Mit ‘Karen Black’ getaggte Beiträge

Dieses bizarre Schnittchen Nineties-Mainstream-Splatter wurde soeben in augenbetörender HD-Qualität veröffentlicht – was eine dankbare Gelegenheit bietet, es nach langer, langer Zeit mal wiederzusehen. Unmittelbar nach HALLOWEEN V: THE REVENGE OF MICHAEL MYERS gedreht, bedeutete es auch schon das Ende der Kinokarriere des Schweizers Dominique Othenin-Girard: NIGHT ANGEL genoss einen limitierten Kinostart in den USA, wurde dann, wie auch bei uns in Deutschland, direkt auf Video veröffentlicht. Das ist schade, denn auch wenn sein Horrorfilm, der sowohl den slicken Designersex als auch männermordende, nymphomane Femme fatales von BASIC INSTINCT vorwegnimmt, inhaltlich ganz gut auf Video aufgehoben war, hätten seine Bilder die große Leinwand verdient gehabt.

Ober-Dämonenschlampe Lilith macht sich in Gestalt einer verführerischen, schwarzhaarigen Frau (Isa Jank) an die Redaktion eines Modemagazins heran: Von dessen Titelseiten aus will sie mit ihrem betörenden Blick die ganze Welt unterjochen. Naturgemäß hat sie mit den sexbesessenen Egomanen, die dort arbeiten, leichtes Spiel. Nur Craig (Linden Ashby), der Bruder der Redaktionsleiterin Rita (Karen Black), stellt eine größere Herausforderung dar, hat der sich doch gerade erst in die Schmuckdesignerin Kristy (Debra Feuer) verliebt …

NIGHT ANGEL ist in jeder Hinsicht eine Zeitreise in die frühen Neunziger: Hinsichtlich Kleidung und Frisuren bekommt man hier die volle Breitseite, aber auch der Film selbst entspricht in Look und Feel natürlich den damaligen Konventionen: Der Score orgelt relativ preisgünstig, die Ausleuchtung ist künstlich-bunt, von „echtem“ Horror ist der Film mit seinen Ideen und Gummieffekten (von FX-Wizard Steve Johnson) ziemlich weit entfernt, mehr darauf hinaus, Teenieprächen Stoff zum Schmusen zu bieten. Das einzige, was nicht so ganz ins Bild passt, ist die Thematik selbst. NIGHT ANGEL ist auffallend sleazy: Seine Antagonistin lutscht vor zwei lüstern gaffenden Männern den Schaum von einer Bierflasche, zwingt ihre Eroberung dann zum wilden Sex neben der eigenen Gattin, verwandelt die Redaktion schließlich in eine Horde hungriger Sexzombies, die wie einst in Cronenbergs SHIVERS hinter dem standhaften Heldenpärchen her ist. Auch in der Vorstellung, was „hot“ ist, ist der Film ganz in seiner Zeit verhaftet: Isa Jank interpretiert ihre höllische Hure als glutäugige Zigeunerbraut mit klimpernden Armreifen und ausuferndem Tanzstil, der alle Männer komplett den Verstand verlieren lässt. (Die zauberhafte Debra Feuer muss demgegenüber natürlich „wholesome“ wirken, weshalb ihr Charakter dann auch aus Milwaukee kommt und sie dem Protagonisten nach der obligatorischen Sexszene ihre Liebe gesteht.) Und als Abgesandte des Guten fungiert natürlich eine hutzelige schwarze Oma.

Das ist alles mehr als nur ein bisschen dämlich, eine wenig raffinierte, dafür aber geschäftstüchtige Verquickung von Sex und Horror, der der ganz große Erfolg dann eher versagt blieb. Was wiederum schade ist, denn man kann NIGHT ANGEL gewiss nicht vorwerfen, ohne Stilbewusstsein gemacht worden zu sein. Visuell ist der Film schon ziemlich toll, eine Zelebrierung der oberflächlichen Reize und nächtlichen Irrlichter, die einen so leicht vom Pfad der Tugend abbringen. Und er erinnert einen auch wieder daran, was uns bei heutigen Horrorfilmen mit ihrem color grading und ihrer monochromen Optik verloren gegangen ist.

Das Sequel war nach dem Riesenerfolg von AIRPORT natürlich unvermeidlich und dass man am Erfolgsrezept etwas ändern würde von vornherein ausgeschlossen. Die Titlesequenz bezieht sich dann auch mit den Worten „Inspired by AIRPORT“auf den direkten Vorgänger: Die Ehrlichkeit muss man bewundern, denn natürlich wird hier nichts fortgesetzt, sondern lediglich variiert und neu aufgelegt. Doch halt: Hinsichtlich des Camp Values hat Smight durchaus noch eine ordentliche Schippe draufgelegt und präsentiert ein Panoptikon an ebenso schrulligen wie in dieser dichten Konzentration unwahrscheinlichen Charakteren, hirnrissigen Seifenoper-Plots und beiläufigen Sexismen, die 40 Jahre später die Wucht einer Atombombe entfalten. Karen Blacks Chefstewardess Nancy Pryor möchte nach sechs Beziehungsjahren mit ihrem Partner Al Murdoch (Charlton Heston) über den logischen nächsten Schritt sprechen, er muss zu einem wichtigen Geschäftstermin und beschwert sich, dass sie ihn mit solchem Weiberkram behelligt, anstatt ihm die halbe Stunde, die er hat, lieber für Du-weißt-schon-was freizuhalten. Aber wie schon die brave Nonne Schwester Ruth (Helen Reddy) in selbstvergessener Gutgelauntheit tiriliert: „That’s why I am the best friend to myself“.

AIRPORT 1975 legt gegenüber dem Inspirationsgeber ein deutlich höheres Tempo vor. Das ist gut, weil so mehr Zeit für die Flugzeug-Rettungs-Action bleibt, die schon ein bisschen spannender und spektakulärer daherkommt als im doch eher valiumhaltigen ersten Teil. Den eh schon reißbrettartig charakterisierten Figuren bekommt die Hatz von einer Katastrophe zur nächsten freilich weniger gut: Sie verkommen so erst recht zu Stichwortgebern und Oneliner-Servierern. Jerry Stiller hat es am besten getroffen, denn er darf den ganzen Trubel besoffen verschlafen, Gloria Swanson muss als sie selbst hingegen unablässig Lebensweisheiten aus Hollywood zum Besten geben und Myrna Loy ihren mit der THIN MAN-Reihe erworbenen Ruf als Schnapsdrossel verteidigen, die einen „boilermaker“ (Schnaps plus Bier) nach dem anderen bestellt, sehr zur Verwunderung vor allem der männlichen Mitflieger. Der Plot um die nierenkranke Linda Blair, die von Sister Ruth besungen wird, soll zusätzliche Spannung schaffen – kommt sie rechtzeitig zu ihrer OP? -, aber das unverdrossene Gemüt der Blair erstickt noch den kleinsten Funken von Suspense im Anflug.

Letztlich ist das aber piepegal, denn AIRPORT 1975 hätte diesen ganzen melodramatischen Heckmeck gar nicht gebraucht und liefert ihn nur als zusätzlichen Spaß mit: Die Rettungsaktion der beiden Alphamännchen Heston und Kennedy sowie das ängstliche Augenrollen von Karen Black reichen allein schon für zwei Stunden pikant-käsigen Spaß, der zum Glück viel, viel besser aussieht als im plüschigen Vorgänger mit seinen scheußlichen Splitscreens. Die Totalen der zwischen den mächtigen Bergketten der Rockies durchfliegenden 747 sind eine echte Schau, auch wenn sie selten mit den Close-ups übereinstimmen wollen. Die Story ist natürlich Unsinn im Quadrat, der seinen Höhepunkt erreicht, wenn Blacks Nancy beim Versuch, ihren Al an Bord zu ziehen, wild mit ihrer Zunge herumfuhrwerkt, und wie es Kennedys Patroni innerhalb eines Films vom schnöden Techniker zum Präsidenten einer Fluggesellschaft gebracht hat, dürfte auch niemand schlüssig erklären können, aber das ist ja auch egal. Wichtig ist, dass Hestons zitronengelber Rollkragenpulli sich an jede Bauchfalte anschmiegt wie eine Weißwurstpelle, die übermenschlichen Herausforderungen im Minutentakt auf den Betrachter einprasseln und Karen Black reichlich Gelegnehit bekommt, sich in ihrer Hilflosigkeit als „Honey“ anquatschen zu lassen. Gute Show!

 

capricorn-one-14889Endlich, endlich, endlich habe ich ihn gesehen. Hyams mag ich eh – einer der zu Unrecht vergessenen Professionals der Siebziger- und Achtzigerjahre, Vertreter einer Gattung von Filmemacher, die es heute nicht mehr gibt: versiert und ambitioniert, ohne sich selbst zu wichtig zu nehmen, immer nur dem gerade anstehenden Werk verpflichtet – und CAPRICORN ONE hatte ich seit mehr als 20 Jahren auf der Liste. Zum ersten Mal las ich von dem Film anlässlich seiner TV-Ausstrahlung und die Story fand ich sofort super. Aus welchem Grund es erst jetzt geklappt hat, weiß ich eigentlich nicht.Einzige Entschuldigung ist wohl, dass CAPRICORN ONE nicht gerade dr Riesen-Publikumsschlager ist, der ständig im Fernsehen liefe oder einem von den einschlägigen Versandhäusern entsprechend aufmerksamkeitsträchtig angedient würde. Ich habe ihn einfach immer wieder vergessen. Aber das lange Warten hat sich gelohnt, denn CAPRICORN ONE ist ziemlich genau so toll, wie ich es mir erhofft hatte.

Hyams inszenierte gegen Ende der Siebzigerjahre einen Nachzügler des paranoiden Politthrillers, der im Zuge von Watergate zu großer Popularität gelang. Auch bei ihm geht es um die finsteren Machenschaften der Politiker, die nicht davor zurückschrecken, Menschen zu opfern, wenn ihnen das hilft, die eigene Haut und das Budget für das nächste Jahr zu sichern, die in der Lage sind, Existenzen ganz einfach auszulöschen und Menschen buchstäblich vom Erdboden verschwinden zu lassen. Und die diese Skrupellosigkeit mit der Nüchternheit des Sachbeamten verargumentieren, über so etwas wie ein Gewissen, das ihnen in die Quere kommen könnte, gar nicht mehr zu verfügen scheinen (Hal Holbrook ist gleichermaßen furchteinflößend wie mitleiderregend als Richter im Namen der ökonomischen Ratio). Doch die bleiche Desillusioniertheit, die Filme wie THE PARALLAX VIEW oder ALL THE PRESIDENT’S MEN auszeichnete, ist in CAPRICORN ONE nicht mehr ganz so ausgeprägt: Weil Hyams weniger die bissige Kritik als vielmehr der Wunsch antreibt, sein Publikum zwei Stunden ordentlich durchzuwirbeln, gibt es am Ende zum Beispiel ein etwas kitschig geratenes Happy End – das etwa Alan J. Pakula so gewiss nicht inszeniert hätte.

Toll ist CAPRICORN ONE, weil er ganz unterschiedliche Elemente unter einen Hut bringt: den kalten Politthriller mit Private-Eye-Elementen – Elliott Gould ist der Verschwörung als Journalist Robert Caulfield dicht auf der Spur – aber auch den erhitzten Survival-Film vor unwirtlicher Wüstenkulisse. Wenn die flüchtigen Astronauten (James Brolin, O. J. Simpson und Sam Waterston) vor den Häschern im Staatsauftrag fliehen und sich durch die endlose Weite einer amerikanischen Felsenwüste schlagen müssen, ist das natürlich ein schöner Kontrapunkt zur im Fernsehstudio arrangierten Marskulisse – und eine unerwartete Überspitzung ihrer ursprünglichen Mission. Auf dem fremden Planeten wären sie ungleich sicherer gewesen, auf der Erde lauern waffenstarrende Helikopter mit schwarz getönten Scheiben wie motorisierte Riesenlibellen. Hyams schreckt nicht davor zurück, Bilder und Ruhemomente auch mal länger stehen zu lassen, anstatt immer bloß zur nächsten Attraktion zu hetzen, und schafft so mitunter eine eigentümliche Atmosphäre, die das Unfassliche der zugrundliegenden Geschichte erst richtig zur Geltung bringt. Die Schauspieler helfen ihm dabei: Hal Holbrook hatte ich schon erwähnt, grandios sind auch David Doyle in einem szenefressenden Kurzauftritt als Caulfields Chef, Brenda Vaccaro als trauernde Ehefrau sowie James Karen als Vizepräsident, David Huddleston als großkotziger Politiker und natürlich Telly Savalas als brummiger Pilot, der am Ende die Stimmung heben darf.

Manisches Herzstück von CAPRICORN ONE ist aber die Episode um die Auslöschung von Caulfields Bekanntem: Wie der innerhalb von wenigen Sekunden während Caulfields Gang zur Theke aus einer gut besuchten Bar verschwindet, in seiner Wohnung nichts mehr an ihn erinnert, vielmehr eine fremde Frau behauptet, schon immer dort gewohnt zu haben, ist auch deshalb so gruselig, weil Hyams es vergleichsweise unaufgeregt in Szene setzt und Elliott Gould das Ganze seinerseits nur mit einem belämmerten Gesichtsausdruck quittiert. Diese Beiläufigkeit ist eine Stärke des Films, dem man daher auch manchen kleineren Fehlgriff – wie das erwähnte Happy End – gern verzeiht.

BURNT OFFERINGS ist unter dem Titel LANDHAUS DER TOTEN SEELEN durch zahlreiche Fernseheinsätze in den Achtzigerjahren für viele damals Heranwachsende mit beinahe traumatischen Erinnerungen verbunden und genießt durchaus so etwas wie Klassiker- respektive Kultstatus. Die zeitgenössische kritische Rezeption war allerdings höchst lauwarm. So schrieb Roger Ebert etwa: „Burnt Offerings just persists, until it occurs to us that the characters are the only ones in the theater who don’t know what’s going to happen next.“ Und im Branchenmagazin Variety befand man: „The horror is expressed through sudden murderous impulses felt by Black and Reed, a premise which might have been interesting if director Dan Curtis hadn’t relied strictly on formula treatment.“ Ich verbinde keine nostalgisch-traumatisch aufgeladene Erinnerung mit dem Film und neige wahrscheinlich auch deshalb dazu, den Kritiken zuzustimmen. BURNT OFFERINGS nimmt viele Elemente von Stanley Kubricks THE SHINING vorweg, natürlich ohne dessen inszenatorische Extraklasse und Abstraktionsgrad zu erreichen, geht eher sparsam mit echten Grusel- oder Horroreffekten um und bleibt für einen Zuseher, der mit dem Genre vertraut ist, zu jeder Sekunde vorhersehbar. Man könnte, wie der Rezensent der Variety es andeutet, kritisieren, dass Curtis sich nicht recht zwischen den beiden Haupttendenzen des Drehbuchs entscheiden konnte: Für einen durch die Genrebrille gebrochenen Psychothriller um dysfunktionale Ehebeziehungen ist BURNT OFFERINGS zu undifferenziert, für einen Spukhausfilm nicht fantastisch und unheimlich genug. Curtis ist erfolgreich in der Kreation einer enervierenden, bedrückenden Atmosphäre, aber sein geduldiger – man könnte auch sagen: langsamer – Aufbau verpufft in einer Auflösung, die man im selben Jahr schon in Michael Winners THE SENTINEL bewundern konnte, der dabei aber deutlich mehr Fleisch auf den Rippen hatte.

BURNT OFFERINGS handelt von der Familie Rolf – Vater Ben (Oliver Reed), Mutter Marian (Karen Black), Sohn David (Lee Montgomery) und Tante Elizabeth (Bette Davis) – die zu einem Spottpreis ein stattliches Anwesen für den Sommer mieten. Einziger Haken an der Sache: Sie müssen die alte Lady Allardyce mitversorgen, die zurückgezogen im Dachgeschoss lebt und sich nie blicken lässt. Während Papa Ben Zweifel an der ganzen Sache hat, brennt Marian förmlich vor Begeisterung. Kurz nach dem Einzug vollzieht sich bei beiden ein heftiger Persönlichkeitswandel: Ben erlebt einen Nervenzusammenbruch, Marian blüht geradezu auf. Dan Curtis konzentriert sich auf den sich unter diesen Umständen zuspitzenden Konflikt der Ehepartner und wie das in diesen Filmen fast immer so ist, entpuppt sich die zu Beginn ausgestellte Harmonie als rissige Fassade. Das unheimliche Haus fungiert als Verstärker, indem es als Manifestation dieser ehelichen Differenzen erscheint. Das Sexleben der beiden liegt eh schon weitestgehend brach, nun werden dem darbenden Ben auch noch ein verwittertes Haus und eine unsichtbare alte Vettel vorgezogen. Man kann BURNT OFFERINGS durchaus als „SHINING mit umgekehrten Vorzeichen“ beschreiben. Der „Mann im Haus“ wird von Anfang an auf ein normalsterbliches Maß zurechtgestutzt – bei der Reparatur einer Wasserpumpe benötigt er Hilfe von seinem zwölfjährigen Sohn -, landet auf dem Höhepunkt des Films gar im Rollstuhl und hat keine Chance gegen die sich in allen Belangen gegen ihn behauptende Marian. Reed und Black füllen das übersinnliche Ehedrama mit Leben: Reed darf gegen sein Leinwandimage als Haudrauf anspielen, Black avanciert mit stetig anwachsender Unnachgiebigkeit zum furchteinflößenden Zerrbild der emanzipierten Frau. Aber Curtis kann sich nicht ganz dazu entscheiden, den letzten Schritt vom Haunted-House-Grusler zur Psycho-Allegorie zu machen und das Finale, so effektiv es auch ist, erscheint mir als die platteste aller möglichen Auflösungen.

Was nicht heißen soll, dass BURNT OFFERINGS nicht sehenswert wäre. Der Verzicht auf lärmende Effekte und die Konzentration auf die Ängste der Figuren kommen dem Film zugute, heben ihn von moderneren Mysteryfilmen à la THE CONJURING oder INSIDIOUS wohltuend ab. Technisch gibt es auch nichts zu mäkeln, allzu große formale Experimente sollte man aber auch nicht erwarten. Das ist wohl der Haken: Auf mich wirkte der Film heute etwas zu stromlinienförmig und „geschmackvoll“, aber wahrscheinlich hätte ich das als Zehnjähriger im dunklen Wohnzimmer, zusammengekauert auf der heimischen Couch noch anders empfunden.

Der Titel lässt an ein Bibeldrama oder einen Katastrophenfilm denken: Eine Assoziation, die Nathanael West, Autor der Romanvorlage aus dem Jahr 1939, sehr bewusst wählte. Denn in einem Katastrophenszenario geradezu biblischen Ausmaßes endet seine Geschichte auf einer apokalyptischen Note. Prahlsucht, moralischer Verfall, Rücksichtslosigkeit, Oberflächlichkeit sind die die Welt des Romans bestimmenden und an den Abgrund führenden menschlichen Eigenschaften – und Hollywood ist die Brutstätte, wo sie zu epischen Proportionen aufgeblasen werden. In Schlesingers grandiosem, makabrem und schwarzhumorigem, aber auch auf schwer zu benennende Art und Weise verstörendem Film bilden Elemente von Period Piece, Historiendrama, Melodram und Horrorfilm eine einzigartige Symbiose.

Tod Hackett (William Atherton), ein junger Maler, sucht in Hollywood Inspiration für sein neuestes Gemälde, das den Titel „The Burning of Los Angeles“ tragen soll. Er lernt das Starlet Faye Greener (Karen Black) kennen und nimmt über sie Kontakt zu dem Produzenten Claude Estee (Richard Dysart) auf, der ihm einen Job als Zeichner beim Film verschafft. Hackett ist fasziniert von Faye und verliebt sich in sie, kann ihr Herz jedoch nicht gewinnen, weil sie sich zu Höherem berufen fühlt. Sie landet schließlich bei dem mittelalten, bemitleidenswert harmlosen Homer SImpson (Donald Sutherland), den sie nach Strich und Faden ausnutzt. Der Mann wird von den Demütigungen, die er unter den Filmleuten erleidet, die bald bei ihm ein und aus gehen, schließlich in einen Amoklauf getrieben, der sich während einer Filmpremiere entlädt …

Ein Zitat zu Wests Roman besagt, er sei „episodic in structure, but panoramic in form.“ Ich habe ihn bislang leider nicht gelesen (etwas, das ich anscheinend mal nachholen muss), kann also bestenfalls erahnen, was genau das bedeutet, aber Schlesingers Film liefert eine nahezu ideale Umsetzung dieser Beschreibung. THE DAY OF THE LOCUST hat keinen echten Plot, erscheint eher als Ansammlung von Episoden, die sich ständig überschneiden oder auch nur nebeneinander her laufen. Doch in ihrer Summe ergibt sich eben jenes panoramische Bild, das oben erwähnt wird. Schlesingers Hollywood erstrahlt in einem irrealen goldenen Glanz, der die Konturen verwischt (möglicherweise auch ein Problem meiner RC-1-DVD) und alles wie einen verführerischen Traum erscheinen lässt. Und so verhalten sich die Menschen auch: Niemand geht einem „normalen“ Leben nach, alles wirkt seltsam überhöht oder entrückt, mit der schnöden Realität mag sich kaum noch jemand abgeben. Das Filmgeschäft wird betrieben wie ein großes Spiel ohne echte Konsequenzen: Als einmal ein imposanter Bühnenaufbau einstürzt und Dutzende von Schauspielern und Arbeitern mit sich reißt, wird darüber einfach so hinweggegangen. Es spielt keine Rolle, wenn Menschen bei der Verwirklichung von Träumen zu Schaden kommen. Also ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich der Traum in einen Albtraum verwandelt, seine grauenhafte Fratze zeigt, die er die ganze Zeit hinter einem verlockenden jugendlichen Antlitz versteckt hatte. Beim Finale gerät eine Filmpremiere zum Aufstand, rast der Mob durch die Straßen und zieht eine blutige Spur der Verwüstung hinter sich her, während Tod dann endlich sein Gemälde sieht, von dem er zuvor nur einzelnde Details fertiggestellt hatte. Der Überblick über das große Ganze erfordert einen entsprechenden Standpunkt, vorher sieht man nur Fragmente.

THE DAY OF THE LOCUST erzählt viel, schäumt gerade über vor Handlung: Es gibt die Liebesgeschichte um Tod und Faye, ihre Bemühungen, eine Hauptrolle zu ergattern, das Schicksal ihres Vaters (Burgess Meredith), eines ehemaligen Clowns, der nun als Verkäufer eines Putzmittels von Tür zu Tür zieht, ein Edelbordell, in dem Starlets ihr Gehalt aufbessern, illegale Hahnenkämpfe, einen christlichen Wunderheiler, Dreharbeiten zu einem Waterloo-Film und einen Kinderstar (Jackie Earl Haley), der sich schon jetzt wie ein unzufriedener, verwöhnter Kotzbrocken benimmt und am Ende die Katastrophe herbeiführen wird. Trotzdem sind es nicht so sehr Plotelemente, Spannungsbögen und Charaktermotivationen, die hängenbleiben, sondern etwas Übergeordnetes, schwerer zu Greifendes: eine diffuse Stimmung, die Ahnung des nahenden Unheils, das Gefühl, das irgendetwas nicht stimmt. Man sieht es im Gesicht Fayes, einer platinblonden Schönheit, dessen puppenhaften Züge mit den dunklen Kulleraugen, dem roten Mund und dem Dauerlächeln eine Spur zu aufdringlich, fast maskenhaft wirken. Im langsamen Verfall Hacketts, der sich, von den Oberflächenreizen und Verlockungen Hollywoods betört, vom bescheidenen Künstler in ein egoistisches Arschloch verwandelt. Im traurigen Tod von Fayes Vater, der sein ganzes Leben dem Traum vom Ruhm hinterhergehetzt ist. In den ekelhaften Hahnenkämpfen, bei denen sich auch die menschlichen Teilnehmer wie Irre benehmen. In der Hilflosigkeit Simpsons, der den aufgeblasenen Egos, die sein Leben in Beschlag nehmen, einfach nichts entgegenzusetzen hat.

Die Kritik war sich dann auch nicht einig über den künstlerischen Erfolg oder Misserfolg des Films. Vincent Canby warf in seiner Rezension für die New York Times mit Begriffen wie „gargantuan“, „far from subtle“, „grossness“ und „lunatic“ um sich, und Jay Cocks wusste im Magazin Time, dass Schlesingers Film die Aussage des Romans ins Gegenteill verkehre. Aber an diesen zwischen angewidert, fasziniert und verstört pendelnden Reaktionen erkennt man schon auch, dass THE DAY OF THE LOCUST eben nicht in ein vorgefertigtes Raster passt. Der Film ist bisweilen hässlich, bizarr, zynisch und pervers, dann wieder wunderschön, bewegend und menschlich, und meistens all das auf einmal. Aber das macht ihn auch zu einem Unikat: THE DAY OF THE LOCUST ist wie ein Gemälde von Hieronymus Bosch, voller ekelhafter, beunruhigender Details, aber gleichzeitig auch von einer unerklärlichen Anziehungskraft. Bei den Coen-Brüdern hat Schlesingers Vision ohne Frage Spuren hinterlassen: BARTON FINK mutet ein bisschen wie ihre Version der Geschichte an. Und James Ellroy respektive Curtis Hanson haben ihn bestimmt auch gesehen, bevor sie sich an ihre Version namens L.A. CONFIDENTIAL machten.

Hinter dem Haus der Familie Gardner landet mitten in der Nacht ein UFO. Die Warnungen des kleinen David (Hunter Carson), der die Landung beobachtet hat, wird von seinen Eltern in den Wind geschlagen. Als aber der Papa (Timothy Bottoms) wenig später nicht nur eine verdächtige Narbe im Nacken trägt, sondern auch äußerst merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag legt, schöpft David Verdacht. Und tatsächlich stellt sich wenig später heraus, dass Außerirdische seinen verschlafenen Heimatort als Ausgangsunkt einer Invasion ausgewählt haben. Gemeinsam mit der Schulkrankenschwester Linda (Karen Black) nimmt der Junge den Kampf gegen die Invasoren auf …

INVADERS FROM MARS, das Remake des Fünfzigerjahre-Klassikers, ist der zweite von drei Filmen, die Tobe Hooper mitte der Achtzigerjahre für die Cannon inszenierte. Und wie  LIFEFORCE und THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE PART 2 sollte auch dieser Film an der Kniokasse weit hinter den Erwartungen zurückbleiben, seine Produktionskosten nicht einmal annähernd wieder einspielen. Die Zeit heilt bekanntlich alle Wunden: Das Sequel des Kettensägenfilms gilt mittlerweile als rehabilitiert und wird für gewöhnlich unter dem Etikett „zu seiner Zeit missverstandenes Meisterwerk“ einsortiert, LIFEFORCE und INVADERS FROM MARS profitieren heute nicht unerheblich vom Eighties-Bonus und werden vor allem von in jener Zeit aufgewachsenen Filmnerds favorisiert, die den bunten Stil von damals, die „handgemachten“ Effekte und den Charme von millionenschwerem, naivem Trash schmerzlich vermissen. Tatsächlich ist INVADERS FROM MARS sympathisch unschuldiges Entertainment, fügt sich fast nahtlos in das jugendfreie Genrekino dieser Zeit, wie es von Steven Spielberg oder auch Joe Dante geprägt wurde, ein. Fast.

INVADERS FORM MARS ist ein bisschen wie die mit Superstars gespickte Fußballmannschaft, bei der das Gesamte dann merkwürdigerweise weniger wert ist als die Summe seiner Teile: Der herrlich künstliche, farbintensive Look des Films, seine fantasievollen Settings, der schöne Einsatz der Steadicam, die die langsam Gestalt annehmende Gewissheit in kaum merklich schwankenden Bildern einfängt, der suggestive Score von Christopher Young, die herausragende Effektarbeit von John Dykstra und Stan Winston und das inspirierte Casting – Bud Cort als Science-Nerd! Louise Fletcher als besessene, froschfressende Lehrerin! James Karen als ledernackiger Militärchef! – addieren sich leider nicht zu einem rundum befriedigenden Film. Wie schon Hoopers LIFEFORCE zuvor wird auch INVADERS FROM MARS von einer rätselhaften Bräsigkeit daran gehindert, Fahrt aufzunehmen. Es ist schwer, dieses Versagen an betimmten Ursachen festzumachen: INVADERS FROM MARS wirkt irgendwie leblos, der Funke, der bei den Filmen Spielberg und Dante sofort auf den Zuschauer überspringt, verglimmt hier, bevor er das Herz in Flammen setzen kann. Dass allein auf Hauptdarsteller Hunter Carson zu schieben, der als Protagonist zu blass bleibt, wäre zu einfach. Hooper inszeniert wie mit angezogener Handbremse, der Mittelteil des Films zieht sich zu lang und das Drehbuch hakt lediglich Plotpoints ab, ohne jemals wirklich spezifisch zu werden. Es fehlen einfach die Details, die den Ort und seine Bewohner für den Zuschauer erst wirklich lebendig machen und ihn so überhaupt ein Interesse an ihrer Rettung entwickeln lassen würden. Auch die Angst, dass die eigenen Eltern einem nach dem Leben trachten, die letztlich den psychologischen Kern des Films ausmacht, entwickelt nie die existenzielle Schwere, die nötig wäre, um den Film wirklich anzutreiben. So plätschert INVADERS FORM MARS so dahin und das Getöse, das auf dem Bildschirm herrscht, lässt einen merkwürdig ungerührt.

Das ist ausgesprochen schade, denn äußerlich stimmt eigentlich alles und man sieht jederzeit, was ein profilierterer Regisseur mit den zur Verfügung stehenden Mitteln hätte anfangen können. INVADERS FROM MARS ist insofern ein typischer Hooper: Der Schöpfer des Jahrhundertfilms THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE hat heute längst den Status der Eintagsfliege mit tragisch-ernüchterndem Karriereverlauf inne und die hier aufgeführten Kritikpunkte lassen sich mit ganz wenigen Ausnahmen (THE FUNHOUSE, TCM 2) auf fast alle seiner Filme anwenden. INVADERS FORM MARS ist mit entsprechend modifizierter Erwartungshaltung trotzdem sehenswert, eben ein Vertreter einer Art von Blockbuster-Kino, die es heute so nicht mehr gibt. Und wenn man sich vor Augen führt, was Hooper etwa ab Mitte der Neunzigerjahre so vorgelegt hat, dann erscheint er fast wie eine kleine Meisterleistung.

Als der Verbrecher Macklin (Robert Duvall) nach Beendigung seiner Haftstrafe von seiner Freundin Bett (Karen Black)  aus dem Gefängnis abgeholt wird, erfährt er, dass sein Partner und Bruder kurz zuvor von zwei Killern umgebracht worden ist, bevor dann schließlich auch ein Anschlag auf sein eigenes Leben verübt wird, dem er knapp entgehen kann. Dem Killer entlockt er, dass er von Mailer (Robert Ryan) geschickt wurde, einem der Köpfe des Syndikats, dem auch die Bank gehörte, die Macklin und sein Bruder einst ausgeraubt hatten. Zusammen mit seinem Kumpel Cody (Joe Don Baker) bläst Macklin zum Gegenangriff …

THE OUTFIT ist unverkennbar Kind seiner Zeit: ein roher, ungehobelter Klotz harten Crime-Kinos ohne Mätzchen und Firlefanz. Er fügt sich wunderbar ein in die Phalanx von Filmen wie THE KILLERS, POINT BLANK, DIRTY HARRY, CHARLEY VARRICK, WALKING TALL, THE GETAWAY, BRING ME THE HEAD OF ALFREDO GARCIA, THE FRIENDS OF EDDIE COYLE oder FRAMED, wenngleich man einräumen muss, dass ihm die inszenatorische Präzision und das Profil von Genre-auteurs wie Don Siegel oder Sam Peckinpah abgeht. Das ist in diesem Fall egal, denn was THE OUTFIT an Raffinesse und Eleganz vermissen lässt, macht er durch schieres Commitment und kühle Abgezocktheit mehr als wett. Flynns Film, der wie der wesentlich berühmtere POINT BLANK auf einem der Hunter-Romane basiert, die der Crime-Autor David E. Westlake unter dem Pseudonym Richard Stark geschrieben hat, bietet keine supercoolen Helden auf, keine diabolisch grinsenden Schurken, keine Femme Fatales mit Modelmaßen, keine wahnwitzigen Verfolgungsjagden, keinen Waffenfetischismus oder Over-the-Top-Brutalitäten: Er erzählt seine Geschichte über den einsamen, aber entschlossenen Kampf zweier verhältnismäßig kleiner Fische gegen das übermächtige organisierte Verbrechen mit einem ausgeprägten Sinn für Realismus und mit jener Beiläufigkeit, die das Gezeigte authentifiziert und damit hundertmal brutaler erscheinen lässt, als breit ausgewalzte Sadismen dies zu leisten im Stande wären.

THE OUTFIT lebt in erster Linie von seinen Hauptfiguren: Robert Duvall ist brillant als einsilbiger, hochkonzentrierter, aber immer auch sympathischer Macklin, Joe Don Baker, den ich zuletzt mehrfach gelobt habe, ist in seiner Paraderolle als hemdsärmeliger, stets verlässlicher Toughie zu sehen, die er in den Siebzigern so gut ausfüllte wie kaum ein anderer, und Robert Ryan ist in einer seiner letzten Rollen ein Monument aus altersmüder, unterschwelliger Aggressivität  und wortkarger Autorität. Aus der Überfülle großartig besetzter Nebenrollen (u. a. Elisha Cook, Marie Windsor, Jane Greer, Joanna Cassidy oder Timothy Carey) sticht vor allem die im kalifornischen Hinterland operierende Autohehlerbande heraus, deren sexueller Dreierpack für eine explosive Zwischenepisode sorgt: Richard Jaeckel, Bill McKinney und vor allem Don-Siegel-Stammschauspielerin Sheree North nutzen die ihnen zur Verfügung stehende Zeit optimal.

Merkwürdig, aber großartig ist auch das Finale: THE OUTFIT endet mit einem per Freeze Frame eingefrorenen Lachen, nicht etwa mit der Tragödie oder einem finalen Arschtritt, sondern auf einer euphorischen Note, die Flynns Film von seinen oben genannten Zeitgenossen abhebt. Statt von existenzialistischer Schwere lebt er eher davon, dass die Bedeutung des Geschehens konsequent heruntergespielt wird. Er hat eher episodischen Charakter, was sich auch in seiner dramaturgischen Struktur widerspiegelt, die Überfall an Überfall reiht, ohne dass der Film dabei wesentlich an Dringlichkeit zunehmen würde. Das hat gestern auch dazu geführt, dass meine Gedanken ab und zu auf Abwege gerieten: Richtig spannend ist THE OUTFIT nicht. Flynns Film ist trotz der hier aufgezählten, unbestreitbaren Meriten also keineswegs ein vergessenes Meisterwerk: Aber auch das passt zu seiner Lakonie und dem Understatement seiner Figuren, die wissen, das jeder Triumph nur vorübergehend ist und hinter jeder Ecke der Kontrahent stehen kann, der noch eine alte Rechnung zu begleichen hat. Und wenn ich gestern auch nicht so begeistert war: Ich habe während des Verfassens dieses Textes saumäßig Lust bekommen, THE OUTFIT nochmal zu gucken.

In Nashville, dem Mekka der Country&Western-Musik, kreuzen sich die Wege verschiedener Personen im Vorfeld einer Wahlkampfveranstaltung des Präsidentschaftskandidaten Hal Phillip Walker, dem Kandidaten der neuen Replacement Party, die es mit populistischen Programm und ebensolchen Parolen auf die politikverdrossenen Durchschnittsamerikaner abgesehen haben. Da scheint es nur naheliegend, dass die Politik den Schulterschluss mit den beliebten und betont volksnahen Helden der Country-Szene versucht …

Eine klassische Inhaltsangabe macht bei einem Film wie NASHVILLE nur wenig Sinn: Rund 20 Hauptfiguren buhlen um die Gunst des Zuschauers, treten immer wieder kurz ins Rampenlicht, bevor sich der Fokus zugunsten einer anderen Figur verlagert, und jeder hat seine eigene kleine Geschichte, die sich im Verlauf der 160 Minuten jedoch immer wieder mit den Geschichten der anderen Figuren überschneidet und kreuzt. So stellt sich am Schluss weniger der Eindruck ein, einen geschlossenen Film gesehen, einer klassischen Geschichte gelauscht, sondern vielmehr einen kurzen, heimlichen Einblick in die Leben vollkommen unterschiedlicher Menschen erhalten zu haben, die zusammen genommen ein komplexes und repräsentatives Gesellschaftsbild ergeben.

Diese Gesellschaft gleicht einem Zirkus: Die Ermordung der Kennedy-Brüder ist immer noch nicht verdaut, der Vietnamkrieg hat das nationale Selbstwertgefühl ziemlich angekratzt und Watergate steht kurz bevor. Die populistischen Phrasen, die Walker per Lautsprecherwagen verkündet (und die den emotional schwelgerischen Country-Soundtrack immer wieder mit kalter, harter Polemik unterbrechen) – unter anderem will er den Text der Nationalhymne ändern lassen! -, lassen erkennen, dass sich die USA in einer Phase der Orientierungslosigkeit befinden und das spiegeln logischerweise auch die Protagonisten wider: Countrystar Barbara Jean (Ronne Blakely) treibt es nach einem schweren Unfall zu schnell für ihr schwaches Nervenkostüm wieder auf die Bühne, und ihre Rivalen, der selbstverliebte Haven Hamilton (großartig: Henry Gibson) und Connie White (Karen Black), wissen noch nicht, ob sie davon profitieren können oder doch eher mit in den Strudel gerissen werden. Der Rockstar Tom (Keith Carradine) verliert sich in bedeutungslosen One-Night-Stands, die das Gefühl der Leere aber immer nur vergrößern, eine seiner Geliebten, die Gospelsängerin Linnea Reese (Lily Tomlin), ist in einer emotionslosen Ehe mit dem Anwalt Del (Ned Beatty) gefangen, will aber ihre Familie nicht zerreißen. Die untalentierte Bardame Sueleen Gay (Gwen Welles) hofft, als Sängerin groß rauszukommen und verkauft dazu sogar ihren Körper, und das Groupie L.A. Joan (Shelley Duvall) ist eigentlich in Nashville, um ihre kranke Tante zu besuchen, doch wird sie von der vielen anwesenden Prominenz so sehr abgelenkt, dass sie deren Tod ganz verpasst. Gleichzeitig arbeiten die Wahlhelfer Walkers – John Triplette (Michael Murphy) und Del Reese – fieberhaft daran, das Programm für den großen Auftritt des Kandidaten zusammenzustellen, was viel diplomatisches Geschick erfordert, denn keiner der Musiker will sich zu eng an eine neue Partei binden, von der man noch nichts genaues weiß. Der Pakt von Unterhaltung und Politik wird als unheilige Allianz dargestellt, nicht so sehr für die Beteiligten, als vielmehr für den Wähler: Je mehr Showmanship Einzug in die Politik hält, umso weniger lässt letztere sich sachlich beurteilen und umso mehr verwischt sie ihre wahren Motive. Vor allem, wenn sie sich Repräsentanten auswählt, die selbst ein Image vor sich her tragen, das nur wenig mit der Realität zu tun hat.

Wie man unschwer erkennen kann, passiert immens viel in NASHVILLE und nicht alles ist „wichtig“, aber alles hat Bedeutung. Man kann sich verlieren in diesem Film, den Blick mal hierhin, mal dorthin wandern lassen, und je nachdem, welcher Figur man seine Aufmerksamkeit widmet, verändert sich damit auch der Film, dessen fröhlich-geschäftige Stimmung im letzten Drittel deutlich zum Negativen kippt. In dieser Struktur kommt dann auch der Pessimist und Zyniker Altman zum Vorschein, der jedoch in der Art, wie er seine Charaktere einfängt, seine humanistische Ader unschwer erkennen lässt. Das ist auch das, was mich am meisten fasziniert hat an NASHVILLE: dass hier selbst Karikaturen wie Haven Hamilton Respekt erfahren und mindestens einen Moment bekommen, in dem sie ihre Menschlichkeit unter Beweis stellen dürfen (eine Ausnahme bildet vielleicht Geraldine Chaplins ignorante Reporterin Opal).    

Exemplarisch dafür steht die Eröffnungsszene, in der Hamilton anlässlich der 200-Jahrfeier der USA das patriotische Lied „200 Years“ einsingt. Das Lied fasst die Entbehrungen und Verluste der USA zusammen, um diese dann im Refrain mit der Zeile „We must be doing something right to last 200 years“ zu relativieren. Hamilton wird in NASHVILLE durchaus als patriotischer Popanz gezeichnet, mit seinem lächerlichen Toupet und dem kitschigen weißen Cowboyhemd, auf dessen Rücken ein silisierter Himmel eingestickt ist, und den Bemühungen, immer im Rampenlicht oder zumindest in dessen Nähe zu stehen. Sein Song dient Altman auch als Beispiel für das naive, selbszentrierte Geschichts- und Politikverständnis der Country&Western-Szene, doch gleichzeitig sind der Enthusiasmus, mit dem Hamilton diesen Song intoniert, und die Schlichtheit seiner Argumentation absolut ansteckend: Die Zeile „we must be doing something right“ kann man in ihrem Understatement nur sympathisch finden. Fast alle Figuren funktionieren so: Zwar sind sie fast alle als bestimmte, fast karikatureske Typen erkennbar, doch erschöpfen sie sich nicht in dieser einen Funktion. Es gibt immer eine Szene, die den Blick bricht, den Kontext verändert und die Figuren in einem anderen Licht erscheinen lässt, eine andere Seite an ihr vorkehrt oder nachvollziehbar macht, warum sie sich so verhalten muss, wie sie es tut. Barbara Harris‘ Albuquerque  ist das Idealbeispiel für meine Behauptung: Sie mäandert eher am unteren Rand des Aufmerksamkeitsspektrums durch den Film, als Frau, die davon träumt, eine Gesangskarriere zu starten. Sie kommt diesem Ziel bis zum Ende nicht einmal nahe, bevor dann wie aus dem Nichts die Gelegenheit für sie kommt, die sie – überhaupt nicht vorbereitet auf den Moment und durchaus überfordert – erst zögerlich, dann jedoch mit wachsender Euphorie nutzt und sie nicht nur in einen persönlichen Triumph verwandelt, sondern auch den – traurigen – Anlass transzendiert. Ihren Auftritt werden weder ihre Zuschauer noch die von NASHVILLE jemals vergessen.