Mit ‘Maria Schell’ getaggte Beiträge

Die bis heute lebendige deutsche Fernsehkrimi-Tradition begann nicht erst mit DER KOMMISSAR. Schon vorher hatte es verschiedene Formate gegeben, von denen die von Jürgen Roland und Wolfgang Menger erdachte Serie STAHLNETZ möglicherweise die bekannteste war. Und Erik Ode, der in DER KOMMISSAR den Titelhelden Keller spielte, war zuvor schon einige Male in DAS KRIMINALMUSEUM zu sehen gewesen, der ersten vom ZDF produzierten Krimiserie. Wohl aber begann mit DER KOMMISSAR die Tradition der starken Ermittlerfiguren und, wenn man den TV-Historikern glauben mag, der Psychologisierung. Keller folgten der ebenfalls von Herbert Reinecker erdachte Stephan Derrick, Erwin Köster und seine Nachfolger in DER ALTE, aber auch die ARD-Produktion TATORT mit ihren wechselnden Ermittlern sowie Dutzende weiterer Kriminalbeamten und Detektive mit ihren Formaten, aber nur wenige von ihnen brannten sich als Figur so stark ein ins kollektive deutsche Gedächtnis wie Odes Keller, der Übervater der deutschen Nachkriegsgeneration, der Gerechtigkeit brachte, aber immer auch Verständnis für die Umstände, die ganz normale Menschen zu Mördern machte.

Während Stephan Derrick fünf Jahre später wie ein vom Staat geschickter Racheengel mit unnachgiebigem Ehrgeiz und dem Furor des Gerechten über die kleinen Sünder kam, da interpretierte Ode seinen Keller als freundlich-salomonischen Hirten, der dafür sorgte, dass seiner Herde kein Schaden wiederfuhr. Mit seinen Assistenten Grabert (Günther Schramm), Heines (Reinhard Glemnitz) und Klein (Fritz Wepper) verband ihn eine ebenson väterliche Beziehung, die Gattin, die ihm in einigen frühen Folgen Medizin ans Krankenbett brachte, das Essen zubereitete und ihm ein offenes Ohr schenkte, konnte bald weichen, weil dieser Keller sein Privatleben für die Bundesrepubik geopfert hatte und in seinem nach Linoleum duftenden Büro alles hatte, was er brauchte. Sein Berufsalltag mit den folgsam-fleißigen Assistenten erinnert ein bisschen an die frauenlose Heiterkeit der Cartwrights auf der Ponderosa. Man lacht gemeinsam, erfreut sich an der eigenen Gerissenheit, sagt zu Tabak und Alkohol niemals nein, weil das der Treibstoff ist, der nimmermüde Staatsdiener am Laufen hält. Frauen wie die alte Vorzimmerdame Rehbein (Helma Seitz) sind entweder zum Kaffeekochen da oder, im Falle der Polizistin Helga Lauer (Emely Reuer) bloßes Eye Candy für den Zuschauer, damit der nicht am Testosteronüberschuss verendet.

Die ersten Folgen – die meisten der in diesem Text enthaltenen – folgen einer zunächst fest gefügten Struktur. Die Episoden beginnen mit dem Fund einer Leiche. Danach fangen die Ermittlungen von Keller und seinen Männern an, die das Feld der Verdächtigen sondieren, bevor am Ende alle in einem Raum versammelt werden, in dem Keller im Stile alter Meisterdetektive den Mörder enttarnt. Der Ton ist heiterer und ausgelassener als bei DERRICK, weniger schadenfoh und zynisch, und das Schwarzweiß der Serie auch sonst programmatisch: Gut und Böse sind ziemlich klar auseinanderzuhalten, während es bei DERRICK in unzähligen Schattierungen von Braun, Beige, Grau und Grün ineinanderfließt.

Episode 01: Toter Herr im Regen (Wolfgang Becker, Deutschland 1969)

Ein wohlhabender Mann wird tot im Rinnstein einer schlechten Münchener Gegend aufgefunden. Bei den Ermittlungen finden Keller und Co. hinaus, dass es um Dr. Steiner handelt, einen Mann, der bei seinen erwachsenen Kindern verhasst ist und seiner Geliebten immer wieder mit sadistischen Streichen zusetzte. Im Haus, vor dem er ermordet wurde, lebt ein Teenagermädchen, mit der er seine Partnerin betrog. Eines von vielen Beispielen für Reineckers Drehbücher um hassenswerte Vaterfiguren. Eine Tradition, die im KOMMISSAR und auch in DERRICK weiterleben wird.

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Episode 02: Das Messer im Geldschrank (Wolfgang Becker, Deutschland 1969)

Die Putzfrau findet beim Saubermachen in einem Nachtclub ein totes Animiermädchen. Wer war ihr Mörder? Der Clubbesitzer Brandic (Lukas Ammann), der nur am Geld interessiert ist, sein gutaussehender, aber vorbestrafter Bruder Juri (Michael Maien), der Kellner Sommer (Wolfgang Völz), der sich mit seinem kargen Gehalt einen teuren Sportwagen leisten kann, der mysteriöse Pianist Benitz (Herbert Bötticher) oder die Mitbewohnerin und Kollegin des Opfers, die blonde Schöne Marion (Ann Smyrner)? Höhepunkt der Episode ist ein Spaziergang Kellers mit der jungen Blondine, der in den frühen Morgenstunden bei einem Schnäpschen in ihrem Appartement endet. Kellers melancholischer Blick scheint die romantischen Möglichkeiten, die sich bieten, zu spiegeln, aber natürlich bleibt er standhaft. Und scharfsinnig.

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Episode 03: Ratten der Großstadt (Wolfgang Becker, Deutschland 1969)

Der Wirt einer Pinte am Großmarkt wird tot aufgefunden. Zu den Verdächtigen zählt die Bande um Krass (Horst Frank): Der Säufer Bender (Gerd Baltus), Palle (Fred Haltiner), Krüger (Klaus Schwarzkopf) und der etwas irre Mozart (Werner Pochath) gingen in der Bierschwemme ein und aus. Grabert wird als Ex-Knacki in der Gang eingeschleust, um etwas herauszufinden. Irgendwann redet Bender und belastet Mozart. Doch Keller glaubt nicht an die Schuld des armen Tropfs. Baltus ist grandios als versoffener Asi Bender, Pochath brilliert in einer seiner vielen Außenseiterrollen. Wie ein Kind stolziert er in Badehose durch das Wasser der Isar, seine Kumpels wie ein Kind den Papa immer wieder um Aufmerksamkeit anbettelnd.

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Episode 04: Die Tote im Dornbusch (Georg Tressler, Deutschland 1969)

Diesmal führen die Mordermittlungen Keller und Co. in eine Raststätte: Die Gattin des Besitzers Panofsky (Paul Albert Krumm) wurde tot aufgefunden, an der Autobahn entsorgt von dem Lkw-Fahrer Wiegand (Arthur Brauss). Die Tote war nach etlichen Zeugenaussagen von loser Moral und unterhielt vor den Augen ihres Mannes zahllose Liebschaften. War es Mord aus Eifersucht? Lust und offen ausgelebte Sexualität sind Mysterien, die Keller und seine Männer, aber auch die gesamte deutsche Gesellschaft noch nicht wirklich verstehen. Es brodelt unter der Oberfläche, die mit der Extraportion Bleiche und Stärke blütenweiß und faltenfrei gehalten wird wie ein Leichentuch.

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Episode 05: Ein Mädchen meldet sich nicht mehr (Theodor Grädler, Deutschland 1969)

Es verschlägt Keller und Assistenten ins Studentenumfeld und die Drogenszene. Die Tote verkehrte in einschlägigen Lokalen – u. a. im Etablissment von Proschitz (Günther Ungeheuer) – und wollte ihren Freund Tanieff (Peter Chatel) vom Marihuana wegbringen, dem dieser rettungslos verfallen war. Die Episode ist ein einziges Absurdion, von Kellers Aussage „Die Intoxikation ist unverkennbar!“, als er einem Marihuana-„Süchtigen“ in die Augen schaut, über die Frage, ob Tanieff sein „Marichuana“ trinke oder esse, bis hin zur Vorführung eines Joints: einer kleinen Zigarette mit einer weißen Kapsel drin. Wer kifft, der ist nicht mehr zurechnungsfähig, ein armer Tropf, der orientierungslos in der Welt herumirrt, bösen Drogenhändlern für immer ausgeliefert. Und „Reefers“ (was ein bisschen wie „Reval“ klingt) kauft man natürlich auf dem Klo vom dubiosen Rudolf Schündler. Die Frage, die sich unweigerlich stellt: Hatte Reneicker wirklich keine Ahnung oder wollte er sein Publikum trollen? Besonders komisch ist die Merkbefreitheit der Tugendwächter, die über den Drogenabgrund schwadronieren, aber in einer Tour Cognac und Bier in sich hineinschütten und in einem Büro hocken, dessen Luft man schneiden kann.

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Episode 06: Die Pistole im Park (Wolfgang Becker, Deutschland 1969)

Auf dem ausladenden Grundstück des reichen Geschäftsmannes Wegener (Peter van Eyck) wird dessen junger Gärtner erschossen – kurz nachdem jemand versucht hat, Wegener zu erpressen. Alle verhalten sich überaus merkwürdig, nicht zuletzt die Sekretärin Wegeners, die attraktive Hannelore Krems (Marianne Koch). Nur die Küchenfrau Frau Hicks (Rose Reneé Roth) zeigt so etwas wie ein Gewissen und vertraut sich Heines an, der für die Ermittlung in der Villa bleibt. Eine eher unaufregende Episode, aber die Koch ist supersexy und van Eyck thront mit gewohnt preußischer Souveränität über allem.

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Episode 07: Keiner hörte den Schuss (Wolfgang Becker, Deutschland 1969)

Das Opfer ist diesmal ein Mann, der Rohdiamanten für den Juwelier de Croy (Wolf Rilla) transportieren sollte. Seine Ehefrau, das Modell Eva Kersky (Erika Pluhar) ist erstaunlich ungerührt ob der Todesnachricht. Was den Vater des Toten, den im Rollstuhl sitzenden Ernst Fritz Fürbringer, der die Schwiegertochter über alles hasst, überhaupt nicht wundert. Ist sie die Mörderin? Aber auch andere bieten sich als Tatverdächtige an, etwa der Vorbestrafte Blago (Michael Hinz), der von den Diamanten wusste. Highlight ist die bizarre Modenschau eines schwulen Designers, bei der auch Amanda Lear als Model mitwirkt. Und Erika Pluhar ist unfassbar sexy. Wie sie am Schluss nach der Enttarnung des Mörders kommentarlos  abzieht und die feine Patriarchengesellschaft keines Blickes mehr würdigt, ist unfassbar cool. Das muss sogar Keller würdigen, der liebe Onkel.

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Episode 08: Der Tod fährt 1. Klasse (Wolfgang Becker, Deutschland 1969)

Zum ersten Mal wird das Konzept gewandelt. Die Jagd nach einem Frauenmörder, der immer freitags im Zug von Dortmund nach München zuschlägt, gestaltet sich im Showdown überaus fiebrig. Grabert, Heines und Klein kämpfen an der Front, mit der langbeinigen Kollegin Lauer als Köder für die Bestie, aber es ist Keller, der die Identität des Killers aus der Distanz enttarnt. Beste Folge bis hierhin, mit toller Kameraarbeit im klaustrophobischen Finale, in dem geschickt mit Unschärfen gespielt wird. Und es gibt wieder einmal eine dysfunktionale Vater-Sohn-Beziehung. Deutschland nach dem Krieg. Die Papas kannten sich mit dem Vertuschen von dunklen Geheimnissen gut aus, die Söhne waren nur noch angeekelt.

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Episode 09: Geld von toten Kassierern (Georg Tressler, Deutschland 1969)

Bei einem Banküberfall wird der Direktor erschossen. Der Verdacht fällt sofort auf Kranz (Siegfried Lowitz), den Keller einst in den Bau brachte. Der ist erbost: Nie hatte er jemanden umgebracht. Die nächsten Banküberfälle folgen, immer auf Geldinstitute, die auf Kranz‘ einstiger Wunschliste standen. Wie schon in der DERRICK-Folge „Stiftungsfest“ beeindruckt Lowitz mit Berliner Schnauze als ehrenhafter Bankräuber. Die Szenen in seiner heruntergekommenen Wohnung, in der er seiner Minirock-tragenden Tochter Moralpredigten hält, bleiben im Gedächtnis, der Fall selbst ist nicht ganz so spannend.

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Episode 10: Schrei vor dem Fenster (Dietrich Haugk, Deutschland 1969)

Der Ehemann der Schauspielerin Irene Pauli (Maria Schell) wird erschossen aufgefunden. Der Hausmeister sieht noch den Sohn Berthold mit einer Waffe in der Hand wegrennen. Es entbrennt eine Jagd auf den Flüchtigen Mordverdächtigen, während die Pauli Keller und seine Männer verzweifelt von der Unschuld ihres Jungen überzeugen will. Für den Toten – einen Tyrann, den offensichtlich jeder hasste – interessiert sich hingegen kaum jemand. Das kennt man inzwischen. Die Folge, die in einer einzigen Nacht spielt und mit einer tollen handgehaltenen Einstellung beginnt, ist trotzdem eine der stärksten der ersten 10.

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Episode 042: Abendfrieden (Helmut Ashley, 1978)

Nach Episode 033, „Offene Rechnung“ verschlägt es Derrick und Klein für ihre Ermittlungen erneut in ein Seniorenheim. Der Großneffe einer Bewohnerin ist vor einer Weinstube überfahren worden, nachdem er von einem unbekannten Anrufer dort hinbestellt wurde. Eigentlich wollte er seiner Großtante die Nachricht einer Erbschaft überbringen, doch die beiden resoluten Heimleiterinnen, Helene (Inge Birkmann) und Margarete Schübel (Alice Treff) hatten ihn auf merkwürdige Art und Weise abgewimmelt. Das Aufeinandertreffen des Mannes mit den beiden Damen ist das Highlight dieser Episode, könnte fast aus einem Pete-Walker- oder einem französischen Horrorfilm der Siebzigerjahre stammen. Man weiß, dass die beiden Frauen ein Geheimnis haben, dass sich hinter ihrem freundlichen Tantenlächeln ein dunkles Geheimnis verbirgt sowie die grimme Entschlossenheit, dieses Geheimnis um jeden Preis zu wahren. Und so ist es ja dann auch. Die Auflösung ist nicht übermäßig überraschend, aber insofern interessant, dass hier zwei separate Fälle schicksalhaft zusammentreffen. Dem Sujet angemessen eher bedächtig erzählt, aber recht atmosphärisch: Zum Finale gibt es ein schwer melancholisches Violinenkonzert einer vornehm blassen Schönheit (Dietlinde Turban), während Derrick im Nebenraum wie einst Hercule Poirot die Verdächtigen versammelt.

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Bildschirmfoto 2015-04-03 um 15.54.55Episode 043: Ein Hinterhalt (Alfred Vohrer, Deutschland 1978)

Auf einer Landstraße verunglückt ein Autofahrer, weil jemand einen Baumstamm auf die Fahrbahn gezerrt hat. Da der Wagen der Ärztin Dr. Schwenn (Ruth Leuwerik) gehörte, vermuten Derrick und Klein, dass es sich um einen fehlgeschlagenen Mordanschlag handelt und die Frau immer noch in Lebensgefahr schwebt. Der Kriminalfall gestaltet sich eher als dröge, doch was diese Episode Vohrers über den Durchschnitt hebt, sind die Figuren der Ärztin Schwenn und ihres Neffen Bruno (Hans Georg Panczak). Sie ist eine irgendwie freudlose Person, nicht offen unsympathisch, aber auf so eine seriöse Art und Weise nondeskript, das niemand sie leiden mag, was ihre neutrale Haltung nur noch weiter bestärkt. Auch ihr Neffe macht keinen Hehl daraus, dass er nicht viel von ihr hält, sich nach eigener Aussage nichts in ihm gerührt hätte, wäre sie bei dem Anschlag ums Leben gekommen. Die Dialoge zwischen diesen beiden sind Dreh- und Angelpunkt der Folge, weil Vohrer die Spannung vor allem aus der Frage bezieht, ob Bruno der Attentäter war und ob er einen zweiten Versuch unternehmen wird. Auch die Ärztin wird ob seiner offen zur Schau gestellten Härte immer ängstlicher, seine Schadenfreude, seine sonst immer so sichere Tante nun zittern zu sehen, treibt ihn noch mehr an. Am Ende kommt alles ganz anders und „Ein Hinterhalt“ endet mit einer menschlichen Geste, die man in dieser Gefrierschrank-Episode ebenso wenig erwartet hat, wie Hansi „Pepe Nietnagel“ Kraus als bayerischen Bauernsohn mit Seppelhut und Schnurrbart.

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Episode 044: Steins Tochter (Wolfgang Becker, Deutschland 1978)

Eine eher unaufregende Episode, aber mit einer tolle Szene zu Beginn, die hängenbleibt. Wenn Cosima Stein (Katerina Jacob, später als Assistentin des „Bullen von Tölz“ zu TV-Prominenz gelangt) zu den Klängen der Santa-Esmeralda-Version des Klassikers „Don’t let me be misunderstood“ aus dem Sportwagen ihres Freundes springt, um im Münchener Nachtlicht zu tanzen, ist das einer der Momente, für die man diese deutschen Siebzigerjahre-Krimis ins Herz geschlossen hat. Auch danach wird es eigentlich immer toll, wenn Cosimas blasses, tränenüberströmtes Gesicht ins Bild gerückt wird, sie apathisch zwischen ihren Singles auf dem Boden ihres Schülerinnen-Zimmers hockt. Demgegenüber sind die Szenen um ihren Verehrer Betzky (Markus Boysen) ein bisschen anstrengend, weil der Schauspieler und Reineckers gewohnt gespreizte Dialoge keine so gute Mischung ergeben. Und Cosimas Papa, der Lehrer Stein (Thomas Holtzmann) ist einer dieser Hardcore-Spießer, die sogar töten würden, um ihre Brut vor dem Absturz ins moralische Verderben zu schützen. Die winterliche Atmosphäre ist ganz hübsch, aber sonst gibt es hier einfach zu wenig, was das Interesse wirklich wachhielte. Außer Cosimas Tanz natürlich.

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Episode 45: Klavierkonzert (Helmuth Ashley, Deutschland 1978)

Eine lustige Koinzidenz: In der zuletzt gesehenen DER KOMMISSAR-Episode „Keiner hörte den Schuss“ (Regie: Wolfgang Becker) spielte Peter Fricke den Mörder. Hier nun ist er der, den alle für den Mörder halten – und halten sollen. Er spielt den berühmten Pianisten Robert van Doom (großartiger Name!), der in einer Ehe mit der älteren Luisa van Doom (Maria Schell) gefangen ist, die ihm die Karriere mit ihrem Geld überhaupt erst ermöglichte. Jeder weiß, dass Robert eine junge Tänzerin (Iris Berben) als Geliebte hat und seine Ehe mehr als zerrüttet ist: Er will sich scheiden lassen, sie ihn nicht freigeben, schließlich hat sie in ihn „investiert“. Als die Haushälterin der van Dooms während eines von Roberts Konzerten erschossen wird – in einer offensichtlichen Verwechslung, denn es sollte Luisa treffen -, deutet alles darauf hin, dass der Musiker der Auftraggeber ist. Vor allem Luisa ist davon überzeugt und fest dazu entschlossen, ihn fertigzumachen …

„Klavierkonzert“ ist thematisch wieder überaus typisch: Es geht um die Dekadenz des Großbürgertums einerseits, um dessen Unfähigkeit, emotional-menschliche Probleme anders zu lösen als durch das Ausspielen von Macht andererseit. Helmuth Ashley, dem Sleaze nicht abhold, suhlt sich in einer Inszenierung, die die barocken Geschmacklosigkeiten und die Kälte eines leeren Wohlstands mit Genuss in den Fokus rückt. Das Haus der van Dooms ist ein Albtraum aus tannengrünen Tapeten, schweren Samtvorhängen und gebrauchsfeindlichen Antiquitäten. Der Pianist selbst ist ein zitternder Feigling, seine Frau – die Mutter der Nation, Maria Schell – ein herrisches Biest, alle Freunde und Verwandte sehen entweder tatenlos zu, versuchen den Konflikt aus eigenem Interesse kleinzuhalten oder befeuern ihn noch. Sky DuMont gibt den wunderbar blasierten Assistenten von van Dooms Agent Ostrow (Eric Pohlmann), Jutta Speidel die hilfsbereite Nichte der toten Haushelferin. Ashley gelingt das Kunststück, dass man fast jeden mal für den potenziellen Täter hält und eigentlich alle Personen gleichermaßen widerlich findet. Und irgendwie findet er dann auch noch die Gelegenheit, Derrick und Klein in einer McDonalds-Filiale einen Hamburger mampfen zu lassen.

Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, was diese deutschen Krimiserien auszeichnet, woher die Faszination kommt, die sie auf mich (und andere) heute ausüben. Für einen Spätgeborenen wie mich steckt natürlich nicht zuletzt der Reiz dahinter, in eine bundesrepublikanische Realität blicken zu können, die ich nur noch am Rande mitbekommen habe (1978 war ich zwei Jahre alt). Mit dem Abstand der Jahrzehnte zeigt sich einem da eine Welt, die seit dem zweiten Weltkrieg zwar zwei bis drei volle Jahrzehnte hinter sich gebracht, die Spätfolgen aber keinesfalls verarbeitet hat. Es zeigt sich da eine Welt, wo fast jeder eine Leiche im Keller hat – oder aber durch den geringsten Anstoß überaus bereitwillig zum Mörder wird. Und wo es immer wieder die Väter sind, die Unheil über ihre Kinder, Ehefrauen, Familien bringen. Da ist es durchaus als programmatisch zu verstehen, dass im Zentrum sowohl von DER KOMMISSAR als auch von DERRICK Väterfiguren ohne Familien stehen. (Interessant, wie bei beiden Figuren zu Beginn versucht wurde, sie durch Ehefrau und Geliebte zu vermenschlichen, die Idee bei beiden aber schnell wieder verworfen wird.) Sowohl Kommissar Keller als auch Oberinspsektor Derrick sind in allererster Instanz Staatsdiener, verbürokratisiertes Über-Ich gewissermaßen. Es fällt schwer, hier kein künstlerisches Programm zu vermuten: Vielleicht der Versuch einer verspäteten Wiedergutmachung des Autors, der als Kriegsberichterstatter in einer Propagandakompanie der Waffen-SS gedient hatte? Who knows.

Mal sehen, ob ich hier demnächst auch noch was über DER KOMMISSAR zum Besten geben werde. Gerade in Verbindung mit weiteren DERRICK-Sichtungen könnte das sehr interessant und aufschlussreich sein.

Der Frauenknast auf der sinnig benannten Isla del Muerte wird mit eiserner Hand geführt: Die psychotisch-nervöse Wärterin Thelma Diaz (Mercedes McCambridge) bestraft das kleinste Vergehen mit Kerkerhaft, ihr Vorgesetzter, der Gouverneur Santos (Herbert Lom), gibt sich nicht allzu viel Mühe, sie in Zaum zu halten. Die neu angekommene Insassin (Maria Rohm), nach ihrer Häftlingsnummer nur Nr. 99 genannt, muss gleich am eigenen Leib erfahren, was auf sie zukommt: Als sie um Hilfe für eine unter Entzugsschmerzen leidende Zellengenossin ruft, handelt sie sich eine schöne Strafe ein. Die Häufung von mysteriösen Todesfällen ruft allerdings die Regierung auf den Plan, die die Beamtin Leonie Carroll (Maria Schell) zur Untersuchung der vorherrschenden Zustände schickt. Ihre Versuche, bessere Bedingungen für die Häftlinge zu schaffen, werden aber schließlich von der Flucht dreier Damen, darunter auch Nr. 99, unterwandert …

DER HEISSE TOD gilt als Startschuss für die neue Welle von Frauenknastfilmen, die vor allem in den Siebzigerjahren über die Bahnhofskinos schwappte und dem so entstandenen Subgenre sogar ein eigenes Kürzel bescherte: WiP – Women in Prison. Etwas zu Unrecht werden die WiP-Filme meist mit schlimmstem Schmuddelkram assoziiert, dabei sind die frühen Vertreter jener Welle, wie etwa dieser hier, CAGED HEAT, THE BIG DOLL HOUSE oder auch THE BIG BIRD CAGE, durchaus respektabel; exploitativ zwar, sicherlich, aber deutlich weniger niederträchtig, billig und schäbig als das, was da etwas später, etwa unter der Regie von Mattei und Konsorten, das Licht der Welt erblicken und den Frauenknastfilm als eine besonders ekelhafte Form von Gewaltpornografie abstempeln sollte. Auch DER HEISSE TOD ist, wie eigentlich alle in jener Zeit vom Briten Harry Alan Towers produzierten Filme des Spaniers, gediegen inszeniert, gut besetzt und geschmackvoll ausgestattet, deutlich näher dran am großen, bunten und gutgelaunten Abenteuerkino der Sechzigerjahre als an der dreckigen, wütenden und hässlichen Exploitation des Folgejahrzehnts. Natürlich sind alle Zutaten, die den Frauenknastfilm auch später noch definieren sollten, schon drin: schöne Frauen (neben den bereits genannten noch Luciana Paluzzi und die tolle Rosalba Neri, die hier die ganze Zeit ganz fasziniert von ihren eigenen bestrumpften Beinen ist), Lesbensex, eine sadistische Wärterin, ein nazihafter Politiker in Militäruniform und eine Portion Sadismus. Auch die Handlungsstruktur – auf den harten Knastalltag folgt irgendwann die Flucht, die meist jedoch scheitert – wurde in späteren Filmen nur noch milde variiert. In DER HEISSE TOD ist also alles noch eine ganze Spur zahmer und gesitteter – der Sex (sehr psychedelisch meist in disorientierenden Close-ups gefilmt, die mehr andeuten als zeigen), die Gewalt (eigentlich immer offscreen) – und mit dem Einsatz von Maria Schell als stets besorgt dreinblickender Pädagogin gelingt es Franco manchmal fast, einen davon zu überzeugen, hier eines ernsthaften Human-Interest-Dramas um unmenschliche Haftbedingungen ansichtig zu werden (zumindest scheint er Maria Schell davon überzeugt zu haben, in einem solchen mitzuspielen).

Wer mit Jess Franco bislang nichts anfangen konnte, wem seine Filme immer zu billig, zu krude, zu dusselig oder zu schlampig waren, der hat mit den in Kollaboration mit Towers entstandenen Filmen – z. B. THE BLOOD OF FU MANCHU, MARQUIS DE SADE: JUSTINE, IL TRONO DI FUOCO oder EUGENIE – vielleicht eine Chance, doch noch mit dem Werk des umtriebigen Spaniers warm zu werden. Ich bin da hin- und hergerissen: EUGENIE halte ich bislang für den stärksten Film Francos, DER HEISSE TOD jedoch ist mir eine Spur zu langweilig geraten. Da würde ich dann den weniger aufwändigen, dafür aber völlig wahnsinnigen SADOMANIA jederzeit vorziehen. Kommt wohl drauf an, was man will: Die Towers-Francos sind handwerklich besser, haben bessere Production Values und sind insgesamt etwas „gebügelter“ als die anderen Francos. Ich bin mittlerweile soweit, dass ich seine Filme gerade wegen ihrer Idiosynkrasien zu schätzen weiß.