Mit ‘Lucio Fulci’ getaggte Beiträge

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Veröffentlicht: September 14, 2017 in Film
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Fulcis meisterhafter Spät-Italowestern I QUATTRO DELL’APOCALISSE ist dieser Tage bei X-Rated als Blu-ray erschienen und kann demnach auch hierzulande in voller Pracht und ungeschnitten erlebt werden. Ich freue mich, an der Veröffentlichung in Form eines Audiokommentars beteiligt zu sein, den ich zusammen mit dem unfassbar tollen Pelle Felsch zusammen eingesprochen habe (auch wenn auf dem Backcover Christian Kessler als Audiokommentator genannt wird; eine Verwechslung, mit der ich gut leben kann). Darüber hinaus enthält das Mediabook ein Booklet von Martin Beine, ein Interview mit Fabio Frizzi und diverse weitere Featurettes. Auf Amazon beklagen einige, dass die ungeschnittene Version in ihrer Auflage fehle, aber dazu kann ich nichts sagen. Am besten fragt man wohl beim Händler des Vertrauens nach.

Der Experte mit dem Gorebauerndiplom weiß: Insel, Seil, Stadt und Haus gehören zusammen! Die vier Titel sind hauptverantwortlich dafür, dass Lucio Fulci heute landauf, landab als Zombie-Opa und Splatterpapst verehrt wird. In allen genannten Filmen spritzt die rote Soße mit Verve, werden Halsschlagadern zerfetzt und Augäpfel durchbohrt, dass der Staatsanwalt rotiert, was genug ist, um sie stets im Verbund zu denken. Dabei fällt VILLA zumindest thematisch doch deutlich raus, hat mit Zombies noch weniger zu tun als die anderen (ich hatte ja in den jeweiligen Texten argumentiert, dass auch PAURA und L’ALDILA streng genommen eher Geister- als Zombiefilme sind) und ist eigentlich im klassischen Gothic-Horror zu verorten, allerdings versetzt mit den Fulci’schen Merkwürdigkeiten.

Was mir diesmal besonders aufgefallen ist, ist die Nähe von VILLA zu Kubricks THE SHINING. Zwar entwickeln sich die beiden Filme in ganz unterschiedliche Richtungen – in Kubricks Film läuft am Ende kein Killer mit Faulfresse rum, wenn ich mich recht erinnere -, aber die Parallelen sind meines Erachtens dennoch kaum zu übersehen. Beide Filme drehen sich um dreiköpfige Familien, die wegen eines Jobs des Vaters den Wohnort wechseln und in ihrer neuen Behausung mit dem Unerklärlichen konfrontiert werden. In beiden Filmen zerren rätselhafte Vorgänge an den Nerven der Bewohner, freundet sich der Sohnemann mit einem Mädchen an, das nicht der Sphäre der Lebenden anzugehören scheint, fungiert ein unheimliches altes Foto zudem als Hinweis darauf, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Am Ende lösen sich, und das ist Fulci-typisch, verweist aber ebenfalls auf Kubricks Film, die Gesetzmäßigkeiten von Zeit und Raum in Luft auf und VILLA schließt, wie THE SHINING mit einem den Kreis schließenden Blick auf das besagte Foto. Die unheimliche, herbstlich-melancholische Atmosphäre des Films wird durch die regelmäßigen Gewaltausbrüche immer wieder empfindlich gestört, aber ohne dass es diese seltsame traumgleiche Gedämpftheit jemals stören würde.

VILLA ist nicht der beste von Fulics berühmtem Vierteiler, diese Ehre würde ich je nach Stimmungslage L’ALDILA oder ZOMBI 2 zuweisen. Er ist auch nicht so ungezwungen und frei wie PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI, der mit einem fauligen Fuß schon in der Avantgarde steht, aber ich mag ihn wirklich sehr, ohne das genau begründen zu können. Wahrscheinlich ist es wirklich diese Atmosphäre: VILLA ist einerseits sehr kalt, dann aber auch wieder deutlich intimer als anderen genannten. Er scheint geradewegs irgendwelchen Groschenroman- oder Comicseiten zu entspringen mit seinem schurkischen Dr. Freudstein, der im Keller seines Hauses darauf wartet, dass irgendwer einzieht, den er abmurksen kann. Dann kollidieren diese Pulpelemente aber immer wieder mit der Poesie des Gothic Horrors und der Beschäftigung mit einer spirituellen Jenseitswelt. Das Fleischlich-Fleischige und das Immaterielle gehen in Fulcis Film eine unorthodoxe, aber hoch effektive Bindung ein, die so gleichermaßen Fulcis Kenntnis von Horrorliteratur und -film widerspiegelt wie auch seine Sensibilität für das, was uns instinktiv bei der Gurgel packt. QUELLA VILLA ACCONTO AL CIMITERO nimmt über weite Strecken die Perspektive eines Kindes ein. Im Grunde genommen handelt es sich um eine Kinderfilm: einen Film, den man am besten versteht, wenn man sich von Logik und anderen „erwachsenen“ Welterklärungsmodelle völlig frei macht.

 

„Seil“, wie PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI unter deutschen Fulci-Fans in Abkürzung seines kongenialen deutschen Verleihtitels gern genannt wird, war von seinen Splatterepen immer der, den ich am wenigsten mochte. Das änderte sich erst bei der (jetzt auch schon wieder gut zehn Jahre zurückliegenden) letzten Sichtung, in der er mich in seiner ganzen surrealen, akausalen Schönheit offenbarte. In meinem Text zu L’ALDILA schrieb ich im vergangenen Jahr, dass es sich bei diesem eigentlich eher um einen Endzeitfilm as um einen klassischen Zombiefilm handelte, weil die Zombies eher als geisterhafte Sendboten der Apokalypse auftreten denn als hungrige Menschenfresser. Auf PAURA trifft das auch zu; genau genommen sind sich die beiden Filme so ähnlich, dass man L’ALDILA fast als Remake bezeichnen könnte: Er ist etwas ausgefeilter, seine Set Pieces sind spektakulärer, die Effektszenen breiter, zahlreicher und garstiger, die Bilder prächtiger, aber die „Story“, sofern man von einer solchen sprechen mag, ist nahezu identisch. Hier wie dort geht es um den Zusammenbruch der Welt, wie wir sie kennen: Gräber öffnen sich, Tote wandeln plötzlich durch die Straßen, geisterhafte Wesen materialisieren sich aus dem Nichts und verschwinden genauso spurlos wieder. Ein Mann und eine Frau stellen sich dem Spuk, doch am Ende können auch sie nichts ausrichten: Das Bild zersplittert, die Wirklichkeit zerbricht, zurück bleibt bodenlose Schwärze.

Der größte Unterschied zwischen beiden Filmen ist das Tempo: PAURA lässt sich viel Zeit und springt zwischen verschiedenen Charakteren hin und her, die zunächst nicht viel miteinander zu tun haben: Da ist das Medium Mary (Catriona MacColl), die eine Vision vom Unheilsort hat, daraufhin in einen kataleptischen Zustand verfällt und lebendig begraben wird, sowie der Reporter Peter (Christopher George), der in ihrem geheimnisvollen Todesfall recherchiert, sie gerade noch aus ihrer misslichen Lage retten kann und sich gemeinsam mit ihr auf den Weg in die dem Untergang geweihte Stadt Dunwich begibt. In Dunwich selbst rätseln der Psychotherapeut Gerry (Carlo Di Mejo), seine Patientin Sandra (Janet Agren), der Mechaniker Mr. Ross (Venantino Venantini) sowie diverse andere über die seltsamen Vorgänge, während der derangiert wirkende Bob (John Morghen) orientierungslos durch die Straßen stapft. Ich habe PAURA diesmal leider als etwas träge und umständlich empfunden: Fulci versucht eine Atmosphäre des drohenden Unheils aufzubauen, aber er tritt dabei  über weite Strecken auf der Stelle, weil es bis kurz vor Schluss keine richtige Zuspitzung der Ereignisse gibt. Vielleicht war meine Ungeduld aber auch ein Resultat der Verbindung aus Müdigkeit und der wie immer eher zweckdienlichen englischen Synchronisation, die nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hinreißt. Dennoch hat PAURA natürlich wunderschöne Ideen, wie gewohnt einen fantastischen Score von Fabio Frizzi und es gelingt Fulci auch durchaus, dieser verquere Stimmung zu erzeugen, die den Bezug auf Lovecraft rechtfertigt.

Ein sehr tolles Element, das mir vorher noch nie so aufgefallen ist, ist die Präsenz von Christopher George: Sein Peter ist der personifizierte Optimismus, den kein Wässerchen trüben kann, und er trägt bis spät im Film ein breites, freundliches Lächeln spazieren, bei dem man nicht so recht weiß, ob es sein Charakter ist oder ob George die Pläne Fulcis sabotieren wollte, so wie es Warbeck in L’ALDILA machte, als er eine Pistole durch den Lauf mit Patronen füllte. Auf jeden Fall macht seine Weigerung, auch angesichts noch so deutlicher Zeichen des drohenden Niedergangs die gute Laune und Hoffnung zu verlieren, ihn nicht nur sympathisch, sondern PAURA auch doppelt tragisch. Seine Unverdrossenheit bekommt etwas Verzweifeltes, Sinnloses, weil die positive Energie, die er verströmt, nichts ändern kann und am Ende unweigerlich enttäuscht werden muss. Aber vielleicht ist er doch der große Gewinner: Während alle mit Leichenbittermiene feststellen, dass alles, woran sie geglaubt haben, zu Staub zerfällt und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, scheint Peter zu ahnen, dass es für den Menschen keine Gewissheit gibt, alles auf Sand gebaut ist und jederzeit von den Gezeiten des Seins fortgerissen werden kann. Er wird nicht Gefahr laufen, der Barbarei anheim zu fallen wie Mr. Ross, der für den Irrsinn, der sich seines Heimatorts bemächtigt, einen Schudigen braucht und sich als Sündenbock den verwirrten Bob ausguckt. Den Drillbohrermord stellte Fulci als „Kritik am Faschismus“ hin, wofür er hier und da verlacht wurde. Ganz Unrecht hatte er damit aber nicht. Und wie könnte ein Film, in dem es um den Zusammenbruch aller Vernunft geht, nicht gegen den Faschismus Stellung beziehen? Die Häme der Kritiker scheint hier einzig und allein einem spießigen Ressentiment gegen den Horrorfilm zu entspringen, dem es anscheinend nicht gestattet ist, zu gesellschaftlichen Missständen Stellung zu beziehen.

 

Auch bei der elfunddrölfzigsten Sichtung immer noch ein Fest: Lucio Fulcis frech und überaus selbstbewusst als Sequel von Romeros Megahit DAWN OF THE DEAD ausgegebener ZOMBI 2. Der Film, mit dem alles begann. Der Lucio Fulcis Wiedergeburt als „Zombie-Opa“ nach stagnierender Karriere als Regisseur von Komödien, Italowestern, Historien-, Gangsterfilmen und Gialli bedeutete und ihn gleichzeitig bis an sein trauriges Ende stigmatisierte. Der Dutzenden von italienischen Regisseuren eine neue, lukrative Richtung aufzeigte. Der eine wahre Flutwelle von Nachahmern aus Südeuropa nach sich zog, die in Deutschland auf besonders großes Interesse der Autoritäten stieß. Und natürlich: Ein Riesenerfolg, nicht zuletzt hier bei uns. Mehr als eineinhalb Millionen Menschn lösten in Deutschland eine Kinokarte für Fulcis Zombiespektakel, das reichte immerhin für Platz 18 in den Kinocharts des Jahres ’79, noch vor Filmen wie DRIVER, THE WARRIORS oder JAWS II. Heutzutage kann man das kaum noch glauben. Man kann die kulturelle und filmhistorische Bedeutung von ZOMBI 2 eigentlich kaum überbewerten.

Und das Schöne: Aus all den Zombiefilmen, die er zusammen mit Romeros großem Vorbild bis heute inspirierte, ragt er motivisch weit heraus. Romero hatte den Zombiemythos ja komplett neu erfunden, ihn von seinen karibischen Ursprüngen vollständig entkoppelt und die Gestalt des Untoten so überhaupt erst in diesem Maße verwertbar gemacht. Der Zombiefilm, wie wir ihn heute kennen, wäre ohne NIGHT OF THE LIVING DEAD überhaupt nicht möglich gewesen. (Wie relevant das Thema zuvor war, sieht man an der Handvoll von Filmen, die sich nach WHITE ZOMBIE von 1932 bis 1969 damit beschäftigt hatten.) Und Fulci? Der nimmt ein Stichwort von DAWN OF THE DEAD-Protagonist Peter und führt uns zurück zu den Ursprüngen des Zombiemythos: nach Matul, auf die „Schreckensinsel der Zombies“, wo sich der versoffene Doktor Menard (Richard Johnson) mit dem Phänomen wiederauferstandener Toter herumschlagen muss und zwei New Yorker – Ann Bowles (Tisa Farrow) und der Journalist Peter West (Ian McCulloch) – sich auf Spurensuche begeben, nachdem in New York das führerlose Boot von Anns Vater mit einem fetten Zombie an Bord angespült worden war.

Fulcis Verdienst ist es, einerseits die Atmosphäre schwüler Bedrohung aus Jacques Tourneurs Gruselklassiker I WALKED WITH A ZOMBIE eingefangen, sie andererseits mit den detailfreudigen Zerlegearbeiten des modernen Zombiefilms kombiniert und dann eine eine direkte Verbindung zwischen den beiden geschaffen zu haben. Am Ende, wenn Ann und Peter zurück nach New York schippern, hören sie im Radio, das die Stadt in der Folge des Bootsfundes am Anfang des Films von Zombies überrannt wird. Bilder zeigen die Untoten, wie sie langsam über die Brooklyn Bridge in Richtung der berühmten Skyline wanken, damit genau jenen apokalyptischen Ton treffend, den Romero mit DAWN OF THE DEAD etablierte. Bis dahin ist ZOMBI 2 eine klassische Geisterbahnnummer, die man fast rührend nennen müsste, wenn einen die ruppigen Effekte von Gianetto de Rossi nicht immer aufschrecken würden. In meinem Kopf geht Fulcis Film eine traute Verbindung mit einem der Horror-Hörspiele ein, die damals wahlweise mit neonroten oder -grünen Covern von Europa erschienen. Matul ist ein geheimnisvolles Eiland, auf dem die wenigen noch lebenden Menschen noch nicht bemerkt haben, dass ihre Heimat von jenseitigen Kräften annektiert wurde, sich genau hier das Tor zur Hölle geöffnet hat, um ihre Diener loszuschicken, die Welt zu erobern. Den ganzen Film über herrscht diese eigenartige Stimmung, eine Art Ruhe vor dem Sturm. Mir ist gestern aufgefallen, wie handlungsarm ZOMBI 2 eigentlich ist: Nach erledigter Exposition besteht der ganze Film eigentlich nur noch aus seinen diversen Set Pieces: Zombie vs. Hai, Olga Karlatos und der Splitter, Conquistadorenfriedhof. Dazwischen guckt Dr. Menard trübsinnig aus der Wäsche und verscharrt Tote in der Hoffnung, dass sie nicht wiederkommen.

In Fulcis Zombie-Oeuvre ist ZOMBI 2 wahrscheinlich der straighteste, aber so viel unterscheidet ihn gar nicht von den surrealen Meisterwerken PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VOVENTI und L’ALDILA. Auch hier wird nichts erklärt, vollzieht sich das Unerklärliche einfach mit erschreckender Banalität, dass der Zuschauer gezwungen wird mitzuerleben wie in einem Traum, in dem er weder die Augen schließen noch sich abwenden kann. Die Kamera agiert seltsam ungerührt von allem, nimmt das alle mit beinahe kindlichem Staunen auf, auch Fulci kommentiert nichts, lässt das alles so stehen. Und Fabio Frizzis Score simuliert sowohl das Klopfen von innen gegen den Sargdeckel wie auch den Trauermarsch für die Menschheit. So geisterbahnknarzig und schwül ZOMBI 2 auch ist, es ist irgendwie auch ein sehr kalter, trauriger, hoffnungsloser Film, in dem keiner noch irgendeine Macht über die Dinge hat. Der Niedergang ist vorgezeichnet, die Zeichen unübersehbar, die Konsequenz unausweichlich. So finster wie bei Fulci war das Ende noch nicht einmal bei Romero.

EDIT: Kurzer Nachtrag: Das Herz des Films schien mir bei dieser Sichtung Auretta Gay als Susan Barrett. Ihre Badeanzug-Szene ist der eine D’Amatoeske Kariberotikmoment, ihr Blick, als ein frisch auferstandener Zombie ihr den Kehlkopf wegbeißt, der blanke Unglauben, den ZOMBI 2 im Wesentlichen zum Thema hat. Und ihr Ende, wenn sie als Wiedergängerin mit leerem Blick vor ihrem von der Erscheinung ins Mark getroffenen Geliebten Brian (Al Cliver) steht, ein Augenblick tiefer Romantik, der bei Fulci natürlich in der blutigen Enttäuschung enden muss.

Meinen letzten Text über Fulcis Film einen „Verriss“ zu nennen, wäre zu viel gesagt; Fakt ist aber, dass ich mit LUCA IL CONTRABBANDIERE damals überhaupt nicht warm geworden bin. Ganz anders gestern, als ich ihn in deutscher Version als DAS SYNDIKAT DES GRAUENS auf großer Leinwand erleben durfte. Was für ein Brett!

Die Diskrepanz zwischen dieser und der vergangenen Sichtung beweist mir mal wieder, dass ich italienische Filme nicht vorschnell aburteilen sollte, wenn ich diese nur mit englischer Synchro genossen habe. Viele der Vorwürfe, die ich beim letzten Mal gegen LUCA IL CONTRABBANDIERE erhob, lassen sich meines Erachtens nur auf die Leb- und Variantenlosigkeit zurückführen, die englische Synchros fast immer „auszeichnet“. Dass einem die Figuren fremd blieben, kann ich nach der gestrigen Sichtung jedenfalls nicht mehr behaupten. Und Sprüche wie „Das ist Ursel aus Frankfurt, sie ist deutsch bis aufs Knochenmark“ knallen einfach wie Peitschenhiebe. Dazu kommt noch, dass Fulcis Inszenierung wirklich erst auf der Leinwand ihre volle Wirkung entfaltet. LUCA IL CONTRABANDDIERE hat einen etwas unscheinbaren Look, der Film ist trüb und farbarm, psychedelische Effektsequenzen wie in seinen Horrorfilmen darf man natürlich auch nicht erwarten, trotzdem ist er eine Augenweide. Die Kamera schwebt immer wieder sanft um die Figuren herum, oft blendet Gegenlicht und belegt das Geschehen kurz mit einem unwirklichen Schleier. Eine frühe Discosequenz, die komplett im Stroboskopgewitter spielt, dürfte für mich ewig weitergehen und Fabio Testi liefert unter der Anleitung Fulcis eine seiner besten Leistungen ab.

Dann ist da natürlich die Gewalt. Die Bunsenbrennerszene brennt sich wahrlich ins Gedächtnis, Dutzende explodierender Köpfe, Brustkörbe und Bäuche lassen einem die Kinnlade herunterklappen. Richtig harter Tobak ist aber eindie ausgedehnte Vergewaltigungssequenz, die im Kinosessel zur wahren Zerreißprobe wird. Die sich zur Kakophonie steigernden Schreie des Opfers und Lucas hilfloser Blick am anderen Ende des Telefons: Das vergisst man nie wieder. Lassen sich viele der in den Siebzigerjahren in Italien entstandene Gangster- und Polizeifilme als chauvinistischer Unfug mit Partycharakter titulieren, wirft LUCA IL CONTRABBANDIERE einen besonders desillusionierten Blick auf das finstere Treiben der Mafia. Lucio Fulci ist eh nicht als großer Spaßvogel bekannt, dieser Film darf als einer seiner trostlosesten angesehen werden.

Ich bin froh, den Film noch einmal in dieser Form gesehen und hier außerdem die Gelegenheit zu haben, vergangene Fehler wiedergutzumachen. LUCA IL CONTRABBANDIERE ist einer von Fulcis besten Filmen.

der_new_york_ripperWie das Terza Visione selbst hat auch meine Berichterstattung darüber irgendwann ein Ende. Das Festival schloss mit diesem Film und einem unvergesslichen Knalleffekt, der mir zum Glück auch die Gelegenheit bietet, etwas geradezurücken. Was ich anlässlich meiner letzten Sichtung vor drei Jahren über den Film geschrieben habe, kann ich nach dieser Wiederbegnung überhaupt nicht mehr nachvollziehen. Ich war geradeu geschockt über das, was ich da lesen musste. Meine Aussagen über den angeblich nicht mehr so potenten Schockfaktor der Effekte, mangelnde Spannung oder andere Kritikpunkte, die ich damals anführte, lassen sich meiner Meinung nach nur mit der anderen Sichtungssituation – zu Hause auf der Couch via DVD und englischer Synchro – und akuter geistiger Umnachtung entschuldigen. Im Kino, schön aus der ersten Reihe und herrlich voyeuristischer Perspektive von schräg unten, hat LO SQUARTATORE DI NEW YORK fast wieder so heftig geknallt wie damals, als ich ihn als unreifer, ob der gebotenen Schweinereien reichlich schockierter Lausebengel sah. Eine der Stärke des Films sind eben diese Effekte, vor allem aber, wie Fulci sie einfängt. Dass der SQUARTATORE einer jener Filme ist, die einem suggerieren, mehr gesehen zu haben, als tatsächlich gezeigt wurde, mag angesichts durchgeschnittener Augäpfel und halbierter Nippel etwas absurd anmuten, aber es stimmt insofern, als Fulci fast ausschließlich mit Close-ups arbeitet, die das „große Ganze“ gnädig verbergen. Dann natürlich die berüchtigte Donald-Duck-Stimme und diese ultrafrontale Montage: LO SQUARTATORE DI NEW YORK nimmt keine Gefangenen, hinterlässt vielmehr auf und vor der Leinwand geschundene Leiber. Und er endet mit einer der geilsten unbefriedigen Auflösungen aller Zeiten. Mir kann keiner erzählen, dass nicht der Psychiater der Mörder war und nach Abschluss der Credits munter weiterkillt.

Eigentlich wollte ich hier aber über etwas anderes schreiben, nämlich darüber, was für großartige Menschen Christoph und Andi, die Initiatoren des Terza Visione, sind. Beziehungsweise darüber, dass ich die beiden für Genies halte, die in einer gerechten Welt von Festivalmachern, Filmmuseen, Archiven, Feuilletons oder sonst wem hofiert und mit Geld beworfen würden. Die deutsche 35-mm-Kopie von LO SQUARTATORE DI NEW YORK galt bis vor kurzem nämlich als verschollen. Alle waren hinter ihr her und wollten sie zeigen, keiner wusste jedoch, wo sie war. Es ist Andreas zu verdanken, dass sie nun wieder verfügbar ist, weil er sie in einem Geistesblitz hinter dem Titel „New York Runner“ (ein Film, den es nicht gibt bzw. den keine Datenbank zuordnen konnte) auf der Liste eines Privatsammlers erkannte. Da war einfach eine unleserlich gewordene Beschriftung übertragen worden und DER NEW YORK RIPPER firmierte plötzlich unter einem Namen, unter dem er nur durch eben einen solchen Geniestreich wiederentdeckt werden konnte. Wenn man hört, welche Unwägbarkeiten die wenigen Leute zu meistern haben, die sich überhaupt noch die Mühe machen, an unzugänglichen Orten unter viel Schlamm verborgene Trüffeln zu suchen, nötigt einem eine solche Eingebung gleich noch einmal so viel Respekt ab. Mal ganz davon abgesehen, dass Andi diese unglaubliche Geschichte, für die ich mir wochenlang auf die Schulter klopfen würde, mit größter Bescheidenheit erzählte. Er hat halt seinen Job gemacht (für den er allerdings keinen Pfennig Geld sieht). Ich bin froh, solche Menschen zu kennen, zu meinem Freundeskreis zählen und mich von ihnen und den von ihnen ausgewählten Schätzen verwöhnen lassen zu dürfen und hoffe inständig, dass all die Freude, die sie da regelmäßig spenden, irgendwann einmal – wenn’s geht nicht erst im afterlife – zurückgezahlt wird.

Ich liebe euch, Jungs! Bis zum nächsten Mal. 🙂

 

2jacci9Als George Miller mit MAD MAX 2: THE ROAD WARRIOR den Endzeitfilm „erfand“, ihm zumindest einen unverwechselbaren und einprägsamen visuellen Stil verpasste, trat er damit vor allem in Italien eine wahre Lawine los (Carpenters ESCAPE FROM NEW YORK war ein weiterer wichtiger Einfluss). Anfang bis Mitte der Achtzigerjahre drehte eigentlich jeder italienischen Genreregisseur seinen Endzeitfilm, mit dem er die von Miller (und Carpenter) erdachte Bilderwelt weiter erkundete und ausschlachtete: Castellari drehte nacheinander 1990: I GUERRIERI DEL BRONX, I NUOVI BARBARI und FUGA DAL BRONX, Ruggero Deodato I PREDATORI DI ATLANTIDE, Sergio Martino 2019: DOPO LA CADUTA DI NEW YORK, Romolo Guerrieri L’ULTIMO GUERRIERI, Joe D’Amato ENDGAME und ANNO 2020: I GLADATORI DEL FUTURO und Giuliano Carnimeo IL GIUSTIZIERE DELLA STRADA, etliche weitere taten es ihnen gleich, lediglich Umberto Lenzi hielt soich raus. Und Fulci? Der inszenierte eben diesen Film, der sich aber nicht an MAD MAX 2, auch nicht an Carpenter, sondern an Norman Jewisons ROLLERBALL orientierte.

Im Gegensatz zu den Filmen seiner Kollegen, die meist in den USA spielen, ist I GUERRIERI DELL’ANNO 2072 in Rom angesiedelt, wo der von Cortez (Claudio Cassinelli) geführte Fernsehsender WBS mit makabren, sensationsgeilen Shows um die Gunst der Zuschauer buhlt, dabei abernur mäßig erfolgreich ist. Die Lösung soll eine Gladiatorensendung sein, in der der Sportstar Drake (Jared Martin, der sogar aussieht wie James Caan) in einem Kampf auf Leben und Tod gegen einige zu Tode Verurteilte – darunter Fred Williamson und Al Cliver – antritt. Doch die Männer freunden sich an un proben den Aufstand gegen das diktatorische System.

Fulcis Entscheidung, sich an Jewisons Dystopie zu versuchen, lässt den Liebhaber des großen, ambitionierten Hollywood-Films erkennen, bereitet für die mit sparsamen Mitteln produzierte Italoversion aber auch erhebliche Schwierigkeiten. Das von BLADE RUNNER inspirierte zukünftige Rom mit den durch die Luft fliegenden Gleitern ist eindeutig als preiswertes Pappmodell zu erkennen, die Settings sind klaustrophobisch beengt, grau und trist, jede Andeutung von Größe aus dem Film getilgt. Anders als Carpenter in seinem ESCAPE FROM NEW YORK oder auch Castellari mit I NUOVI BARBARI, die ähnliche Voraussetzungen vorfanden, gelingt es Fulci aber nicht, seine Limitierungen zu Stärken umzuinterpretieren. Er ist eher ein Opfer seines Budgets als ein souveräner Verwalter: Es ist schwierig, einen Arenakampf nach antikem Vorbild als Spektakel für die blutgierigen Massen zu akzeptieren, wenn diese Massen niemals zu sehen sind, man hinter der Schwärze der Nacht die Kulissenwand erahnt, hinter der der nächste Film gedreht wird. Vielleicht habe ich I GUERRIERI DELL’ANNO 2072 gestern nicht im optimalen Zustand gesehen, vielleicht war ich zu müde, um ihn würdigen zu können. Ich glaube aber eher, dass er es war, der mich so eingeschläfert hat, mit seiner monochromen Tristesse und seiner staubigen Pappigkeit.

EDIT: Habe die englische Synchro „genossen“, die ganz sicher einigen Anteil an meinem Missfallen hat. Mal sehen, ob die deutsche noch was rettet, wenn ich sie mal in die Finger bekomme.

3119311148_aa4f03e2f3Als Fulci diesen Italowestern drehte, da war selbst die durch Castellaris KEOMA eingeleitete Renaissance schon wieder passé. Aber mit dem Dreck, dem Nihilismus, den kaputten Helden und den sadistischen Schurken, die man mit DJANGO und seinen Ahnen verbindet, hat SELLA D’ARGENTO eh nur wenig zu tun. Vielmehr lässt er Fulcis Liebe für den klassischen Hollywood-Western und überhaupt das amerikanische Kino erkennen (ich fühlte mich etwas an Hathaways NEVADA SMITH erinnert)- und wirkt damit mehr als etwas anachronistisch.

Als Junge erschießt Roy Blood den Mörder seiner Vaters, einen der Männer des schurkischen Thomas Barrett. Viele Jahre später reitet er, nun ein gutaussehender Mann (Giuliano Gemma), ziellos durchs Land und hinterlässt, wie uns der melancholische Titelsong berichtet, eine Leichenspur. Ein Mordauftrag, den ihm der Halsabschneider Two-Strike Snake (Geoffrey Lewis) vermittelt und den er widerwillig annimmt, erweist sich als Falle und bringt ihn mit dem kleinen Thomas (Sven Valsecchi) zusammen, dem Neffen von Barrett (Ettore Manni). Der Wunsch, seinen Vater zu rächen, kollidiert mit väterlichen Gefühlen für den kleinen Jungen, dessen Familie er nicht zerstören will …

SELLA D’ARGENTO ist handwerklich über jeden Zweifel erhaben, was vor allem die kürzlich erschienene HD-Version deutlich macht, die die die von der Sonne ausgedörrten Bilder und die wunderschönen, spannungsreichen Bildkompositionen voll zur Geltung bringt. Aber irgendwie wollte der Funke einfach nicht überspringen. Fulcis Film ist sichtlich in dem Vorhaben gefertigt, großes Kino zu machen, nicht nur für eine beschränkte Zielgruppe, sondern buchstäblich für die ganze Familie. Die wenigen Härten – es gibt einige blutige Einschüsse zu bewundern – hat man damals, vor rund 40 Jahren, halt so mitgenommen, ansonsten steht die Freundschaft zwischen dem Revolverheld, dem man den skrupellosen Killer nicht so wirklich abnimmt, und dem blonden Jungen im Vordergrund, reiten die beiden in einem eher lustigen als kitschigen Ende gar zusammen in die Sonne, Blood auf seinem stolzen Hengst, der kleine Thomas auf einem niedlichen Zwergpony. Das ist nicht per se zu verurteilen, aber mir fehlten dann doch die Aha-Momente, die Brüche, die ungewöhnlichen Ideen, mit denen Fulcis Werk sonst geradezu gespickt ist. Nette, gediegene Abendunterhaltung, aber nicht mehr. VIelleicht hätte ich den Film auch nicht zur Mittagszeit schauen sollen.

zanna-bianca-locandina-lowIn Jack Londons berühmtem Roman „White Fang“ (deutscher Titel: „Wolfsblut“) geht es um den Kontrast zwischen Zivilisation und Natur, der am Beispiel eines Wolfsmischlings herausgearbeitet wird. Das Junge eines Wolfs und einer Schlittenhündin beginnt sein Leben als Haustier eines Indianerstamms, wird dann an einen skrupellosen Geschäftemacher verkauft, der es bei blutrünstigen Tierkämpfen einsetzt. Unter der Obhut des Abenteurers Scott reist das Tier schließlich zurück nach Kalifornien, wo es sich erneut der Zivilisation anpassen muss. In Lucio Fulcis Adaption tritt das Tier selbst ein wenig in den Hintergrund, doch die thematische Orientierung des Romans bleibt weitestgehend erhalten.

Der Regierungsbeamte Kurt Janssen (Raimund Harmstorf) und sein Freund, der Schriftsteller Jason Scott (Franco Nero) reisen an den Klondike River in Kanada, genauer gesagt in das Goldgräberstädtchen Dawson City, in dem sich der verbrecherische Geschäftsmann Charles „Beauty“ Smith (John Steiner) niedergelassen hat. Auf dem Weg dorthin begegnen sie dem Indianer Charlie (Daniel Martin), der mit seinem Sohn Mitsah (Missaele) und dem Hund „Wolfsblut“ zusammenlebt. Ein Unfall Mitsahs bringt die Familie nach Dawson, wo Smith den Indianer umbringen lässt und den Hund in seine Gewalt bringt. Als sich die Nachricht ausbreitet, dass neue Goldvorkommen im Osten entdeckt wurden, eskalieren die schwelenden Konflikte …

ZANNA BIANCA ist ein mit deutlich erkennbaren kommerziellen Ambitionen aufwändig produzierter Abenteuerfilm „für die ganze Familie“. Die beiden Freunde Kurt und Jason setzen es sich sofort zum Ziel, in Dawson für Ordnung zu sorgen und legen sich dafür – unter großzügigem Gebrauch ihrer Fäuste – mit Smith an. Hier erinnert Fulcis Werk durchaus etwas an die frühen Spencer/Hill-Filme mit ihren gut gelaunten, unverdrossenen Helden, lockeren Sprüchen, saftigen Keilereien und schmierigen Schurken. Harmstorf darf einmal sogar Nägel mit der Hand ins Holz dreschen: Die Kartoffel aus DER SEEWOLF hatte Spuren hinterlassen. Das ganze Setting, der Subplot um Wolfsblut und den Indianerjungen ist natürlich etwas, das Jungs damals das Herz aufgehen lassen musste, und ein bisschen Romantik gibt es auch in den zart angedeuteten Liebesgeschichten zwischen der Saloonsängerin Krista (Carole André) und Kurt auf der einen, der Nonne Schwester Evangelina (Virna Lisi) und Jason auf der anderen Seite. Fernando Rey sorgt zwei Jahre nach seinem Auftritt in THE FRENCH CONNECTION für Hollywood-Atmosphäre in der rein europäischen Produktion und natürlich darf ein explosiver Showdown auch nicht fehlen. ZANNA BIANCA ist schön anzusehen und stimmt heute angenehm nostalgisch.

Man spürt aber auch, dass Fulci für die wohl angestrebte Form reuelosen Eskapismus nicht ganz der richtige Mann war, ihm eine werkgetreuere Adaption des London-Romans wahrscheinlich lieber gewesen wäre. Die Skepsis gegenüber dem Menschen, die latente Misanthropie, die den Spätwestern auszeichnet, aber eben auch charakteristisch für Fulcis Schaffen ist, steht dem unbeschwerten Vergnügen dann doch merklich im Weg: ZANNA BIANCA wird seine Melancholie, ausgelöst durch die Einsicht in die Korrumpierbarkeit des Menschen, nie ganz los und die überschwängliche Freude, die Jason am Ende empfindet, wenn er den totgeglaubten Hund doch noch in die Arme schließen und mit in die Zivilisation nehmen darf, will sich einfach nicht auf den Betrachter übertragen. Zu sehr erkennt man darin das Bestreben des Menschen, sich alles zu Untertan zu machen. Wolfsblut gehört, genau wie sein Herrchen Mitsah, in die verschneite Landschaft der kanadischen Wälder, nicht in die Stadt. Ein Erfolg war ZANNA BIANCA aber trotzdem, weshalb Fulci nur ein Jahr später ein Sequel folgen ließ, mit der nahezu gleichen Besetzung. Es sei ihm von Herzen gegönnt.

138703Senator Puppis (Lando Buzzanca) ist aussichtsreicher Kandidat für die Wahl zum italienischen Staatspräsidenten, doch kurz vor dem Ziel droht ihm eine sexuelle Neurose zum Verhängnis zu werden: Puppis verspürt nämlich den unstillbaren Drang, Frauen an den Hintern zu greifen. Als Journalisten den Skandal enthüllen, wird er zunächst das Opfer einer ordinären Erpressung, doch das ist nur der Anfang. Wenig später melden sich schließlich seine Gönner und Förderer bei ihm, die erhebliches Interesse an seinem Erfolg haben, eine Wahlniederlage nicht akzeptieren können. Allen voran Kardinal Maravidi (Lionel Stander), der wiederum enge Kontakte zur Mafia in Form von Don Gesualdo (Corrado Gaipa) unterhält. Maravidi verordnet Puppis eine schnelle Therapie bei Vater Schierer, einem deutschen Mönch, der den völlig hilflosen Politiker nach wenigen Tagen als geheilt entlässt. Ein Irrtum, wie sich bald herausstellt …

Lucio Fulcis drittletzter Ausflug ins Komödienfach, das einst seine Heimat war (es folgten später noch die Vampirkomödie DRACULA IN BRIANZA und LA PRETORA), zeigt sehr schön, welch subversives Potenzial das Genre eigentlich hat. Was wie eine alberne Commedia sexy all’Italiana beginnt, an burleske Die-da-oben-Polemisierungen erinnert, steigert sich im weiteren Verlauf zu einer reichlich finsteren und desillusionierten Bestandsaufnahme der politischen Situation in Fulcis Heimatland. Puppis – kongenial interpretiert von Buzzanca, der in Italien auf die Rolle des unbeholfenen Landeis abonniert war – ist eine Marionette, ein jämmerlicher Günstling von Gnaden der Kirche und des organisierten Verbrechens, als Mensch von klein auf zu jenem Puritanismus gedrillt, der heute seine peinlichen Folgen zeitigt, der fromme Maravidi ein skrupelloser Machtmensch, der auch bereit ist, über Leichen zu gehen, wenn es die Situation erfordert. Das zeigt sich sehr drastisch am Ende, als Puppi seine Entscheidung mitteilt, der Politik den Rücken zuzukehren. So leicht lassen die Mächtigen ihre Sockenpuppen nicht ziehen.

In Puppis Fetisch äußert sich nicht nur seine weinerliche Eierlosigkeit – er ist einfach nicht in der Lage, seine Triebe angemessen auszuagieren oder sich einem gleichberechtigten Partner auf Augenhöhe anzunähern -, sondern eben auch seine Unfähigkeit, sich seinen Problemen zu stellen: Er steht seinen eigenen Gefühlen und Bedürfnissen völlig passiv und ratlos gegenüber, ohne eine Idee, wo die Wurzel seiner Probleme liegen könnte. Diese Unfähigkeit macht ihn ironischerweise zu einem idealen Präsidentschaftskandidaten, kommt es doch eh nicht auf Hellsichtigkeit und Durchsetzungsvermögen an, sondern nur darauf, als Identifikationsfigur für ddas Volk zu agieren – die echten Entscheidungen werden eh ganz woanders getroffen, in den Hinterzimmern des Klerus, der Wirtschaft und des organisierten Verbrechens. Puppi ist umso besser, je weniger eigenen Willen und eigene Meinung er hat, je mehr er sich von seiner ihm zugedachten homöopathischen Dosis „Macht“ blenden lässt.

ALL’ONOREVOLE PIACCIONE LE DONNE (etwa: „Der Abgeordnete mag die Frauen“) ist natürlich ein typisch italienischer Film und versperrt sich dem außenstehenden Betrachter in all seinen Details (und seinem Wortwitz) einem umfassenden Verständnis. Aber im Grunde genommen ist seine Gesellschaftskritik über nationale Grenzen und zeitliche Epochen hinaus verständlich. Wenn Fulci zu Beginn zeigt, wie sich die lautstark mitgehenden Passanten vor dem Schaufenster eines Elektrohändlers drängen, wo Fernsehgeräte den spannenden ersten Präsidentschaftswahlgang übertragen, ein kurzer Schwenk aber offenbart, dass die Menschen tatsächlich ein Fußballspiel im Fenster nebenan verfolgen, weiß man, das Politikverdrossenheit auch vor über 40 Jahren schon ein Thema war. Nicht nur deshalb ist ALL’ONOREVOLE PIACCIONE LE DONNE ein sehr sehenswerter Fulci, auch wenn der Mittelteil etwas durchhängt.