Mit ‘Lee Marvin’ getaggte Beiträge

Wer mich kaufen will, kann das dieser Tage gleich dreifach:

Schon etwas länger auf dem Markt, aber immer noch aktuell genug, um ihn hier zu würdigen ist die Blu-ray-Veröffentlichung von Ruggero Deodatos gottgleicher Poliotteschi-Quasi-Parodie EISKALTE TYPEN AUF HEISSEN ÖFEN via filmart. Gemeinsam mit Pelle Felsch habe ich das Vergnügen gehabt, einen Audiokommentar aufnehmen zu dürfen, in dem wir etwas über die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zur damaligen Zeit palavern. Alles garantiert unwissenschaftlich!

Etwas neuer ist der Filmkalender 2019 von Schüren, mit dem man das kommende filmische Jahr planen kann. Unter den Kurzaufsätzen, die den Kalender auflockern, befindet sich auch ein Porträt über Bud Spencer von mir.

Last but not least ist soeben die neueste Ausgabe des 35 MM Retrofilmmagazins erschienen, die unter dem Motto „Sommer – Sonne – Sumpf“ steht. Die große Hitzwelle scheint zwar (zum Glück) vorbei zu sein, wer davon aber nicht genug bekommt, findet auf den reich bebilderten Seiten sicheerlich sein Glück. Auch ich habe mich von den Temperaturen inspirieren lassen und mich in meiner Noir-Kolumne mit dem Fritz-Lang-Klassiker THE BIG HEAT befasst. Das Heft kann man hier bestellen.

„The road to hell is paved with good intentions“, wusste der irische Dramatiker George Bernard Shaw. 1950 gestorben, blieb ihm die Gelegenheit, die Richtigkeit seines berühmten Aphorismus anhand von Terence Youngs wahrhaft unfasslichem THE KLANSMAN erneut bestätigt zu sehen, leider – oder auch: zum Glück – verwehrt. Der Film ist eines jener Werke, die zwar nominell der Sphäre des studiofinanzierten Mainstreams zuzurechnen – die stargespickte Besetzung spricht eine deutliche Sprache, selbst wenn man einräumt, dass Burton und Marvin Mitte der Siebziger hinsichtlich ihrer Berühmt- und Beliebtheit nicht mit Redford, Newman und McQueen mithalten konnten –, aber eigentlich eher in der stinkenden Kloake des für die Bahnhofs- und Pornokinos produzierten Schmuddelfilms zu Hause sind. Filme wie THE KLANSMAN waren früher schon selten, heute, 40 Jahre später, wo kein Film mehr das Licht der Multiplexe erblickt, bevor nicht eine 400-seitige Zielgruppenanalyse erstellt wurde, sind sie vollkommen undenkbar – und deshalb umso wertvoller. Auch weil die Geschichte die Erinnerung an sie beharrlich zu verdrängen versucht: Die beste DVD-Veröffentlichung von THE KLANSMAN stammt aus Deutschland, präsentiert den Film unter dem erfundenen Titel VERDAMMT & VERFLUCHT (deutscher Originaltitel damals was VERFLUCHT SIND SIE ALLE) mit krisseligem, des Mediums eigentlich unwürdigem Bild und ohne den O-Ton, dafür aber mit der räudigen deutschen Synchro. Es steht zu vermuten, dass eine Deluxe-Blu-ray-Edition von Youngs Ku-Klux-Klan-Thriller genauso unwahrscheinlich ist wie eine Criterion-Edition der Filme von PM Entertainment. Aber der Reihe nach.

THE KLANSMAN spielt in einer Kleinstadt in Alabama, die fest in der Hand des Klans und darüber hinaus in Kürze Schauplatz einer Demonstration für die Wahlrechte der Afroamerikaner ist. Die Aussicht, das die „Nigger“ dieselben Rechte wie die überlegenen Weißen genießen sollen, versetzt die Herrenmenschen in Aufruhr, und Sheriff Track Bascomb (Lee Marvin) hat alle Hände voll damit zu tun, die Gemüter zu beruhigen. Das ist alles andere als leicht, da sein Freund Breck Stancill (Richard Burton) immer wieder Öl ins eh schon lodernde Feuer gießt. Sein Großvater wurde einst von Rassisten aufgeknüpft und dass er Schwarzen auf seinem Grundstück kostenlose Unterkunft gewährt und keinen Hehl aus seiner Verachtung für die Klanmitglieder macht, ist den Menschen im Ort ein Dorn im Auge. Als Nancy Poteet (Linda Evans), die Gattin eines „Kluxers“ angeblich von einem Schwarzen vergewaltigt wird, kocht die Stimmung endgültig über und es firmiert sich ein Mob, der einen Afroamerikaner als Sündenbock ausmacht und skrupellos umbringt. Der Mord wird beobachtet von Garth (O. J. Simpson), der Rache schwört und beginnt, die Mörder einen nach dem anderen auszuschalten …

THE KLANSMAN begibt sich von Beginn an in eine überaus undankbare Position, weil er gewissermaßen die Innenperspektive des südstaatlichen Rassismus einnimmt. Der Ausgleich, den beispielsweise ein Film wie Alan Parkers MISSISSIPPI BURNING in Form der Beamten implementiert, fehlt in Youngs Film fast völlig. Sheriff Bascomb hat mit dem Klan zwar nichts zu tun, aber in erster Linie ist ihm am Frieden in der Stadt gelegen. Und der ist nun einmal leichter zu sichern, wenn er den Rassisten nachgibt. Stancill nimmt eine dezidiertere Haltung ein, aber die führt eher dazu, dass er sich aus dem Alltagsleben in der Stadt heraushält und sich auf seinen Hügel zurückzieht. Als Zuschauer bekommt man sehr schnell den Eindruck, dass alles sehr viel leichter wäre, wenn es keine Schwarzen gebe. Oder wenn sie sich wenigstens fügen würden. Der Klan-Vorsitzende, Bürgermeister Riddle (David Huddleston), ist dann auch nicht etwa ein hasssprühender Rassist, vielmehr argumentiert er mit der kühlen Ratio des Unternehmers, warum es besser für die Wirtschaft ist, die „Nigger“ kleinzuhalten. Im ganzen Film gibt es nicht einen Menschen, der Klartext redet, der von der humanistischen Notwendigkeit einer Gleichstellung von Schwarz und Weiß überzeugt ist, der das etablierte System als falsch, verkommen, verbrecherisch und unmenschlich bezeichnet. Sie alle sind mit der Rassentrennung aufgewachsen, haben sie verinnerlicht, können nicht über sie hinausdenken. Auch die Studenten, die für die Demonstration in das Städtchen kommen, sehen sich ständigen Diffamierungen ausgesetzt, die der Film beinahe zu teilen scheint, weil er ihnen nie wirklich eine Stimme gibt. Das Bild, das THE KLANSMAN zeichnet, entspricht sehr wahrscheinlich der Realität im Süden der USA in den Siebzigerjahren, aber für einen Unterhaltungsfilm, der THE KLANSMAN ohne Frage ist, ist das verheerend. Der Rassenhass verkommt hier zum „aufregenden“ Setting für Action und Thrill, Sex und Gewalt.

Die Unmenschlichkeit, der Hass und die maßlose Dummheit, mit der der Zuschauer hier 105 Minuten lang konfrontiert wird, ist nur schwer zu ertragen. Am Anfang verlustiert sich ein Pulk weißer Männer am Kampf einer kleingewachsenen Schwarzen gegen einen riesenhaften, schwachsinnigen Mann, dem sie Geld dafür gegeben haben, die Frau zu überwältigen. Die vergewaltigte Nancy wird von der empörten Menge inklusive des Pfarrers aufgefordert, den Gottesdienst zu verlassen, da sie durch die Berührung eines Schwarzen „verunreinigt“ sei. Ihr Mann verlässt sie nach nur wenigen Tagen, weil er den Gedanken, ein Schwarzer habe sie angefasst, nicht mehr erträgt. Presseleute machen der Polizeibeamtin Trixie (Luciana Paluzzi), Bascoms Lebensgefährtin, ungehemmt eindeutige und ziemlich unflätige Angebote, die sie einfach so mit einem Lächeln hinnimmt. Und am allerschlimmsten: Als die Afroamerikanerin Loretta (Lola Falana) von Klanmitgliedern vergewaltigt wird, bringt Sheriff Bascomb – der Held des Films! – sie nur unter der Bedingung ins Krankenhaus, dass sie aussagt, sie sei von einem Schwarzen überfallen worden. Die deutsche Synchro macht alles nur noch schlimmer. Mit beinahe sadistischer Freude werden da immer neue rassistische und sexistische Verunglimpfungen erdacht und mit Inbrunst ausgespuckt. Man möchte sich nach der Betrachtung am liebsten von aller Schuld, die man auf sich genommen hat, reinwaschen. Es bleibt ein einziges Rätsel wie irgendjemand der an diesem Film Beteiligten meinen konnte, THE KLANSMAN sei eine gute Idee. Und dass mit William Alexander gar ein afroamerikanischer Geldgeber hinter dem Projekt stand, ist völlig unerklärlich

Richard Burton, der zu diesem Zeitpunkt seines Lebens täglich ca. drei Flaschen Wodka in sich hineinschüttete und kurz vor dem Exitus stand, war bei den Dreharbeiten in körperlich extrem schlechter Verfassung, erkrankte an Grippe und akuter Bronchitis, und musste überwiegend sitzend oder liegend gefilmt werden. Die Szene, in der er Cameron Mitchell verprügelt, war für ihn dann auch sichtlich schmerzhafter als für Mitchell. Nach seiner letzten Szene wurde der zunehmend stärker abbauende Waliser auf Geheiß von Regisseur Young sofort ins nächste Krankenhaus gebracht, wo es hieß, der Filmemacher habe ihm damit das Leben gerettet. Eine Anekdote besagt außerdem, dass Young seinen Make-up-Artist für dessen Job in Burtons Sterbeszene besonders gelobt habe. Dessen verdutzte Antwort war nur: „Ich habe doch gar nichts gemacht.“ Vielleicht hat sich Burton auch für THE KLANSMAN geschämt.

 

full.donovonsreef-1sh__02237.1383688233.1280.1280Wenn zwei gleichermaßen intelligente, in Persönlichkeit und Geschmack aber vollkommen unterschiedliche Menschen unabhängig voneinander zum selben Urteil über einen Film kommen, dann ist wahrscheinlich was dran: Der Welt bester DVD-Händler Robert beschrieb DONOVAN’S REEF mir gegenüber als geradezu ansteckend liebenswert, Kollege Lukas Foerster als „Meisterwerk“ und als „entspanntesten Film aller Zeiten“.  John Fords 136. und damit viertletzter Film markiert auch seine letzte Zusammenarbeit mit John Wayne und mutet nicht zuletzt dank der exotischen Kulisse Hawaiis an wie ein vollkommen sorgenfreier Urlaub im Kreise der Liebsten. Seine Handlung wird nicht rigide abgeklappert, sondern bietet eher eine mit Brotkrumen gelegte Spur, von der man auch ruhig mal abweichen darf, sofern man sie irgendwann wiederfindet. Das „Ziel“ scheint von Ford vor allem zur Selbstdisziplinierung ausgerufen worden zu sein, schließlich müssen die Dreharbeiten und mit ihnen der Film irgendwann mal abgeschlossen werden – aber man merkt, dass er eigentlich viel lieber zusammen mit „Guns“ Donovan (John Wayne), „Boats“ Gilhooley (Lee Marvin) in den Tag hineinleben würde, sich von dem überraschen lassen, was da kommt, und einfach das Leben genießen. Und für die 100 Minuten von DONOVAN’S REEF ermöglicht er es dem Zuschauer, genau dasselbe zu tun.

Auf der polynesischen Insel Haleakaloha lebt der Amerikaner Donovan, ein Weltkriegsveteran, der dort mit zwei Kameraden – „Boats“ Gilhooley und Dr. William Dedham (Jack Warden) – landete, als ihr Schiff vor der Küste von Japanern versenkt wurde. Sie befreiten das Eiland von den Besatzern und ließen sich dort, beeindruckt von der Gastfreundlichkeit ihrer Bewohner und der Schönheit der Natur nieder: Dedham ehelichte die einheimische Prinzessin und setzte mit ihr drei Kinder in die Welt, bevor sie verstarb, Donovan eröffnete eine Kneipe, in der er sich seit nunmehr 21 Jahren, pünktlich zu ihrem gemeinsamen Geburtstag, eine Schlägerei mit Gilhooley liefert. Große Aufregung erfasst alle Bewohner, als sich Dedhams amerikanische Tochter aus erster Ehe ankündigt, die schöne, aber etwas steife Amelia (Elizabeth Allen). Im Auftrag der Dedham Shipping Company soll sie ihren Vater, den rechtmäßigen Erben des Unternehmens, treffen – und nach Möglichkeit feststellen, dass eine Testamentsklausel auf ihn zutrifft, die besagt, dass jemand der sich „unmoralisch“ verhalten habe, nicht als Erbe infrage kommt. In weiser Voraussicht nimmt Donovan Dedhams Kinder unter seine Fittiche, um Amelia mit den Lebensumständen ihres leiblichen Vaters nicht zu überfordern – und gerät sofort mit ihr aneinander. Aber was sich neckt, liebt sich bekanntlich …

DONOVAN’S REEF beginnt mit dem als Arbeiter auf einem Schiff an Haleakaloha vorbeischippernden Gilhooley, der kurzerhand von Bord springt, um pünktlich zu seiner alljährlichen Geburtstagsschlägerei mit Donovan zu kommen. Donovan, sichtlich genervt von der „geliebten“ Tradition, setzt trotzdem alle Hebel in Bewegung, um den geliebten Feind in seiner Pinte zu empfangen. Natürlich helfen alle Bekundungen, diesmal keine Fäuste fliegen zu lassen, nichts, die beiden Männer – und vor allem der geradezu störrisch eindimensionale Gilhooley – kommen aus ihren angestammten Rollen einfach nicht raus. Aber im Grunde ist jeder Fausthieb eine Liebesbekundung, und am Ende, wenn beide erschöpft zu Boden sinken, wird die Jahrzehnte währende Freundschaft mit einem Bier begossen, der Streit bis zum nächsten Jahr begraben. „Donovan’s Reef“ ist dann auch kein Unternehmen im eigentlichen Sinne. Es geht in diesem Lokal nicht ums Geldverdienen, vielmehr ist der Ort ist das Wohnzimmer der beiden Haudegen, weil sie sich in einer Pinte nun einmal am wohlsten fühlen (und spiegelt damit im Kleinen die Funktion der Insel Haleakalhoa). Haupteinnahmequelle ist nicht der Getränkeausschank – das Bier nimmt man sich einfach –, sondern der seit Jahren defekte Spielautomat, der eine geradezu magische Anziehungskraft auf japanische Touristen ausübt. Schon dieser Auftakt von Fords Film nimmt einen mit seiner liebevollen und detailreichen Zeichnung der Charaktere und ihrer Lebensumstände ein: Die Zahl der Worte, die der ruppige Gilhooley im gesamten Film spricht, kann man wahrscheinlich an zwei Händen abzählen, trotzdem lässt Marvins Darstellung keinerlei Fragen offen. Da sitzt jede Bewegung, jeder Blick erzählt eine Geschichte, jede Gesichtsregung offenbart eine wenn auch vielleicht nicht gerade vielschichtige, so doch absolut authentische, gelebte Persönlichkeit. Das trifft auch auf den Handlungsort zu: Haleakaloha und seine Einwohner erscheinen als lebendiges Biotop, als realer Ort mit einer angestammten Kultur und einer gesellschaftlichen Ordnung, mit festen Riten, Beziehungen und Konflikten. Die Bewohner – egal woher sie kommen – kennen und respektieren sich, meistern das Leben mit- statt nur neben- oder gar gegeneinander, arbeiten als eingeschworenes Team zusammen, als sich plötzlich die „Fremde“ ankündigt. Es braucht nicht viele Worte zwischen den Menschen, die sich nahezu blind verstehen. Haleakaloha ist eine Utopie: Ein Ort, an dem Rassengrenzen gefallen sind, dessen Bewohner die vorherrschende Lebensrealität selbst geschaffen haben und sie jeden Tag bestätigen. Es ist also eigentlich klar, dass der aus dramaturgischer Sicht notwendige Konflikt nie wirklich einer werden darf: Die zu Beginn als entscheidend ausgewiesene Frage, wie Amelia den Lebenswandel ihres Vaters bewerten wird, ob sie ihn tatsächlich für „unmoralisch“ und damit als ungeeignet für die Übernahme des Familienunternehmens hält, wird nie wirklich gestellt. Ihr Vater erklärt sich ihr, bevor sie ihn auf den Prüfstand stellen kann, und weist auch die Möglichkeit einer Rückkehr ins europäisch-kapitalistische Boston von vornherein zurück. Das Leben, das ihn dort erwarten würde, stellt keine Verlockung mehr für ihn da, finanzieller und materieller Reichtum interessieren ihn nicht mehr. Und das Leben, das Amelia vorfindet, lässt ihr keine andere Wahl, als ihm zuzustimmen und ihrerseits die Brücken in ihre Heimat abzubrechen.

Man mag es hinter seiner sonnigen, leichtfüßigen Fassade nicht bemerken, aber DONOVAN’S REEF beinhaltet tatsächlich eine deutliche Kritik an unseren westlichen Zivilisationen und hält ihnen eine radikale Utopie entgegen. Ford verabschiedet sich vehement vom Glauben an eine gegebene nationale oder auch ethnische „Verbundenheit“. Dieser Glauben hält die Menschen in letzter Instanz lediglich davon ab, ihr Glück und ihre Bestimmung an ungeahnten Orten zu finden. Seine Protagonisten sind echte „Expatriates“: Sie haben ihr Land nicht nur als geografischen, sondern auch als sozialen und ideologischen Ort weit hinter sich gelassen, sind auf ihrer idyllischen Südseeinsel tatsächlich zu Hause und begründen dort eine neue „Nationalität“, eine, die sich nicht mehr aus vermeintlich biologischen Gemeinsamkeiten herleitet, sondern allein aus einer bestimmten Gesinnung und Lebenshaltung. Die Menschen, die die Insel bewohnen, haben sich für diesen Ort entschieden, weil er ihrem Wesen entspricht, sie dort sein können und ihm selbst etwas zu geben haben. Dem Gouverneur Marquis Andre de Lage (Cesar Romero), der selbst noch an den paradiesischen Zuständen zu mäkeln hat und sich nach Miami oder Hollywood wünscht, ist genauso wenig zu helfen, wie den steifen Bostonians, die sich in dunklen Zimmern abfrieren, während draußen der Schnee fällt, und die Rum als „West Indies Goods“ verkaufen, um sich selbst in die Tasche zu lügen. Wie viel einfacher und ehrlicher ist hingegen das Leben auf Haleakaloha: Hier prügelt man sich höchstens aus alter Tradition und Konflikte werden mit einem Handschlag beseitigt. Das Leben könnte so einfach sein. DONOVAN’S REEF macht es möglich, für anderthalb Stunden in diese Utopie einzusteigen. Könnte er doch nur ewig dauern!

Europa lernt in diesen Zeiten wieder, was Armut bedeutet. Die Berichte vor allem aus südlichen Nationen – Spanien, Portugal, Griechenland, Zypern, Italien – sind alarmierend. Menschen, die vor kurzer Zeit noch in relativer Sicherheit lebten, sehen nun einer völlig ungewissen Zukunft entgegen. Vielleicht muss man sich so die Zeit der großen Depression in den Dreißigerjahren vorstellen, die wir, vermittelt durch Berichte, Dokumentar- und Spielfilme, nur gefiltert und mit der Patina der Nostalgie versehen rezipieren. Damals gab es vor den Toren fast jeder größeren amerikanischen Stadt sogenannte Hoovervilles, riesige Slums aus behelfsmäßig zusammengehämmerten Hütten (als Anschauungsmaterial hier das Ergebnis der Google-Bildersuche). In San Francisco kam es während des Generalstreiks im Jahr 1934 zu Massenaufständen, in deren Folge in Teilen der Stadt sogar das Kriegsrecht verhängt wurde. Weil Geld in dieser Zeit so knapp war und die Not groß, waren arbeitsfähige Männer gezwungen, lange Wanderungen zu unternehmen. Das Transportmittel der Wahl der „hobos“ getauften Vagabunden war die Eisenbahn. Zu Hunderten erklommen sie die Züge in der Hoffnung, am Ziel Arbeit zu finden und ihrer Familie ein paar Dollars nach Hause schicken zu können. Diese Zeit ist längst Bestandteil amerikanischer Mythologie, der americana, geworden und wird – ganz im Sinne einer Nation, die sich stets ihres Pioniergeistes rühmte – auch als Freiheits- und Selbstfindungsprozess idealisiert. Wahrscheinlich steckt hinter dieser Idealisierung auch die heute Allgemeinplatz gewordene Erkenntnis, dass Geld nicht glücklich macht, materieller Besitz auch eine Bürde, ein Gefängnis darstellen kann. Robert Aldrichs EMPEROR OF THE NORTH POLE – er ersetzte Sam Peckinpah, der seinerseits Martin Ritt als Regisseur ersetzt hatte – handelt genau von diesen Themen: von der Zeit der Depression allgemein, von der Befreiung, die der Lebensstil der hobos bedeutete, aber auch von der korrumpierenden Wirkung von Geld und Besitz.

A-No.-1 (Lee Marvin) genießt unter den hobos des Landes Legendenstatus. Nun will er mit dem No. 19 nach Portland fahren, einem Zug, dessen gnadenloser Zugführer Shack (Ernest Borgnine) sich damit rühmt, dass noch keiner unerlaubt bei ihm mitgefahren ist. Damit das so bleibt, geht er ohne jeden Skrupel gegen jeden vor, der es versucht. A-No.-1 erhält ungewollte Begleitung von dem jungen Vagabunden Cigaret (Keith Carradine), einem selbstsüchtigen Halsabschneider, der etwas Ruhm – und Erfahrung – von dem alten Veteranen abhaben möchte. Gemeinsam erklimmen sie Shacks Zug und fordern den Mann zum Kampf heraus …

EMPEROR OF THE NORTH POLE ist ein großartiger und vielseitiger Film, der das Herz des Zuschauers auf vielen verschiedenen Ebenen trifft. Er funkioniert etwa als leichtfüßiger Buddy-Movie, als nostalgisch-verklärter Blick zurück auf die oben geschilderte Zeit, voller Verehrung für die Unbekümmertheit, den Erfindungsreichtum und den Enthusiasmus der hobos. Wie in einer Gaunerkomödie müssen A-No.-1 immer wieder Rückschläge einstecken, doch nie lassen sie sich davon einschüchtern, immer fällt ihnen etwas ein, das sie zurück in die Spur bringt. Man ertappt sich dabei, wie man sie trotz ihrer Armut beneidet um ihre Freiheit, ihre Ungebundenheit, die Geduld und Ruhe, mit der sie die Dinge nehmen, wie sie kommen. Schließlich für das, was sie aktiv er-leben: die Menschen, die sie treffen, die Bekanntschaften, die sie machen, die Orte, die sie sehen, die Erfahrungen, die sie machen. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen lauert Shack, Vertreter des Systems, dem die hobos und Tagelöhner zuwider sind. Oder vielleicht konkreter: einer der Besitzenden, die das Wenige, das sie haben, um jeden Preis verteidigen, auch gegen jene, die noch viel, viel weniger besitzen. So klar die Regeln seines Handelns auch sind – „Wenn du meinen Zug betrittst, bringe ich dich um!“ – und so sehr er sich auch an sie hält, so sehr erschrecken die irrationalität seiner Ausbrüche, die sadistische Freude und die ungebremste Härte, mit der er gegen die Landstreicher vorgeht. Einen sich zwischen zwei Waggons versteckenden Mann stößt er gnadenlos unter den Zug, beobachtet mit beinahe lustverzerrtem Gesicht erst wie der Mann langsam den rettenden Halt verliert, dann schließlich zu Tode stürzt und überrollt wird. Sein glühender Fanatismus ist dabei nicht von außerhalb begründet: Es gibt keinen offiziellen Auftrag, auch keinen durch das Treiben der hobos Geschädigten. In Shacks Handeln zeigt sich die Wirkung der Macht, der Selbsterhaltungstrieb des Systems. Kaum hat man den Arbeiter – nichts anderes ist Shack – mit einem Funken Macht ausgestattet, setzt sofort der Impuls ein, fest nach unten zu treten, um den eigenen Status zu sichern – der ja gar nicht in Gefahr ist. Anstatt die Verwandtschaft mit den Besitzlosen zu erkennen und sich gegen den gemeinsamen Feind zu verbünden, fungieren Männer wie Shack als dankbare Gatekeeper, allzeit bereit, zum Mörder zu werden, ohne nachzufragen. Man muss EMPEROR OF THE NORTH POLE aber nicht zwingend so politisch lesen, auch wenn sich das vor seinem historischen Hintergrund natürlich anbietet. Er fungiert auch allgemeiner als Film über ungezügelten Freiheitsdrang und die Dämonen, die sich dabei in den Weg stellen. Diese allgemeinere Lesart drängt sich vor allem dann auf, wenn man auf die Beziehung zwischen A-No.-1 und Cigaret fokussiert. Während erster – ganz Sisyphos – die Absurdität seines Lebens erkannt hat und sich der Wertlosigkeit seines Ruhms wohl bewusst ist (eine Wertlosigkeit, die sich im selbstironischen Titel „Herrscher des Nordpols“ äußert), hat Cigaret immer das Ziel vor Augen, „berühmt“ zu werden. Man könnte platt sagen: Für A-No.-1 ist der Weg das Ziel, während Cigaret immer irgendwo hin will und dadurch ähnlich kalkulierend und mitunter zynisch in seinem Handeln ist. Am Ende stößt ihn der Veteran höchstselbst vom Zug, den er zuvor in einem tödlichen Kampf erobert hat, und brüllt ihm aus der Ferne entgegen: „Stay off the tracks. Forget it. Its a bum’s world for a bum. You’ll never be Emperor of the North Pole, kid. You had the juice, kid, but not the heart and they go together. You’re all gas and no feel, and nobody can teach you that, not even A-No.1. So stay off the train, she’ll throw you under for sure. Remember me for that. So long, kid.“ Nicht jeder hat das Zeug zum Landstreicher, manchem fehlt ganz einfach die Moral dazu. EMPEROR OF THE NORTH POLE ist auch die Huldigung eines bestimmten Lebensstiles.

Robert Aldrich gelang wahrscheinlich einer der größten Filme, die zu Beginn der Siebziger diesseits von New Hollywood gedreht wurden. Leider zahlte sich das für ihn erneut nicht aus. EMPEROR THE NORTH POLE fand nie sein Publikum, auch nicht, als er unter dem sinnlosen Alternativtitel EMPEROR OF THE NORTH noch einmal in die Kinos gebracht wurde. Es war Aldrichs sechster Flop in Folge, eine Serie, die er erst mit dem folgenden THE LONGEST YARD beenden würde. Der Kultstatus, den der Film seitdem erlangt hat, bestätigt die Vermutung, dass er einfach nur falsch vermarktet worden war: Auch wenn Aldrichs nüchternes Menschenbild einem das Vergnügen, A-No.-1 und Cigaret bei ihren Gaunereien zuzuschauen, immer wieder gezielt trübt, ist EMPEROR OF THE NORTH POLE gewiss sein spektakulärster und aufregendster Film seit THE DIRTY DOZEN. Allein den beiden Charakterfressen Marvin und Borgnine dabei zuschauen zu dürfen, wie sie wie zwei tollwütige Hunde aufeinandern losgehen, sollte jeden Filmfreund zufrieden stellen. Lee Marvin ist wie immer grandios als altersweiser, knurriger Draufgänger, aber der sonst für seine untrüblichen, stets gut gelaunten Kumpeltypen bekannte Borgnine stiehlt ihm als verbissen-brutaler Shack fast die Show. Die beiden tragen den Film mit ihren Performances, ohne ihn zu überstrahlen. Ein Glücksfall und ein rundum perfekter Film, der jedem ans Herz gelegt sei.

Ein junger Mann in Uniform wird zu seiner Hinrichtung geführt. Die Gefangenen, an deren Zellen er vorbeigeht, erweisen ihm ihren Respekt, indem sie mit Metalltellern gegen die Gitterstäbe schlagen. Einige rufen ihm aufmunternde Worte zu, doch der junge Mann ist einfach nur irritiert, völlig überfordert damit, auch nur annähernd zu begreifen, was gerade mit ihm geschieht. Er hat das Gesicht eines Jungen, es scheint völlig undenkbar, dass er etwas getan hat, was seine Bestrafung rechtfertigt. Die ihn umgebenden Offiziere und Wachen, die seine Exekution sicherstellen sollen, sind völlig desinteressiert an seiner Lage: Ohne jede Empathie, ohne auch nur einen Blick für ihn walten sie ihres Amtes und leiten ihn schließlich in jenen Raum, von dessen Decke die Schlinge baumelt, an der er seinen Tod finden soll. „Haben Sie noch etwas zu sagen?“, wird er gefragt, nachdem man ihm schon eine schwarze Kapuze übergestülpt und ihm die Schlinge um den Hals gelegt hat. Und wie ein kleiner Junge fängt er nun unter dem schwarzen Stoff an zu wimmern: „Ich habe das doch nicht gewollt. Es war doch keine Absicht.“ Seine Beteuerungen helfen nicht, es war ja nie vorgesehen, dass seine Worte etwas ändern könnten. Fast scheinen die Anwesenden etwas empört darüber, dass der Verurteilte ihnen nun auch noch ein schlechtes Gefühl beschert. Ein Hebel wird umgelegt, der Mann stürzt durch eine Falltür, bevor das Seil ihm mit einem Krachen das Genick bricht. Major Reisman (Lee Marvin) hat das alles aus dem Hintergrund mit versteinertem Gesicht und eben noch zurückgehaltenem Zorn und Ekel beobachtet. Nun hat er genug gesehen. Er dreht sich um und geht.

Die Szene ist inhaltlich nur von tangentialer Bedeutung für THE DIRTY DOZEN, dient vor allem als Einführung Reismans als unbequemem, hartem, aber menschlich gebliebenem Soldaten, der den Entscheidungen der Vorgesetzten kritisch gegenübersteht und seinem Missfallen auch ungeschönten Ausdruck verleiht. Und sie dient als Anschauungsmaterial dafür, was den zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Titelhelden, dem „dreckigen Dutzend“, blüht. Viele von ihnen sind zum Tode verurteilt, andere sehen einem Leben hinter Gittern entgegen. Wichtiger aber ist dieser Prolog, um eine gewisse Stimmung zu etablieren, ein Bild im Gedächtnis der Zuschauer zu implantieren, das auch in den folgenden heitereren Momenten des Films nie ganz verblasst. THE DIRTY DOZEN erscheint nämlich streckenweise – konträr zu seiner Thematik – wie ein freundlicher Abenteuerfilm: Er erzählt, wie eine Gruppe von Outcasts über einer gemeinsamen Aufgabe zusammenwächst – ähnlich wie in Aldrichs vorangegangenem THE FLIGHT OF THE PHOENIX –, beschwört dabei Teamgeist, bedient sich einer gewissen Außenseiterromantik und zeichnet die Mission der Titelhelden – den Überfall auf ein mit ranghohen Nazis besetztes Schloss – als tollkühnes Abenteuer. Es ist diese Auftaktszene, die den Film erdet. Hier sterben keine charismatischen Raubeine den Heldentod: Hier werden Männer ohne jede Chance berechnend und mitleidlos in den Tod gehetzt. Sie bekommen eine Chance, die keine ist, und müssen das Beste daraus machen.

Das Nebeneinander ausgelassener und überaus grausamer Szenen hat dem Klassiker durchaus einige kritische Stimmen eingebracht. Dass Soldaten als kernige Recken dargestellt werden, der Krieg als Abenteuer gilt spätestens seit den 1970er-Jahren, in denen der Kriegsfilm als Antikriegsfilm „wiedererfunden“ wurde, als verpönt. Seitdem sind wir es gewöhnt, den Armeealltag als stumpfsinnig und unmenschlich zu sehen, Kriegseinsätze als grausam und sinnlos. Aldrich spart diese Seite nicht aus, aber es ist nicht die einzige, die er zeigt. Wenn das „dreckige Dutzend“ sich gegenüber den  verbohrten, peniblen und arroganten Paragrafenreitern Breed (Robert Ryan) und Denton (Robert Webber) beweisen muss, indem es ein Manöver für sich entscheidet, ist jedes Grauen weit weg, erreichen der Film und seine Protagonisten eine ungeahnte Leichtfüßigkeit. Die 12 Lumpen haben sich zusammengerauft, sie zeigen, was sie gelernt haben und bescheren den Männern, die immer nur verächtlich auf sie herabgeblickt haben, eine schallende Ohrfeige. Wie schwungvoll, herzlich und einnehmend THE DIRTY DOZEN in dieser Sequenz ist, erkennt man auch an seinem Erbe: Unzählige High-School- und Sportkomödien haben die Dynamik, die sich Adrich hier zunutze macht, eins zu eins kopiert: das Team der gedemütigten Underdogs gegen die Bessergestellten. Aber auch diese Momente der Unbeschwertheit dienen letztlich dazu, Fallhöhe zu schaffen. Seinen grausamen Höhepunkt erreicht der Film, wenn die Männer um Reisman ihre Mission erfüllen: Die in einem Luftschutzkeller eingepferchten Nazi-Offiziere und ihre Frauen werden von den „Helden“ buchstsäblich ausgeräuchert. Die Szene, in der die Todgeweihten hilf- und zwecklos versuchen, die Handgranaten, die ihren Tod bedeuten werden, „abzublocken“, vor Angst schreiend, außer sich vor Panik, verwischt jede bestehende Grenze zwischen den „guten“ Alliierten und den „bösen“ Nazis. Aldrich zielt mit seiner Kritik weniger auf den Krieg allgemein ab – wahrscheinlich, weil er zu sehr Realist ist, um eine Welt ohne Kriege fordern zu können: Krieg ist nicht zu verurteilen, weil er Menschenleben kostet, sondern weil er Menschen dazu zwingt, anderen das Leben zu nehmen, sie in eine solch radikale Grenzsituation zu werfen, in der sie nicht anders können, als sich über ihren „Gegner“ zu stellen. Die armen Schweine des Dutzends haben ja keine Wahl. Am Ende der Mission wird nur einer von ihnen überlebt und sich mit seinem Einsatz ironischerweise nicht die Freiheit, sondern eine Zukunft in den Diensten des Militärs „verdient“ haben. Es ist ganz klar, wen Aldrich als die eigentlichen Übeltäter ausgemacht hat: Wladislaws (Charles Bronson) letzter Satz lautet: „Killin‘ generals could get to be a habit with me.“

Die moralische Anrüchigkeit von THE DIRTY DOZEN ist eigentlich Ausdruck seiner immensen Pointierung. Das Überleben der einen ist an den Tod der anderen geknüpft. Die Verbrecher erhalten Absolution, wenn sie sich als besonders effektive Mörder erweisen. Den Wert des Lebens lernen die Mitglieder des Dutzends kennen, als ihr eigenes keinen mehr hat: in einer kurzen Schonfrist, die ihnen gegeben wird. Ihre Situation erinnert natürlich an jene der Absturzopfer von THE FLIGHT OF THE PHOENIX: Anstatt auf den sicheren Tod zu warten, ergreifen sie den Strohhalm, der sich ihnen bietet und finden in der „Arbeit“ einen neuen Sinn. Umso grausamer ist es, dass sie ihr Schicksal nur ein Stück hinauszögern können. Dass es für sie keine Chance gibt, wird spätestens klar, als Aldrich ihr letztes gemeinsames Zusammentreffen vor ihrer Mission als letztes Abendmahl mit Reisman als Jesus ins Bild setzt. Eine wunderbare Blasphemie ist es außerdem.

THE DIRTY DOZEN ist für mich untrennbar mit Sturges‘ THE MAGNIFICENT SEVEN und THE GREAT ESCAPE verbunden. Alle drei Filme sind großes Abenteuerkino mit einer Darstellerriege, die einem erst das Wasser im Mund zusammenlaufen und dann die KInnlade runterklappen lässt. Alle drei sind episch, decken ein ganzes Spektrum von Emotionen ab, bieten großes Hollywood-Entertainment, das sich einfach nicht abnutzt. Und natürlich spielt in allen dreien Charles Bronson mit. THE DIRTY DOZEN hatte ich beim ersten Mal als „lustigen“ Actionfilm gesehen. Beim letzten Mal war ich schockiert über seine Härten. Diesmal ist diese Irritation der Erkenntnis gewichen, dass Aldrichs Film nicht vom Krieg, sondern vom Leben handelt. Und dasb betrachtet er mit dem Blick des unsentimentalen Realisten und dem Herzen eines Philanthropen.

Ardennen 1944 (so lautet auch der deutsche Verleihtitel): In den letzten Schlachten des Krieges ist die Einheit „Fragile Fox“ beauftragt, Geschütze an strategisch wichtigen Punkten zu installieren. Einer der Soldaten, die mit dieser Aufgabe betraut sind, ist Lieutenant Costa (Jack Palance). Als er hilflos mitansehen muss, wie seine Männer in einem Feuergefecht sterben, weil sein Vorgesetzter, Captain Erskine Cooney (Eddie Albert), ihnen die zugesagte Rückendeckung verweigert, suchen er und Lieutenant Woodruff (William Smithers) Hilfe beim zuständigen Kommandanten Lieutenant Colonel Clyde Bartlett (Lee Marvin): Der gesteht, dass Cooneys charakterlichen und professionellen Defizite zwar bekannt seien, er seinen Posten aber aufgrund von Beziehungen sicher habe. Weil eine Demission Cooneys, den seine Untergebenen als Gefahr für ihr Leben empfinden, nicht zu erwarten ist, schwört Costa Rache für den Fall, dass Cooney sich noch einen Fehler erlaubt. Und der lässt nicht lange auf sich warten: Wieder versagt Cooney seine Hilfe, als Costa mit seinen Männern in einen Hinterhalt gerät …

Wie auch THE BIG KNIFE basiert ATTACK! auf einem Bühnenstück, das Drehbuchautor James Poe für die Leinwand adaptierte. Ganz verbergen der Film seine Herkunft nicht: Schlüsselszenen werden dialogisch aufgelöst und der überschaubare Kreis handelnder Personen findet in fast jeder Szene zusammen. Die Actionszenen, die wahrscheinlich für den Film hinzugefügt wurden, schaffen in erster Linie Atmosphäre und Konkretion, fügen dem Plot aber nichts Wesentliches hinzu. ATTACK! läuft ganz auf die Konfrontation zwischen den eigentlich doch auf derselben Seite kämpfenden Männern Costa und Cooney hinaus und rückt zwei Erkenntnisse ins Zentrum: Auch unter Verbündeten gibt es Konflikte, die unter Umständen schwerer sind als die zwischen vermeintlichen Feinden. Und auch im Krieg hören Menschen nicht auf, Privatleute zu sein: Sie nehmen ihre Probleme mit aufs Schlachtfeld. Die Auseinandersetzung zwischen Costa und Cooney ist dann auch kein Duell zwischen dem „Guten“ und dem „Bösen“: Cooney kann aus seiner Haut nicht heraus. Dass er ein Feigling und Opportunist ist, hat er den Umständen seiner Erziehung zu verdanken, seine Position, die ihn dazu befähigt, Menschenleben leichtfertig zu opfern, seinem Namen und der bis in höchste Ämter reichenden Vetternwirtschaft. Die ernüchternde Erkenntnis für Costa und seine Kameraden, aber auch für den Zuschauer: Im Krieg, dieser wohl extremsten Situation, in der sich ein Mensch befinden kann, werden meist seine schlechtesten Eigenschaften hervorgekehrt und nicht etwa seine besten. Männer wie Costa, ein ehrlicher, aufrichtiger Mann, der inmitten des Chaos bemüht ist, sich seine Menschlichkeit zu bewahren, kämpfen auf verlorenem Posten. Sie können nur nochzusehen, wie um sie herum alles zusammenbricht.

Das Ende von ATTACK! ist vielleicht etwas zu versöhnlich und aufklärerisch, aber dem Film kann das keinen echten Schaden zufügen, weil Aldrich alle Register zieht: Die dichten Bildkompositionen sorgen auch in Ruhepausen für Spannung, die Eröffnungsszene zeigt die ganze Absurdität des Krieges in an Surrealismus grenzender Klarheit: Auf einem im Sonnenschein friedlich ruhenden Grashügel werden gleich mehrere amerikanische Soldaten erschossen, ohne dass sich dem Betrachter erschlösse, warum man ausgerechnet an diesem Ort sterben sollte. Das zieht sich wie ein roter Faden durch den Film: Aldrich findet immer wieder treffende Bilder, die die ganze Sinnlosigkeit des endlosen Tötens verdeutlichen. Und er erspart dem Zuschauer dabei nichts: Die hysterischen Schmerzensschreie Costas, als ihm ein Panzer über den Arm fährt, vergisst man nicht mehr so schnell. Aldrich muss gar nichts zeigen, um den Zuschauer im Innersten zu treffen. ATTACK! ist keiner seiner ganz großen Filme , aber er verfehlt seine Wirkung nicht. Das ist auch Jack Palance und seinem wieder einmal erstaunlich nuancierten Spiel zuzuschreiben. Er ist das Gravitationszentrum des Films und was am Ende mit seinem Costa passiert, ist nur schwer zu verkraften – und natürlich absolut programmatisch. Aber die ganze Besetzung ist so inspiriert: Lee Marvin ist in seinen beiden kurzen Szenen fleischgewordene militärische Autorität, Eddie Albert der Feigling, den man nur aus Mitleid nicht mit voller Inbrunst hassen kann. Richard Jaeckel gibt einen von Costas Männern, Strother Martin fällt zu Beginn dem Verrat Cooneys zum Opfer und der Deutsche Peter van Eyck hat einen Auftritt als SS-Mann. Wie gesagt: Kein Meisterwerk, aber ein absolut sehenswerter Film, ideal etwa im Doppelpack mit Siegels HELL IS FOR HEROES. (Oder etwa in Verbindung mit Fullers frühen Kriegsfilmen THE STEEL HELMET und FIXED BAYONETS!.)

Kanada 1931: Der Einzelgänger Albert Johnson (Charles Bronson) legt sich mit einigen Siedlern an, die ihm danach eins auswischen wollen. Der Streit eskaliert, es gibt Verletzte und weiteres böses Blut. Wenig später klopft Mountie Sergeant Millen (Lee Marvin) an Johnsons Tür, um den Mann festzunehmen, doch der weigert sich, nachzugeben und flieht nach einem Schussgefecht in die Berge. Ihm auf den Fersen sind Millen und seine Leute, aber auch ein blutgieriger Lynchmob, angestachelt durch ein Kopfgeld …

Der beste Bronson-Film seit Don Siegels TELEFON gewinnt mit der großartigen Idee, seinen Hauptdarsteller zu einem über weite Strecken schweigsamen und unsichtbaren Phantom zu machen. Hier ist sie wieder, die mysteriöse Aura gepaart mit jenem verletzlichen, menschlichen Kern, die Bronson in seinen frühen Erfolgen C’ERA UNA VOLTA IL WEST, ADIEU L’AMI und LE PASSAGER DE LA PLUIE, aber auch etwa in CHATO’S LAND und VALDEZ, IL MEZZOSANGUE unverwechselbar gemacht hatten, ab Mitte der Siebzigerjahre aber von einer trivialeren Tough-Guy-Persona abgelöst worden waren. Johnson ist ein Mann klarer Prinzipien und auch wenn ihm im Laufe des Films mehrere Menschen zum Opfer fallen, ist er kein gewalttätiger Mensch: Die ganze Geschichte beginnt damit, dass er einen von den Siedlern veranstalteten Hundekampf unterbindet, den unterliegenden Hund rettet und danach wieder gesundpflegt. In völliger Passivität verschanzt er sich in seiner Hütte, doch immer wieder wird er provoziert und dazu gezwungen, sich zu verteidigen. Bis ihm schließlich nichts mehr anderes übrig bleibt, als zu töten, um nicht getötet zu werden. Dieser Johnson will sein Leben inmitten der Gesellschaft der anderen leben, doch das wird ihm nicht mehr gestattet. Das Ende suggeriert, dass Johnson nicht nur jener einen Siedlung entflieht, sondern der menschlichen Gesellschaft überhaupt. Bronson überzeugt, obwohl er kaum mehr als sein zerfurchtes Gesicht und seine Körperhaltung einzusetzen hat. Seine Dialogzeilen lassen sich an zwei Händen abzählen, über weite Strecken ist er in dicker Pelzkleidung verborgen. Trotzdem hat er hier eine unglaubliche Präsenz und schafft es, eine komplexe Persönlichkeit hinter der stoischen Fassade anzudeuten. Ohne große Monologe, einfach nur mit seinem Blick, ringt er dem Zuschauer das Mitgefühl ab.

Johnson gegenüber steht Millen. Beide sind, wie so oft in diesen Filmen, Seelenverwandte. Und ihr Zweikampf wird dann auch fast zu einem sportlichen Kräftemessen. Millen will diesen Johnson vor allem deshalb stellen, weil er es nach seinen Worten „verdient hat“. Er hat es verdient, nicht von einem blutgierigen Säufer für ein paar Dollar weggeballert zu werden oder von einem skrupellosen Soldaten aus sicherer Entfernung aus dem Flugzeug heraus, sondern in einem fairen Kampf zwischen zwei Männern, die die gleichen Prinzipien vertreten, bezwungen zu werden. Millen bewundert Johnson: Vielleicht auch deshalb, weil er es nicht geschafft hat, ein solch kompromissloses Leben zu führen, sondern sich als Mountie ausgerechnet dem Staat untergeordnet hat. Millen ist ein geselliger Typ: Mit seinen Freunden scherzt er, trinkt und spielt Karten. Aber er hadert mit der Menschheit, der sich Johnson längst entzogen hat. Wenn er den Flüchtigen am Ende ziehen lässt, ihm hinterherblickt, liegt etwas Sehnsüchtiges in seinem Blick. Während er Kompromisse macht, Tag für Tag, da geht der andere unbeirrt seinen Weg, auch wenn es kein Ziel gibt.

Der dritte Hauptdarsteller des Films ist natürlich die umwerfende Landschaft. DEATH HUNT wurde in Kanada und New Mexico gedreht und die Dreharbeiten dürften ziemlich anstrengend gewesen sein. Bronson und Marvin waren beide bereits um die 60 und leisten Beachtliches, Double hin oder her. Für Actionfilm-Historiker sind die Parallelen zwischen diesem Film und Ted Kotcheffs wenig später gedrehten Superhit FIRST BLOOD augenfällig, aber auch Anklänge an Bronsons eigenen CHATO’S LAND erkennt man. Andrew Stevens, der hier den grünschnäbeligen Mountie Alvin spielt und von Millen jegliche Illusionen über den Job ausgetrieben bekommt, sollte in 10 TO MIDNIGHT eine ganz ähnliche Rolle spielen: Lee Marvins Part übernahm dort … Charles Bronson.

Die drei Farmersöhne und Freunde Will (Gary Grimes), Les (Ron Howard) und Tod (Charles Martin Smith) stolpern eines Tages über den Körper des schwer verwundeten Bankräubers Harry Spikes (Lee Marvin), den sie bei sich verstecken und gesund pflegen. Als Will wenig später nach einer Misshandlung durch seinen Vater von zu Hause ausreißen will, begleiten ihn die beiden Freunde, die nach der Begegnung mit dem Outlaw ebenfalls die Abenteuerlust gepackt hat. Doch dieses Leben ist schwieriger, als sie sich das vorgestellt haben: Als sie völlig pleite und von Hunger geplagt eine Bank überfallen und Tod nach einem Gerangel plötzlich als Mörder dasteht, ist es mit der jugendlichen Unschuld vorbei. In dieser schwierigen Lage kommt Harry Grimes, der den Jungen für ihre Hilfe noch einen Gefallen schuldet, wie gerufen. Er nimmt sie unter seine Fittiche und plant mit ihnen einen Banküberfall …

THE SPIKES GANG ist ein weitestgehend vergessener Film: Innerhalb Fleischers Gesamtwerk kommt ihm nur marginale Bedeutung zu, selbst wenn man den Fokus auf seinen durchwachsenen Output in den Siebzigerjahren beschränkt, und als Spätwestern steht er zudem in Konkurrenz zu deutlich größeren, maßgeblicheren und auch besseren Filmen. THE SPIKES GANG ist ein kleiner, melancholischer, aber auch seltsam beiläufiger, ja, fast hingeworfener Western, mit dem sich Fleischer von den großen Konzepten, die ihm seit den späten Sechzigern immer mehr im Weg standen, als dass sie seine Filme nach vorne gebracht hätten, vorerst verabschiedet. Eine gute Entscheidung, denn auch wenn THE SPIKES GANG viel zu flüchtig ist, um wirklich bleibenden Eindruck zu erzeugen, am Ende gar etwas überstürzt und unfertig wirkt, so stellt er doch auch eine willkommene Rückkehr zu dem charaktergetriebenen, handwerklich gleichermaßen konzentrierten wie leichtfüßigen Erzählkino dar, für das Fleischer in den Fünfzigerjahren stand. Es ist gerade diese entspannte Regiehaltung, die der Geschichte der drei Möchtergern-Outlaws, die eine bittere Lektion lernen, ohne noch die Gelegenheit zu bekommen, von ihren Erkenntnissen profitieren zu können, ihren emotionalen Nachhall verleiht.

Wie meine Gattin gestern nach der Sichtung sagte, erzählt THE SPIKES GANG eigentlich eine eher konservative Crime-does-not-pay-Geschichte: Für die drei Kids ist Bankenüberfallen ein großes Abenteuer, das Dasein als Outlaw eine Traumvorstellung, die selbst die offenkundigen Schattenseiten noch verklärt. Sie lernen, dass es in Wahrheit ein ziemlich undankbares Geschäft ist, Tod und Mord nichts Heldenhaftes an sich haben und der Ehrenkodex des Banditen nur solange Bestand hat, wie er keine Nachteile bringt. Sie wären besser alle bei ihrem langweiligen Leben auf der Farm geblieben. Das ist vielleicht nicht besonders revolutionär, für einen Western aber dann doch wieder ungewöhnlich. Selbst wenn Sam Peckinpah den Western als moralisches Schwarz-Weiß-Szenario mit seinem THE WILD BUNCH entzaubert, so lässt er an der moralischen Integrität seiner Helden ja keinen Zweifel. Wenn sie am Ende im berühmten Kugelhagel untergehen, so ist das zwar durchaus folgerichtig, aber wir trauern trotzdem mit ihnen, weil sie diesen Weg ja ganz bewusst einschlugen. Mehr noch: Sie haben gar keine Alternative und sind demzufolge bereit, ihn konsequent bis zum Schluss zu gehen. Mit Will, Les und Tod auf der einen und Harry Spikes auf der anderen Seite verhält es sich aber anders: Die drei Jungs haben keine Ahnung, worauf sie sich einlassen, sie haben von der Welt noch nichts gesehen und sind kaum weniger geblendet als der Höhlenbewohner aus Platons berühmtem Gleichnis, der zum ersten Mal die Sonne erblickt. Sie schlagen einen Weg ein, dessen Beschaffenheit sie genauso wenig  kennen wie sein Ziel. Und Harry? Der scheint auf den ersten Blick einer jener Gentleman-Banditen zu sein, aus denen sich auch Peckinpahs Wild Bunch zusammensetzt, ein harter Hund zwar, aber kein Psychopath, sondern jemand, der nach einem klar definierten Kodex handelt. Er fungiert zunächst tatsächlich als Vater für den orientierungslosen Haufen, doch ist dieses Verhalten nicht bedingungslos, sondern an äußere Umstände geknüpft. Er ist sich letztlich selbst am nächsten und jederzeit bereit, den vermeintlichen Freund zurückzulassen, wenn es die Situation erfordert. Keine Spur von selbstloser Solidarität und der sprichwörtlichen honor among thieves, zumindest nicht in dieser Konstellation.

Und so nimmt THE SPIKES GANG tatsächlich einen metafilmischen Zug an: Er konfrontiert den Zuschauer, der bestimmte nicht zuletzt vom Kino geprägte Vorstellungen über den „Wilden Westen“ hat, mit dessen Realität, lässt die Träumer Will, Les und Tod mit dem vermeintlichen Westernhelden zusammentreffen. Es sind zwei Welten, die da aufeinanderprallen. Das Drama besteht letztlich darin, dass beide Seiten meinen, das Gleiche zu wollen. THE SPIKES GANG behält lange Zeit einen heiteren Ton, auch noch, nachdem es schon den ersten Toten zu beklagen gab. Fleischer hält die Hoffnung, der Traum lasse sich vielleicht tatsächlich verwirklichen, lange am Leben. Der Umschwung erfolgt überstürzt, vollzieht sich so schnell, dass gar keine Zeit dazu bleibt, die Vorgänge zu betrauern. Ein Drehbuchfehler? Vielleicht. Vielleicht aber auch ein Zugeständnis gegenüber der Realität, die sich nur selten Gedanken darüber macht, ob sie leinwandtauglich ist.

Hmmm. Je länger ich drüber nachdenke, umso besser gefällt mir THE SPIKES GANG.

In Bradenville, einer florierenden Kupferminenstadt in der Wüste von Arizona, kommen drei Bankräuber (Stephen McNally, J. Carrol Naish und Lee Marvin) mit finsteren Absichten an. Ihr Überfall wird auch die Leben verschiedener Einwohner auf schicksalsträchtige Weise beeinflussen, unter ihnen Shelley Martin (Victor Mature), Mitinhaber der Kupfermine, dessen Sohn enttäuscht ist, dass sein Vater nicht im Krieg gekämpft hat, Shelleys depressiver und alkoholabhängiger Geschäftspartner Boyd (Richard Egan) und dessen fremdgehende Gattin Emily Fairchild (Margaret Hayes), deren Ehe in Trümmern liegt, Harry Reeves (Tommy Noonan), der Manager der Bank, der der hübschen Linda Sherman (Virginia Leith) nachspioniert, die Bibliothekarin Elsie Braden (Sylvia Sidney), die Schulden bei der Bank hat und deshalb zur Handtaschendiebin wird, und die Amish-Familie um Vater Stadt (Ernest Borgnine), auf deren Farm der finale Shootout entbrennt …

Kritikerlegende Andrew Sarris kategorisierte Filmemacher in seinem Buch „The American Cinema: Directors and Directions 1928 – 1968“ nach verschiedenen positiven wie negativen Eigenschaften. Richard Fleischer landete zusammen mit geschätzten Kollegen wie John Frankenheimer, Sidney Lumet, Stanley Kubrick, Robert Rossen und Jules Dassin in der Kategorie „Strained Seriousness“, zu Deutsch etwa „überstrapazierte Ernsthaftigkeit“. Die von ihm so etikettierten Regisseure bezichtigte er einer Tendenz zur Aufgeblasenheit und Prätentiosität, einem Mangel an künstlerischer Zurückhaltung sowie der Uneinheitlichkeit des Werks. Man mag zu diesem Vorwurf stehen wie man will, es gibt durchaus gute Gründe, Sarris hinsichtlich der genannten Kandidaten – und eben auch Fleischer – zuzustimmen. Und VIOLENT SATURDAY, von vielen dennoch als einer von Fleischers stärksten Filmen der Post-Film-Noir-Phase angesehen (hier etwa wird er als „the reigning king of Southwestern noir until, say . . . CHARLEY VARRICK?“ bezeichnet), illustriert recht eindrücklich, wie Sarris‘ Kritik gemeint sein könnte.

Der farbenprächtige CinemaScope-Film beginnt zunächst wie ein klassischer Heist Movie: Das Städtchen Bradenville wird kurz vorgestellt, dann treffen die finster dreinschauenden Ganoven ein und beginnen mit ihren Vorbereitungen. Die Durchführung des Überfalls rückt jedoch bis zum letzten Drittel des Films in den Hintergrund und macht einer  Collage von melodramatischen Episoden Platz, die gleichermaßen an die Soap-Opera-Vorläufer eines Douglas Sirk erinnert (ohne jedoch dessen feine, aber spitze Ironie zu erreichen) wie auch an die Gesellschaftspanoramas von Robert Altman mit ihren sich überkreuzenden Handlungspfaden. Die zentralen handelnden Personen bekommen viel Raum, um ihre Probleme auszubreiten und eine Lösung anzustreben, die dann jedoch mit dem Überfall kollidiert. Ein interessantes Konzept, das Fleischer mit dem von ihm gewohnten Gespür für visuelle Gestaltung und Erzählökonomie angeht. Aus dem Film Noir rettet er die expressiven Schattenwürfe in die sonst sonnendurchflutete, grellbunte Wüstenstadt, den bitteren Existenzialismus, der den Glauben an die Möglichkeit, die eigenen Geschicke aktiv und selbstverantwortlich beeinflussen zu können, resigniert verwirft, und die als Suchenden gezeichneten Charaktere herüber, die jedoch unverkennbar in den spießigen Fünfzigern und deren Traum von finanzieller Affluenz, Liebes- und Familienglück verhaftet sind. Dies mindert den wohl angepeilten emotionalen Impact für heutige Betrachter jedoch beträchtlich: Die Probleme – etwa die verzweifelten Bemühungen Shelleys, seine Nicht-Teilnahme am Zweiten Weltkrieg gegenüber seinem enttäuschten Sohn wettzumachen, oder die milden Stalker-Anwandlungen des Bankmanagers Reeves – muten nur halb so dramatisch an, wie sie im Rahmen des Films wohl sein sollen, ihre Auflösung scheint am Ende eher dem Effekt als der Aufrichtigkeit geschuldet, genauso wie das überaus brutale Finale auf der Amish-Farm, bei dem einer der Schurken von hinten mit der Mistgabel erstochen wird.

Um zum Ausgangspunkt meines Textes zurückzukommen: VIOLENT SATURDAY ist etwas zerrissen in dem Bemühen, ernsthaftes, bewegendes Drama und Crime-Reißer unter einen Hut zu bringen, und wenn er Ersteres zugunsten des Letzteren verwirft, dann könnte man das mit einiger Berechtigung als zynisch bezeichnen. Das ändert aber nichts daran, dass Fleischer ein hoch interessanter Film gelungen ist, dessen einzelnen Versatzstücke  großartig inszeniert sind und der zudem von einer famosen Besetzung geadelt wird. Lee Marvin gibt eine fiebrige Performance als hypernervöser, Nasenspray-abhängiger Gangster und Richard Egan hat die vielleicht beste, auf jeden Fall aber die schönste und schmerzhafteste Szene des Films, in der er der attraktiven Linda im schwerst angetrunkenen Zustand eine gemeinsame Zukunft anbietet – und damit nur deshalb nicht durchkommt, weil der Alkohol vorher seinen Tribut fordert. Die erlesene, schwelgerisch-romantische Fotografie trägt ihren Teil dazu bei, dass VIOLENT SATURDAY in seinen besten Momenten von einem Gefühl bittersüßer Wehmut, einer Mischung aus verträumter Melancholie und euphorischer Aufbruchsstimmung, durchzogen wird. Anstatt das auszuarbeiten, zerschlägt Fleischer es am Ende in einer herben Gewalteskalation, die schon seinen MR. MAJESTYK erahnen lässt und ein frühes Musterbeispiel brutaler Actioninszenierung ist.

Der Erste Weltkrieg. Schwarzweiß. Ein Schlachtfeld. Rauchschwaden ziehen über die verstreut herumliegenden Leichen und Trümmer, ein großes Holzkreuz, dessen Jesusfigur traurig aus ihren tiefen schwarzen Augenhöhlen auf die ihn umgebende Verwüstung stiert, prangt über dem Geschehen. Ein Soldat (Lee Marvin) torkelt nach Orientierung suchend umher, wird von einem aufgescheuchten, panischen Hengst attackiert, der jedoch ebenso schnell wieder verschwindet, wie er aufgetaucht ist. Plötzlich kommt aus dem Nebel ein Mann auf den Soldaten zu. „Der Krieg ist vorbei! Der Krieg ist vorbei!“, ruft er. Der Soldat versteckt sich, überrumpelt den Mann und ersticht ihn. Zurück in seinem Stützpunkt berichtet er seinem Vorgesetzten von dem Angriff und dem vermeintlich feigen Täuschungsmanöver des Deutschen. Doch der klärt ihn auf, dass der Krieg tatsächlich vorbei ist. Der Soldat hat einen Menschen umgebracht.

So beginnt Samuel Fullers THE BIG RED ONE, in vielerlei Hinsicht vermutlich der persönlichste und wichtigste Film des großen Regisseurs. Samuel Fuller war selbst Soldat im Zweiten Weltkrieg und die Erfahrungen, die er dort machte, sollten seine Filme – neben seiner Journalistentätigkeit – am meisten beeinflussen. Es reicht bereits eine oberflächliche Kenntnis von Fullers Biografie, um THE BIG RED ONE als autobiografisch erkennen zu können: Schon mit dem Titel spielt er auf den „Spitznamen“ seiner Einheit an, der 1. Infantriedivision, deren Kennzeichen, eine rote Eins, der Soldat im oben geschilderten Prolog erfindet. Die Stationen, die die Protagonisten des Films durchlaufen – Nordafrika, Sizilien, die Normandie, Belgien, Tschechoslowakei -, waren auch die Stationen von Fullers Einsatz und einige der Episoden des Films gründen auf seinen Erlebnissen während dieser Zeit. Darüber hinaus ist Fuller aber auch als Person allgegenwärtig: Zab (Robert Carradine), ein zigarrerauchender Journalist und Schriftsteller, der zu Hause gerade seinen ersten Roman veröffentlicht hat, ist eindeutig das Alter ego des Regisseurs, der in einer kleinen Rolle als Kriegsberichterstatter auch selbst mitwirkt, und der von Lee Marvin – seinerseits ein Zweiter-Weltkriegs-Veteran – gespielte Sergeant darf als Manifestation Fuller’scher Überzeugungen und Werte betrachtet werden. Man kann daher nur erahnen, wie sehr es Fuller getroffen haben muss, als die Verantwortlichen von Warner THE BIG RED ONE brutal verstümmelten und lediglich in einer radikal gekürzten Rumpffassung veröffentlichten, die trotz Kritikerlob – der Film gewann 1980 die Goldene Palme in Cannes – natürlich niemand sehen wollte. Die seit 2004 erhältliche rekonstruierte Fassung, die rund 40 Minuten länger ist als die alte Kinofassung, vermittelt einen genaueren Eindruck davon, was Fuller zeigen und sagen wollte (auch wenn sich diese Fassung dem tatsächlichen Director’s Cut letztlich auch nur annähern, ihn aber nicht tatsächlich wiederherstellen kann) und was den Studioleuten damals so sauer aufstieß.

In lose verbundenen Szenen schildert THE BIG RED ONE die Kriegserlebnisse der „Four Horsemen“, einer Gruppe junger Rekruten (Robert Carradine, Mark Hamill, Bobby Di Cicco und Kelly Ward), die gemeinsam mit dem namenlos bleibenden Sergeant, einem kernigen Vollblutsoldaten, zahllose Schlachten durchstehen, Neuankömmlinge überleben und schließlich das Kriegsende erleben. Nach dem erfolgreichen Einsatz in Nordafrika, gelangen sie über Sizilien nach Frankreich, wo sie am D-Day der Invasion der Alliierten in der Normandie beiwohnen, sich bis in die Ardennen durchkämpfen und schließlich das Konzentrationslager Falkenau befreien. Verfolgt werden sie dabei von Schroeder (Siegfried Rauch), dem deutschen Pendant des Sergeants, der sich persönlich für eine erlittene Verwundung rächen will …

Schon dieser Versuch einer konventionellen Inhaltsangabe macht deutlich, warum THE BIG RED ONE seinerzeit so viel Unverständnis entgegenschlug: In seiner episodischen, losen Struktur verweigert sich der Film einer auf dem Kriegsfilm der Vierziger- und Fünfzigerjahre beruhenden epischen Heldenerzählung, stiftet weniger Sinn und Überblick im kriegerischen Chaos, als die existenzielle Wucht dieses Chaos in seiner brüchigen Form herauszuarbeiten, erteilt keinen moralischen Freibrief, indem er Schuldzuweisungen vornimmt, in Gut und Böse unterteilt, sondern lässt den Zuschauer mit dem Widerspruch zurück. Dennoch lässt er sich nicht dem nach dem Vietnamkrieg etablierten Antikriegsfilm zuordnen, weil er nicht wie dieser von einem archimedischen Punkt aus kritisiert – wie könnte er auch? -, sondern den Krieg vielmehr als Bestandteil menschlicher Zivilisation annimmt, mit dem wir leben müssen. Und auch wenn er in seinem narrativen Fragmentarismus als Vorläufer des zeitgenössischen Kriegsfilms mit seinen um Authentizität bemühten Darstellungen erscheint, dank Fullers zupackender Inszenierung, die ohne extravagante Kniffe und selbstverliebte Technikspielereien auskommt, wie diese sehr unmittelbar und körperlich wirkt, so hat der Film doch auch eine andere, unleugbar metaphysische Qualität. Der Sergeant, von dem wir weder den Namen noch sonst ein biografisches Detail erfahren, scheint im Feuer des Krieges geboren, er fungiert als eine Art Schutzengel für seine Rekruten, die ihre Odyssee unter seiner Obhut ohne jeden Kratzer überstehen, eher wie distanzierte Beobachter als wie Teilnehmer wirken, gemeinsam lachen, feiern, essen, reden und geil sind. Das ist das Geheimnis ihres Überlebens: dass sie nie zu sehr in das Geschehen um sie herum involviert sind. Die Namen der Männer, die ihnen wieder und wieder zur Seite gestellt werden, merken sie sich nicht, weil sie an das ständige Sterben gewohnt sind, und einmal sagt Zab, der als Erzähler fungiert, dass man sich im Schlachtgetümmel immer allein fühle, egal von wie vielen Kameraden man umgeben sei. Im Krieg geht es um nichts anderes als das Überleben: „Surviving is the only glory in war“, heißt es am Ende und das ist auch die Quintessenz des Films. Doch es ist die Überzeugung des Sergeants, dass moralisches Handeln und Überleben sich keineswegs ausschließen, sondern ersteres letzteres überhaupt erst ermöglicht. Und es gehört zur Offenheit von THE BIG RED ONE und zu Fullers konzeptionell-dramaturgischem Geschick, dass er diese Sichtweise in pervertierter Form auch von Schroeder vertreten lässt, der behauptet, dass ein Soldat alles tun müsse, um zu überleben, sich notfalls auch vor dem Feind ergeben, um so in der Lage zu sein, ihn zu einem späteren Zeitpunkt umzubringen.  

Dieser Gegensatz ist der vielleicht der stärkste in einem Film, der das Nebeneinander und die Gleichzeitigkeit von Leben und Tod, von Glück und Leid, Freude und Angst, Sieg und Niederlage, also das Dialektische, Paradoxe, Absurde als paradigmatisch für das Phänomen „Krieg“ begreift. Ob die Soldaten sich selbst eingraben müssen, um dem Feind zu entgehen, sie einem Jungen bei der Beerdigung von dessen Mutter behilflich sind und im Gegenzug dafür zu einem Geschützpunkt geführt werden, sie einer Frau in einem Panzer bei der Entbindung helfen (jedoch, wie einer von ihnen sagt, nur dafür ausgezeichnet werden, Mesnchen umgebracht zu haben), oder eine Irrenanstalt stürmen, die den Nazis als Versteck dient: So eindeutig und klar ihre Mission auch ist, als so widersprüchlich empfinden sie sie dennoch. Das kommt nicht zuletzt in den geschliffen ungeschliffenen Dialogen zum Ausdruck, deren Pointen messerscharf durch den bullshit schneiden wie ein heißes Messer durch Butter. Der Austausch zwischen dem zweifelnden Rekruten Griff und dem Sergeant ist ein Beispiel: „I can’t murder anybody.“ „We don’t murder, we kill.“ „It’s the same thing.“ „The hell it is. You don’t murder animals, you kill ‚em.“ Der Dialog kurz vor dem Angriff auf das Irrenhaus ein anderes: „Killing insane people is not so good for public relations.“ „Killing sane people is okay?“ „That’s right.“ Es ließen sich noch zahlreiche weitere Beispiele aufzählen, doch keines verdeutlicht die Absurdität des Krieges so gut wie das Finale, mit dem Fuller nicht nur den Bogen zum im ersten Absatz geschilderten Prolog schlägt, sondern seinem Sergeant auch die Absolution erteilt: Wieder taumelt ein Soldat – der deutsche Schroeder – auf den Sergeant zu, wieder verkündet dieser das Ende des Krieges, wieder glaubt der Sergeant an einen Trick und greift den Mann an, wieder stellt sich kurz danach heraus, dass der Mann die Wahrheit gesagt hat. Doch gemeinsam mit den „Four Horsemen“ gelingt es dem Sergeant diesmal, den Mann, der nur wenige Stunden zuvor noch sein Todfeind war, zu retten: „You’re going to live, even if I have to blow your brains out.“

Viele Filmemacher haben den Krieg als surreale Parallelwelt gezeichnet und mancher hat dabei sogar seine körperliche und geistige Gesundheit und sein Vermögen riskiert. Doch so klar wie Fuller ist noch niemand gewesen. Es ist wohl auch diese Klarheit, die verhindert, dass THE BIG RED ONE neben Kritikern und Filmwissenschaftlern auch den Laien begeistert.