Mit ‘Julianne Moore’ getaggte Beiträge

Damals, als das Sequel zu JURASSIC PARK in die Kinos kam, war ich, glaube ich, einfach mit anderen Sachen beschäftigt: Ich habe nicht viel mitbekommen von dem Film und davon, wie er aufgenommen wurde, habe ihn dann erst etwas später auf Video zum ersten Mal gesehen – und mochte ihn. Vielleicht ist es nur meine subjektive Wahrnehmung oder meine lückenhafte Erinnerung, aber gemessen an dem Wirbel, den der Vorgänger verursacht hatte, und den Erwartungen, die damals regelmäßig an einen neuen Spielberg geknüpft wurden, hinterließ das Sequel kaum Spuren. Und 25 Jahre später lässt sich der Eindruck, es hier zwar mit einem wie immer hoch professionell gefertigten, aber doch seltsam unambitionierten Film zu tun zu haben, kaum wegwischen.

Tricktechnisch ist THE LOST WORLD erwartungsgemäß noch eine ganze Ecke besser als der Vorgänger, überzeugt in dieser Hinsicht auch heute noch, und hat natürlich mehr Dinos und mehr direkte menschliche Interaktion mit ihnen. Die Hauptattraktionen sind eine T-Rex-Familie, die eine ebenso verschworene Einheit bildet, wie ihre menschlichen Konterparts, natürlich die Velociraptoren und eine ganze Horde kleiner hühnerähnlicher Saurier, die zwar für sich genommen wenig furchteinflößend sind, aber im Rudel dann doch ausreichen, um es mit dem fiesen Peter Stormare aufzunehmen. Die spannendste Sequenz spielt an Bord eines über eine Klippe hängenden Anhängers, in dem sich die drei Helden – Jeff Goldblums Chaostheoretiker Malcolm, seine Ex-Flamme Sarah (Julian Moore) und der Fotograf und Umweltaktivist Nick (Vince Vaughn) befinden, während die Tyrannosaurier versuchen, ihn über den Abhang zu schubsen. Im Gedächtnis hängen bleibt auch eine schöne Szene, in der die Velociraptoren den Saurierjägern um Roland Tembo (Pete Postlethwaite) in hohem Gras nachstellen, dafür mutet das Finale, in dem der T-Rex in einer deutlichen Reminiszenz an KING KONG die Straßen von San Diego unsicher macht, wie eilig hinten angeklebt an. Dazu kommt eines der krassesten Plotholes, die ich kenne: Das Schiff mit dem T-Rex treibt führerlos in den Hafen, an Bord sind alle tot, aber das Dinosaurier, das für den Tod der Besatzung verantwortlich sein soll, ist nach wie vor in seiner Kammer im Rumpf des Schiffes eingesperrt. Ich habe normalerweise kein Problem damit, die Logik bei einem Film hinten anzustellen, aber hier fügt sich diese Schlamperei nur zu gut ins Gesamtbild eines Filmes, der sehr deutlich erkennen lässt, wo die Prioritäten lagen. Gegenüber den großen schuppigen Stars und der Technik, mit der sie zum Leben erweckt wurden, war ein schlüssig konstruiertes Drehbuch offensichtlich zu vernachlässigen.

Nun war auch JURASSIC PARK kein großer erzählerischer Wurf, aber man fieberte dennoch mit seinen Protagonisten mit. Hier sind die privaten Probleme, die Malcolm, seine Tochter Kelly (Vanessa Chester) und Sarah zu überwinden haben, jederzeit als müde Drehbuchkniffe durchschaubar, die Spielberg mit Leben zu füllen, sich kaum Mühe macht, und Vince Vaughns Nick verschwindet sogar, ohne auch nur ein kleines „Auf Wiedersehen“ geschenkt zu bekommen. Dafür hätte es das „Wunderkind“ gewiss nicht gebraucht. Auch wenn sich das wie ein Verriss liest, finde ich THE LOST WORLD durchaus unterhaltsam und kurzweilig. Er macht Spaß und liefert hinsichtlich seiner Titelkreaturen ordentlich ab. Aber von seinem Macher ist man dann doch andere Kaliber gewöhnt. In Spielbergs Werk rangiert THE LOST WORLD ohne Zweifel eher im unteren Drittel.

Vier Filme hat Jaume Collet-Serra innerhalb von sieben Jahren mit Liam Neeson gemacht, der einen verlängerten zweiten Frühling als Actionstar erlebt, seitdem er 2008 mit dem Überraschungserfolg TAKEN punktete. Ich habe diese Filme noch nicht alle gesehen, aber ein Blick auf ihre Inhaltsangaben bei IMDb legt nahe, dass die Besetzung der Hauptrolle nicht ihre einzige Gemeinsamkeit ist: In UNKNOWN spielt Neeson einen Mann, der aus dem Koma erwacht, und feststellen muss, dass jemand seine Identität angenommen hat. In RUN ALL NIGHT ist er ein Profikiller, der sich innerhalb einer Nacht überlegen muss, auf welcher Seite er steht. In THE COMMUTER spielt er einen Ex-Cop und soeben gefeuerten Versicherungsmakler, der im Zug nach Hause von einer Fremden beauftragt wird, einen Mann an Bord ausfindig zu machen. Und in NON-STOP, um den es hier geht, spielt er den alkoholkranken Air Marshal Bill Marks, der in der Enge eines Flugzeugs von einem Terroristen in ein böses Spielchen verstrickt wird. Alle Filme etablieren Neeson als in die Enge getriebenen Mann, der in auswegloser Situation auf die Probe gestellt wird und sich dabei noch nicht einmal zu hundert Prozent auf sich selbst verlassen kann, und sie spielen zudem auf begrenztem Raum und innerhalb eines eng gefassten Zeitraums. (Collet-Serras Blake-Lively-gegen-den-Hai-Film THE SHALLOWS fußt auf einem ganz ähnlichen Prinzip.)

Ein bisschen erinnert NON-STOP an die High-Concept-Actionfilme, die im Zuge des Erfolgs von DIE HARD in die Kinos kamen und dessen Grundkonstellation dann lediglich mit verschieden besetzten Variablen erneuerten. Während das DIE HARD-Sequel das Nakatomi-Hochhaus durch einen Flughafen ersetzte, schickte die kurzlebige UNDER SIEGE-Reihe ihren Helden Steven Seagal erst auf ein Kriegsschiff und dann in einen Zug, SPEED spielte wiederum erst an Bord eines Zuges, dann eines Luxusliners. Aber NON-STOP ist eigentlich kein Actionfilm, er spielt eher mit den Elementen des Thrillers. Bill Marks wird von Anfang an als zerrissener Held gezeichnet, der sich in seinem Job, in dem er für die Sicherheit hunderter Zivilpersonen verantwortlich ist, kaum noch wohlfühlt. Der Start eines Flugzeugs – sein Arbeitsplatz – bereitet ihm panische Angst, er leidet unter Selbstvorwürfen, seitdem seine Tochter verstarb, sein Alkoholismus tut sein Übriges. Als er Nachrichten eines möglichen Verbrechers erhält, der mit der Ermordung Unschuldiger droht, sollten ihm nicht 150 Millionen Dollar überwiesen werden, und sich auf die Suche begibt, gerät er bald selbst in Verdacht: Denn der Täter weiß genau, wen er sich da für sein ausgeklügeltes Spielchen ausgesucht hat. Es dauert nicht lange, da hat Marks nicht nur einen gefährlichen Killer gegen sich, sondern auch die Passagiere, die Crew und seine Vorgesetzten, die alle der Meinung sind, es mit einem durchgebrannten Psychopathen zu tun zu haben. Und es kostet Marks alle Anstrengung, nicht selbst den Glauben an sich zu verlieren.

Collet-Serra holt aus der Hitchock’schen Prämisse das Optimum raus: Das Script ist packend, vollgestopft mit falschen Fährten, gut getimten Überraschungen, Twists und Zuspitzungen, Neeson perfekt als geprügelter, aber ehrlicher und verlässlicher Hund, der auch kraftvoll zubeißen kann, wenn es nötig ist, der begrenzte Raum wird perfekt genutzt. Es ist enorm viel Bewegung drin, ob das nun daran liegt, dass Marks unentwegt zwischen Cockpit, Toilette, Stewardessen-Kabuff und den beiden getrennten Passagierräumen hin und her hetzt oder weil DoP Flavio Labiano, die Kamera elegant herumwirbelt. Auch die bei THE SHALLOWS noch etwas selbstzweckhafte und aufgesetzt wirkende Masche mit den eingeblendeten Textnachrichten fügt sich hier optisch ins Bild – und macht auch erzählerisch Sinn. NON-STOP verbindet klassisches, elegantes Filmmaking mit frischen Ideen, wie man es heute nicht mehr allzu oft bekommt, und stellt so eine schöne Ausnahme auf einem Markt dar, der heute überwiegend aus marktschreierisch beworbenen und mit CGI überfrachteten „Tentpoles“ besteht. Collet-Serras Film dürfte eigentlich gar nicht gemacht worden sein – in den Neunzigern wurde ganz ähnlicher Stoff direkt auf Video verwurstet -, umso erfreulicher, dass er bei einem lachhaften Budget von „nur“ 50 Millionen Dollar weltweit einen durchaus beachtlichen Gewinn einspielte; ganz ohne sexy Hauptdarsteller, hitlastigen Soundtrack, Spielzeug-Tie-in oder fette Marketing-Kampagne im Rücken. Es geht also noch. Den Erbsenzählern sei gesagt, dass man durchaus ein Haar in der Suppe finden kann, wenn man unbedingt danach suchen möchte: Die Geschichte ist natürlich krass konstruiert, mit den immer zu erwartenden Plot- und Logiklöchern und Schurken, die immer genauso intelligent oder dämlich sind, wie es die jeweilige Situation gerade verlangt. Auch die Auflösung bzw. ihre Motivation erscheint mir als kleiner Let-down, aber das liegt vielleicht auch an mir: Schließlich gibt es ja auch Menschen, die Flüchtlingsheime anzünden oder Synagogen überfallen, weil sie sich von diesem in ihrem Deutschsein gestört fühlen – und warum sollte ein Filmschurke klüger sein als irgendein real existierender Neonazi?

 

 

 

Zehn Jahre nach dem bahnbrechenden, Oscar-gekrönten Erfolg von Demmes THE SILENCE OF THE LAMBS erschien endlich das von vielen sehnlich erwartete Sequel: Grund für die lange Wartezeit war die banale Tatsache, dass sich Thomas Harris, der Autor der literarischen Vorlage, selbst bis 1999 Zeit gelassen hatte, einen weiteren Roman um den kannibalistischen Serienkiller zu schreiben. Die Vorfreude wich schnell der Ernüchterung: Die Filmkritik hatte nur wenig Gutes über Scotts Film zu sagen (der natürlich trotzdem ein Hit wurde), beklagte den Verlust jener Subtilität, die Demmes Vorgänger ausgezeichnet hatte, und befand, dass die dafür nun in die Waagschale geworfenen grafischen Geschmacklosigkeiten keinen adäquaten Ersatz darstellten. Und während THE SILENCE OF THE LAMBS seinen Platz im Horrorfilm-Pantheon sicher hat, ist die Fortsetzung heute kaum mehr als eine Fußnote wert. Tatsächlich ist HANNIBAL eine ziemliche Katastrophe, aber eben eine, die sich mit ihren Over-the-Top-Gewaltdarstellungen und ihrem pompösen Kitsch unauslöschlich ins Gedächtnis einbrennt. Ich habe auch hier nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich Ridley Scott für einen der überbewertetsten Filmemacher überhaupt halte (eine kleine Handvoll erstklassiger Filme stehen einem weitaus höheren Berg von Mittelmaß und Schrott gegenüber), aber HANNIBAL würde ich tatsächlich gegen alle Kritiker verteidigen.

Während Scott ganz oft den Eindruck erweckt, keinen echten Plan davon zu haben, was einen Stoff wirklich interessant macht, so hat er das HANNIBAL zugrundeliegende Problem sehr genau erkannt: THE SILENCE OF THE LAMBS, in dem Lecter ja streng genommen nur eine Nebenfigur war, profitierte massiv davon, dass seine interessanteste Figur über weite Strecken der Handlung in seiner Freiheit massiv eingeschränkt war, ihr Potenzial mithin nie voll entfalten konnte. In der Interpretation von Hopkins war da kaum mehr als eine Ahnung von seiner Grausamkeit, die den Killer aber noch furchteinflößender machte. In HANNIBAL rückt der Kannibale nun ins Zentrum der Geschichte, er wird zum gleichberechtigten Protagonisten neben Clarice Starling (Julianne Moore) und seine Taten werden voll ausgespielt. Ein typisches Sequelproblem, das schon vielen Fortsetzungen das Genick gebrochen hat. Scott begegnet diesem Problem, indem er den Gore- und Geschmacklosigkeitsregler bis zum Anschlag aufreißt: Es dürfte nur wenige Filme dieser Preisklasse geben, die ähnlich lustvoll in Blut und Gedärm waten. Das beginnt schon im Prolog mit der Erschießung einer Aids-infizierten Drogendealerin, die ein Baby im Arm hält, setzt sich fort über Gary Oldmans Albtraum-induzierendes Make-up (sein Päderast Mason Verger schnitt sich einst auf Geheiß von Lecter unter Drogeneinfluss das Gesicht weg), den armen Kriminalisten Pazzi (GIancarlo Giannini), dessen Eingeweide sich auf eine florentinische Piazza ergießen, sowie menschenfressende Wildschweine und endet dann in der unfasslichen Sequenz, in der Hannibal Krendler (Ray Liotta) bei vollem Bewusstsein das eigene Gehirn verfüttert. Sicher, mancher Vertreter des sogenannten „Torture Porn“ ist noch zeigefreudiger, reiht noch mehr Schweinereien und Tabubrüche in noch kürzerer Zeit aneinander, aber diese Filme kommen eben auch nicht mit dem Stempel des Multimillionen-Mainstream-Sequels zu einem anerkannten Welthit daher. Es ist Ridley Scotts Verquickung von blutrünstiger Exploitation und opulentem Bilderbuchkino, die den Film so verstörend macht. Vor dem Hintergrund der florentinischen Kulisse mit ihren Renaissance-Palazzos und Opern-Vorstellungen, von John M athieson festgehalten in ultraslicken Bildern, nimmt HANNIBAL tatsächlich den Charakter einer bizarren Gewaltoper an, der spätestens im dritten Akt sämtliche Gäule durchgehen. Als hätte Rob Zombie nach einem miesen Heroin-Trip Thomas Manns „Tod in Venedig“ verfilmt. (Einschränkend muss man sagen, dass sich die Wikipedia-Inhaltsangabe des zugrunde liegenden Romans kaum weniger gestört liest und der Filmtod von Mason Verger tatsächlich eine „softe“ Version des Schicksals ist, das sich Harris für ihn erdacht hatte.)

Als Thriller betrachtet funktioniert HANNIBAL dann aber nur in Teilen: Scott gelingt es zwar noch einmal, diese Bedrohung einzufangen, die von dem freundlichen alten Mann ausgeht, und die annähernd versteinernde Furcht, die Menschen in seiner Gegenwart befällt, wenn sie wissen, mit wem sie es zu tun haben, besonders in den beiden Konfrontationen zwischen ihm und Pazzi (Giancarlo Giannini ist sehr gut als trauriger Kriminalist, der Morgenluft wittert, als er den gesuchten Lecter ausfindig macht), aber dem Film fehlt ein klarer Konflikt. Dass sich Starling und Lecter erst im letzten Akt begegnen, ist ein dramaturgischer Schwachpunkt, wie überhaupt der Charakter der FBI-Agentin hier nichts mehr mit dem Vorgänger zu tun hat. Starling ist nun nur ein weiterer Vertreter der klischierten tough cops, die es gelernt haben, ihre Gefühle hinter einer Wand der Härte zu verbergen (Jodie Foster lehnte die Rolle ab, weil ihr die Richtung, die Harris einschlug, überhaupt nicht gefiel). Und Lecter verliert über die vole Distanz viel von dem Schrecken, den er in wenigen Szenen von Demmes Film erzeugte, weil man erstens zu viel von ihm zu sehen bekommt, zweitens der „Schöne und das Biest“-Aspekt zu stark betont wird. Hopkins ist immer noch gut in der Rolle, aber der Film wird bisweilen von blankem Sensationalismus befallen. Subtil ist hier wirklich gar nichts mehr und in seiner permanenten Übertreibung, sei es hinsichtlich der bestialischen Gewalt oder auch hinsichtlich der Darstellung von Lecters Affluenz und seines Intellektualismus, mutet HANNIBAL an wie ein Splatterfilm für Leute, die sich sonst mit Vorliebe an Home Stories über Adelsfamilien delektieren. Aber wie schon einleitend gesagt: Diese seltsame Verbindung ist immerhin originell und tatsächlich durchzieht HANNIBAL eine Aura der Perversion und des Sadismus, die sehr passend ist für den Stoff. Es lohnt sich nicht mehr, wie noch bei Demmes Klassiker, lange über ihn nachzudenken, weil alles auf der Hand liegt, aber HANNIBAL ist immerhin noch ein guter, fieberhafter Albtraum geworden. Das ist nicht wenig, würde ich sagen.

Ist THE BIG LEBOWKSKI der beliebteste Film der Coens? Ich glaube, trotz seines bescheidenen Einspielergebnisses ließen sich mehrere Belege dafür finden, die diese These untermauern. Ein Anhaltspunkt mag die unüberschaubare Vielzahl an Fan-Art sein, die die Eingabe des Filmtitels in die Google-Bildersuche zu Tage fördert. Eine andere die anhaltende Faszination, die der Charakter von Jeff Bridges, der Stoner Jeff Lebowski, genannt „The Dude“, auslöst. Das Netz hat ihn zum Paten einer ganzen Slacker-Philosophie auserkoren, einem Propheten des Hängertums, dessen entspannte Lebensauffassung Vorbild für Heerscharen von Menschen wurde, die sich den Anforderungen eines Lebens im Neoliberalismus nicht gewachsen fühlen. Dem „Dude“ selbst wäre diese Verehrung wahrscheinlich peinlich oder unangenehm: Er macht ja gar nichts, er ist einfach so wie er ist, und solange der Vorrat an Wodka und Kahlua nicht ausgeht und die Bowling-Halle ihn willkommen heißt, ist alles in Butter. Auf die ganze Aufregung, die die Ereignisse des Films für ihn bereithalten, könnte er jedenfalls auch ganz gut verzichten. Klar, ein bisschen Kohle zu verdienen wäre ganz nett, aber man muss es ja auch nicht übertreiben.

THE BIG LEBOWSKI ist nach dem Debüt BLOOD SIMPLE der erste lupenreine Noir der Coens – sofern sie zu einem „lupenreinen“ Noir in der Lage sind. Dunkel ist ihr Film überhaupt nicht (auch wenn es wieder dunkle Elemente gibt), er fühlt sich insgesamt viel leichter an als ihr bisheriges Werk, er ist episodischer, bunter und musikalischer. Inspirationsquelle waren nach Aussage der Coens die Romane von Raymond Chandler: „We wanted to do a Chandler kind of story – how it moves episodically, and deals with the characters trying to unravel a mystery, as well as having a hopelessly complex plot that’s ultimately unimportant.“ Es stimmt, die Geschichte von der Scheinentführung einer untreuen Ehefrau (Tara Reid) und dem ebenso vorgetäuschten Versuch des Ehemanns (David Huddleston), sie mithilfe des willkommenen Trottels namens „Dude“ aus den Fängen der Entführer  zu befreien, wird mit unzähligen Wendungen und ausuferndem Figureninventar erzählt, nur um sich am Ende in Wohlgefallen aufzulösen. Aber es gehört enorm viel schöpferisches Können dazu, eine so komplexe Geschichte zu entwickeln, dabei gleichzeitig etwas völlig anderes zu erzählen und am Ende niemanden mit dem aufreizend lapidaren Finale zu vergrätzen.

Es funktioniert nicht zuletzt, weil die Geschichte einen willkommenen Anlass bietet, den „Dude“ mit einer Vielzahl skurriler Figuren und ebensolcher Situationen zu konfrontieren. Zuvorderst sind natürlich die deutschen Nihilisten zu nennen (Peter Stormare, RHCP-Bassist Flea und Thorsten Voges), die einst gemeinsam als „Autobahn“ ein Album namens „Nagelbett“ aufnahmen und sich nun in schwarzen Klamotten mit Baseballschlägern als Hobbykriminelle versuchen („These men are nihilists. There’s nothing to be afraid of.“). John Turturro hat einen unvergesslichen Auftritt als egozentrischer hispanischer Bowler Jesus Quintana („Nobody fucks with the Jesus!“), Julianne Moore begeistert als feministische Künstlerin mit einem Vagina-Monolog („The word itself makes some men uncomfortable. Vagina.“), Philipp Seymour Hoffmans verschämtes Lachen, wenn er die vollkommen schamlosen Kommentare vom „Dude“ und der blutjungen Gattin seines Chefs hört, sind ebenfall Weltklasse. Und wenn man dann denkt, es kann eigentlich nichts mehr kommen, tauchen auch noch Jon Polito als schmieriger Privatdetektiv und Ben Gazzara als Pornoproduzent auf, der einen der Nihilisten einst im Kabelverleger-Opus „Logjammin'“ dirigierte. Dazu kommen musicaleske Traumsequenzen, Cowboy Sam Elliott als geisterhafter Erzähler und viel Bowlingromantik. Die Bowlingbahn ist vielleicht das wichtigste Setting des Films, das Äquivalent zum Minnesota aus FARGO, Ausdruck der inneren Gelassenheit der Hauptfigur – die man tatsächlich nicht einmal beim Bowlen sieht – und Zeichen der bereits bekannten Liebe der Coens zur amerikanischen Alltagskultur (es ist ja auffällig, wie die Coens mit ihren Filmen die USA nicht nur geografisch, sondern auch durch die Zeit erschließen: Hier sind sie nun im L.A. der frühen Neunzigerjahre angekommen).

Bei allem Tumult des Plots, bei all den bescheuerten Gestalten, die den Film bevölkern und immer nur Verwunderung und Befremden beim „Dude“ auslösen: In der gebohnerten Mittelmäßigkeit des Bowlingtempels mit seinen dickbäuchigen, o-beinigen, glatzköpfigen Durchschnittstypen, die in stinkigen Kunstlederschuhen zur Hochform auflaufen, kommt der Film ganz zu sich. Wie die Kamera diese großen kleinen Leute einfängt, sie fast zu Ikonen stilisiert, wie sie an den Gesichtern der drei Freunde vorbeifährt: THE BIG LEBOWSKI erreicht in diesen kleinen Gesten eine Perfektion, die fast schmerzhaft ist. Der „Dude“, sein cholerischer Freund Walter (John Goodman), der in der Lage ist, alles und jeden zum Vietnamkrieg in Beziehung zu setzen, alles als Angriff auf den American way of life zu begreifen, für den er „face down in the mud“ gelegen habe, und der, weil er immer noch nicht genug Last auf den Schultern trägt, auch noch zum Judentum konvertiert ist, sowie der stets im Schlepptau an ihnen hängende Donny (Steve Buscemi) sind vielleicht die drei schönsten Figuren, die die Coens je entwickelt haben. Jeff Bridges hält als ruhender Pol alles zusammen und John Goodman poltert von einem Ausbruch zum nächsten, droht einem armen Bowler bei gezückter Waffe, dass dieser eine „world of pain“ betrete, wenn er sich nicht zu seinem Regelverstoß bekenne („This is not Nam! There are rules!“) und ist trotzdem so ein liebenswert wie ein Elefant, der seine zerstörerische Kraft einfach nicht einschätzen kann. Die sich ständig im Kreis drehenden, wie das Bowlingspiel vollkommen durchritualisierten Dialoge der beiden sind der Höhepunkt des Films („They peed on your fuckin‘ rug!“).

Aber ich meine, da gibt es noch eine andere Figur, die sehr vel wichtiger ist: Steve Buscemis Donny. Er ist der eigenschaftslose Mitläufer, dabei aber ein absolut elementarer Bestandteil des Trios, auch wenn keiner so recht weiß, warum. Er scheint ein bisschen dümmlich, er hat nichts zu erzählen, er hat einen furchtbaren Drei-Dollar-Haarschnitt, ist von insgesamt eher trauriger Gestalt, guckt stets etwas ziellos ins Nichts und scheint seltsam alterslos, wie ein Zwölfjähriger, dessen Körper zu schnell gewachsen ist. Immer wieder schaltet er sich mit alibihaften Wortmeldungen ins Gespräch ein, nur um von Walter mit einem barschen „Shut the fuck up, Donny!“ zur Ordnung gerufen zu werden – was er still erträgt. Wir erfahren rein gar nichts über ihn, aber Steve Buscemi macht aus ihm mit wenigen Gesten und Blicken einen dreidimensionalen Charakter. Wie hat er diese beiden raumgreifenden Gestalten kennen gelernt? Was verbinden sie mit ihm, außer der Tatsache, dass er immer dabei ist? Wo kommt er her? Was macht er? Wovon träumt er? Was denkt er von Walter und dem „Dude“? Er scheint lange Zeit nichts als eine Art Running Gag zu sein, nur dazu da, um die Dialoge zu beschleunigen und zu verschärfen – bis er wie aus dem Nichts verstirbt. Nach vielen an Gewalt nicht armen Filmen der Coens ist THE BIG LEBOWSKI sehr zurückhaltend, es gibt ein paar tätliche Angriffe, aber keinen Mord. Es gibt überhaupt nur einen Tod, nämlich diesen einen, besonders jämmerlichen, auf dem Parkplatz vor der Bowlinghalle, ohne Fremdeinwirkung, durch einen absurden Herzanfall. Donny ist weg, einfach so. Da ist wieder dieses FARGO-Gefühl: Nicht jeder Mensch hat das Glück, eine gewinnende Persönlichkeit zu haben, gut auszusehen, witzig oder charmant zu sein oder wenigstens eine mehr oder weniger liebenswerte Macke zu haben. Manche sind einfach nur da, bis sie nicht mehr da sind. Und erst dann merkt man, dass sie fehlen.

 

Den Karriereweg, den Cronenberg beschreitet, finde ich immer faszinierender, je mehr Filme er dreht. Mit ganz wenigen Ausnahmen ist es ihm bislang stets gelungen, auch dann unverkennbar Cronenberg zu bleiben, wenn er etwas ganz Neues versuchte. MAPS TO THE STARS ist auch so etwas Neues, selbst wenn man eingesteht, dass der Kanadier die Zeiten, in denen man ihn mit einiger Berechtigung als „Genreregisseur“ bezeichnen konnte, längst hinter sich gelassen hat. Es gibt eigentlich keinen Film mehr, den ich ihm überhaupt nicht zutrauen würde und wäre gespannt, wie zum Beispiel eine reinrassige Komödie von ihm aussähe. Komische Untertöne hat auch MAPS TO THE STARS (wie auch COSMOPOLIS zuvor), doch das Lachen bleibt einem dann doch mehr als einmal im Halse stecken. Cronenbergs neuester Film wird in Rezensionen gern als seine „Abrechnung“ mit Hollywood, Starsystem und Filmindustrie bezeichnet, und das ist er in gewisser Hinsicht auch, aber hinter der Geschichte um Inzucht, Mord, Wahnsinn, Missbrauch und Kindsverbannung in zwei Schauspielerfamilien verbirgt sich auch ein Mystery- bzw. Geisterfilm, eine esoterische Wiedergeburtsspekulation und eben eine schwarze Komödie. MAPS TO THE STARS bleibt dabei seltsamerweise ultrahomogen und zwingend, ist von jener kristallinen, fast analytischen Klarheit geprägt, die Cronenbergs Filme auch dann noch auszeichnet, wenn sie auf der Inhaltsebene völlig bizarr werden. Und immer schwingt da dieser perverse Unterton mit, den man von Cronenberg kennt, von dem man als Zuschauer aber nie so genau weiß, wo er eigentlich herkommt.

MAPS TO THE STARS verwebt die tragische Geschichte zweier Hollywood-Familien: Die Schauspielerin Havana Segrand (Julianne Moore), die Tochter einer großen, bei einem rätselhaften Hausbrand ums Leben gekommenen Hollywood-Legende, kämpft mit dem Alter und dem damit einhergehenden Desinteresse der Studios, hofft inständig darauf, ausgerechnet in einem Biopic über ihre Mutter die Hauptrolle übernehmen zu dürfen – ein Akt, der umso verzweifelter und selbstzerstörerischer wirkt, als ihre Mutter sie als Kind zu missbrauchen pflegte. Für die Familie Weiss scheint indessen fast alles in Butter: Sohn Benjie (Evan Bird) ist schon mit 13 ein Superstar, hat zwar eben seine erste Entziehungskur hinter sich gebracht, befindet sich mit dem Sequel zu seinem Erfolgsfilm aber auf dem Weg zurück ins Geschäft, und Papa Stafford (John Cusack) verdient sich eine goldene Nase als Therapeut, Selbsthilfe-Guru und Buchautor. Doch da ist immer noch der Schatten aus der Vergangenheit, der mit schwarz behandschuhten Fingern in die Gegenwart eingreift: Nach sieben Jahre in einer Heilanstalt kehrt Tochter Agatha (Mia Wasikowska) zurück, die von den Eltern verstoßen wurde, als sie mit einer Brandstiftung Benjies Leben in Gefahr brachte und sich selbst schwerste Verbrennungen zuzog. Nun ist sie in Hollywood, um eine eigene Karriere zu beginnen und sich mit ihrer Familie zu versöhnen. Sie heuert bei Havana als persönliche Assistentin an und stößt eine Kette von zerstörerischen Ereignissen an …

Cronenberg greift für seinen Metafilm auf gängige, in über 100 Jahren Hollywood-Gossip etablierte Klischees der Dekadenz zurück: Seine Charaktere sind oberflächlich, vulgär, materialistisch und seelisch vollkommen zerrüttet, dazu medikamenten- und drogenabhängig, narzisstisch bis ins Mark und von Grund auf falsch und verlogen. Havana, über das mögliche Ende ihrer Karriere verzweifelt und am Boden zerstört, empfängt Agatha mit offenen Armen, nur um sie wüst von oben herab zu beschimpfen, als sich das Blatt zu ihren Gunsten gewendet hat. Dieser plötzliche Wandel ist auch mit dem härtesten Schlag Cronenbergs in die Magengrube seiner Zuschauer verbunden: Havana erhält ihre Traumrolle, weil der kleine Sohn der eigentlich besetzten Konkurrentin bei einem Badeunfall ertrunken ist. Diesen Tod – der für Havana eine Wiedergeburt bedeutet (Spiegelung, Kontrastierung und Wiederholung sind die bestimmenden erzählerischen Mittel in Cronenbergs Film) – feiert die Schauspielerin mit einem Freudentanz auf ihrer Veranda und einer Spontan-Darbietung des alten Steam-Gassenhauers „Na Na Hey Hey Kiss Him Goodbye“. Staffords Menschlichkeit heuchelndes New-Age-Geschwafel über Buddhismus und den Dalai Lama verbirgt die absolute Kälte und Grausamkeit, mit der er seiner Tochter gegenübertritt und ihr nicht nur jede Liebe sondern auch jede Chance auf eine Aussprache versagt. Sohn Benjie hat sich schon mit 13 einen absolut widerlichen Zynismus angeeignet, und der brave Jerome Fontana (Robert Pattinson), der sich sein Geld als Chauffeuer verdient, wird mir nichts dir nichts zum Autorücksitz-Starfucker, kaum dass er eine Chance sieht, seine brachliegende Autoren- und Schauspielerkarriere voranzutreiben.

Der Titel bezieht sich vordergründig natürlich auf die in Hollywood erhältlichen Stadtpläne, auf denen die Häuser der Stars verzeichnet sind, und die dazugehörigen Rundfahrten, doch Cronenberg verwendet ihn eher bildlich. „Menschen treten nicht zufällig in unser Leben, sie werden von uns gerufen“, sagt Stafford einmal und diese Auffassung teilt auch der Film. Die Schicksale seiner Protagonisten scheinen vorgezeichnet, in einer endlosen Verkettung von Fehlschlüssen und Affekthandlungen, und Cronenberg zeichnet diesen Weg akribisch nach. Er nähert sich der Esoterik von Stafford mit dieser Schicksalsgläubigkeit anscheinend an, doch in seinem ungeschönten Erzählstil und dem distanzierten Blick, den er auf das Geschehen wirft, lässt der Regisseur ohne Zweifel erkennen, dass er mit quasireligiösen Erklärungsmodeelen herzlich wenig anfangen kann. Bei ihm ist alles psychologisch motiviert, und dass sich die Geschichte für seine Protagonisten wiederholt, ist nicht dem Ästhetikverständnis einer übergeordneten spirituellen Macht geschuldet, sondern schlicht der Tatsache, dass auch psychische Krankheiten vererbbar sind. Und so ist auch MAPS TO THE STARS eine mehr als würdige Fortsetzung einer Filmtradition, die solche Werke wie SUNSET BOULEVARD, WHAT EVER HAPPENED TO BABY JANE?, THE LEGEND OF LYLAH CLARE, MOMMIE DEAREST, THE PLAYER, MULHOLLAND DRIVE oder INLAND EMPIRE hervorgebracht hat.

Unter dem Namen „Frank Cadillac“ verdingt sich Cris Johnson (Nicolas Cage) als zweitklassiger Illusionist in Las Vegas. Mit billigem Tingeltangel verbirgt er ein echtes übersinnliches Talent, das den Kern seiner Show bildet: Cris kann zwei Minuten weit in seine Zukunft sehen. Diese Fähigkeit ist dem CIA nicht verborgen geblieben: Um eine von Terrorist „Mr. Smith“ (Thomas Kretschmann) gestohlene Atombombe zu finden, will sich Agentin Callie Ferris (Julianne Moore)  seiner Dienste versichern. Doch vor dem Retten der Welt hat für Cris etwas anderes Priorität: Er will seine Traumfrau Liz (Jessica Biel) erobern  …

Zwar muss NEXT weitestgehend ohne Kostproben von Cages Megaacting auskommen, trotzdem scheint der auf einer Erzählung von Philip K. Dick basierende Film ihm förmlich auf den Leib geschneidert und mit einem anderen Darsteller kaum denkbar. Als routinierter Mittelklasse-Actioner von Lee Tamahori inszeniert – der nicht lang gebraucht hat, um nach dem zupackenden neuseeländischen Ehedrama ONCE WERE WARRIORS in der totalen Hollywood-Beliebigkeit zu enden (eine einsame Ausnahme wie der tolle DEVIL’S DOUBLE bestätigt nur die Regel) – ist er einerseits zu unspektakulär, um als ganz großes Eventkino gelten zu können, andererseits aber auch zu blöd, um den Respekt anspruchsvollerer Filmfreunde zu ernten. NEXT ist – bei aller Biederkeit – eine Kuriosum: als Blockbuster-Anwärter rund 10 Jahre zu spät, als DTV-Kulthit zu aufgeblasen. Das Herz des aufgeschlossenen Filmsehers erfreut er dann auch gerade in seinem leichtfertigen Nichtgelingen und in seiner strukturellen Verweigerungshaltung.

Zuerst mal zerreißt da ein unüberwindbares Plothole den Film: Auf der Suche nach mit einer Atombombe bewaffneten und zu allem entschlossenen Terroristen macht das CIA den Umweg über einen psychisch begabten Magier, der die einzige Chance sein soll, die Bösewichte dingfest zu machen? Doch selbst wenn man bereit ist, den sich unweigerlich zuschnürenden Hirnknoten zu ignorieren: Wie haben die Staatsbeamten Cris überhaupt ausfindig gemacht? Haben sie sich gedacht, dass sie für ihre Ermittlungen gut einen Wahrsager gebrauchen könnten und sich dann auf die Suche nach einem gemacht? (Und wenn ja: Konnten sie wirklich keinen finden, dessen Zeitfester größer als zwei Minuten ist?) Oder kannte einer der Agenten Cris bereits und kam dann ausgerechnet in diesem Fall existenzieller Bedeutung auf die Idee, ihn für die eigenen Zwecke zu rekrutieren? Wie dem auch sei: Angesichts der Größe der Bedrohung und der gebotenen Dringlichkeit ist der Umweg über Cris eigentlich nicht zu rechtfertigen. Könnte man die Zeit und Mühe, die es kostet, den unwilligen und wendigen Cris zu stellen, in der vagen Hoffnung, seine Fähigkeiten könnten helfen, nicht gleich genutzt werden, um die Verbrecher zu stellen, die immerhin eine Atombombe mit sich rumschleppen?

Dann ist da Cris: einer der typischen Cage-Antihelden, die sich in einer Mischung aus souveräner Belustigung über die Welt, niederdrückender Müdigkeit und aufreizender Scheißegal-Haltung durch die Welt treiben lassen. Ein desillusionierter Romantiker auf der fast hoffnungslosen Suche nach der einen Frau, die ihn noch retten kann. Er hat sie gegen die Logik seiner Zwei-Minuten-Beschränkung gesehen, wie sie an einem ungenannten Tag um 8:09 Uhr ein Diner in Las Vegas betritt. Seitdem wartet er dort jeden Tag in der Hoffnung, dass sie auftauchen möge. Als er sie endlich gefunden hat, hat er verständlicherweise keine Lust, den Weltenretter zu mimen und dabei sein Leben und sein junges Liebesglück aufs Spiel zu setzen. Das ist eine ungewöhnliche und zudem ziemlich sympathische, ja, beinahe subversive Drehbuchentscheidung: Wo der Hollywood-Protagonist sonst alles stehen und liegen zu lassen pflegt, wenn der Staat ruft und die Unsterblichkeit lockt, da hat Cris einfach keinen Bock. Seine Fähigkeiten stellt er demzufolge eben nicht in den Dienst der Sache, sondern in den Dienst, der Sache zu entgehen. Es ist zwar schade, aber eben auch erwartbar, dass NEXT das so nicht durchziehen kann: Cris’ große Liebe wird von den Bösewichtern gekidnappt und ihm die Entscheidung mehr oder weniger abgenommen. And now it’s personal …

Aber das Finale rettet den Film dann doch noch. Nicht, weil die Actioneinlagen so begeisternd wären, denn dafür ist Tamahori zu bieder und die CGI zu wenig überzeugend, sondern weil NEXT in letzter Sekunde den alten, abgegeriffenen „Alles war nur ein Traum“-Kniff zu größtmöglichem Effekt einsetzt und damit endgültig den Eindruck festigt, dass in NEXT eigentlich gar nichts passiert. Alles ist reine Potenzialität und Latenz. Wie die Geschichte um Cris, Liz und die Atombombe wirklich ausgeht, das muss ein anderer Film erzählen. Schön (blöd).

 

Am Ende, während die Abschlusscredits laufen, fährt die Kamera einen Stadtplan von Los Angeles ab, zeigt die unüberschaubare Vielzahl von sauber vertikal und horizontal oder aber kurvig und scheinbar natürlich verlaufenden Linien, die die Straßen der Westküstenmetropole repräsentieren, und deren gemeinsame Kreuzungen. Mit SHORT CUTS, mit dem Altman nach seinem Comeback THE PLAYER bewies, dass der mitnichten ein Zufallstreffer gewesen war, und an seinen ambitionierten, ausschweifenden Ensemblefilm NASHVILLE anknüpfte, entwirft der Regisseur so etwas wie einen emotionalen Straßenplan, zeichnet die Stadt als ein engmaschiges Geflecht, aus sich kreuzenden Lebenswegen von Menschen, die über mehrere Ecken miteinander in Verbindung stehen, ohne es zu wissen. Nicht alle dieser Begegnungen begründen eine dauerhafte Beziehung, manche sind sehr flüchtig und werden von den Betroffenen kaum weiter bemerkt, weil ihnen der Kontext fehlt, sie in den „Stadtplan“ einzuordnen. Genau daraus entspringt die Schönheit, die Komik, aber auch die Tragik von SHORT CUTS: Altman zeigt, wie Jeder mit Jedem verwoben ist, wie die Handlungen des Einzelnen das Leben eines Fremden auf völlig unvorhergesehene Weise beeinflussen und wie alle viel zu sehr mit ihren niederen Problemchen oder auch großen Krisen beschäftigt sind, als dass sie diesen größeren Zusammenhang, in den sie eingebunden sind, verstehen könnten. Der Mensch ist in SHORT CUTS wie ein Tourist ohne Straßenplan.

Die Kellnerin Doreen Piggot (Lily Tomlin) fährt den kleinen Casey an, Sohn von Andy und Howard Finnigan (Andie McDowell & Bruce Davison). Der Junge übersteht den Unfall anscheinend unverletzt, doch er wird an seinen Folgen sterben, seine Eltern in tiefe Trauer stürzen, während Doreen am Schluss die Überwindung einer Ehekrise ausgelassen mit ihrem Gatten Earl (Tom Waits) feiert, nicht wissend, welches Leid ihre Unachtsamkeit ausgelöst hat. Die Ehe des für Casey zuständigen Arztes Dr. Ralph Wyman (Matthew Modine) mit der Malerin Marian (Julianne Moore) krankt an einem nicht aufgearbeiteten vermeintlichen Seitensprung der Frau, die des Polizisten Gene Shepard (Tim Robbins) und seiner Frau Sherri (Madeleine Stowe) an der Unfähigkeit beider, sich ihrer sexuellen Zuneigung zu versichern. Jerry Kaiser (Chris Penn) leidet an der Telefonsex-Tätigkeit seiner Frau Lois (Jennifer Jason Leigh) und der wahrgenommenen Diskrepanz zwischen dem Enthusiasmus, mit dem sie diesen ausübt, und der Tristesse des gemeinsamen Sexlebens, die Cellistin Zoe (Lori Singer) an der Unaufmerksamkeit und Selbstbezogenheit ihrer Mutter Tess (Annie Ross), die für ihre emotionale Unfähigkeit wiederum den Drogentod ihres einstigen Mannes heranführt. Stuart Kane (Fred Ward) betrachtet die Leiche der jungen Frau, die just dort am Flussufer liegt, wo er mit seinen Freunden ein Angelwochenende verbringt, nicht als Körper eines Menschen, der Angehörige hat, sondern lediglich als Hindernis, das es für ein paar Tage zu ignorieren gilt, und die Versuche von Howard Finnigans Vater Paul (Jack Lemmon), den jahrelang brachliegenden Kontakt zu seinem Sohn wiederherzustellen, scheitern daran, dass er sich dafür ausgerechnet den Zeitpunkt ausgesucht hat, an dem der mit seiner Frau wohl den schlimmsten Tag erlebt, den sich Eltern vorstellen können.

Keine dieser ursprünglich von Raymond Carver als einzelne Short Stories verfassten und erst von Altman verbundenen Geschichten ist besonders spektakulär, genauso wenig wie ihre am Ende des dreistündigen Films manchmal doch etwas abrupt wirkenden Auflösungen. Sie sind, wie meine Gattin nach dem Film sagte, damit einen unausgesprochenen Gedanken von mir bestätigend (wenn man über Film schreibt, formuliert man ja noch während des Filmschauens ständig mögliche Sätze), „wie das Leben“. Das heißt aber konsequenterweise nicht nur, dass sie sehr authentisch erscheinen, sondern auch, dass sie immer wieder auch banal, hässlich, undramatisch, unterentwickelt, pointen- und humorlos sind. Dies ist aber keineswegs als Kritik gemeint, schon deshalb nicht, weil es dazwischen immer wieder auch zahlreiche Momente von sprühendem Witz, menschlicher Wärme und bleischwerer Traurigkeit gibt, sondern eben ausdrückliche Stärke des Films, der sein Thema nicht aus einem Zurechtbiegen oder eine dichterischen Überhöhung und Stilisierung entwickelt, sondern einzig aus der Verbindung seiner einzelnen, kompakten Teile. Die Gesamtheit aller menschlichen Leben, ist jedes einzelne davon auch noch so mangelhaft und defizitär, ergibt ein wahrhaft göttliches Konstrukt, dessen wahre Schönheit auch im Hässlichen dem Menschen leider verschlossen bleiben muss, weil er zu sehr in seiner individuellen Narration gefangen ist, ihm der Überblick fehlt, sich selbst als Puzzleteil in einer gewaltigen Erzählung namens „Leben“ zu begreifen.

Vielleicht finde ich es auch deshalb so schwierig, mich zu SHORT CUTS zu verhalten. Die drei Stunden vergehen wie im Flug und die Charaktere werden einem – so idiotisch man ihre Neurosen und Probelme vielleicht auch finden mag – über die Spielzeit mit all ihren Macken so vertraut, dass man sich unweigerlich fragt, was beim eigenen Nachbarn denn eigentlich so vor sich geht. Aber dann ist der Film, dessen Protagonisten ja alle im Sumpf der irdischen Durchschnittlichkeit gefangen bleiben, ohne Hoffnung jemals aus diesem emporzusteigen, auch verdammt deprimierend. Und nichts, aber auch gar nichts kann für mich den Tod des kleinen Casey, die Schmerzen seiner Eltern und die unweigerlich aufkeimende Angst, es könnte dem eigenen Kind genauso ergehen, in eine tröstliche Perspektive rücken oder irgendwie abmildern. Diese auch von Altman zentral positionierte Geschichte prägt die Stimmung des ganzen Films, der damit sehr unmissverständlich in Erinnerung ruft, dass Leben immer ein Leben mit dem stets zur falschen Zeit eintreffenden Tod ist. Ich sagte es bereits: SHORT CUTS ist wie das Leben: voller Paradoxien. Ganz leicht zu schauen, dabei nur schwer zu ertragen. Eine ambitionierte Abhandlung über das moderne urbane Leben, die dabei aber nie zur Erbauungsprosa verkommt, auf metaphysische Paradiesversprechen und Romantisierungen ganz verzichtet. Ein zweifellos großer filmischer Wurf, der mir jedoch nie das Gefühl gab, einem Meister der Kunst bei der Ausübung seiner heiligen Kunst zusehen zu dürfen, sondern der in seiner narrativen Akribie nur wie gewissenhafte, ganz dem Zweck unterworfene Arbeit wirkt. Ein Film, der nicht dafür gemacht zu sein scheint, ihn schön zu finden, oder der sonstwie auf Zustimmung und Applaus aus wäre, sondern der einfach da ist. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt noch klarer hinbekomme: Mir ist SHORT CUTS irgendwie unheimlich.

Das war der vorläufige Abschluss meiner am Ende doch etwas ermüdenden Altman-Reihe. Ein guter Schluss, weil SHORT CUTS doch auch gut als Antwort Altmans auf den nicht zuletzt von mir öfter mal erhobenen Zynismus-Vorwurf gelten darf. Das letzte Drittel seines Werkes werde ich bestimmt irgendwann mal nachholen. Jetzt freue ich mich erst einmal, mich neuen Dingen zuwenden, die längst überfällige Fleischer-Werkschau mit neuem Elan beginnen und mich einem Regisseur widmen zu können, der einen gänzlich anderen Typus des Filmemachers vertritt.