Mit ‘John Ford’ getaggte Beiträge

Die Fortsetzung von FORT APACHE – bzw. richtiger der zweite Teil von Fords Kavallerie-Trilogie – ist zunächst mal ein „einfacherer“ Film als der Vorgänger: Er ist gut 30 Minuten kürzer, hat weniger handelnde Personen und weniger „Episoden“. Im Wesentlichen handelt er von der letzten Mission des kurz vor seiner Verabschiedung aus der Armee stehenden Captain Nathan Brittles (John Wayne): Kurz nachdem die Armee eine verheerende Niederlage am Little Big Horn erfahren hat, soll er bei seiner nächsten Patrouille durch das von kriegerischen Indianerstämmen durchzogene Land zwei Frauen mitnehmen: Es handelt sich um Abby Allshard (Mildred Natwick) und Olivia Dandridge (Joanne Dru), die Ehefrau und die Nichte seines Vorgesetzten Mac Allshard (George O’Brien), der die beiden in Sicherheit und aus dem Krisengebiet bringen möchte. Doch Brittles‘ Vorhaben scheitert an den Bewegungen der Indianer: Er verpasst die Postkutsche, muss zurück ins Fort und die Bewältigung der Krise seinen Nachfolgern Lieutenant Flint Cohill (John Agar) und Lieutenant Ross Pennell (Harry Carey jr.) überlassen. Das setzt den alten Haudegen, der sich ein Leben außerhalb der Armee kaum vorstellen kann, ziemlich zu, weil er befürchtet, dass den jungen Soldaten die Erfahrung fehlt, um die Situation zu meistern. Also geht er in die Verlängerung und führt mit ihnen gemeinsam einen Plan aus, um den unabwendbar scheinenden Kampf doch noch zu verhindern.

SHE WORE A YELLOW RIBBON ist ein ziemlich ungewöhnlich strukturierter Film – vor allem, weil er, wie oben erwähnt, eigentlich sehr klar beginnt. Er hat zunächst eine handelsübliche Exposition, in der die historische Situation, der Ort des Geschehens und die verschiedenen Charaktere mit ihren kleinen Subplots vorgestellt werden. Da gibt es im Zentrum eben Brittles, der seiner Pensionierung eher mit Angst denn mit Freude entgegensieht, sowie seinen Vertrauten, den trinkfesten Iren Quincannon (Victor McLaglen), der ihm in drei Wochen nachfolgen wird. Die hübsche Olivia ist das Objekt eines Hahnenkampfs zwischen den beiden jungen Lieutenants, den sie mit ihrer Verweigerung, sich offen zu einem zu bekennen, noch befeuert (der Titel spielt auf das gelbe Band an, mit dem Frauen einem Kavalleriesoldaten signalisieren, dass sie ihn lieben, und das auch sie trägt). Die eigentliche Mission spielt sich dann aber ganz anders ab, als man das erwartet, nämlich keineswegs geradlinig, sondern als eine Aneinanderreihung von Sackgassen, Rückzügen, Umwegen und Kompromissen, die aber auch nicht zum ZIel führen. Über die Hälfte der Laufzeit verbringt Ford damit, Probleme anzuhäufen, anstatt sie aus dem Weg zu räumen und er dreht sich dabei absichtlich im Kreis. Ich weiß nicht, ob das Absicht war, aber die Entscheidung, den ganzen Film im Monument Valley zu drehen, dessen ikonischen Felsformationen immer und immer wieder im Hintergrund auftauchen, unterstreicht diesen Aspekt noch: Man hat nicht nur das Gefühl, dass die Soldaten keinen Meter vorwärts kommen, egal, wie viele Meilen sie auch zurücklegen, man sieht es auch. Das ist eine sehr spannende, sicherlich auch realistischere Sicht auf Kriegshandlungen – darum geht es ja letztlich – als die heroischen Geschichten von raffinierten Plänen und ihrer makellosen Ausführung durch vorausschauende Strategen und tapfere Kämpfer, aber sie unterläuft krass die bis dahin geschürte Erwartung (und ganz subjektiv muss ich hinzufügen, dass ich die immergleichen Bilder der eigentlich imposanten Kulisse irgendwann nicht mehr sehen konnte). Die zweite Hälfte des Films ist interessanter, weil abwechslungsreicher und er endet dann mit einer Überraschung, die das zyklische Element aus der ersten Hälfte wieder aufgreift: Auf der Stelle zu treten, zurück zum Anfang zu müssen, ein Kapitel nicht abzuschließen, sondern fortzuführen, muss nicht negativ behaftet sein. Menchmal ist es gut und richtig, die Dinge festzuhalten, die man kennt und liebt, mit denen man sich wohl und zu Hause fühlt, oder auch einfach nur zu warten, eine Entscheidung hinauszuzögern, sich die Dinge setzen zu lassen, anstatt eine übereilte Entscheidung zu treffen.

Ich bin nicht richtig warm geworden mit dem Film, aber wie immer bei Ford überwiegt auch hier am Ende das Gefühl, dass der Film zu voll ist, unter seiner klassisch anmutenden Oberfläche zu komplex, um das alles nach nur einer Sichtung alles einordnen zu können. Allein der ornamental anmutende Subplot um die Liebesgeschichte zwischen Olivia und ihren Verehrern, bei der Brittles ja auch eine nicht unwichtige Rolle spielt, scheint mir viel bedeutender, als es seine Stellung im Film vermuten lässt: Schließlich ist er nach genau dieser Geschichte benannt und nicht nach den militaristischen Leistungen seines Protagonisten. Für seinen Deutschlandstart verpasste man SHE WORE A YELLOW RIBBON den ultragenerischen und nebenbei völlig irreführenden Titel DER TEUFELSHAUPTMANN, was nicht nur darlegt, dass auch der damalige Verleih nicht so recht wusste, was er mit dem Werk anfangen sollte, sondern die Aussage des Films nahezu auf den Kopf stellt. Brittles ist mitnichten ein todesmutiger Teufelskerl, der seine Männer in Todesverachtung ins Gemetzel führt, sondern das komplette Gegenteil. Wayne, der SHE WORE A YELLOW RIBBON als seinen Lieblingsfilm bezeichnete und in einer Rolle brillierte, für die Ford ihn eigentlich ungeeignet fand – Brittles ist rund 20 Jahre älter als Wayne es damals war -, legt seinen Veteranen als väterlich-weisen Diplomaten, als Hirten einer Herde an, der unnötige Tode um jeden Preis vermeiden will und eine friedliche EInigung mit den Indianern anstrebt, deren Respekt er genießt, weil er ihre Kultur achtet. „Alte Männer sollten keine Kriege führen, sie sollten sie verhindern“, sagt er in einem Gespräch mit einem alten Indianerhäuptling und diese Überzeugung bestimmt auch sein Handeln. Er weicht sinnlosen Scharmützeln lieber aus, anstatt sich in leeren Kraftdemonstrationen aufzureiben, er fordert seine Männer auf, über die Köpfe der anstürmenden Feinde zu schießen, anstatt sie zu töten, weil er weiß, dass das auch seinen Zweck erfüllt, und sein „Gegenschlag“ ist kein bewaffneter Anstrum, sondern eher ein cleverer Sabotageakt, der keine Toten hinterlässt und die brisante Situation elegant auflöst, anstatt sie kriegerisch zu zerschlagen. Auch hier: Manchmal ist es die beste Lösung, eine Entscheidung zu vertagen, darauf zu hoffen, dass sich die Gemüter beruhigen und sich die Vorzeichen verändern, unter denen sich Konfliktparteien begegnen. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus.

Filmwissenschaftler, -historiker und -rezensenten wiesen darauf hin, dass SHE WORE A YELLOW RIBBON mit seiner zentralen Melancholie ein Vorläufer des Spätwesterns ist, wie er 15 bis 20 Jahre später vor allem von Sam Peckinpah wesentlich geprägt wurde. Brittles steht vor dem Abschied, seine Zeit läuft ab und er registriert, wie sich die Welt um ihn herum verändert. Aber im Unterschied zum Wild Bunch reagiert er darauf nicht mit einem Akt der Selbstzerstörung: Er sieht seine Aufgabe darin, noch möglichst viel von seinem Wissen weiterzugeben, den Keim der Vernunft und Besonnenheit in seinen Nachfolgern zu pflanzen, dafür zu sorgen, dass sie auch in hitzigen Situationen die Ruhe bewahren und den Menschen im Blick behalten. Der Schluss ist ein Signal der Hoffnung: Es ist zu früh, auf Männer wie ihn zu verzichten, solange sie noch etwas zu geben haben. SHE WORE A YELLOW RIBBON mag mit seinem Lob auf die Kameradschaft der Armee und die Weisheit des Alters in unserer heutigen Zeit, in der Todesschüsse per Drohne abgegeben werden und gerade die alten, weisen Männer sich eher durch Kurzsichtig- und Engstirnigkeit denn durch Besonnenheit hervortun, etwas altmodisch und vielleicht auch zu optimistisch anmuten, aber das ändert nichts daran, dass die humanistische Botschaft von Fords Film zeitlos und universell ist.

 

 

Wenn ich hier über Fords Filme schreibe – mit meiner umfassenden Retrospektive habe ich vor über vier Jahren angefangen, eigentlich mit dem ehrgeizigen Ziel, sie innerhalb eines Jahres abzuschließen -, steht mir immer wieder die Filmgeschichte im Weg wie ein Achttausender. Viele von Fords Filmen, FORT APACHE eingeschlossen, sind ja viel mehr als nur das: Sie gehören zum Kanon, sind Meilensteine des US-amerikanischen Kinos, Generationen von Cinephilen, Historikern, Filmwissenschaftlern, Filmkritikern oder einfach nur ganz normalen Kinogängern und Fernsehzuschauern haben sie gesehen, sich eine Meinung über sie gebildet, eine Beziehungen zu ihnen aufgebaut und zum Teil über sie geschrieben. Das, was ich hier auf begrenztem Raum zum Besten gebe, ist demgegenüber immer ein Kompromiss, der Gefahr läuft, hoffnungslos subjektiv und uninformiert zu sein, ein weiteres belangloses Tröpfchen in einem Meer von Texten, die die fraglichen Titel seit ihrer Uraufführung inspiriert haben. Das ist manchmal entmutigend, aber ich habe beschlossen, mich davon nicht weiter beeinträchtigen zu lassen. Fords Werk wird meine von gefährlichem Halbwissen geprägten, keinen Anspruch auf wissenschaftliche Fundiertheit erhebenden Ergüsse ganz gewiss unbeschadet überstehen – umso mehr, als ich sowieso fast ausschließlich lobende Worte für sie übrig habe. Hoffentlich sind sie ein Beleg dafür, dass seine besten Filme auch heute noch faszinierendes Kino darstellen, das seit damals nur wenig von seiner Kraft verloren hat. Vielleicht fühlt sich der ein oder andere inspiriert, sie sich selbst anzuschauen, sich seine eigene Meinung zu bilden und diese auch zu teilen. Letzten Endes geht es nur darum, die Geschichte der Filme weiterzuschreiben. Auch wenn man nur eine Fußnote zum großen Text beiträgt.

Die Filmgeschichte also: FORT APACHE markiert den ersten Teil der sogenannten Kavallerie-Trilogie, dessen weitere Teile SHE WORE A YELLOW RIBBON und RIO GRANDE sind, beide mit John Wayne in der Hauptrolle. Nach dem finanziellen Misserfolg von THE FUGITIVE brauchte der Filmemacher dringend einen Hit, weshalb er sich dem kommerziell verlässlichen Westerngenre zuwendete und erneut das Monument Valley bereiste, wo er zuvor bereits STAGECOACH und MY DARLING CLEMENTINE gedreht hatte. (Unvorstellbar, dass er damals keineswegs eine bereits allseits beliebte Touristenattraktion ablichtete, sondern diese für Millionen von Touristen überhaupt erst entdeckte.) Die Entscheidung erwies sich als goldrichtig: Ford gelang der benötigte Erfolg, der ihn auch als Produzent etablierte, und darüber hinaus ein echter Klassiker, der zudem als einer der ersten pro-indianischen Western in die Geschichtsbücher einging.

FORT APACHE erzählt die Geschichte der im titelgebenden Stützpunkt im äußersten Südwesten der USA stationierten Soldaten, die die Aufgabe haben, die dort beheimateten Apachen zu befrieden. Kopf des Regiments ist der besonnene Captain York (John Wayne), der die Indianer gut kennt und aufgrund seiner Besonnenheit den Respekt ihres Häuptlings Cochise (Miguel Inclán) gewinnen konnte. Doch mit der Ankunft von Lieutenant Colonel Owen Thursday (Henry Fonda) wendet sich das Blatt: Der Mann wurde trotz seiner Leistungen im Sezessionskrieg degradiert und in den verhassten Westen abkommandiert, wo er sich nun mit militärischen Erfolgen einen neuen Namen zu machen erhofft. Doch mit seinem unmenschlichen, auf Disziplin und Autorität fußenden Stil macht er sich keine Freunde, und auch im Umgang mit den Indianern schlägt er jeden Rat des erfahrenen York aus. Sein Weg führt in die offene Auseinandersetzung und die Katastrophe. Aber zumindest in einer Hinsicht erreicht er sein Ziel: Er wird durch seinen Tod zum gefeierten Militärhelden.

„When the legend becomes fact, print the legend!” Der berühmte Satz fällt zwar erst im 15 Jahre später entstandenen THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE, aber die darin zum Ausdruck kommende Haltung oder Überzeugung Fords ist auch der Kern von FORT APACHE: Als Reporter am Ende mit leuchtenden Augen Auskunft über Thursdays Heldentaten und seine inspirierende Tugendhaftigkeit von York haben wollen, gibt der ihnen, was sie brauchen (der Zuschauer, der Thursday erlebt hat, hört Yorks Kritik zwischen den Zeilen heraus). Nicht nur liegt es ihm fern, den Namen eines Toten in den Schmutz zu ziehen, er weiß auch genau um die identitätsstiftende Kraft, die von Heldengeschichten ausgeht – und er hat verstanden, dass die Fortschreibung der Legende keinen negativen Einfluss auf seine Truppen haben wird: Ihr Spirit wird letztlich nicht von den Befehlshabern bestimmt, sondern von den einfachen Männern, die Tag für Tag ihr Leben riskieren oder es sogar opfern. Dass der New York Herald Tribune den Film anlässlich der Kritik zur Uraufführung als Kriegsverherrlichung beschrieb, ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar: Nicht nur aus heutiger Sicht ist Fords Zeichnung des Militärs als verschworener, gut gelaunter Haufen echter Patrioten (die allerdings aus den unterschiedlichsten Nationen stammen – ein Standard des Ford’schen Schaffens und ein Grund, warum seine Filme so reich sind) gnadenlos romantisch und sentimental. Aber Ford ist alles andere als ein Kriegstreiber, das zeigt auch FORT APACHE, der keinen Zweifel an der Schuld lässt, die die USA im Umgang mit den Indianern auf sich geladen haben (mit seinen häufigen Dreharbeiten im Monument Valley wurde Ford nebenbei zu einem der größten wirtschaftlichen Förderer der dort verbliebenen Navajo-Indianer), und deutliche Kritik an militärischer Betonköpfigkeit, falschem Stolz und Ehrgefühl übt, die im Wesentlichen ursächlich sind für Kriege und sinnlose Tode.

Das Faszinierende an FORT APACHE ist aber, dass er noch so viel mehr erzählt. Ford liefert eine immens detaillierte Zeichnung des militärischen Lebens an einem der äußersten Vorposten der Zivilisation, einen scharfen Blick auf längst vergangene Rituale, Traditionen und Gepflogenheiten und deckt dabei die ganze emotionale Palette ab. In zwei Stunden taucht man tief ein in diese fremde Welt, die von zahlreichen Figuren bevölkert wird, die trotz ihrer Typenhaftigkeit glaubwürdig und echt wirken. Das Spannungsverhältnis zwischen ihnen ist für die dramaturgische Entwicklung dabei fast genauso wichtig wie der rote Faden des Plots. Ein Beispiel: Der degradierte Owen Thursday wird gespiegelt in dem alternden Veteranen O’Rourke (Ward Bond), der nach dem Sezessionskrieg ebenfalls zurückgestuft wurde, wenn auch auf niedrigerem Niveau. Sein Sohn Michael (John Agar) verliebt sich in Thursdays Tochter Philadelphia (Shirley Temple), doch als er bei ihrem Vater um ihre Hand anhält, lehnt dieser brüsk ab: Es geziemt sich für eine Offizierstochter nicht, mit einem niederen Soldaten anzubändeln. Der Eklat findet später bei einer Tanzveranstaltung seine für Thursday peinliche Fortführung, als er erfährt, dass die Tradition in Fort Apache es verlangt, dass er den Eröffnungstanz mit O’Rourkes Gattin absolviert. Es ziehen sich zahlreiche solcher kleiner Subplots durch den Film, viele davon entfalten sich kaum sichtbar unter der Oberfläche: Einer der ungeübten Freiwilligen, die von dem groben, aber gutmütigen Sergeant Festus Mulcahy (Victor McLaglen) ausgebildet werden, ist am Schluss etwa als First Sergeant unter Befehlshaber York zu sehen. Da werden weitere Geschichten und ganze Biografien quasi im Vorbeigehen angedeutet. Es gibt nur wenige Filmemacher, die das so gut können, wie Ford und dahinter steckt das große Herz für den einfachen Arbeiter, der mit seinem Pflichtbewusstsein und seiner Opferbereitschaft das Rückgrat der Nation bildet. Als Philadelphia angesichts der staubigen Behelfsmäßigkeit ihrer Behausung – für deren Pflege und Einrichtung der ganz auf seine Karriere bedachte Vater natürlich keine Zeit hat – in Verzweiflung gerät, sucht sie die patente Miss Collingwood (Anna Lee) auf, die in Windeseile eine Einrichtung aus gefundenen und geliehenen Möbelstücken zusammenstellt. Für den Film als Ganzes hat diese Episode nur periphäre Bedeutung und der direkte Nutzen, den Ford daraus zieht, ist ein kleiner Gag auf Kosten des hüftsteifen Thursday (der Sessel, in den er sich niederlässt, bricht unter ihm zusammen und er muss sich von den Frauen wieder auf die Füße helfen lassen), aber sie spiegelt eben jene Improvisationsgabe und Findigkeit, die es bei der Gründung der USA bedurfte.

Natürlich kann man über den Film nicht sprechen, ohne auf die ikonischen Bilder einzugehen, die Ford aus dem Monument Valley mitbrachte. Die bizarren, unverwechselbaren Felsformationen künden von der tiefen Bedeutung der menschlichen Handlungen, die sich vor ihnen entfalten, setzen diese aber gleichzeitig auch in Perspektive: Der Einzelne, so dramatisch sein Schicksal auch sein mag, ist letztlich nur ein Staubkörnchen im Angesicht dieser steinernen Giganten, die die Jahrtausende ungerührt überdauert haben (das Monument Valley war in grauer Vorzeit mal von Meer bedeckt). Ford filmte die Szenen um die große Schlacht mit speziellem Infrarot-Material, das die Kontraste besonders hervorhob, Menschen in lebende Statuen verwandelte und dramatische Wolkenformationen zeichnete. Historie ist bei Ford die Geschichte, die wir uns erzählen, das Bild, das wir uns davon machen, der Traum, dem wir nacheifern. Er beteiligt sich an dieser künstlerischen Aufbereitung: Aber er fällt auf die Illusion nicht herein.

In einem fiktiven lateinamerikanischen Staat befindet sich ein namenloser Priester (Henry Fonda) auf der Flucht, nachdem die Praktizierung von Religion durch die Militärregierung verboten wurde. Das Volk, vertreten durch die alleinerziehende Mutter María Dolores (Dolores del Río), die Ehefrau eines der Militärpolizisten (Pedro Armendaríz), sehnt sich aber danach, seinem Glauben nachzugehen – und der Priester kommt diesem Wunsch nach, bis er sich in Lebensgefahr begibt und untertaucht. Auf seiner Odyssee kommt ihn ein ebenfalls flüchtiger amerikanischer Verbrecher (Ward Bond) zu Hilfe.

Die Meinungen zu Fords mexikanische Co-Produktion sind zwiegespalten. Kommerziell gesehen war die sehr freie Verfilmung von Graham Greenes Roman „Die Kraft und die Herrlichkeit“ ein Reinfall und auch die Cinephilie hat ein eher gespaltenes Verhältnis zu Fords „letztem experimentellen Film“, wie es in einer wohlwollenden Besprechung heißt. Der Legende nach war Ford bei Ankunft in Mexiko so verzaubert von der Landschaft, dass er das Drehbuch kurzerhand verwarf und frei improvisierte (er wollte sogar eine mexikanisch-amerikanische Produktionsfirma gründen). Mit Greenes Vorlage hat Fords Film über die Prämisse und einige Details hinaus nicht mehr allzu viel zu tun: Aus Greenes Schnapspriester, der ein uneheliches Kind gezeugt hat, wird bei Ford ein wenn schon nicht heroischer, so doch weitestgehend tugendhafter Mann, der sich nichts hat zu Schulden kommen lassen – und den sein Altruismus bisweilen in Probleme bringt. Die verstoßene Ehefrau samt Kind hängt Ford dem Widersacher an und eine tragikomische Szene in Greenes Roman, in der der Protagonist Messwein erwerben will und dann dazu gebracht wird, ihn auszutrinken, erfährt durch die vorgenommenen Änderungen eine gänzlich andere, fast schon kafkaeske Wendung: Für den Kirchenmann gibt es einfach keinen Ausweg, noch nicht einmal, wenn er Wein für eine Messe erwerben will und dafür sein letztes Hemd gibt. Beide Versionen enden mit der Hinrichtung des Priesters, doch in Fords Film ist sein Tod das Ereignis, das die Macht des Staates schließlich zum Kippen bringt. Am Ende erkennen die Tyrannen, das sie die Liebe zu Gott nicht unterdrücken können, die Religion wird wieder legalisiert und ein neuer Priester hält in María Dolores Dorf Einzug.

Ford verzichtet auf expositorischen Dialog, lässt stattdessen die Bilder sprechen, die zum einen an Ikonen und Heiligenbilder erinnern, zum anderen an den deutschen Expressionismus, der auch Ford wesentlich beeinflusste. Verantwortlich für den kontrastreichen Look des Films war der Mexikaner Gabriel Figueroa, der sein Handwerk u. a. als Assistent von Gregg Toland erlernte, aber überwiegend in seiner Heimat tätig war, u. a. für Luis Bunuel. Sein bekanntester Film dürfte John Hustons THE NIGHT OF THE IGUANA sein, für den er auch für den Oscar nominiert wurde. Zusammen mit Fords getragener, wortarmer, fast stummfilmhafter Erzählung, den namenlosen, archetypischen und feinere Details vermissen lassenden Figuren, der Parabelhaftigkeit der Geschichte und der feierlich-ergriffenen Musik entsteht ein Werk, dessen tiefe Religiosität – allerdings eingebunden in eine Ford-typische weltliche Sicht der Dinge – den ungläubigen Betrachter durchaus verprellen oder gar abstoßen kann, dessen kompositorische Finesse aber unleugbar ist. Wie so oft bei Ford fiel mir der Zugang nicht ganz leicht, hatte ich am Ende aber trotzdem das Gefühl, THE FUGITIVE gleich noch einmal sehen zu müssen. Die Filme des Altmeisters wirken vordergründig oft einfach, manchmal vielleicht sogar ein wenig steif, aber dann bemerkt man, wie voll sie sind, wie ambivalent und vielschichtig, und wie raffiniert es ist, diesen Reichtum so „einfach“ aussehen zu lassen. THE FUGITIVE baut strukturell auf zwei parallel laufenden Handlungssträngen auf, wobei der eine nur wenig Aufmerksamkeit erfährt. Nachdem der Zuschauer Fondas Priester kennengelernt hat, tritt „El Gringo“, der amerikanische Kriminelle, in Erscheinung. Er kommt mit dem Schiff an, bemerkt in der Stadt seinen Steckbrief, den er mit einem Streichholz verfremdet und taucht erst einmal wieder ab. Bis kurz vor Schluss tritt er noch einige Male in Erscheinung, aber immer nur in Kurzauftritten, die eher die Funktion haben, dass wir ihn nicht vergessen. Trotzdem bleibt er präsent: Als der Priester später in derselben Stadt landet wie „El Gringo“ vor ihm, verwendet Ford dafür dieselbe Einstellung. Später, als der Priester aus dem Dorf von María Dolores flieht, kommt ihm „El Gringo“ entgegen und zwar auf der anderen Seite einer Mauer, die sich mittig vom oberen zum unteren Bildrand zieht und es so in zwei Hälften teilt. Am Ende begegnen sie sich wieder und der Amerikaner spielt sowohl bei der Rettung als auch – ungewollt – bei der Ergreifung des Geistlichen eine tragende Rolle.

Mir schien es, als hätte THE FUGITIVE etwas mehr Strenge in der Dramaturgie vertragen können. Die erwähnte Parallelisierung kommt nicht richtig zum Tragen, weil man „El Gringo“ zu selten sieht. Und da Ford sich nicht für eine Psychologisierung der Figuren interessiert, sie bewusst folienhaft anlegt, das „fromme“ Thema und der pathetisch-ergriffen-feierliche Ton für Agnostiker wie mich schwierig ist, fiel mir die Anbindung etwas schwer. Unzweifelhaft sieht THE FUGITIVE aber fantastisch aus und liefert ein spannendes Objekt für eine formale Analyse. So für „zwischendurch“ oder gar als Einstieg ins Ford’sche Schaffen würde ich ihn aber nicht empfehlen. Nach dem Misserfolg von THE FUGITIVE kehrte Ford danach zu den Stoffen zurück, mit denen er sich einen Namen gemacht hatte und schuf mit kurz hintereinander entstandenen Filmen wie FORT APACHE, SHE WORE A YELLOW RIBBON, WAGON MASTER oder RIO GRANDE die Grundlage für den berühmt gewordenen Ausspruch „My name’s John Ford. I make Westerns.“ Die Weihnachtsgeschichten-Adaption THREE GODFATHERS von 1948 könnte man aber vielleicht als kommerziellen Nachhall von THE FUGITIVE betrachten.

 

Gleich zu Beginn, macht Wyatt Earp (Henry Fonda) vor der imposanten Kulisse des Monument Valley mit dem vorbeireitenden Old Man Clanton (Walter Brennan) Bekanntschaft, der ihm das naheliegende Tombstone als „große, schöne, offene Stadt“ ans Herz legt. Zwei Dinge passieren während dieses kurzen Dialogs: Zum einen weiß der Zuschauer, der mit der von Legenden umrankten Geschichte Earps und der Schießerei am O.K. Corral vertraut ist, dass dieser Clanton mit seinem „Ausflugstipp“ nicht einfach nur nett zu dem Fremden ist. Schon wie dieser den sprechenden Namen „Tombstone“ ausspricht und Earp ihn dann arglos wiederholt, wird klar, dass hier jemand Böses im Schilde führt – was sich ja dann auch nur wenige Szenen später bestätigt. Zum anderen weckt seine Beschreibung der Stadt Erwartungen, die die Ansammlung von Häusern nicht im Geringsten zu erfüllen vermag. Tombstone ist (noch) nicht mehr als ein verzweifelter Versuchsballon für die Zivilisation: Schon wenige Minuten nach ihrem Eintreffen werden die drei Earp-Brüder beim Besuch des Barbiers fast erschossen, der Ort ist Anlaufstelle für Säufer, Ganoven, Glücksspieler, Huren und andere Verzweifelte. Das Eintreffen von Earp und später der titelgebenden Clementine Carter (Cathy Downs), einer Lehrerin aus Boston, markiert aber auch einen symbolischen Wendepunkt: Earp verkörpert Recht und Ordnung, Clementine Kultur und Bildung. Für die Clantons, aber auch für einen zerrissenen Charakter wie Doc Holliday (Victor Mature) und seine Freundin, die Prostituierte Chihuahua (Linda Darnell) ist kein Platz mehr. Sie müssen weichen, um den Weg für eine neue Weltordnung und die Idee der USA zu weichen.

Fords Verfilmung der Earp-Geschichte zählt zu den berühmtesten und bedeutendsten Western überhaupt, doch an einer Nacherzählung der historischen Ereignisse war der Regisseur, der damit seinen letzten Film für die Fox vorlegte, kaum interessiert. Die Freiheiten, die er (bzw. das Drehbuch) sich nahm, sind so groß, dass man fast den Eindruck haben kann, er wolle die Zuschauer darauf stoßen, dass es ihm nicht um eine Nacherzählung, sondern eine Mythologisierung ging. Dem stehen allerdings Aussagen gegenüber, in denen Ford behauptet, die Geschichte so authentisch wie möglich nachgeben zu wollen. Dabei sind die Abweichungen eklatant: Ford verlegte den Schauplatz der Geschichte ca. 500 Meilen nach Norden und ein Jahr nach hinten. Er machte aus dem Zahnarzt Doc Holliday einen Chirurgen und ließ ihn in der Schießerei am O.K. Corral den Opfertod sterben, statt ihn an der Tuberkulose verenden zu lassen. Auch bei den Earp-Brüdern und der Clanton-Familie nahm er es mit den Fakten nicht so genau. Und dass er aus Wyatt Earp, einem Falschspieler und Stammgast im Rotlichtmilieu einen tadellosen, rechtschaffenen Bürger machte, der der Zivilisation auf den Weg hilft, darf man beinahe als „whitewashing“ bezeichnen. Das klare Schwarz-Weiß des Films, das ihn nicht nur ästhetisch bestimmt, verursacht heute manchmal einen ideologischen Schluckauf: Speziell an der Figur der Chihuahua, die nicht nur sündige Prostituierte sondern auch noch ein Latino ist, lässt Ford kaum ein gutes Haar. Aber MY DARLING CLEMENTINE verfügt eben in anderer Hinsicht über solch zahlreiche Stärken, dass es relativ leicht fällt, darüber hinwegzusehen. Zumal es Ford eben, wie gesagt, nicht so sehr darum ging, Realitäten abzubilden, sondern überlebensgroße Mythen und archetypische Figuren zu schaffen.

Kritiker hoben an dem Film immer die poetische Kraft seiner Ruhepausen hervor: Auch wenn ich jetzt an die Sichtung zurückdenke, erinnere ich mich weniger an seine vereinzelten Action Set-Pieces oder den Showdown, sondern an diese ruhigen Momente der Introspektion: Earp, wie er im Stuhl wippend vor seinem Sheriff-Büro sitzt und seinen Gleichgewichtssinn austariert. Wie er die nahezu menschenleere Straße beobachtet, die sich durch Tombstone zieht – oder vielmehr daran vorbeiläuft, denn viel mehr als eine Häuserzeile ist da nicht. Dann der gemeinsame Tanz mit Clementine beim Richtfest einer Kirche, wie er seinen Hut wegwirft ihr den Arm reicht und sie dann zur Tanzfläche führt. Wie seinen Abraham Lincoln in YOUNG MR. LINCOLN versieht Fonda auch seinen Wyatt Earp mit einer unerschütterlichen inneren Ruhe und einem unstillbaren Verlangen nach dem, was hinter dem Horizont liegt. Zunächst angetrieben von dem einfachen Wunsch, den Mörder seines Bruders zur Strecke zu bringen, verwandelt sich sein Streben im Verlaufe des Films nahezu unmerklich. Der Kampf gegen die Clantons wird zu einem Kampf für die Zivilisation selbst, gegen die rohe Wildheit des Westens, die Tombstone zwar noch gefangen hält, deren Griff aber zu zittern beginnt. Beide Seelen kämpfen dann auch in Doc Holliday Brust: schwarz gewandeter Falschspieler, Revolverheld und Partner einer Prostituierten auf der einen, Ex-Verlobter der braven Clementine, Arzt und Literaturkenner auf der anderen. Es ist ein klassischer Western-Topos, dem Ford hier zu kristalliner Form verhilft: das Alte, das gehen muss, um dem Neuen Platz zu machen. Aber Ford zeichnet diesen Umbruch nicht als Zeit des Tumults, vielmehr vollzieht er sich mit der Gelassenheit und Ruhe, die das Voranschreiten der Zeit selbst auszeichnet. Earp Entschlossenheit gibt den Ausschlag, aber auch er scheint weniger ein Mann der großen Entscheidungen, als ein Katalysator, durch den sich der Willen der Geschichte vollzieht. Was für ein jämmerlicher Klecks ist Tombstone gegenüber der ungerührten Majestät der Naturdenkmäler des Monument Valley?

MY DARLING CLEMENTINE gilt heute als einer der besten Western aller Zeiten, als Meilenstein des amerikanischen Films und natürlich als einer von Fords wichtigsten Filmen, aber damals war man sich darüber keineswegs einig. Die Kritik war zwar wohlwollend, aber eher zurückhaltend, oft wurden der Mangel an Action, der introvertierte Ton und Fords „Naturfetischismus“ kritisiert. Dabei hatte Zanuck, dem Fords Stil „zu lässig“ war, den Film bereits kürzen und umschneiden lassen, dazu noch Szenen nachgedreht, was Ford erwartungsgemäß erzürnte. Zu den Änderungen gehörte u. a. der Kuss, den Earp Clementine am Ende statt des von Ford gedrehten Händedrucks gibt, sowie eine sehr kitschige Szene, die Earp am Grab seines Bruders zeigt. Glücklicherweise konnten auch solche Eingriffe in die Autonomie des Künstlers dem Film keinen bleibenden Schaden zufügen. Er steht heute noch genauso monumental da wie vor 80 Jahren.

THEY WERE EXPENDABLE ist John Fords erster Spielfilm seit HOW GREEN WAS MY VALLEY von 1941 und er folgte einer Zeit, in der der Regisseur selbst im Zweiten Weltkrieg aktiv war. Als Filmemacher war er auch in dieser Phase natürlich nicht ganz untätig gewesen: So hattte er während des Krieges unter anderem die beiden Oscar-prämierten Dokumentationen THE BATTLE OF MIDWAY (1942) und DECEMBER 7TH (1943) gedreht. Als Navy-Soldat war er mit den in THEY WERE EXPENDABLE dargestellten Vorgängen vertraut: Der zugrunde liegende Bestseller von William Lindsay White basierte seinerseits auf den Erlebnissen des hochdekorierten Marine-Offiziers John D. Bulkeley (im Film „John Brickley“), den Ford während seiner Zeit bei der Navy selbst kennengelernt hatte, und so war es keine große Überraschung, dass MGM ihn als Regisseur haben wollte. Auf dem Papier ist THEY WERE EXPENDABLE ein typischer Vertreter seiner Zunft: Man könnte ihn als Propaganda, als Mutmach- und Durchhaltefilm bezeichnen, wie sie in der letzten Phase des Weltkrieges entstanden, um die letzten Reserven zu mobilisieren. Im Kontrast zu den realen Vorgängen, bei denen sich das Blatt trotz der verheerenden Niederlage im Pazifik längst zugunsten der Alliierten gewendet hatte, sind die Filme dieser Zeit aber nicht etwa ein Spiegel des greifbaren Triumphes, vielmehr zeichnen sie sich durch eine melancholische, resignative Weltsicht aus. Sie sind bereits durchzogen von der Gewissheit, dass dem „Sieg“ eine lange Leere, geprägt von der Trauer um die Gefallenen und der schweren – vielleicht unmöglichen? – Rückkehr in den Alltag, folgen wird. Fords THEY WERE EXPENDABLE entspricht diesen Charakteristika, verstärkt diesen melancholisch-resignativen Zug aber noch und thematisiert nicht etwa den Sieg, sondern handelt eben von einer der vielen Niederlagen, die dorthin führten. Zwischen den aufwändigen Schlachtszenen zeichnet er sich vor allem durch einen warmen, intimen und aufrichtigen Blick auf seine Protagonisten aus, die er nicht in Momenten des Heldentums einfängt, sondern eben als ganz normale Menschen in einer Extremsituation. Mein erster Eindruck während und nach der Sichtung war eher der eines technisch und logistisch beeindruckenden, inhaltlich aber „leeren“ Kriegsfilms: ein Urteil, das man auf zahlreiche dieser „Propagandafilme“ anwenden kann. Erst im Nachgang und nachdem ich einige Texte gelesen hatte, wurde mir klar, dass diese Einschätzung dem Film nicht gerecht wird. Ganz überraschend ist der Fehlschluss nicht: Das Herz von THEY WERE EXPENDABLE liegt nicht in seiner Story oder in seinen großen Set-Pieces, sondern in den flüchtigen Blicken, die Ford auf Nebenfiguren und Statisten wirft, im kameradschaftlichen Miteinander der porträtierten Marine-Soldaten, in den Gefühlen, die sie in ihrem Mienenspiel, in ihren Gesten und Dialogzeilen offenbaren. Glaubt man einigen Berichten, war Ford ein noch deutlich leiserer Film vorgeschwebt, aber das passte seinen Geldgebern nicht in den Kram: Vor allem mithilfe der pathetischen Musikuntermalung und der finalen Texteinblendung „They shall return!“ betonte das Studio den Heroismus der amerikanischen Soldaten, sehr zum Missfallen des Regisseurs, der sich wohl auch entsprechend äußerte. Auch John Wayne hatte es dem Vernehmen nach nicht einfach am Set und wurde von seinem Regisseur besonders harsch behandelt: Der Star war einer der wenigen am Set, die über keinerlei Armee-Erfahrung verfügten. Ausnahmslos gute Erinnerungen dürfte indessen Robert Montgomery mit THEY WERE EXPENDABLE verbunden haben, der Ford hinter der Kamera ersetzte, als dieser wegen eines Beinbruchs ausfiel, und dabei einigen Gefallen an dieser Tätigkeit fand: Zwischen 1945 und 1960 drehte er fünf Filme, darunter die Noirs LADY IN THE LAKE und RIDE THE PINK HORSE.

THEY WERE EXPENDABLE handelt von einer auf den Philippinen stationierten, von Lieutenant John „Brick“ Brickley (Robert Montgomery) kommandierten Schnellboot-Flotte. Brickleys Männer, darunter seine rechte Hand Lieutenant „Rusty“ Ryan (John Wayne), müssen mit den Vorurteilen der Generäle kämpfen, die die neuen schnellen, wendigen, aber nur wenig widerstandsfähigen Boote konsequent unterschätzen, lieber auf die Feuerkraft von Zerstörern setzen und Brick und Konsorten mit läppischen Botenaufträgen abspeisen. Vor allem Rusty ist genervt und hat sein Abberufungsgesuch schon in der Schublade. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor wendet sich das Blatt: Die Schnellboote können sich im Kampfeinsatz beweisen, allerdings ohne Zutun von Rusty, der wegen einer Blutvergiftung im Lazarett weilt, wo er die Krankenschwester Sandy Davyss (Donna Reed) kennen und lieben lernt. Doch die Freude ist nur von kurzer Dauer: Unter den Angriffen der Japaner wird der Rückzug angeordnet. Brick und Rusty erhalten den Befehl, den „General“ – hinter dem sich unverkennbar der Kriegsheld General Douglas MacArthur verbirgt – und seine Familie in Sicherheit zu bringen. Nach erfolgreicher Mission werden die beiden in die Heimat zurückbeordert, wo sie als Ausbilder die Schlagkraft einer neuen Schnellboot-Flotte sicherstellen sollen, während viele ihrer Kameraden vor Ort einer ungewissen Zukunft – Tod, Gefangenschaft – entgegensehen …

Wie der schöne und umfangreiche Eintrag zum Film auf der Seite TV Tropes zeigt und wie ich oben schon angedeutet habe, ist THEY WERE EXPENDABLE in vielerlei Hinsicht ein „typischer“ Film seiner Gattung: Ford greift auf zahlreiche damals bereits bestehende und zum Teil bis heute gültige dramaturgische und inszenatorische Kniffe und Klischees zurück, die man als Zuschauer kennt, sofern man mehr als einen Kriegsfilm gesehen hat: Da gibt es den verschworenen Soldaten-Haufen, der wie die US-Bevölkerung einen bunten Querschnitt durch unterschiedliche Ethnien darstellt (ein Schwarzer fehlt allerdings), gibt es etwa den nie um einen Spruch verlegenen Koch, eine schwarze Katze, die als Glücksbringer fungiert, ausgelassene Saufgelage, gemeinsam intonierte Seemannslieder, von Sterbenden oder Zurückbleibenden weitergegebene Briefe für die Angehörigen zu Hause, den Konflikt zwischen den realitätsfernen Generälen und den Frontkämpfern, eine romantische Liebesgeschichte, ernüchtert gesprochene Abschiedsworte, den alten Zausel, der sich weigert, vor dem Feind zu fliehen, die Jungspunde, die manchen groben Scherz über sich ergehen lassen müssen, aber sich auch auf die väterliche Unterstützung der alten Hasen verlassen können, und natürlich die ausufernden Szenen, in denen die Überlegenheit der Kriegstechnik in dynamische, explosive Bilder verpackt wird. Es sind bezeichnenderweise letztere, bei denen mein Interesse immer wieder erlahmte, auch wenn der betriebene Aufwand immens gewesen sein dürfte und Ford tatsächlich den Eindruck vermittelt, „mittendrin“ zu sein, wenn da Torpedos durchs Wasser schießen, Explosionen die Luft zerreißen oder das Wasser hochspritzen lassen, japanische Kampfflieger vom Himmel stürzen und Schiffe in gewaltigen Feuerbällen und Rauchsäulen aufgehen. Immer, wenn das menschliche Element aus dem Fokus gerät, wird THEY WERE EXPENDABLE etwas austauschbar und beliebig, was nicht zuletzt daran liegt, dass Ford „den Feind“ komplett ausblendet. Der Zuschauer bekommt keinen einzigen Japaner zu Gesicht, es gibt keine einzige direkte Konfrontation zwischen einem Amerikaner und einem Japaner, es wird noch nicht einmal über ihn geredet. Das Augenmerk liegt ganz auf den amerikanischen Marinesoldaten, gleichwohl geht damit nicht der Vorwurf einher, Ford entindividualisiere den Gegner. Es ist vielmehr völlig klar, dass der Krieg als Gesamtunternehmung ein grausames Spiel ist, mit Opfern und Tätern auf beiden Seiten und den gleichen tragischen Geschichten hier wie dort.

Es sind dann eben auch vor allem die kleinen, intimeren Momente, in denen das deutlich wird: Etwa in dem ängstlich-schockierten Blick einer philippinischen Sängerin, als diese erfährt, dass Amerikaner und Japaner nun offiziell im Kriegszustand sind. In Bricks Erklärung, dass es nicht die Aufgabe ihrer Flotte sei, einen „Homerun“ zu schlagen, sondern durch ihr eigenes Opfer einem „Teamkameraden“ zum Punkt zu verhelfen. In Rustys Telefonat mit seiner Geliebten, der er vor seiner letzten Mission nur mitteilt, dass er nicht weiß, ob sie sich jemals wiedersehen werden, bevor die Verbindung unterbrochen wird. Im Schicksal zweier Offiziere, die das Glück haben, via Warteliste einen Platz im Flieger gen Heimat zu erhalten, nur um dann doch zwei gerade noch rechtzeitig ankommenden Nachzüglern weichen zu müssen und schnell noch Briefe an ihre Familien abgeben. In dem Gesicht des jungen Rekruten, der bei einem zünftigen Gelage aufgrund seines Alters nur mit Milch anstoßen darf. In den kurzen Verabschiedungsritualen der Männer, die entweder nach Hause fahren dürfen oder aber zurückbleiben müssen. In dem munteren, verspielten und vertrauten Miteinander der Männer zwischen den Einsätzen. Besonders rührend ist die Szene, in der Sandy ihren Rusty besucht und mit seinen engsten Vertrauten ein Abendessen einnimmt, bevor sich die Männer zurückziehen und dem Pärchen einen Moment der Zweisamkeit gönnen. Da sieht man den Figuren in jeder Faser an, wie kostbar diese Momente des Friedens und des unbeschwerten Zusammenseins sind, was es auch bedeutet, eine Frau in der Mitte zu haben. Nur mit viel Boshaftigkeit könnte man den Vorwurf erheben, dass Ford den Militärdienst verharmlose und glorifiziere: Immer wieder ist von den übermenschlichen Entbehrungen die Rede, von der Aufopferung für das Heimatland und die damit verbundenen Werte. Er hinterfragt die Richtigkeit dieser Überzeugung nicht, aber er zeigt, dass da Menschen ihr Leben für etwas aufs Spiel setzten, was sie für größer als sich selbst halten, ohne wirklich zu wissen, worauf sie sich einließen. Auffällig ist auch, dass nie gejammert oder geklagt wird: Das eigene Schicksal wird mit großer Tapferkeit, Verantwortungsbewusstsein und einem gesunden Maß an Galgenhumor getragen. So gelingt es Ford auf eindrucksvolle Art und Weise, ein Denkmal für die Menschlichkeit zu errichten, ohne jemals explizit Partei zu ergreifen. Es gibt keine erklärenden Monologe oder mit Inbrunst vorgetragene Reden. Selbst das kurze Gedicht, das Rusty für zwei gefallene Kameraden hält, zeichnet sich durch seine emotionale Zurückhaltung aus. „Würdevoll“ ist wahrscheinlich der richtige Ausdruck dafür. Der Krieg erscheint bei Ford als großer Gleichmacher: Nichts zeigt das deutlicher als die Degradierung Waynes, schon damals ein strahlender Leinwandheld, Fleisch gewordener Mythos, der ins zweite Glied hinter dem optisch durchschnittlichen Montgomery zurücktritt und noch nicht einmal die Frau bekommt. Im Krieg wird auch der größte Held auf Maß gestutzt.

 

 

 

„I am packing my belongings in the shawl my mother used to wear when she went to the market. And I’m going from my valley. And this time, I shall never return.“

Mit diesen Worten beginnt HOW GREEN WAS MY VALLEY auf einer bereits melancholischen Note, aber auch mit dem Blick nach vorn – der indessen immer geprägt ist von dem, was hinter uns bzw. dem Protagonisten des Films liegt, der auch als Erzähler fungiert. In John Fords Film dreht sich alles um den Fortschritt, auf individueller wie universeller Ebene, darum, wie das Vergangene die Gegenwart prägt, und wie das, was wir haben, immer auch davon kündet, was wir dafür aufgeben mussten. Die Erkenntnis ist schmerzhaft: Tatsächlich sind Leid, Schmerz, Tod und Verlust allgegenwärtig in Fords Adaption des gleichnamigen Bestsellers aus dem Jahr 1939 (den eigentlich William Wyler verfilmen sollte), aber es ist eben auch der Wunsch, diese Härten zu überkommen, gepaart mit der inspirierende Erinnerung an das Vergangene, was die Menschen antreibt und sie weitermachen lässt.

Schon mit den ersten Worten von HOW GREEN WAS MY VALLEY ist also klar, dass etwas unwiederbringlich verloren ist: Das walisische Örtchen und das umgebende Tal haben in der Gegenwart, aus der der Erzähler berichtet, ihre Schönheit und Unschuld verloren, wo einst grüne Hügel lagen, spucken nun Schornsteine schwarzen Rauch in die Luft, reiht sich ein Förderturm an den nächsten. Der Schmerz über den Verlust treibt den Erzähler fort, er kann es nicht ertragen, dass die Heimat seiner Kindheit zerstört wurde. Er muss sein Glück woanders suchen und er folgt damit dem Weg, den auch schon seiner Brüder vor ihm angetreten haben. Der Erzähler ist Huw Morgan (Roddy McDowall), ein kleiner Junge, der in einer Familie von Kohlebergbauern aufwächst. Sein Vater Gwilym (Donald Crisp) regiert als Musterbild des strengen, fordernden, aber gleichzeitig gütigen Patriarchen über insgesamt sechs Kinder (fünf Söhne und eine Tochter), an seiner Seite Mutter Beth (Sara Allgood), nie um ein Lächeln oder ein aus dem Handgelenk geschütteltes Festmahl verlegen. Die Familie gerät in eine Krise, als die Bergbaugesellschaft die Löhne senkt und die Söhne über die Gründung einer Gewerkschaft nachdenken, was der Vater für sozialistischen Unfug hält. Im Folgenden erleben die Morgans, wie die Kohleindustrie floriert, die Arbeiter infolgedessen aber unter stetig schlechteren Bedingungen arbeiten müssen. Unter dem wirtschaftlichen Druck verändert sich auch die Dorfgemeinschaft: Neid, Missgunst und Misstrauen gewinnen die Oberhand …

Ford erzählt seine Geschichte mit dem langen Atem der Epik, auch wenn sie sich im Kern nur über wenige Jahre erstreckt: Verschiedene Episoden drehen sich um eine Lähmung Huws, die ihn für mehrere Monate ans Bett fesselt, um die zarte Liebesbeziehung zwischen Huws Schwester Angharad (Maureen O’Hara) und dem Priester Mr. Gruffydd (Walter Pidgeon), die das Gerede der Dorfgemeinschaft heraufbeschwört und schließlich dazu führt, dass der Geistliche dem Ort den Rücken kehrt, um die schwierige Schulzeit Huws, der als Kind aus armen Verhältnissen viel Verachtung erfährt und sich behaupten muss, den Tod des Bruders Ivor (Patric Knowles), der bei einem Minenunglück sein Leben just an dem Tag verliert, als seine Frau Bronwyn (Anna Lee) ein Kind zur Welt bringt. Das alle verbindet Ford mit dem ihm eigenen menschlichen Pathos zu einem Bilderbogen voller Leben, nicht unähnlich seinem Stummfilm-Meisterwerk FOUR SONS. Wie dieser entstand auch HOW GREEN WAS MY VALLEY nicht on location, stattdessen stampfte man das walisische Bergarbeiterdorf in den Hügeln Kaliforniens aus dem Boden. Nicht nur logistisch eine beachtliche Leistung: Fords Film fühlt sich bei allem Willen zur sentimentalen Überspitzung unheimlich echt an. Man nimmt als Zuschauer Teil an den Runden am Mittagstisch der Familie Morgan, am Gottesdienst unter dem klugen Gruffydd, am munteren Leben im Dorf, dessen Bewohner nie um ein biergeschwängertes, sangesfreudiges Fest verlegen sind. Die Besetzung muss ohne die ganz großen Stars auskommen, ist aber perfekt: Vor allem Donald Crisp begeistert als strenger, aber weiser Patriarch, die Bodenständigkeit, Einfachheit und Ehrlichkeit, der Ford hier ein Denkmal setzt, steht allen Akteuren buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Da fällt es auch nicht ins Gewicht, dass der gesamte Cast einen einzigen echten Waliser aufwies. Es passt, das Richard Llewellyn, Autor der literarischen Vorlage, entgegen eigener Aussagen, persönliche Erfahrungen verarbeitet zu haben, nie in Wales war.

Manche mögen HOW GREEN WAS MY VALLEY als tearjerker kritisieren: Ganz entkräften lässt sich der Vorwurf nicht, aber ich glaube, dass Fords nostalgische Gefühle voll und ganz von Herzen kommen, es ihm nicht darum ging, hier bloß Katharsis zu bieten. Und hinter der Geschichte um das Ende der Kindheit, den Verlust der „Unschuld“, der mit der Industrialisierung einherging, steckt ja dann auch mehr als bloß Sentimentalismus, nämlich vor allem die Enttäuschung über die Wankelmütigkeit der Menschen. Anstatt in Zeiten der Entbehrung zusammenzustehen, fallen sie übereinander her und reiben sich in lächerlichen Streitereien auf. Man kann das ja auch heute wieder beobachten, wo der mitunter berechtigte Zorn über die Umstände eben nicht diejenigen trifft, die ihn verdienen, sondern sich gegen die richtet, die noch ärmer dran sind. Insofern ist HOW GREEN MY VALLEY zumindest inhaltlich keineswegs „überkommen“, sondern im Gegenteil immer noch ziemlich treffend in seinem Urteil über die Menschen. Im Jahr 1941 jagte Fords Film Orson Welles CITIZEN KANE den Oscar für den „Besten Film“ ab: Heute ist man sich ziemlich einig darüber, dass das ein Fehler war. Gilt Welles‘ Verlegerepos nicht wenigen Kritikern und Cineasten als bester Film aller Zeiten, erscheint HOW GREEN WAS MY VALLEY ein bisschen altmodisch. Nachvollziehbar ja, aber das sollte dennoch nicht über die Qualitäten dieses wunderbaren Werkes hinwegtäuschen, das zu den besten Filmen Fords gehört.

In einer überaus produktiven, erfolg- und einflussreichen Phase seines Schaffens drehte Ford auch TOBACCO ROAD, die Filmadaption eines überaus beliebten Broadway-Stücks, das wiederum auf einem hochgelobten Roman basierte. Das Unterfangen war nicht ohne Risiko: Die Vorlage von Erskine Caldwell galt seinerzeit als „schmutzig“ und anstößig, musste schon für die Bühnenumsetzung einiger Spitzen bereinigt und für die große Leinwand dann noch einmal kräftig überarbeitet werden. John Ford machte aus Caldwells Roman, einer desillusionierten, bitteren Bestandsaufnahme der USA in der Depression, in dem eine verarmte Familie ihre Töchter verhökert und die fromme Nachbarsfrau prostituiert, um ein paar Dollar für das benötigte Saatgut zu verdienen, zur überdrehten Komödie, die ihre durchaus vorhandenen Widerhaken hinter einer Fassade burlesker Heiterkeit verbirgt. Ford gelang mit TOBACCO ROAD ein weiterer Hit, der außerdem gute Kritiken einheimste, aber nach Masterpieces wie STAGECOACH, DRUMS ALONG THE MOHAWK, YOUNG MR. LINCOLN, THE GRAPES OF WRATH und THE LONG VOYAGE HOME lässt er seinen Urheber zum ersten Mal nach Jahren wieder wie einen Normalsterblichen erscheinen, der auch mal eine weniger gute Idee hat – so sehe ich das zumindest nach Erstsichtung.

Thematisch liegen TOBACCO ROAD und THE GRAPES OF WRATH eng beieinander: Beide spielen in der Zeit der Depression, beide handeln von einer Familie, die ihre Folgen mit voller Wucht zu spüren bekommt. Doch anders als die Joads in THE GRAPES OF WRATH, die ihr Schicksal in die Hand nehmen und die Reise nach Westen antreten, halten die Lesters ihrer Heimat die Treue und sehen zu, wie alles um sie herum stirbt. Das fruchtbare Land, an dem sich Baumwollplantagen und Felder aneinanderreihten, ist verdorrt, die stolzen Herrenhäuser sind Ruinen, und die verbliebenen Bewohner, denen es einst sehr gut ging, zeigen längst ebenfalls die Zeichen des Verfalls. Familie Lester, angeführt vom zauseligen Jeeter (Charley Grapewin), haust in einer maroden Holzhütte auf einem schlammigen Acker, die jüngste Tochter haben sie an den weinerlichen Lov (Ward Bond) verheiratet, dem sie längst abgehauen ist. Kein Problem, sie haben ja noch die schöne Ellie May (Gene Tierney), die zwar keine Hasenscharte hat wie in der Vorlage, deren Sexiness aber mit geistiger Minderbemitteltheit einhergeht – sie spricht im ganzen Film kein einziges Wort, wälzt sich dafür aber lasziv im Schlamm. Der älteste Sohn, Dude Lester (William Tracy), ist ein großmäuliger Schwachkopf mit Zahnlücke und Kreischstimme, der später die deutlich ältere Nachbarin Bessie (Marjorie Rambeau) heiratet, um dann den zur Hochzeit neu gekauften Wagen innerhalb von 24 Stunden zu Schrott zu fahren. Jeder würde hier jeden verhökern und verraten, um an ein paar Dollars zu kommen, eine Tatsache, die seltsamerweise verbindenden Charakter hat. Dass der freundliche Captain Tim (Dana Andrews) am Ende das zum Erhalt der Farm dringend benötigte Geld zur Verfügung stellt, ist ein Happy End ohne Überzeugung: Die Tobacco Road ist für den Untergang bestimmt, aber die Lesters haben sich mit der deprimierenden Situation ganz gut arrangiert. Im Schlamm sind sie zu Hause.

TOBACCO ROAD ist turbulent und laut, fast schon als Comic zu bezeichnen und nur schwer zugänglich – auch wenn Ford seinen Film selbst als Spektakel fürs Herz bezeichnete. Wir erkennen Jeeter als Mann mit gutem Herz, aber für die Zivilisation ist er dennoch verloren, zusammen mit seiner ganzen Familie. Sein zahnloses Geplapper, die lautstarken, mitunter handgreiflichen Auseinandersetzungen mit seinem Sohn, die Verblendung, mit der er geschlagen ist: Auch geistig lebt dieser Mann bereits in einer anderen Welt, und was innerhalb des Films als lustig erscheint, würde man im wahren Leben nicht unbedingt komisch finden. Ford versagt den Lesters weder Mitleid noch grundsätzliche Sympathie, denn sie sind letztlich Opfer einer wirtschaftlichen Fehlentwicklung, aber von der Romantisierung ihrer Armut ist er weit entfernt. Nichts am Leben der Lesters ist erstrebenswert oder satisfaktionsfähig und wenn man weniger zurückhaltend ist, könnte man auch sagen, dass Ford den Windschatten, den ihm diese armen Tröpfe bieten, ausgiebig dazu nutzt, mit einigen gemeinhin als amerikanisch geltenden Werten abzurechnen. Vor allem die unreflektierte Religiosität wird von ihm mit Hohn und Spott überzogen: Wann immer Bessie und Dude wegen ihrer illegitimen Ehe – Dude ist noch minderjährig – Ärger zu bekommen drohen, retten sich die beiden damit, dass sie ein Kirchenlied anstimmen. Und der Rausch, in den der Besitz eines Autos, die verarmten Proleten versetzt, ist schon ein Vorbote dessen, was in den kommenden Jahrzehnten noch folgen sollten.

Das Herz von TOBACCO ROAD sitzt definitiv am rechten Fleck, aber ich empfand ihn doch als eher anstrengend: Es gibt keinerlei Fluchtmöglichkeit vor dem Irrsinn und speziell William Tracys Darstellung des Dude Lester überscheitet eigentlich die Grenze des Zumutbaren. Der Film ist schon ein ziemlich gemeiner Bastard, wie er vorgaukelt, das alles sei irrsinnig komisch und dabei einen ungeschönten Blick in den Abgrund wirft – und damit erschreckend modern.

Ein Schiff liegt still in der Abenddämmerung vor der Küste einer Karibikinsel. Ein warmer, schwüler Wind geht. Die Matrosen stehen an der Reling, gelangweilt und geil, lauschen den verführerischen Gesängen der einheimischen Schönheiten, die am Strand nur darauf warten, endlich diese fremden Männer besuchen zu können, die vom anderen Ende der Welt kommen. Doch bevor sie an Bord klettern, in ihren üppig gefüllten Obstkörben ist natürlich auch etwas Rum versteckt, müssen sie noch etwas warten. Und mit ihnen die Männer, von denen viele längst auf diesem Schiff zu Hause sind. Für ein Leben an Land und die menschliche Gesellschaft sind sie nicht mehr zu haben: Sie treiben von einem Hafen zum nächsten, ständig in Bewegung, doch darum, ein „Ziel“ zu erreichen, geht es längst nicht mehr. Eine Ausnahme ist der Schwede Olsen (John Wayne), ein junger, gutaussehender Mann, der ein Zuhause, ein Mädchen, eine Familie und Hoffnung auf eine Zukunft jenseits trauriger Seelenverkäufer hat. THE LONG VOYAGE HOME erzählt viele kleine Geschichten, aber im Mittelpunkt steht die Mission von Olsens Kameraden, sicherzustellen, dass er dieses Schiff nach Hause nimmt, nicht wie sie direkt auf dem nächsten Kahn anheuert.

John Fords Film beginnt wie ein feuchter Traum: Das ganze Karibik-Szenario ist entweder als unwirklich oder aber als hyperreal zu bezeichnen. Die Luft ist elektrisch aufgeladen, man spürt die Lust der Seeleute und die Freude der Frauen daran, einmal so begehrt zu sein wie Filmstars. Die Langeweile liegt Zentnerschwer auf den Schultern der Seemänner, die die ganze Welt bereisen, aber doch immer nur dieselben schäbigen Pinten sehen, von ihren Vorgesetzten an der kurzen Leine gehalten werden und am Ende mit einem traurigen Hungerlohn für die Knochenarbeit bedacht werden, der ihnen keine andere Perspektive offenbart, als gleich den nächsten Auftrag anzunehmen.

Der Beginn des Zweiten Weltkriegs und der bevorstehende Auftrag, eine ganze Schiffsladung von TNT sprichwörtlich unter dem eigenen Hintern nach Großbritannien zu transportieren, verursacht eine gewisse Nervosität, aber unter den Belastungen des Alltags, der Enge in den winzigen Kojen und dem Mangel an Zerstreuung liegen die Nerven eh schon blank. Yank (Ward Bond), einer der Veteranen unter den Matrosen, erliegt einer Verletzung, die er sich bei dem Versuch zuzieht, das Schiff während eines Sturms vor dem Kentern zu bewahren, danach versteigen sich die überspannten Männer in den Verdacht, der eigenbrötlerische Alkoholiker Smitty (Ian Davis) sei ein Spion in Diensten der Nazis. Besonders die Zeitungsmeldung, deutsche Spione nutzten harmlose Liebesbriefe als Geheimnachrichten, regt die Fantasie der Matrosen an: In einer schmerzhaften Szene halten sie Smitty fest und verlesen in seiner Gegenwart laut seine privaten Briefe, die er in einem kleinen Kästchen aufbewahrt. Erst nach einigen Minuten geht ihnen auf, wie schäbig und idiotisch ihre Verdächtigungen sind. Der Schaden ist da aber bereits nicht mehr rückgängig zu machen. Wie geprügelte Hunde wenden sie sich ab, beschämt über ihre Niedertracht.

THE LONG VOYAGE HOME endet in einem britischen Hafen: Bevor sie Olsen auf sein Schiff nach Hause schicken, gehen die Männer noch einmal gemeinsam einen draufmachen, doch plötzlich ist der Kumpel weg, entführt von niederträchtigen Gesellen, die Betrunkene in den Kneipen aufgreifen, um sie dann auf ihre Schiffe verschleppen und zur Arbeit als Besatzungsmitglieder zu verdonnern. In einer finalen Keilerei gelingt es ihnen, ihren Freund zu befreien und ihre Mission zu erfüllen, doch zu spät bemerken sie, dass der alte Driscoll (Thomas Mitchell) dabei zurückgeblieben ist. Das Bedauern weicht einem schadenfrohen Lachen: Drisk hat schon so viele Schiffe gesehen, er wird es schon überstehen. Nur einer lacht nicht: Er lässt die Zeitung, die davon berichtet, dass Drisks Schiff im Ärmelkanal von den Deutschen torpediert wurde, ins Wasser gleiten …

Strukturell unterscheidet sich THE LONG VOYAGE HOME nicht so sehr von dem zur selben Zeit entstandenen THE GRAPES OF WRATH: Beide Filme sind „Reisefilme“, deren Narration durch die chronologische Abfolge von Episoden bestimmt wird. Doch THE LONG VOYAGE HOME wirkt noch deutlich loser und „entspannter“: Das liegt wohl auch daran, dass er sich trotz seiner Verortung im Zweiten Weltkrieg nicht in erster Linie mit historischen Fakten beschäftigt. Ja, es geht auch darum, was die Kriegserfahrung mit den Männern macht, wie sie sich auf ihr Denken und Handeln auswirkt, aber um welchen Krieg es sich dabei handelt, ist zweitrangig. Das ist gewissermaßen der Punkt: Ford erklärt gleich zu Beginn auf einer Texttafel, dass sein Film von Menschen handelt, die aufgrund ihrer Arbeit vom weltlichen Geschehen gewissermaßen entkoppelt existieren. Auf hoher See spielt das, was die „Landmenschen“ beschäftigt, eine nur sehr untergeordnete Rolle. THE LONG VOYAGE HOME entwickelt einen sehr eigenartigen Rhythmus und folgt einer fremdartigen Erzähllogik, in der die Ereignisse keine echten Konsequenzen haben. Der Tod fährt immer mit, das Risiko ist bekannt, für Trauer bleibt keine Zeit. Alle haben sich damit arrangiert, dass es sie schon bei der nächsten Fahrt genauso treffen könnte und nicht wenige von ihnen würden den Tod sogar als Erlösung ansehen. Der Film ist traurig und deprimierend, aber nicht wehleidig oder selbstmitleidig: Er erinnert darin etwas an die existenzialistischen Filme Jean-Pierre Melvilles, dessen Helden den eingeschlagenen Weg, den sie als den ihren erkannt haben, unbeirrbar verfolgen, auch wenn sie wissen, dass er sie nirgends hinführen wird. Dieses Wissen ist aber auch der Ursprung einer Kameradschaft, die die Männer zusammenschweißt und sie manche Härte überwinden lässt – und natürlich die ausgelassene Freude in den wenigen Stunden, in denen sie ihre Freiheit umso mehr genießen.

John Wayne spielt die nominelle Hauptrolle, aber er ist eigentlich nur eine Projektionsfläche, sowohl für seine Kumpels als auch für den Zuschauer: Er tut wenig mehr, als groß und gutaussehend im Wind zu stehen, all das zu verkörpern, was die anderen längst aufgegeben haben. Seine Dialogzeilen sind rar und selten gewichtig. Er ist ein Außenseiter an Bord, aber nicht im negativen Wortsinn: Alle schauen zu ihm auf, weil sie in ihm all das eigene ungehobene Potenzial sehen. Ihm den Abgang zu ermöglichen, wird ihre Lebensmission: Olsen soll das erreichen, was sie nicht geschafft haben und für sie das Leben führen, das ihnen nicht vergönnt war. Es gibt aber keinen tränenreichen Abschied, keine großen Reden und Freundschaftsbekenntnisse: Ein Film, der es mit seinem Altruismus ernst meint, muss seine Wohltäter nicht in strahlendem Licht erscheinen lassen. Sie tun einfach das, was sie für richtig halten, für ihren Freund. Ob der ihnen dafür dankbar ist und ihre Opferbereitschaft anerkennt, spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass er sein Schiff erreicht. Das reicht als Lohn.

Ich habe eben gelernt, dass der vom großen Gregg Toland fotografierte Film filmhistorisch für seinen Einsatz von Rückprojektionen bedeutsam war, mit denen der Kameramann seine später in CITIZEN KANE perfektionierten Tiefenschärfeaufnahmen verwirklichte. Tatsächlich ist THE LONG VOYAGE HOME visuell ein Gedicht, ganz gleich, ob er die sirenenhaft singenden Karibikschönheiten am Strand einfängt, die Rauchkringel, die Yank in die schwüle Seebrise bläst, oder die klaustrophobische Enge unter Deck der Glencairn. Aber am Ende summiert sich das alles zu dieser großen, versöhnlichen und hoffnungsvoll stimmenden Erkenntnis, dass auch der ärmste Tropf im Leben die Gelegenheit bekommt, etwas zu tun, das größer ist als er.

Als Ford John Steinbecks Roman „Früchte des Zorns“ verfilmte, der heute als einer der Meilensteine englischsprachiger Literatur gilt und 1962 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, war das Buch gerade mal ein Jahr alt – hatte aber bereits hohe Wellen geschlagen. Die Geschichte der Familie Joad, einfacher Farmer in Oklahoma, die die volle Wucht der Depression zu spüren bekommen, ihre von Dürre und Sandstürmen geplagte Heimat verlassen müssen und ihr Glück zusammen mit Tausenden anderer im entfernten Kalifornien suchen, nur um auch dort bitter enttäuscht zu werden, war eine unverhohlene Anklage des Kapitalismus, der Menschen zum Vorteil der Mächtigen entwurzelte und in unwürdige Verhältnisse stürzte. Darryl F. Zanuck hatte einige Bedenken, den Film zu produzieren, schließlich wollte er nur ungern als Kommunist gebrandmarkt werden. Die auf den ersten Blick überraschende Wahl des eher als konservativ geltenden John Fords als Regisseur ist vor diesem Hintergrund relativ einleuchtend – und rückblickend natürlich ein Geniestreich: THE GRAPES OF WRATH fügt sich nahtlos ins Werk des Filmemachers, der innerhalb weniger Jahre seinen zweiten Academy Award (nach THE INFORMER) einstrich – und das hochverdient. Die damals nahezu tagesaktuelle Geschichte – man muss sich das immer wieder klarmachen, dass die Geschehnisse, von denen Steinbeck und Ford erzählten, nur wenige Jahre in der Vergangenheit lagen – wird dank Fords Regie und Gregg Tolands unvergleichlicher Kameraarbeit zum Schöpfungsmythos, ohne dabei ihrer Durchschlagskraft beraubt zu werden. Dies gelingt durch den Wechsel überirdisch-außerzeitlich-ikonischer, dann wieder dokumentarisch anmutender Bilder und einer Verschiebung des Fokus weg von der Individualität seiner Protagonisten hin zum Universellen. Die Joads sind bei Ford nur Platzhalter, an denen sich das Leid Tausender abzeichnet.

Das von der literarischen Vorlage abweichende, optimistischere Ende knüpft in gewisser Hinsicht an die Schlusseinstellung des kurz zuvor erschienenen YOUNG MR. LINCOLN an: Blickte dort der junge Lincoln in eine für ihn ungewisse, für den Betrachter aber bekanntermaßen ruhmreiche Zukunft, so verspricht der straffällige Tom Joad (Henry Ford) sich für das Wohlergehen aller Arbeiter und Hilfebedürftigen einzusetzen, murz bevor er seine Familie verlässt, um sie nicht länger zu gefährden. Es ist nicht nur dieses Ende, das Filmwissenschaftler immer wieder dazu angeregt hat, den Film auf seine christliche Symbolik abzuklopfen – was zugegebenermaßen nahe liegt: Ford verleiht seinem ganzen Film etwas Sakrales, gerade im ersten Drittel, das Schicksal der Familie Joad ist selbst eine Passionsgeschichte und mit dem ehemaligen Priester Casy (John Carradine) werden religiöse Themen auch immer wieder ganz direkt adressiert. Fonda, im genannten YOUNG MR. LINCOLN sowas wie der Vater der Demokratie und der amerikanischen Nation, wird als Tom Joad eigentlich erst in dieser Schlussszene mit einem Ziel ausgestattet. Er ist bis dahin weitestgehend passiver Beobachter der Geschehnisse um ihn herum, die er genauso wenig versteht wie seine Familie und die zahllosen „Okies“, die mit ihnen den Weg gen Westen antreten. Als sie in einem Camp damit konfrontiert werden, dass das, was sie erwartet, mitnichten das wirtschaftliche Glück ist, sondern eine noch viel schlimmere Form der Armut, können sie es kaum glauben. Für eine Umkehr ist es da sowieso schon zu spät. Natürlich bewahrheiten sich die Warnungen: Großvater und Großmutter, die die Anstrengungen der Reise nicht überstehen, sterben völlig umsonst. Am Ziel werden die Joads als frühe Version heutiger „Wirtschaftsflüchtlinge“ angefeindet, unter menschenunwürdigen Bedingungen eingepfercht, gegängelt und ausgebeutet. Eine „Lösung“ deutet sich kurz an, als die Joads ein Camp finden, in dem sie tatsächlich wie Menschen behandelt und für ihre Arbeit angemessen entlohnt werden, aber das Glück kann natürlich nur von kurzer Dauer sein. Tom Joad hat sich da insgeheim bereits für ein anderes Leben entschieden: Er will sich für die Rechte der Arbeiter einsetzen.

Der Zugang zu THE GRAPES OF WRATH fällt nicht nur deshalb so leicht, weil wir, sobald wir heute den Fernseher einschalten, sowohl mit dem Leid der Familie Joad konfrontiert werden als auch mit den Vorurteilen und der Ablehnung, denen sie sich gegenübersehen. Erschreckend, wie sehr sich die Bilder gleichen. Es ist aber auch die schon angesprochene Ford’sche Inszenierung: warmherzig, aber ohne falsches Pathos, nachdrücklich, aber ohne erhobenen Zeigefinger, bildgewaltig, aber niemals kitschig, ergreifend, aber nicht rührselig. Gerade im ersten Drittel spürt man den Einfluss der deutschen Expressionisten, wenn dunkel, betont artifizielle Bilder die beinahe apokalyptische Tragweite der Ereignisse greifbar machen. Wenn sich die Joads auf die Reise begeben, wird der Film zum Road Movie und damit auch weltlicher, greifbarer, episodischer: Ford gießt Geschichte in Bilder und erreicht Komplexität und Ambivalenz durch Auslassung und den „Mut zur Lücke“: Zwei Figuren verschwinden einfach, ohne dass dies jemals thematisiert würde. Wahrscheinlich waren organisatorische Probleme die Ursache, die sich in der Postproduktion nicht beheben ließen, aber filmimmanent macht das durchaus Sinn: In dieser Zeit verschwanden Menschen spurlos, wurden Familien für immer zerrissen. Unvorstellbar, dass dies außerhalb des Kriegsirrsinns des 20. Jahrhunderts geschehen konnte. Fords THE GRAPES OF WRATH wird uns für immer eindrucksvoll daran erinnern. Schade, dass sein Ruf als Klassiker ihm heute nicht mehr Zuschauer beschert. Es wäre dringend nötig.

 

 

young mr. lincoln (john ford, usa 1939)

Veröffentlicht: September 8, 2018 in Film
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Wahrscheinlich ist Abraham Lincoln neben George Washington und John F. Kennedy der berühmteste und beliebteste aller US-amerikanischen Präsidenten. Sein Gesicht und seine Gestalt sind unverwechselbar und politisch wird er immer mit dem Ende der Sklaverei und der Wiedervereinigung des zersplitterten Staatenbundes  verbunden sein. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass er – begünstigt sicherlich durch seine Ermordung – zu einer beinahe mythischen Gestalt aufgestiegen ist. Und John Fords Film unterstreicht das noch. Heute würde man YOUNG MR. LINCOLN vielleicht als „Origin Story“ bezeichnen: Er erfindet auf Basis der historischen Fakten eine Ursprungsgeschichte, die seinen Zuschauern einen Eindruck davon vermitteln soll, wer dieser Abraham Lincoln war, wo er herkam, was ihn prägte und wie er zu dem wurde, der er vermeintlich war. Aber er erhebt nie den Anspruch von trockener Geschichtsschreibung: Manchmal kommt die Mythologisierung der Wahrheit vielleicht sogar näher als die Aneinanderreihung von Tatsachen, die im luftleeren Raum schweben. Ford will inspirieren, einen Traum greifbar machen. Weil die Idee der USA größer ist, als dass sich dies durch nüchterne Beschreibung erklären ließe.

YOUNG MR. LINCOLN spielt während jener Zeit, in der der spätere Präsident als „prairie lawyer“ in Illinois arbeitete: Wir sehen ihn zuerst als jungen, angehenden Volksvertreter, der sich in Bücher zum Thema Recht vertieft und schließlich in einer Anwaltskanzlei anheuert, wo er harmlose Streitereien zwischen Farmern mit salomonischer Weisheit schlichtet und sich so großen Respekt bei ganz unterschiedlichen Bevölkerungsschichten erarbeitet. Ford zeichnet Lincoln als Philantrop, dessen rhetorisches Geschick, natürliche Autorität und Souveränität ihm beinahe messianisches Charisma verleihen. Er ist ein Mann des Volkes, im wahrsten Sinne des Wortes: kein abgehobener Intellektueller, nicht aus wohlhabendem Hause stammend, verliebt in amerikanisches Traditionen und Brauchtum und dem Glauben an das Gute im Menschen verpflichtet. Eine muntere Montagesequenz zeigt ihn als Teilnehmer an diversen volksfestlichen Aktivitäten: Er ist Juror bei einem Kuchenwettbewerb, bei dem er sich nicht zwischen einem Apfel- und einem Pfirsichkuchen entscheiden kann und die Entscheidung immer weiter herauszögert, um noch mehr des köstlichen Kuchens essen zu können, er gewinnt einen Wettkampf, in dem es darum geht, als erster einen Baumstamm zu spalten, und seine List verschafft seinem Team den Sieg beim Tauziehen. Als er zu einem Empfang in das Haus der wohlhabenden Mary Todd (Marjorie Weaver) eingeladen wird, ist er mit seiner etwas linkischen Art zwar ein Außenseiter, aber auch hier hat man den Eindruck, dass er das Gravitationszentrum der Gesellschaft ist. Der eigentliche Plot dreht sich um einen Kriminalfall, in dem Lincoln die anscheinend hoffnungslose Verteidigung der armen Clay-Brüder übernimmt, die in einem Handgemenge angeblich zu Mördern an einem Taugenichts geworden sind. Mit großer Ruhe und viel Einfühlunsgvermögen gelingt es ihm zunächst die beiden vor einem aufgebrachten Lynchmob zu bewahren, dann beweist er in der eigentlich aussichtslosen Verhandlung nicht nur ihren Freispruch, er überführt auch den tatsächlichen Mörder.

Die dramaturgische Gestaltung der Gerichtsverhandlung ist rückblickend wenig überraschend: Das Subgenre des „Gerichtsfilms“ funktioniert nach Regeln und Gesetzen, die Ford hier wahrscheinlich wesentlich mitgeprägt hat. Der Zuschauer wohnt der Auswahl der Juroren bei, lernt den Richter (jovial, väterlich-streng, einfach) und den Staatsanwalt (manipulativ, eingebildet) kennen, wohnt den aufeinanderfolgenden Zugenbefragungen bei und weiß nie ganz genau, welche Strategie dieser Lincoln eigentlich verfolgt. Den Deal, einen der beiden Brüder definitiv zu retten, indem er einen „opfert“, schlägt er aus, obwohl er noch nicht genau zu wissen scheint, wie er am entscheidenden Tag eigentlich argumentieren soll. Aber weil wir ihn als intelligenten und für sein junges Alter nahezu weisen Mann kennengelernt haben, verrauen wir ihm. Letztlich fällt der entscheidende Hinweis mehr oder weniger vom Himmel: Tatsächlich geht es weniger darum, Lincolns überlegenen Intellekt zu feiern, als seine Menschenliebe. Bei der Auswahl der Juroren bevorzugt er den Säufer, der immerhin so ehrlich ist, von sich selbst zu sagen, dass er ein Lügner ist, gegenüber dem feinen Herrn aus der Gesellschaft, der sich selbst im besten Licht darstellen will. Er sucht die Nähe zu der einfachen Familie Clay, bewundert die Mutter, die sich für ihre Kinder aufopfert, und liest ihr den Brief ihrer inhaftierten Söhne vor, da das selbst nicht kann. YOUNG MR. LINCOLN kann auch als Verbeugung vor diesen „humble beginnings“ der USA verstanden werden: Es sind die einfachen Leute, die das Rückgrat des Staates ausmachen, die vielleicht nicht gebildet sind, aber über das Herz verfügen, etwas aufzubauen, an das sie glauben – und für gute Argumente empfänglich sind, wenn man ihre Sprache spricht. Die Gerichtsverhandlung nimmt mitunter burleske Züge an: Ursprünge eines  Rechtsstaates, der aus eigener Kraft von den Händen von Menschen errichtet wurde, die eine Idee hatten.

YOUNG MR. LINCOLN ist gegenüber anderen Filmen Fords vergleichsweise komprimiert und linear, aber auch hier spürt man wieder diesen tiefen Atem, das Bedürfnis, nicht nur einen einzelnen Charakter plausibel zu machen, sondern ihn zur Verkörperung einer ganzen Nation oder vielmehr jenes Geistes zu erheben, aus dem sie erwuchs. Dabei ist YOUNG MR. LINCOLN erstaunlich pathosfrei und bodenständig. Er lebt von seinem Witz, seiner Erdverbundenheit, seiner Wärme  und eben dieser Menschenliebe – mehr als von der Verpflichtung gegenüber einer abstrakten Idee. Henry Fonda, der unter seiner Maske kaum wiederzuerkennen ist, verschmilzt geradezu mit seinem Charakter: Ein anderer Schauspieler scheint danach in dieser Rolle kaum vorstellbar, was Spielbergs Film jetzt schon fast wieder interessant für mich macht. Zumindest für den Zweck, den Ford verfolgt, ist Fonda perfekt, weil er wie keine zweiter diese Mischung aus Demut, Einfachheit, Würde und einer Art überirdischer Weisheit verkörpert. Das Ende, wenn er vor einem Hintergrund aus mythisch wallendem Nebel die Familie Clay verabschiedet und dann mit in die Ferne gerichtetem Blick in den plötzlich einsetzenden Regen schreitet, ist nur einer von vielen starken poetisch-visuellen Momenten des Films. Was dieser Lincoln leisten wird, setzt Ford zu Recht als bekannt voraus, schließt mit dem Blick auf die berühmte Statue, deren Blick jenen Fondas in dieser letzten Einstellung spiegelt. Die Präsidentschaft und all die politischen Herausforderungen liegen noch in ferner Zukunft, aber das Wissen um seine Mission scheint schon da zu sein. Die USA sind noch jung und unreif. Das Potenzial zur großen Utopie ist da, aber sie benötigt Pflege und eine Vision, die Lincoln bereits in sich trägt.