sprüche um die Ohren hauen: Peer Schmidt intoniert Thomas Hunter mit Trunkenheit vermuten lassender, hingeworfener Lässigkeit, Brummbär Arnold Marquis übernimmt Fernando Sancho, mal wieder der fette Schmierlappen, Gila von Weitershausen interpretiert ihre Wiener Studentin als kulleräugiges, schutzbedürftiges Mädchen, das zudem den wahrscheinlich hässlichsten Teddy der Welt mit sich herumschleppt, Beate Hasenau wirft sich als Esperanza Roy in deren üppig bestückte Brust, die in der obligatorischen Lesbensex-Szene ihren großen Auftritt hat, und Franco-Regular Howard Vernon – gesprochen von Heinz Petruo –  sieht aus, wie aus dem Mexiko-Bereich vom Phantasialand geflohen, komplett mit angeklebtem Schnäuz, Bräunungsceme im Gesicht und Sombrero, Er hat auch meine Lieblingszeile des Films: Als er einen beherzten Schluck aus der Rumpulle nimmt, fragt seine Geliebte (Beni Cardoso) ihn, ob er denn immer so viel saufen müsse, woraufhin er ihr trocken entgegnet: „Alkohol ist gut fürs Zahnfleisch.“ Nach rund 90 Minuten ist der Spaß vorbei und man ist überrascht, wie kurzweilig das war.

Ist VAMPYROS LESBOS möglicherweise Francos berühmtester Film? Es spricht einiges dafür, auch wenn man annehmen darf, dass längst nicht alle, die den Titel des Filmes kennen, diesen auch tatsächlich gesehen haben, oder gar wissen, wer als Regisseur dahintersteckt. Seine Popularität verdankt er in erster Linie dem Soundtrack von Hübler und Schwab, der im Zuge des Easy-Listening-Booms in den Neunzigerjahren wiederentdeckt und -aufgelegt wurde und so neue, wenn auch kurzlebige Aufmerksamkeit auf den Film mit dem einprägsam-markigen Titel zog. Francos bewusst ohne die damals gängigen Ingredenzien des Vampirfilms – Schlösser, Gruften, Spinnweben, finstere Mondnächte und graue Eminenzen – inszeniertes Werk traf rund 25 Jahre nach seiner Entstehung, in einer Zeit, als Seventies-Chic und Psychedelia ein kleines Revival erlebten und das „Trashfilm“-Phänomen in den deutschen Mainstream eindrang, erneut (oder vielleicht sogar zum ersten Mal?) den Nerv eines zwar überschaubaren, aber dann doch beachtlichen Publikums. Was dieses dachte, als es den Film dann bei einem Screening mit anschließender Seventies-Party zu Gesicht bekam, sei dahingestellt, dass der Stern so schnell wieder sank, wie das bei Moden nun einmal üblich ist, scheint vernachlässigbar: Die sehr speziellen Reize des Franco’schen Kinos fanden damals vielleicht zum ersten Mal als solche breitere Resonanz. Man verirrte sich nicht im Trenchoat in VAMPYROS LESBOS, weil man sich erhoffte, sich ein von der Palme wedeln zu können oder gar, weil man den nächsten Horrorknaller erwartete, sondern weil man sich von einem sinnlichen Erlebnis einlullen lassen und lässig abgrooven wollte.

Und genau so muss man den Film auch rezipieren, wenn man irgendetwas aus ihm mitnehmen möchte, denn Franco könnte kaum deutlicher zeigen, dass er am Abwickeln einer Plotline, an der Erzeugung von Spannung und Suspense, an Action und Effekten, an Psychologie oder auch nur an dramaturgischer Kohärenz nicht das geringste Interesse hat: Die Anleihen bei der Stoker’schen Vorlage – Charakternamen und Motivationen – dienen ihm lediglich als notdürftige Ankerpunkte. Einmal diagnostiziert der Arzt Dr. Seward (Dennis Price), dass Omar (Andrea Montchal), der Liebhaber der Protagonistin, eine große Menge Blut verloren habe, aber die dazugehörige Szene, in der ihm die Vampirgräfin Nadine Karody (Soledad Miranda) einen nächtlichen Besuch abstattet, fehlt (Szenenfotos belegen, dass sie gedreht und dann vermutlich verworfen wurde). Was an Plot übrig geblieben ist – die Reise der Immobilienmaklerin Linda (Ewa Strömberg) zu der geheimnisvollen Dame nach Istanbul, ihre Verführung durch dieselbe, der Verdacht des Einflusses von Vampirismus von Dr. Seward, der bereits ein anderes Opfer in seiner Klinik untersucht, schließlich das Eindringen in das Domizil der Vampirin und ihre Tötung – wird in wenigen Szenen abgewickelt, während das Hauptaugenmerk eindeutig auf der Erzeugung einer traumgleichen Atmosphäre liegt, die ganz auf der Suggestivkraft von Bildern gegenüber der Bedeutung von Worten beruht, rationale Kausalität zugunsten einer emotionalen, instinktiven verwirft. Dieser ästhetische Zugang macht Sinn, schließlich behandelt VAMPRYOS LESBOS – wenn man auf eine hermeneutische Deutung zurückfallen möchte – den Zusammenbruch eines gefestigten Wertesystems, die Durchdringung und Rekonfiguration einer Persönlichkeit mit den Mitteln der Magie und Verführung. Die heterosexuelle Linda, von der etwas langweiligen Strömberg perfekt verkörpert, sieht sich den Reizen der mysteriösen Nadine hoffnungslos erlegen und von ihr in den Bann geschlagen. (Einen interessanten und richtigen ideologiekritischen Ansatz zur Bewertung der Tradition des lesbischen Vampirfilms liefert Stephen Thrower in seinem Eintrag zum Film in seinem Franco-Buch „Murderous Passions“.) VAMPYROS LESBOS entfaltet sich in langen, betont handlungsarmen Tableaus, die nur dann und wann von Szenen unterbrochen werden, die den Film vorantreiben – ohne ihn jedoch wirklich in Bewegung zu versetzen und seinen entspannten Flow aufzubrechen.

„Flow“ ist aber eigentlich auch ein irreführender Begriff, denn er suggeriert eine aktive Bewegung auf ein Ziel hin. Doch dieses Ziel, das Ende von VAMPYROS LESBOS bzw. die Tatsache, dass der Film überhaupt eines hat, ist ja allenfalls einer materiellen und ökonomischen Notwendigkeiten geschuldet: Ein Film kann nicht ewig dauern, zumindest dann nicht, wenn ein kommerzielles Interesse mit ihm verbunden ist. Doch es ist diese Stasis, die Franco eigentlich anstrebt, das passive, richtungslose Treiben im Limbo, in dem man von Sinneseindrücken, Farben, Bildern und Musik umspült wird, und diese losgelöst von jeder assoziativ und hermeneutisch verbundenen Bedeutung aufnimmt. In den Bildern der Gräfin, die anscheinend tot in ihrem Swimming Pool treibt, einzelner Blutstropfen, die an einer Scheibe herabrollen, oder eines Drachens, der vom Wind erfasst durch die Luft gewirbelt wird, kommt VAMPYROS LESBOS ganz zu sich.

 

Nach EUGÉNIE springe ich noch einmal ein paar Jahre in die Vergangenheit: RIFIFI EN LA CIUDAD ist wie LA MUERTE SILBA EN BLUES wahrscheinlich am ehesten als Noir oder Gangsterfilm zu beschreiben, zeigt aber wie dieser das für Franco typische entspannte Pacing, das dem Aufbau von Bedrohung und Spannung eher abträglich ist und auch hier dazu beiträgt, aus RIFIFI einen gewalttätigen Loungefilm zu machen.

Die Handlung dreht sich um den mexikanischen Polizisten Mora (Fernando Fernán Gómez), der einen jungen attraktiven Mann namens Juan (Serafín García Vázquez) als Informanten benutzt, im Beweise gegen den Verbrecherboss Leprince (Jean Servais) zu sammeln, der auch ein sehr aussichtsreicher Kandidat bei der bevorstehenden Wahl ist. Als Juan auffliegt und ermordet wird, beginnt eine Serie von Morde an den Handlangern von Leprince.

Franco adaptierte für RIFIFI EN LA CIUDAD einen französischen Pulp-Bestseller, den er ab wesentlich abänderte. Für die Rolle des schurkischen Strippenziehers konnte er Leprince gewinnen, der einige Jahre zuvor im immens erfolg- wie einflussreichen DU RIFIFI CHEZ LES HOMMES die Hauptrolle gespielt hatte und dessen Mitwirken hier wohl auch den Titel erklärt. Die als französisch-spanische Kollaboration ausgewiesen Produktion bekam Probleme, als die französische Finanzierung wegbrach, trotzdem erlebte der Film seine Premiere in Frankreich. In Spanien, wo Franco Zeit seines Lebens immer wiede Probleme mit der Zensur hatte, rutschte RIFIFI EN LA CIUDAD interessanterweise unbeanstandet durch, und das obwohl man durchaus Parallelen zwischen dem verbrecherischen Leprince, dessen Konterfei auf Plakaten, die an Orwells „Big Brother“ denken lassen, geradezu omnipräsent sind, und dem spanischen Diktator Franco deutlich erkennbar sind. Vermutlich lenkte der Handlungsort Mexiko die Aufmerksamkeit der staatlichen Zensoren ab.

RIFIFI EN LA CIUDAD ist ein schöner Film mit bestechender Schwarzweiß-Fotografie und dem obligatorischen Lounge-Score. Was ihm fehlt, sind der Punch und ein fester Dreh an der Spannungsschraube. Auch wenn die Menschen sterben wie die Fliegen und ein maskierter Killer umgeht (man spürt einen leichten Einfluss der deutschen Wallace-Filme und spürt in den geflüsterten Drohungen des gesichtslosen Killers den Giallo heraufziehen), verliert RIFIFI EN LA CIUDAD nie seine aufreizende Lässigkeit. Die visuell aufregendste Szene ist dann auch eine schön choreografierte Tanznummer im „Stardust“, dem schicken Nachtclub, in dem Leprince seine schmutzigen Geschäfte abzieht, die voll ausgespielt wird. Das Ende ist wunderbar konstruiert, unendlich tragisch und melodramatisch zugleich. Man kann durchaus produktiv darüber diskutieren, ob dieses Finale auch bei einem ruppigeren, „amerikanischeren“ Gangsterfilm noch so funktioniert hätte: Franco impft dem Stoff die für ihn typische Melancholie ein, die eben am besten mit einer gewissen Langsamkeit korrespondiert. RIFIFI EN LA CIUDAD ist demnach nicht als abendfüllendes Kinohighlight zu programmieren, sondern eher als fluffiges Ambientkino für einen lauschigen Vormittag. Außerdem ist er als Anschauungsunterricht für Skeptiker geeignet, die Franco für einen Nichtskönner halten. Man sieht hier sehr deutlich, dass er durchaus in der Lage wahr, technisch sauber zu arbeiten und dann beachtliche Ergebnisse zu erzielen – aber eben auch, dass ihn konventionelles Erzählkino nicht so richtig reizte.

EUGÉNIE ist der zweite von insgesamt drei Filmen des Spaniers, die mit dem Frauennamen im Titel aufwarten: Zuvor gab es die Towers-Produktion EUGENIE … THE STORY OF HER JOURNEY INTO PERVERSION, später sollte noch EUGENIE (HISTORIA DE UNA PERVERSION) folgen. Der Film, um den es hier geht, entstand 1969/70, ungefähr zur selben Zeit wie das dunkle Juwel LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT, doch er fand seinen Weg in die belgischen und französischen Sexkinos erst deutlich später (weshalb er etwa in der IMDb auf das Jahr 1973 datiert wird) – in Deutschland erschien er überhaupt nicht. Laut Stephen Thrower ist EUGÉNIE der Film, in dem „Franco lernte, Franco-Filme zu drehen“ und selbst wenn ich dieser Aussage nicht ganz beipflichten möchte, scheint mir die Bedeutung des Films für das Werk des Regisseurs unstrittig. Hier legt er seine von De Sade beeinflusste Philosophie explizit dar, formuliert sie aus und stellt sie in den Mittelpunkt der Handlung.

Diese dreht sich um die schöne Eugénie Radeck (Soledad Miranda) und ihren Stiefvater Albert (Paul Muller), einen Schriftsteller, der sich mit Erotik und Sadismus beschäftigt. Die beiden beginnen eine Liebesbeziehung und entscheiden sich dazu, ihre sadistischen Neigungen mit einer Reihe von Lustmorden auszuleben. Gemeinsam bringen sie mehrere Frauen um, was den Literaten Tanner (Jess Franco) auf ihre Spur bringt, der sich Einblicke in die Psyche Alberts erhofft. Als der Eugénie auf einen jungen Musiker (Andrea Montchal) ansetzt, sie dazu auffordert, ihn zu verführen und dann in den Selbstmord zu treiben, wendet sich das Blatt. Die junge Frau verliebt sich in den Mann und erregt damit den Zorn des eifersüchtigen Stiefvaters.

Make no mistakes: Dass Franco aus Albert einen „Stiefvater“ macht, ist sein Zugeständnis an die damalige Moral. Er wusste, dass sein eh schon gnadenlos unkommerzieller Film überhaupt keine Chance haben würde, wenn er eine „echte“ Inzestbeziehung zwischen einem erwachsenen Mann und seiner Tochter in den Mittelpunkt stellen würde. Dieser Rückzieher lässt sich deutlich leichter ignorieren als das unpassend moralische Ende: Dass Eugénie sich in den furchtbar drögen Musiker verliebt und ihrem Vater damit in den Rücken fällt, wirkt nicht nur intradiegetisch unglaubwürdig und unmotiviert, es widerspricht auch der von Franco zumindest theoretisch vertretenen Amoralität. Kam ihm der eigene Humanismus in die Quere?

Es macht durchaus Sinn, über Francos Überzeugungen und Neigungen zu spekulieren, denn EUGÉNIE ist, anders als der poetische LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT ein eher diskursiver und vor allem selbstreflexiver Film: Es gibt gleich mehrere wichtige Dialogszenen, in denen die Figuren, vor allem natürlich Albert und Tanner, ihre Überzeugungen und Philosophien erläutern und es ist, als hörte man einem inneren Monolog Francos zu. Albert ist Vertreter eines radikalen Sadismus: Die größte sexuelle Befriedigung erreicht man seiner Meinung nach, wenn man sich über Moral und die Werte des Humanismus hinwegsetzt und ein anderes menschliches Wesen unterwirft. Tanner ist von dieser Lebensweise zweifellos fasziniert, aber er kann sich selbst von der Konditionierung durch Moral und Gesetze nicht freimachen. In dieser Haltung spiegelt sich zweifellos Francos eigene wider: Als Künstler befasste er sich immer wieder mit der Verbindung von Sex und Gewalt, lebte seinen Fetisch in seiner Kunst, gewissermaßen mittelbar aus. Sein voyeuristisch-begehrender Blick nimmt EUGÉNIE gleich zu Beginn ein: Der Film eröffnet mit privatem Filmmaterial der Radecks, das sie beim Sexspiel mit einer Unbekannten zeigt, das schließlich mit einem Mord endet. Zunächst ist es Eugénie, die sich mit der Frau um Bett tollt, während ihr Vater die Kamera führt. Dann tauschen beide die Rollen, der Vater übernimmt den Platz der Tochter im Bett neben der Frau, die er schließlich stranguliert, während sein Blick in das Objektiv dringt. Wen fixiert er? Eugénie oder gar den Filmzuschauer? Als Stand-in für diesen fungiert Tanner, der das Material in einem Vorführraum sichtet, ohne dabei irgendeine Gefühlsregung zu zeigen. Es kann kein Zufall sein, dass sich Franco selbst als Zuschauer eines Filmes inszeniert, den er ja nicht nur selbst gedreht hat, sondern der auch ganz direkt Voyeurismus und Sadismus thematisiert.

EUGÈNIE ist über weite Strecken ein ziemlich düsterer, oder besser: misanthropischer Film. Albert ist frei von jedem Mitgefühl, die Liebe, die er für seine Tochter empfindet, macht ihn für den Betrachter nicht sympathisch, sie stößt ab, da auch sie letztlich vor allem seinem Streben nach Kontrolle unterworfen ist. Er genießt es, Eugénie nach seinen Vorstellungen zu formen, sie in seinen Bannkreis zu ziehen, sie zu seinem Geschöpf zu machen, es erhebt ihn, seinen Einfluss geltend zu machen, denn er strebt vor allem nach Macht. Die Beziehung zu seiner Tochter ist für ihn auch ein intellektuelles Spiel, lediglich auf einer höheren Ebene angesiedelt als die Lustmorde, die er gemeinsam mit ihr begeht. Selbst wenn Francos Film Anflüge von Humor zeigt, verhindert seine schneidende Schärfe, dass man darüber lachen kann: Für ihren ersten Mord kleiden sich die Radecks in unmögliche Klamotten, weil Albert der festen Überzeugung ist, dass sie weniger auffallen, wenn sie sich völlig selbstbewusst und betont flamboyant geben. Das Kalkül, das hinter der Verkleidung steckt, der Erfolg, der ihnen schließlich Recht gibt, ersticken jedes Lachen im Keim. Die Bilder des winterlich kalten Berlins mit seiner wie ein Mahnmal in den grauen Himmel stechenden Turm der Gedächtniskirche und dem vereisten See, an dessen Ufer sich die ausladende Villa der Radecks befindet, bestimmen die Atmosphäre, die auch durch die golden glänzenden Nachtklubszenen nicht wirklich aufgelockert wird. Paul Muller, einer von Francos Stammakteuren zeigt hier eine extrem intensive Darbietung: Sein diabolisch-lüsterner Blick lässt keinerlei Wärme oder Mitgefühl erkennen, die dunklen Augen der betörenden Soledad Miranda deuten die dem Stoff inhärente Tragik zweier verlorener Seelen an.

Es gibt einige wunderschöne Aufnahmen – einmal blendet die Kamera sanft von einer Reflektion der Gedächtniskirche auf einer Fensterscheibe auf das nachdenkliche Gesicht Eugénies dahinter -, aber EUGÉNIE bleibt nicht unbedingt wegen seiner Schönheit im Gedächtnis, eher schon wegen seiner kühnen, bis auf das schale Ende kompromisslosen Konstruktion. Wer LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT gesehen hat, erkennt die Szenen zwischen Miranda und Montchal wieder: Franco nutzte die Dreharbeiten von EUGÉNIE, um Aufnahmen für CAUCHEMARS abzuzweigen. Und das DOKTOR SCHIWAGO-Marquee, das schon in NECRONOMICON – GETRÄUMTE SÜNDEN zu sehen war, hat hier erneut seinen Auftritt: Der Film lief tatsächlich über drei Jahre im Royal Palast auf der Tauentzienstraße.

Hier fängt es an, so richtig interessant zu werden im Werk Francos: Nicht, dass er nicht schon zuvor enorm sehenswerte Filme hervorgebracht hätte, aber mit LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT war er zum ersten Mal von allen kommerziellen Verpflichtungen befreit und nur sich selbst verpflichtet. Es gab keine Produzenten, die ihm reinredeten, keine kommerziellen Erwartungen, die zu erfüllen waren, keine literarische Vorlage, an der er sich orientieren musste. Das Ergebnis ist ein Film, der alle die Elemente zeigt, für die der Spanier berüchtigt ist, wahlweise verehrt oder verlacht wird. LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT drehte Franco innerhalb einer Woche ab und er musste dabei keinerlei Rücksicht etwa auf die Zensur in seinem Heimatland nehmen. Das Werk war nicht für eine breite Kinoauswertung gedacht, sondern für die freigeistigen Sexkinos in Frankreich und Belgien, wo der Film dann auch als einziges aufgeführt wurde, mit drei- bzw vierjähriger Verspätung.

LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT erzählt eine aus alten Mysteryfilmen bekannte Geschichte, die im Rahmen des damals populär werdenden Giallos gerade eine kleine Renaissance erfuhr: Cynthia (Colette Giacobine) und Dr. Paul Vicas (Paul Muller) sind Juwelendiebe, die sich die emotional labile Striptease-Tänzerin Anna (Diana Lorys) ausgeguckt haben, um zwei ihrer Mittäter (darunter Soledad Miranda in einer Mnirolle) auszuschalten und ihr die Schuld in die Schuhe zu schieben. Cynthia gaukelt Anna eine Liebesbeziehung vor, doch in Wahrheit treibt sie ihr manipulatives Spiel mit ihr. Mit Erfolg, denn die ahnungslose junge Frau wird von Albträumen geplagt, die sie an ihrem Verstand zweifeln lassen.

Der Krimi- und Thrillerplot interessiert Franco herzlich wenig und es ist nicht auszuschließen, dass ein wenig aufmerksamer oder von der langsamen, traumgleichen Inszenierung des Spaniers eingelullter Betrachter gar nicht mitbekommt, welche Geschichte da im Hintergrund miterzählt wird. Ziemlich zu Beginn schildert Anna, wie sie Cynthia kennenlernte: Sie trat in einem schäbigen Stripclub in Zagreb auf, dessen Besitzer von ihr verlangte, ihre Stripnummern über den ganzen Abend auszudehnen, sie als nicht enden wollenden Tease anzulegen und ihre männlichen Zuschauer so dazu zu animieren, viel Geld für Getränke auszugeben. Einer der Zuschauer war Cynthia, doch anstatt von Annas Nummer in ihren Bann gezogen zu werden, übte sie mit ihrem Blick eine geradezu hypnotische Kraft auf die Striptänzerin aus. Die Anekdote – die Franco mittels einer Rückblende auf mehrere Minuten ausdehnt und dabei nachdrücklich zeigt, wie „einfallsreich“ und ermüdet die überforderte Anna auf der ranzigen Bühne agiert – fungiert als Schlüssel, um den Code von LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT zu knacken. Franco setzt ganz auf die Zerdehnung der Zeit, auf Ellipsen und Sprünge, die den brüchigen Verstand seiner Protagonistin widerspiegeln, und sein Film wirkt dabei wie eine radikalere, ungeschönte und improvisierte Version des kurz zuvor entstandenen VENUS IN FURS.

Hier geht Franco sogar noch einen Schritt weiter, denn der Wahnsinn Annas zeigt sich auch in dem wahrhaft irrwitzigen Nebeneinander von betörend schönen, wenngleich extrem rohen Einstellungen und Bildkompositionen und amateurhaften, technisch unzureichenden Aufnahmen. Man sieht dem Film sehr deutlich an, dass Franco nicht viel Zeit und auch kein Interesse daran hatte, den perfekten Take einzufangen, dass ihm darüber hinaus das Budget und die räumlichen Bedingungen Grenze auferlegten. Das Badezimmer in Cynthias Haus muss etwa auch für eine Szene herhalten, die ganz woanders spielt. Ein Dialog zwischen Anna und Dr. Vicas wird in einer schier haarsträubend dilettantischen Schuss-Gegenschuss-Komposition aufgelöst, die noch dazu minutenlang dauert: Während Franco Anna durch die stark reflektierende Windschutzscheibe eines Autos filmte, fängt er ihren Gesprächspartner in sauberen, im Inneren des Wagens gedrehten Aufnahmen ein. Cynthias und Vicas‘ Komplizen interagieren nie mit den anderen Darstellern und die Szenen mit ihnen wurden offenkundig ganz woanders (vielleicht sogar für einen anderen Film?) gedreht. Ungefähr zur Halbzeit tauchen wie aus dem Nichts zwei weitere Personen auf, ohne dass geklärt würde, woher sie kommen und wer sie sind. In der sich daraufhin entfaltenden Partyszene erklimmt die nur mit Körperschmuck bekleidete Anna einen Tisch für einen erotischen Tanz, bei dem sie aber die drei herabhängenden Lampions der Deckenlampe entweder verdecken oder aber sehr unelegant gegen ihren Körper stoßen. Die englische Synchronfassung passt sich dem Chaos an und unterlegt einige Szenen mit einem ohrenbetäubenden Hall, der es absolut unmöglich macht, irgendetwas zu verstehen.

Der wahre Zauber von LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT ist aber, dass alle diese Mängel dem Film keinen Schaden zufügen, sondern seinen außerweltlichen Reiz ganz wesentlich mitbestimmen. Nicht ganz unerheblich ist Bruno Nicolais fantastischer, hochklassiger Score, der die Morbidität und existenzielle Verzweiflung, die Anna ergriffen hat, perfekt einfängt und den Film in seiner formalen Disparität zusammenhält. Wobei Disparität eigentlich der falsche Begriff ist: Denn LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT ist jederzeit als Ausdruck einer sehr individuellen Kreativität und Ästhetik zu erkennen, in der für schillernde Schönheit genauso Platz ist wie für staubige Ranzigkeit.