Mit ‘Mathieu Carriére’ getaggte Beiträge

Episode 158: Mordfall Goos (Franz Peter Wirth, 1987)

Ingrid Goos (Irene Clarin) entgeht nur knapp einem Mordanschlag. Ihr Ehemann Thomas (Martin Benrath) hat seinen Bruder Gregor (Robert Atzorn) und seinen Vater (Martin Held) im Verdacht. Die beiden haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass Ingrid, Tochter einer Schaustellerfamilie, nicht in ihre wohlhabende Familie passt und zeigen sich auch jetzt vor allem um die Familienehre besorgt statt um die Gesundheit ihrer Schwägerin bzw. Schwiegertochter. Dann erfolgt ein zweiter Anschlag und Ingrid ist tot …

Basic stuff, eine weitere Geschichte um eine weitere dieser großbürgerlichen Familien, die sich zur Wahrung ihrer eigenen, meist materiellen Interessen auch über Gesetze hinwegsetzen. Das hat es zu diesem Zeitpunkt schon etliche Male gegeben: Die große Begeisterung verursacht „Mordfall Goos“ nicht, aber die Umsetzung ist dann doch zu gut, um die Episode ganz abzuschreiben. Martin Benrath ist sehr gut als an der Unmenschlichkeit seiner Familie verzweifelnder Haderer, ebenso Martin Held als Patriarch im Hausmantel. Und dass Atzorn nach einer veritablen Karriere als DERRICK-Schurke mit dem Dr. Specht den Imagewandel schaffte, darf als das unerzählte Heldenepos der deutschen Fernsehgeschichte durchgehen. Ebenfalls mit dabei: Liane Hielscher und Beatrice Richter.

***/*****

 

Episode 159: Fliegender Vogel (Wolfgang Becker, 1987)

Die junge Bettina Rudolf (Dana Vavrova) wird aus der Haft entlassen, die sie für ihren Zuhälter und Liebhaber Horst Wilke (Claude-Oliver Rudolph) abgesessen hat. Derrick, der den für ihn noch ungeklärten Mordfall auflösen will, bringt die Frau bei der Bewährungshelferin Dr. Kordes (Christiane Hörbiger) und ihrer Familie unter. Doch auch Wilke hat von der Entlassung seiner Freundin Wind bekommen; und er hat gar nicht vor, sie loszulassen …

Die ganze Wir-nehmen-eine-Bedürftige-bei-uns-auf-Geschichte um die Familie Kordes, deren männlicher Spross Walter (Stefan Reck) sich dann auch noch in die junge Frau mit den Pferde- und Möwen-Postern über dem Bett verliebt, ist ziemlich cheesy. Das dachte wohl auch Claude-Oliver Rudolph, der seinen Wilke als Hommage an seinen Charakter aus Eckhard Schmidts ALPHA CITY anlegt und sich hier ähnlich ins Zeug legt. Es ist eine einzige Wonne, ihm beim Gepose zuzuschauen. Dass ausgerechnet Brillenschlange Gert Burkard seinen Bruder gibt, der ihm mit dem Chor der Heilsarmee nachstellt, um ihn mit frommen Lieder auf de Pfad der Tugend zurückzuführen, ist eine Idee, die auch nur Reinecker (oder war es Becker?) haben kann.

****/*****

 

Episode 160: Mordträume (Gero Erhard, 1988)

Max Binder (Mathieu Carrière) hat seine Ehefrau bei einem Unfall verloren, die Schuldige beging Fahrerflucht, wurde jedoch von dem Passanten Stockey (Karl Renar) gesehen. Der Ehemann trägt sich mit Rachegedanken, träumt Nacht für Nacht vom Morden und durchstreift schließlich mit dem Augenzeugen die einschlägigen Lokale auf der Suche nach der Täterin. Derrick versucht vergeblich, dem Mann seine Rachefantasien auszureden. Dann wird Stockey fündig: Er erkennt die Prostituierte Annette Schilling (Constan Engelbrecht) wieder …

Schöne, intensive Selbstjustiz-Geschichte, der der gewohnt manische Carrière immense Glaubwürdigkeit verleiht. Seine Staredowns und philosophischen Debatten mit Derrick geben den Extrakick, die schöne, viel zu früh verstorbene Constanze Engelbrecht gibt es als Bonus. Und Renar ist einer dieser DERRICK-Regulars, über die man sich immer wieder freut, wenn man einmal sein Herz an die Serie verloren hat.

*****/*****

 

Episode 161: Eine Reihe von schönen Tagen (Wolfgang Becker, 1988)

Die Rentnerin Anna Beermann (Käthe Gold) beobachtet einen Mord in den Büros des Import/Export-Handels im Haus gegenüber. Ihr Schweigen lässt sich der Mörder, der Wind bekommen hat von dem Augenzeugen, etwas kosten: Gemeinsam mit ihrem Gatten (Hans Caninenberg) lässt es sich die alte Dame gut gehen, derweil Derrick den Mörder sucht. Ein mögliches Motiv kennt der Sohn des Toten: Sein Vater hatte von dubiosen Geschäften seines Arbeitgebers gesprochen und davon, dass seine Kollegen über Leichen gingen …

Typische Becker-Folge, die die Krimihandlung mit einem herzlichen Subplot um die beiden alten Leute auflockert und darüber hinaus schön fotografiert ist. Eine gewisse moralische Scheinheiligkeit ist unübersehbar: Man muss gewiss nicht lange suchen, um eine Episode zu finden, bei der das eigennützige Schweigen über ein Verbrechen auf weniger Verständnis vonseiten des Kriminaloberinspektors stößt als hier, wo die beiden Rentner mit größter Warmherzigkeit gezeichnet werden. Ändert aber nichts daran, dass die Folge sehr gut reinläuft und neben den Sympathieträgern Gold und Caninenberg auch auf Schurkenseite mit Jürgen Schmidt, Dieter Eppler, Uli Krohm und Stefan Behrens exzellent besetzt ist.

****/*****


Episode 162: Kein Risiko (Alfred Weidenmann, 1988)

Der ausgebrannte Roland Weimann (Hannes Jaenicke) ist von dem Psychologen Ingo Wecker (Klaus Schwarzkopf) gefragt worden, ob er einen Mord gegen Bezahlung durchführen würde: Da er das Opfer nicht kenne, bestünde keine Gefahr, gefasst zu werden. Weimann sucht Derrick auf, doch wenig später gibt es dennoch ein Mordopfer zu beklagen: Der Gatte von Ariane Budde (Eleonore Weissgerber) wird erschossen aufgefunden. Derrick verdächtigt sofort den „Freund des Hauses“ Harald Körner (Volkert Kraeft), der sich sogleich an die Witwe ranwanzt …

Reineckers Script, eine Mischung aus STRANGERS ON A TRAIN und „Schuld und Sühne“, hätte locker Stoff für drei Folgen gegeben. Doch Hannes Jaenicke, der am Anfang noch wie die Hauptfigur eingeführt wird, taucht nach der Halbzeitmarke überhaupt nicht mehr auf und macht Platz für die etwas austauschbare Geschichte um den Witwentröster Kraeft, der deutlich weniger interessant ist. Auf der Habenseite steht aber ein Auftakt in wunderbaren Grau- und Brauntönen, eine Herbstsonate, die an die DERRICK-Episoden der Siebzigerjahre erinnert, unterlegt von einem schwermütig-kitschigen Score. Die guten Ansätze heben die Folge leicht über den Durchschnitt.

****/*****


Episode 163: Auf Motivsuche (Zbynek Brynych, 1988)

Erich Karo (Will Danin) begibt sich für eine Filmproduktion auf Motivsuche. In der Nähe eines Bahnhofs wird er fündig, doch nach einem entsprechenden Rückruf ist er für mehrere Stunden nicht auffindbar. Als er dann wieder auftaucht, wirkt er tief erschüttert und gedankenverloren, was er auf einen Kreislaufzusammenbruch schiebt. Sein Freund und Kollege Willy Laufen (Pierre Franck) will rekonstruieren, was Erich widerfahren ist und sucht das Gelände auf, das dieser gesichtet hatte. Am nächsten Tag findet man seine Leiche …

Brynych bedient sich für seine erste DERRICK-Folge nach drei Jahren („Familie im Feuer“) ausgiebig beim Mystery- und Horrorfilm. Da ist zuerst das trist-marode Setting verlassener Hinterhöfe, dann natürlich Karos Gesichtsausdruck und Verhalten, als er wieder auftaucht. Eine Weile scheint es tatsächlich möglich, er könne von Außerirdischen gekidnappt worden sein oder er habe ein schleimiges, leichenfressendes Monstrum in einem Keller entdeckt: Brynych genießt es offenkundig, seine Zuschauer im Dunkeln tappen und allerlei Spekulationen anstellen zu lassen. Die Auflösung ist dann natürlich doch ganz weltlich, aber ihren entrückten Tonfall behält die Episode dennoch bei. Es gibt nach langer Zeit mal wieder eine dieser seltsam lethargischen „Action-Szenen“, eine wilde Schießerei, bei der tatsächlich nicht einer der Beteiligten auch nur verletzt wird (Harry führt allerdings erleichtert ein Loch im Ärmel seines Mantels vor), sowie eine Liebesszene zwischen Karo und der in den Fall verwickelten Karla (Beate Finckh), die den Fokus der Episode deutlich über den Kriminalfall hinaus erweitert. Zu sagen, Derrick und Harry seien nur Nebenfiguren, wäre überzogen, aber man merkt dennoch, dass Brynych die Ermittlungstätigkeit des Oberinspektors nicht für den interessantesten Aspekt der Folge hielt. So fällt „Auf Motivsuche“ angenehm aus dem homogenen Ganzen heraus und verpasst dem geneigten Betrachter mal wieder einen kleinen Stromstoß.

*****/*****

 

Episode 164: Da läuft eine Riesensache (Zbynek Brynych, 1988)

Die Nadelstreifenganoven Mario (Hans Peter Hallwachs) und Kolowski (Gert Burkard) lassen aus Italien einen schönen Schauspieler Gregor (Amadeus August) einfliegen: Er soll das Erbe des despotischen Unternehmers Wegmüller antreten (dem die beiden ohne langes Federlesen die Kerzen auspusten), weil er einem Spross der Familie (der tatsächlich verstorben ist, wovon aber niemand weiß) zum Verwechseln ähnlich sieht. Unter Druck gesetzt, willigt der Mime ein, doch als er sich in seine „Cousine“ Ruth (Sissy Höfferer) verliebt, beißt ihn das Gewissen.

Noch mehr als in Brynychs vorangegangener Episode steht hier die keimende Liebe zwei junger Menschen im Mittelpunkt und verbannt das Gespann Derrick und Harry auf die hinteren Ränge. Die Episode ist nur wenig aufregend, auch weil die „Guten“ nie wirklich in Gefahr geraten, wie man zu Beginn vielleicht noch annimmt. Trotzdem macht „Da läuft eine Riesensache“ Spaß, weil sie sehr rund inszeniert ist und über einen dramatischen Bogen verfügt, den die sehr funktional eingerichteten DERRICK-Folgen in der Regel vermissen lassen. Der einstige Mädchen-Schwarm und BLUTIGER FREITAG– sowie später sogar DALLAS-Akteur Amadeus August war zum Zeitpunkt der Ausstrahlung bereits 46 und alles andere als ein Jüngling, präsentiert sich hier aber braungebrannt und mit beeindruckend gut austrainiertem Brustkasten. Er hatte sein Spielfilmdebüt 18 Jahre zuvor in O HAPPY DAY absolviert, unter keinem Geringeren als … Zbynek Brynych. Nur vier Jahre später, im Alter von 50 Jahren, verstarb August, dessen markanten Gesichtszüge ihn eigentlich zum Westerndarsteller prädestiniert hätten, an den Folgen einer HIV-Infektion.

****/*****

 

Episode 165: Das Piräus-Abenteuer (Zbynek Brynych, 1988)

Hanna (Ute Christensen), eine Stewardess und Bekannte von Harry, kontaktiert diesen in großer Angst: In Piräus sei sie von einem Mann angesprochen und dazu überredet worden, einen Koffer nach Deutschland zu bringen. Im Koffer habe sich Rauschgift befunden, dass sie noch in Griechenland entsorgt habe. Nun fürchtet sie sich vor der bevorstehenden Übergabe. Derrick und Harry sagen ihr ihre Hilfe zu …

Die letzte von drei Brynych-Folgen hintereinander hat – wie schon der direkte Vorgänger – erneut eine recht interessante und für die Serie ungewöhnlich „filmartige“ Geschichte. Und was man zu Beginn für lediglich etwas steif und unbeholfen hält, weitet sich dann doch langsam, aber sicher zur echten Brynych’schen Seltsamkeit aus, wenn diese einen auch nicht sofort anspringen mag: Bei diesem gruseligen Score – eine sparsame, fragile, aber gleichzeitig unheimliche Melodie wird mit unterschwelligen, aber deutlich vernehmbaren Atem- und Keuch-Geräuschen untermalt, wie eine avantgardistische Variation von Manfredinis FRIDAY THE 13TH-Thema – glaubte ich zunächst an einen technischen Defekt meines DVD-Players. Beatrice Richter bekommt eine ganz und gar rätselhafte Rolle, bei der sie u. a. in einem ranzigen Nachtclub zu Billy Idols „Sweet Sixteen“ tanzt und den anwesenden Heroin-Chic-Ladies laszive Küsse auf die Wange haucht (ohne dass sie dabei offen als Homosexuelle identifiziert würde). Der Handlungsverlauf ist kaum vorhersehbar und der spärlich entwickelte, eigentlich nur so als Behauptung mitschwingende Subplot um Harrys romantische Verbindung zu Hanna, wirkt in Brynychs Inszenierung, bei der er ja gern auf Romanzen zurückgreift, wie ein Fragment. Harry kommt auch bei Brynych nicht über den Status des Stichwortgebers hinaus, auch wenn man Ansätze bemerkt, ihn zu etwas Größerem aufzubauen. Sehr schön sind außerdem die Beamten, die sich in Derrick Auftrag an die Fersen der Verdächtigen heften, dafür in die Verkleidung von Pennern schlüpfen und immer wieder am Rande des Geschehens auftauchen. Kein totaler Augenöffner, aber doch sehr interessant.

****/*****

 

Episode 166: Die Stimme (Helmuth Ashley, 1988) 

Der geschiedene, zurückgezogen lebende Unternehmer Lippert (Ernst Jacobi) erhält einen Anruf von einer jungen Frau, die ihn vor einem bevorstehenden Mordanschlag warnt. Lippert ist verwundert, schlägt die Warnung aber in den Wind – nur um dann tatsächlich nur knapp einem Attentat zu entgehen. Nachdem er die Kriminalpolizei hinzugezogen hat, erfolgt ein zweiter Mordversuch, den er erneut knapp überlebt. Derrick und Harry wissen, dass die Anruferin der Schlüssel zur Ergreifung der Täter ist, denn weder ist ein Verdächtiger noch ein Motiv in Sicht …

Ashley setzt die schöne Tradition gelungener und in angenehmem Maße origineller Episoden in den späten Achtzigerjahren fort. Diese hier ist nicht wirklich spektakulär, lebt aber von der Ruhe der Erzählung und ihres wichtigsten Charakters, dem der unterschätzte Jacobi viel Würde und eine unterschwellige Tragik verleiht. Fritz Wepper darf mit der rehäugigen Roswitha Schreiner flirten, Christoph Eichhorn tritt als Lipperts am Rande der Kriminalität wandelnder, intellektueller Neffe in die Fußstapfen von Thomas Schücke. Die Folge endet eher verhalten, dafür aber mit einem die Grenze zum Horror überschreitenden Bild: Hinter der Telefonstimme verbirgt sich niemand geringeres als Irina Wanka, die bei DERRICK immer zur Stelle ist, wenn es ätherisch-feengleiche Frauenfiguren zu besetzen gibt. Ihr entrückter Blick aus schwarzen, weil erblindeten Augen ist ein eindringliches Schlussbild, das mich spontan an Michael Winners THE SENTINEL erinnert hat. TATORT-Kommissar Miroslav Basic ist in einer Nebenrolle zu sehen, ebenso wie Sky DuMont als blasierter Lover und Lambert Hamel als Säufer.

****/*****

 

Episode 167: Das Ende einer Illusion (Günter Gräwert, 1988)

Helga Weigert (Cornelia Froboess) arbeitet als Animierdame im Nachtklub der zwielichtigen Brüder Schwenke (Günther Ungeheuer und Hanno Pöschl) die im Nebenhaus auch ein illegales Spielkasino betreiben. Einer ihrer Kunden ist Erich Rieger (Gerd Anthoff), frisch verwitwet und spielsüchtig. Die Schowenkes setzen ihre Angestellte auf den Mann an: Sie soll herausfinden, was er tut, wie viel Geld er hat. Frau Weigert folgt dem Befehl und freundet sich mit dem depressiven Mann an, der jeden Antrieb völlig verloren hat. Dass er außerdem sowohl einen wohlhabenden Bruder hat als auch eine hohe Lebensversicherungssumme ausgezahlt bekommt, macht ihn für ihre Arbeitgeber interessant. Als Riegers Bruder erschossen wird, warnt sie ihren „Patienten“. Sie vermutet, dass die Schowenkes dahinterstecken …

Die damals 45-jährige Cornelia Froboess als Animierdame zu akzeptieren, ist eine kleine Hürde, aber sie macht ihre Sache eigentlich ganz gut. Ihr etwas spröder „Charme“, der mir bei der Identifikation mit ihren Figuren („Das Ende einer Illusion“ ist bereits ihr vierter DERRICK-Auftritt) immer etwas im Wege steht, ist für ihre Helga Weigert, die sich nach anfänglichem Unwillen voll in ihre Rolle als Haushälterin und Seelsorgerin einfindet, genau richtig. Auch Gerd Anthoff ist gut, weil er exakt die gemischten Gefühle hervorruft, die die Episode benötigt: Auf der einen Seite bemitleidet man ihn wegen seines Schicksals und der Unfähigkeit, seine Trauer zu überwinden, auf der anderen stößt genau diese Unfähigkeit aber auch ab. Die finale Wendung ist nicht die allergrößte Überraschung der Fernsehgeschichte, aber sie geht in ihrer Wirkung über den bloß pfiffig gescripteten Plot-Twist hinaus. Hanno Pöschl ist in seiner gewohnten Paraderolle als Rotlicht-Krimineller natürlich eine Bank: Die mit der Rückhand abgefeuerte Ohrfeige für die Froboess kommt mit beeindruckender Leichtigkeit und Beiläufigkeit, entbirgt den mitleidlosen Gewalttäter hinter der Fassade des Geschäftsmanns. Leider bekommt er sonst nicht so viel zu tun. Günther Ungeheuer hat gar keine Szene, in der er so glänzen könnte, aber er macht das mit seiner natürlichen Präsenz wett, die ihn für Schurkenrollen prädestinierte. Nicht nur zu seiner Freude: 1988 war auch das Jahr, in dem er sich mit Auftritten in den Hallervorden-Komödien DIDI AUF VOLLEN TOUREN und DER EXPERTE von seinem Image als Bösewicht zu lösen versuchte. Vielleicht, weil er in guter Erinnerung bleiben wollte: Ungeheuer starb nur ein Jahr später, im Herbst 1989, an Lymphdrüsenkrebs.

****/*****

 

Episode 168: Mord inklusive (Helmuth Ashley, 1988)

Am Abend bevor die Kripo seinen Wagen mitsamt seiner Leiche aus einem Weiher ziehen, ruft der Werbemann Breuer (Peter von Stromberg) bei Derrick an, um ihm mitzuteilen, dass sein Geschäftspartner Kranz (Philipp Moog) ihn umbringen wolle. Beim Besuch bei Kranz findet Derrick jedoch einen sympathischen jungen Mann vor, dem der Tod des Freundes sehr nachzugehen scheint. Bei weiteren Ermittlungen macht Derrick Bekanntschaft mit Kranz‘ Clique zu der auch die Krankenschwester Via (Beate Finckh) gehört, die die schwerkranke sowie steinreiche Frau von Wedel (Alice Treff) pflegt. Und die hat Kranz und Konsorten ihr gesamtes Vermögen überschrieben …

Nach vielen guten und sehr guten Episoden ist diese hier eher wieder als durchschnittlich zu bezeichnen. Es fehlen echte Überraschungen, sowohl der Kriminalfall – bezeichnend, dass er sich mehr oder weniger von selbst löst – als auch die Charaktere sind ziemlich uninteressant. Komisch, dass Christoph Waltz hier eine total nichtssagenden Rolle abbekommen hat, mit vielleicht einer Dialogzeile, nachdem er zwei Jahre zuvor in (der allerdings ebenfalls nicht so tollen Folge) „Schonzeit für Mörder“ bereits eine Hauptrolle in DERRICK bekleiden durfte. Moog hingegen war in „Mordfall Goos“ (siehe oben) noch Derricks jungblutiger, heißsporniger Untergebener. Er sollte sich in den kommenden Jahren ins Stammrepertoire der Serie spielen, mit immerhin 16 Einsätzen. Die meisten kennen vermutlich seine Stimme, denn neben seinen TV-Einsätzen ist er heute als gut beschäftigter Synchronsprecher von u. a. Guy Pearce, Owen Wilson, Ewan McGregor oder Orlando Bloom unterwegs. Ihr seht schon, wie ich Zeilen schinde. Aus einem nicht ganz unerheblichen Grund ist „Mord inklusive“ dann aber doch wieder sehenswert: Harry hat nämlich eine Liebesszene mit der „zärtlichen Cousine“ Anja Schüte! Er erobert sie natürlich mit Hintergedanken – sie ist Kranz‘ Schwester -, schmeißt sich an sie ran, indem er erst ihr Auto repariert, das er zuvor höchstselbst manipuliert hatte und schenkt ihr dann eine selbst aufgenommene Sade-Kassette, der alte Charmeur. Dass er dann mit einem potthässlichen, in Neonfarben bedruckten Shirt mit der Aufschrift „Cricket“ neben ihr im Bett liegt, während sie ihre einst von Weichzeichner-Veteran David Hamilton in Szene gesetzten Brüste zeigt, habe ich als harten Stilbruch und ästhetisches Verbrechen empfunden. Ach so, die Kamera bediente Franz X. Lederle, der in den Sechziger- und Siebzigerjahren zusammen mit Regisseur Ashley manche Sau durchs Bahnhofskino trieb.

***/*****

 

Episode 169: Die Mordsache Druse (Alfred Weidenmann, 1988)

Der Modefotograf Bernd Druse (Jochen Horst) will seiner Freundin, der Modedesignerin Lore Hauk (Birgit Doll) helfen, vom Heroin wegzukommen. Aus diesem Grund stellt er ihrem Stammdealer Armin Rasche (Edgar Selge) nach und wird wenig später von zwei Männern erstochen: Er verstirbt, als er Lore mit letzter Kraft aus einer Telefonzelle anruft. Lores Vater (Charles Brauer), ein Alkoholiker, rät seiner Tochter, Stillschweigen zu bewahren. Rasche, der ebenfalls von dem Mord erfährt, sieht sich und sein Geschäft in Gefahr und überlässt seiner Kundin gleich einen guten Vorrat der Droge. Derweil nehmen Derrick und Harry Klein die Ermittlungen auf.

Es gibt vier Sorten von guten DERRICK-Folgen: Die einen verfügen über ein geschliffenes, wendungsreiches Script von Reinecker. Andere begeistern mit interessanten, ungewöhnlichen Figuren und den Darstellern, die sie zum Leben erwecken. Wieder andere bauen auf Atmosphäre oder verwirren mit rätselhaften Einfällen. Und im Idealfall verbinden sich all diese Faktoren. „Die Mordsache Druse“ hat leider nahezu gar nichts. Es gibt mehrere Ideen und Ansätze, aber keiner wird halbwegs befriedigend entwickelt. Spannung kommt nicht auf, weil es keine Fallhöhe gibt. Die Auflösung fällt den Ermittlern so in den Schoß, ohne dass sie sich besonders anstrengen müssten. Positiv hervorzuheben ist am ehesten noch Edgar Selge, heute ja selbst Fernsehkommissar, aber seine Figur bleibt unterentwickelt. Birgit Doll gibt als Lore Hauk die wohl gesündeste Heroinsüchtige der TV-Geschichte und die Beziehung zu ihrer Mutter (Karin Anselm) erinnert etwas an das KOMMISSAR-Meisterwerk „Grau-roter Morgen“. Die inhaltlichen Gemeinsamkeiten verdeutlichen aber nur, wie unbefriedigend das hier alles ist. Sky DuMont ist der Oberschurke, hat aber nur zwei kurze Szenen, in denen er sich darauf beschränkt, dieses selbstverliebt-blasierte Lächeln aufzusetzen, mit dem er durch das Gros seiner DERRICK-Folgen auf Autopilot manövriert. Die mit einigem Abstand schwächste Folge seit geraumer Zeit.

**/*****

 

Episode 170: Eine Art Mord (Günter Gräwert, 1988)

Nach 18-jähriger Haftstrafe nimmt der Raubmörder Werner Rutger (Siegfried Lowitz) als erstes Kontakt zu seinem Sohn Karl (Manfred Zapatka) auf. Der ist mittlerweile Oberstudienrat und legt großen Wert darauf, nichts mehr mit dem Vater zu tun haben zu wollen. Rutger akzeptiert, lässt aber dennoch nicht locker. Der Grund: Er vermutet, dass der Sohn sich die eine Million D-Mark, die er nach seinem Bruch in einem Wald vergraben hatte, unter den Nagel gerissen hat. Und er hat große Lust darauf, den „feinen Herrn“ für seine Scheinheiligkeit bloßzustellen …

Das Ende kommt wie so oft etwas überstürzt: Manchmal wirkt es so, als habe Reinecker eigentlich für vollwertige Spielfilme geschrieben und wenn ihm dann einfiel, dass ihm ja nur knapp 60 Minuten zur Verfügung stehen, einfach aufgehört. Der Freude tut das in diesem Fall keinen echten Abbruch. „Eine Art Mord“ lebt ganz von der Darbietung Lowitz‘, der als Rutger seine besten Jahre im Bau verbringen musste und nun müde und alt ins Leben zurückschlurft. Jede Szene mit ihm ist ein Highlight, aber besonders schön, ist sein ernüchterter Kommentar, als er eine junge Prostituierte (Ute Willing hat nach längerer DERRICK-Abstinenz mal wieder eine kleine Rolle) nach dem gemeinsamen Schäferstündchen an der Rezeption seiner Pension verabschiedet: „Das ist auch nicht mehr so wie früher“, sagt er nur und erntet dafür ein verständnisvolles Lachen seiner Gastwirtin. Manfred Zapatka läuft ebenfalls zu großer Form auf: Er ist ganz aufbrausende, schwitzige Nervosität und fühlt sich sichtlich unwohl, als er dem ihm aus mehreren Gründen unangenehmen Vater gegenübertreten muss. Man leidet als Zuschauer einerseits mit ihm, andererseits möchte man ihm eine kräftige Backpfeife verpassen, damit er sich mal entspannt. Zapatka ist mit seinem kantigen Gesicht, der zum Zerreißen gespannt wirkenden Haut und den dünnen Lippen perfekt für dieses vibrierende, unter enormem Druck stehende Etwas. Der Kontrast zwischen den beiden, da der alte, gebeugte Mann, den nichts mehr aus der Ruhe bringen kann, hier der schwitzende Zappelphilipp, der alles zu verlieren hat, ist der Motor von Reineckers Episode. Und wie er es dreht, dass der alte Rutger am Ende noch trauriger in den Lebensabend schreitet, ist schon toll. Gern hätte man noch mehr von Lowitz gesehen, wie er versucht, sich nach 18 Jahren im Leben zurechtzufinden, aber nach einer Stunde ist es eben vorbei.

****/*****

 

 

ent26Episode 071: Die Entscheidung (Theodor Grädler, 1980)

Im Schlafwagen eines Zuges wird ein Mann umgebracht. Es stellt sich heraus, dass er seinen Platz erst kurz zuvor mit einem anderen getauscht hatte, der Mordanschlag also vermutlich jenem galt. Bei diesem anderen Mann handelt es sich um Alf Hauff (Karl Heinz Vosgerau), der auf dem Weg nach München ist, um die Erbschaft seines verstorbenen Vaters anzutreten. Seine ganze Familie – Bruder Ulrich (Hannes Messemer), Schwägerin Henriette (Gisela Uhlen), Neffe Peter (Sky Dumont), Nichte Margot (Christiane Krüger) und Tante Ina (Brigitte Horney) – könnte hinter dem Mord stehen. Doch besonders Ulrich tut sich mit seinem höchst rätselhaften Verhalten als Verdächtiger hervor …

Eine der verstrahltesten DERRICK-Episoden überhaupt. Dabei fängt alles ganz harmlos und normal an. Wenn sich die Handlung dann aber der Familie Hauff und vor allem dem Bruder Ulrich zuwendet, wird alles sehr, sehr seltsam. Hannes Messemer interpretiert seine Figur als verzärtelten, realitätsfernen Träumer, der die Schwelle zum Wahnsinn schon mit einem Fuß überschritten hat. Er verliert sich in offenherzigen Monologen, mit denen er sich mehr als einmal selbst zu inkrimieren scheint, blickt mit tränennassen Augen ins Nichts oder lächelt beseelt, als habe er einen Engel gesehen. Messemers Spiel ist grandios: Er kultiviert hier eine Form des Overactings, die diesen rätselhaften Charakter nicht dem Zugriff entzieht, sondern ihn erst begreiflich macht. Wie er seine wahnsinnigen Monologe intoniert, seine Gesichtszüge binnen Sekunden von einem Extrem ins andere gleiten lässt, ist beeindruckend – und tatsächlich bewegend. Einmal ergeht sich Ulrich in einer genauen Rekapitulation des Tathergangs, die mit der fast konkret-poetischen Zeile „tatamm – Mord – tatamm – Mord …“ schließt, die Geräusche des Zugs imitierend (Derricks Blick angesichts dieses Wahnsinns ist alles). Dann wieder erklärt er feierlich, er wünschte sich, auch ermordet worden zu sein, weil das ein „besonderes Schicksal“ sei. Wieder ein anderes Mal fragt er Derrick, ob er etwas „spüre“, wenn er sein Haus betrete, und gesteht dann unter Tränen, dass er nie etwas gekonnt habe, während ihn seine Tante (Brigitte Horney), eine ehemalige Balltettänzerin, gekleidet in ein altes Kostüm, tröstet wie ein kleines Kind. Sky DuMont spielt Ulrichs Sohn als ständig blasiert dreinguckenden Schnösel und der Mörder stürzt am Schluss in die Nacht hinaus, die plötzlich von Suchscheinwerfern erleuchtet wird.

Der Horror der deutschen Familie und des Wohlstandsbürgertums wird hier mit einem Thema verquickt, das die Serie von nun an einige Zeit begleiten wird: Es geht in „Die Entscheidung“ um den Gegensatz von kaltem, rationalem Kalkül und einem schwelgerischen Gefühlsüberschwang, der von der Gesellschaft oft als „Wahnsinn“ diffamiert wird. Die Hauffs sehen im hilflosen Ulrich einen willkommenen Sündenbock, dem sie den Mordversuch in die Schuhe schieben können, übersehen dabei aber, dass dieser Mann einer solchen Tat völlig unfähig ist. Ihre Abgebrühtheit ist umso abstoßender, als sie den schwächsten in ihrer Mitte dazu auserkoren haben, für ihre Schweinereien geradezustehen.

Grädler, sicherlich nicht der inspirierteste DERRICK-Regisseur, sondern immer sehr abhängig von seinen Drehbüchern, macht hier alles richtig, konzentriert sich ganz auf die Charaktere und das Spannungsverhältnis zwischen ihnen. Er gibt Messemer viel Raum, geht dicht an ihn ran, und lässt sich die Figuren immer wieder zu schönen Gruppenbildnissen positionieren, aus denen hervorgeht, wer hier das Sagen hat. Und Tappert? Der blüht in den Szenen mit Messemer geradezu auf, auch wenn das angesichts seiner wie gemeißelten Gesichtszüge nicht der passende Ausdruck ist. Derrick ist nicht der Typ, dem Emotionen entgleisen, aber er muss sich angesichts des Irrsinns, den Ulrich von sich gibt, schwerstens anstrengen. Ganz großes Fernsehen!

*****/*****


aboEpisode 072: Der Tod sucht Abonnenten (Zbynek Brynych, 1980)

Eine Drogentote führt Derrick und Klein auf die Spur eines rücksichtslosen Dealers (Jacques Breuer). Zur gleichen Zeit versucht der Bruder der Toten (Manfred Zapatka), deren ebenfalls abhängige Freundin Marga (Verena Peter) durch kalten Entzug von den Drogen wegzubekommen …

Die Krimihandlung ist nichts so besonders aufregend oder gar einfallsreich. Derrick und Klein fragen sich durch und kommen relativ schnell zum schmierig-arroganten Schüler Kurt Weber (Jacques Breuer), der ein bisschen aussieht wie ein schlanker Glenn Danzig. Es gibt keinerlei Zweifel an seiner Täterschaft und auch Brynych interessiert sich nicht wirklich für die Ermittlungen. Aber die Szenen zwischen dem Bruder der Toten und der drogenabhängigen Marga sind megaintensiv – und irgendwie auch ziemlich drüber. Man weiß nicht genau, was man von den zärtlichen Gefühlen, die er für sie entwickelt, halten soll: Es wirkt ein bisschen wie eine Ersatzreaktion, als projiziere er seine Liebe für die tote Schwester auf diese junge Frau, als wolle er seine Schuldgefühle an ihr beruhigen. Aber Reinecker meint das wohl alles ganz ernst, jedenfalls deutet das Ende darauf hin. Wenn sie sich unter Entzugsschmerzen auf einer siffigen Matratze windet und er ihr einen leidenschaftlichen Kuss aufdrückt, ist das trotzdem nicht gerade das Bild einer gleichberechtigten Beziehung. Dazu spielt Frank Duvals hyperkitschige Musik, die in ihrem ungehemmten Sentimentalismus so gar nicht zu den unangenehmen Bildern passen mag.

Und Derrick selbst hat wieder einen ganz großen Moment, als er einen Klassenlehrer über Kurt befragt. Dessen Aussage, bei Kurt handele es sich um „eine starke Persönlichkeit“ schmettert der Beamte auf jene gelassen-bestimmte Art ab, die keiner so gut drauf hatte wie Tappert: „Nö, das ist er nicht.“

*****/*****


Episode 073: Auf einem Gutshof (Theodor Grädler, 1980)

In einer stürmischen Nacht wird auf die Gutsbewohnerin Marlene Schulte (Ellen Schwiers) geschossen. Den Schützen hat sie genau erkannt: Es war ihr Ehemann, der vorbestrafte Richard (Horst Buchholz). Doch der schwört, es nicht gewesen zu sein …

Grädler etabliert für diese Folge eine Gothic-Horror-Atmosphäre, die mal wieder eine schöne Abwechslung darstellt. Wenn die stürmische Nacht mit ihren Verwerfungen vorbei ist, widmet er sich mit dem Verdächtigen Richard einem weiteren jener tragischen Verlierertypen in der langen DERRICK-Ahnengalerie. Dessen Verzweiflung angesichts der harten Anschuldigungen, gegen die es nun einmal einfach kein Argument gibt, wird umso greifbarer, als ihm mit Marlenes Bruder Eberhard (Rolf Becker) jemand gegenübergestellt wird, der ihn mit harscher, unnachgiebiger Verachtung straft. Es gibt ein paar schöne Szenen, die Derrick im Gespräch mit dem vermeintlichen Mörder zeigen, wie sie gemeinsam über den Gutshof schlendern. Die ganze Folge ist sehr erdig und feucht, man meint tatsächlich, den Duft von Land und Wald riechen zu können, von dem auch Richard spricht. Die Auflösung ist ein bisschen blödsinnig, passt aber wieder ganz gut zum altmodischen Ambiente und bietet darüber hinaus Gelegenheit für einen putzigen Make-up-Effekt, mit dem DERRICK auf den Spuren von MISSION: IMPOSSIBLE wandelt.

***/*****


Episode 074: Zeuge Yurowski (Alfred Vohrer, 1980)

In einer Firma wird eingebrochen, ein Wachmann erschossen. Der Angestellte Yurowski (Bernhard Wicki) ist zufällig anwesend und erkennt seine Sekretärin (Christiane Krüger) als einen der Täter. Sie beschwört ihn zu schweigen, da er sonst mit seinem Leben bezahlen werde. Der Mann ist total verängstigt und hält dicht – gegen den anwachsenden Druck, den sowohl Derrick als auch seine eigene Familie auf ihn ausüben, als klar wird, dass etwas an Yurowskis Geschichte nicht stimmen kann.

Eine der moralphilosophischen Folgen, die sich in dieser Phase häufen. Auch das Thema des eingeschüchterten Zeugen eines Gewaltverbrechens, der sich nicht traut, auszusagen, beschäftigt Reinecker zu Beginn der Achtzigerjahre öfter. „Zeuge Yurowski“ dreht sich dann auch, wie der Titel nahelegt, um den Familienvater, der abwägen muss zwischen dem Risiko, dem er seine Familie aussetzt, und dem eigenen Gerechtigkeitsempfinden. Letzteres hat erwartungsgemäß keine Chance gegen die ganz existenziellen Ängste. Vohrer hat eine klassische „Schauspielerfolge“ inszeniert: Sie gehört Bernhard Wicki, der jetzt nicht gerade der erste ist, der mir eingefallen wäre, wenn es um eine ängstliche Vaterfigur geht. Vielleicht überzeugt er auch deshalb so.

***/*****


Episode 075: Eine unheimlich starke Persönlichkeit (Erik Ode, 1980)

Robert Renz (Siegfried Wischnewski) ist ein Schwein. Ein rücksichtsloser Erfolgsmensch, dem jedes Mittel recht ist. Kurz nach einer Galaveranstaltung, zu der er seine Geliebte (Franziska Bronnen) statt seiner Ehefrau (Anaid Iplicjian) mitgenommen hat, wird er erschossen. Der Verdacht fällt auf Renz‘ Sohn Erich (Nikolaus Büchel), der schwer unter der Knute seines Vaters zu leiden hatte …

Hier widmet sich Reinecker mal wieder der Auseinandersetzung von „verweichlichten“ Söhnen und ihren Vätern, echten Machertypen, die wissen, dass Empathie, Mitgefühl und Anstand Eigenschaften von Waschlappen sind. Siegfried Wischnewski ist natürlich idealbesetzt als egozentrischer Patriarch, der seiner Frau mit höchster Sachlichkeit mitteilt, dass er sie zum Galaempfang nicht „brauche“, weil er stattdessen seine Geliebte mitzunehmen gedenke. Die Episode krankt insgesamt etwas daran, dass der vom Vater gequälte Sohn, auf den danach der Verdacht fällt, tatsächlich eher unangenehm anmutet. Den Aussagen aller zufolge eben jener „Weichling“, den der Vater verachtete, markiert der just in dem Moment, in dem der Vater, gegen den er sich nie aufzulehnen traute, tot ist, den großen Macker. Man weiß trotzdem, dass er der Mörder nicht sein kann, allein schon, weil die Episode eben noch eine Überraschung braucht, aber das Geständnis des wahren Täters am Ende hinterlässt dann doch seine Spuren. Kein Klassiker, aber ein schöner Lückenfüller.

***/*****


prickerEpisode 076: Pricker (Alfred Vohrer, 1980)

Der Schwerverbrecher Hamann (Dirk Galuba) soll bei einem Gefangenentransport befreit werden. Doch dann ist er durch einen dummen Zufall gar nicht an Bord des Transporters. Seine Komplizen, die die beiden Wachmänner umbringen, finden in dem Wagen nur den kleinen Ganoven Pricker (Klaus Schwarzkopf) vor, dem aber die Flucht gelingt, bevor sie ihn ausschalten können. In einem kleinen Dorf findet er Unterschlupf bei der alleinstehenden Franziska Sailer (Ruth Drexel) und ihrer Tochter Hanni (Ute Willing). Er ahnt nicht, dass Hamanns Komplizen ein Interesse daran haben, ihn umzubringen …

Das ist mal was anderes, weil Derrick und Klein eher Nebenfiguren sind und die ganze Episode auch gut und gern ohne den Kriminalfall auskäme. Klaus Schwarzkopf ist wunderbar als geläuterter, kleiner Gauner, der in einem bayrischen Dorf die Zuwendung und Wärme findet, die ihm in seinem Leben versagt geblieben ist. Er akzeptiert es sogar, in seiner Kammer eingeschlossen zu werden, solange er weiß, dass seine „Wärter“ nett zu ihm sind. Eine Szene, bei der die drei einen Ausflug an einen kleinen See machen, ist wunderschön und von einer sonnigen Unbeschwertheit, die sonst nicht gerade die Kernkompetenenz von DERRICK ist. Ohne Bayern-Fachmann zu sein: Das ruppige, aber herzliche Miteinander von Mutter und Tochter machte auf mich einen sehr authentischen Eindruck: Hier wird nicht viel über Gefühle schwadroniert, sie sind da und man muss sich ihrer nicht mehr vergewissern.

****/*****

 


kerzeEpisode 077: Dem Mörder eine Kerze (Dietrich Haugk, 1980)

Der Besitzer eines Fotostudios wird erschossen. Eine vor dem Tod von ihm hingekritzelte Botschaft führt Derrick und Klein zu dem Schüler Albert Hess (Sven-Eric Bechtolf), der mit anderen häufiger für Werbeaufnahmen posierte. Auch seine Freundin Vera (Katja Bienert) gehörte zum Kreis der Fotomodelle. Als Derrick sie auf den Fotografen anspricht, erliegt die junge Frau einem Schreianfall …

Diese Episode dürfte in mehrerer Hinsicht „bedeutsam“ sein: Zum einen landete Frank Duval mit dem Titelsong, dem geradezu grotesk kitschigen „Angel of Mine“, einen Nummer-eins-Hit, zum anderen ist das natürlich auch die Folge, in der Stephan Derrick sich einen Porno mit Katja Bienert anschaut und dabei guckt, als habe er zum ersten Mal eine Erektion. Den Auftakt mit dem Priester, der mitten in der Nacht einem Mörder die Beichte abnehmen muss, hat sich Reinecker bei sich selbst geborgt, nämlich bei der KOMMISSAR-Episode „Tödlicher Irrtum“. Den Pfarrer spielt hier Horst Frank und natürlich erschwert das Beichtgeheimnis Derrick und Klein die Arbeit. Bis Reinecker zum Kasus Knaxus vordringt – der Tatsache, dass da eine Schülerin mit Drogen zur Mitwirkung in einem Porno gezwungen wurde – vergeht leider zu viel Zeit, um sich wirlich mit den ganz großen Schmierigkeiten auseinandersetzen zu können, aber ein paar unvergessliche Momente bleiben dann doch: Der Zusammenbruch des Porno-Opfers ist so einer (Katja Bienert spricht in der ganzen Folge kein Wort), Sascha Hehn als Schmierlappen in einer mit großformatigen Fotos von ihm selbst gepflasterten Wohnung ein weiterer, tja und dann eben Derrick im Pornokino. Wie dieses „Etablissement“ eingeführt wird, ist schon rührend: Veras Freund bringt die Kriminalbeamten dorthin, so als sei ein solches Kino etwas ganz Neues. (Die Poster im Foyer sind keine Hardcore-Plakate, sondern allesamt von Softsexfilmchen.) Und so guckt Derrick dann auch, als er die eigentlich sehr geschmackvollen Szenen auf der Leinwand betrachtet.

Der moralinsaure, mit Phrasen aus dem Bestseller „Kapitalismuskritik für Anfänger“ durchsetzte Vortrag, den der selbstgerechte Albert hält, ist ganz hartes Brot, voller einst schützender Zäune, die mittlerweile niedergerissen sind, und Bedürfnissen, die der grausame Markt eben deckt. Aber gut, wenn mir ein Pornoproduzent Katja Bienert weggenommen hätte, wäre ich wahrscheinlich auch so drauf. Und eine Folge, die damit endet, dass Sascha Hehn abgeknallt wird, hat sowieso fast alles richtig gemacht.

****/*****


Episode 078: Eine Rechnung geht nicht auf (Helmuth Ashley, 1980)

Achim Moldau (Wolfgang Müller), ein arbeitsloser Schweißer, wird von seinem Freund Schenk (Tommy Piper) in die Bande von Recke (Arthur Brauss) eingeführt, der einen Bruch plant. Recke hat Bedenken gegenüber Moldau, hält ihn für „zu weich“, was sich bald bestätigen soll: Nach einem Saufgelage werden Moldau und Schenk in einen Autounfall verwickelt. Die Beifahrerin ist sofort tot, der Ehemann wird als unliebsamer Zeuge von Recke umgebracht, bevor Moldau ihn ins Krankenhaus bringen kann. Von Gewissensbissen gequält nimmt Moldau danach Kontakt zu den Hinterbliebenden der Toten auf, was den Verdacht Derricks sowie den Zorn Reckes weckt …

Lustig, in der Episode „Der L-Faktor“ war es Wolfgang Müllers armer Tropf, der von einer hilfsbereiten Person aufgesucht, mit Geldzuwendungen und Naturalien beschenkt wurde, hier revanchiert er sich für diesen Dienst, mit dem Unterschied, dass er einen Grund außerhalb purer Nächstenliebe dafür hat. „Eine Rechnung geht nicht auf“ ist eine sehr geschäftige Episode und einfach sehr unterhaltsam. Arthur Brauss ist immer gut, neben ihm überzeugt Tommy Piper mit weißer Lederjacke und debütieren Thomas Schücke und Michael Böttge in weiteren Ganovenrollen. Das Schicksal der Kinder der Opfer kann niemanden kaltlassen, zumal die Tatsache, dass die einzige Verwandte eine 70-jährige Oma (Alice Treff) ist, auch für die Zukunft keine allzu große Hoffnung macht. Vielleicht mit vier Sternen einen Hauch überbewertet, aber mir hat’s gefallen.

****/*****


Episode 079: Der Kanal (Helmuth Ashley, 1981)

Herbert Junker (Bernd Herzsprung) trifft sich mit seiner Geliebten Elisabeth Röder (Claudia Rieschel) regelmäßig in einem Gutshof vor München. Beide sind verheiratet, er mit Hannelore (Helga Anders), sie mit dem Krankenpfleger Jürgen (Volker Eckstein). Ein anonymer Anruf bringt Junker nicht aus der Ruhe, doch nach seinem Schäferstündchen lauert man ihm auf und bringt ihn um …

Wieder einmal eine Folge mit mörderischen Vätern. Hier sind es sogar zwei, die sich zusammentun, um die zerstörte „Familienehre“ zu retten. Volker Eckstein spielt erneut den verweichlichten Loser, der noch nicht einmal die Energie aufbringt, seiner fremdgehenden Ehefrau eine Szene zu machen. Dass sich die beiden Hintergangenen miteinander trösten, ist eigentlich eine schöne Idee, die Ashley aber in einer einzigen Einstellung abhandelt und die dadurch kaum weiter ins Gewicht fällt.

***/*****


abgrundEpisode 080: Am Abgrund (Helmuth Ashley, 1981)

Der Säufer Jakob Hesse (Klaus Behrendt) beobachtet den Mord an einer Prostituierten, wird wenig später bei der Leiche entdeckt und flieht. Derrick kann den Mann ausfindig machen, der jedoch behauptet, sich an nichts mehr erinnern zu können …

Klaus Behrendt gibt als Trinker eine jener Darbietungen ab, die einen fragen lässt, warum es für diese großartigen Charakterdarsteller damals eigentlich keine Spielfilmprojekte gab, in denen sie ihrem Können noch etwas mehr Raum hätten geben dürfen. Stattdessen bereicherten sie eine Fernsehserie wie DERRICK, die ich hier nicht mehr groß zu loben brauche, die aber eben doch nicht für Nachhaltigkeit, sondern eben zum müden Wegkonsumieren gemacht worden war. Perlen vor die Säue gewissermaßen. „Am Abgrund“ ist einer dieser Fälle, wo beim Besetzungspoker ein echtes Traumblatt rauskam: Neben Behrendt agieren Anton Diffring als Zuhälter Bandera, Thomas Schücke als dessen schmieriger Sohn, Lotte Ledl als freundliche Prostituierte, Georg Konrad als ihr Vermieter sowie Rainer Hunold und der unverwüstliche Dirk Dautzenberg als Kneipenwirte. Das reicht.

****/*****

 

 


Episode 081: Kein Garten Eden (Günter Gräwert, 1981)

Der junge Ingo Rolfs (Markus Boysen) sucht Derrick auf, um sich abzusichern, wie er sagt: Sein Stiefvater (Thomas Holtzmann) habe Drohbriefe erhalten, und er befürchte, dass der Verdacht auf ihn falle, sollten die Drohungen in die Tat umgesetzt werden. Als Klein mit dem jungen Mann nach Hause fährt, ist der Stiefvater tatsächlich tot …

Eine philosophische Episode, bei der es aber nicht so sehr um Fragen des Rechts und der Moral geht, sondern eher allgemeine Betrachtungen zur Conditio Humana im Mittelpunkt stehen. Es ist eine jener Geschichten, bei denen es allen Beteiligten gelingt, das Leben ihrer Mitmenschen im Streben nach dem eigenen Glück zur Hölle zu machen. Da sind der egoistische Sohn, der den Stiefvater nicht akzeptieren, die Mutter (Ellen Schwiers) aber auch nicht allein lassen will; eben jene Mutter, die dem Treiben des Sohnes keinen Riegel vorschieben kann; besagter Stiefvater, der sich nun bei der Nachbarin (Rita Russek) holt, was er braucht, während deren Ehemann (Michael Degen) den Verständnisvollen, Toleranten mimt, insgeheim aber Rachegelüste züchtet. Zum Schluss darf Derrick gegenüber dem schülerhaften Harry kurz resümieren, was der Zuschauer eben gelernt hat. Dieser pädagogische Zug dringt in dieser Phase immer mehr nach vorn und äußert sich in wortreichen Vorträgen über den Zustand der Welt, etwas was sich Reinecker bis dahin eigentlich immer halbwegs verkniffen hatte. Streng genommen natürlich etwas nervig und immer sehr on the nose, gleichzeitig wird dieser moritatenhafte Charakter der Serie, in der Deutschland sich gespiegelt sehen darf, noch unterstrichen.

****/*****


alteEpisode 082: Eine ganz alte Geschichte (Zbynek Brynych, 1981)

Arne Reuter (Mathieu Carriére) kommt mit einem ungewöhnlichen Anliegen zu Derrick: Sein Onkel sei 1946 beim illegalen Grenzübertritt nach Westdeutschland von seinem damaligen Begleiter Alfred Answald (Herbert Fleischmann) umgebracht und um die mitgeführten Brillanten erleichtert worden. Mit eiskaltem Kalkül drängt Reuter den Familienvater systematisch in die Enge …

Es philosophiert weiter, diesmal vor dem Hintergrund deutscher Erbschuld. Das zurückliegende Verbrechen, um das es in „Eine ganz alte Geschichte“ geht, hat zwar nicht direkt etwas mit dem dritten Reich zu tun, aber die Assoziation ist trotzdem klar: Zu Zeiten des Krieges hat sich die Vatergeneration die Hände mit Blut befleckt und den Wohlstand mitunter auf dem Unglück anderer aufgebaut. Nun sitzt man da in seinen prachtvollen, geschmackvoll eingerichteten Häusern, vor der Eichenschrankwand mit der in Leder gebundenen Goethe-Gesamtausgabe und der Beethoven-Büste, lässt die Tochter Geige spielen und freut sich darüber, wie unfassbar gut man es doch eigentlich hat. Und dann kommt da so ein selbstgerechter Schnösel wie dieser Arne Reuter daher und rotzt allen kräftig in die Consommé.

Mathieu Carrière, der ja bei den öffentlichen Auftritten, die ich von ihm gesehen habe, den Eindruck erweckte, immer nur sich selbst gespielt zu haben, ist natürlich die Idealbesetzung für dieses berechnende Arschloch, das eine blitzende Schadenfreude dabei entwickelt, einen Mann nur aus Prinzip in die Ecke zu drängen. Er hat gewiss nicht ganz Unrecht und man muss seinem Kontrahenten vorwerfen, es sich damals etwas leicht gemacht zu haben, aber seine Form von Vergangenheitsbewältigung hat dann doch mehr mit blindem Revanchismus als mit Gerechtigkeitssinn zu tun. Reuter ist einer jener Vernunftmenschen, die sich gnadenlos verrannt haben in ihren Überlegungen und jedes Herz vermissen lassen. Da kommt er wieder zum Vorschein, der Diskurs über das Gegensatzpaar Emotion und Ratio. Derrick weiß natürlich, dass die beiden zusammengehören, das eine ohne Moderation durch das andere zur Perversion seiner selbst verkommt, aber er kann Reuter in seinem Tun nicht bremsen, zu perfekt ist der Plan, den der einer Lawine gleich losgetreten hat.

Brynych hat die Zügel dazu fest in der Hand und selbst wenn er sie entgleiten lässt, wie in der Szene, in der die spannungsgeladenen, aber hoffnungslos einseitigen Diskussionen zwischen Reuter und Answald vom nervtötenden Gegeige der grienenden Tochter durchschnitten werden, ist das noch on point.

*****/*****


Episode 083: Die Schwester (Helmuth Ashley, 1981)

Bei der Verfolgungsjagd auf drei Einbrecher erschießt Harry einen der Flüchtigen. Einen zweiten verliert er in einem Wohnhaus, wo er von der Bewohnerin Doris Menke (Jutta Speidel) verarztet wird. Der aufgelöste Harry sucht in den nächsten Tagen weiteren Kontakt zu der Frau. Was er nicht weiß: Sie ist die Schwester des Erschossenen …

Es menschelt mal wieder. Zum allerersten Mal wird mal eine der beiden Hautfiguren von einem Schicksalsschlag getroffen und Harry ist natürlich prädestiniert dazu, seine weiche Seite zu zeigen. Der Versuch, ihm eine Liebschaft anzudichten, den auch die folgende Episode unternimmt, wird aber irgendwie nicht mit voller Überzeugung umgesetzt. Auch die Bedrohung, in die er sich da eigentlich begibt, manifestiert sich nie, weil ihn sein Love Interest dann wohl doch zu nett findet, um ihn an die Mörder zu verraten. Insgesamt also eher mau.

**/*****


Episode 084: Tod eines Italieners (Helmuth Ashley, 1981)

Der Besitzer von Harrys neuem italienischen Restaurant wird von der Schutzgeldmafia totgeschlagen. Seine Gattin, die Deutsche Anna Forlani (Karin Baal) ist verängstigt und weigert sich, eine Aussage zu machen, auch auf Flehen ihrer Schwester Ursula (Gerlinde Döberl) …

Zum Abspann wird zum ersten Mal die Schrifttafel eingeblendet, auf der verlautbart wird, dass jede Ähnlichkeit der Figuren zu realen Personen rein zufällig sei: Wahrscheinlich eher ein Mittel der Authentifizierung des Gezeigten als juristisch notwendige Sicherheitsvorkehrung, denn auch während der Folge wird immer wieder angedeutet, dass dieses italienischen Schutzgelddings ja jetzt seit neuestem auch in Deutschland Fuß fasse. Richtig schockiert zeigt sich Derrick davon aber noch nicht, und so lässt er sich einmal zu der apodiktischen Aussage hinreißen, dass es organisiertes Verbrechen in Deutschland nicht gebe, basta! Losgetreten wird der Fall von Harrys Avancen gegenüber einer schönen Bedienung: Die mehr oder weniger private Verbandelung der Polizeibeamten in ihre Fälle ist ein jetzt immer häufiger vorkommendes erzählerisches Mittel. Guter Durchschnitt, nichts, um übermäßig in Begeisterung zu geraten, aber auch kein Reinfall.

***/*****


dicoEpisode 085: Das sechste Streichholz (Alfred Vohrer, 1981)

Henry Janson (Thomas Piper), der Besitzer einer Diskothek wird von dem jungen Konrad (Pierre Franckh) erschossen. Der Mord ist von mehreren Freunden, darunter Jansons DJ Jo (Thomas Schücke) und dem Taxifahrer Rolf (Jacques Breuer) erdacht worden. Aber warum?

Moralphilosophie und Selbstjustiz again. In der Disco läuft eine furchtbare Selbstkopie von Duvals „Angel of Mine“, über die der DJ nur sagt, das sei eine „Spitzenmelodie“. Geschmacksverirrung regiert, führt aber hier wie schon bei einigen anderen Episoden zum Sieg. Thomas Schücke – hat der mal was anderes gespielt als blasierte Arschgeigen? – reißt die Folge mit seinem selbstverliebten Spiel an sich. Gegen Ende, wenn er die Ereignisse rekapitulieren darf (die Rückblende ist in dieser Phase ein fester Bestandteil der verwendeten Erzähltechniken), klingt sein sonorer Voice-over, in dem er darüber schwadroniert, dass in einer Diskothek „Leben und Musik“ eine Art heiliger Verbindung eingingen, die Jugendlichen („ich liebe Kinder“, sagt er altklug und feierlich) ihre Sorgen durch die Füße in den Boden hinaustanzten, wie der Kommentar eines weltfremden Jugendkulturforschers. Nee, die Jugend und ihre Bedürfnisse hat Reinecker nie so richtig verstanden, aber es ist egal, denn entweder ist dabei so ein bizarrer Kram wie „Yellow He“ herausgekommen oder aber solide Krimis mit geiler Schlagseite wie eben dieser hier.

Dass sich dieser Selbstjustizfall wohltuend von anderen abhebt, liegt auch an Pierre Franckh, der den per Losglück oder eher -pech zum Scharfrichter auserkorenen Schützen spielt und an der auf ihm lastenden Schuld zerbricht. Schon in der ersten Szene, in der er davon erzählt, wie überraschend leicht das doch gewesen sein, merkt man, dass er mit dem Mord nicht klarkommt. Da spielt auch der schon häufiger zur Rede gekommene Verweichlichte-Söhne-Diskurs mit rein: Er ist ein Softie, der beweisen will, dass er auch der harte Macker sein kann, und kläglich daran scheitert. Schücke hingegen spielt das Gegenteil: Den große Reden schwingenden Macher, der sich sicher sein kann, nicht selbst handeln zu müssen, weil er genug willige Vollstrecker um sich hat.

****/*****


Episode 086: Prozente (Theodor Grädler, 1981)

Auf den skrupellosen Kredithai Hollerer (Rolf Boysen) wird ein Attentat verübt, bei dem sein Sekretär erschossen wird. Der Kreditsuchende Schlehdorn (Gerd Baltus), dessen Gattin den Mörder möglicherweise gesehen hat, erhofft sich durch dieses Wissen bessere Konditionen herauszuschlagen. Hollerer ist in äußerste Alarmbereitschaft versetzt, doch auch die kann seinen gewaltsamen Tod nicht verhindern …

Och nee, das war nix. Das Drehbuch ist irgendwie hingeschludert, der Subplot mit den Schlehdorns scheint nur mit verwurstet worden zu sein, weil der Fall um den fiesen Kredithai sonst gar nichts hergibt. Alles wirkt unfertig, wie aus den Elementen nicht fertig gestellter Drehbücher zusammengeschustert. Martin Semmelrogge gefällt mit lustiger Rockermähne, aber dass Michael Degen hier zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit den Mörder gibt, ist einfach nur lazy.

**/*****


kuoperEpisode 087: Der Untermieter (Michael Braun, 1981)

Buschmann (Peter Kuiper), ein kaltblütiger Schwerverbrecher, wird nach zehn Jahren aus der Haft entlassen. Sofort nistet er sich in der Wohnung seiner Ex-Freundin Gudrun (Lisa Kreuzer) ein, die auch die Mutter seines ihm unbekannten Sohnes und außerdem mittlerweile mit Ulrich Kaul (Horst Sachtleben) verheiratet ist. Das Ehepaar ist hilflos gegen den rücksichtslosen Buschmann, der seinen alten „Besitz“ zurückhaben will …

Mal was anderes, Teil 2: In dieser Folge gibt es keinen Mord, vielmehr bezieht die Folge die Spannung aus der Frage, wann und von wem er wohl verübt werden wird. Die Belagerungssituation in der Wohnung der Kauls wird immer unerträglicher – zu den Konfliktparteien gehört auch noch der studentische Untermieter (Hans-Jürgen Schatz) – und es ist klar, dass alles in einer Gewaltexplosion enden muss: Nur wer diese letztlich zu verantworten haben wird, ist nicht klar. Natürlich suggeriert die Inszenierung, dass ein solcher Gewaltakt nur von Buschmann ausgehen kann: Kuiper ist gemacht für diese voller Selbstüberlegenheit grinsenden Proleten, die wissen, dass sie sich ganz auf ihr Einschüchterungspotenzial verlassen können. Wie er sich hier „ins gemachte Nest“ setzt, sich an der Angst seiner Opfer ergötzt und gar nicht daran denkt, irgendetwas zu beschleunigen, treibt einem den blanken Zorn in die Magengrube. Kuipers Buschmann ist einer dieser Filmcharaktere, die einem wirklich die Galle hochtreiben und einem die passive Beobachterposition vor der Glotze zur Qual machen. Selbst Derrick ist machtlos: Zum für die Kauls günstigen Ausgang hat er am Ende nicht wirklich viel beigetragen.

*****/*****

 

 

Episode 088: Tod im See (Alfred Vohrer, 1981)

Rudolf Wiegand (Robert Atzorn) kann gerade noch gerettet werden, als er während eines Sturms mit seinem Segelboot auf dem Starnberger See kentert. Für seine Frau, die nach seinen Angaben bei ihm war, gibt es keine Rettung. Der Vater (Heinz Moog) der Toten indessen glaubt nicht an einen Unfall, sondern an Mord: Niemand habe seine Tochter, die das Segeln gehasst habe, auf dem Boot gesehen. Und sein Schwiegersohn habe außerdem eine Geliebte (Christiane Krüger) …

Eine Standardepisode, aber eine, die beweist, das auch aus gut abgehangenen Krimistoffen durch gute Inszenierung und adäquate Darsteller immer wieder einiges rauszuholen ist. Robert Atzorn, „Unser Lehrer Dr. Specht“, hatte ich immer als ebensolchen, bieder-braven Jugendlichenversteher abgespeichert und wusste gar nicht, wie gut er als vibrierender, schwitzender, angesichts der Derrick’schen Coolness schier aus der Haut fahrender Eherfauenmörder sein könnte. Er ist super, wie er auf Derricks Zermürbungstaktiken zunehmend angepisster reagiert. Die Versuche des Drehbuchs, den Fall verwirrender zu machen, als er eigentlich ist, hätte es eigentlich nicht gebraucht, was mal wieder bestätigt, dass ein hassenswerter Schurke die halbe Miete ist.

****/*****


Episode 089: Die Stunde der Mörder (Theodor Grädler, 1981)

Zwei Mörder werden umgebracht. Beiden gemeinsam: Sie waren kurz zuvor wegen Mangels an Beweisen freigesprochen worden. Bei beiden Verhandlungen im Gerichtssaal anwesend war der Rentner Mahler (Hans Caninenberg), der ein besonderes Interesse an Recht und Gerechtigkeit zu haben scheint …

Schöne Selbstjustiz-Geschichte, die dadurch, dass es sich bei den Tätern um Rentner handelt, hervorsticht und wie eine Verlängerung der KOMMISSAR-Episode „Tod eines Ladenbesitzers“ wirkt. Wer der Täter ist, ist relativ bald klar: Die Episode ist sehr geradlinig erzählt und die Ermittlungsarbeit der Protagonisten hat vergleichweise geringen Anteil an der Gesamtlaufzeit. Hans Caninenberg spielt den eiskalten Racheengel als sympathischen alten Herren, dessen Interesse für Recht und Gesetz Derrick allerdings schon nach der ersten Begegnung auf die Palme bringt. „Der geht mir auf den Geist!“, entrüstet er sich gegenüber Harry, der mal wieder gar nichts versteht. Aber der Oberinspektor hat natürlich Recht: Rechtsprechung ist nichts, in das sich der Laie mit seinen über seine Gefühle formierten Meinungen einmischen sollte, da kann nichts Gutes bei rauskommen. Wie auch hier: Während der selbsternannte Gerechtigkeitsfanatiker mit seiner hübschen Enkeltochter (Irina Wanka) der Hochkultur in ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen frönt, gehen die von ihm gedungenen Mörder ihrem blutigen Handwerk nach – klar, dass er sich die Hände nicht selbst schmutzig macht.

Derrick hat noch weniger Verständnis für die hier zum Ausdruck kommende Selbstermächtigung als für andere Übeltäter. Mit je mehr Morden er konfrontiert werde, umso mehr erschrecke er jedesmal, ganz egal, wer das sein Leben lasse. Das kann Mahler, der die Menschheit bequem in Opfer und Täter einteilt, nicht begreifen.

****/*****


derrickEpisode 090: Eine Rose im Müll (Günther Gräwert, 1982)

Der Lkw-Fahrer Michael Rothaupt (Bernd Herberger) nimmt die Anhalterin Marion Diebach (Beatrice Richter) mit. Die beiden kommen ins Gespräch und verstehen sich auf Anhieb. An einem Rasthof hält er kurz an, um sich mit einer Kollegin zu treffen, die ihn per CB-Funk kontaktiert hat. Er verspricht Marion, sie an der Straße wieder aufzusammeln. Doch wenig später der Lkw fährt an ihr vorbei, ohne zu halten, von Rothaupt fehlt danach jede Spur. Die junge Frau sucht Derrick auf …

Von dieser Folge ist vor allem das deprimierende Mülldeponienszenario hängengeblieben. Der Fall selbst – es geht um illegal entsorgten Giftmüll – ist eine Spur zu abstrakt, um in diesem Format richtig wirken zu können. Da hatte Reinecker bestimmt irgendwo was in der Zeitung gelesen, was er dann flugs in einem Drehbuch verwurstete. Ich hätte gern mehr von den beiden angehenden Turteltauben gesehen, aber das ist wohl auch der Plan: Rothaupt wird aus der Episode gerissen, wie es ihn aus dem Leben reißt, und man hat keine Gelegenheit, von ihm Abschied zu nehmen. Als Trost bleibt nur die Rose im Müll.

***/*****

 

l-faktor4Episode 053: Der L-Faktor (Helmuth Ashley, 1979)

Professor Waldhoff (Herbert Mensching), eine Koryphäe auf seinem Gebiet, dessen neueste Arbeit einen Durchbruch im Bereich der Pharmakologie bedeuten könnte, findet seine Gattin (Gisela Peltzer) tot vor, als er abends mit seiner Kollegin Dr. Minz (Irmgard Rupé) bei sich zu Hause ankommt. Oberinspektor Derrick berichtet er sofort von Michael Bruhn (Wolfgang Müller), einem ehemaligen Häftling, mit dem sich seine Gattin angefreundet hatte und der für ihn der Tatverdächtige Nummer eins ist. Dessen Bruder, der im Rollstuh sitzende Heinz (Matthieu Carriére), verschafft Michael aber ein Alibi – und ist außerdem überzeugt, dass der Wissenschaftler selbst der Täter ist. Das kann aber nicht sein, denn als der seine Gattin kurz vor seinem schrecklichen Fund aus dem Büro anrief, war sie noch am Leben …

DER L-FAKTOR ist ein gutes Beispiel dafür, warum es sich bei DERRICK manchmal lohnt, den Blick von der konkreten Handlung auf weniger greifbare Aspekte schweifen zu lassen. Der Kriminalfall, mit dem Derrick und Klein hier konfrontiert werden, ist nicht besonders aufregend, bestenfalls Standard, die Auflösung aufgrund des schmalen Figureninventars schon lang vor dem Finale erahnbar. Der vermeintliche Täter ist einer dieser armen Tröpfe, die von den intriganten Bastarden um sie herum als ideales Opfer auserkoren werden, Mathieu Carriére spielt einen seiner arroganten, furchtbar von sich selbst eingenommenen Stinkstiefel, dem man die ganze Zeit über einen ordentlichen verbalen Einlauf vom Oberinspektors wünscht, der aber seltsamerweise einfach nicht kommt. Business as usual, aber mit ihrem klinischen Wissenschaftssujet hat „Der L-Faktor“ eine Atmosphäre, die aus der eh schon alles andere als gemütlichen Serie noch einmal als besonders kalt und trostlos heraussticht.

Der eigentlich überflüssige Prolog etabliert das klinisch-sterile Forschungslabor, in dem Waldhoff arbeitet, und damit den bestimmenden Ton. Eine Liebesbekundung des Professors für seine Assistentin hängt durch einen hart gesetzten Schnitt so in der Luft, bleibt letztlich unausgesprochen. Die altruistische Fürsorge, mit der sich seine Gattin um den Haftentlassenen kümmert, wird in eine Rückblende geschweißt und damit noch einmal besonders vom bitteren Rest isoliert. Was bleibt, sind Ohnmacht und Verbitterung. Der Titel bezieht sich auf ein Zitat Derricks: Dem „R-Faktor“, also der Resistenz von Krankheitserregern, mit der sich Waldhoff beruflich beschäftigt, setzt er den „L-Faktor“ entgegen: den Mangel an Liebe, den seine Gattin in ihrer Ehe schließlich vermisste und der sie in die Arme des freundlichen Michael trieb …

****/*****


brunoEpisode 054: Anschlag auf Bruno (Theodor Grädler, 1979)

Die hübsche Gerda (Michaela May) beklagt sich bei ihrem Vater (Herbert Stass) über ihren Jugendfreund, den geistig behinderten Nachbarssohn Bruno (Dieter Schidor), der ihr ständig nachstellt. Letzten Endes ist es aber nicht Bruno, sondern dessen Bruder Helmut (Volker Eckstein), der zudringlich wird. Auf dem Parkplatz vor der Diskothek kommt es zum Übergriff, und Gerda verstirbt, als Helmut versucht, sie zum Schweigen zu bringen. Der Vater (Peter Ehrlich) kommt auf die Idee, den ohnehin verdächtigen und unzurechnungsfähigen Bruno an Helmuts Stelle zu belasten …

Das ist jetzt schon die dritte DERRICK-Folge, in der eine Frau dadurch ums Leben kommt, dass ein Mann ihr den Mund zuhält: Besonders widerstandsfähig ist es in dieser Serie nicht, das schwache Geschlecht. Wie fragile Schmetterlinge verenden sie, sobald sich etwas über ihre Atemwege legt. Die Täter können einem da fast schon leid tun, zumal die Drehbücher niemals zwischen Mord und Totschlag unterscheiden. Helmut ist keineswegs ein Unschuldslamm, zum Zeitpunkt der Tat auf dem besten Weg zum Vergewaltiger, aber der Tod Gerdas ist doch eher ein Unglücksfall, kein kaltblütiger Mord. Das gehört aber zum dramaturgischen Prinzip, weil bei DERRICK weniger kriminelle Energie aufs Korn genommen wird als vielmehr Feigheit und die fehlende Bereitschaft, für eigene Fehler einzustehen. Das sieht man ja auch daran, dass die Tötung immer nur der Anfang einer ganzen Kette von Lügen, Täuschungsversuchen und weiterer Vergehen ist, mit denen der Täter alles nur noch schlimmer macht. Der Titel dieser Folge ist da bezeichnend: Der „Anschlag“ ist schlicht der Versuch von Vater und Sohn, dem behinderten, hilflosen Bruno die Schuld in die Schuhe zu schieben. Der weiß eh nicht, wie und was ihm geschieht und ins Gefängnis kann man ihn auch nicht stecken. Derrick ahnt hingegen schnell, wie der Hase läuft, nur beweisen kann er nichts: Die Episode endet in einer quälenden Sequenz, in der er Bruno zur Untersuchung in eine geschlossene Anstalt mitnehmen will und Druck auf den wahren Täter und die Mutter aufbaut, die es kaum noch ertragen kann, den gutmütigen Bruno an Helmuts Statt bestrafen zu lassen. Das verfehlt seine Wirkung nicht, auch wenn die Darstellung des Behinderten heute ziemlich naiv, das Spiel Schidors eindimensional anmutet. Eckstein spielte hier mit nur zwei Folgen Abstand erneut den Mörder und es ist wie immer toll, ihm beim Schwitzen zuzusehen, wenn Derrick, der ihn sofort durchschaut, ihm auf den Zahn fühlt. In einer Nebenrolle ist Heiner Lauterbach zu sehen, in der Disco am Anfang läuft Supermax, Duvals Score presst noch den letzten Tropfen Melodramatik aus dem Stoff.

****/****


schubach4Episode 055: Schubachs Rückkehr (Theodor Grädler, 1979)

Der Anwalt Homann (Claus Biederstaedt) sucht Derrick auf: Er hat gehört, dass sein ehemaliger Mandant Schubach (Udo Vioff) in Kürze aus der Haft entlassen wird. Homann hatt nicht nur seine Bestrafung nicht verhindern können, er hatte kurz darauf auch Schubachs Gattin Helga (Christine Buchegger) geheiratet. Nun sinnt Schubach auf mörderische Rache: Das hatte Homann ein Zellengenosse Schubachs mitgeteilt. Als Derrick den Entlassenen mit dem Verdacht konfrontiert, ist dieser geradezu entsetzt: Nichts könnte ihm, dem in der Haft Geläuterten, ferner liegen. Sofort kontaktiert er Homann, beruhigt diesen und bietet ihm die Freundschaft an, die der Anwalt nur zu bereitwillig eingeht. Derrick hingegen glaubt nicht an den Frieden …

Oh, was für eine perfide Episode! Udo Vioff ist großartig als Schubach, der sich in acht Jahren Haft einen minutiösen Plan zurechtgelegt hat, wie er Homann fertigmachen will – und sich nun auch durch die Anwesenheit Derricks nicht aus der Ruhe bringen lässt. Die Episode bricht mit dem gängigen Schema der Serie: Derrick „ermittelt“ aus reinem Verdacht heraus, es gibt bis zum bitteren Finale kein Verbrechen, das aufgeklärt werden muss, vielmehr geht es darum eines zu verhindern, bevor es passiert, was aber dadurch erheblich erschwert wird, dass es keinerlei Handhabe für den Oberinspektor gibt, nur einen Verdacht. Schubach ist die Freundlichkeit in Person, was aber nur Teil seines Plans ist, zu dem es gehört, Homann in Sicherheit zu wiegen, sich so an seine Ex-Gattin heranzuschmeißen und sie schließlich zurückzugewinnen – was ihm in einer megaschwofigen Tanzszene auch gelingt. Derrick ist zwar zum Beobachten verdammt, aber dabei ganz in seinem Element: Tappert, das muss man mal feststellen, ist großartig, wie er seinen Derrick da eine ganze Episode lang stoisch auf der Lauer liegen lässt, die Scharade Schubachs zu jeder Zeit durchschauend und Homanns Gutgläubigkeit mitleidig zur Kenntnis nehmend. Die Spannung entspringt zu gleichen Teilen der Frage, was genau Schubach im Schilde führt, wie aus dem Warten auf den Moment, in dem Derrick, die Münchener City-Kobra, zuschlagen wird.

Die Schlusspointe ist selbst für DERRICK-Verhältnisse noch ziemlich niederschmetternd und trostlos, Schubachs finaler Kommentar, ein salopp fallen gelassenes „Schade“, macht endgültig den Deckel drauf. Möglicherweise greife ich zu hoch, aber fürs erste ziehe ich die Höchstwertung:

*****/*****

 

hausEpisode 056: Ein unheimliches Haus (Alfred Vohrer, 1979)

Die Besitzerin einer Pension stirbt, nachdem ihr eine Angestellte (Lisa Kreuzer) unwissentlich vergifteten Tee gebracht hat. Es kommen nicht viele als Täter in Betracht: Da die Urlaubssaison schon vorbei ist, halten sich neben den beiden Bediensteten nur der pensionierte Jurist Sobak (Wolfgang Büttner) sowie der tatterige Kunstmaler Kamenoff (Paul Hoffmann) und seine Gattin Elvira (Nora Minor) in dem Haus auf. Und für die Vergiftung des Tees kommt nach Aussagen der Zeugen nur ein kurzes Zeitfenster in Frage. Es sei denn, sie lügen …

Schon der Titelscreen weckt Erinnerungen an die Wallace-Reihe der Rialto, zu der Regisseur Vohrer einen wichtigen Beitrag geleistet hatte. Das Sujet und der Ablauf der Geschichte verstärken die Assoziationen noch: Die ganze Folge spielt in der altmodischen Pension, alle Bewohner benehmen sich verdächtig, haben ein Motiv sowie einen schrulligen Charakter. „Ein unheimliches Haus“ ist eine eher humorige, gemütliche Folge – ein klassischer Whodunit, der ohne echten Höhepunkt auskommen muss. Was an Spannung fehlt, kompensiert Komponist Frank Duval, der auch schon einmal die Zubereitung eines Tees mit dramatischen Klängen unterlegt. Und Sascha Hehn macht mit. So there.

***/*****

 

 

 

puppeEpisode 057: Die Puppe (Theodor Grädler, 1979)

Frau Gerdes wird tot in ihrem Haus aufgefunden, die Zeichen deuten auf einen Einbruch hin, doch auch ein Blumenstrauß wurde hinterlassen. Die Spur führt zum Schönheitssalon von Johann Gall (Karl Walter Diess), der auch den jungen, verzärtelten und stillen Manikürist Adi Dong (Werner Schulenberg) beschäftigt, dessen zuvorkommende, respektvolle Art bei den älteren, oft einsamen Kundinnen etwas besser ankommt, als es üblich ist und der ihnen daher nicht selten erotische Hausbesuche abstattet. Auch mit Frau Gerdes hatte er offensichtlich ein Verhältnis. Doch was hat der Ehemann (Siegfried Wischnewski) der Toten zu verbergen?

Grädlers Folge entpuppt sich als etwas weniger bizarr, als es zunächst den Anschein hat, gehört am Ende aber doch zu den denkwürdigeren, bizarreren Momenten der Serie. Das liegt in erster Linie an Werner Schulenbergs Interpretation des Filous als abwechselnd a- oder doch homosexuell anmutendem Schönling, der den feinen Gesellschaftsdamen mit geradezu devoter Bewunderung begegnet. Wie er sie aus blauen Augen unter blondem Schopf anhimmelt und ihnen mit zerbrechlich leiser Stimme schwärmerische, aber nie anzügliche Komplimente macht, ist schon eine Schau. (Leider ist er kaum weiter in Erscheinung getreten, wird aber auch kommende DERRICK-Episoden bereichern – und spielt außerdem im tollen deutschen Nebelkrimi DER NEBELMÖRDER mit.) Der Titel der Episode bezieht sich auf ihn, weil er von geradezu wächsern-blässlicher Anmut ist, und – wie sich herausstellt – selbst nur das Spielzeug eines intriganten Strippenziehers im Hintergrund. Die Auflösung ist zwar ein kleiner Letdown, aber das Ende trotzdem ein echter Burner. Einerseits fragt man sich, was hier wohl drin gewesen wäre, hätte etwa Brynych die Episode inszeniert oder man sich hinsichtlich der Darstellung von Sexualität mehr erlauben können. Dann aber ist es gerade die Verbindung des sexuellen Themas und der unterkühlten, züchtigen und eben asexuellen Inszenierung, die so faszinierend ist. Adi Dong jedenfalls ist eine der denkwürdigeren Schöpfungen des deutschen Fernsehens. Ebenso wie ein durch ein Gipsbein gehandicappter Derrick, der in bester James-Stewart-Manier zum Herumsitzen verdammt ist und vor allem als Lieferant für einen Running Gag dient („Mein Bein ist in Ordnung, es ist nur der Gips.“), während Klein für ihn die Arbeit erledigt. Auch eine Erkenntnis, die man durch die DERRICK-Aufarbeitung machen kann: Die Serie hatte tatsächlich Witz!

****/*****


Episode 058: Tandem (Zbynek Brynych, 1979)

Wieder einmal wird eine Frau tot in ihrem Haus aufgefunden. Ihr Ehemann, der vorbestrafte Totschläger Ewald Bienert (Stefan Behrens), kam zu spät: In seiner Stammkneipe hatte er ihre Ermordung bei einem Telefonanruf mitanhören müssen. Derrick und Klein kommt der Mann indessen verdächtig vor, nicht nur, weil er ein saftiges Vermögen von der wohlhabenden Gattin erbt. Sie kommen einem Mordkomplott auf die Spur, in das auch Bienerts ehemaliger Knastkumpel Rudolf Nolde (Raimund Harmstorf) und dessen Gattin (Elisabeth Wiedemann) verwickelt sind …

In „Tandem“ vermag der kundige DERRICK-Zuschauer eine Art Collage bisheriger Episoden oder auch ein Zwischenfazit Brynychs erkennen: Der – Achtung: Spoiler – fingierte Anruf, mit dem sich Bienert ein Alibi verschafft, kam in etwas abgewandelter Form schon in Folge 053, „Der L-Faktor“, vor (zugegebenermaßen von Grädler), die Szenen mit Behrens, der schon in der Brynych-Episode „Der Spitzel“ auftrat, erinnern wiederum an Episode 015, „Alarm auf Revier 12“, Harmstorf war bereits in Episode 008, „Zeichen der Gewalt“, mit von der Partie und der ganze Plot von „Tandem“ ist außerdem unverkennbar eine Hommage an Hitchocks STRANGERS ON A TRAIN. Das – und das wendungsreiche Drehbuch von Reinecker – reichen aus für eine überdurchschnittliche Folge, auch wenn ich die Regie-Extravaganzen, die sich Brynych in den zuletzt gesehenen KOMMISSAR-Folgen noch erlaubte, etwas vermisse. In „Tandem“ ist er, wie schon zuletzt in „Der Spitzel“ deutlich geerdeter unterwegs, stellt seine Regie ganz in den Dienst des Scripts. Wahrscheinlich war DERRICK bereits zu groß geworden, um seinen Angestellten noch Querschläger zu erlauben.

****/*****


Episode 059: Lena (Theodor Grädler, 1979)

Man soll es nicht für möglich halten: Wolfgang Horn (Rolf Becker) findet seine Ex-Frau Anita (Beatrice Norden) tot zu Hause auf. Weil er ihr gegenüber im Streit um die gemeinsame Tochter Agnes handgreiflich geworden war, ist er für Derrick und Klein der Tatverdächtige Nummer 1. Erschwerend hinzu kommt, dass die potenzielle Zeugin, Horns taubstumme Schwägerin Lena (Ursula Lingen), zur Tatzeit zwar anwesend war, durch ihre Behinderung allerdings nichts mitbekommen hat. Aber sie will einen verdächtigen Mann vor dem Haus gesehen haben. Derrick glaubt, dass sie ihren Verwandten schützen will, auf dessen Hilfe sie nach dem Tod der Schwester angewiesen ist.

Eine ganz schwache Episode, deren einsame Höhepunkte die Anwesenheit von Jess-Franco-Mainstay Paul Muller und Rudolf Schündler in Nebenrollen sind. Darüber hinaus ist sie für heutige Zuschauer lediglich interessant, weil sie zeigt, wie viel sich Gott sei Dank im Umgang mit Behinderten geändert hat in den letzten 40 Jahren. Wie plump, unfähig und unsensibel alle Figuren mit der Titelheldin umgehen, ist schon schockierend: Da wird in ihrer Gegenwart über sie geredet, als sei sie komplett schwachsinnig und bekäme nichts mit, behandelt auch das Drehbuch sie als vollkommen hilflose Person, die ständig einen Beistand benötigt. Ärgerlich und langweilig.

*/*****

new-yorkEpisode 060: Besuch aus New York (Helmuth Ashley, 1979)

Auf die junge Anna Born (Léonie Thelen) wird ein brutaler Mordanschlag verübt, bei dem ihr Freund sein Leben verliert. Es stellt sich heraus, dass sie die Millionen eines amerikanischen Onkels mit Verbindungen in die Unterwelt geerbt hat und sie nun von dessen sich um das Vermögen geprellt fühlenden Geschäftspartnern umgelegt werden soll. Alle Spuren führen zu Bob Dryer (Brad Harris), der sich in einem Münchener Hotel eingemietet hat. Aber er behauptet, Anna schützen zu wollen.

Die Erben-Geschichte ist nicht gerade die Neuerfindung des Rades, aber Ashley macht das Beste draus. Gleich zu Beginn gibt es eine schöne Aerobic-Szene, gefolgt von einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd, das erste Mal seit weiß nicht wie lang, dass es bei DERRICK richtig zur Sache geht und man sogar einen echten Stunt bewundern kann. Schön sind auch die Szenen bei der Familie Megassa (Bruno W. Pantel, Greta Zimmer und – zum dritten Mal innerhalb der letzten 15 Folgen – Volker Eckstein), bei der Anna zur Untermiete wohnt. Die Aussicht, Anteil am Vermögen zu nehmen, lässt sie zu Verrätern werden: Wie sie da verschwörerisch in ihrer tristen Küche sitzen, Bier trinken, rauchen und tumb ins Nichts ihres traurigen Daseins starren, ist spannender als der weitere Verlauf des Falles. Brad Harris mit Lockenpracht hat nur so etwas wie einen ausgedehnten Gastauftritt und bekommt nichts zu tun, was ein bisschen schade ist. Dafür darf sich Fritz Wepper als ritterlicher Beschützer der gefährdeten Dame mal wieder als heimliches Love Interest versuchen. Dass er bei der Keilerei mit dem Attentäter am Schluss von Derrick gerettet werden muss, ist hingegen irgendwie ungerecht. Kann man den denn gar nicht mal etwas allein zu Ende bringen lassen?

***/*****

 

 

 

Bildschirmfoto 2014-01-11 um 13.01.16 Episode 019: Tote Vögel singen nicht (Alfred Vohrer, 1976)

Ein totes Mädchen wird auf einer Müllkippe in einem Koffer gefunden. Sie arbeitete offenbar im Nachtclub der Unterweltgröße Malenke (Hans Korte), doch dort will niemand etwas über ihren Tod wissen. Als bei der Untersuchung ihrer Mietswohnung jemand auf Klein schießt, der wenig später ebenfalls ermordet wird, kommt der Fall ins Rollen …

Vohrers zweite DERRICK-Episode gehört zu den nominell bekanntesten, gewinnt außerdem gewissermaßen „historische“ Bedeutung, da sie mit ihren fünf Morden bei ihrer Ausstrahlung für einige Aufregung sorgte: Ab diesem Zeitpunkt wurde ein Body Count von drei nicht mehr überschritten. Es ist aber auch diese ungewohnte Ruppigkeit, die „Tote Vögel singen nicht“ zu einem herausragenden Beitrag der Serie, zumindest zu diesem Zeitpunkt, macht. Das Konzept – erst ein Mord, dann die Ermittlung der beiden Kriminalbeamten, die den Täter enttarnen –, das in der Folge „Alarm auf Revier 12“ zum ersten Mal ausgedehnt wurde, wird hier Richtung Crime- und Unterweltthriller entwickelt. Hans Korte brilliert als hassenswerter, gewissenloser „Geschäftsmann“, der über Leichen geht: Ein Mord in einem Moorbad würde jedem amerikanischen Mafiafilm gut zu Gesicht stehen und wird von Vohrer überaus wirkungsvoll in Szene gesetzt. Das hässliche, schmucklose Bad mit der dampfenden, zähen schwarzen Suppe wird zu einem besonders trostlosen Tatort, der die ganze Schmutzigkeit und Unmenschlichkeit des Milieus widerspiegelt, in dem Derrick und Klein ermitteln müssen. Für den melodramatischen Schmelz wiederum sorgt Doris Kunstmann, nach „Pfandhaus“ zum zweiten Mal in einer DERRICK-Folge zu sehen: Sie gibt die vor Kummer stets betrunkene Nachtclub-Tänzerin Gerti, die bald ebenfalls auf der Abschussliste Malenkes steht. Den Part der notorischen Feiglinge übernehmen Hans Caninenberg als fahriger Anwalt Dr. Schöne, der von Malenke auf die schiefe Bahn gezogen wird und zur Belohung einen besonders blutigen Tod erhält, sowie Harald Leipnitz als Clubpächter Schermann, dem Derrick mit viel hämischer Freude auf die Finger klopft. „Tote Vögel singen nicht“ ist Vohrers Ausflug in die Welt des italienischen Polizei- und Gangsterfilms, temporeich, zupackend und voller verkommene Subjekte.

*****/*****

 

Episode 020: Schock (Alfred Vohrer, 1976)

Ein Mann wird erschossen, als er einen Autoknacker auf frischer Tat ertappt. Der Täter, der für den Autoschieber Lusseck (Dirk Galuba) arbeitende Alfred Recke (Vadim Glowna), kann entkommen, muss jedoch die Aussage von Ralf, dem zehnjährigen Sohn des Opfers, fürchten, der alles mitangesehen hat. Doch dem hat es durch den Schock, die Ermordung seines Vaters mitansehen zu müssen, die Sprache verschlagen. Da Lusseck das nicht weiß, setzt er einen Killer auf den Jungen an. Gleichzeitig schickt Recke auf Drängen seiner Gattin (Karin Baal) den eigenen Sohn vor, um unerkannt die Lage bei Ralf auszukundschaften …

Bildschirmfoto 2014-01-12 um 14.02.49Nachdem Vohrer mit seiner leichenreichen Episode „Tote Vögel singen nicht“ für einen kleinen Skandal gesorgt hatte, konfrontierte er das auf Unterhaltung bedachte bundesdeutsche Fernsehpublikum nur eine Woche später mit dem Tabu eines Kindsmordes. Stilistisch und dramaturgisch wandelte er dabei erneut auf den Spuren des italienischen Genrekinos jener Zeit, wozu auch Herbert Reineckers ultra-zugespitztes Drehbuch seinen Teil beitrug. Die makabre, superbittere Pointe von „Schock“ fungiert als extreme Interpretation einer Crime-does-not-pay-Botschaft, die eine bloß gesellschaftliche Funktion übersteigt und zur allgemein humanistischen Warnung vor den gefährlichen Irrwegen ist, auf die es den Menschen verschlagen kann. Die deutsche Tristesse der Siebzigerjahre, die DERRICK so gnadenlos abbildet, scheint hier besonders bleich, düster und ausgweglos, statt einem in Schieflage geratenen Bürgertum, das mit sich und dem Dasein ringt, widmet sich Autor Reinecker hier einer weiter unten angesiedelten Schicht, deren Aussichten noch deutlich mieser sind. Die Sympathie gehört dabei Recker, einem eigentlich gutmütigen Menschen, der durch ungünstige, schicksalhafte Umstände zum Mörder wird und der danach eben nicht einfach weitermachen so kann wie seine wohlhabenderen Zeitgenossen in den bisherigen Episoden. Auch hier zeigt sich eine Gemeinsamkeit mit dem italienischen Polizeifilm, der sich meist ebenfalls auf die Seite der kleinen Gauner schlägt, deren Notlage von den eigentlichen, meist betuchten Schurken weidlich ausgebeutet wird. Wie seine italienischen Kollegen lässt auch Derrick nichts anbrennen, schlägt, schießt, rennt und hat nebenbei, nach durchgearbeiteter Nacht, noch Zeit, um mit seiner Liebschaft, der Psychologin Renate (Johanna von Koczian), ein Glas Champagner zu trinken. Denn: „Abends kann ja jeder.“

Eine weitere großartige Episode also, die zudem einen der seltsamsten Dialoge der deutschen Fernsehgeschichte bereithält. Als Derrick seinem Assistenten Klein eine Ermittlungsidee mitteilt, bestätigt der ihn mit den Worten: „Ich spüre dich doch!“ Worauf Derrick antwortet: „Mach‘ weiter, wenn du mich spürst!“

*****/*****


Episode 021: Kalkutta (Alfred Weidenmann, 1976)

Eine Frau wird überfahren und getötet. Die Suche nach dem Täter führt Derrick und Klein erst in die mondäne Flamingo-Bar, in deren Keller ein illegaler Spielsalon versteckt ist, und dann in ein exklusives Altenheim. Dessen wohlhabende Bewohner spenden auf Initiative des Betreibers Millionen für die Hungerhilfe in Indien, die jedoch allesamt auf seinem Konto landen …

Das Tempo ist nach Vohrers actiongeladenen Epsioden deutlich gedrosselt, die Geschichte wird nach dem traditionellen DERRICK-Schema erzählt, doch das täuscht nicht darüber hinweg, dass auch hier wieder alles sehr dunkel, kalt und trostlos ist. Das Treiben im Casino erinnert an eine Trauerfeier, das Altersheim, das in einem Schloss auf dem Land untergebracht ist, könnte auch in einem melancholischen Rollin-Film Verwendung finden. Und der Coup, dem die Verbrecher nachgehen, ist gar von besonderer Niedertracht und moralischer Verkommenheit: die Hilfsbereitschaft wohlhabender Menschen so schamlos auszunutzen, pfui Deibel. Ansonsten eine Episode, die zwar ohne die ganz großen Aha-Erlebnisse auskommen muss, dafür aber ein paar kleinere vorweisen kann, etwa den Auftritt von Schlagerbarde Ricky Shayne oder Derricks James-Bond-Interpretation im Casino. Sehr schön fand ich auch, wie Derrick Anstoß an der Tatsache nimmt, dass über Lautsprecher Musik in den Waschraum der Flamingo-Bar übertragen wird: Das kann ja nur dazu da sein, etwas zu übertönen. In unserer heutigen Welt würde er sich sicherlich nicht mehr so gut zurechtfinden.

***/*****


Episode 022: Kein schöner Sonntag (Leopold Lindtberg, 1976)

Herr Schirmer (Ullrich Haupt), erfolgreicher Prokurist einer Firma, verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern, gesteht seinem Sohn Jürgen (Andreas Seyferth) ein Geheimnis: Er hat über die Jahre ca. 100.000 DM veruntreut und nun Angst, dass er auffliegen könne. Ein fingierter Einbruchsdiebstahl könnte seine Probleme lösen, doch woher einen Freiwilligen nehmen? Jürgen erklärt sich sofort bereit, der Vater willigt nach halbherzigem Widerspruch schließlich ein. Während des Bruchs wird Jürgen aber auf frischer Tat vom Wachmann ertappt. Im anschließenden Handgemenge stürzt der alte Mann und erleidet schwere Verletzungen. Jürgen macht sich schwere Vorwürfe, doch sein Vater ist nur noch darauf bedacht, heil aus der Sache herauszukommen. Dabei hat er die Rechnung ohne Derrick gemacht.

Als Krimi ist „Kein schöner Sonntag“ beeindruckend unspektakulär (und dramaturgisch mit seinem gut zwanzigminütigen Prolog eher mit den frühen Episoden verwandt): Sofort erkennen Derrick und Klein Herrn Schirmer als Hauptverdächtigen, das merkwürdige Verhalten seines Sohnes bestärkt sie noch in ihrem Verdacht. Es ist nicht viel Ermittlungsgeschick ihrerseits nötig, lediglich etwas Hartnäckigkeit und ihre Anwesenheit im richtigen Moment: Als Jürgen Schirmer erfährt, dass der Wachmann seinen Verletzungen erlegen ist, ist sein Widerstand gebrochen und er steigt völlig freiwillig ins Polizeiauto. Auch wenn „Kein schöner Sonntag“ nicht unbedingt viel Suspense bietet, bringt Lindtberg wunderbar auf den Punkt, was bis hierhin schon mehrere Folgen andeuteten: die moralische Verkommenheit, der grenzenlose Egoismus und die explosive Verbindung von Dummheit und Selbstüberschätzung des Bürgertums, vor allem der Männer. Vater und Sohn bilden ein beeindruckendes Duo, dessen Einfalt nur noch von ihrer Entschlossenheit getoppt wird. Und sie glauben, alles unter sich ausmachen zu können. Ehefrau und Tochter respektive Mutter und Schwester werden ständig weggeschickt, vertröstet, abgewiesen. Dass die Katastrophe mit einem Quäntchen weiblicher Perspektive wahrscheinlich vermieden worden wäre, liegt auf der Hand. Doch die Alternative zu dem von vornherein zum Scheitern verurteilten Einbruch wäre ein Schuldeingeständnis gewesen, das für Gewinnertypen vom Schlage Schirmers, die alles wollen, aber nicht bereit sind, den Preis dafür zu bezahlen, natürlich nicht in Frage kommt. Lieber zieht man die eigene Brut mit in den Abgrund: Die Frage, ob das Familienoberhaupt von Anfang an den Plan verfolgte, seinen Sohn einen Bruch ausführen zu lassen, wird von Reinecker und Lindtberg nicht beantwortet, wundern täte es indes nicht. So abgezockt, wie der Herr Papa nach dem Tod des Wachmanns zur Tagesordnung übergeht, nur das eigene Davonkommen im Sinn hat, noch nicht einmal zu einer Mitleidsregung fähig ist, ist ihm tatsächlich alles zuzutrauen.

Aus heutiger Perspektive scheint es mir sehr offensichtlich, dass in dieser in DERRICK immer wieder geübten Kritik am Bürgertum auch ein Stück deutscher Vergangenheitsbewältigung steckt. Es waren Leute wie Schirmer, die Hitler an die Macht halfen und ihn dann dort hielten, zu jeder Schandtat bereit, das eigene Gewissen mit ihrer opportunistischen Weggucker-Mentalität beruhigend: Ob Drehbuchautor Reinecker, während des Dritten Reichs alles andere als ein Regimegegner, zu später Einsicht gelangt war, kann ich hier nicht beantworten. Aber es scheint fast so.

****/*****


Bildschirmfoto 2014-01-14 um 18.40.35Episode 023: Auf eigene Faust (Zbynek Brynych, 1976)

Winterstein (Siegfried Rauch), ein Kollege Derricks aus der Abteilung „Glücksspiel und Falschgeld“, wird auf offener Straße direkt vor dem Polizeipräsidium erschossen. Offensichtlich war er einer großen Sache auf der Spur und hatte sich dabei etwas zu sehr von dem pensionierten Euler (Karl John) inspirieren lassen, der zu seiner Zeit die Kunst des gefährlichen Alleingangs pflegte. Um aus seiner Ermittlungssackgasse herauszukommen, holt Derrick den Falschmünzer Schenke (Horst Frank) vorzeitig aus dem Knast: Er soll sich für ihn in der Unterwelt umhören und herausfinden, was Winterstein herausgefunden hatte …

Ein Polizist, der Cowboy spielt, ein Pensionär, der das Nichtstun nicht verträgt, ein Verbrecher, der unerwartet die Luft der Freiheit einsaugt, und ein alternder Drahtzieher im Hintergrund, der über einen Mord nicht hinwegkommt: Zbynek Brynych wandelt auch dank seines von Akustikgitarren und Bläsern getragenen Scores auf den Spuren des melancholischen Italowesterns. Seine Geschichte ist voller vom Leben Enttäuschter, tragischer Verlierer sowie verhinderter Helden und spielt in einer Welt, die zutiefst rätselhaft geworden ist. Als Derrick, nach der Begegnung mit Euler über das eigene Älterwerden sinnierend, auf die Straße tritt, wirkt sie mit ihren wie Ameisen ihres Weges gehenden Passanten wie ein überlebensgroßes Modell. Sein Assistent Harry verirrt sich bei seinen Ermittlungen in einer Ansammlung finsterer Gassen und Torbögen, die in keinerlei geografischem Bezug zum Rest der Stadt zu stehen scheinen, und wird aus einem offenen Fenster von einer gesichtslosen Silhouette mit Mickey-Maus-Ohren gegrüßt. Schenke findet auf einem von ihm gegebenen Fest mit der schönen Barbara die perfekte Trophäe, um die neu erlangte Freiheit zu feiern, doch muss er am nächsten Morgen ernüchtert feststellen, das alles ein abgekartetes Spiel war: Die Frau wird ihn das Leben kosten. Euler hat es satt, nur noch Zuschauer zu sein, nachdem er jahrelang Akteur war, kann sich an seinen Platz am Fenster einfach nicht gewöhnen. Auch, weil damit die Einsicht einhergeht, den einstigen Aufgaben nicht mehr gewachsen zu sein. Er ist aussortiert und das einzige, worauf er noch warten kann, ist der Tod. Ähnlich geht es auch Duktus (Helmut Käutner) dem greisenhafter Anführer des Falschmünzerringes: Sein Vater war Erfinder, hat aber Zeit seines Lebens nie etwas erfunden, was Geld eingebracht hätte. Duktus‘ Idee ist Millionen wert: Aber nicht die Leben, die sie gekostet hat.

Brynych hat eine sehr ungewöhnliche Episode inszeniert, die den einstündigen Rahmen sprengt, ohne dabei überfüllt zu sein. Dafür, dass der Fall, den Derrick zu lösen hat, recht komplex ist, die Wege zum Ziel verschlungen, erzählt Brynych mit äußerster Klarheit. Er lässt die Figuren und die Räume, in denen sie sich bewegen, atmen, Situationen sich entwickeln und schreitet so mit großer Leichtigkeit voran. „Auf eigene Faust“ erzählt fast alles über Stimmungen, Bilder und Gesichter. Dialoge sind nur noch der explizite Ausdruck dessen, was eh schon klar ist. Groß.

*****/*****


Bildschirmfoto 2014-01-14 um 20.27.12Episode 024: Ein unbegreiflicher Typ (Theodor Grädler, 1976)

Josef Koller (Carl-Heinz Schroth), ein älterer Herr, lädt einen Mann in sein Hotelzimmer, bietet ihm etwas zu trinken an, lässt ihn dann allein zurück mit der Aufforderung, sich wie zu Hause zu fühlen. Dann trifft er sich in einem Café mit Schündler (Jürgen Goslar), dem er einen Umschlag gegen die Überreichung eines vollgepackten Geldkoffers zusteckt. Auf das drohend ausgesprochene Angebot, es sich jetzt noch anders überlegen zu können, geht er nicht ein, verlässt stattdessen das Café und fährt zum Hotel zurück, verfolgt von einem Handlanger Schündlers. Als Inspektor Derrick kurz darauf in das Hotel gerufen wird, liegt dort ein unbekannter Toter im Zimmer Kollers, während der selbst spurlos verschwunden ist. Wenig später erhält Derrick einen Anruf von Schündler, der sich gegenüber dem Beamten als besorgter Geschäftspartner des Verschwundenen ausgibt und seine Hilfe anbietet …

Wie es der Titel schon verspricht, lebt Grädlers Episode vom Mysterium, das die Figur des Koller umgibt – und das nie aufgelöst wird. Dieser alte Mann mit dem sonnengegerbten, von Falten zerfurchten Gesicht hat angeblich für den Nachrichtendienst gearbeitet, aus seiner Zeit dort einige Tricks und Methoden mitgenommen und will sich nun mit einem großen Coup, dessen Details nicht näher beleuchtet werden, möglicherweise den Lebensabend versüßen. Bei seinem ersten Auftritt wirkt er überaus konzentriert und entschlossen, später beschreibt seine Exfrau, die ihn kürzlich zum ersten Mal seit 20 Jahren gesehen hat, als durcheinander, fahrig, nachdenklich, zerstreut. Als er am Schluss zum Verhör bei Derrick Platz nimmt, kann man sich kaum vorstellen, dass dieser Mann zu einem Verbrechen fähig sein soll. Grädlers Episode erscheint rückblickend, fast 25 Jahre nach dem Tod Schroths, noch mehr wie ein Denkmal für diesen Schauspieler, als das damals schon der Fall gewesen sein muss. Auch wenn er gemessen an der Spielzeit nur kurz zu sehen ist, so prägt er diese Folge doch wesentlich mit seinem facettenreichen Spiel, das viel über den Menschen Koller aussagt, ohne sein Geheimnis zu enttarnen. Ihm gegenüber ist Goslars Schündler zwar eindeutig als charismatischer Schurke angelegt, aber auch er sorgt dafür, dass „Ein unbegreiflicher Typ“ dem Zuschauer beim Versuch, die Folge zu fassen zu kriegen, immer wieder durch die Finger gleitet.

****/*****

Bildschirmfoto 2014-01-15 um 19.58.27Episode 025: Das Bordfest (Alfred Weidenmann, 1976)

Nach dem Betriebsfest eines Textilunternehmens auf einem Vergnügungsdampfer ist einer der beiden Inhaber, Ernst Kettwig (Wolfgang Reichmann), plötzlich verschwunden. Als er wenig später tot am Ufer des Starnberger Sees aufgefunden wird, gestorben an einer Stichwunde im Rücken, fällt der Verdacht zunächst auf Walter Solms (Mathieu Carrière), den Sohn seines Geschäftspartners Werner Solms (Ernst Schröder), denn Walter hatte ein Verhältnis mit Kettwigs jüngerer Ehefrau Hetty (Herlinde Latzko). Im Zuge der Ermittlungen Derricks gerät jedoch zunehmend Walters Vater in den Blickpunkt des Interesses: Kettwig wollte den Partner aus unbekannten Gründen loswerden. Als jedoch ein Mordanschlag auf Werner Solms verübt wird, platzt auch diese Theorie …

Das zentrale Motiv von Weidenmanns Episode ist der Tanz: Immer wieder kehrt er zu dem Betriebsfest zurück, zeigt die Angestellten beim ausgelassenen Tanz und die Hauptfiguren, wie sie sich währenddessen zu belauern scheinen. Was für die meisten Feiernden das reine Vergnügen ist, wird für die Protagonisten zur Qual: Im Wirbel und im ständigen Wechsel des Tanzes spiegelt sich die Unbeständigkeit ihres Gefühlslebens, die Getriebenheit, auch die Ungewissheit über die Gefühle des Anderen. Kettwig ist im Begriff, seine Frau an einen Jüngeren zu verlieren, ohne etwas dagegen tun zu können. Walter muss sich damit abfinden, dass der Mann seiner Geliebten sie nicht kampflos überlassen will. Hetty sieht sich in der Rolle des Objekts, das sich im Besitz ihres Gatten befindet. Werner ist selbst ein Filou, von den Frauen magisch angezogen und chronisch untreu seiner Gattin (Judy Winter) gegenüber, die genau weiß, wie sie seine Ausgelassenheit zu verstehen hat. Und dann ist da noch jemand …

Weidenmann inszeniert mit „Das Bordfest“ zum ersten Mal einen reinen Whodunit im Rahmen der Serie. Der Mörder ist nicht bekannt – noch nicht einmal der Tathergang wird gezeigt – und der Zuschauer befindet sich auf dem gleichen Wissensstand wie Derrick, der sich durch die Zeugenbefragungen ein Bild machen muss. Doch mehr als die Frage nach dem Täter beschäftigen einen bald schon das derangierte Gefühlsleben der Figuren sowie das Geschick, das sie dabei an den Tag legen, sich gegenseitig unglücklich zu machen.

Wertung: ***/*****