Mit ‘Laurence Olivier’ getaggte Beiträge

wild-geese-2-movie-poster-1985-1020705728Welche Rückschläge kann ein Film verkraften? Wann ist es sinnvoll, die Reißleine zu ziehen? Fragen, die sich – neben einigen anderen – bei der Betrachtung von WILD GEESE II aufdrängen, der sieben Jahre nach dem überaus erfolgreichen Vorgänger erschien. Richard Burton, der eigentlich für eine Reprise seiner Rolle als Allen Faulkner vorgesehen war, starb kurz vor Drehbeginn, woraufhin eilends Edward Fox als Ersatz verpflichtet wurde. Zeit, das Drehbuch umzuschreiben, gab es indes nicht mehr, und so musste Fox – als Faulkners Bruder Alex – Dialogzeilen sprechen, die eigentlich für Burton geschrieben worden waren. Fox bleibt den ganzen Film ein einziges Irritationsmoment, verfällt immer wieder in eine komische Quäkstimme, die nahelegt, dass er den ganzen Film für eine Komödie hielt, und chargiert, bis der Arzt kommt. Diese Haltung kollidiert nicht nur heftig mit dem Ton des Films, der als eisiger Kalter-Kriegs-Thriller angelegt ist, sondern auch mit dem Spiel von Scott Glenn, der immer noch im unterkühlten, ja geradezu abwesenden Modus „überirdisches Halbgottwesen“ aus Michael Manns THE KEEP agiert und damit jede Form der Identifikation zunichte macht. Diese Atonalität und Taubheit kennzeichnet WILD GEESE II insgesamt und macht aus einem auf dem Papier durchaus interessanten Thriller ein vollkommen unerklärliches Etwas. Peter Hunt kann sich rühmen, mit ON HER MAJESTY’S SECRET SERVICE den vielleicht besten Bond-Film überhaupt gedreht zu haben, aber hier ist ihm wirklich alles entglitten, was einem Regisseur nur entgleiten kann.

Die Story ist an sich schon ein Problem: Ein amerikanischer Medienmann (Robert Webber) engagiert den Söldner John Haddad (Scott Glenn), um den 90-jährigen Nazi Rudolf Hess (Laurence Olivier) aus seinem Gefängnis in Spandau zu befreien, weil er sich von einem Interview Einschaltquotenrekorde verspricht. In Berlin gerät Haddad in den Fokus der dort agierenden Geheimdienste und muss sich gleich an mehreren Fronten verteidigen, bevor er schließlich den großen Coup durchführen kann. Mal ganz davon abgesehen, dass es geschlagene 90 Minuten dauert, bevor die Befreiungsaktion (die zwar recht spannend inszeniert, aber eigentlich kaum der Rede wert ist) endlich losgeht, und man in dem ganzen Spionage- und Konterspionage-Hickhack recht schnell den Überblick verliert, ist ja schon die Hauptmotivation ein echtes Problem. Es wird als geradezu humanistischer Akt dargestellt, den altersschwachen Hess rauszuhauen, dabei taugt er zum einen kaum als ein Opfer, mit dem man mitleiden könnte oder wollte, steht zum anderen keine andere Motivation hinter der Aktion als Profitgeilheit. Die Söldnereinheit um Allen Faulkner mag in THE WILD GEESE naiv gewesen sein, aber Haddad und seine Männer scheinen von der Welt um sie herum rein gar nichts mitzubekommen. Am Ende können sie nur verdutzt aus der Wäsche schauen, wenn Hess ihnen offenbart, dass er nichts anderes wolle, als zurück nach Hause: seine Zelle in Spandau, die er nun seit 40 Jahren bewohnt. Das ist definitiv der beste Moment des Films.

Bis dahin muss man sich wie schon gesagt durch einen mit quälender Geduld erzählten Agententhriller quälen, der nie die anvisierte Wirkung entfaltet. Alle Schauspieler agieren, als seien sie zu Tode gelangweilt, schlecht gelaunt, auf Drogen oder aber als wüssten sie gar nicht, in was für einem Film sie mitspielen. Edward Fox an eine Parodie grenzendes Overacting erwähnte ich schon, genauso wie Glenns Underacting, gegen das Steve McQueen als heißblütiger Italiener durchgeht, aber Barbara Carrera steht den beiden in nichts nach. Die Liebesgeschichte, die sich zwischen ihr und Haddad anbahnt, braucht kein Mensch, vor allem nicht, wenn sie in einer Liebesszene kulminiert, in der sie ein Laken um ihren Körper geschlungen hat. Sehr bizarr ist auch ein Subplot um einen IRA-Terroristen (Derek Thompson), der aus völlig unerfindlichen Gründen in das Kommando von Haddad aufgenommen wird und als Rassist eine ähnliche Rolle wie Hardy Krüger im Vorgänger einnehmen soll. In einer sadistischen Szene verabreicht dieses Arschloch, mit dem wirklich niemand zusammenarbeiten will – ideale Voraussetzungen für eine High-Risk-Operation –, dem unter einem Malaria-Anfall leidenden Faulkner Drogen und ergötzt sich dann an dessen Fieberwahn. Später beleidigt er den britischen Ausbilder, wofür der ihm kurzerhand in die Kniescheiben und dann in den Kopf schießt. Diese krasse Überreaktion wird von den anderen noch nicht einmal mit einem Schulterzucken quittiert, man geht einfach zur Tagesordnung über. Wie soll man als Zuschauer irgendwas empfinden, wenn schon den Charakteren alles scheißegal ist?

Als filmischer Gruß aus einer fremden Dimension, einer, in der Menschen keine Gefühle haben und sich komplett widersinnig verhalten, ist WILD GEESE II zwar irgendwie sehenswert, leider macht ihn das aber kaum weniger langweilig. Es ist so schade um die vergeudeten Ressourcen: Das Lokalkolorit des Achtzigerjahre-Westberlins ist mit Gold kaum aufzuwiegen, die Prämisse ist wunderbar grell und abseitig, die Besetzung zumindest nominell gut (Ingrid Pitt agiert wie Patrick Stewart in einer Nebenrolle). Wollte man seine Ehre retten, könnte man diese eisige, misanthropische, fast schon tote Atmosphäre, die von dem Film ausgeht, als charakteristisch für seine Zeit bewerten, aber ich fürchte, man erwiese WILD GEESE II damit zu viel der Ehre. Was immer den Verantwortlichen hier vorschwebte: Es hat nicht funktioniert.

Knapp 15 Jahre bevor Francis Ford Coppola den Vampirfürsten als tragischen Liebhaber interpretierte, versuchte John Badham dem Stoff mit seiner eigenen Adaption die romantischen Seiten abzuringen. Dass sein Film heute trotz dieses innovativen Ansatzes nicht den ganz großen Stellenwert genießt, dürfte nicht zuletzt an der Besetzung seines Titelhelden liegen. Zwar füllt Frank Langella seinen Graf Dracula mit düsterromantischer Anziehungskraft und intensiver, beunruhigender Ausstrahlung, zeigt in seiner Augenpartie gar eine gewisse Ähnlichkeit mit Christopher Lee, doch mag seine Föhnfrisur so gar nicht zu unserem Bild des jahrhundertealten Monstrums passen. Die Bemühungen Badhams, die Zeit, in der die Geschichte spielt, durch monochrome, sepiafarbene Bildgestaltung aufleben zu lassen, werden durch Langellas Discofrisur gewissermaßen wieder zunichte gemacht. Der Darsteller kämpfte aber, wie einige andere, die sich zuvor als Dracula versucht hatten, sowieso schon auf verlorenem Posten: Neben Christopher Lee oder Bela Lugosi, die der Rolle ihren unvergänglichen Stempel aufgedrückt hatten, ist kaum noch Platz.

Man muss Badham zugutehalten, dass er das wohl auch wusste. Sein Fokus liegt demnach mehr auf der Schaffung einer morbiden, aber auch traurigen Atmosphäre und genau da – wie auch bei den kurzen, aber ausgesprochen stimmungsvollen Gruselszenen – hat DRACULA dann auch seine genuin eigenen Stärken. Siedelten Browning und Fisher ihre Filme in einer pulpig verzerrten Gothic-Welt an, ließ Coppola ihn stilistisch in alle möglichen Richtungen ausufern, wirkt die Welt in Badhams Film abgeschottet, leer, hoffnungslos, tot. Badham verzichtet auf den üblichen Prolog in Transsilvanien, wählt als Handlungsort vielmehr das monolithisch auf einer schroffen Klippe liegende Sanatorium von Dr. Seward, das ihm und seiner Familie auch als Haus dient. Umgeben ist es von graubrauner Ödnis und einem windschiefen Friedhof, der mit dem Wort „Totenacker“ besser beschrieben ist. Der plötzlich auftauchende Graf Dracula bildet in dieser desillusionierenden Welt den einzigen Farbtupfer, die Andeutung von Gefühlen, die zuvor undenkbar schienen. Sein Haus, Fairfax Abbey, ist auf einer kleinen Insel inmitten eines Sees gelegen: ein verheißungsvoller, mysteriöser Sehnsuchtsort, der aber dringend die Anwesenheit einer Dame vertrüge (nicht nur, um die Spinnweben zu entfernen). Die auserkorene Lucy (Kate Nelligan) wird dann auch in einer mit schwofigen Laser- und Raucheffekten unterlegten Liebesszene nach allen Regeln der Kunst verführt: die einzige Szene, die die strenge Farbpalette des Films aufbricht. Diesen motivischen wie stilistischen Kontrast herzustellen, war wohl Badhams Absicht, aber der Plan geht nur bedingt auf. Anstatt zwei mögliche, höchst unterschiedliche Lebensentwürfe nebeneinanderzustellen und den Film aus diesem Spannungsverhältnis heraus zu gestalten, wirkt er in sich unentschlossen. Die Synthese gelingt nicht, wohl auch, weil DRACULA letzten Endes das Bedürfnis des Publikums nach Katharsis und Spektakel befriedigen muss. Das Finale folgt eindeutig dieser Konvention, passt aber eigentlich nicht zur Stimmung, die zuvor so behutsam aufgebaut wurde.

Die Publikumsbindung wird jedoch an anderer Stelle durch den Verzicht auf eine echte Hauptfigur erschwert. Das Drehbuch richtet den Fokus mal auf Lucy, dann wieder auf Jonathan Harker (Trevor Eve), auf Dracula und schließlich auf Prof. van Helsing (Laurence Olivier), ohne sich wirklich für einen entscheiden zu können. So ist der Betrachter ständig gezwungen, die Perspektive zu wechseln. Grundsätzlich kein uninteressanter Einfall, gerade bei einem Stoff, der hinlänglich bekannt ist (und in der literarischen Vorlage auch keine Hauptfigur kennt), aber Badham gewinnt ihm nur wenig Reiz ab, büßt lediglich die emotionale Anbindung ein. Der größte, echte Schwachpunkt ist allerdings Laurence Olivier. Sein van Helsing ist ein zögerlicher, weinerlicher Tattergreis, dem der Mime erneut (wie etwa auch in THE JAZZ SINGER) einen seiner grässlichen Akzente aufzwingt und ihn so zur Nervensäge degradiert. Dieser van Helsing hat Dracula eigentlich nichts entgegenzusetzen, und dessen Tod ist damit nicht verdient, vielmehr lediglich vom Drehbuch herbeifabuliert. Insgesamt hat mir DRACULA wahrscheinlich ein Stück besser gefallen, als es hier den Anschein macht, aber für die große Begeisterung hat dann doch etwas gefehlt.

 

Wenn es um SPARTACUS geht, kommt man für gewöhnlich recht schnell auf das Arbeitsverhältnis zwischen Stanley Kubrick und dem Produzenten und Hauptdarsteller Kirk Douglas. Eine andere Personalie schien mir bei dieser Sichtung aber interessanter und wichtiger: Für seinen Film über die vom Leibeigenen Spartacus geführte Sklavenarmee und ihren Aufstand gegen das römische Imperium engagierte Kirk Douglas nämlich Dalton Trumbo als Drehbuchautor. Der war 1947 als Mitglied der CPUSA, der American Communist Party, auf der berühmten „Schwarzen Liste“ gelandet und hatte seitdem nur unter Pseudonym oder mithilfe eines Strohmanns arbeiten können. Douglas‘ Einsatz für Trumbo (und den gleichfalls gelisteten Nebendarsteller Peter Brocco) brachte ihm zwar eine Tirade von Hollywoods Vorzeige-Reaktionär John Wayne ein, der SPARTACUS als „marxist propaganda“ verbrämte, bedeutete letztlich aber den Todesstoß für McCarthys Kommunistenhetze. Trumbos politische Überzeugungen merkt man SPARTACUS tatsächlich deutlich an: Es braucht nicht viel Fantasie, um im Kampf der Unterprivilegierten gegen den römischen Adel den marxistischen Proletarieraufstand zu sehen. Trumbos Einfluss prägt den Film dann auch stärker als der damals noch junge wilde Regisseur Kubrick. Die unbefriedigende Arbeit unter dem schwierigen Douglas bekräftigte letzteren letztlich darin, bei künftigen Regiearbeiten auf volle künstlerische Kontrolle zu bestehen. Dennoch hinterlässt auch er seinen Stempel: Vor allem jene Szenen, in denen das Sehen thematisiert wird – etwa wenn Spartacus und sein Gladiatoren-Kollege Draba (Woody Strode) durch die schmalen Sehschlitze des Kastens, in dem sie auf ihren Einsatz warten, den Todeskampf ihrer Kameraden beobachten – lassen Kubricks Handschrift erkennen, einige symmetrische Bildkompositionen möchte man ebenfalls ihm zuschreiben. Darunter auch jene während der vielleicht gewagtesten Szene des Films, die vor dem Start des Films der Zensur zum Opfer fiel und erst für die restaurierte Fassung von 1991 wieder integriert wurde: Sie zeigt den Römer Crassus in seinem Bad, wie er sich von seinem Sklaven Antoninus (Tony Curtis) abwaschen und trocknen lässt und diesen in ein Gespräch über seine kulinarischen Vorlieben verwickelt. Hinter Crassus‘ Frage, ob Antoninus sowohl Austern wie auch Schnecken äße, verbirgt sich letztlich ein eindeutiges sexuelles Angebot. Die ganze Szene gründet natürlich auf einer damals noch weiter als heute verbreiteten Homophobie, die Dekadenz kurzerhand mit Homophilie gleichsetzte. Crassus, der römische Intrigant, versucht kraft seiner Eloquenz den moralisch reinen Antoninus zu verführen. Und der quittiert die Avancen sofort mit der erfolgreichen Flucht. „Mein Arsch bleibt Jungfrau!“, hätte er noch ausrufen können. (Interessanter Trivia-Happen: Olivier wird in der re-integrierten Szene von Anthony Hopkins synchronisiert, weil die Original-Tonspur nicht mehr verfügbar war. Und von den Zensoren wurde angeblich der Vorschlag gemacht, die Szene zu entschärfen, indem statt von Austern und Schnecken von Artischocken und Trüffeln gesprochen werde. No shit.)

Die Kritik an dieser (aller ideologischen Bedenken zum Trotz ziemlich tollen) Szene soll keinesfalls den Film als Ganzes in Misskredit bringen. Es ist die Verbindung der beiden Visionäre Trumbo und Kubrick mit Douglas‘ flammendem Ehrgeiz – es heißt, er habe Wyler, der ihn als Hauptdarsteller von BEN-HUR abgelehnt hatte, beweisen wollen, in der Lage zu sein, den besseren Monumentalfilm zu drehen – die SPARTACUS einen heute noch spürbaren Drive und eine beeindruckende Unmittelbarkeit verleihen, die nur wenige Historien- und Bibelschinken aus jener Zeit für sich beanspruchen können. Erscheinen jene aus heutiger Perspektive oft nämlich unnötig dialoglastig, theaterhaft, dramaturgisch steif und trotz ihrer aufwändigen Bauten und Kostüme geradezu unfilmisch, lediglich ein paar Nullen vor dem Komma entfernt von Bad Segeberg, umschifft SPARTACUS diese Untiefen weitestgehend, lässt tatsächlich Bilder und Aktionen sprechen und macht das Schicksal seiner Figuren als menschliches Schicksal greifbar. Es sind nicht zuletzt die ungewohnt körnigen und ungekünstelten Aufnahmen der namenlosen Gesichter, greisenhafter wie blutjunger, wie sie im Gefolge Spartacus‘ die Entbehrungen einer langen Wanderung in die erträumte Freiheit auf sich nehmen, die sich einbrennen und den Film von jener Romantisierung befreien, die die eher typischen Auftritte der Protagonistenschar auszeichnet. Auch in diesen kommt aber ein größeres filmisches Gespür zum Ausdruck: Bis zum Ausbruch der Sklavenrevolte nach ca. einer Stunde ist SPARTACUS von ausgesprochener Ökonomie und Stringenz geprägt und auffallend dialogarm. Erst im letzten Drittel franst der dreistündige Film etwas aus: Es ist das Schicksal des Sklavenanführers und seiner Armee, das den Betrachter fesselt; die immer mehr in den Fokus rückenden politischen Ränkespiele des schurkischen Crassus (Laurence Olivier) und die Schachzüge des römischen Senats entfalten hingegen nicht diese direkte Wirkung und lenken vom Wesentlichen ab.

Aus Trumbos Sicht macht diese Entwicklung, die Abwendung von Spartacus, natürlich Sinn: Die so mächtig gen Ufer wogende Flut der Revolution bricht sich letztlich am felsigen Ufer, ohne dort nennenswerte Spuren zu hinterlassen. Die Macht des Kapitals hat sich als stärker und ausdauernder erwiesen als der gerechte Zorn der Underdogs. Nachdem sich Rom eine Weile hat auf der Nase rumtanzen lassen – auch, weil es die drohende Gefahr unterschätzt hatte –, beendet es den Zwergenaufstand just in dem Moment, als es sein ganzes zur Verfügung stehendes Potenzial nutzt. Der Traum der Sklaven von einem Leben in Freiheit zerbröckelt: Die Welt ist schon zu komplex geworden, als dass sie David einen weiteren Triumph über Goliath erlauben würde. Die Piraten, deren Schiffe Spartacus zur Flucht gekauft hatte, ziehen sie gegen eine höhere Summe aus den Händen der Römer einfach wieder ab. Im Kampf gegen die vereinten Armee Roms haben die Sklaven keine Chance. Als Mahnung für künftige Aufständige werden sie an den Straßen, die nach Rom führen gekreuzigt. Was am Ende als einziges bleibt ist der Blick in die Zukunft: Spartacus‘ Frau Varinia (Jean Simmons) wird in die Freiheit entlassen, gemeinsam mit seinem Sohn. Er wird kein Sklave mehr sein.

Weil ich weder Historiker noch Weltkriegsexperte bin, begnüge ich mich für den Einstieg mit ein paar kurzen (von Wikipedia geborgten) Notizen zum geschichtlichen Hintergrund, um Hamiltons BATTLE OF BRITAIN einzuordnen: Die „Luftschlacht um England“, auf der der Film basiert, ereignete sich im Sommer und Herbst des Jahres 1940, unmittelbar nachdem die Deutschen Frankreich zur Kapitulation gezwungen hatten. Der Angriff der von Göring befehligten Luftwaffe auf Großbritannien sollte den Auftakt zur Invasion der Insel bilden. Doch trotz zahlenmäßiger Überlegenheit und höchster Siegesgewissheit scheiterte der Plan Hitlers, mit dem Sieg der deutschen Luftwaffe über die RAF den Grundstein für die folgende Eroberung Großbritanniens zu legen. Als Ursache für die Niederlage, die von vielen als vorentscheidend für die spätere Kapitulation Deutschlands angesehen wird, gilt unter anderem die deutsche Überschätzung der Bedeutung von Bombergeschwadern: Weil die britische Luftabwehr unter Churchill großes Vertrauen in Radarerkennung setzte, konnten wendige, schnelle britische Kampfflugzeuge den behäbigen Bomberstaffeln große Schäden zufügen, bevor diese ihr Ziel überhaupt erreicht hatten. Im Oktober endeten die deutschen Luftangriffe gegen Großbritannien nach vernichtenden Verlusten, der Plan zur Invasion wurde verschoben bzw.: aufgegeben.

Guy Hamilton, bekannt vor allem als Regisseur von GOLDFINGER sowie der späteren Bond-Filme DIAMONDS ARE FOREVER, LIVE AND LET DIE und THE MAN WITH THE GOLDEN GUN, fiel unter Bond-Produzent Harry Saltzman die Aufgabe zu, den Triumph der tapferen Briten über die Deutschen, der vielleicht sogar die Welt, wie wir sie kennen, rettete, angemessen ins Bild zu setzen. BATTLE OF BRITAIN ist zweierlei: filmgewordene Huldigung und Materialschlacht. Der Film schließt mit mehreren Schrifttafeln, die als Danksagung fungieren und haarklein die Statistiken des Kampfes aufführen, Opfer beider Seiten gegeneinander aufrechnen und verdeutlichen, welcher materielle und personelle Aufwand betrieben wurde, um die Invasion zu verhindern. Um dieser Leistung gerecht zu werden, wiederholte man sie für den Film so gut es ging: Über 100 Original-Kampfflugzeuge wurden aus ganz Europa zusammengesucht und wieder flugtüchtig gemacht, etliche davon kamen in den aufwändigen Luftkampf-Sequenzen zum Einsatz. Die auf Hochtouren laufende Werbemaschine sprach angesichts dieser Armada stolz von der 35.-größten Luftwaffe der Welt. Natürlich waren auch nur die größten britischen Stars gut genug, den Rettern der Menschheit Tribut zu zollen. Dem musealen Charakter des Films entsprechend absolvieren Schauspieler wie Michael Caine, Christopher Plummer, Trevor Howard, Ian McShane, Laurence Olivier, Ralph Richardson, Kenneth More,  Robert Shaw, Edward Fox oder Michael Redgrave pflichtschuldigst ihre Auftritte, ganz egal, ob ihre Rolle den großen Namen überhaupt rechtfertigt. Wie ihre Väter und Großväter knapp 30 Jahre zuvor leisten sie mit ihrer Teilnahme an BATTLE OF BRITAIN ihren Dienst fürs Vaterland. Natürlich mussten sie nicht ihr Leben riskieren – und besser bezahlt wurden sie wahrscheinlich auch. Während die Briten so also eine filmische Ehrenrunde drehen dürfen, dabei nüchterne Vernunft, ehrliche Arbeit und tapferes Abenteurertum verkörpern, müssen die Deutschen selbstverständlich noch einmal Buße tun für ihre Sünden: Die Nazis werden allesamt von deutschen Schauspielern verkörpert (Curd Jürgens ist der bekannteste von ihnen), die ihre Schurkenrollen mit öligem Musterschülertum, eitler Herrenmenschelei, aristokratischer Arroganz, popanziger Aufgeblasenheit (Göring!) oder hasserfüllter, geradezu wahnsinniger Verblendung (während einer Rede Hitlers nach den Bombenangriffen auf Berlin) interpretieren. Der Film, dem es sonst so sehr an Objektivität und Faktentreue gelegen ist, schrammt in diesen Szenen haarscharf an der Karikatur vorbei (auch wenn er wahrscheinlich nicht komplett danebenliegt).

Trotzdem wird BATTLE OF BRITAIN, wie etwa Richard Fleischers, Kinji Fukasakus und Toshio Masudas TORA! TORA! TORA!, von seinen Fürsprechern wegen seiner historischen Akkuratesse gelobt. Beide Filme sind sich in der Tat sehr ähnlich darin, nicht Menschen, sondern geschichtliche Vorgänge in den Mittelpunkt zu rücken, die dann nur noch von Schauspielern (re)präsentiert werden. Das ist dann auch das Problem beider Filme, zuerst ein dramaturgisches, dann aber auch ein ideologisches. BATTLE OF BRITAIN ist nämlich allen Aufwands zum Trotz ein ausgesprochen träger Film. Spätestens nach dem dritten breit ausgewalzten Luftgefecht, bei dem Piloten brennend vom Himmel stürzen, deren Tod einen nicht tangiert, weil sich keine Charaktere hinter den Gesichtern verbergen, macht sich die Langeweile breit. Die Versuche Hamiltons, zumindest einigen der zahlreichen Protagonisten so etwas wie Leben einzuhauchen, scheitern an der Formelhaftigkeit des Drehbuchs, dem nichts Spezifisches einfallen mag, das stattdessen nur Klischees parat hält. Squadron Leader Colin Harvey (Christopher Plummer) hat Beziehungsprobleme mit der tapferen Militärkrankenschwester Maggie Harvey (Susannah York), weil er meint, seine Frau gehöre nicht in eine Uniform. Hach. Squadron Leader Canfield (Michael Caine) hat einen Hund, der nach dem Tod des Herrchens traurig gen Himmel blicken darf. Heul. Sergeant Pilot Andy (Ian McShane) muss seine Familie in einer Kirche zurücklassen, kaum dass er sie wiedergefunden hat, um in den Trümmern eines Hauses nach Überlebenden zu suchen. Schluchz. Der junge Pilot, der nach nur wenigen Flugstunden in die Schlacht geworfen wird, stirbt gleich bei seinem ersten Kampfeinsatz. Schnarch. Aber es ist eben nicht nur die Tatsache, dass der Film logischerweise Probleme damit hat, seinen quasi-dokumentarischen Anspruch mit dem Bedürfnis des Zuschauers nach einer gewissen menschlichen Wärme zu versöhnen, die BATTLE OF BRITAIN so problematisch macht. Er verkörpert mit seiner Megalomanie in gewisser Weise selbst die unmenschliche Technokratie, die er seinen Antagonisten vorwirft. Der Sieg der Briten ist nur der Vorgabe nach ein Sieg von Individuen. Hamilton unterwirft jeden einzelnen gnadenlos der Maschine. Die Menschen sind nur das Material, mit dem man diese Maschine füttern muss, um sie am Laufen zu halten. Dass es dem Regisseur nicht gelingt, diese Wahrheit über den Krieg zu verbergen, BATTLE OF BRITAIN selbst Ergebnis dieser unmenschlichen Ökonomie ist, ist wahrscheinlich das Positivste, das man über ihn sagen kann.

Ansonsten kann man nur darüber staunen, wie sehr sich die Welt in den 40 Jahren, die seit seiner Entstehung vergangen sind, verändert hat. Propagandistische, ideologisch fragwürdige Kriegsfilme gibt es immer noch. Aber nur noch wenige stellen ihre Agenda derart unverhohlen zur Schau, ohne zu bemerken, dass sie eine Agenda haben.

Yussel Rabinovitch (Neil Diamond) ist der jüngste in einer langen Familientradition jüdischer Kantoren. Doch für den Sohn von Cantor Rabinovitch (Laurence Olivier) und den Ehemann der Jüdin Rivka (Catlin Adams) ist das Singen in seiner New Yorker Synagoge nur noch Pflichterfüllung: In seiner Freizeit schreibt er Songs und tingelt unter seinem Künstlernamen Jess Robin mit einer Band durch die Lokale. Als sich ihm tatsächlich die Chance auf eine Popkarriere bietet, greift er zu und reist nach Los Angeles. Sehr zum Verdruss und Unverständnis seines Vaters und seiner Frau …

Fleischers THE JAZZ SINGER, das gleichnamige Remake des ersten Tonfilms der Filmgeschichte von 1927, ist ein gut geeignetes Beispiel, um darzulegen, wie Fleischers Enthusiasmus und seine Lust, sich Herausforderungen zu stellen, ihm manchmal den Blick vernebelten, ihm im Weg standen: Wahrscheinlich war dieses Remake für jeden außer ihn und die direkt Beteiligten als Schnapsidee erkennbar, er sah wahrscheinlich nur die Gelegenheit, sich mit zwei absoluten Superstars (allerdings way past their prime) an einem monumentalen Klassiker der Filmgeschichte abzuarbeiten. Sofern ich das anhand der Inhaltsangaben im Netz beurteilen kann (ich habe Alan Croslands THE JAZZ SINGER nie gesehen), bleibt Fleischer dem Original weitestgehend treu. Der wohl berühmteste Aspekt des Klassikers, Stichwort: blackface, wird natürlich über Bord geworfen, lediglich in einer kurzen, lustig gemeinten und nicht recht zum Rest des Films passenden Szene referenziert, in der Jess sich auf der Bühne als Schwarzer ausgeben muss, weil ein Musiker krank geworden ist.

THE JAZZ SINGER funktioniert sonst als formelhafte Geschichte vom Aufstieg eines Musikers und den persönlichen Konflikten, die es dabei für ihn zu bewältigen gilt. Wie wenig gelebt, wie gestelzt und vor allem wie erschreckend spaßfrei und deprimierend THE JAZZ SINGER wirkt, sieht man unter anderem daran, dass Fleischer gleich zweimal innerhalb der zweiten Hälfte des Films auf Montage-Sequenzen zurückgreifen muss: einmal, um sich einstellenden Erfolg und Glück schlaglichtartig zu beleuchten, dann, nach dem unvermeidlichen Konflikt, um seinen Niedergang zu illustrieren. Hier geht THE JAZZ SINGER endgültig in die Binsen, nachdem er zuvor immerhin biederen Durchschnitt bot: Wenn Jess sich nach einer Konfrontation mit seinem Vater in einer grausam konstruierten Szene erst mit seinen Musikerkollegen und dann mit seiner Geliebten Molly (Lucie Arnaz) überwirft, besagte Montage-Sequenz dann zeigt, wie er mit Seesack, Cowboyhut und Klampfe auf Sinnsuche im amerikanischen Heartland und seinen Countrykneipen geht, ist diese peinliche Übersteuerung aber eigentlich auch nur exemplarisch für ein Problem, das den Film insgesamt kennzeichnet: Statt Differenzierung und Genauigkeit hagelt es Schwarzweißmalerei und Klischees. Die Szenen in der jüdischen Gemeinschaft in New York sind in erdrückenden Braun- und Beigetönen gehalten, spielen in nur wenig ansehnlichen Settings, Vater Rabinovitch und Ehefrau Rivka kann man mit ihrer Leichenbittermiene und ihrem jammervollen Habitus schon fast als antisemitische Zerrbilder bezeichnen. Die Vehemenz mit der sie sich gegen die Karriere Jess‘ stellen wird niemals nachvollziehbar.

Fleischer, dem es zuvor stets gelungen war, auch Nichtschauspieler gut aussehen zu lassen, versagt hier leider dabei, den großen Olivier im Zaum zu halten: Die Szenen eines der größten Filmstars aller Zeiten muss man schon fast als Selbstdemontage bezeichnen. Neil Diamond kommt demgegenüber deutlich besser weg. Seine Auszeichnung mit der „Goldenen Himbeere“ darf angesichts einer gleichzeitigen Golden-Globe-Nominierung relativiert werden. Seine Stimme (und der Soundtrack mit drei Top-10-Singles) ist wohl das größte Qualitätsmerkmal und das deutlichste Lebenszeichen des Films. Dass er 1980 trotzdem alles andere als die Idealbesetzung für einen aufstrebenden Star war, darüber lässt sich kaum streiten. THE JAZZ SINGER war von vornherein zum Reinfall prädestiniert. Und Fleischer fehlte 1980 wohl einfach die Energie, daran etwas zu ändern.