Mit ‘Kinderfilm’ getaggte Beiträge

Es ist ja doch erstaunlich, dass es auch nach 35 Jahren Filmeschauen, in denen ich vor dem Schrägen, Obskuren, Bescheuerten und Missglückten nicht gerade zurückgescheut bin, immer noch Filme gibt, die mir die Schuhe ausziehen und mir das Gehirn an die Schädeldecke nageln. Zehetgrubers NESSIE hat mich gestern beim Mondo Bizarr verstört, genervt, in die Verzweiflung getrieben, gelangweilt, fasziniert und in dieser Melange auch irgendwie begeistert (nur wiedersehen muss ich ihn erst einmal nicht). Man kann sich als denkender Mensch nur wundern, wie so etwas entsteht. Was dachten die Verantwortlichen und Beteiligten nur, als sie diesen Kram fabrizierten und dann am Ende zum ersten Mal sahen? Waren sie wirklich der Meinung, dass dieser Film mit seiner abscheulichen Titelkreatur – ohne Zweifel ein kläglich gescheiterter Versuch, sich an den im Vorjahr mit großem Erfolg gelaufenen DIE UNENDLICHE GESCHICHTE und den Kuscheldrachen Fuchur anzuhängen – den Ansprüchen des anvisierten Familienpublikums genügte? Dass er dem entsprach, was ein deutsches Kind unter vergnüglicher Unterhaltung verstand? Dass er all das war, was er ohne Zweifel sein wollte: nämlich witzig, turbulent, spektakulär, spannend, fantasievoll, rührend? Oder erkannten sie konsterniert, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes ein Monster geschaffen hatten, einen Film, der so kaputt, missraten und gestört war, dass man ihn zum Schutz der Menschheit eigentlich verbrennen oder besser noch verkapseln und ins Weltall schießen musste? Klar, die Filmgeschichte ist voll mit fürchterlich missglückten, potthässlichen Filmen, sowohl kleinen Billigheimern, bei denen das Versagen auf die Mischung aus zu wenig Geld, ungünstigen Produktionsbedingungen und mangelndem Talent zurückzuführen war, als auch Großproduktionen, bei denen nicht selten aufgedunsene Egos oder die Einmischung der Produzenten verantwortlich waren, wenn etwas unheilvoll schief ging. NESSIE liegt zwischen diesen Extremen: Zehetgruber war im deutschen Film wenn auch gewiss keine Größe, so doch ein Mann, der einige Erfolge vorzuweisen hatte und über langjährige Erfahrung verfügte. Die Besetzungsliste versammelte Profis wie Horst Niendorf, Christian Rode, Ulli Kinalzik oder Gerd Duwner, die, wenn sie auch nicht selbst als Hauptdarsteller in Erscheinung getreten waren, so doch als Nebendarsteller agiert und darüber hinaus als Synchronsprecher etlichen Stars ihre markanten Stimmen geliehen hatten. Ähnliches traf auch auf die „Jungstars“ Oliver Rohrbeck und Tobias Meister zu, die hier allerdings erneut ziemlich eindrucksvoll Zeugnis davon ablegen, warum allein ihre Stimmen zu ihrer Marke wurden. Und auch der Rest der Stabliste ist voller Professionals, die man zwar nicht unbedingt namentlich kennt, die gewiss auch nicht als Meister ihres Faches gelten, die ihr Handwerk aber ohne Zweifel verstanden. Trotzdem geht hier wirklich nichts zusammen.

NESSIE, DAS VERRÜCKTESTE MONSTER DER WELT bedient sich einerseits beim unsterblichen Mythos des Monsters von Loch Ness und verbindet das mit einem tranigen Krimiplot, grauenvoll unwitzigem Humor, hirnrissigen Gimmicks und einem haarsträubenden Monsterdesign zu einem Spektakel, das sich jedem Versuch, ihm mit den Mitteln der Sprache auf den Leib zu rücken, entwindet wie ein in zwei Teile geschnittener Regenwurm. Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich die Story, die der Film da erzählt, nicht verstanden habe. Was gewiss nicht an ihrer überdurchschnittlichen Cleverness liegt, sondern eher daran, dass das Gehirn des Betrachters nach einiger Zeit aus reinem Selbstschutz herunterfährt und nur noch Bruchteile dieses nach archaischen alchimistischen Regeln zusammengebrauten Werkes an ihn heranlässt. Es geht um die Tochter der wohlhabenden Campbell-Familie, die durch einen Unfall bei den Mackenzies landet, die in ihrer Werkstatt neben allerlei anderem Firlefanz auch ein Roboternessie zusammengeschraubt haben und damit Unfug treiben. Am Ende kommt irgendwie ein Lösegeld ins Spiel, ein verrückter Bruder (Gerd Duwner), der etwas an Teddy Brewster aus ARSENIC AND OLD LACE erinnert, und natürlich das echte Nessie, eine wahlweise lächerliche bis abscheuliche Effektschöpfung, die vom vollkommen verblendeten Marketing tatsächlich in den Mittelpunkt der Promotion gerückt und als Konkurrenz zum weiter oben erwähnten, ungleich überzeugenderen Flugdrachen Fuchur aufgebaut wurde. Nessie sieht wirklich so beschissen aus wie auf dem Bild da oben, bewegt sich, als leide es an einem schweren Gehirnschaden und macht auch solche Geräusche. Dazu ist es vollkommen nutzlos und bekommt als gerechte Strafe eine Kugel in den Hals (!), an der es aber leider nicht qualvoll verendet. Wenn man den Film im Fieber betrachtet, löst er wahrscheinlich schwere Schäden aus. Dazu wird Rohrbeck, Identifikationsfigur für das jugendliche Publikum, das NESSIE nie zu Gesicht bekam, weil es 1985 schon zu klug war, um sich eine solche Scheiße andrehen zu lassen, dazu gezwungen, sich in einer Tour in einem Jargon zu artikulieren, den Drehbuchautor Zehetgruber offenkundig für authentische Jugendsprache hielt. Es ist einfach nicht zum Aushalten. Alle, wirklich alle humoristischen Versuche des Films scheitern kläglich, was auch deshalb so schmerzhaft auffällt, weil keiner von ihnen auch nur ansatzweise homogen in die Handlung eingebunden wird. NESSIE, DAS VERRÜCKTESTE MONSTER DER WELT hat weniger Lacher als Pasolinis SALÒ O LE 120 GIORNATE DI SODOMA oder IDI I SMOTRI und besteht nahezu ausschließlich aus Schnittmüll, der bei anderen Filmen selbst aus den Outtakes und Bloopers im Bonusmaterial aussortiert worden wäre.

Hauptübeltäter des Films ist ganz ohne Zweifel Zehetgruber, der als Writer-Director wirklich keine Ausrede hat. Aber er bestätigt hier eigentlich auch nur, was man eh schon wusste, wenn man mehr als einen Film von ihm gesehen hat. Man muss seine Fähigkeit, durch einen Wink seiner geübten Hand wirklich alles leblos, träge, lauwarm und langweilig zu machen, ein graues Leichentuch über den Dingen auszubreiten, als außerordentliche Gabe begreifen. Ich kann das gar nicht wirklich beschreiben: Es passiert eine Menge dummes Zeug in NESSIE, trotzdem fühlt man sich bei der Sichtung, als würde man während eines Schneesturms mit Bleischuhen durch Teer laufen, in Richtung eines unbekannten, aber mit jedem Meter uninteressanter und sinnloser werdenden Ziels. Einmal lockert eine aus einem über den See rasenden Helikoper gefilmte Kamerafahrt das rammdösige Tempo des Films auf und diese zwei, drei Sekunden wirken wie der Zug aus der Sauerstoffflasche, nachdem man drei Minuten lang die Luft angehalten hat. Aber weil wir bei Zehetgruber sind, bleibt es bei dieser Ausnahme, geht es danach sofort weiter in diesem Trantütentempo, das an einen langweiligen Schunkelschlager erinnert, der zu langsam abgespielt wird. Ich weiß nicht, ob Zehetgruber einfach nur schlampig war: Er war deutlich zu lang im Geschäft, als dass man seine Tätigkeit auf einen Irrtum zurückführe könnte, was nahelegt, dass er eine sehr spezielle Weltsicht und Ästhetik sein eigen nannte. Dafür sprechen auch solche Absonderlichkeiten wie das von Ilja Richter angeführte Fernsehteam, das nur aus ihm besteht und seinen Bericht über das sensationelle Seeungeheuer Nessie offensichtlich ohne Kameras zu produzieren gedenkt. Was passiert da eigentlich, um Himmels willen? Gibt es diesen Film wirklich oder habe ich ihn nur geträumt? Es ist einfach nicht in Worte zu fassen. Unter den vielen, vielen rätselhaften Scheißfilmen, die die Filmgeschichte hervorgebracht hat, nimmt NESSIE tatsächlich einen Sonderplatz ein.

Ich habe meistens Mitleid mit Filmen, die scheitern, weil ich die Träume sehe, die hinter ihnen stehen, aber hier empfinde ich es als tröstlich, zu wissen, dass die Zahl der Kinder, die sich in Erwartung eines großen, spannenden, die Fantasie anregenden, herzerwärmenden Spektakels in eine Vorführung von NESSIE verirrten und so traumatisiert, geschädigt, für die Verlockungen des Kinos auf ewig verloren und schlicht um 90 Minuten Freude betrogen wurden, sehr überschaubar blieb. Vor meinem geistigen Auge sehe ich ihn vor mir, diesen blässlichen Jungen namens Torben, der nie zu den Coolen gehörte, aber dann zum achten Geburtstag all seine Freunde in eine Vorstellung von NESSIE mitnehmen durfte. Die Vorfreude war groß, endlich würde er dazugehören. Aber er kam als Gebrochener aus dem Kino, als Außenseiter, man hatte ihm einen Tag gestohlen, der ein Triumph hätte sein sollen und stattdessen in einem Trauerspiel endete. Seine vermeintlichen Freunde redeten nie wieder über NESSIE und eingeladen hat ihn danach auch keiner mehr. Keine Ahnung, was aus Torben geworden ist. Dieser Text ist auch für ihn. Ich verstehe Torben und weiß, warum er manchmal auf die Welt schaut und nur Enttäuschung fühlt. Es ist der Zehetgroove. Nicht jeder kann ihn fühlen. Es braucht besondere Antennen dafür. Und irgendwann, wenn man alt genug ist, kommt man damit klar. Dann kann er einem nichts mehr anhaben. Und die Sichtung von NESSIE, die ist wie diese Narbe, die man sich man selbst zugefügt hat und die einen stärker macht, wenn man sie betrachtet.

Unser Familien-Halloween-Film: Roald Dahls doch ganz schön fieses Kinderbuch habe ich noch vor wenigen Jahren regelmäßig meiner Tochter vorgelesen – sie konnte nicht genug davon bekommen, hatte aber seltsamerweise keine Angst davor. Das war gestern ein bisschen anders, denn das meiste hatte sie längst vergessen und das schöne Hexen-Make-up für Anjelica Huston sowie der fehlende Finger der lieben Oma verfehlten ihre Wirkung nicht. Am Ende überwog aber dann doch die Begeisterung und Freude, die niedlichen Mäuschen haben sicher auch nicht geschadet und im Gegensatz zu meiner Gatti und mir, die ob des furchtbar aufgesetzten, von Roeg mit sichtbarem Widerwillen inszenierten Happy Ends mit der Nase rümpften, waren die beiden glücklich, dass der kleine Luke (Jasen Fisher) von seinem Fluch befreit wird – Roald Dahl hatte in seinem Buch natürlich auf einen solchen Rückzieher verzichtet. Dabei eignen sich Dahls Bücher und Geschichten auch ohne Modifizierungen wunderbar für Verfilmungen: Neben seinen wilden, makabren Ideen und den lebhaften Beschreibungen, die geradezu danach schreien, in Film übersetzt zu werden (meist liefert er oder ein anderer Zeichner die passenden Illustrationen direkt mit), bringt er auch schon eine ideale Zuschauerperspektive mit, indem er dem Leser den Blickwinkel der Kinder auferlegt. Mit Nicolas Roeg und Jim Henson haben sich dann auch genau die richtigen dieses schönen Stoffes angenommen: Künstler, die in Bildern denken, ihre Inspiration aus Märchen und Träumen beziehen, dabei aber auch immer wieder in die beunruhigenden Tiefen des Unterbewusstseins vordringen, unsere Dämonen in Bann schlagend.

THE WITCHES ist eine Geschichte um den lauernden Tod, der besonders Kinder werbend umgarnt: In Norwegen berichtet Oma Helga (Mai Zetterling) ihrem Enkel Luke von Hexen, die vor dene sich Luke in Acht nehmen müsse, von den schrecklichen Dingen, zu denen sie in der Lage sind und woran man sie erkennt. All das Wissen nützt dem Jungen nichts, als er nach dem Unfalltod seiner Eltern im gemeinsamen England-Urlaub mit der Oma mitten in eine Versammlung britischer Hexen stolpert, in der die Oberhexe (Anjelica Huston) von ihren Plänen berichtet, alle Kinder mittels eines Zaubertrankes in Mäuse zu verwandeln. Nachdem sie das Mittelchen am verfressenen Bruno (Charlie Potter) getestet hat, wid auch Luke verwandelt. Doch er und Bruno können als Mäuse entkommen und schmieden zusammen mit der Oma einen Racheplan.

THE WITCHES ist tatsächlich ein Glücksfall, vereint alle Stärken von Dahls Buch und belebt dessen wilde Geschichte mit großem Drive, geschäftigem Slapstick, pointierten, temporeichen Dialogen, tollen Performances und natürlich den fantasievollen Effekten aus Henson Effektlabor. Dreh- und Angelpunkt ist wie im Buch die lange Sequenz im Tagungsraum, die die fantastische Huston für eine wahre Demonstration ihrer Kunst nutzt. Ihre Oberhexe ist für die Ewigkeit, voller Autorität, sadistischer Boshaftigkeit, aber auch jeder Menge dunklen Sex Appeals. Und die Schauspielerin genießt es, diese tolle Figur mit raumgreifenden Szenen, diabolischem Charme und arrogantem, lustvollem Funkeln in den Augen zum Leben zu erwecken, während um sie herum ein ganzer Saal glatzköpfiger Hexen vor Begeisterung gackert. (Den Pfiff des Films erkennt man in dem ebenso einfachen wie wunderbaren Einfall, einen Teil der Hexen von Männern spielen zu lassen.) Für Witz sorgen auch Rowan Atkinson als großtuerischer, letztlich aber duckmäuserischer Hoteldirektor, dessen Betrieb zu seinem großen Entsetzen im Chaos versinkt, als sich die versammelten Hexen unter großem Gekreisch in Mäuse verwandeln und die restlichen Gäste in Panik versetzen, sowie Bill Paterson als desinteressierter Vater Brunos, der ständig seine Verachtung für das unter seiner Würde liegende Hotel zum Ausdruck bringt. Mai Zetterling kommt als fürsorglicher Oma der Part zu, den Film mit einer geerdeten Performance zusammenzuhalten; eine Aufgabe, die sie mit Bravour meistert. Und Roeg wahrt mit ihr zusammen auch in den traurigeren Momenten des Films die Dahl’sche Zurückhaltung, ersäuft ihn niemals in Gefühlsduselei, Sentimentalität oder Pathos. Leider konnte er sich offensichtlich nicht gegen seine Produzenten durchsetzen, als diese auf ein wirklich saudummes, weil komplett unmotiviertes Happy End bestanden. Wie aus dem Nichts taucht eine der Hexen, die Lukes Giftanschlag entgangen war, bei ihm auf und verwandelt ihn in einen Menschen zurück. Warum sie das tut, bleibt völlig ungeklärt – das ganze Ende gründet sich ausschließlich auf dem Irrglauben, alles müsse immer gut enden – vor allem in einem Kinderfilm – und das schließe einen Jungen, der sein Dasein als Maus fristen muss, automatisch aus. Aber auch dieser Sabotageakt kann THE WITCHES nichts anhaben, was ein weiterer Beleg für seine Klasse ist.

Das Sequel zum Megahit war unvermeidbar und folgerichtig musste für den zweiten Aufguss alles eine Nummer größer sein: Warum Kevin also nicht allein nach New York verfrachten? Die Idee ist gut, die Umsetzung adäquat, aber ohne den Drive und die Selbstverständlichkeit, die noch das Original auszeichneten. Nichts Besonderes für einen zweiten Teil, der alles  eine Nummer schlechter macht als noch zuvor.

Dafür, dass Kevin allein in der Metropole landet (die 1991 immerhin noch ein bisschen gruselig war), muss die Glaubwürdigkeit im Unterschied zum ersten Teil arg überstrapaziert werden, der Mittelteil zerfällt noch mehr in unverbundene Episödchen und zielloses Location-Hopping, die Taubenfrau (Brenda Fricker), die als Ersatz für Roberts Blossom die Herzen erwärmen darf, kommt mit extra viel Zuckerguss (sorgt aber im Finale zumindest für ein wirklich tolles Bild, wenn die beiden tolpatischigen Einbrecher von Taubenschwärmen befallen werden), ein freundlicher Spielzeugladenbesitzer, der seine Weihnachtseinnahmen an ein Kinderkrankenhaus stiftet, dessen Patienten von ihren Fensterbänken aus traurig in die Weihnachtsnacht schauen, lässt sich nur schwer verteidigen, und es muss schon die dämlichste Hotelbelegschaft der Welt (Tim Curry & Rob Schneider) erfunden werden, damit die ganze Geschichte nicht krachend in sich zusammenstürzt. Dass der Film um diese Defizite weiß, macht es nicht unbedingt besser.

Die erneute Konfontation Kevins mit den Einbrechern aus Teil eins ist erwartungsgemäß noch spektakulärer, noch ausufernder und noch brutaler, versöhnt den, der mit dieser Art Entertaiment etwas anfangen kann, aber mit manchem müden Einfall des Films. Am schlimmsten sind natürlich all jene Szenen, die schon im ersten Teil nur mäßig witzig waren und dies in der aufgewärmten Version nun gar nicht mehr verbergen können: Die Nummer mit den Tonbandaufnahmen, die Kevin im Laufe des Films macht und dann immer passgenau einsetzt, ist so ein Element, von dem sich Hughes und Columbus besser getrennt hätten. Ich will das hier nicht über Gebühr ausdehnen: Es hat Spaß gemacht, das Teil mit meinen Kindern zu schauen. Sollte es ein zweites Mal geben, spulen wir aber bestimmt zum den Szenen vor, in denen Pesci und Stern auf die Glocke bekommen.

Schon bemerkenswert wie diese Kiddie-Komödie im Laufe der letzten 30 Jahre nicht nur zu einem Klassiker gereift ist, den wirklich jeder kennt, sondern auch Teil der westlichen Weihnachtsfeiertagskultur, ohne den das Fest nicht komplett zu sein scheint. Sicher, auch damals war das Teil ein Monsterhit, spielte bei Produktionskosten von schlanken 20 Millionen Dollar weltweit über 550 wieder ein, aber dass er die Zeiten so gut überdauern wurde, war nun wirklich nicht abzusehen.

Schlüssel zum Erfolg ist natürlich die unschlagbare Prämisse, die kein Geringerer als Hollywood-Jugendversteher vom Dienst John Hughes erdachte. Ein Kind, das an Weihnachten allein zu Hause sein muss, ist zunächst mal anrührend, in Verbindung mit dem Subplot um zwei dämliche Einbrecher spannend und aus Kinderperspektive natürlich auch eine Riesengaudi, vor allem, wenn man ein Riesenhaus und ausreichend Bargeld zur Verfügung hat. Das Drehbuch ist megasimpel gestrickt in der Zusammenführung dieser Ideen, aber eben auch sehr, sehr clever: So werden Megablockbuster und Evergreens gemacht. Wie schafft es eine Familie, das eigene Kind zu Hause zu vergessen? John Hughes leitet das maximal glaubwürdig und ohne eitle Kunstgriffe her: Wie da genau im falschen Moment ein dämliches Nachbarkind auftaucht, um die Verkettung von Pannen zu ihrem Höhepunkt zu führen, ist schlicht genial (man ziehe das Sequel zum Vergleich heran, das die Glaubwürdigkeit hingegen enorm überstrapaziert).

Der Mittelteil des Films ist hingegen, das muss man sagen, ein wenig redundant: Für die meisten Menschen dürfte HOME ALONE der Film sein, in dem Macaulay Culkin zwei Einbrecher in verschiedenen Varianten die Treppe runterschmeißt, was auch belegt, wie wenig vom Rest hängengeblieben ist. Hughes und Columbus kaschieren die Tatsache, das der zweite Akt eigentlich reines Zeittotschlagen ist, dramaturgisch durch den geschickten Wechsel von Kevin hin zur Mutter, die von Verzweiflung und Angst geplagt schließlich die Heimreise von Paris nach Chicago antritt und dabei den liebenswert einfältigen Polkamusiker Gus Polinski (John Candy) kennenlernt, der sie mitnimmt – und zum Trost erzählt, dass er sein Kind mal in einem Leichenschauhaus vergessen hatte. Dann muss natürlich über Macaulay Culkin gesprochen werden, der mit HOME ALONE zum Superstar wurde und den Boden für eine ebenfalls filmreife Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Hollywood-Kinderstars bereitete: Er agiert seltsam unnatürlich und mechanisch und mutet speziell in der deutschen Synchro manchesmal geradezu autistisch an. Wahrscheinlich war er einfach zu niedlich, das Script von Hughes zu perfekt, als dass kindliches Overacting es hätte sabotieren können. Ausnahmslos für Freude sorgt hingegen der Auftritt von Roberts Blossom: Der durfte in Allan Ormsbys wunderbarer Ed-Gein-Adaption DERANGED noch den berühmten Serienmörder spielen und erwärmt hier die Herzen als einsamer Nachbar, der die Fantasie der Kinder anregt: Es ist seine Darbietung, die einer geölt laufenden Unterhaltungsmaschine das dringend nötige Herz verleiht.

Aber kommen wir zum Showdown, der realfilmischen Umsetzung cartoonesker Gewaltfantasien. Nichts ist bekanntlich witziger als Menschen, die auf die Schnauze fallen oder schwere Gegenstände auf die Birne bekommen, das beweisen die sich seit über 30 Jahren im Fernsehprogramm haltenden Pannenvideos, und wenn solche Unfälle dann auch noch Charakterfressen wie Joe Pesci und Daniel Stern treffen, gibt es wahrhaft kein Halten mehr. Man darf nicht so genau darüber nachdenken, was den beiden da angetan wird: Machen wir uns nichts vor, im echten Leben wären diese beiden Trottel mit allerschwersten Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert und die Erziehungsmethoden von Kevins Eltern ganz genau durchleuchtet worden: Die Booby Traps, die ihr Sprössling da mit ramboesker Detailverliebtheit errichtet, hat das Blag garantiert nicht aus einer Episode von „Bob, der Baumeister“! Für eine ideologiekritische Betrachtung gibt HOME ALONE auch davon abgesehen jede Menge Munition, aber das muss ja nun wirklich nicht sein.

Seit einer halben Ewigkeit habe ich diesen späten Bud-Spencer-Film nicht mehr gesehen: Ich mochte den damals, als Kind, ganz gern, wenngleich ich schon irgendwie wusste, dass ALADIN, wie er bei uns hieß, mit dem, was da aus den USA kam, nicht mehr mithalten konnte. Trotzdem: Die mittlerweile sattsam bekannte Miami-Kulisse, die typischen Plot-Versatzstücke, die flotte Episodenhaftigkeit und die Vorstellung, Bud Spencer als Wünsche erfüllenden Kumpel an der Seite zu haben, reichte aus, um mir den ein oder anderen vergnüglichen Fernsehnachmittag zu bescheren. Auch für meine Tochter hat ALADIN nahezu perfekt funktioniert: Die naiv-billigen Spezialffekte, mit denen da Autos und Teppiche zum Fliegen gebracht, zerdepperte Wohnungseinrichtungen wieder in den Urzustand oder Menschen unsichtbar gemacht werden, evozierten bei ihr eben kein mitleidig-herablassendes Lächeln, sondern echten, unverschittenen sense of wonder. Es war einfach wunderbar, dem beizuwohnen, ihr entgeistertes „WOW!“ zu hören, als da der rote Rolls Royce vom Boden abhebt.

Die Freude meiner Tochter trug dann auch mich über einige Schwächen, die der Film ohne Zweifel hat. Er kann Ermüdungs- und Niedergangserscheinungen kaum verhehlen, aber schlimmer ist eigentlich seine verquere Moral. Der vierzehnjährige Al Haddin (Luca Venantini) benutzt die Kraft des Geistes eben nicht dazu, Gutes zu tun – wie der Flaschengeist es eigentlich fordert -, sondern um Rache zu nehmen, das Mädchen der Träume (Buds Tochter Diamy) rumzukriegen und vor allem das eigene Ego zu befriedigen. Ich hätte das in dem Alter natürlich kein Stück anders gemacht, aber Aufgabe des Films wäre es ja eigentlich, infrage zu stellen, ob das richtig ist. Al Haddin kommt mit etwas Abstand jedenfalls nicht gerade als Sympath daher, wie er magische Kräfte dazu nutzt, sich zu produzieren und sich für etwas feiern zu lassen, was eigentlich gar nicht sein Verdienst ist. Für das Drehbuch scheint das alles allein damit gerechtfertigt zu sein, dass er und seine Familie, Mama Janet (Janet Agren) und Opa Jeremiah (Julian Voloshin), „arm“ sind, was so aber auch nicht ganz richtig ist.

Aber genug der Moserei: Ich mag ALADIN trotzdem irgendwie. Wahrscheinlich Nostalgie, denn die Zeit, in der soetwas ins Kino gelangte, sind ja lange vorbei. Und es fallen ja durchaus ein paar schöne Momente ab: Wie da in den letzten fünf Minuten plötzlich der Hammer rausgeholt wird, der Flaschengeist den bösen Polizeichef, der zufälligerweise auch noch verantwortlich für eine Atomraketenbasis ist, zum Herrscher der Welt machen soll und dann auch noch auf dem Seziertisch von Wissenschaftlern landet (oder war’s umgekehrt?), das ist schon bemerkenswerte Drehbuchkunst. Überhaupt finde ich diese zauberhafte Leichtigkeit, mit der die Italiener all diese Episödchen und Attraktionen aneinanderreihten, einfach bemerkenswert. So findet in dem ganzen Quatsch auch noch der obligatorische Mafioso Platz, dessen Schläger natürlich den armen Opa Jeremiah wegen seiner Spielschulden drangsalieren. Ja und dann eben dieser Opa: Wer immer den synchronisiert hat, eine heisere, aus dem letzten Loch pfeifende Schnodderschnauze, die genau richtig ist für den alten Zausel, hat einen Oscar verdient. Bester Opa der Filmgeschichte, ganz klar!

Ende der Sechzigerjahre verzeichneten die Godzilla-Filme drastisch sinkende Zuschauerzahlen, mit dem Resultat, dass die Filme preisgünstiger wurden. Am zehnten Beitrag zur Reihe, GOJIRA – MINIRA – GABARA: ORU KAIJÛ DAISHINGEKI zeigt sich das ganz unverhohlen. Mit Material aus GOJIRA, EBIRA, MOSURA: NANKAI NO DAIKETTÔ und KAIJÛTO NO KESSEN: GOJIRA NO MOSUKO wird er überhaupt erst auf Spielfilmlänge gebracht, außer Godzilla, seinem nervtötenden Sohnemann Minilla und dem neuen, peinlichen Monster Gabara absolvieren alle anderen Kreaturen also lediglich Konservenauftritte.

Aber der Wunsch, Geld zu sparen, war nicht die einzige Maßnahme, die Toho vornahm, um sein Franchise zurück auf die Erfolgsspur zu bringen.Da Godzilla sowieso ein Held der Kinder war und auch die vorangegangenen Titel schon deutlich auf den Kindermarkt geschielt hatten, macht Honda in diesem zehnten Eintrag also endgültig ernst und präsentiert mit dem pausbäckigen Ichirô (Tomonori Yazaki) den ersten kindlichen Protagonisten der Reihe. Ichirô wird von den Kindern seiner Klasse gepiesackt und träumt sich deshalb auf die Monsterinsel, wo er sich mit Minira anfreundet. Minira hat wiederum ganz ähnliche Sorgen wie der kleine Ichirô: Er muss sich gegen Gabara behaupten, ein zweibeiniges Schuppenmonster mit blonder Punkfrisur und Katzengesicht. Und es kommt wie es kommen muss: Miniras Erfolg gegen Gabara ermutigt den kleinen Ichirô sich auch gegen seine Peiniger zur Wehr zu setzen. Happy End.

Kann sein, dass ich über GOJIRA – MINIRA – GABARA: ORU KAIJÛ DAISHINGEKI etwas Freundlicheres sagen könnte, hätte ich ihn mit meiner Tochter und meinem Sohn gesehen, die tatsächlich zur Zielgruppe gehören. Als „echter“ Godzilla-Film ist er nicht zu gebrauchen und mit Abstand der Tiefpunkt der Serie. Wahrscheinlich tut man gut, ihn gar nicht dazuzuzählen: Er wirkt eher wie ein Spin-off, ein Ableger fürs Fernsehen und in Deutschland, wo die Godzilla-Filme ja ebenfalls sehr erfolgreich im Kino gestartet wurden, kam er sogar erst vor wenigen Jahren auf DVD heraus. Andererseits kam dieser Gesinnungswandel, auch wenn er glücklicherweise nur von kurzer Dauer war, ja nicht aus dem Nichts: Von der ursprünglichen Horrorgestalt hatte sich Godzilla innerhalb von neun Filmen zum freundlichen Helfer der Menschen und gar zum Papa gemausert. Kein Wunder also, dass er nun sogar als Vorbild für Kinder hergenommen werden konnte, die im grellen Titellied sogar intonieren, dass wir keine Angst vor Monstern haben müssen, weil qualmende Fabrikschornsteine die eigentlichen Übeltäter sind. Das nennt man wohl 180-Grad-Wende und zeigt, welch seltsame Wege die Popkultur geht. Zum Glück für das Echsenmonster hatte das Experiment mit der Sesamstraßen-Variante keinen Erfolg. GOJIRA – MINIRA – GABARA: ORU KAIJÛ DAISHINGEKI bleibt ein Außenseiter, der debil grinsend am Rand steht.

Wenn ich hier und anderswo über Filme schreibe, geht es mir meist nicht nur um eine Momentaufnahme, das Festhalten eines höchst persönlichen Eindrucks zu einem ganz spezifischen Zeitpunkt, sondern auch darum, das Werk, das ich vor mir habe, in einen größeren Kontext einzubetten. Das funktioniert manchmal sehr gut, bei unverkennbaren Genrefilmen, Sequels, Remakes, innerhalb von Werkschauen oder Themenserien, weil der größere Kontext da bereits mitgeliefert oder von mir eben „errichtet“ wird. Ich habe tatsächlich kein grundsätzliches Problem mit Schubladen. Einen Film in eine solche zu stecken, ist nicht immer hilfreich, manchmal aber schon. Die so erzwungene Vergleichbarkeit kann gerade die Augen für die Besonderheiten öffnen, mit denen ein Film von der Regel abweicht. Eine Genreschublade ist für mich auch kein geschlossener Raum, der einen Film abschließend brandmarkt, sondern eher eine vorübergehende Heimatadresse, eine Koordinate, die einem hilft, ihn in der Filmgeschichte zu verorten. Und so, wie man den Frühjahrsputz oder einen Umzug zum Anlass nimmt, auszumisten oder Dinge neu zu ordnen, kann man einen Film auch von einer Schublade in die nächste bugsieren oder ihm sein ureigenes Plätzchen zuweisen, wenn man feststellt, das sein angestammter Platz zu eng für ihn geworden ist. Warum komme ich darauf? Weil CLOAK & DAGGER ein Film ist, der dem Betrachter die Frage, wie man ihn ablegen könnte, geradezu aufzwängt. Es handelt sich (aus heutiger Sicht) um einen jener seltsamen Grenzgänger zwischen Kinder- und Erwachsenenfilm ist, die es – so kommt es mir jedenfalls vor – in den Achtzigerjahren ziemlich häufig gab, die heute jedoch ganz aus dem Kino verschwunden sind. Aber das ist nicht der einzige Aspekt, der CLOAK & DAGGER zum Grenzgänger macht.

CLOAK & DAGGER beginnt als kindgerechter Bond-Spoof: Bei einem offiziellen Staatsempfang schwebt der Superagent Jack Flack (Dabney Coleman) an einem Stars-and-Stripes-Fallschirm zu Boden, überrumpelt die russischen Soldaten, die das Botschaftsgebäude bewachen und tötet einen arabischen Scheich, bevor er eine für ihn bestimmte Kugel aus der Waffe einer schönen Frau an seinem eisernen Barett abprallen lässt und flieht. Doch plötzlich rollen ihm bunte, mehrseitige Würfel in den Weg – Schnitt auf ein paar 20-seitige Würfel, die der kleine Davey (Henry Thomas) soeben geworfen und den Helden seines Rollenspiels – den Superagenten Jack Flack – damit gerettet hat. Der Junge sitzt mit seiner kleinen Freundin Kim (Christina Nigra) im Hinterzimmer eines Zeitschriftenladens bei dem an seinem Vollbart leicht als Geek zu identifizierenden Morris (William Forsythe), der an seinem Computer das Spiel „Cloak & Dagger“ spielt. Spielerisch geht es auch weiter, denn Morris schickt die beiden Kinder auf eine „Mission“: Aus der Stadt sollen sie ihm die geliebten Twinkies mitbringen. Mit Walkie-Talkies, einer Wasserpistole und einer „Handgranate“ – einem Softball – bewaffnet machen sie sich auf den Weg. Aus dem Spiel wird jedoch bald Ernst: Davey beobachtet einen Mord, das Opfer übergibt ihm ein Computerspiel-Cartridge von „Cloak & Dagger“ mit dem Auftrag, es in Sicherheit zu bringen, die Killer heften sich an seine Fersen. Natürlich wollen weder die Polizei noch der eigene Vater (Dabney Coleman) dem Jungen mit der überbordenden Fantasie glauben, der daher auf sich allein gestellt ist. Zum Glück steht ihm Jack Flack mit Rat und Tat zur Seite.

Filme (Serien, Hörspiele, Bücher …), in denen Kinder sich als Detektive, Agenten oder andere Gesetzeshüter verdingen, waren in den Siebziger- und Achtzigerjahren immens populär und richteten sich längst nicht nur an Kinder. Ein Film wie WARGAMES wurde keinesfalls als reiner Jugendfilm rezipiert, und auch bei CLOAK & DAGGER fällt es mir schwer, ihn mit diesem Stempel zu versehen, wenn er auch mit seinem Jack-Flack-Subplot näher an der bunten Fantastik ist, die Kinderunterhaltung auszeichnet. Kindern und Jugendlichen mag die Identifikation mit Davey vielleicht am besten gelingen, doch Regisseur Franklin nutzt die natürliche körperliche und intellektuelle Unterlegenheit seines Protagonisten in erster Linie als Mittel zur Spannungssteigerung – man könnte sagen, Davey Alter ist das Äquivalent zu James Stewarts Gipsbein in REAR WINDOW. Die Schurken in CLOAK & DAGGER sind keine minderbemittelten Tolpatsche, die Davey nach Belieben an der Nase herumführen kann, sehr zum Vergnügen gleichaltriger Zuschauer, vielmehr handelt es sich um rücksichtslose Killer, die kein Problem damit haben, ein Kind zu ermorden, wenn es ihnen im Weg steht. Gleich mehrfach entgehen Davey und Kim nur knapp ihrer Exekution (anders als der brave Morris) und im Showdown gilt es, das kleine Mädchen zu finden, bevor eine Bombe hochgeht, die es unwissend in ihrem Rucksack mit sich herumträgt. In einer Szene befindet sich Davey mit seinen Verfolgern auf einem Ausflugsboot und er kann sich in die Obhut eines älteren Ehepaars retten, denen er sein Problem anvertraut. Auch sie glauben ihm nicht, verständigen sich aber untereinander darüber, dass es sich bei dem Verfolger möglicherweise um einen Päderasten handeln könne. That’s not exactly kids‘ stuff.   

Aber nicht nur hinsichtlich seines Adressaten setzt sich CLOAK & DAGGER absichtlich zwischen die Stühle: Es handelt sich um eine Produktion aus dem Jahr 1984, die sich über weite Strecken jedoch anfühlt, als stamme sie aus den Siebzigerjahren. CLOAK & DAGGER steht ohne Frage in der Tradition der großen, unterkühlten Spionage- und Politthriller des vorangegangenen Jahrzehnts, handelt vom undurchschaubaren Treiben der Geheimdienste, von hinter den Kulissen stattfindenden Verschwörungen und Machtkämpfen, von Hinrichtungen an kitteltragenden FBI-Agenten. Mit Michael Murphy steht als Oberschurke Rice ein Schauspieler zur Verfügung, den man vor allem aus den großen Filmen Robert Altmans kennt, einer Ikone des New Hollywood und der Siebzigerjahre. Die oben erwähnte Bootsszene spielt am „Riverwalk“ von San Antonio, der auch in Sam Peckinpahs THE GETAWAY prominent ins Bild gerückt wurde, ebenfalls ein Klassiker aus jenem Jahrzehnt, und das Finale am Flughafen erinnert gleich an Dutzende von Katastrophenfilmen die damals reüssierten. Brian Mays traditionell gehaltener Orchesterscore hat nur wenig mit den zeitgenössischen Synthiebeats und New Wave am Hut, wirkt ebenfalls wie aus der Zeit gefallen. „Modern“ sind in erster Linie die kurzen Computerspiel-Einsprengsel, an denen Richard Franklin aber deutlich weniger Interesse hat als etwa John Badham im erwähnten WARGAMES oder auch John Hughes in WEIRD SCIENCE. Es scheint, als sei dieses Computerspiel, das dem Film seinen Titel gibt, ein Überbleibsel eines verworfenen Drehbuch-Drafts, und auch die Komik jener Szenen, in denen Davey sehr zur Verwunderung aller Anwesenden mit seinem imaginären Freund interagiert, fallen tonal aus dem Film heraus. Aber das ist keineswegs ein Nachteil oder gar ein Zeichen des Versagens: CLOAK & DAGGER ist geistreiches, schwungvolles Entertainment mit Mut zu eigenen Ideen und Brüchen, wie man es in dieser Form heute nur noch selten zu sehen bekommt. Die Charakterzeichnungen sind weitestgehend funktional und klischeehaft, aber die guten Darsteller machen den Unterschied. Die mit Abstand schönste Idee des Films ist eine, auf die Franklin relativ wenig Aufmerksamkeit zieht: Dass Davey Held Jack Flack, eines mit allen Wassern gewaschenen Profis, der nie den Mut verliert, ausgerechnet das Gesicht seines Vaters trägt, jenes Mannes, zu dem es ihm nicht gelingt, eine echte liebevolle und von Vertrauen geprägte Beziehung aufzubauen, kann einem in der richtigen Verfassung schon das ein oder andere Tränchen abringen. Ein toller Film, zu Unrecht völlig vergessen und reif für eine Wiederentdeckung.

Auch hier nur der Vollständigkeit halber, weil ich den Erkenntnissen meiner Erstsichtung nichts Wesentliches hinzuzufügen habe: BEDTIME STORIES hat einige inspirierte Passagen und eine grundsätzlich liebenswerte Prämisse, aber auch einen unübersehbaren Haken: Seine Grundaussage, sein Loblied auf die Fantasie und die Kreativität, vor allem auf die Kraft der Fiktion und des Geschichten-Erfindens, werden sowohl von der Disney-Fließbandproduktion als auch von der stromlinienförmigen Regie und dem standardisierten Plotverlauf massiv ausgehebelt. Sicherlich muss man bei einem solchen Kinderfilm das Rad nicht neu erfinden, zumal auch die Geschichten, die der liebenswerte Onkel Skeeter (Adam Sandler) seiner Nichte und seinem Neffen erzählt, nur aus Versatzstücken bekannter Filme oder Märchen bestehen; aber über weite  Strecken spult Shankman lediglich ein sattsam bekanntes Schema ab, ohne ihm dabei wirklich Leben einzuhauchen. Vor allem Sandlers sympathische Präsenz und sein natürlicher Enthusiasmus bewahren den Film davor, zum unsympathischen Studio-Bullshit zu verkommen, der sich etwa darin zeigt, dass ein glubschäugiges CGI-Meerschweinchen zum Comic Relief gemacht wird. Schöne visuelle Ideen, wie etwa der Kaugummikugel-Regen, hätten einen sorgfältigeren Film verdient: Vieles hier wirkt seltsam unterentwickelt, muss Platz machen für tausendfach in anderen Filmen durchgekaute Standards, die die an anderer Stelle unverkennbar investierte Liebe neutralisieren. Am Ende bleibt ein Film, den ich zwar irgendwie mag, der in Sandlers Werk aber sicherlich zu den eher uninteressanteren zählt. Schade, denn aus der Ausgangsidee hätte man viel, viel mehr machen können.

Als es meine Frau und mich am vergangenen kinderfreien Samstag ins Kino zog, landeten wir zuerst mitten in einer frühnachmittäglichen Kindervorstellung. Tarsem Singhs MIRROR MIRROR war um 14:30 Uhr absolut „alternativlos“. Leider ist die Schneewittchen-Verfilmung des visuellen Poeten eine Enttäuschung gewesen: Warum, das kann man in der Filmgazette nachlesen, für die ich eine Rezension verfasst hae. Klick hier.

Satsuki und ihre kleine Schwester Mei ziehen mit ihrem Vater in ein altes Haus auf dem Land, um in der Nähe des Krankenhauses zu sein, in dem die kranke Mutter behandelt wird. Bei ihren Erkundungsgängen in die umgebende Natur macht die kleine Mei Bekanntschaft mit Totoro, einem riesengroßen, pelzigen, freundlichen Waldgeist, mit dem sich die Mädchen schließlich anfreunden. Als ein beunruhigendes Telegramm aus dem Krankenhaus eintrifft, läuft Mei von zu Hause weg. Satsuki sucht kurz entschlossen Totoro auf, damit er ihr bei der Suche behilflich ist …

Bei den Eltern musste unsere Tochter Selma ja ein Filmfan werden. Und weil wir daher in den letzten Monaten eine schwere Überdosis Pixar, Disney und Dreamworks erhalten haben, war ich froh, als mir einfiel, dass ja noch ein paar von arte aufgenommene Miyazakis im Schrank lagen. TONARI NO TOTORO, von dem ja eigentlich jeder schwärmt, der ihn gesehen hat, war definitiv die richtige Wahl: Ich weiß nicht, ob Papa den nicht sogar noch eine Spur schöner, lustiger, trauriger, süßer und besser fand als die kleine Selma. Tatsächlich ist dieser Film ein Glücksfall sondergleichen, einer, der keine Fragen offenlässt und dennoch nicht alle Geheimnisse offenbart; einer, der ausschließlich in Bildern erzählt, der keinen konstruierten Plot mehr darüber stülpen muss, um Einheit zu suggerieren; ein Film von großer stilistischer Sicherheit; einer, der in jeder Sekunde die Weisheit seines Machers erkennen lässt. TONARI NO TOTORO ist ein Film über die kindliche Fantasie und über Fantasie überhaupt. Über den Respekt vor der Natur, die Demut vor Schöpfung, darüber, dass der Mensch nicht allein auf der Welt ist, dass es um ihn herum zahlreiche Dinge gibt, die er nicht versteht. Darüber, wie er Sinn in die Welt bringt, indem er ihr aufgeschlossen gegenübertritt, seine Sinne nicht von kalter, starrer Vernunft vernebeln lässt. Und diese Haltung gegenüber den Dingen übernimmt man nur zu gern, weil Miyazakis Film selbst ein ungeahntes Maß an Leben und Lebensfreude ausstrahlt. Man vergisst tatsächlich, dass man einen Film, einen Trickfilm noch dazu, sieht: TONARI NO TOTORO ist wie ein Fenster in eine Realität, aus der alles Kalkül, jede Schablone abgezogen wurde, und die man daher in absoluter Klarheit sieht. Die Bilder, die Musik: Man kann sich diesen Film schlicht nicht anders vorstellen. Alles ist so perfekt, ohne dabei jemals klinisch, leblos oder unspontan zu wirken, wie das bei „perfekten“ Filmen allzu oft der Fall ist. Miyazaki erreicht diese Perfektion, weil sich sein Gestaltungswille immer seinen Protagonisten unterordnet. Es sind Satsuki und Mei, die den Rhythmus des Films bestimmen, die die Regeln machen, denen er folgt, die den Blick des Films konstituieren: den Blick von Kindern, die die Welt erst noch verstehen lernen, denen menschliche Hybris fern ist, weil sie nur den grenzenlosen Himmel, turmhohe Wolken und majestätische Bäume sehen. Ja, TONARI NO TOTORO ist in gewisser Hinsicht ein Film über den Himmel, Wolken und Bäume. Und nie sahen sie schöner aus als hier. Ein Traum.