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ent26Episode 071: Die Entscheidung (Theodor Grädler, 1980)

Im Schlafwagen eines Zuges wird ein Mann umgebracht. Es stellt sich heraus, dass er seinen Platz erst kurz zuvor mit einem anderen getauscht hatte, der Mordanschlag also vermutlich jenem galt. Bei diesem anderen Mann handelt es sich um Alf Hauff (Karl Heinz Vosgerau), der auf dem Weg nach München ist, um die Erbschaft seines verstorbenen Vaters anzutreten. Seine ganze Familie – Bruder Ulrich (Hannes Messemer), Schwägerin Henriette (Gisela Uhlen), Neffe Peter (Sky Dumont), Nichte Margot (Christiane Krüger) und Tante Ina (Brigitte Horney) – könnte hinter dem Mord stehen. Doch besonders Ulrich tut sich mit seinem höchst rätselhaften Verhalten als Verdächtiger hervor …

Eine der verstrahltesten DERRICK-Episoden überhaupt. Dabei fängt alles ganz harmlos und normal an. Wenn sich die Handlung dann aber der Familie Hauff und vor allem dem Bruder Ulrich zuwendet, wird alles sehr, sehr seltsam. Hannes Messemer interpretiert seine Figur als verzärtelten, realitätsfernen Träumer, der die Schwelle zum Wahnsinn schon mit einem Fuß überschritten hat. Er verliert sich in offenherzigen Monologen, mit denen er sich mehr als einmal selbst zu inkrimieren scheint, blickt mit tränennassen Augen ins Nichts oder lächelt beseelt, als habe er einen Engel gesehen. Messemers Spiel ist grandios: Er kultiviert hier eine Form des Overactings, die diesen rätselhaften Charakter nicht dem Zugriff entzieht, sondern ihn erst begreiflich macht. Wie er seine wahnsinnigen Monologe intoniert, seine Gesichtszüge binnen Sekunden von einem Extrem ins andere gleiten lässt, ist beeindruckend – und tatsächlich bewegend. Einmal ergeht sich Ulrich in einer genauen Rekapitulation des Tathergangs, die mit der fast konkret-poetischen Zeile „tatamm – Mord – tatamm – Mord …“ schließt, die Geräusche des Zugs imitierend (Derricks Blick angesichts dieses Wahnsinns ist alles). Dann wieder erklärt er feierlich, er wünschte sich, auch ermordet worden zu sein, weil das ein „besonderes Schicksal“ sei. Wieder ein anderes Mal fragt er Derrick, ob er etwas „spüre“, wenn er sein Haus betrete, und gesteht dann unter Tränen, dass er nie etwas gekonnt habe, während ihn seine Tante (Brigitte Horney), eine ehemalige Balltettänzerin, gekleidet in ein altes Kostüm, tröstet wie ein kleines Kind. Sky DuMont spielt Ulrichs Sohn als ständig blasiert dreinguckenden Schnösel und der Mörder stürzt am Schluss in die Nacht hinaus, die plötzlich von Suchscheinwerfern erleuchtet wird.

Der Horror der deutschen Familie und des Wohlstandsbürgertums wird hier mit einem Thema verquickt, das die Serie von nun an einige Zeit begleiten wird: Es geht in „Die Entscheidung“ um den Gegensatz von kaltem, rationalem Kalkül und einem schwelgerischen Gefühlsüberschwang, der von der Gesellschaft oft als „Wahnsinn“ diffamiert wird. Die Hauffs sehen im hilflosen Ulrich einen willkommenen Sündenbock, dem sie den Mordversuch in die Schuhe schieben können, übersehen dabei aber, dass dieser Mann einer solchen Tat völlig unfähig ist. Ihre Abgebrühtheit ist umso abstoßender, als sie den schwächsten in ihrer Mitte dazu auserkoren haben, für ihre Schweinereien geradezustehen.

Grädler, sicherlich nicht der inspirierteste DERRICK-Regisseur, sondern immer sehr abhängig von seinen Drehbüchern, macht hier alles richtig, konzentriert sich ganz auf die Charaktere und das Spannungsverhältnis zwischen ihnen. Er gibt Messemer viel Raum, geht dicht an ihn ran, und lässt sich die Figuren immer wieder zu schönen Gruppenbildnissen positionieren, aus denen hervorgeht, wer hier das Sagen hat. Und Tappert? Der blüht in den Szenen mit Messemer geradezu auf, auch wenn das angesichts seiner wie gemeißelten Gesichtszüge nicht der passende Ausdruck ist. Derrick ist nicht der Typ, dem Emotionen entgleisen, aber er muss sich angesichts des Irrsinns, den Ulrich von sich gibt, schwerstens anstrengen. Ganz großes Fernsehen!

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aboEpisode 072: Der Tod sucht Abonnenten (Zbynek Brynych, 1980)

Eine Drogentote führt Derrick und Klein auf die Spur eines rücksichtslosen Dealers (Jacques Breuer). Zur gleichen Zeit versucht der Bruder der Toten (Manfred Zapatka), deren ebenfalls abhängige Freundin Marga (Verena Peter) durch kalten Entzug von den Drogen wegzubekommen …

Die Krimihandlung ist nichts so besonders aufregend oder gar einfallsreich. Derrick und Klein fragen sich durch und kommen relativ schnell zum schmierig-arroganten Schüler Kurt Weber (Jacques Breuer), der ein bisschen aussieht wie ein schlanker Glenn Danzig. Es gibt keinerlei Zweifel an seiner Täterschaft und auch Brynych interessiert sich nicht wirklich für die Ermittlungen. Aber die Szenen zwischen dem Bruder der Toten und der drogenabhängigen Marga sind megaintensiv – und irgendwie auch ziemlich drüber. Man weiß nicht genau, was man von den zärtlichen Gefühlen, die er für sie entwickelt, halten soll: Es wirkt ein bisschen wie eine Ersatzreaktion, als projiziere er seine Liebe für die tote Schwester auf diese junge Frau, als wolle er seine Schuldgefühle an ihr beruhigen. Aber Reinecker meint das wohl alles ganz ernst, jedenfalls deutet das Ende darauf hin. Wenn sie sich unter Entzugsschmerzen auf einer siffigen Matratze windet und er ihr einen leidenschaftlichen Kuss aufdrückt, ist das trotzdem nicht gerade das Bild einer gleichberechtigten Beziehung. Dazu spielt Frank Duvals hyperkitschige Musik, die in ihrem ungehemmten Sentimentalismus so gar nicht zu den unangenehmen Bildern passen mag.

Und Derrick selbst hat wieder einen ganz großen Moment, als er einen Klassenlehrer über Kurt befragt. Dessen Aussage, bei Kurt handele es sich um „eine starke Persönlichkeit“ schmettert der Beamte auf jene gelassen-bestimmte Art ab, die keiner so gut drauf hatte wie Tappert: „Nö, das ist er nicht.“

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Episode 073: Auf einem Gutshof (Theodor Grädler, 1980)

In einer stürmischen Nacht wird auf die Gutsbewohnerin Marlene Schulte (Ellen Schwiers) geschossen. Den Schützen hat sie genau erkannt: Es war ihr Ehemann, der vorbestrafte Richard (Horst Buchholz). Doch der schwört, es nicht gewesen zu sein …

Grädler etabliert für diese Folge eine Gothic-Horror-Atmosphäre, die mal wieder eine schöne Abwechslung darstellt. Wenn die stürmische Nacht mit ihren Verwerfungen vorbei ist, widmet er sich mit dem Verdächtigen Richard einem weiteren jener tragischen Verlierertypen in der langen DERRICK-Ahnengalerie. Dessen Verzweiflung angesichts der harten Anschuldigungen, gegen die es nun einmal einfach kein Argument gibt, wird umso greifbarer, als ihm mit Marlenes Bruder Eberhard (Rolf Becker) jemand gegenübergestellt wird, der ihn mit harscher, unnachgiebiger Verachtung straft. Es gibt ein paar schöne Szenen, die Derrick im Gespräch mit dem vermeintlichen Mörder zeigen, wie sie gemeinsam über den Gutshof schlendern. Die ganze Folge ist sehr erdig und feucht, man meint tatsächlich, den Duft von Land und Wald riechen zu können, von dem auch Richard spricht. Die Auflösung ist ein bisschen blödsinnig, passt aber wieder ganz gut zum altmodischen Ambiente und bietet darüber hinaus Gelegenheit für einen putzigen Make-up-Effekt, mit dem DERRICK auf den Spuren von MISSION: IMPOSSIBLE wandelt.

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Episode 074: Zeuge Yurowski (Alfred Vohrer, 1980)

In einer Firma wird eingebrochen, ein Wachmann erschossen. Der Angestellte Yurowski (Bernhard Wicki) ist zufällig anwesend und erkennt seine Sekretärin (Christiane Krüger) als einen der Täter. Sie beschwört ihn zu schweigen, da er sonst mit seinem Leben bezahlen werde. Der Mann ist total verängstigt und hält dicht – gegen den anwachsenden Druck, den sowohl Derrick als auch seine eigene Familie auf ihn ausüben, als klar wird, dass etwas an Yurowskis Geschichte nicht stimmen kann.

Eine der moralphilosophischen Folgen, die sich in dieser Phase häufen. Auch das Thema des eingeschüchterten Zeugen eines Gewaltverbrechens, der sich nicht traut, auszusagen, beschäftigt Reinecker zu Beginn der Achtzigerjahre öfter. „Zeuge Yurowski“ dreht sich dann auch, wie der Titel nahelegt, um den Familienvater, der abwägen muss zwischen dem Risiko, dem er seine Familie aussetzt, und dem eigenen Gerechtigkeitsempfinden. Letzteres hat erwartungsgemäß keine Chance gegen die ganz existenziellen Ängste. Vohrer hat eine klassische „Schauspielerfolge“ inszeniert: Sie gehört Bernhard Wicki, der jetzt nicht gerade der erste ist, der mir eingefallen wäre, wenn es um eine ängstliche Vaterfigur geht. Vielleicht überzeugt er auch deshalb so.

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Episode 075: Eine unheimlich starke Persönlichkeit (Erik Ode, 1980)

Robert Renz (Siegfried Wischnewski) ist ein Schwein. Ein rücksichtsloser Erfolgsmensch, dem jedes Mittel recht ist. Kurz nach einer Galaveranstaltung, zu der er seine Geliebte (Franziska Bronnen) statt seiner Ehefrau (Anaid Iplicjian) mitgenommen hat, wird er erschossen. Der Verdacht fällt auf Renz‘ Sohn Erich (Nikolaus Büchel), der schwer unter der Knute seines Vaters zu leiden hatte …

Hier widmet sich Reinecker mal wieder der Auseinandersetzung von „verweichlichten“ Söhnen und ihren Vätern, echten Machertypen, die wissen, dass Empathie, Mitgefühl und Anstand Eigenschaften von Waschlappen sind. Siegfried Wischnewski ist natürlich idealbesetzt als egozentrischer Patriarch, der seiner Frau mit höchster Sachlichkeit mitteilt, dass er sie zum Galaempfang nicht „brauche“, weil er stattdessen seine Geliebte mitzunehmen gedenke. Die Episode krankt insgesamt etwas daran, dass der vom Vater gequälte Sohn, auf den danach der Verdacht fällt, tatsächlich eher unangenehm anmutet. Den Aussagen aller zufolge eben jener „Weichling“, den der Vater verachtete, markiert der just in dem Moment, in dem der Vater, gegen den er sich nie aufzulehnen traute, tot ist, den großen Macker. Man weiß trotzdem, dass er der Mörder nicht sein kann, allein schon, weil die Episode eben noch eine Überraschung braucht, aber das Geständnis des wahren Täters am Ende hinterlässt dann doch seine Spuren. Kein Klassiker, aber ein schöner Lückenfüller.

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prickerEpisode 076: Pricker (Alfred Vohrer, 1980)

Der Schwerverbrecher Hamann (Dirk Galuba) soll bei einem Gefangenentransport befreit werden. Doch dann ist er durch einen dummen Zufall gar nicht an Bord des Transporters. Seine Komplizen, die die beiden Wachmänner umbringen, finden in dem Wagen nur den kleinen Ganoven Pricker (Klaus Schwarzkopf) vor, dem aber die Flucht gelingt, bevor sie ihn ausschalten können. In einem kleinen Dorf findet er Unterschlupf bei der alleinstehenden Franziska Sailer (Ruth Drexel) und ihrer Tochter Hanni (Ute Willing). Er ahnt nicht, dass Hamanns Komplizen ein Interesse daran haben, ihn umzubringen …

Das ist mal was anderes, weil Derrick und Klein eher Nebenfiguren sind und die ganze Episode auch gut und gern ohne den Kriminalfall auskäme. Klaus Schwarzkopf ist wunderbar als geläuterter, kleiner Gauner, der in einem bayrischen Dorf die Zuwendung und Wärme findet, die ihm in seinem Leben versagt geblieben ist. Er akzeptiert es sogar, in seiner Kammer eingeschlossen zu werden, solange er weiß, dass seine „Wärter“ nett zu ihm sind. Eine Szene, bei der die drei einen Ausflug an einen kleinen See machen, ist wunderschön und von einer sonnigen Unbeschwertheit, die sonst nicht gerade die Kernkompetenenz von DERRICK ist. Ohne Bayern-Fachmann zu sein: Das ruppige, aber herzliche Miteinander von Mutter und Tochter machte auf mich einen sehr authentischen Eindruck: Hier wird nicht viel über Gefühle schwadroniert, sie sind da und man muss sich ihrer nicht mehr vergewissern.

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kerzeEpisode 077: Dem Mörder eine Kerze (Dietrich Haugk, 1980)

Der Besitzer eines Fotostudios wird erschossen. Eine vor dem Tod von ihm hingekritzelte Botschaft führt Derrick und Klein zu dem Schüler Albert Hess (Sven-Eric Bechtolf), der mit anderen häufiger für Werbeaufnahmen posierte. Auch seine Freundin Vera (Katja Bienert) gehörte zum Kreis der Fotomodelle. Als Derrick sie auf den Fotografen anspricht, erliegt die junge Frau einem Schreianfall …

Diese Episode dürfte in mehrerer Hinsicht „bedeutsam“ sein: Zum einen landete Frank Duval mit dem Titelsong, dem geradezu grotesk kitschigen „Angel of Mine“, einen Nummer-eins-Hit, zum anderen ist das natürlich auch die Folge, in der Stephan Derrick sich einen Porno mit Katja Bienert anschaut und dabei guckt, als habe er zum ersten Mal eine Erektion. Den Auftakt mit dem Priester, der mitten in der Nacht einem Mörder die Beichte abnehmen muss, hat sich Reinecker bei sich selbst geborgt, nämlich bei der KOMMISSAR-Episode „Tödlicher Irrtum“. Den Pfarrer spielt hier Horst Frank und natürlich erschwert das Beichtgeheimnis Derrick und Klein die Arbeit. Bis Reinecker zum Kasus Knaxus vordringt – der Tatsache, dass da eine Schülerin mit Drogen zur Mitwirkung in einem Porno gezwungen wurde – vergeht leider zu viel Zeit, um sich wirlich mit den ganz großen Schmierigkeiten auseinandersetzen zu können, aber ein paar unvergessliche Momente bleiben dann doch: Der Zusammenbruch des Porno-Opfers ist so einer (Katja Bienert spricht in der ganzen Folge kein Wort), Sascha Hehn als Schmierlappen in einer mit großformatigen Fotos von ihm selbst gepflasterten Wohnung ein weiterer, tja und dann eben Derrick im Pornokino. Wie dieses „Etablissement“ eingeführt wird, ist schon rührend: Veras Freund bringt die Kriminalbeamten dorthin, so als sei ein solches Kino etwas ganz Neues. (Die Poster im Foyer sind keine Hardcore-Plakate, sondern allesamt von Softsexfilmchen.) Und so guckt Derrick dann auch, als er die eigentlich sehr geschmackvollen Szenen auf der Leinwand betrachtet.

Der moralinsaure, mit Phrasen aus dem Bestseller „Kapitalismuskritik für Anfänger“ durchsetzte Vortrag, den der selbstgerechte Albert hält, ist ganz hartes Brot, voller einst schützender Zäune, die mittlerweile niedergerissen sind, und Bedürfnissen, die der grausame Markt eben deckt. Aber gut, wenn mir ein Pornoproduzent Katja Bienert weggenommen hätte, wäre ich wahrscheinlich auch so drauf. Und eine Folge, die damit endet, dass Sascha Hehn abgeknallt wird, hat sowieso fast alles richtig gemacht.

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Episode 078: Eine Rechnung geht nicht auf (Helmuth Ashley, 1980)

Achim Moldau (Wolfgang Müller), ein arbeitsloser Schweißer, wird von seinem Freund Schenk (Tommy Piper) in die Bande von Recke (Arthur Brauss) eingeführt, der einen Bruch plant. Recke hat Bedenken gegenüber Moldau, hält ihn für „zu weich“, was sich bald bestätigen soll: Nach einem Saufgelage werden Moldau und Schenk in einen Autounfall verwickelt. Die Beifahrerin ist sofort tot, der Ehemann wird als unliebsamer Zeuge von Recke umgebracht, bevor Moldau ihn ins Krankenhaus bringen kann. Von Gewissensbissen gequält nimmt Moldau danach Kontakt zu den Hinterbliebenden der Toten auf, was den Verdacht Derricks sowie den Zorn Reckes weckt …

Lustig, in der Episode „Der L-Faktor“ war es Wolfgang Müllers armer Tropf, der von einer hilfsbereiten Person aufgesucht, mit Geldzuwendungen und Naturalien beschenkt wurde, hier revanchiert er sich für diesen Dienst, mit dem Unterschied, dass er einen Grund außerhalb purer Nächstenliebe dafür hat. „Eine Rechnung geht nicht auf“ ist eine sehr geschäftige Episode und einfach sehr unterhaltsam. Arthur Brauss ist immer gut, neben ihm überzeugt Tommy Piper mit weißer Lederjacke und debütieren Thomas Schücke und Michael Böttge in weiteren Ganovenrollen. Das Schicksal der Kinder der Opfer kann niemanden kaltlassen, zumal die Tatsache, dass die einzige Verwandte eine 70-jährige Oma (Alice Treff) ist, auch für die Zukunft keine allzu große Hoffnung macht. Vielleicht mit vier Sternen einen Hauch überbewertet, aber mir hat’s gefallen.

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Episode 079: Der Kanal (Helmuth Ashley, 1981)

Herbert Junker (Bernd Herzsprung) trifft sich mit seiner Geliebten Elisabeth Röder (Claudia Rieschel) regelmäßig in einem Gutshof vor München. Beide sind verheiratet, er mit Hannelore (Helga Anders), sie mit dem Krankenpfleger Jürgen (Volker Eckstein). Ein anonymer Anruf bringt Junker nicht aus der Ruhe, doch nach seinem Schäferstündchen lauert man ihm auf und bringt ihn um …

Wieder einmal eine Folge mit mörderischen Vätern. Hier sind es sogar zwei, die sich zusammentun, um die zerstörte „Familienehre“ zu retten. Volker Eckstein spielt erneut den verweichlichten Loser, der noch nicht einmal die Energie aufbringt, seiner fremdgehenden Ehefrau eine Szene zu machen. Dass sich die beiden Hintergangenen miteinander trösten, ist eigentlich eine schöne Idee, die Ashley aber in einer einzigen Einstellung abhandelt und die dadurch kaum weiter ins Gewicht fällt.

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abgrundEpisode 080: Am Abgrund (Helmuth Ashley, 1981)

Der Säufer Jakob Hesse (Klaus Behrendt) beobachtet den Mord an einer Prostituierten, wird wenig später bei der Leiche entdeckt und flieht. Derrick kann den Mann ausfindig machen, der jedoch behauptet, sich an nichts mehr erinnern zu können …

Klaus Behrendt gibt als Trinker eine jener Darbietungen ab, die einen fragen lässt, warum es für diese großartigen Charakterdarsteller damals eigentlich keine Spielfilmprojekte gab, in denen sie ihrem Können noch etwas mehr Raum hätten geben dürfen. Stattdessen bereicherten sie eine Fernsehserie wie DERRICK, die ich hier nicht mehr groß zu loben brauche, die aber eben doch nicht für Nachhaltigkeit, sondern eben zum müden Wegkonsumieren gemacht worden war. Perlen vor die Säue gewissermaßen. „Am Abgrund“ ist einer dieser Fälle, wo beim Besetzungspoker ein echtes Traumblatt rauskam: Neben Behrendt agieren Anton Diffring als Zuhälter Bandera, Thomas Schücke als dessen schmieriger Sohn, Lotte Ledl als freundliche Prostituierte, Georg Konrad als ihr Vermieter sowie Rainer Hunold und der unverwüstliche Dirk Dautzenberg als Kneipenwirte. Das reicht.

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Episode 081: Kein Garten Eden (Günter Gräwert, 1981)

Der junge Ingo Rolfs (Markus Boysen) sucht Derrick auf, um sich abzusichern, wie er sagt: Sein Stiefvater (Thomas Holtzmann) habe Drohbriefe erhalten, und er befürchte, dass der Verdacht auf ihn falle, sollten die Drohungen in die Tat umgesetzt werden. Als Klein mit dem jungen Mann nach Hause fährt, ist der Stiefvater tatsächlich tot …

Eine philosophische Episode, bei der es aber nicht so sehr um Fragen des Rechts und der Moral geht, sondern eher allgemeine Betrachtungen zur Conditio Humana im Mittelpunkt stehen. Es ist eine jener Geschichten, bei denen es allen Beteiligten gelingt, das Leben ihrer Mitmenschen im Streben nach dem eigenen Glück zur Hölle zu machen. Da sind der egoistische Sohn, der den Stiefvater nicht akzeptieren, die Mutter (Ellen Schwiers) aber auch nicht allein lassen will; eben jene Mutter, die dem Treiben des Sohnes keinen Riegel vorschieben kann; besagter Stiefvater, der sich nun bei der Nachbarin (Rita Russek) holt, was er braucht, während deren Ehemann (Michael Degen) den Verständnisvollen, Toleranten mimt, insgeheim aber Rachegelüste züchtet. Zum Schluss darf Derrick gegenüber dem schülerhaften Harry kurz resümieren, was der Zuschauer eben gelernt hat. Dieser pädagogische Zug dringt in dieser Phase immer mehr nach vorn und äußert sich in wortreichen Vorträgen über den Zustand der Welt, etwas was sich Reinecker bis dahin eigentlich immer halbwegs verkniffen hatte. Streng genommen natürlich etwas nervig und immer sehr on the nose, gleichzeitig wird dieser moritatenhafte Charakter der Serie, in der Deutschland sich gespiegelt sehen darf, noch unterstrichen.

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alteEpisode 082: Eine ganz alte Geschichte (Zbynek Brynych, 1981)

Arne Reuter (Mathieu Carriére) kommt mit einem ungewöhnlichen Anliegen zu Derrick: Sein Onkel sei 1946 beim illegalen Grenzübertritt nach Westdeutschland von seinem damaligen Begleiter Alfred Answald (Herbert Fleischmann) umgebracht und um die mitgeführten Brillanten erleichtert worden. Mit eiskaltem Kalkül drängt Reuter den Familienvater systematisch in die Enge …

Es philosophiert weiter, diesmal vor dem Hintergrund deutscher Erbschuld. Das zurückliegende Verbrechen, um das es in „Eine ganz alte Geschichte“ geht, hat zwar nicht direkt etwas mit dem dritten Reich zu tun, aber die Assoziation ist trotzdem klar: Zu Zeiten des Krieges hat sich die Vatergeneration die Hände mit Blut befleckt und den Wohlstand mitunter auf dem Unglück anderer aufgebaut. Nun sitzt man da in seinen prachtvollen, geschmackvoll eingerichteten Häusern, vor der Eichenschrankwand mit der in Leder gebundenen Goethe-Gesamtausgabe und der Beethoven-Büste, lässt die Tochter Geige spielen und freut sich darüber, wie unfassbar gut man es doch eigentlich hat. Und dann kommt da so ein selbstgerechter Schnösel wie dieser Arne Reuter daher und rotzt allen kräftig in die Consommé.

Mathieu Carrière, der ja bei den öffentlichen Auftritten, die ich von ihm gesehen habe, den Eindruck erweckte, immer nur sich selbst gespielt zu haben, ist natürlich die Idealbesetzung für dieses berechnende Arschloch, das eine blitzende Schadenfreude dabei entwickelt, einen Mann nur aus Prinzip in die Ecke zu drängen. Er hat gewiss nicht ganz Unrecht und man muss seinem Kontrahenten vorwerfen, es sich damals etwas leicht gemacht zu haben, aber seine Form von Vergangenheitsbewältigung hat dann doch mehr mit blindem Revanchismus als mit Gerechtigkeitssinn zu tun. Reuter ist einer jener Vernunftmenschen, die sich gnadenlos verrannt haben in ihren Überlegungen und jedes Herz vermissen lassen. Da kommt er wieder zum Vorschein, der Diskurs über das Gegensatzpaar Emotion und Ratio. Derrick weiß natürlich, dass die beiden zusammengehören, das eine ohne Moderation durch das andere zur Perversion seiner selbst verkommt, aber er kann Reuter in seinem Tun nicht bremsen, zu perfekt ist der Plan, den der einer Lawine gleich losgetreten hat.

Brynych hat die Zügel dazu fest in der Hand und selbst wenn er sie entgleiten lässt, wie in der Szene, in der die spannungsgeladenen, aber hoffnungslos einseitigen Diskussionen zwischen Reuter und Answald vom nervtötenden Gegeige der grienenden Tochter durchschnitten werden, ist das noch on point.

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Episode 083: Die Schwester (Helmuth Ashley, 1981)

Bei der Verfolgungsjagd auf drei Einbrecher erschießt Harry einen der Flüchtigen. Einen zweiten verliert er in einem Wohnhaus, wo er von der Bewohnerin Doris Menke (Jutta Speidel) verarztet wird. Der aufgelöste Harry sucht in den nächsten Tagen weiteren Kontakt zu der Frau. Was er nicht weiß: Sie ist die Schwester des Erschossenen …

Es menschelt mal wieder. Zum allerersten Mal wird mal eine der beiden Hautfiguren von einem Schicksalsschlag getroffen und Harry ist natürlich prädestiniert dazu, seine weiche Seite zu zeigen. Der Versuch, ihm eine Liebschaft anzudichten, den auch die folgende Episode unternimmt, wird aber irgendwie nicht mit voller Überzeugung umgesetzt. Auch die Bedrohung, in die er sich da eigentlich begibt, manifestiert sich nie, weil ihn sein Love Interest dann wohl doch zu nett findet, um ihn an die Mörder zu verraten. Insgesamt also eher mau.

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Episode 084: Tod eines Italieners (Helmuth Ashley, 1981)

Der Besitzer von Harrys neuem italienischen Restaurant wird von der Schutzgeldmafia totgeschlagen. Seine Gattin, die Deutsche Anna Forlani (Karin Baal) ist verängstigt und weigert sich, eine Aussage zu machen, auch auf Flehen ihrer Schwester Ursula (Gerlinde Döberl) …

Zum Abspann wird zum ersten Mal die Schrifttafel eingeblendet, auf der verlautbart wird, dass jede Ähnlichkeit der Figuren zu realen Personen rein zufällig sei: Wahrscheinlich eher ein Mittel der Authentifizierung des Gezeigten als juristisch notwendige Sicherheitsvorkehrung, denn auch während der Folge wird immer wieder angedeutet, dass dieses italienischen Schutzgelddings ja jetzt seit neuestem auch in Deutschland Fuß fasse. Richtig schockiert zeigt sich Derrick davon aber noch nicht, und so lässt er sich einmal zu der apodiktischen Aussage hinreißen, dass es organisiertes Verbrechen in Deutschland nicht gebe, basta! Losgetreten wird der Fall von Harrys Avancen gegenüber einer schönen Bedienung: Die mehr oder weniger private Verbandelung der Polizeibeamten in ihre Fälle ist ein jetzt immer häufiger vorkommendes erzählerisches Mittel. Guter Durchschnitt, nichts, um übermäßig in Begeisterung zu geraten, aber auch kein Reinfall.

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dicoEpisode 085: Das sechste Streichholz (Alfred Vohrer, 1981)

Henry Janson (Thomas Piper), der Besitzer einer Diskothek wird von dem jungen Konrad (Pierre Franckh) erschossen. Der Mord ist von mehreren Freunden, darunter Jansons DJ Jo (Thomas Schücke) und dem Taxifahrer Rolf (Jacques Breuer) erdacht worden. Aber warum?

Moralphilosophie und Selbstjustiz again. In der Disco läuft eine furchtbare Selbstkopie von Duvals „Angel of Mine“, über die der DJ nur sagt, das sei eine „Spitzenmelodie“. Geschmacksverirrung regiert, führt aber hier wie schon bei einigen anderen Episoden zum Sieg. Thomas Schücke – hat der mal was anderes gespielt als blasierte Arschgeigen? – reißt die Folge mit seinem selbstverliebten Spiel an sich. Gegen Ende, wenn er die Ereignisse rekapitulieren darf (die Rückblende ist in dieser Phase ein fester Bestandteil der verwendeten Erzähltechniken), klingt sein sonorer Voice-over, in dem er darüber schwadroniert, dass in einer Diskothek „Leben und Musik“ eine Art heiliger Verbindung eingingen, die Jugendlichen („ich liebe Kinder“, sagt er altklug und feierlich) ihre Sorgen durch die Füße in den Boden hinaustanzten, wie der Kommentar eines weltfremden Jugendkulturforschers. Nee, die Jugend und ihre Bedürfnisse hat Reinecker nie so richtig verstanden, aber es ist egal, denn entweder ist dabei so ein bizarrer Kram wie „Yellow He“ herausgekommen oder aber solide Krimis mit geiler Schlagseite wie eben dieser hier.

Dass sich dieser Selbstjustizfall wohltuend von anderen abhebt, liegt auch an Pierre Franckh, der den per Losglück oder eher -pech zum Scharfrichter auserkorenen Schützen spielt und an der auf ihm lastenden Schuld zerbricht. Schon in der ersten Szene, in der er davon erzählt, wie überraschend leicht das doch gewesen sein, merkt man, dass er mit dem Mord nicht klarkommt. Da spielt auch der schon häufiger zur Rede gekommene Verweichlichte-Söhne-Diskurs mit rein: Er ist ein Softie, der beweisen will, dass er auch der harte Macker sein kann, und kläglich daran scheitert. Schücke hingegen spielt das Gegenteil: Den große Reden schwingenden Macher, der sich sicher sein kann, nicht selbst handeln zu müssen, weil er genug willige Vollstrecker um sich hat.

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Episode 086: Prozente (Theodor Grädler, 1981)

Auf den skrupellosen Kredithai Hollerer (Rolf Boysen) wird ein Attentat verübt, bei dem sein Sekretär erschossen wird. Der Kreditsuchende Schlehdorn (Gerd Baltus), dessen Gattin den Mörder möglicherweise gesehen hat, erhofft sich durch dieses Wissen bessere Konditionen herauszuschlagen. Hollerer ist in äußerste Alarmbereitschaft versetzt, doch auch die kann seinen gewaltsamen Tod nicht verhindern …

Och nee, das war nix. Das Drehbuch ist irgendwie hingeschludert, der Subplot mit den Schlehdorns scheint nur mit verwurstet worden zu sein, weil der Fall um den fiesen Kredithai sonst gar nichts hergibt. Alles wirkt unfertig, wie aus den Elementen nicht fertig gestellter Drehbücher zusammengeschustert. Martin Semmelrogge gefällt mit lustiger Rockermähne, aber dass Michael Degen hier zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit den Mörder gibt, ist einfach nur lazy.

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kuoperEpisode 087: Der Untermieter (Michael Braun, 1981)

Buschmann (Peter Kuiper), ein kaltblütiger Schwerverbrecher, wird nach zehn Jahren aus der Haft entlassen. Sofort nistet er sich in der Wohnung seiner Ex-Freundin Gudrun (Lisa Kreuzer) ein, die auch die Mutter seines ihm unbekannten Sohnes und außerdem mittlerweile mit Ulrich Kaul (Horst Sachtleben) verheiratet ist. Das Ehepaar ist hilflos gegen den rücksichtslosen Buschmann, der seinen alten „Besitz“ zurückhaben will …

Mal was anderes, Teil 2: In dieser Folge gibt es keinen Mord, vielmehr bezieht die Folge die Spannung aus der Frage, wann und von wem er wohl verübt werden wird. Die Belagerungssituation in der Wohnung der Kauls wird immer unerträglicher – zu den Konfliktparteien gehört auch noch der studentische Untermieter (Hans-Jürgen Schatz) – und es ist klar, dass alles in einer Gewaltexplosion enden muss: Nur wer diese letztlich zu verantworten haben wird, ist nicht klar. Natürlich suggeriert die Inszenierung, dass ein solcher Gewaltakt nur von Buschmann ausgehen kann: Kuiper ist gemacht für diese voller Selbstüberlegenheit grinsenden Proleten, die wissen, dass sie sich ganz auf ihr Einschüchterungspotenzial verlassen können. Wie er sich hier „ins gemachte Nest“ setzt, sich an der Angst seiner Opfer ergötzt und gar nicht daran denkt, irgendetwas zu beschleunigen, treibt einem den blanken Zorn in die Magengrube. Kuipers Buschmann ist einer dieser Filmcharaktere, die einem wirklich die Galle hochtreiben und einem die passive Beobachterposition vor der Glotze zur Qual machen. Selbst Derrick ist machtlos: Zum für die Kauls günstigen Ausgang hat er am Ende nicht wirklich viel beigetragen.

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Episode 088: Tod im See (Alfred Vohrer, 1981)

Rudolf Wiegand (Robert Atzorn) kann gerade noch gerettet werden, als er während eines Sturms mit seinem Segelboot auf dem Starnberger See kentert. Für seine Frau, die nach seinen Angaben bei ihm war, gibt es keine Rettung. Der Vater (Heinz Moog) der Toten indessen glaubt nicht an einen Unfall, sondern an Mord: Niemand habe seine Tochter, die das Segeln gehasst habe, auf dem Boot gesehen. Und sein Schwiegersohn habe außerdem eine Geliebte (Christiane Krüger) …

Eine Standardepisode, aber eine, die beweist, das auch aus gut abgehangenen Krimistoffen durch gute Inszenierung und adäquate Darsteller immer wieder einiges rauszuholen ist. Robert Atzorn, „Unser Lehrer Dr. Specht“, hatte ich immer als ebensolchen, bieder-braven Jugendlichenversteher abgespeichert und wusste gar nicht, wie gut er als vibrierender, schwitzender, angesichts der Derrick’schen Coolness schier aus der Haut fahrender Eherfauenmörder sein könnte. Er ist super, wie er auf Derricks Zermürbungstaktiken zunehmend angepisster reagiert. Die Versuche des Drehbuchs, den Fall verwirrender zu machen, als er eigentlich ist, hätte es eigentlich nicht gebraucht, was mal wieder bestätigt, dass ein hassenswerter Schurke die halbe Miete ist.

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Episode 089: Die Stunde der Mörder (Theodor Grädler, 1981)

Zwei Mörder werden umgebracht. Beiden gemeinsam: Sie waren kurz zuvor wegen Mangels an Beweisen freigesprochen worden. Bei beiden Verhandlungen im Gerichtssaal anwesend war der Rentner Mahler (Hans Caninenberg), der ein besonderes Interesse an Recht und Gerechtigkeit zu haben scheint …

Schöne Selbstjustiz-Geschichte, die dadurch, dass es sich bei den Tätern um Rentner handelt, hervorsticht und wie eine Verlängerung der KOMMISSAR-Episode „Tod eines Ladenbesitzers“ wirkt. Wer der Täter ist, ist relativ bald klar: Die Episode ist sehr geradlinig erzählt und die Ermittlungsarbeit der Protagonisten hat vergleichweise geringen Anteil an der Gesamtlaufzeit. Hans Caninenberg spielt den eiskalten Racheengel als sympathischen alten Herren, dessen Interesse für Recht und Gesetz Derrick allerdings schon nach der ersten Begegnung auf die Palme bringt. „Der geht mir auf den Geist!“, entrüstet er sich gegenüber Harry, der mal wieder gar nichts versteht. Aber der Oberinspektor hat natürlich Recht: Rechtsprechung ist nichts, in das sich der Laie mit seinen über seine Gefühle formierten Meinungen einmischen sollte, da kann nichts Gutes bei rauskommen. Wie auch hier: Während der selbsternannte Gerechtigkeitsfanatiker mit seiner hübschen Enkeltochter (Irina Wanka) der Hochkultur in ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen frönt, gehen die von ihm gedungenen Mörder ihrem blutigen Handwerk nach – klar, dass er sich die Hände nicht selbst schmutzig macht.

Derrick hat noch weniger Verständnis für die hier zum Ausdruck kommende Selbstermächtigung als für andere Übeltäter. Mit je mehr Morden er konfrontiert werde, umso mehr erschrecke er jedesmal, ganz egal, wer das sein Leben lasse. Das kann Mahler, der die Menschheit bequem in Opfer und Täter einteilt, nicht begreifen.

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derrickEpisode 090: Eine Rose im Müll (Günther Gräwert, 1982)

Der Lkw-Fahrer Michael Rothaupt (Bernd Herberger) nimmt die Anhalterin Marion Diebach (Beatrice Richter) mit. Die beiden kommen ins Gespräch und verstehen sich auf Anhieb. An einem Rasthof hält er kurz an, um sich mit einer Kollegin zu treffen, die ihn per CB-Funk kontaktiert hat. Er verspricht Marion, sie an der Straße wieder aufzusammeln. Doch wenig später der Lkw fährt an ihr vorbei, ohne zu halten, von Rothaupt fehlt danach jede Spur. Die junge Frau sucht Derrick auf …

Von dieser Folge ist vor allem das deprimierende Mülldeponienszenario hängengeblieben. Der Fall selbst – es geht um illegal entsorgten Giftmüll – ist eine Spur zu abstrakt, um in diesem Format richtig wirken zu können. Da hatte Reinecker bestimmt irgendwo was in der Zeitung gelesen, was er dann flugs in einem Drehbuch verwurstete. Ich hätte gern mehr von den beiden angehenden Turteltauben gesehen, aber das ist wohl auch der Plan: Rothaupt wird aus der Episode gerissen, wie es ihn aus dem Leben reißt, und man hat keine Gelegenheit, von ihm Abschied zu nehmen. Als Trost bleibt nur die Rose im Müll.

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klettEpisode 25: Der Mord an Frau Klett (Dietrich Haugk, Deutschland 1970)

In einem Müllcontainer findet ein Obdachloser auf der Suche nach Essbarem die Leiche einer älteren Dame. Kommissar Keller und seine Leute identifizieren sie schnell als Frau Klett (Else Knott) und machen die Wohnung ausfindig, in der sie zur Untermiete lebte. Doch ansonsten ist nichts über sie in Erfahrung zu bringen. Auch als ihr Sohn Willi (Vadim Glowna) auftaucht, gibt es nur mehr Fragen und keine Antworten …

Eine Episode voller Hoffnungslosigkeit und Tristesse. Es beginnt mit dem Bild des Obdachlosen, der Hinterhöfe und Mülltonnen nach Verwertbarem durchsucht, setzt sich mit der Frauenleiche in der Mülltonne fort und endet beim Schicksal der weiteren Figuren, allesamt vom Leben Betrogene und Vergessene. Da ist etwa der 64-jährige Herr Wachsner (Alfred Balthoff), bei dem das Opfer zur Untermiete wohnte, Kellner in einer schäbigen Pinte, die wenigen verbliebenen Haare mit Brllantine am kohkopfartigen Schädel festgeklebt, der bei seinem Job laut eigenem Bekunden einmal um die Welt gelaufen ist und in Angst einer Zukunft in bitterer Armut und Einsamkeit entgegensieht. Oder eben das Opfer, eine traurig dreinblickende Frau ohne Freunde oder Erfüllung – das einzige, was man bei ihr findet, ist die Nummer der Telefonseelsorge – und einer Familie, die nichts über sie zu sagen weiß. Ihr Mann (Hanns Ernst Jäger) lebt unter einer Brücke und seinen Lebensunterhalt bestreitet er damit, vor dem Zoo Tierstimmen zu imitieren. Das desolate Bild einer im Verschwinden begriffenen Generation hinterlässt auch bei den Protagonisten seine Wirkung: Klein sagt einmal, er habe jetzt erst begriffen, wie furchtbar Mord sei, Keller selbst wird mehr als einmal eingefangen wie er wortlos und in sich versunken nachdenkt, dem sonst so coolen Heines macht die Eigenschaftslosigkeit der Klett sogar Angst.

Es ist eine blöde Phrase, aber „Der Mord an Frau Klett“ scheint mir mit seiner Thematisierung von Altersarmut nach 45 Jahren zu neuer Aktualität zu gelangen, schließlich dürfen sich Millionen von Deutschen, die nicht das nötige Kleingeld für eine private Altersvorsorge haben, mit der Idee befassen. Der Unterschied liegt wohl vor allem in den Gesichtern. In der furchigen Visage eines Herr Wachsner spiegeln sich die Entbehrungen der Kriegsjahre und jahrzehntelanger körperlicher Arbeit, während eine Frau Klett oder ihre Nachbarin Frau Schilp (Hilde Volk) durch ihre „Gattenlosigkeit“ stigmatisiert sind. Ihr ganzes Leben bestand aus Kummer. Dieser hat sich tief in die Mikrostruktur von Haugks Folge eingegraben. Wenn er am Ende zum Kriminalfall zurückkehrt, wirkt das wie ein Exkurs, es ist nur eine Fußnote.

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Episode 26: Die kleine Schubelik (Georg Tressler, Deutschland 1970)

Schubelik, ein bekannter Säufer, wird tot im Bett seiner Wohnung aufgefunden, Frau und Tochter sind vorerst verschwunden. Kommissar Keller findet schnell heraus, dass der Tote vor seinem Tod mit seinen Saufkumpanen Klenze (Peter Kuiper), der regelmäßig seine Frau Irma (Margarethe von Trotta) verdrischt, und Pölich (Josef Fröhlich) gezecht hatte. Schubeliks Frau (Erni Mangold) zeigt sich über den Tod des Gatten überhaupt nicht schockiert, eher im Gegenteil. Und was hat seine Tochter Inge (Susanne Schaefer), die vom Nachbarn Arnim (Thomas Piper) in Schutz genommen wird, mit allem zu tun?

Der deprimierende Blick in das Schicksal von Menschen aus der unteren Gesellschaftsschicht, den Dietrich Haugk schon in der vorangegangenen Episode geworfen hatte, wird dem Zuschauer auch hier aufgezwungen. Besonders sticht der fiese Klenze hervor, ein selbstbewusster Macho, der es gar nicht für nötig hält, seine Verachtung für Schwächere zu verbergen und meint, er würde damit beeindrucken, wenn er mit der bloßen Hand einen Nagel aus einer Wand zieht. Er ist gewissermaßen das Spiegelbild des Toten, über den man die anderen Figuren nur reden hört: Und man ahnt, was für ein Schwein auch der gewesen sein muss. Tresslers Folge besticht mit ihren Charakterzeichnungen und dem Gespür für das Milieu, in dem er sich bewegt. Keller und seine Männer heimsen mit ihrem Mitgefühl für die verschiedenen Opfer Sympathiepunkte ein und dem Täter kann man nicht wirklich böse sein.

Ich hatte schon einmal erwähnt, dass es bei DER KOMMISSAR oft um böse Vaterfiguren geht und „Die kleine Schubelik“ ist ein Paradebeispiel dafür. Ich würde sogar noch weiter gehen: Der Begriff „Vater“ hat seine Bedeutung hier völlig verloren. Es gibt nur noch empathielose, gewaltgeile und dumme Männer.

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Episode 27: Anonymer Anruf (Helmut Käutner, Deutschland 1970)

Der mittellose Student Gersdorf (Martin Lüttge) erhält einen anonymen Anruf, der seiner Gattin Susanne (Gerlinde Locker) eine Affäre mit Gregor Stein, dem Onkel Gersdorfs, nachsagt. Gersdorf macht sich sofort auf zum Haus Steins, der erschossen wird, kaum dass der Student dort eingetroffen ist. Alles spricht für einen Rachemord Gersdorfs, zumal auch dessen Pistole am Tatort gefunden wird, aber der Mann behauptet, hereingelegt worden zu sein. Wer wusste von der Affäre von Gersdorfs Frau mit einem Geschäftspartner Steins? Hatte Ahlsorf (Friedrich Joloff) etwas damit zu tun, der von Stein um seinen ganzen Besitz gebracht worden war?

Käutners Episode „Anonymer Anruf“ ist, wenn ich richtig informiert bin, aus rechtlichen Gründen nicht in der DVD-Box enthalten. Es hat also nichts mit dem etwas pikanten Thema der Gelegenheitsprostitution zu tun, von der der eklige Geschäftsmann Schröder (Paul Edwin Roth) sagt, das mache heutzutage ja jeder. Es ist das wahrscheinlich interessanteste Element der Folge, die auffallend konservativ ist. Sogar der längst überwunden geglaubte Brauch Kellers der Anfangstage, alle Verdächtigen zu versammeln, vor ihnen den genauen Tathergang zu rekapitulieren und am Ende den Täter zu enttarnen, wird hier wiederaufgegriffen. Trotzdem ist „Anonymer Anruf“ ganz unterhaltsam, was nicht zuletzt an der Besetzung liegt. Neben den genannten sind auch Jürgen Goslar und Dunja Rajter zu sehen.

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wienEpisode 28: Drei Tote reisen nach Wien (Dietrich Haugk, Deutschland 1970)

Erwin Bessmer (Herbert Steinmetz) erhält einen Anruf aus Wien, wo er sich am Wochenende zuvor mit seinen Jugendfreunden Sasse (Hans Caninenberg) und Roth (Dieter Borsche) vergnügt hat, bei dem ihm mitgeteilt wird, dass man ihn erschießen werde. Wenig später wird die Drohung wahr gemacht und Bessmer in einer Telefonzelle ermordet. Sasse und Roth fürchten nun ebenfall um ihr Leben. Hat die attraktive Katja (Kitty Speiser), die sie mit ins Hotel genommen haben, etwas mit dem Mord zu tun?

Von Beginn an ahnt man, dass „Drei Tote reisen nach Wien“ eine besondere Folge wird. Wie Bessmer in der Telefonzelle durch einen Schuss ins Gesicht getötet wird, ist schon ein besonders happiger Moment, der deutsche Fernsehzuschauer damals in ihrem Ohrensessel kräftig durchgeschüttelt haben dürfte. Regieeinfälle wie jener, die Begegnung zwischen den drei Herren und der jungen Frau in einem Wiener Biergarten als Standbild-Montage festzuhalten, lassen den Weggang von Brynych verschmerzen. Und das Treffen zwischen Keller und seinem Wiener Kollegen Marek (Fritz Eckhardt), der deutschen Zuschauern aus dem TATORT bekannt war, ist so ein postmoderner Crossover-Moment, den man in einer deutschen Krimiserie aus den frühen Siebzigern eher nicht erwartet hat. Richtig durch die Decke geht Haugks Episode aber, weil das Thema so herrlich schmierig ist: Wie diese feinen Herren sich nacheinander von der jungen Frau bedienen lassen, sich beim fliegenden Wechsel zugrinsen und triumphierende Gesten machen, ist schon reichlich ekelhaft. Und es ist ein Vergnügen Sasses Ehefrau (Hilde Weissner) dabei zuzusehen, wie sie ihrem spießigen Mann die Untreue und Feigheit aufs Brot schmiert und der sich vor ihr windet, in Angst und Selbstmitleid zerfließend. Natürlich kommt alles ganz anders, aber man gönnt den dreien jede Sekunde, in der sie kaltschwießig um ihr Leben fürchten.

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moorEpisode 29: Der Moormörder (Wolfgang Becker, Deutschland 1971)

Im Moor wird eine Frauenleiche gefunden. In der Nähe befinden sich der Zweitwohnsitz des erfolgreichen Chirurgen Dr. Strobel (Charles Regnier)  sowie der marode Gasthof von Hässler (Harald Leipnitz). Beide wollen weder etwas gehört noch überhaupt eine fremde Person bemerkt haben. Doch dann stellt sich heraus, dass Strobel Stammgast in dem Tanzlokal war, dass auch das Opfer regelmäßig aufsuchte …

Charles Regnier. Ich mag ihn, sein Gesicht, seine Stimme und wie sie in Relation zu seinem Körper steht. Er erinnert mich auch an irgendjemanden von heute, aber ich komme nicht drauf, an wen. Er wirkt auf mich immer ein wenig so, als halte er alles um ihn herum für eine Komödie. Im positiven Sinne, nicht weil er nichts ernst nimmt, sondern weil das seine Weltsicht ist. Im wunderbaren DER WÜRGER VOM TOWER, wo er auch noch eine Doppelrolle spielt, gestikuliert er einmal im Bildhintergrund herum, anscheinend in Richtung Regisseur, aber es wurde einfach dringelassen. Hier erwartete ich auch zu jeder Sekunde, dass er etwas Vergleichbares macht, eiine Grimasse schneidet oder in eine spontane Tanzeinlage ausbricht, aber es ist ihm gelungen, seine Impulse im Zaum zu halten. Ich tue ihm bestimmt Unrecht, aber er bringt ein Element der konstanten Unsicherheit in Beckers Episode ein, die sonst eher geradlinig ist und in erster Linie durch ihr Wallace-Sujet besticht. Gerade auch, weil es wieder einmal um eine dysfunktionale Vater-Sohn-Beziehung geht und Regnier absolut nicht der Typ für diese preußischen Patriarchen ist, die mit eiserner Hand regieren und niemals Schwäche zeigen. Er bringt eine ganz neue Dynamik in den klassisch aufbereiteten Krimistoff. Ich mag ihn einfach.

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alberti6Episode 30: Besuch bei Alberti (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

Firmenchef Alberti (Carl Lange) legt großen Wert darauf, dass sein Angestellter Sidessen (Klaus Schwarzkopf) nicht sieht, welchen Besuch er nach Feierabend noch im Büro empfängt. Weil Sidessen aber etwas vergessen hat, kehrt er noch einmal um – und findet seinen Chef tot vor. Der Mörder kann nicht weit weg sein und Sidessen hechtet ihm hinterher, doch dann ist der Flüchtende verschwunden und da, wo er eigentlich sein sollte, steht Brink (Herbert Mensching), Albertis Schwager, ein unsicherer, zurückhaltender, beinahe ängstlicher Mensch, der von seinem Verwandten übel gedemütigt wurde …

Manchmal sind es eher kleine Details oder einzelne Figuren, die die KOMMISSAR-Folgen auszeichnen. „Besuch bei Alberti“ ist inhaltlich eher uninteressant, der Fall, den es für Keller und Kollegen zu klären gibt, ist unspektakulär, es gibt keine ausgefallenen Regieeinfälle oder wüsten Sleazeschübe – dafür war Staudte wohl nicht der richtige. Aber die Folge entwickelt sich zum slow burner, weil Brink in der Darstellung vom leider viel zu früh verstorbenen Herbert Mensching ein einziges Faszinosum ist und die Neugier, die Keller diesem rätselhaften Menschen entgegenbringt, einige wunderbar intime Szenen hervorbringt. Ich habe die ganze Zeit überlegt, woher ich Mensching kenne, ohne Erfolg. Beim Blick auf seine Filmografie fiel mir dann auf, dass ich ihn erst vor einigen Wochen in der DERRICK-Folge „Der L-Faktor“ gesehen habe. Dort spielt er einen völlig anderen Typen, einen erfolgreichen Wissenschaftler und Machtmenschen, das völlige Gegenteil von Brink, der von sich selbst sagt „keine Fähigkeiten“ zu haben. Und er spielt beide so überzeugend, dass man nicht darauf kommt, dass sich dahinter ein und derselbe Schauspieler verbirgt, auch wenn das Gesicht eben dasselbe ist.

Ein wichtiger Strang von „Besuch bei Alberti“ verfolgt Keller bei seinem Versuch dahinterzukommen, wer dieser Brink ist, ob er der Mörder sein könnte. Er begleitet ihn nach Hause, auf dem Weg holt sich Brink drei Flaschen Bier in einer Eckkneipe. Dann sitzen die beiden Männer zusammen, Brink erzählt von seinem Leben, Keller hört zu. Immer wieder fragt Brink ihn, ob Keller ihn für den Mörder halte, und Keller weiß es nicht, sagt das auch. Aber Brink bleibt ganz ruhig. Man hat Mitleid mit ihm, weil er in seinem Verlierertum sehr sympathisch ist – und ja, auch irgendwie gefestigt. Er weiß, wer und was er ist und hat sich damit abgefunden. Er scheint, wie der karrieregeile Sidessen einmal sagt, tatsächlich viel zu wenig entschlussfreudig, um einen Mord begehen zu können. Dann aber sieht man da ein kurzes Blitzen in seinen Augen: Vielleicht wartet er nur auf den richtigen Zeitpunkt, um allen zeigen zu können, wozu er wirklich fähig ist.

Herbert Mensching ist leider 1981 im Alter von nur 53 Jahren gestorben. Ich habe einen tollen Nachruf gefunden, der anlässlich seines Todes damals in der Zeit erschien, der sehr gut zu seiner Leistung in „Besuch bei Alberti“ passt. Aus einer mittelmäßigen Folge macht er mit seinem Spiel ein Ereignis.

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tanzEpisode 31: Ende eines Tanzvergnügens (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

Der Schneider Hans Stoltze wird vor seinem Haus erschlagen, nachdem er mit seiner Freundin Ilo Kusche (Alexandra Marischka) in einem „Beatschuppen“ war. Seine Schwester Lisa (Gisela Peltzer) ist völlig aufgelöst und äußert gegenüber Keller die Vermutung, dass das Mädchen etwas mit dem Tod zu tun habe. Die auffallend attraktive, schweigsame Ilo wird von ihrem Vater (Dirk Dautzenberg) behütet wie ein rohes Ei und kann sich über Verehrer nicht beklagen: Da sind Bigge (Wolfgang Schneider), ein Angestellter von Stoltze, und Barbosse (Karl Michael Vogler), in dessen Boutique Ilo arbeitet …

Was in den ersten Episoden von DER KOMMISSAR die finale Ansprache Kellers vor versammeltem Verdächtigenfeld war, ist zu diesem Zeitpunkt die Rückblende. In „Ende eines Tanzvergnügens“ wird sie im entscheidenden Moment sogar angehalten, während der Voice-over weiterläuft. Es ist das einzige Gimmick einer Episode, die wie die vorangegangenen Arbeiten Staudtes eher durch ihre detaillierten Charakterzeichnungen und genauen Beobachtungen besticht. Im Mittelpunkt steht die betörend schöne Ilo als geheimnisvolle Chiffre – ein Mädchen ohne Persönlichkeit, ohne Charakter, man erfährt nichts über sie, außer dass sie hübsch ist und ihr die Männerherzen zufliegen. Und dann diese Männer um sie herum, allen voran der Vater, der sie umgarnt wie ein Zuhälter sein bestes Pferd im Stall, genau wissend, dass sich ihre Schönheit für ihn in bare Münze umwandeln lässt. Der feine Boutiquenbesitzer Barbosse ist genau nach seinem Geschmack, ein Mann, der mit seinem Geld hausieren geht, für seine Gattin (großartig: Ellen Umlauf) aber nur noch Verachtung übrig hat. Toll ist auch der eher unbekannt gebliebene Wolfgang Schneider: Wie er zu Hause kurz vor dem ersehnten Date mit Ilo eine heiße Scheibe auflegt, sich sein bestes Jackett anzieht und dabei einen Triumphtanz auf den Teppich legt, ist ein weiteres Highlight in dieser Episode, die dann später noch „Paranoid“ von Black Sabbath abfeuert, zu dem Ilo mit geschlossenen Augen über die Tanzfläche schwoft wie ein arroganter Engel. Es ist die Summe Momente wie dieser, die „Ende eines Tanzvergnügens“ zu einem weiteren Gewinner von Staudte machen.

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anhalterEpisode 32: Die Anhalterin (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

Die Studentin Irmgard Lentz (Helga Lehner) wird tot an einem Bahngleis aufgefunden. Kurz zuvor war sie, wie fast jeden Samstag, als Anhalterin mit einem Lkw Richtung Stuttgart aufgebrochen. Wie Keller und Kollegen von ihrer Schwester Erika (Karin Baal) in Erfahrung bringen, hatte sie sich mit einem Fahrer sogar angefreundet. Während die Kriminalbeamten in der Spedition von Egon Schmett (Max Mairich) ermitteln und dessen Fahrer verhören, stellt sich Erika an die Autobahn in der Hoffnung bei jenem Fahrer zu landen, der ihre Schwester auf dem Gewissen hat …

Diese Episode hat nicht so viel für mich getan. Sie ist nicht besonders spannend, weil Karin Baal ihrer Erika viel zu viel Entschlossenheit und Autorität mitgibt, als dass man sich wirklich um sie sorgen müsste, das Drehbuch sich außerdem – der Konvention der Serie geschuldet – gar nicht traut, den Täter frühzeitig preiszugeben. Und dann wieder zu geradlinig, um von überraschenden Wendungen aus der Bahn geworfen zu werden. So bleiben eigentlich nur zwei Eindrücke/Szenen/Sequenzen hängen: der Auftakt, bei dem die Kamera Irmgard im morgendlichen Berufsverkehr verfolgt und der mit einem Blick aus eine fahrenden Zug auf einen rennenden Mann endet, der ihren leblosen Körper auf den Armen trägt, und die Schlusseinstellung, mit der dem Mörder soeben entronnenen Erika, die ins leere blickend an der Leitplanke der Autobahn steht, während die Kamera von ihr wegfährt. Aus ihrer geisterhaften Präsenz am Rande des grauen Asphaltbandes hätte man mehr machen können, als diese insgesamt überraschungsarme Folge. Sogar Werner Pochath ist verschenkt – trotz mal wieder absurdem Haarteil.

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Episode 33: Lagankes Verwandte (Wolfgang Becker, Deutschland 1971)

Laganke, Besitzer eines Juweliergeschäfts, wird bei dem Versuch, einen Einbrecher zu stellen, ermordet. Die Hauptverdächtigen sind Lagankes Bruder Joachim (Josef Meinrad), der beim Tod der Eltern und dem anschließenden Erbe einst der Benachteiligte war und in der Villa des Bruders zur Untermiete wohnt, und Sohn Michael (Ralf Schermuly), der gehört wurde, wie er in seiner Wohnung den genauen Tathergang voraussagte. Die beiden sind überzeugt, dass der jeweils andere der Schuldige ist …

Der Clou der Folge ist, dass sich ein ganz anderer als der eigentliche Täter erweist, die beiden Verdächtigen aber am Ende trotzdem die Arschlöcher der Folge sind – eigentich sogar fast noch mehr, als wenn sie selbst Hand angelegt hätten. Susanne Uhlen spielt ein enigmatisches Mädchen, Michaels Freudin, das die ganze Folge über nichts anderes macht, als mit großen Augen in die Kamera zu schauen: Am Ende geht sie einfach mit einem anderen mit, aber nicht ohne in einer Kneipe noch einmal enthemmt getanzt zu haben. Mir hat die Einstellung der beiden Verdächtigen gut gefallen, die sich nach der Enttarnung des Mörders darüber freuen können, nun rechtmäßige Besitzer der Reichtümer des Toten zu sein. Den Menschen, der da gewaltsam seinem Ende zugeführt wurde, haben sie längst vergessen.

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Episode 34: Der Tote von Zimmer 17 (Wolfgang Becker, Deutschland 1971)

Der italienische Zimmerkellner Mario (Peter Chatel) wird gesehen, wie er mit blutigen Händen aus dem Zimmer eines Gastes kommt, dessen Leiche nur wenig später entdeckt wird. Dass der Tote ein Auge auf das Zimmermädchen Andrea (Hannelore Elsner) geworfen hatte, in die auch Mario verliebt war, erhärtet den Verdacht. Doch Kommissar Keller hat berechtigte Zweifel an der Schuld des zurückhaltenden Mannes …

Ganz interessant, weil die ganze Folge in den Räumlichkeiten des Hotels spielt und Harry Klein undercover als Zimmerkellner arbeitet. Die Folge ist auch gut besetzt mit Peter Pasetti, Hans Quest, Hans Schweikart und Joseph Offenbach, aber insgesamt eher Standard. Der Blick auf den traurigen Alltag, der unter dürftigen Bedingungen lebenden Zimmerkellner und den Alltagsrassismus, der dem italienischen Gastarbeiter entgegenschlägt, ist aus heutiger Perspektive sehr erhellend – ein schönes Beispiel für die Gesellschaftskritik, die Reinecker in seinen Drehbüchern eher en passant entwickelt.

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lisaEpisode 35: Lisa Bassenges Mörder (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

Der Lokomotivführer Leo Bader (Klausjürgen Wussow) hat eine Beziehung mit der lebenslustigen Lisa Bassenge (Diana Körner), die ihn immer nackt am Fenster ihrer Wohnung an den Bahngleisen erwartet. Eines Tages findet Leo sie tot auf. Noch entsetzter über ihren Tod scheint aber sein gehbehinderter Bruder Alfred (Boy Gobert), der Keller fortan fleißig bei seinen Ermittlungen unterstützt.

„Lisa Bassenges Mörder“ ist nach den beiden vergangenen, eher herkömmlich gestrickten Episoden wieder ein Beispiel für die Verstrahlungsattacken, die Reinecker bisweilen aus der Feder flossen. Sein Alfred Bader dürfte eine der schrägeren Figuren sein, die er erdachte und die Struktur der Folge, die immer wieder durch Rückblenden aufgebrochen wird, passt dazu. Diana Körner darf als Lisa Bassenge eine Art positiver Femme fatale spielen: Eine Frau, deren sexuelle Freizügigkeit Männer nicht so sehr unterwirft wie sie selbst beflügelt. Alfred gesteht freimütig, die Freundin seines Bruders nur dreimal gesehen zu haben, sie aber trotzdem sehr gut zu kennen – und zu lieben. Die Besessenheit der Figur für die junge Frau ist befremdlich und trägt die Episode, auch wenn Boy Gobert es nicht so ganz gelingt, diese Obsession wirklich glaubhaft zu machen. Ein Unterschied zum zuletzt von mir gefeierten Herbert Mensching, bei dem man nie das Gefühl hatte, er spiele eine Rolle. Gobert stattet seinen Alfred mit allerlei Ticks aus, die umso mehr auffallen, als Klausjürgen Wussow, selbst nicht gerade als Ausbund der schauspielerischen Ökonomie bekannt, neben ihm gnadenlos zurückschraubt. Wahrscheinlich wäre sonst die Bildröhre explodiert. Gert Haucke hat einen schönen Auftritt als Spanner in der Nachbarwohnung.

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todEpisode 36: Tod eines Ladenbesitzers (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

In einer Kleinstadt wird der Inhaber eines Kramladens erschlagen, kurz nachdem er einen alten Mann unsanft hinausgeworfen hat. Der alte Mann ist ein Bewohner des in der Nähe gelegenen Altersheims, das von dem betrügerischen Sierich (Werner Kreindl) geleitet wird, der die alten Männer wie Gefangene behandelt und nur wenig Respekt oder Achtung für sie übrig hat. Auch der Tote hat bei den Rentnern einen einschlägigen Ruf. Keller ist schnell davon überzeugt, dass die Alten hinter dem Mord stecken: Der intelligente Ohlers (Curt Bois) scheint der Anführer zu sein. Und dann mehren sich die Zeiten, dass ein zweiter Mord bevorsteht …

Meisterwerk! Die Folge mit dem unscheinbaren Titel kokettiert ganz eindeutig mit dem Horrorfilm und die Szenen mit den ziellos im Park des Altenheims umherirrenden Rentnern erinnern Kenner heute ganz ohne Frage an George Romeros DAWN OF THE DEAD – damalige Zuschauer assoziierten vielleicht eher Hitchcocks THE BIRDS: Beides ist legitim. Die vermeintlich harmlosen Greise in ihren grauen Mänteln und Hüten werden sehr geschickt als unterschätzte Bedrohung aufgebaut: Wenn der freundliche Voss (Hans Hermann Schaufuß) ganz sachlich erklärt, er wisse, wie ein Todesschrei klinge, dann fällt einem wieder ein, über welchen „Wissensvorsprung“ die auf einmal gar nicht mehr so putzigen Opas verfügen und man ahnt, wozu sie einst einmal fähig waren. Das steckt ja eh in vielen Folgen von DER KOMMISSAR oder DERRICK mit: Man schaut da mitunter Menschen zu, die im Zweiten Weltkrieg munter mitgemischt haben.

Das reicht schon für denkwürdiges Fernsehentertainment: Werner Kreindl setzt als erst arschiger, dann zunehmend nervöser Sierich noch einen drauf. Ein Dialog zwischen Keller und einer alten Frau, die ihm erzählt, was es bedeutet, alt zu sein und von den jüngeren Menschen entweder bemitleidet oder aber gar nicht mehr gesehen zu werden, kommt in diesem Kontext nicht eben überraschend, trifft aber trotzdem ins Schwarze, weil Staudte alles in kontrastreiche Schwarzweißbilder kleidet, in deren Schatten sich der Tod versteckt. Am Ende werden die Mörder überführt. Es schockt sie nicht. Was macht es für einen Unterschied, ob man nun in dem einen oder dem anderen Knast einsitzt? Während die Schlussmelodie läuft, packen sie ihre Koffer, fast freudig über den bevorstehenden Tapetenwechsel.

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huebnerEpisode 37: Die andere Seite der Straße (Theodor Grädler, Deutschland 1971)

Auf offener Straße wird ein Mann im Beisein seiner Nachbarn (u. a. Gerd Baltus, Bruno Hübner und Klaus Höhne) erschossen. Doch die behaupten anschließend steif und fest, niemanden gesehen zu haben. Sie haben Angst: Denn am Ende der Straße ist ein berüchtigte Gangsterkneipe, und aus der kommt wohl auch der Mörder.

Reinecker bewegt sich mit seiner Geschichte diesmal tief ins Milieu, in einer Straße, deren Bewohner Angst vor dem Gesindel vor ihrer Wohnungstür haben, in einfachen Verhältnissen leben und sich davor fürchten, auch diese noch zu verlieren. Eine wichtige Rolle spielt der alte Galusch (Bruno Hübner), der Hausmeister, der einst von seiner Frau verlassen wurde und nun mit seiner Enkeltochter Eva (Christine Ostermayer) zusammenlebt. Die gemeinsamen Szenen der beiden sind der emotionale Anker der Folge und ungemein anrührend. Die einfache Arbeiterwohnung, auf deren Herd der zerknautschte, vom Leben betrogene Mann da abends seine Suppe anrührt, erinnerte mich nicht wenig an die Wohnung meines Großonkels, in der ich einen nicht unbeträchtlichen Teil meiner Kindheit zugebracht habe. Hübner ist brillant in der Rolle, und er hat eines dieser Gesichter, die es heute nicht mehr gibt, in die sich jahrzehntelange Entbehrungen eingegraben haben und die mehr als alles andere der Schwerkraft zu unterliegen scheinen. Wenn er da seinen ganzen Mut zusammengreift, nachdem seine Enkelin ihm erzählt hat, dass seine Gattin ihn immer für „zu dämlich für Geld“ hielt, und in die Gangsterkneipe schreitet, einen Deal planend, von dem der Zuschauer instinktiv weiß, dass es sein erster und letzter sein wird, möchte man ihm zurufen, sich ihm in den Weg stellen, ihn trösten, irgendwas tun, um ihn von seinem dummen Vorhaben abzubringen. Später begreift seine Enkelin wie verletzend ihre achtlos hingeworfene Bemerkung war, wie sehr sie die Würde und Selbstachtung eines ohnehin schon gebeutelten Mannes damit noch weiter ausgehöhlt hatte. Aber da ist es schon zu spät. Sein Tod hallt nach und „Die andere Seite der Straße“ wiegt auch wegen ihm schwerer als andere.

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hannibal_brooksIch habe erst vor kurzem erfahren, dass Oliver Reed und Michael Winner eine tiefe Freundschaft verband, der britische Schauspiel- und Tresengigant Reed dem kontrovers diskutierten Regisseur zudem die (turbulent verlaufene) Karriere verdankte. Dem jungen Reed mangelte es nicht an Selbstbewusstsein und auch nicht an schauspielerischem Talent, trotzdem schien er zu Beginn der Sechzigerjahre, als er in mehreren Hammer-Filmen den Psychopathen oder das Monster mimte, in einer Schublade gelandet zu sein, aus der es nur schwer war, wieder herauszukommen. Es war Michael Winner, der das in Reed schlummernde Potenzial erkannte, ihm 1964 die Hauptrolle in dem Gesellschaftsdrama THE SYSTEM gab und ihn so bekannt machte. Es folgten die weiteren Kollaborationen THE JOKERS (1967), I’LL NEVER FORGET WHAT’S ‚IS NAME (1967) und dann schließlich HANNIBAL BROOKS, ein breit angelegter Kriegs- und Abenteuerfilm mit einer Titelrolle, für die sich manche Hollywoodgröße wahrscheinlich die Hand abgehackt hätte. (1978 folgte dann noch THE BIG SLEEP, das Remake des gleichnamigen Noir-Klassikers).

HANNIBAL BROOKS, so viel schicke ich mal voraus, hat bei mir gestern voll ins Schwarze getroffen: Es ist ein Film, der eigentlich nicht funktionieren dürfte, der in anderen Händen mit großer Gewissheit zum oberpeinlichen Rührstück von disneyhafter Klebrigkeit verkommen wäre, in den Händen Winners, der nun nicht gerade für Sentimentalitäten bekannt geworden ist, aber ganz ohne durchsichtige Zuschauermanipulationen seine emotionale Kraft entfalten kann. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: HANNIBAL BROOKS erzählt von dem britischen Soldaten Stephen Brooks (Oliver Reed), einem ganz und gar nicht martialisch gesonnenem Schelm, der im Zweiten Weltkrieg in deutsche Kriegsgefangenschaft gerät und im Zoo zum Schaufeln von Elefantenscheiße verdonnert wird. Während seine Kameraden sich bei der neuen Tätigkeit schnell langweilen, enntwickelt Brooks hingegen ungeahnten Enthusiasmus und freundet sich rasch mit dem Elefantenweibchen Lucy an. Als der Zoo bei einem Bombenangriff verwüstet wird, nimmt er die Aufgabe auf sich, das Tier über die Alpen in die  Innsbrucker Zoo und die sichere Schweiz zu bringen. Ihm zur Seite stellt man den fiesen Nazi Kurt (Peter Carsten), den freundlichen Willi (Helmuth Lohner) und die polnische Tierpflegerin Vronia (Karin Baal). Es kommt bald zur Auseinandersetzung mit Kurt, bei der Brooks den Mann umbringt: Von nun an ist er auf der Flucht und mit dem Dickhäuter im Schlepptau natürlich eine gute Zielscheibe. Doch Brooks lässt sich nicht beirren. Auf dem Weg kommt ihm immer wieder der amerikanische GI Packy (Michael J. Pollard) zu Hilfe, der in den Alpen eine Art Partisanenkrieg gegen die Truppen des schurkischen von Haller (Wolfgang Preiss) führt.

Richtig gelesen: HANNIBAL BROOKS handelt von der durch nichts aufzulösenden Freundschaft zwischen einem britischen Soldaten und einem Elefanten, und Winner legt sie als eine Art modernes Update der berühmten historischen Geschichte des khartagischen Feldherrn Hannibal an, der mit seiner Elefantenherde über die Alpen ritt, um sich mit den Römern zu balgen. Brooks‘ Intention ist dieser natürlich genau entgegengesetzt, ebenso wie seine Wegrichtung: Er will mit dem Elefanten dem Krieg entkommen und setzt so inmitten der tosenden Unmenschlichkeit ein Zeichen der Fürsorge und Freundschaft. Dass das nicht zum kitschigen „Tiere sind die besseren Menschen“-Quark verkommt, liegt zu allererst an Reed, der hier eindrucksvoll beweist, zu was er wirklich in der Lage war. Viel zu selten durfte er diese Seite zeigen. Man kauft ihm die tiefe Verbundenheit zu dem Tier in jeder Sekunde ab, leidet mit ihm, wenn er den Elefanten zwischendurch verliert oder dieser erkrankt, merkt, dass der oft als schwierig, mürrisch oder gar gewalttätig beschriebene Schauspieler in dieser Rolle wirklich aufging: Der Bund zwischen Mensch und Tier ist echt, die Basis für den Erfolg von HANNIBAL BROOKS. Dann natürlich diese Bilder: Der Reiz, Reed mit dem grauen Koloss vor der beeindruckenden Alpenkulisse zu sehen, trägt fast allein über die 100 Minuten, aber Winner (der das Drehbuch nach eigener Idee mitverfasste) verlässt sich nicht darauf. Im Stile eines Road Movies oder, treffender, einer antiken Heldensage, gliedert er den Weg in kleinere Aufgaben und Abenteuer, sodass niemals Langeweile aufkommt. Da wird der in einem verlassenen Alpendorf nach Proviant suchende Brooks von zwei Nazis überrascht, muss er einen Tierarzt (Ralf Wolter) ausfindig machen, hilft er mit, einen Waffenzug entgleisen zu lassen, oder gerät er in die Hände Hallers. Wenn man von WInner sonst nur zynische Thriller gesehen hat, ist man mehr als erstaunt, wie gut gelaunt und beschwingt er erzählen kann.

Für das Quäntchen Merkwürdigkeit, das den Film endgültig in andere Sphären katapultiert, ist vor allem Michael J. Pollard zuständig. Der spiddelige Nuschler mit dem Gnomengesicht spielt den wahrscheinlich unwahrscheinlichsten Soldaten der Filmgeschichte, läuft als menschgewordener Deus ex machina durch den Film, der Brooks immer genau dann den Hintern rettet, wenn der endgültig in der TInte zu sitzen scheint, und wäre in jedem anderen Film in dieser Rolle zur reinen Lachnummer verkommen. HIer vervollkommnet Pollards unorthodoxes, manisches Spiel noch den Charakter des Films, der insgesamt nicht nur ein humanistisches Manifest gegen den Krieg und für die Völkerverständigung, sondern eben auch für die gesunde Spinnerei, den idealistischen Traum, den Kampf gegen die Windmühlen, die Andersartigkeit ist. Ich ließ mich gestern voller Freude über meine Entdeckung zu der Aussage hinreißen, dass HANNIBAL BROOKS einer der schönsten Filme sei, die ich je gesehen habe. Das ist möglicherweise übertrieben, aber es passt dann doch wieder perfekt zu diesem Film, der förmlich dazu herausfordert, die Welt zu umarmen und einen tanzenden Stern zu gebären. Ein Wunderwerk, wie es nur alle Jubeljahre mal entsteht, und eine Schande, dass er so unbekannt ist.

Die junge Frau Jane Wilson (Karin Baal) reist nach Blackwood Castle, dem Wohnsitz ihres soeben verstorbenen Vaters, um ihre Erbschaft anzutreten. Das alte, heruntergekommene Schloss, das ihr laut Testament zusteht, will der Anwalt (Hans Söhnker) sogleich für 10.000 britische Pfund verhökern, doch Jane denkt nicht daran. Währenddessen beginnt um das Anwesen das große Sterben: Im nahegelegenen Gasthof Old Inn versammeln sich dubiose Gestalten wie Connery (Heinz Drache) oder Fairbanks (Horst Tappert) und einige von ihnen fallen einem monströsen Hund zum Opfer. Jane Wilson ruft ihren Bekannten, Scotland-Yard-Chef Sir John (Siegfried Schürenberg) herbei, um hinter das Geheimnis der Morde zu kommen …
 
Bei Eintrag 25 der Wallace-Reihe der Rialto-Film gingen offenkundig bereits die Stoffe aus, die man für die Leinwand adaptieren konnte: DER HUND VON BLACKWOOD CASTLE ist eine Bearbeitung von Arthur Conan Doyles Sherlock-Holmes-Roman „Der Hund von Baskerville“ und basiert nur noch lose auf „Motiven“ von Edgar Wallace – was immer das auch heißen mag. Als weitere Neuerung übernimmt Sir John selbst hauptverantwortlich die Ermittlungen, ihm zur Seite steht seine adrette Sekretärin Miss Finley (Ilse Pagé), die sich von dem onkeligen Herren auch häufiger anschmachten lassen muss. Dass ihr das nicht nur gut gefällt, sondern sie ihn zu diesen Avancen gar noch ermutigt, passt zur sleazigen Altmänner-Schmierigkeit, die die einst so aseptische Reihe seit einigen Jahren förmlich übermannt. Für Heinz Drache ist in seinem letzten Wallace-Film immerhin noch Platz für eine Schurkenrolle und Horst Tappert feiert ebenfalls seinen späten Einstand: Er sollte während der Spätphase der Rialto-Wallaces noch zum Stammschauspieler avancieren. Von diesen kosmetischen Änderungen abgesehen, passt sich Vohrers elfter Wallace dem Durchschnittsniveau der Reihe an: Er ist, wie alle der späten, farbigen Wallaces, etwas pulpiger und schundiger als die frühen Beiträge, stärker auf Schauwerte und Gewalt ausgerichtet, inhaltlich jedoch deutlich beliebiger. Der Clou mit dem Hund, dem ein einäugiges Faktotum mit Schlangengift gefüllte Plastikzähne aufsetzt, ist deutlich weniger furchteinflößend, als es sich die Macher vielleicht erhofft hatten: Der arme Dobermann sieht mit seinen krumm und schief abstehenden Pappzähnen aus, als habe er einen veritablen Überbiss, und dass das Gift hier wieder einmal von einer Würgeschlange stammt, deren Biss beim besten Willen nicht tödlich ist, passt  zum Rummelplatz-Charme, den die Farbwallaces noch stärker versprühen als die frühen, schwarzweißen Produktionen. Dabei ist der Plot mit den einstigen verbündeten Kriminellen, die sich nach Jahren treffen, um ihre Beute neu aufzuteilen, so interessant, dass es der albernen „Grusel“-Beigabe gar nicht wiurklich bedurft hätte.
 
Die Edgar-Wallace-Checkliste:
 
Personal: Siegfried Schürenberg (14.), Kurt Waitzmann (7.), Heinz Drache (6.), Harry Wüstenhagen, Kurd Pieritz (5.), Ilse Pagé, Tilo von Berlepsch (4.), Agnes Windeck, Uta Levka, Alexander Engel, Arthur Binder (3.), Karin Baal, Mady Rahl, Rainer Brandt, Heinz Petruo (2.), Horst Tappert, Otto Stern, Paul Berger (1.). Regie: Alfred Vohrer (11.), Drehbuch: Herbert Reinecker (6.), Musik: Peter Thomas (15.), Kamera: Karl Löb (11.), Schnitt: Jutta Hering (8.), Produktion: Horst Wendlandt (22.), Erwin Gitt (3.).
Schauplatz: Blackwood Castle und Umgebung. Gedreht wurde in Berlin, u. a. auf der Pfaueninsel.
Titel: Bezieht sich auf den Hund, der ums Schloss stromert und unliebsame Subjekte aus dem Weg räumt.
Protagonisten: Sir John übernimmt allein die Ermittlungen, Karin Baal gibt das weibliche Opfer, Heinz Drache und Horst Tappert spielen dubiose Männerfiguren.
Schurke: Es gibt gleich mehrere Schurken, die sich gegenseitig umbringen.
Gewalt: Mehrere Hundeattacken, ein Autounfall, Erschießungen.
Selbstreflexion: Alfred Vohrer absolviert einen Cameo-Auftritt, Begrüßungsformel zu Beginn.

Von Filmen wie diesem, Alfred Vohrers Wallace-Debüt DIE TOTEN AUGEN VON LONDON, kann ich gar nicht genug bekommen. Das liegt wohl auch daran, dass es nur sehr wenigen Filmemachern gelungen ist, diese pulpig-grell-krachige Aufbereitung ursprünglich subtil angelegten Gothic Horrors hinzubekommen, die man aus Groschenheftchen und Horrorcomics kennt (und die ich vor allem mit den Europa-Gruselhörspielen aus den Achtzigern assoziiere). Gleich von Beginn an zieht Vohrer alle visuellen Register: Der Nebel wabert übers nächtliche Kopfsteinpflaster, das Wasser der Themse plätschert trüb dahin und aus dem Schatten schält sich der kahlgeschorene Quadratschädel eines Blinden, dessen milchige Pupillen ins Leere starren wie die Scheinwerfer eines fahrerlosen Autos. Mit seinen beiden narbenübersäten, gorillaartig behaarten Armen erwürgt er einen Passanten, das Gesicht zu einem hirnrissigen Grinsen verzerrt, und wirft ihn in das schwarze Gewässer. Heinz Funks dissonanter Score bürstet einem die Nackenhaare auf Hab-Acht-Stellung und rote Blutflecken besudeln das Schwarzweiß, bevor der Titel eingeblendet wird. Die Weichen sind gestellt: Vohrer schmeißt alle Whodunit-Betulichkeit, die die Vorgänger noch so gemütlich machte, gnadenlos über Bord und dreht alle Regler konsequent auf 10. Sein London ist nicht mehr der Ort der distinguierten Gentlemen und der raffinierten Gangster, keine schillernde Geschäftsmetropole, sondern in den Zeiten von Jack the Ripper stehengeblieben, voller dunkler Gassen, schattiger Winkel und verfallener Gemäuer, in denen das Unsagbare vorgeht. Man nehme nur die Szene, in der der blinde Jack (Ady Berber) und sein ebenfalls blindes Helferlein zu den Klängen von Beethovens Fünfter, die aus dem Blindenheim herunterschallt, in ihrem Kellergewölbe die Vorbereitungen zum fachmännischen Versenken einer Leiche vornehmen: Da werden Hebel umgelegt und Ventile gedreht, ein archaisch anmuternder Mechanismus in Gang gesetzt und schließlich mit roher Gewalt eine Kippe bedient, die den leblosen Körper in die Tiefe befördert. Nicht nur fühlt man sich hier an die urigen Keller-Laboratorien aus den alten Universal-Frankensteins erinnert, diese Bilder suggerieren auch ein schicksalhaftes Wirken im Untergrund, das die Vorgänge auf der Oberfläche wesentlich steuert und beeinflusst. In Vohrers Film ist es nur logisch, dass eine Bande Blinder London terrorisiert: Eine Stadt dieser Größenordnung ist ein durch und durch chaotisches Gebilde, der Glaube an eine „Ordnung“, den Scotland Yard und seine Beamten  aufrechterhalten wollen, naive Spinnerei. Da ist sie wieder, die Paranoia: Doch hier ist sie schon in das Stadium fiebrigen Wahns übergegangen, dem dann als letzte Eskalationsstufe nur noch der akute Herzanfall folgt.

Die Handlung: Scotland Yard steht ratlos vor einer Mordserie. Regelmäßig in Nebelnächten ertrinken ältere, bebrillte Herren in der Themse. Weil Inspektor Larry Holt (Joachim Fuchsberger) bei einem Toten einen Zettel in Blindenschrift findet, erinnert er sich an das einstige Treiben einer Bande namens „die toten Augen von London“ und holt sich die Krankenschwester Nora Ward (Karin Baal) zur Hilfe, die  einst in einem Blindenheim arbeitete. Weil Holt vermutet, dass es eine Verbindung des Mörders zum Blindenheim von Reverend Dearborn (Dieter Borsche) gibt und sich Hinweise erhofft, schleust er Nora als Hilfskraft dort ein. Unterdessen führen ihn seine eigenen Ermittlungen zum Versicherungsmann Judd (Wolfgang Lukschy): Der sieht sich nicht nur einem beunruhigenden Ansturm von erpresserischem Gesindel gegenüber, sondern auch dem Massensterben seiner Klienten …

Vohrer hat sichtlich Spaß an seiner Geisterbahn-Version des deutschen Expressionismus. Die Kamera muss sich nicht länger damit begnügen, das Geschehen gleichsam als neutraler Betrachter einzufangen, sondern mischt stattdessen kräftig mit: Einmal schaut sie sogar aus dem Mund eines Mannes heraus, der gerade eine Munddusche erhält, und bei einem Dialog zwischen Klaus Kinskis Edgar Strauss und einem Gauner namens „Flimmer-Fred“ (Harry Wüstenhagen) nutzt sie die Spiegelgläser von Kinskis Sonnenbrille ausgesprochen geschickt und effektvoll. Weitere Beispiele ließen sich aufzählen, aber dann fehlte mir möglicherweise der Platz, um noch einmal auf die oben schon angesprochene Szene mit Beethovens Fünfter einzugehen. Wenn die versammelten Blinden da in ihren erbarmungswürdigen Lumpenkleidern an einem langen Holztisch ihr frugales Mahl zu sich nehmen, ihre leeren Blicke ob des Auftritts einer fremden, neuen Person hilflos suchend umherschweifen lassen, ist das für sich genommen schon ein starkes Bild. Aber in DIE TOTEN AUGEN VON LONDON muss eben immer noch einer draufgesetzt werden, weshalb der ebenfalls blinde Reverend als nächstes Beethovens Sinfonie anwirft. Wie Nora Walker sich sichtlich unwohl fühlend neben dem ergriffen lauschenden Reverend auf einer bescheidenen Bank sitzt, die uralten, kalten Mauern des Blindenheims um sie herum, die in ihr allabendliches Ritual versunkenen Blinden an ihrem Tisch, und Beethovens Klänge alles erdrückend über der bizarren Szenerie, da greift die eiskalte Beklemmung auch auf den Betrachter über. Die Ausflüge in die Büros von Scotland Yard und eines dubiosen Versicherungsmannes, dessen Klienten nach Abschluss einer Lebensversicherung auf dubiose Weise ums Leben kommen, dienen zur Erholung ob solcher düsterer Szenen und gewährleisten, dass die Kluft zu den vorangegangenen Wallace-Filmen nicht allzu groß klafft. Das Herz dieses Films schlägt aber ganz woanders: Nicht bei der Polizei und ihren braven Ermittlern, sondern da, wo die von der Welt Vergessenen ihr Dasein fristen, in den kalten Londoner Nebelnächten, im Rinnstein, am schlammigen Ufer der Themse, in den Kellern, die seit Jahrzehnten niemand mehr betreten hat, bei den Krüppeln, den kleinen Ganoven, den Vagabunden und Bettlern, die in ihren Verstecken verschwinden, sobald der Tag anbricht, aber die Stadt fest in den Händen haben, wenn der Mond bleich vom Nachthimmel herableuchtet wie die glotzenden Augen des blinden Jack …

Die Edgar-Wallace-Checkliste:

Personal: Eddi Arent (5.), Joachim Fuchsberger (3.), Harry Wüstenhagen (2.), Karin Baal, Klaus Kinski, Dieter Borsche, Anneli Sauli, Ady Berber, Rudolf Fenner, Hans Paetsch, Manfred Greve, Günther Jerschke, Kurt A. Jung, Joseph Offenbach, Gertrud Prey, Werner Reinisch und Joachim Wolff (1.). Regie: Alfred Vohrer (1.), Drehbuch: Egon Eis (als Trygve Larsen) (3.), Musik: Heinz Funk (3.), Kamera: Karl Löb (1.), Schnitt: Ira Oberberg, Produktion: Horst Wendlandt (2.).
Schauplatz: London, Scotland Yard, düstere Straßen am Themseufer, ein Blindenheim, ein Casino, Keller und Mietswohnungen. Gedreht wurde in Hamburg.
Titel: „Die toten Augen von London“ bezeichnet zum einen die Bande blinder Verbrecher, die London unsicher macht, zum anderen deren Haupttäter, den blinden Jack Farrell, dessen blindes Starren der Film in den Vordergrund rückt. Außerdem der erste Film der Reihe, der im Titel Bezug auf die britische Metropole nimmt.
Protagonisten: Die Scotland-Yard-Beamten  Larry Holt und Sunny Harvey sowie die schöne Nora Ward, die wegen ihrer beruflichen Erfahrung mit Blinden zur Hilfe hinzugezogen wird – und auch anderweitig in die Mordserie involviert ist.
Schurke: Der blinde Jack und seine Bandesowie als Drahtzieher im Hintergrund der Leiter des Blindenheims Reverend Paul Dearborn und der Versicherungsmann Stephen Judd.
Gewalt: Hauptsächlich Strangulationen, aber auch Erschießungen sowie ein Absturz und eine versuchte, aber rechtzeitig vereitelte Verbrennung.
Selbstreflexion: Regisseur Alfred Vohrer tritt als Polizist auf.

Beim Tête-à-Tête mit ihrem Lehrer Prof. Rosseni (Fabio Testi) beobachtet die Schülerin Elizabeth (Cristina Galbó) den Mord an einer Klassenkameradin. Weitere Morde an Schulmädchen folgen. Rosseni begibt sich selbst auf Spurensuche und bietet sich damit nicht nur  dem ermittelnden Scotland-Yard-Inspector Barth (Joachim Fuchsberger) als Tatverdächtiger an, er riskiert auch, dass seine Ehefrau, die Deutschlehrerin Herta (Karin Baal) von seiner Affäre erfährt …

Die geistige Verwandtschaft italienischer Giallos mit den bundesdeutschen Mysterykrimis der Edgar-Wallace-Reihe ist längst nicht nur produktionstechnischen Überschneidungen geschuldet. In beiden Genres wurde der eher bürokratische Aspekt von kriminalistischer Arbeit zugunsten der Darstellung garstiger Gräueltaten, der Betonung menschlicher Abgründe und der Anknüpfung an gothische Schauerwelten vernachlässigt, wenn nicht gar ganz verworfen. Die Filme, die dabei entstanden, hatten eher selten etwas mit der Realität zu tun, entsprachen eher dem Wunsch des Publikums nach Sex and Crime. COSA AVETE FATTO A SOLANGE?, der unter dem Titel DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL als später Beitrag zur deutschen Erfolgsreihe entstand, ist sowas wie der direkte Kreuzungspunkt beider Genres, aber eigentlich viel zu seriös, ambitioniert und stilvoll, um ihnen einverleibt zu werden. Der Fan der staubigen Edgar-Wallace-Filme, die immer wieder mit augenrollenden Psychopathen, nebligen Londoner Seitenstraßen und nervigen Comic Reliefs aufwarteten, wird von Regisseur Massimo Dallamano allenfalls noch mit der Anwesenheit Joachim Fuchsbergers und den Grundzügen des Plots angesprochen, dürfte von der recht ernsten und düsteren Geschichte um eine Abtreibung und ihre tragischen Folgen dann aber nur noch wenig anzufangen wissen. (Behaupte ich jetzt mal, denn die Verbindung zur Erfolgsreihe bleibt einem als Zuschauer der englischen Synchronfassung weitestgehend verborgen.) Aber auch der Vergleich mit den ihm vielleicht näher stehenden Giallos, wie sie in überwiegend in Südeuropa entstanden, hinkt, selbst wenn er die wichtigsten Zutaten mit diesen teilt: eine rätselhafte Mordserie eines wenig zimperlichen Mörders, die von einem eifrigen Kriminalisten und einem selbst unter Verdacht stehenden Zivilbürger aufgeklärt werden muss, und eine Handlungsentwicklung, die immer wieder durch die Unzuverlässigkeit der Wahrnehmung ihrer Protagonisten beeinflusst wird.

Massimo Dallamano, dem für die Kameraarbeit für Leones PER UN PUGNO DI DOLLARI und PER QUALCHE DOLLARO IN PIÙ ein Platz in der Filmgeschichte sicher ist und dessen spätere Regielaufbahn leider durch einen tödlichen Autounfall jäh beendet wurde, erzählt sein Geschichte mit traumwandlerischer Sicherheit, unterstützt durch die famose Kameraarbeit Aristode Massaccesis (deren Qualität in keinem Verhältnis zu seinen streitbaren inszenatorischen Fähigkeiten steht) und einen wie immer albtraumhaft schönen Score von Ennio Morricone: Allein der kurze Moment, indem seine dissonant-sirenenhaft wimmernden Streicher für einen kurzen Augenblick tatsächlich mit der diegetischen Sirene eines Notarztwagens verschmelzen, lohnt schon das Ansehen. Was COSA AVETE FATTO A SOLANGE? jedoch am meisten auszeichnet: Bei aller Zielorientierung, die einen Krimi nun einmal prägt, überieht Dallamano nie, dass diesem singulären Verbrechen gesamtgesellschaftliche Tendenzen zugrunde liegen, die mit der Aufklärung eines Falls längst noch nicht behoben sind. Zwischen Eltern- und Kindergeneration klafft ein tiefer Graben, in ihrem fortgeschrittenen sexuellen Selbstverständnis finden die Teeniemädchen keinen Orientierungspunkt mehr, sind gänzlich auf sich allein gestellt und die Erwachsenen scheinen sich um ein Verständnis dieser neuen Probleme ihrer Kinder gar nicht zu bemühen. Wie verfahren die Situation ist, erkennt man daran, dass den Mädchen ausgerechnet der kirchliche Beichtstuhl als Rückzugsort einfällt: Das kann ja nur böse enden. Und auch der Held des Films, der schöne Prof. Rosseni, ist wenn schon nicht direkt, so doch mindestens indirekt an den Problemen beteiligt, wenn er sich als verheirateter Mann – noch dazu als Lehrer! – mit einer 18-Jährigen einlässt.

Dallamano löst alle unterschwellig brodelnden Konflikte niemals auf: Wenn auch Rossenis Geliebte dem Mörder zum Opfer fällt, sich später dann aber herausstellt, dass diese noch Jungfrau war, nehmen er und seine Gattin das Eheleben fast erleichtert und in dem Bemühen wieder auf, so zu tun, als sei nichts gewesen. Doch ihre gemeinsamen Szenen sind ab diesem Zeitpunkt noch um ein Vielfaches unangenehmer als vorher, wo sie einen unbeholfenen Eiertanz aufführten, um das heikle Thema „Ehebruch“ bloß nicht ansprechen zu müssen. Mit sichtbarer Abscheu voreinander oder schmerzhaft anzusehender Selbstverleugnung tauschen sie banale Freundlich- und Zärtlichkeiten aus, anstatt die offene Aussprache zu suchen. Diese Gesellschaft, so versteht man, ist perfekt darin, Probleme zu leugnen, sich selbst zu belügen und heile Welt vorzugaukeln. Zurück bleiben Leichen und zerstörte Seelen wie Solange. Was hat man ihr bloß angetan?