Mit ‘Martin Sheen’ getaggte Beiträge

Ich habe mich nie wirklich für THE FINAL COUNTDOWN interessiert, aber wie das manchmal mit solchen Filmen ist, laufen sie einem dann besonders beharrlich über den Weg. In dieser Zeit, in der 98 % der Blockbuster jedes Gramm Seele zugunsten technischer Perfektion eingetauscht haben, wohnt gerade solchen Eventmovies von anno dazumal, die heute wirken wie aufgeblasene B-Movies, ein enormer Zauber inne – und dass THE FINAL COUNTDOWN dann auch noch ganz gut in meine Katastrophenfilm-Exkursionen passt, reichte, um meinen Willen zu brechen. Am Ende habe ich mich darüber nicht ärgern müssen: THE FINAL COUNTDOWN bietet etwas gesichtslose, am Ende seltsam ins Leere laufende, handwerklich routinierte, aber keinesfalls spektakuläre Unterhaltung, die aber aus einem mir unerfindlichen Grund trotzdem niemals so scheißegal und austauschbar ist wie zeitgenössischer Quark, den man mit genau denselben Attributen versehen könnte.

THE FINAL COUNTDOWN handelt vom Flugzeugträger U.S.S. Nimitz, der in der Nähe von Hawaii in einen rätselhaften Sturm gerät und daraufhin knapp 40 Jahre in die Vergangenheit bugsiert wird – in den Zeitraum wenige Stunden, bevor die Japaner ihren Angriff auf Pearl Harbor fliegen. Die Frage, die sich stellt: Ist es an der Besatzung um Captain Yelland (Kirk Douglas), in die Kampfhandlungen einzugreifen und den Verlauf der Geschichte mit avancierter Feuerkraft und Kriegsmaschinerie entscheidend zu verändern, wie es der zufällig an Bord befindliche zivile Beobachter Warren Lasky (Martin Sheen) fordert, oder sollten sie sich raushalten, weil die Folgen für das Zeit-Raum-Kontinuum unüberschaubar sind, wie es die Meinung des Piloten und Hobbyhistorikers Richard Owens (James Farentino) ist?

THE FINAL COUNTDOWN geht der Beantwortung dieser Frage aus dem Weg, indem er just in dem Moment, in dem eine Entscheidung getroffen werden muss, einen zweiten Sturm vorbeischickt, der die U.S.S. Nimitz wieder in die Gegenwart zurückbringt. Das ist streng genommen kein schlechter Schachzug, weil er eben den Zuschauer dazu zwingt, über die vom Film gestellte Frage nachzudenken, anstatt ihm die Antwort zu servieren, aber ich zumindest erwarte bei einem solchen Film, der ein so großes Augenmerk auf Spektakel und große Bilder legt, am Ende auch in irgendeiner Form „bedient“ zu werden. Das versäumt Don Taylor, der sogar auf Bilder aus Fleischer und Masudas TORA! TORA! TORA! zurückgreift, um den Angriff auf Pearl Harbor in Szene zu setzen. Für eine TWILIGHT ZONE-Episode wäre seine Herangehensweise ideal gewesen, aber für eine halbstündige Fernsehepisode hätte man wahrscheinlich nicht die Kollaboration der US Navy gewonnen.

Hier dürfte dann auch ein für die Entstehung von THE FINAL COUNTDOWN ganz entscheidender Faktor liegen: Taylor stand für die Dreharbeiten tatsächlich die U.S.S. Nimitz samt Besatzung zur Verfügung. Ein Großteil des Films erinnert dann auch etwas an eine maritime, weniger geleckte und videoclippige Version von TOP GUN: Da wird die Präzision, mit der Düsenjets auf der vergleichsweise kurzen Start- und Landebahn abheben oder aufsetzen, mit großer Detailfreude gezeigt, bekommt der Zuschauer das gesamte zur Verfügung stehende Arsenal vorgeführt, samt militärischem Tamtam. Man muss THE FINAL COUNTDOWN zugutehalten, dass er im Unterschied zum genannten Vergleichstitel nicht wie ein Werbespot wirkt. Ohne sein Setting wäre Taylors Film jedenfalls sofort als der tolldreiste Quatsch enttarnt worden, der er eigentlich ist. Und es ist höchst fraglich, ob man Kirk Douglas und Martin Sheen zur Mitwirkung hätte überreden können.

Andererseits fand ich eine Sache dann doch bemerkenswert an THE FINAL COUNTDOWN und würde sie ihm durchaus positiv ankreiden wollen: Wenn Lasky da recht mutig zu bedenken gibt, dass die beobachteten Phänomene – Radioübertragungen aus den Vierzigerjahren etc. – darauf zurückzuführen sein könnten, dass man tatsächlich in die Vergangenheit gereist ist, zieht das nicht die in Genrefilmen sonst so üblichen Empörungsrufe und Verspottungen nach sich, vielmehr ist man nach kurzer Zeit bereit, seinen Vorschlag zumindest in Betracht zu ziehen. Auch wenn THE FINAL COUNTDOWN am Schluss wie erwähnt im Sande verläuft: Bis dahin vertrödelt er immerhin keine Zeit.

Der US-Katastrophenfilm inspirierte auch andere Nationen nachzuziehen. THE CASSANDRA CROSSING ist eines der prominentesten Beispiele, geht aber durchaus seinen eigenen Weg. Am deutlichsten zeigt sich der Einfluss nicht in der drohenden Zugkatastrophe, sondern vor allem in der beeindruckenden Besetzung, die während der Exposition einem Schaulaufen gleicht: Richard Harris, Burt Lancaster, Ava Gardner, Martin Sheen und Lee Strasberg machen ihre Aufwartung, gefolgt von den etwas „kleineren“ Namen von Lionel Stander, John Philip Law, O. J. Simpson, Ray Lovelock, Ann Turkel, Ingrid Thulin, Alida Valli und Lou Castel. Auch Cosmatos‘ Film widmet sich im weiteren Verlauf ihren Einzelschicksalen, ohne aber die seifige Melodramatik zu erreichen, die man aus den Vorbildern kennt. THE CASSANDRA CROSSING ist eine übervolle, nicht immer geschmackssichere Mischung aus Katastrophenfilm, dem eisigen Agenten- und Politthriller europäischer Prägung, dystopischer Science Fiction und zupackender Action. Man kann gut zwei Stunden seiner Zeit mit ihm vertrödeln: Langweilig wird einem dabei nicht.

Alles beginnt mit einem Terroranschlag zweier Schweden auf die Zentrale der IHO in Genf. Dort infizieren sich beide mit einem gefährlichen Virus, den die USA unter Verschluss halten, bis sie herausbekommen, wie man ihn vernichtet: Einer der Täter wird festgesetzt und verstirbt wenig später, dem anderen (Lou Castel) gelingt die Flucht an Bord eines Zuges, der quer durch Europa fährt. Der Militärmann Mackenzie (Burt Lancaster) nimmt Kontakt zum Wissenschaftler Chamberlain (Richard Harris) auf, der sich an Bord des Zuges befindet und dabei helfen soll, die Seuche einzugrenzen. Neben den medizinischen Bemühungen an Bord will Mackenzie den Zug versiegeln und ihn auf einen abgelegenen Bahnhof in Polen umlenken. Insgeheim hofft er aber, dass er die Überfahrt über die „Cassandra Crossing“, eine seit Jahrzehnten stillgelegte, völlig marode Brücke, nicht schafft …

THE CASSANDRA CROSSING beginnt als Katastrophenfilm mit Science-Fiction-Einschlag, der nach der Etablierung des Grundkonflikts seine große Figurenschar einführt: Da gibt es den Helden Chamberlain, einen einflussreichen Wissenschaftler, dessen Ex-Frau Jennifer (Sophia Loren), die gerade ein für ihn wenig schmeichelhaftes Enthüllungsbuch über ihre Ehe geschrieben hat, insgeheim aber auf Versöhnung hofft, Nicole Dressler (Ava Gardner), die Gattin eines Waffenfabrikanten, die mit ihrem aufschneiderischen Lover Robby (Martin Sheen) durch Europa reist, den Holocaust-Überlebenden Herman Kaplan (Lee Strasberg), den als Priester getarnten FBI-Agenten Haley (O.J. Simpson), eine Gruppe Hippies um das Pärchen Susan (Ann Turkel) und Tom (Ray Lovelock), den Zugschaffner Max (Lionel Stander) sowie etliche weitere. Nach einer Stunde, die Situation an Bord ist mittlerweile allen Zuginsassen klar, kippt der Film dann heftig Richtung Horror: Die Szene, in der mit Schutzanzügen vermummte, schwer bewaffnete Soldaten den Zug auf einem nächtlichen Bahnhof (Nürnberg!) versiegeln, damit kein Infizierter aussteigen kann, und über Lautsprecher autoritäre Befehle durch die Nacht bellen, könnte auch aus Romeros THE CRAZIES stammen – und weckt natürlich historische Assoziationen. Die erkennt auch der Jude Kaplan, der angesichts der Aussicht, erneut nach Polen deportiert zu werden, in verständliche Panik gerät. Zur finsteren Perspektive gesellt sich die Inszenierung der titelgebenden Brücke, eines rostigen Ungetüms, das in drohenden Aufnahmen und mit dissonanten Soundcollagen ins Bild gerückt wird.  Cosmatos ist der Zurückhaltung und Subtilität eher unverdächtig – die Episode um Kaplan erinnert ein bisschen an Hanna Schygullas Auftritt in Golans THE DELTA FORCE -, aber man kann seinem Film gewiss nicht vorwerfen, seine Wirkung zu verfehlen. Das mittlere Drittel des Films tut weh – im positiven Sinne.

Seinen letzten Stimmungsumschwung erlebt THE CASSANDRA CROSSING in der letzten halben Stunde. Die Passagiere um Chamberlain ahnen, dass man mitnichten gedenkt, sie bloß in Quarantäne zu isolieren: Sie sollen, wenn schon nicht umgebracht werden, so doch durch einen willkommenen Unglücksfall den Tod finden, auf dass der gefährliche Virus auf immer lahmgelegt ist. Es bleibt nur eine Chance: Mit Waffengewalt die Kontrolle über den Zug zu erkämpfen und ihn irgendwie zu stoppen, bevor er die unsichere Brücke erreicht. Das losbrechende Spektakel wird von Cosmatos sehr ansprechend und mit viel Tempo in Szene gesetzt, aber leider fällt der Film zum Showdown dann hinter seine an den Machenschaften des Staats geübte Kritik zurück: Die einzige Chance, die Chamberlain bleibt, wenigstens einige zu retten, besteht darin, einen einzigen Waggon abzukoppeln – natürlich jenen, in dem sich die „wichtige“ Charaktere des Films befinden. Der Großteil der Passagiere findet in einer reichlich sensationsheischenden Sequenz einen grausamen Tod, über den danach nicht weiter geklagt wird. Der Film geht sehr lapidar über diese Opfer hinweg, sie dienen ihm höchstens ans dratsischer Zierrat. Der gnadenlose Utilitarismus, der Mackenzie in den Augen der Wissenschaftlerin Stradner (Ingrid Thulin) zum „Monster“ macht, gereicht Chamberlain zum Heldentum. Da wurde mit zweierlei Maß gemessen.

Der finale „Twist“ – keine Sorge, mit modernen Hirnverdrehereien hat THE CASSANDRA CROSSING nichts am Hut – versöhnt dann aber wieder etwas und zeigt, dass das politische Geschäft mit der Sicherheit ein schmutziges ist, das keine Freunde kennt. Auch Mackenzie ist aus Sicht der Obrigkeiten nur ein Mitwisser, den man aus dem Weg räumen muss, wenn er gefährlich wird. Ganz egal, was er geleistet hat oder nicht. Ganz gewiss ein streitbarer Film, aber auch ein sehr spannender, dem es an Schauwerten gewiss nicht mangelt. Großes Kino anno 1976.

 

 

firestarter-movie-poster-1984-1020192887FIRESTARTER gehört durchaus noch zur ersten großen Welle von King-Verfilmungen, als die Studios sich von den eher durchwachsenen Kritiken und Zuschauerzahlen noch nicht beeindrucken ließen und weiterhin beachtliches Budget und Talent in immer neue Adaptionen steckten. FIRESTARTER sieht wie auch die etwa in die gleiche Phase fallenden CHRISTINE, THE DEAD ZONE oder CUJO fantastisch aus, ist bis in die Nebenrollen hochkarätig besetzt (neben den Hauptdarstellern David Keith, Drew Barrymore, Martin Sheen und George C. Scott agieren da z. B. Art Carney, Louise Fletcher, Moses Gunn. Antonio Fargas, Heather Locklear, Freddie Jones und Drew Snyder) und von Mark L. Lester technisch gewohnt kompetent umgesetzt. Der Soundtrack stammt von Tangerine Dream und die Feuereffekte sind auch heute noch spektakulär: Die Zerstörungsorgie am Schluss, bei der die kleine Charlene (Drew Barrymore) Kugeln an sich abprallen lässt und explodierende Feuerbälle verschießt, erinnert fast ein wenig an RAMBO: FIRST BLOOD PART II.

Trotzdem ist FIRESTARTER nicht 100-prozentig befriedigend. Auch wenn ich den Film gegen seinen nicht so berauschenden Ruf jederzeit verteidigen würde: Dramaturgisch funktioniert er nicht richtig, mutet ein wenig leer und leblos an und begeht zudem den Fehler, seine beiden wunderbar hassenswerten Schurken – George C. Scott als gemeines Halbblut John Rainbird mit Pferdeschwanz und Augenklappe, Martin Sheen nach THE DEAD ZONE erneut als schmieriger Staatsbeamter – viel zu früh über die Klinge springen zu lassen. Warum der Funke (hihi) nicht richtig überspringt, ist indessen nicht so leicht zu sagen. Der Film hat mehrere kleine Probleme. David Keith bleibt blass in der zugegeben undankbaren Rolle des telepathisch begabten Papas, Drew Barrymore ist niedlich, aber als Schauspielerin einfach noch nicht ausgereift genug, um die Hauptrolle zu tragen. Diese Spannung zwischen dem süßen kleinen Mädchen einerseits und der tödlichen Gefahr, die sie birgt, andererseits, und von der der Film eigentlich leben sollte, bleibt Behauptung, wird nie wirklich greifbar. Der gewohnt außerweltliche Score von Tangerine Dream passt nicht zu den doch eher knalligen Bildern, legt einen Schleier über sie und schafft so Distanz, wo er eigentlich die volle Wucht des Affekts unterstreichen sollte. Aber auch Lester leistet sich einige Ungeschicktheiten, arbeitet mit den immer gleichen visuellen und verbalen Cues, um die unsichtbare Psychoaktivität seiner Protagonisten anzuzeigen. Spätestens beim dritten Mal wird es einfach albern, wenn sich David Keith bedeutungsschwer an die Schläfen fasst oder Drew Barrymore „Back off“ skandiert, um ihre Kräfte zu drosseln. Da offenbart FIRESTARTER eine Käsigkeit, die im krassen Widerspruch zu seinen offenkundigen Production Values steht.

Trotzdem hat mir der Film, den ich zum ersten Mal gesehen habe, gut gefallen. Es ist ein bisschen so ähnlich wie mit dem kürzlich wiedergesehenen SHOOT TO KILL: FIRESTARTER repräsentiert eine Art von unaufgeregtem, professionellem Mainstream-Filmmaking, die heute kaum noch gepflegt wird, mit dem Ende der Achtzigerjahre, spätestens aber zum Jahrtausenwechsel völlig verschwunden ist. Diese Feststellung lässt sich bei Lesters King-Verfilmung gerade deshalb besonders gut anstellen, weil er thematisch so eng bei den Superhelden-Verfilmungen liegt, die heute den Status quo des Blockbuster-Genrekinos ausmachen. Statt pausenlosem Effekt-Heckmeck, 24 handelnden Charakteren und 35 angestoßenen Subplots für die geplanten nächsten 12 Spin-offs und Sequels gibt es hier ein intimes Vater-Tochter-Drama mit parapsychologischem Hintergrund und viele eher unausgesprochene Konflikte. Was will eigentlich John Rainbird von der kleinen Charlene? Die im Raum stehende Frage wird nie beantwortet, was die Beziehung zwischen den beiden umso unheimlicher macht.

Oliver Stone war früher, während meiner Teenagerzeit und auch noch später, während meines Studiums, einer meiner absoluten Lieblingsregisseure, NATURAL BORN KILLERS ein Film, der die Art und Weise, wie ich Film wahrgenommen habe, komplett veränderte. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren fand dann aber eine zunehmende Entfremdung statt: Stones aufklärerischer, pädagogisch-didaktischer Impetus stößt mir heute eher sauer auf. Oder vielmehr: Er langweilt mich ein bisschen. Ich finde, dass zahlreiche der schöpferischen Möglichkeiten, die Film bietet, ungenutzt bleiben, wenn man ihn lediglich als Vehikel zum Transport einer wie auch immer gearteten Botschaft begreift. Es gibt nicht viel Bewegungsmöglichkeit in Stones Filmen, keine Zwischenräume und kein Zwielicht, nur Ja und Nein, Zustimmung oder totalen Widerspruch. WALL STREET ist demzufolge der erste Film von Stone, den ich nach SAVAGES gesehen habe, dem ebenfalls schon eine langjährige Abstinenz vorausging, die bis ins Jahr 2009 zurückreicht, als mal wieder NIXON dran gewesen war. Und was soll ich sagen: Es war schön.

WALL STREET stammt aus einer Zeit, als Stone ja noch den „jungen Wilden“ zugerechnet werden konnte. Mit PLATOON hatte er eben erst seinen großen Durchbruch gefeiert und das Bild, das man von ihm und seinen Filmen hatte, war längst noch nicht so scharf konturiert, wie es dann wenige Jahre später der Fall sein sollte. Auch WALL STREET hat natürlich ein Thema, lässt keinen Zweifel daran, wo Stones Sympathien liegen, dennoch geht der Regisseur meines Erachtens deutlich spielerischer und entspannter mit seinem Sujet um, als man es einem Mann mit Mission gemeinhin zubilligt. Der Film ist spannend, witzig und schlagfertig und für jemanden mit einem derart ausgeprägten Achtzigerjahre-Fetisch, wie ich ihn habe, eine Offenbarung. Das Tempo, das Stone anschlägt, um eine erzählerische Entsprechung zur Hektik der Börsenwelt mit ihren im Sekundenrhythmus reinrauschenden Gewinn- und Verlustmeldungen, enthemmt durcheinander schreienden Brokern und klappernden Tastaturen zu finden, erinnert fast schon an Billy Wilder oder Howard Hawks. In deren Gesellschaft ist WALL STREET eh gut aufgehoben, wenngleich Stone sich von den beiden Genannten durch seinen ungebrochenen Idealismus abhebt: Bei ihm bekommt der böse Spekulant Gordon Gekko (Michael Douglas) am Ende sein Fett weg und der reuige Held Bud Fox (Charlie Sheen) muss immerhin Buße tun, um für seine Taten zu bezahlen.

Auch der Auftakt erinnert etwas an die überdrehten Screwball-Komödien der Dreißigerjahre: Sinatra trällert „Fly me to the Moon“ (OK, ol‘ blue eyes sang seine Lieber erst etwas später), während Impressionen des erwachenden Manhattans über die Leinwand flimmern. Doch statt des sentimental aufgeladenen Sepiatons alter Fotografien ist es ein Eighties-typischer Farbfilter, der alles in ein bronze glänzendes Braun taucht. Auch die Bilder der im Anzug auf die Straßen und in die Bürotürme eilenden Menschen sind nicht mehr von jener enthusiastischen Lebendigkeit geprägt, keine ermutigende Vision des Realität gewordenen amerikanischen Traums, sondern erinnern fatal an die Visionen Romeros, der in DAWN OF THE DEAD amerikanische Bürger zeigte, die als Zombies in einer ewig währdenden Simulation ihres vergangenen Alltags gefangen sind. Das „geschäftige Treiben“ hat in WALL STREET kannibalistische Züge angenommen und darum geht es ja dann auch: um das survival of the fittest an der Börse, das als „Überleben der Stärksten“ nur unzureichend übersetzt ist. Denn nicht  der stärkste gewinnt, sondern der gierigste, abgebrühteste, skrupelloseste, der, der Moral und abendländische Werte verwirft und nur noch dem Paradigma des Kapitals folgt, nach dem eben der im Recht ist, der am meisten hat.

Der Film ist auch ein Duell seiner beiden Hauptdarsteller. Michael Douglas legte hier den Grundstein für seine Karriere als Arschloch vom Dienst und spricht die grandiosen, geschliffenen Mono- und Dialoge von Oliver Stone mit gespaltener, aber rasender Zunge. Es macht Freude ihm zuzusehen, weil er sich vom Tempo des Films mitreißen lässt und es in seinen Szenen selbst noch forciert. Charlie Sheen hat den uninteressanteren Part als staunender Grünschnabel und die Freude an seiner Darbietung resultiert nicht zuletzt an der Kluft zwischen diesem „unschuldigen“ Jungerwachsenen von einst, der erst durch die Versuchung durch einen mephistophelischen Bösewicht abfällt, und dem Wissen um sein heutiges drogenfressendes, nuttenverschleißendes Ich. Diese klare Figurenkonstellation ist aber auch die Crux des Films: Stone sieht die Probleme nicht so sehr im Kapitalismus an sich, sondern erst im Missbrauch durch schurkische Brutalkapitalisten vom Schlage Gekkos. Während ein Lou Mannheim (Hal Holbrook) als Generator altersweiser, humanistischer Aphorismen den traditionsbewussten Kaufmann alter Schule verkörpert, zitiert Gekko die kriegsstrategischen Leitsätze Sun Tzus. Es schwingt schon auch ein bisschen Bewunderung für die Abgewichstheit der Gekkos dieser Welt mit. Aber das trägt ja eigentlich nur dazu bei, WALL STREET zu einem der quintessenziellen Filme der Achtzigerjahre zu machen.

Als vor ein paar Jahren die Nachricht umging, dass Sam Raimi seine SPIDER-MAN-Reihe nicht fortsetzen würde, weil ein Reboot anstünde, war das Unverständnis groß. Nun hatte es ein Comicheld endlich mal auf ansprechendem Niveau bis zum dritten Teil geschafft, war der Boden für kommende Abenteuer, für die Arbeit an den Details und den akribischen Ausbau des Helden-Universums, bestellt worden, da machten ihm irgendwelche Studiofuzzis schon wieder ein Ende, nur um – mal wieder – von vorn zu beginnen. Dass SPIDER-MAN 3 insgesamt eine milde Enttäuschung war, schien kein ausreichender Grund für die Entscheidung, bei null anzufangen.

Wenn man sich die Kommentare der Nerds durchliest, etwa auf den Seiten ihres Zentralorgans Ain’t it cool news, wird man schnell auf stichhaltige Beweise gestoßen, warum THE AMAZING SPIDER-MAN Schrott ist, der es nicht verdient at, das Erbe Raimis anzutreten: er werde – wie immer – den Comics nicht gerecht und er sei ein Schnellschuss, von der Universal nur gemacht, um die Rechte an der Figur (die ein nomineller Protagonist für den nächsten AVENGERS-Film wäre) zu behalten, auf die Paramount schon ein Auge geworfen habe. Und dann ist da natürlich das absolut kriegsentscheidende Detail: die Sneakers, die zum Spider-Man-Kostüm gehören.

Ohne die fundamentalistische Verblendung des Comicfans betrachtet, ist THE AMAZING SPIDER-MAN ein wunderbar runder Film, der Raimis Serie tatsächlich relativ schnell vergessen macht, weil er ein ganz ähnliches Geschick und Herz in der Zeichnung seiner Charaktere zeigt. Spider-Man ist wahrscheinlich der menschlichste und zugänglichste Held des Marvel-Universums und daran ändern auch die etwas düsterere Ausrichtung und Garfields rebellischerer Peter Parker nichts. Orientierte sich Raimi eher am klassischen Silver-Era-Spiderman der 60er-Jahre, mit einem moralisch reinen Protagonisten, bekommt er in der Interpretation von Webb ein paar mehr Ecken und Kanten ab: Seine Jagd auf Verbrecher wird nicht zuletzt von einer fast selbstmörderischen Lust am Adrenalinkick angetrieben, in seinem selbstsicheren Autreten und seiner großmäuligen Art kommt der Narziss zum Vorschein, der bisher von seiner eigenen Minderwertigkeit gehemmt worden war. Die sprücheklopfende, biegsame Inkarnation des Helden, die man etwa aus den McFarlane-Comics kennt, findet ohne Reibungsverlust vom Comic auf die Leinwand. Die Kluft zwischen dem abtrünnigen Vigilanten und diesem Superhelden, sie ist sehr viel schmaler als bei Raimi. Im Versuch, Spider-Mans Fähigkeiten wissenschaftlich zu unterfüttern, liegt ein weiterer großer Unterschied zu den Vorgängern –  abgesehen natürlich von den Details der Origin-Story. Aus dem Fotografen ist ein angehender Naturwissenschaftler mit genialischen Zügen geworden, der nicht nur Kostüm und Ausrüstung nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen konstruiert, sondern auch die Gleichung liefert, der der Forscher Dr. Curt Connors (Rhys Ifans) seine Wandlung zum Lizard verdankt.

Die Schwächen von THE AMAZING SPIDER-MAN kennt man hingegen schon aus etlichen anderen Superhelden-Comicverfilmungen: Webb braucht so lang für seine Origin-Story, dass der Lizard am Ende zwangsläufig zu kurz kommt. Der Showdown wirkt übereilt und kann nicht mehr wirklich einen oben drauf setzen. Verschmerzbar, da Webb Spideys Fähigkeiten mit genau jenem sense of wonder ablichtet, der uns die Comics überhaupt erst ans Herz wachsen ließ. Wenn die Kranfahrer ihre Kräne am Ende so ausrichten, dass der verwundete und entkäftete Held sie benutzen kann, um sich entlang der Fifth Avenue zum Ziel zu hangeln, ist das einer eben jener wunderbar übertriebenen, pathetischen Momente, die in Heftform gleich eine  ganze prächtig gestaltete Seite abzubekommen pflegten. Nicht unwesentlichen Reiz bezieht Webb aus dem ausgiebigen Einsatz der Spinnenfäden: In einer kreativen Sequenz spinnt Spider-Man ein Netz in der Kanalisation, um darin auf ein Lebenszeichen vom Lizard zu warten. Wer gedacht hatte, Raimi habe alle bildlichen Möglichkeiten eines sich durch Manhattan schwingenden Helden ausgeschöpft, sieht sich schnell eines Besseren belehrt.

Angesichts dieses Ergebnisses kann man die Entscheidung der Universal, den Raimi-Spidey abzusetzen, kaum noch kritisieren. Man vermisst an THE AMAZING SPIDER-MAN vielleicht etwas die Unschuld, die typisch für die Silver-Era-Comics ist und die Raimis Film zu einem aller modernen Tricktechnik zum Trotz sehr nostalgischen Werk machte, aber die Möglichkeiten, die sich mit diesem Peter Parker eröffnen – und seine Liaison mit Gwen (Emma Stone) –, machen das mehr als verschmerzbar. Nice.

 

 

 

 

Nach dem Unfalltod seiner Frau beginnt sich der Psychologe Cal Jamison (Martin Sheen) mit seinem Sohn Chris (Harley Cross) eben wieder im Leben einzurichten, da wird er von Lieutenant Sean McTaggert (Robert Loggia) zur Ermittlung in einem Mordfall hinzugezogen: Ein Kind wurde in einem hispanischen Brujeria-Ritual abgeschlachtet, am Tatort zurückgeblieben ist ein vollkommen aufgelöster, verängstigter spanischer Polizist (Jimmy Smits). Je tiefer Jamison in den Fall hineingezogen wird, umso mehr muss er erkennen, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, für die die Wissenschaft keine Erklärung findet – und dass auch sein Sohn in tödlicher Gefahr schwebt …

Zuerst: Ich mag diesen Film sehr, habe ihn jetzt zum ersten Mal seit bestimmt zehn Jahren wieder-, davor aber bereits etliche Male gesehen. Er repräsentiert für mich eine Art von Film, die leider fast völlig von der Bildfläche verschwunden ist: Professionell gefertigtes, erwachsenes Spannungskino auf der Schwelle zwischen mainstreamiger Thriller- und saftiger Genreware, das sich damit begnügt, seine Zuschauer zwei Stunden ernsthaft und gut zu unterhalten, ohne sich dabei um Gimmicks, aufgesetzte Relevanz oder besondere Zeitgeistigkeit zu kümmern. THE BELIEVERS funktioniert heute noch genauso gut wie vor 25 Jahren: Er ist auf angenehm unprätentiöse Art und Weise zeitlos, einfach durch und durch hochklassiges Erzählkino.

Die Geschichte – vom späteren TWIN PEAKS-Mitverfasser Mark Frost gescriptet – um den Rationalisten Jamison, dessen Vertrauen in die Ordnung der Dinge durch den plötzlichen Tod der Frau erschüttert und durch die Konfrontation mit schwarzer Magie noch zusätzlich auf die Probe gestellt wird, mag ein Standard sein: Aber diese Konstellation funktioniert hier ausgezeichnet, auch weil mit Sheen ein Darsteller zur Verfügung steht, der diese Parts mit großer Authentizität und ohne Hollywood-Starpatina interpretiert. Der Konflikt zwischen Kopf und Bauch, der gewissermaßen im Zentrum von THE BELIEVERS steht, drängt sich dankenswerterweise niemals zu sehr in den Vordergrund: THE BELIEVERS bleibt in erster Linie ein Film über Menschen, die mit dem Unerklärlichen konfrontiert werden, es bezwingen und danach irgendwie weitermachen müssen. Schlesinger begeht nicht den Fehler, den so viele modernere „Thementhriller“ machen: Er weckt hier nicht die Erwartung, eine bahnbrechende Erkenntnis zu vermitteln, nur um sie dann mit der Verabreichung des bekannten Kintopps zu enttäuschen. Auch wenn er auf drastische Bilder – die aus der Wange schlüpfenden Spinnen sind ein Klassiker! – und Klischees, wie den bösen Multimillionär (eine klare Trump-Anspielung), der mit schwarzer Magie spielt, um seine Macht zu vergrößern, nicht ganz verzichten mag , wird THE BELIEVERS dennoch nie ganz offensichtlich. Das übliche offene Ende ist hier tatsächlich beunruhigend, gerade weil es interpretierbar bleibt. Und auf Plumpheiten wie den Witwer, der am Schluss endlich den Tod seiner Ehefrau überwunden hat und glücklich in ein neues Leben gehen kann, verzichtet er auch.

Ich kann mir sehr lebhaft die Argumente der Gegenseite vorstellen: Ja, vielleicht ist THE BELIEVERS rassistisch mit seinen dunklen hispanischen Bräuchen und dem gruseligen Schwarzen, der sich zu afrikanischem Trommelsound in augenrollende Trance tanzt. Ich halte von solchen Vorwürfen nichts: Das Horrorkino, das immer von der Angst vor dem Fremden erzählt, ist im Kern reaktionär, weil der Mensch es nunmal auch ist. Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Schlesinger ist intelligent genug, auf diese Tendenz nicht hereinzufallen. Übeltäter gibt es auf beiden Seiten. Für mich ist THE BELIEVERS noch heute einer der absolut herausragenden Vertreter des Mainstream-Thrillers, der doch selten mehr als heiße Luft produziert hat.

Als der Lehrer Johnny Smith (Christopher Walken) nach einem Autounfall aus dem fünfjährigen Koma erwacht, ist nichts mehr wie vorher: Seine Partnerin Sarah (Brooke Adams) hat ihn verlassen, er muss erst wieder lernen zu laufen und außerdem hat er eine neue Fähigkeit: Er kann in die Zukunft der Menschen schauen, wenn er ihnen die Hand reicht. Doch mit dieser Gabe geht auch eine große Verantwortung einher: Was soll man tun, wenn man weiß, dass der Politiker Greg Stillson (Martin Sheen), der sich derzeit anschickt, Senator zu werden, in der Zukunft den Dritten Weltkrieg auslösen wird? Für Johnny gibt es nur eine Antwort auf diese Frage …

Mit seiner Verfilmung des Stephen-King-Bestsellers – seiner ersten Studioproduktion, die einen wichtigen Karriereschritt bedeutete – reiht sich Cronenberg in die nicht allzu große Riege von Filmemachern ein, denen die Umsetzung eines Romans des Meisters auf die Leinwand ohne Abstriche gelang. THE DEAD ZONE gehört meiner Meinung nach zu den drei mit einigem Abstand besten King-Adaptionen (zusammen mit CARRIE und THE SHINING) und das ist ohne Zweifel der inszenatorischen Klasse Cronenbergs zuzuschreiben – auch wenn der hier als auteur etwas in den Hintergrund tritt, sich dem Stoff unterordnet. Im Zentrum des Films steht ganz eindeutig Christopher Walken als Johnny: Vom für ihn ungewohnten Typ „Schwiegermutters Liebling“ der ersten Minuten verwandelt er sich im weiteren Verlauf ganz allmählich in den grüblerischen, charismatischen, geheimnsivollen, körperlich enorm raumgreifenden Charakter, den man von ihm gewohnt ist und es ist eine Freude, ihm dabei zuschauen zu dürfen. Wenn er als Johnny mit dem Gehstock spazierengeht, seine enorme Schrittlänge dabei deutlich macht, wie sehr er die Krücke wegschleudern möchte, wie sehr er versucht, sie einfach zu vergessen, dann ist das genau jener tänzerische, verspielte Walken, der einem mit seiner Elvis-Impression in Ferraras KING OF NEW YORK fast zur Homosexualität bekehrt hätte. Es ist sein Verdienst, dass das Schicksal Johnnys einen so enormen emotionalen Nachhall findet.THE DEAD ZONE ist niederschmetternd.

Cronenberg ist nicht unbedingt für besonders warme oder gar liebevolle Filme berühmt geworden. Wie er die Neurosen seiner Protagonisten seziert, das hat immer auch etwas Mitleidlos-Wissenschaftliches. Den wenigsten von ihnen hat er ein glückliches Ende geschenkt und auch für Johnny darf man sich keine allzu großen Hoffnungen machen, das ist schon recht früh klar. THE DEAD ZONE, das ist auch eine Erlösergeschichte: Da opfert sich jemand, damit die Menschheit weiter bestehen kann. Cronenberg inszeniert diese Geschichte erwartungsgemäß ohne großes Pathos, ohne Tearjerking und tränenreiche Abschiede. Bewegend ist sein Film trotzdem, weil seine Sachlichkeit klar macht, dass hier jemand eine Verantwortung aufgebürdet bekommt, die er zwar nicht tragen will, zu der er aber trotzdemvollkommen bekennt. Kings Roman beschäftigt sich mit philosophischen Fragestellungen um Schicksal, Vorhersehung, Determinismus und den moralischen Folgen, die daraus erwachsen, aber Cronenberg streift diese Fragen allenfalls, er verhandelt sie nicht. Ihm geht es vor allem um die Konsequenzen, die Johnnys Begabung für ihn ganz persönlich hat. Kein Wunder also, dass THE DEAD ZONE ambivalent bleibt: Zwar hat Johnny dank seiner Fähigkeiten die Welt vor dem Nuklearkrieg bewahren können, doch für ihn selbst kann es keine Rettung mehr geben.Es ist auch diese utilitaristische Strenge, die den Film so schockierend macht.

Dominik Graf hat in seinem prächtigen Text zu THE DEAD ZONE, der in dem Buch „David Cronenberg“ von Bertz & Fischer erschienen ist (zu dem ich ja auch etwas beisteuern durfte), die großartige Besetzung des Filmes hervorgehoben, deren Leistungen Cronenberg durch seine episodische Inszenierung noch unterstreicht: Herbert Lom ist wunderbar als väterlich-fürsorglicher Arzt, Tom Skerritt leidet als Sheriff sichtbar darunter, einen Serienmörder nicht fassen zu können, Anthony Zerbes wachsam funkelnde Augen brennen sich durch den Bildschirm hindurch und Martin Sheen lässt einem als reaktionär-krimineller Politiker die Galle hochkochen. In der Abfolge dieser Episoden erweckt Cronenberg tatsächlich den Eindruck, einem Leben zu folgen: Gesichter tauchen auf und verschwinden wieder. Jeder ist für einen kurzen Moment ein wichtiger Begleiter Johnnys, bevor das Leben ihn weiterzieht, dem unausweichlichen Ende entgegen. Insofern ist Johnny Smith – das sagt ja schon sein Name – ein ganz normaler Mensch: Er mag eine besondere Begabung haben, doch wichtig sind vor allem die die Entscheidungen, die er trifft, die Konsequenzen, die er zieht und das Schicksal, das er wählt. Die spannende und beängstigende Frage, die der Film aufwirft: Würden wir auch so handeln wie er?