Mit ‘Mafia’ getaggte Beiträge

In Rom löst ein unvorhergesehener Schicksalsschlag eine unaufhaltsame Ereigniskette aus, die nicht nur das Leben mehrerer unterschiedlicher Individuen maßgeblich beeinflusst, sondern bis in die höchsten Etagen des Staates reicht.

Die einzelnen Parteien und Personen der Geschichte und ihre Verflechtung miteinander aufzudröseln, würde an dieser Stelle zum einen zu weit führen, zum anderen einen wesentlichen Teil des Vergnügens schmälern. Es macht nämlich einfach Freude, dabei zuzusehen, wie elegant und geduldig Stefano Sollima seine Geschichte entwickelt und zunächst unabhängig voneinander laufende Plotfäden und Figuren auf unvorhergesehene Art und Weise zusammenführt. Im Mittelpunkt der Handlung stehen die Bemühungen des organisierten Verbrechens, den heruntergekommenen römischen Küstenbezirk Ostia in ein italienisches Las Vegas zu verwandeln. Dafür nötig ist ein Gesetz, das zur Verabschiedung zu bringen die Aufgabe des korrupten Abgeordneten Malgradi (Pierfrancesco Favino) ist. Alles ist vorbereitet, doch dann stirbt eine minderjährige Prostituierte bei einer der kleinen Sexorgien Malgradis. Ihre „Entsorgung“ durch einen überehrgeizigen Jungganoven, der nicht weiß, worauf er sich einlässt, tritt die scicksalhafte Ereigniskette los, die in einer politischen und privaten Apokalypse endet.

Das erzählerische Muster, nach dem Sollima vorgeht, ist nicht wirklich neu. Wie fast immer in diesen Polit- und Mafiathrillern sind es die individuellen Charakterzüge und -mängel, Eitelkeiten und Irrationalitäten, die den todsicheren Plan zum Scheitern bringen. Dass der amtierende Premierminister sowie der Papst – dessen Involvierung in schmutzige Geschäfte hier nur angedeutet wird – zurücktreten wollen und das fragile italienische Staatssystem noch mehr unter Druck setzen, ist fast nebensächlich. Es scheint auch nur Ausdruck des allgemeinen Chaos, das alle Beziehungen zu bestimmen scheint. Doch Sollima geht es nicht nur um die elegante erzählerische Konstruktion (die sich auch in den erlesen kühlen Bildern widerspiegelt): Im korrupten System schlummert ein inhärenter Baufehler. Denn da, wo alle in schmutzigen Geschäften miteinander verwickelt sind, muss sich ein offen ausgetragener Konflikt fast zwangsläufig zum unkontrollierbaren Flächenbrand ausweiten. SUBURRA zeigt das ziemlich eindrucksvoll, wie selbst noch Randfiguren des Geschehens in den Sog aus Gewalt und Rache hineingesogen werden, sich die Hände schmutzig machen und letztlich dazu beitragen, dass sich die Gewaltspirale immer schneller dreht.

Meinen letzten Text über Fulcis Film einen „Verriss“ zu nennen, wäre zu viel gesagt; Fakt ist aber, dass ich mit LUCA IL CONTRABBANDIERE damals überhaupt nicht warm geworden bin. Ganz anders gestern, als ich ihn in deutscher Version als DAS SYNDIKAT DES GRAUENS auf großer Leinwand erleben durfte. Was für ein Brett!

Die Diskrepanz zwischen dieser und der vergangenen Sichtung beweist mir mal wieder, dass ich italienische Filme nicht vorschnell aburteilen sollte, wenn ich diese nur mit englischer Synchro genossen habe. Viele der Vorwürfe, die ich beim letzten Mal gegen LUCA IL CONTRABBANDIERE erhob, lassen sich meines Erachtens nur auf die Leb- und Variantenlosigkeit zurückführen, die englische Synchros fast immer „auszeichnet“. Dass einem die Figuren fremd blieben, kann ich nach der gestrigen Sichtung jedenfalls nicht mehr behaupten. Und Sprüche wie „Das ist Ursel aus Frankfurt, sie ist deutsch bis aufs Knochenmark“ knallen einfach wie Peitschenhiebe. Dazu kommt noch, dass Fulcis Inszenierung wirklich erst auf der Leinwand ihre volle Wirkung entfaltet. LUCA IL CONTRABANDDIERE hat einen etwas unscheinbaren Look, der Film ist trüb und farbarm, psychedelische Effektsequenzen wie in seinen Horrorfilmen darf man natürlich auch nicht erwarten, trotzdem ist er eine Augenweide. Die Kamera schwebt immer wieder sanft um die Figuren herum, oft blendet Gegenlicht und belegt das Geschehen kurz mit einem unwirklichen Schleier. Eine frühe Discosequenz, die komplett im Stroboskopgewitter spielt, dürfte für mich ewig weitergehen und Fabio Testi liefert unter der Anleitung Fulcis eine seiner besten Leistungen ab.

Dann ist da natürlich die Gewalt. Die Bunsenbrennerszene brennt sich wahrlich ins Gedächtnis, Dutzende explodierender Köpfe, Brustkörbe und Bäuche lassen einem die Kinnlade herunterklappen. Richtig harter Tobak ist aber eindie ausgedehnte Vergewaltigungssequenz, die im Kinosessel zur wahren Zerreißprobe wird. Die sich zur Kakophonie steigernden Schreie des Opfers und Lucas hilfloser Blick am anderen Ende des Telefons: Das vergisst man nie wieder. Lassen sich viele der in den Siebzigerjahren in Italien entstandene Gangster- und Polizeifilme als chauvinistischer Unfug mit Partycharakter titulieren, wirft LUCA IL CONTRABBANDIERE einen besonders desillusionierten Blick auf das finstere Treiben der Mafia. Lucio Fulci ist eh nicht als großer Spaßvogel bekannt, dieser Film darf als einer seiner trostlosesten angesehen werden.

Ich bin froh, den Film noch einmal in dieser Form gesehen und hier außerdem die Gelegenheit zu haben, vergangene Fehler wiedergutzumachen. LUCA IL CONTRABBANDIERE ist einer von Fulcis besten Filmen.

9944100deadMenschen meiner Generation pflegen die Achtzigerjahre zu glorifizieren: Es ist die Zeit, in der wir aufwuchsen, das Jahrzehnt, in dem Hollywood Film als pures Entertainment perfektionierte. Aber damit nahmen ja auch viele Probleme, mit denen sich Filmseher heute herumschlagen müssen, ihren Anfang: Film als Marke, als Franchise, als Trigger für Merchandising-Verkäufe, Sequels, Remakes, Reboots, Computerspiel-, Comic- und Serienverfilmungen ohne Ende in Sicht. Als Gegenentwurf, ja geradezu als real gelebte Utopie werden demgegenüber die Siebziger verklärt, die Zeit des New Hollywood, als die Studios in einer kurzen Phase der Orientierungs- und Ratlosigkeit begannen, anspruchsvolle, mutige und erwachsene Filme zu produzieren, die dann auch noch auf ein interessiertes Publikum stießen. Für viele sind die Siebzigerjahre schlicht das beste amerikanische Filmjahrzehnt, doch bei all der Verehrung, die seine geliebtesten Exponate hervorrufen, wird oft vergessen (oder geflissentlich verschwiegen), dass es auch eine Kehrseite zum großzügig subventionierten künstlerischen Ausdruck gab: Für jeden BRING ME THE HEAD OF ALFREDO GARCIA erschien garantiert ein mit derangierten Altstars zugepflasterter Katastrophenfilm aus Irwin Allens „Erfolgsschmiede“. Und bekanntermaßen legten dann ausgerechnet einige der wichtigsten Protagonisten des New Hollywood auch den Keim für das im Folgejahrzehnt zur vollen Blüte reifenden Eventkino.

Was für ein rückblickend seltsames Jahrzehnt die Siebzigerjahre für Hollywood waren, kann man sehr gut an diesem Film erkennen. 99 AND 44/100% DEAD: Nur damals konnte dieser absolut unaussprechliche, beinahe wortlose, monströs klobige Titel durchgewunken werden (es handelt sich um einen leicht abgewandelten Werbeslogan für Procter & Gambles Ivory Soap). In Deutschland entschied man sich für eine griffigere Variante und nannte den Film in einem Anfall von Witzischkeit KÖNIG BALLERMANN, was ziemlich scheußlich, aber immerhin unfallfrei aussprechbar ist. Aber dieser ostentativ nichtssagende Originaltitel passt durchaus zum Film, der kaum weniger merkwürdig und neben der Spur ist. Angeblich ahnte Regisseur Frankenheimer schon während des Drehs, dass er hier einen kapitalen Flop zu seinen Händen hatte: „I hated that picture while I was working on it. I knew a third of the way into it that we were in trouble. That is the worst experience that anyone could have“  Und auf die Frage, warum er das Projekt überhaupt angenommen hatte: „I don’t know. I guess I just wanted the work. I never really had a grip on that film. I didn’t know what the hell it was. I knew it wasn’t a comedy. i guess I thought it was a parody.“ Tja, wenn es nicht einmal der Regisseur weiß …

99 AND 44/100% DEAD beginnt mit der Titlesequenz und Grafiken, die deutlich an das Werk Roy Lichtensteins erinnern: ein erster Hinweis auf die Künstlichkeit des Folgenden. Expressiv geht es dann weiter: Ein paar Gangster – mit schwarzen Anzügen und schwarzen Hüten bekleidet – versenken einen armen Tropf mit Betonschuhen in einem Hafenbecken. Während der Voice-over des Protagonisten Harry Crown (Richard Harris) von den unzähligen Opfern des organisierten Verbrechens spricht, die auf dem Grund des Hafens liegen, fängt die Kamera das gleichermaßen unheimliche wie irgendwie anmutige Bild dieser aufgedunsenen, bleichen Körper ein, die da vom Wasser hin- und hergeschaukelt und von der einfallenden Sonne in ein geradezu mystisches Licht getaucht werden, dazu muntere Pianomusik, wie man sie in einem Speakeasy der Dreißigerjahre hören konnte. Danach geht die Geschichte los: Crown wird vom Mafiaboss Onkel Frank (Edmond O’Brien) gerufen, um ihm im Kampf gegen seinen Rivalen Big Eddie (Bradford Dillman) beizustehen. Für beide sei die Stadt zu klein, sagt Frank. Eine ziemlich gewöhnliche Mafiageschichte eigentlich, aber was Frankenheimer nach dem Drehbuch von Robert Dillon daraus macht, ist ebenso kurios wie schwer zu beschreiben.

Harris spielt seinen Killer als weltgewandten, modebewussten Gentleman, der immer dann gerufen wird, wenn es hart auf hart kommt. Während er den Kampf mit den Killern Big Eddies aufnimmt – unter ihnen der einhändige Claw Zuckermann (Chuck Connors), der auf seiner Prothese zahlreiche Folterinstrumente installieren kann -, lässt er die Liebesbeziehung zu seiner Ex-Freundin Buffy (Ann Turkel) wiederaufleben. Es gibt Schießereien, Verfolgungsjagden, Explosionen und mit der Prostituierten Dolly (Constance Ford) eine weitere Frau, die immer wieder in missliche Situationen gerät, aus denen sie von Harry und seinem Sidekick Tony (Zooey Hall) befreit werden muss. Alles nicht weiter ungewöhnlich, aber der Tonfall, mit dem diese Geschichte erzählt wird, sorgt für Verwunderung bis Schluckauf. Einmal flüchten Harry und Tony durch die Kanalisation, in der die aus zahlreichen Urban Legends bekannten Alligatoren leben, die irgendwelche Eltern im Klo heruntergespült haben, als die possierlichen Mitbringsel zu groß wurden. Eines trägt sogar noch seine Geschenkaufschrift: „Souvenir from Florida“. Dann ist da als Höhepunkt der Sonderbarkeit Big Eddie, den Bradford Dillman angeblich nach seinem damals noch im Kleinkinderalter befindlichen Sohn modellierte. Eddie zieht ständig alberne Grimassen, lacht affektiert oder heult wie ein Baby, wenn er das Zeitliche segnet: Ein totaler Psychopath, bei dem man sich fragt, wie er an die Spitze einer erfolgreichen Organisation gelangen konnte.

99 AND 44/100% DEAD ist seiner Zeit einerseits weit voraus: Er nimmt die Ironie der Neunzigerjahre, das Pastiche aus popkulturellen Versatzstücken und Zitaten, das etwa Tarantinos Filme kennzeichnet, vorweg, verbindet dies andererseits aber mit der damals noch sehr lebendigen Hardboiled- und Crime-Kultur. In den Sechzigerjahren hatten sich Don Siegel mit THE KILLERS und John Boorman mit POINT BLANK in ähnliche Gefilde begeben, ohne dass ihre Filme dabei jedoch diesen fast parodistischen, comichaften Zug angenommen hätten. Aber 99 AND 44/100% DEAD ist auch nicht wirklich komisch oder gar lustig, lediglich skurril und offbeat. Mike Hodges PULP bietet sich vielleicht zum Vergleich an, aber der war eine echte Komödie. Den Protagonisten von 99 AND 44/100% DEAD ist hingegen gar nicht zum Lachen zumute und dem Zuschauer auch nicht. Töten und Sterben ist immer noch ein höchst schmutziges Geschäft und mit echten Schmerzen verbunden. Frankenheimer etabliert ein krasses Missverhältnis von Innen- und Außenperspektive: Der Zuschauer wird durch die zahlreichen bizarren Verfremdungseffekte auf Distanz gehalten, es fällt schwer, die Welt des Films für bare Münze zu nehmen. Aber die Figuren bekommen nicht mit, dass sie sich in einer Kunstwelt bewegen, für sie ist das alles grausame Realität, egal wie unwahrscheinlich sich diese darstellt. 99 AND 44/100% DEAD ist so fucking seltsam, weil er für eine Komödie unfassbar trostlos und grausam ist, ohne echte Sympathie für seine Charaktere, ohne ihnen eine Chance auf Erlösung zu gewähren. Frankenheimer hat etliche bessere Filme gedreht, aber wahrscheinlich keinen, der so singulär ist, wie dieser.

 

 

Während Ricco (Christopher Mitchum) im Knast saß, wurde sein Vater, der lokale Mafiaboss, umgebracht. Obwohl Ricco ein schweres Verhältnis zum Papa hatte, schwört er Rache – zumal der Auftraggeber hinter dem Mord, Don Vito (Arthur Kennedy), auch noch Riccos Geliebte Rosa (Malisa Longo) abgegriffen hat. Gemeinsam mit der schönen Scilla (Barbara Bouchet) plant Ricco seine Rache. Doch mit seinen Attacken beschwört er den Zorn Don Vitos herauf, der bald eine Idee hat, wer ihm da an den Kragen will …

RICCO ist ein Italo-Crime-Reißer aus der zweiten Reihe: Gut besetzt zwar und durchaus unterhaltsam, hat er die Zeit wohl vor allem deshalb überdauert, weil er mit einigen ruppigen Härten aufwartet, die dann auch das hübsche Posterartwork inspirierten. Don Vito hat in seinem Keller einen praktischen Säurekessel – er ist Seifenfabrikant –, in dem er unliebsame Gestalten und Versager aus den eigenen Reihen verschwinden lässt. In der heftigsten Szene des Films wird ein besonders armer Kerl von Vitos Schergen kastriert und bekommt dann das abgetrennte Glied in den Mund gestopft. Ja, hier geht es alles andere als zimperlich zu. Diese Härte erstaunt umso mehr, als Demicheli keinen durchweg brutalen Film gedreht hat. Christopher Mitchum, mäßig talentierter Sohn der Hollywood-Ikone, sieht mit seinem Bübchengesicht und den langen blonden Haaren aus wie ein Schlagersänger und kommt in den Actionszenen nicht allzu überzeugend rüber. Die Szene, in der die hübsche Scilla zwei ahnungslose Schurken mit einer Stripnummer auf der Motorhaube ihres Autos ablenkt, gerät auch dank der deutschen Synchro („Entweder die hat ’nen Hammer oder sie ist voll mit Hasch wie ein türkischer Reisebus!“) zum humorigen Höhepunkt des insgesamt seltsam beschwingten Films. So bedrückend wie das vergleichbare Rachefilme sind – man denke etwa an Mike Hodges‘ GET CARTER –, wird RICCO nie, auch wenn der Titelheld im Leichenhaus seine ganze Famile identifizieren muss. Der Film bleibt immer in seinem Pulp-Universum verhaftet, ohne jemals die Leinwand zu durchbrechen. Wirklich nachhaltig ist er also zu keiner Sekunde, aber das ist zu verkraften, weil er einfach eine ordentliche Packung darstellt. Hin und wieder durchbricht ein schönber Einfall die Routine, etwa wenn sich Don Vito vor einem Stück Seife ekelt, weil er weiß, dass Fett und Knochenmehl wichtige Zutaten darstellen. Arthur Kennedy trägt überhaupt viel dazu bei, dass RICCO eine Ecke besser aussieht, als er tatsächlich ist. Currywurst mit Pommes unterstellen ja manche Leute, ein „ehrliches Essen“ zu sein. Ich kann zwar nicht genau erklären, was das bedeutet, aber die Behauptung passt auch hier: RICCO ist eine Currywurst mit Pommes. Manchmal gibt es nix Besseres. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.

Um es mal ganz direkt zu formulieren: Wer Stallone als einen reinen Actiondarsteller bezeichnet, hat keine Ahnung. Im Gegensatz zu Kollegen wie Chuck Norris, Jean Claude Van Damme, Steven Seagal oder Arnold Schwarzenegger war Sly kein Quereinsteiger, sondern gelernter Schauspieler. Und wer weiß, wie seine Karriere verlaufen wäre, wenn dieser Film des Oscarpreisträgers Norman Jewisons mehr Erfolg beschieden gewesen wäre. Unmittelbar nach Stallones Durchbruch mit ROCKY hätte F.I.S.T. – ein hoch ambitionierter, epischer Film, der die komplexe Beziehung der USA zum organisierten Verbrechen thematisiert, ähnlich wie das zuvor etwa Coppola mit THE GODFATHER getan hatte oder später De Palma mit SCARFACE tun sollte – seinem Hauptdarsteller zu jenem Maß an Respektabilität verhelfen können, das ihm von Vielen bis heute versagt geblieben ist. Leider war Jewisons Film ebenso ein finanzieller Fehlschlag wie Stallones zahlreiche andere Versuche, sein Spektrum zu erweitern. An seinen Leistungen hat es dabei meist eher nicht gelegen. Stallone mag limitiert sein, aber in „seinen“ Rollen war er immer überzeugend. Das gilt auch für F.I.S.T.

Die USA in der Depression: Arbeiter sind bessere Sklaven, werden schlecht bezahlt, leisten Überstunden ohne Entgelt, sind nicht krankenversichert und können aus einer Laune heraus fristlos gekündigt werden. Johnny Kovak (Sylvester Stallone) geht die Willkür seines Vorgesetzten gegen den Strich: Er zettelt eine Meuterei an und erwirkt schließlich bessere Bedingungen für sich und seine Kollegen. Die Ernüchterung, als sie am Morgen nach dem vermeintlcihen Triumph gemeinsam vor verschlossenen Türen stehen und erfahren, dass sie ihren Job verloren haben, ist groß. Doch Johnnys Auftritt hat Eindruck auf den Gewerkschaftsmann Mike Monahan gemacht. Er bietet ihm und seinem Freund Abe (David Huffman) einen Job an. Ihre Aufgabe ist es, Mitglieder für F.I.S.T. – die „Federation of Interstate Truckers“ – zu gewinnen. Johnnys offenherzige Art und seine Wurzeln im Arbeitermilieu verhelfen ihm zu hervorragenden Quoten und der Gewerkschaft somit zu einem rasanten Mitgliederzuwachs. Doch ihrer Macht sind dennoch Grenzen gesetzt, wie sie während eines Streiks erfahren müssen, der blutig niedergeknüppelt wird. Johnny holt sich den Mob zur Hilfe – nicht ahnend, dass er die gute Sache damit nachhaltig schädigt und außerdem den Grundstein für den eigenen Niedergang legt …

F.I.S.T. orientiert sich am Werdegang Jimmy Hoffas, der vom Arbeiter zum Präsident der Gewerkschaft „Teamsters“ aufstieg und 1975 auf mysteriöse Weise verschwand. Jewison hält sich – sofern ich das nach dem Kurzstudium des Wikipedia-Eintrags zu Hoffa beurteilen kann – relativ eng an dessen Geschichte. Mehr als an einem minutiös recherchierten Biopic ist er aber am Sündenfall der Arbeiterbewegung interessiert, der ein wichtiges Mosaiksteinchen zum Verständnis der Geschichte der USA und des modernen Kapitalismus generell liefert. Kovak und seine Leute stehen vor dem Problem, nicht genug „push“ zu haben, wie es im Film so schön heißt. Menschen, die Arbeit brauchen, gibt es genug. Und um ihre Familien zu ernähren, sind sie auch bereit, unter prekären Bedingungen zu arbeiten. Selbst wenn sie also im Streik die Arbeit niederlegen, sitzen die Firmeninhaber am längeren Hebel. Die Lösung verspricht der Gangster Vince Doyle (Kevin Conway): Gegen einen kleinen Gefallen stellt er Johnny die Schläger des Mobs zur Verfügung. Die Rechnung geht auf, die neue Macht ist zunächst ungemein verlockend, doch in der Folge sieht sich die Gewerkschaft immer neuen Verpflichtungen gegenüber und zu weiteren „Gefälligkeiten“ gezwungen. Die Organisation, die sich für die Interessen und Rechte der Arbeiter einsetzen wollte, degeneriert zu einem Geschäftsarm des organisierten Verbrechens. Es dauert nicht lang, bis sich die Justiz in Vertretung des Senators Madison (Rod Steiger) beginnt, für die Machenschaften von F.I.S.T. zu interessieren – und Johnny begreift, dass die Verbindung zur Mafia nicht einseitig aufkündbar ist.

F.I.S.T. erzählt zunächst vom Aufstieg des ehrlichen Johnny Kovak zu einem charismatischen Anführer – eine Paraderolle für Stallone. Sein Johnny hat das Herz auf dem rechten Fleck, mit seiner direkten, oft derben Art kommt er bei den Arbeitern in demselben Maße an, wie er die reichen Firmenbosse reizt und verprellt. Die gewonnene Macht begeistert ihn und macht ihn auch ein Stück blind für den verhängnisvollen Weg, den er einschlägt, als er eine Partnerschaft mit Babe Milano (Tony Lo Bianco) eingeht. Es ist schließlich alles für die gute Sache. Aber der Zweck heiligt die Mittel eben nicht. Jewison macht ungefähr zur Halbzeitmarke einen großen Sprung über mehrere Jahrzehnte: Aus dem kleinen, ehrgeizigen und kämpferischen Gewerkschafter ist ein abgebrühter Geschäftsmann geworden, der weniger von einem Wunsch getrieben wird, als vielmehr eine Rolle ausfüllt. Es spricht für seine Macht, dass er in zähen Tarifverhandlungen schließlich die eigene Forderung durchbringt – er hat nun jenen „push“, der ihm zu Beginn fehlte –, aber die Art und Weise, wie er das tut, ist ernüchternd: Kovak kämpft nicht mehr, er sitzt aus, wissend, dass nun er die besseren Karten in der Hand hält. Aufgepumpt unter feinen Oberhemden, dekadent an fetten Zigarre saugend, ist er zum Ebenbild jener Menschen geworden, die er zu Beginn seiner Laufbahn mit unverhohlener Beachtung taxierte. Doch seine Macht ist endlich. Und für Leute wie Milano, die hinter ihrem freundlichen Lächeln ein Haifischgebiss verbergen, ist er nur ein kleines Licht. In der zweiten Hälfte stößt auch Stallone an seine Grenzen, aber das ist es schließlich auch, was Kovaks Sturz besiegelt: Er ist in Sphären vorgedrungen, in denen er sich nicht auskennt, in denen er nicht zu Hause ist. Die Mafia macht Geschäfte mit ihm, aber sie betrachtet ihn nicht als einen der Ihren. Er ist immer noch der Sohn ungarischer Einwanderer, der sein Geld mit dem Beladen von LKWs verdiente. Er lebt von der Gnade Milanos. Und Stallone gibt diesem „fish out of water“ ein Gesicht.

Ich habe Jewisons Film zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren wiedergesehen. Erstaunlicherweise hatte ich ihn zu einer Zeit entdeckt, als ich ihn noch gar nicht wirklich verstehen konnte: Meine Begeisterung für Stallone war wohl die Ursache. Aber die erste Hälfte des Films nimmt einen tatsächlich sehr direkt in Beschlag. Die Bilder brauner Industrielandschaften, des tristen Arbeiteralltags, der Kämpfe um die Existenz, die sich im Malochen und dem Trinken von waschwasserartigem Bier am Abend erschöpft, haben etwas ungemein Einnehmendes. Stallone zieht einen sofort auf seine Seite. So, wie er die Arbeiter packt, packt er auch mich vor dem Bildschirm. Und es ist schmerzhaft diesem eigentlich doch herzensguten Kerl dabei zusehen zu müssen, wie es ihm nicht gelingt, auf den richtigen Weg zurückzukehren, nachdem er einmal falsch abgebogen ist. Das ist die schmerzhafteste Erkenntnis des Films: Manche Fehler lassen sich tatsächlich nicht mehr wiedergutmachen. Und das gilt zum Glück nur für Kovak, nicht für Stallone. Im Jahr darauf kehrte er mit ROCKY II zurück auf bekanntes Terrain. F.I.S.T. ist der bessere Film, aber das wissen leider nicht so viele Menschen.

 

 

Tony (Harry Baer) treibt für den Gangster Luigi Cerchio (Edmond Purdom) die Schulden von kleinen Gaunern ein. Als sein Chef vom Gangsterboss „Scarface“ Manzari (Jack Palance) um drei Millionen Lire erleichtert wird, bietet sich Tony an, das Geld zurückzuholen. Doch mit den drei Millionen will er sich nicht begnügen: Gemeinsam mit seinem Freund Rick (Al Cliver), der noch eine persönliche Rechnung mit Manzari offen hat, nimmt er dem Gangster das Dreifache ab. Und plötzlich haben die beiden Freunde alle Verbrecher der Stadt gegen sich …

Gegenüber den zuletzt besprochenen Werken Di Leos – MILANO CALIBRO 9, LA MALA ORDINA, IL BOSS und LA CITTÀ SCONVOLTA: CACCIA SPIETATA AI RAPITORI – ist I PADRONI DELLA CITTÀ ein eher leichter, streckenweise sogar heiterer Film. Danach sieht es zu Beginn nicht aus, wenn Manzari in einer düsteren, komplett in Zeitlupe gehaltenen Szene einen Partner vor den Augen von dessen Sohn erschießt. Zwar kommt dieser Szene noch Bedeutung für den weiteren Plot zu, doch ist diese längst nicht so entscheidend, wie es zunächst den Anschein hat. Fast meint man, Di Leo habe sich im Laufe des Films von der Chemie zwischen den drei Freunden – zu Tony und Rick gesellt sich noch der alte Gauner Napoli (Vittorio Caprioli) – anstecken lassen und vergessen, wie sein eigener Film begonnen hatte. Alles, was noch an das erschreckende Bild des organisierten Verbrechens der Vorgänger erinnert, wird durch die drei Protagonisten ausgeglichen: Tony fährt mit einem roten Buggy durch Rom, träumt von Brasilien und lebt das Leben des kleinen Gangsters wie einen wahr gewordenen Jungstraum. Rick ist etwas launischer und äußerst wortkarg, sein Trauma ist aber eher dazu geeignet, ihn zu romantisieren, als wirklich seelische Abgründe anzudeuten. Und der alte Napoli, der den alten Zeiten hinterhertrauert, als alles noch einfacher war, hätte in MILANO CALIBRO 9, LA MALA ORDINA oder IL BOSS wohl einen besonders würdelosen Tod gefunden: Hier darf er am Schluss mit den Helden in eine goldene Zukunft fahren.

I PADRONI DELLA CITTÀ ist sympathisches eskapistisches Italo-Kino, nicht mehr und nicht weniger. Nach den drei bis vier zuvor gesehenen Meisterwerken kommt er nur dann einer kleinen Ernüchterung gleich, wenn man vergisst, dass es gerade solche kleinen Filme sind, die die großen umso heller erstrahlen lassen.

Im Auftrag seines Mentors, des Mafiabosses Don Giuseppe D’Aniello (Claudio Nicasto) massakriert Nick Lanzetta (Henry Silva) die Familie des verfeindeten Don Antonino Attardi (Andrea Aureli): Nur sein weinerlicher Bruder Carlo (Gianni Musy) und Cocchi (Pier Paolo Capponi) kommen davon und letzterer entführt als Vergeltungsschlag sofort die Tochter D’Aniellos. Lanzetta hat einen Plan: Er will den Entführern ein Lösegeld anbieten, um Zeit zu gewinnen. Doch eigentlich hat er ganz anderes im Sinn …

So wie ich IL BOSS gesehen habe, den dritten Teil von Di Leos lose verbundener Gangster-Trilogie (die ich zuvor fälschlicherweise als Mailand-Trilogie ausgewiesen hatte: IL BOSS spielt in Palermo), sollte man Filme eigentlich nicht schauen. In einer stressigen Arbeitswoche bin ich an mehreren Tagen hintereinander bei seiner Sichtung eingeschlafen, musste mehrfach zurückspulen und neu anfangen. Eigentlich guckt man sich Filme so kaputt: Für IL BOSS hat diese „Strategie“ aber erstaunlich gut funktioniert. Ich glaube, wenn ich ihn auf Anhieb am Stück geschafft hätte, hätte ich ihn möglicherweise nicht so gute gefunden. Denn IL BOSS ist ein gänzlich anderer Film als seine Vorgänger MILANO CALIBRO 9 oder LA MALA ORDINA. Zeichneten sich jene durch einen sehr geradlinigen Plot und starke Protagonisten aus, an die man sofort sein Herz verlieren konnte, ist IL BOSS ein Film, der weniger eine Geschichte eines Charakters erzählt, als das Protokoll einer Dynamik abliefert, in der die Menschen kaum mehr als Dominosteine sind, die angestoßen werden und ihrerseits anstoßen. Hatte ich zunächst jene Emotionalität vermisst, die Di Leos vorige Filme im Überfluss boten, machte es mir die zerstückelte, in mehrere Etappen mit zeitlichem Abstand dazwischen geteilte Betrachtung deutlich leichter, diesen „Mangel“ zu akzeptieren und zu bemerken, dass Di Leo hier etwas gänzlich anderes im Sinn hatte.

Es gibt keinen einzigen liebenswerten Charakter in IL BOSS – eigentlich noch nicht einmal einen Charakter. Man erfährt kaum etwas über die einzelnen Figuren und keine scheint über den Rahmen des Films hinaus Bedeutung zu haben; mit Ausnahme von Lanzetta vielleicht, doch auch der ist so unendlich leer, dass man fast froh darüber sein muss, dass es die Fortsetzung, die nach dem Cliffhanger-Ende per Schrifteinblendung angekündigt wird, nie gegeben hat. Ähnlich wie Scorsese in GOOD FELLAS skizziert Di Leo hier die Funktionsweisen eines Systems, doch verzichtet er dabei fast völlig auf die detaillierte Zeichnung eines Milieus. IL BOSS ist im Gegenteil fast nackt, jeglichen Zierrats entledigt. Er erzählt von einer sich immer weiter drehenden Gewaltspirale, die alle erfasst, von einer entsetzlichen Mordlogik, die sich verselbständigt, von einzelnen Protagonisten total abgelöst hat. Wenn es nicht Lanzetta ist, der herumläuft und mordet, dann ist es jemand anders. Lanzetta ist vielleicht ein bisschen besser, ein bisschen kaltblütiger, aber – das macht der unvollendete Schluss klar – auch er ist nur eine Fußnote, die keine gesonderte Beachtung verdient hat. Er ist nur der extreme Auswurf eines Systems, das weiterbesteht, indem es sich immer wieder häutet und reinigt, ohne sich dabei wesentlich zu verändern. IL BOSS ist ein fürchterlich deprimierender Film: Nicht, weil er einen wirklich mitnähme, sondern weil das alles so schrecklich arbiträr ist, weil das ganze Morden ganz egal ist. Nichts ändert sich, es war immer so, wird immer so sein. Keine neue Erkenntnis, aber nur wenige Filme haben das so unmissverständlich klar gemacht.

Dem New Yorker Ableger der Mafia-Familie ist eine Ladung Heroin in Mailand geraubt worden: Zwei Killer (Henry Silva & Woody Strode) werden nach Italien geschickt, um den kleinen Zuhälter Luca Canali (Mario Adorf) umzubringen. Nicht, weil man wirklich glaubt, dass er hinter dem Raub steht, sondern um an ihm ein Exempel zu statuieren und den tatsächlich Schuldigen – den Mailänder Mafiaboss Don Vito Tressoldi (Adolfo Celi) – einzuschüchtern. Die Jagd auf Luca wird eröffnet, doch der weiß sich zu wehren …

Nach MILANO CALIBRO 9 ist LA MALA ORDINA der zweite Teil in Di Leos Mailand-Trilogie. Thematisch bleibt er dem Vorgänger treu: Auch hier geht es um den verzweifelten Kampf eines Kleinkriminellen gegen die Machtstrukturen der Mafia: Der Zuhälter Luca wird zum sprichwörtlichen Bauernopfer, zur hilflosen, entbehrlichen Spielfigur in einem Spiel ungleich mächtigerer Männer, denen ein Menschenleben nichts bedeutet. Doch es zeigt sich, dass das große Herz des kleinen Mannes eine Waffe ist, die den Bossen gewaltigen Ärger machen kann. Es ist der Mut der Verzweiflung, ein heiliger, ungebremster Zorn, der Luca am Ende obsiegen lässt. Doch er muss dazu erst alles verlieren, was er hat.

LA MALA ORDINA ist nicht ganz so kompakt und fokussiert wie MILANO CALIBRO 9, der von der ersten Sekunde an ohne Umwege auf sein unausweichliches Ende zuläuft. Während letzterer eine Welt zeigt, in der der kleine Gauner keine Chance hat, sein Leben ein einziger sinnloser Kampf gegen das Ertrinken ist, der am Ende dann doch verloren wird, gestattet Di Leo seinem Helden im ersteren zumindest einen Etappensieg. Es bleibt zwar kein Zweifel daran, dass Luca zerstört ist, für immer gezeichnet von den Ereignissen und ohne Hoffnung, seinem Schattendasein jemals zu entrinnen, aber für den Moment hat er sich freigekämpft, den Mächtigen eine Niederlage zugefügt. LA MALA ORDINA ist also nicht von dieser bleiernen Traurigkeit und sein ganzer Rhythmus ist lebhafter. Untermalt wird er nicht von den herzzerreißenden Kompositionen Bacalovs, sondern von den treibenden, pumpenden Bässen Armando Trovaiolis. Mehr als MILANO CALIBRO 9 ist LA MALA ORDINA ein Film einzelner Szenen, Momente und herrausstechender Spitzen als eines stetigen Flows.

Zu Beginn erhalten die Killer ihren Mordauftrag von einem großväterlichen, liebenswerten Herren (Cyril Cusack) mit der Sachlichkeit eines Museumsdirektors, während Luca parallel seine Nutten vor zwei Schlägern bewahrt: Schon dieser Anfang etabliert den ganzen Konflikt des Films zwischen den distanzierten, mitleidlosen Bossen in ihren Glashäusern und den kleinen Straßengaunern, die Tag für Tag ums Überleben kämpfen. Dann ist da natürlich das dramatische Center Piece des Films, eine Verfolgungsjagd, die für mich zu den größten Errungenschaften des italienischen Crimefilms zählt: Luca jagt den Mörder seiner Frau und Tochter mit dem Auto und dann schließlich zu Fuß. Er steigert sich dabei in einen wahrhaft berserkerhaften Rausch, getrieben von einem fast animalischen Instinkt. Als er den Killer gestellt und umgebracht hat, bricht schließlich alles zusammen: Seine Rache ändert nichts, jetzt ist er mit der schrecklichen Gewissheit des Todes seiner Lieben und seiner Trauer ganz allein. Diese Sequenz allein rechtfertigt die Sichtung von LA MALA ORDINA und ist gehaltvoller, spannender und bewegender als mancher ganze Film. Mario Adorf explodiert förmlich, schreit, schwitzt, rennt, stolpert, heult – und zerschlägt Windschutzscheiben mit seiner Stirn.

Wie MILANO CALIBRO 9 Gastone Moschins Film ist so beherrscht Adorf LA MALA ORDINA. Der Film ist ohne ihn gar nicht denkbar: Adorf ist Luca Canali, der kleine, herzensgute Zuhälter, immer am Limit, ein Bauchmensch, wie er im Buche steht. Und was ein beliebiger Gangsterfilm hätte sein können, wird durch seine Darbietung zum ganz großen Drama, zu einem Film großer emotionaler Kraft. Aber er ist nicht allein und LA MALA ORDINA ist tatsächlich noch spektakulärer besetzt als sein Vorgänger: Bond-Girl Luciana Paluzzo, Femi Benussi und Sylvia Koscina sorgen für weibliche Schauwerte, Nebenrollen sind unter anderem mit Peter Berling und Ulli Lommel besetzt. Henry Silva ist eine Schau als geckenhafter, vergnügungssüchtiger Killer, der seinem wortkarge Kollegen Woody Strode mächtig auf die Nerven geht. Adolfo Celi spielt den Mafiaboss, der an die Grenzen seiner Autorität stößt, Cyril Cusack brilliert als sein „seriöses“ Gegenstück: Wer seine Macht besitzt, der braucht keinen aggressiven Machismo. Genug der langen Rede: LA MALA ORDINA ist ein Film, der endlos glücklich macht. Wer ihn noch nicht kennt, hat keine Ausrede.

Ugo Piazza (Gastone Moschin) ist kaum wieder auf freiem Fuß, da hat er bereits Rocco (Mario Adorf), einen Schergen des „Amerikaners“ (Lionel Stander), eines großen Gangsterbosses, im Nacken. Der ist davon überzeugt, dass Ugo ihn vor seiner Inhaftierung um 300.000 Dollar geprellt und das Geld irgendwo versteckt hat. Ugo wiederum beteuert, er sei unschuldig: Er will eigentlich nur seine Ruhe und irgendwie ein Auskommen haben, ohne gleich wieder straffällig zu werden. Es reicht ja schon, dass sein alter „Freund“ von der Polizei (Frank Wolff) nur darauf wartet, dass er den ersten Fehltritt macht. Und der scheint wirklich nur noch eine Frage der Zeit, denn um den vermeintlichen Dieb besser beobachten und gefügig machen zu können, zwingt der „Amerikaner“ Ugo zur Mitarbeit in seiner Organisation …

Einer der tollsten Italo-Filme seiner Zeit: Di Leos MILANO CALIBRO 9 besticht durch seine ausgeklügelte Dramaturgie, den gnadenlosen, dabei geduldigen Spannungsaufbau und einen der einprägsamsten, sympathischsten Hauptcharaktere des gesamten Genres. Gastone Moschin ist schlicht brillant als Ugo Piazza, ein ruhiger, etwas langsamer und demütiger Mann, der von sich selbst sagt, er sei nicht der Hellste. Der Druck, der von seinem ersten Auftritt an auf ihn ausgeübt wird, zeichnet sich in seinem kantigen, fast ausdruckslos bleibenden Gesicht zwar kaum ab, dennoch sieht man ihm an, dass er leidet. Er ist der Prototyp des Losers, zu gutmütig, zu wenig abgebrüht, um es in der Welt des Verbrechens wirklich zu etwas bringen zu können. Stattdessen zieht er die großmäuligen, aggressiven Typen, denen er ein willkommendes Opfer zu sein scheint, beinahe magnetisch an. Alle setzen sie ihm zu, lassen ihn wissen, dass er keine Chance hat, dass sie ihn für einen Versager und Idioten halten. Und Ugo nimmt das so hin. Er hat einfach keine Lust mehr auf Auseinandersetzungen. Da sieht man es mit einiger Genugtuung, dass er seine Feinde Lügen zu strafen scheint: Ugo ist nämlich cleverer als alle denken. Er geht mit seiner Intelligenz eben nur nicht hausieren; ganz so wie sein Gesinnungsgenosse auf der anderen Seite des Gesetzes, der berühmte Inspektor Columbo. So nähert sich Ugo dem großen Triumph, den keiner vorhergesehen hat. Und dann kommt doch alles anders.

MILANO CALIBRO 9 ist so konzentriert und unterkühlt erzählt, dass das Ende gleich doppelt so hart trifft. Noch nicht einmal Ugo kann angemessen darauf reagieren und ich habe gestern kaum weniger dumm aus der Wäsche geschaut als er – und dass, obwohl ich den Film schon kannte. Fernando Di Leo ist es gelungen, seinen Film selbst dann noch völlig authentisch, frisch und originell erscheinen zu lassen, wenn er Genrestandards reproduziert. So folgt man jeder Wendung gebannt, fiebert mit Ugo mit, dem man wie selbstverständlich völlig blind vertraut. Und wenn man feststellt, von ihm – wie alle anderen – an der Nase herumgeführt worden zu sein, dann nimmt einen das noch mehr für ihn ein: Er tut ja nur, was er tun muss.

MILANO CALIBRO 9 ist der rare Glücksfall eines durch und durch perfekten, fehlerlosen Films, der  dabei dennoch nicht maschinell und leblos wirkt. Dass es dazu kommen konnte, liegt, wie ich schon sagte, in erster Linie an Gastone Moschins Darbietung für die Ewigkeit, in zweiter am famosen Drehbuch. Aber auch der Rest stimmt: Die Besetzung drängt sich nicht auf den ersten Blick auf, vereint aber gleich ein gutes halbes Dutzend am Leistungsmaximum agierender Darsteller. Neben den bereits Genannten sind auch Luigi Pistilli als kritscher, politisch links stehender Polizeibeamter zu sehen, Philippe Leroy als tougher Loner auf Ugos Seite und die schnuckelige Barbara Bouchet als Ugo Geliebte Nelly. Bacalov hat dem Film einen grandiosen Score geschenkt, dessen treibender Rhythmus die Unausweichlichkeit von Ugos Schicksal und dessen Melodie die Tragik desselben akzentuieren. Sicherlich eines der Meisterwerke des exploitativen italienischen Kinoschaffens der Siebziger: Aber ehrlich gesagt tut man Di Leos Film mit dieser Einschränkung großes Unrecht. Ein Meisterwerk ist ein Meisterwerk ist ein Meisterwerk.

Eine Spur von Drogentoten führt zum Gangsterboss Joe Bomposa (Rod Steiger). Weil der sich dem Zugriff des Gesetzes mit seinem Geld und seiner Macht bislang erfolgreich entziehen konnte, versucht man stattdessen seine Geliebte, das dümmliche Betthäschen Jackie (Jill Ireland), in die Finger zu bekommen und ihr entlastende Aussagen zu entlocken. Verantwortlich für den Erfolg der Mission ist der Polizist Charlie Congers (Charles Bronson): Er reist in die Schweiz, um die Frau dort abzuholen und in die USA zu bringen. Doch seine Ankunft und sein Vorhaben bleiben nicht lange unbemerkt: Bomposa setzt seine Killer auf Congers, aber auch auf seine verräterische Geliebte an …

David Downing führt in seiner Bronson-Biografie vor allem eine Eigenschaft des Schauspielers an, die ihn auf dem Weg zu Weltruhm immer wieder zurückwarf: sein mangelhaftes Urteilsvermögen. Bronson hatte (laut Downing) ein ausgesprochenes Talent, die falschen Filme auszuwählen, zudem keine echte Vorstellung davon, was er eigentlich verkörpern wollte, und brauchte so rund 20 Jahre, um sich endlich als Leading Man zu etablieren. Zwar hatte er manchmal einfach Pech, etwa als ihm seine Leistung in THE MAGNIFICENT SEVEN keine größere Aufmerksamkeit einbrachte oder wenn sich gute Kritiken für seine Leistungen als Nebendarsteller nicht in größeren Offerten niederschlugen, aber allzu oft musste er mitansehen, wie Kollegen an ihm vorbeizogen, weil sie Rollen akzeptierten, die Bronson zuvor abgelehnt hatte. Ganze dreimal gab er Sergio Leone einen Korb: Mit der Hauptrolle in PER UN PUGNO DI DOLLARI wurde Clint Eastwood zum Superstar, mit dem Part des Schurken in PER QUALCHE DOLLARO IN PIÚ begründete Lee van Cleef seine lukrative Laufbahn und Eli Wallach wurde unsterblich als „der Hässliche“ in IL BUONO, IL BRUTTO, IL CATTIVO. Erst im vierten Anlauf gab Bronson Leone die Zusage und es war schließlich die Rolle des Harmonica in C’ERA UNA VOLTA IL WEST, mit der ihm der Durchbruch, wenn auch zunächst nur in Europa, glücke. Mit diesem Durchbruch beginnt auch Bronsons stärkste Schaffensphase. Nicht alle zwischen 1968 und 1975 entstandenen Filme sind durchweg herausragend, aber fast alle sind interessant und lassen erkennen, was Bronson veranlasste, sie zu machen. Diese Phase endet bezeichnenderweise 1975 (mit Walter Hills furiosem Debüt HARD TIMES) nur ein Jahr, nachdem Bronson mit DEATH WISH endlich auch in seiner Heimat ganz oben angekommen war.

Ab diesem Zeitpunkt, in dem er doch eigentlich alle Möglichkeiten hätte haben sollen, ist seine Filmografie eine Ansammlung zwar nicht wirklich schlechter, aber eben überwiegend durchschnittlicher Filme; solcher, die keinesfalls dazu geeignet sind, die Scharen zu beeindrucken und ihren Glauben an die Unfehlbarkeit ihres Idols zu stärken: BREAKHEART PASS, ST. IVES, FROM NOON TILL THREE oder THE WHITE BUFFALO. Alle diese Titel profitierten von der Anwesenheit Bronsons enorm, ohne dass er noch von ihnen profitieren konnte. Der unbestreitbare Tiefpunkt dieser Liste ist mit LOVE AND BULLETS erreicht, einem Film, der unspektakulär beginnt und diese Linie konsequent bis zum Ende verfolgt: Das Schweizer Alpen-Setting ist so ungefähr das Interessanteste an dem müden Vehikel, durch das Bronson mit dem Enthusiasmus eines Ein-Euro-Jobbers schlafwandelt, in dem Rod Steiger als stotternder Gangsterboss zwar die besten Szenen hat, aber dennoch keinen bleibenden Eindruck hinterlässt und Henry Silva als Killer vollkommen verschenkt wird. Man hat das Gefühl, der Regisseur habe seinen Charakter einfach vergessen. Es gibt einen schönen Szenenwechsel gleich zu Beginn, als von einer flammenden Explosion auf Bronson übergeblendet wird, und er hübsch ikonisch aus dem Feuer heraustreten darf. Ansonsten ist lediglich die Besetzung erwähnenswert, die neben den Erwähnten noch Peckinpah-Veteran Strother Martin, Bradford Dillman, Paul Koslo und Michael V. Gazzo aufbietet. Ein hoffnungslos langweiliger, in seiner Orientierungslosigkeit geradezu peinlicher Streifen, der wie ein Abschreibungsprojekt wirkt. John Huston, der eigentlich als Regisseur vorgesehen war, aufgrund von Differenzen mit den Produzenten jedoch nach wenigen Drehtagen ausstieg, dürfte sich für seine Entscheidung nachträglich selbst auf die Schulter geklopft haben.