Mit ‘Mel Gibson’ getaggte Beiträge

Ein noch kleineres Projekt als GET THE GRINGO stellte die französische Produktion BLOOD FATHER für den ehemaligen Superstar Mel Gibson dar – und wie jener hinterließ er an der Kinokasse keine Spuren, wurde in Deutschland gleich für den Heimkinomarkt ausgewertet, ohne ein Lichtspielhaus von innen gesehen zu haben. Gegenüber Grünbergs Crime-Spektakel ist BLOOD FATHER außerdem noch eine Nummer gedrosselter, ein Vater-Tochter-Drama im Road-Movie-Gewand mit einigen kurzen, dafür aber heftigen Actionschüben und Härten. Die Fotografie von Robert Gantz fängt die Weite des amerikanischen Westens (gedreht wurde in New Mexico) in an den Western und Frontierfilm erinnernden Kompositionen ein, die vom endlosen Himmel dominiert werden, aber der wahre Schauwert des Films ist natürlich Gibson selbst, der über weite Strecken einen prachtvollen grauen Altmännerbart trägt und mit seiner Darbietung offene Türen bei mir einrennt: Können wir bitte schnellstmöglich dafür sorgen, dass der Nachschub an Altersactionern mit Mel Gibson in der Hauptrolle gesichert wird? Ich brauche das! Die Welt braucht das!

Die Prämisse ist zugegebenermaßen ein bisschen zu hollywoodesk: Die siebzehnjährige Lydia (Erin Moriarty) wird von ihrem kriminellen Lover Jonah (Diego Luna) in einen Mord verwickelt und verpasst ihm zum Abschluss selbst eine Kugel. Auf der Flucht vor seinen Partnern wendet sie sich an ihren Vater Link (Mel Gibson), den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hat und er nach einer langjährige Haftstrafe und einem Alkoholentzug in einem Trailerpark in Oregon Abbitte leistet. Sie ist selbst auf Drogen und rückt ihm gegenüber nicht mit den Gründen für ihr Hilfegesuch heraus. Bis plötzlich ein paar gedungene Killer mit Waffen an seinem Wohnwagen auftauchen.

Erin Moriartys Part ist, das liest man hier vielleicht schon heraus, eine etwas lieblos hingeschluderte Ansammlung von Juvenile Delinquent-Klischees, auf die ältere Herren zurückgreifen müssen, weil sie keinen Kontakt mehr zur Jugend haben. Lydia ist ihrem manipulativen Geliebten nahezu hörig, trägt auch im Sommer Wollmütze zur zerrissenen Jeans und gerade so viel Goth-Make-up, dass sie mit nicht allzu vielen Handgriffen wieder in die blonde Prinzessin zurückverwandelt werden kann (das kommt dann später). Sie nimmt Crystal und hat haarsträubende Pläne, die von schlechten Filmen inspiriert scheinen und muss vom Papa mal ordentlich die Leviten gelesen bekommen, um wieder klar zu sehen. Das hätte man besser machen können, aber BLOOD FATHER weiß diese Schwächen relativ schnell zu überwinden: zumal er ja Mel GIbson hat, der als reuiger Crime-Rentner, der darauf hofft, seine vielen Fehler und Versäumnisse irgendwann wieder gut machen zu können, eine echte Schau ist. Immer, wenn er zu sehen ist, bebt die Leinwand vor Energie, selbst in eher beschaulichen Momenten, wie der Sitzung der Anonymen Alkoholiker zu Beginn, der er mit seinem Trailerpark-Kumpel Kirby (William H. Macy) beiwohnt, oder ihrem kleinen Plausch auf dem Heimweg im Anschluss. Und wenn er dann so richtig von der Kette gelassen wird, seinen Ex-Knacki-Kumpel Preacher (Michael Parks), der mittlerweile Nazi-Memorabilia verkauft, anbrüllt oder dessen herrischer Gattin die Fresse poliert, wird aus dem subtilen Beben ein bedrohliches Grollen. Irgendwann gewinnt dann auch die Geschichte um die Vater-Tochter-Beziehung an Substanz und das Ende, so kalkuliert es auch ist, verfehlt sein Ziel nicht.

BLOOD FATHER ist nicht der Film, der mich zu wortreichen Elogen inspiriert – aber das würde ich ihm nicht negativ auslegen wollen. Er ist kein großer Film, er erfindet das Rad nicht neu und zeichnet sich gewiss nicht durch irgendwelche formalen, erzählerischen oder dramaturgischen Innovationen aus. Nichts an BLOOD FATHER ist wirklich originell: Es ist im Grunde ein Western im zeitgenössischen Gewand, seine Geschichte hätte man vor 50 Jahren schon erzählen können, hätte im Drehbuch lediglich ein paar Handys ersetzen müssen, und in den Siebzigern wurden solche knackigen Crimestoffe in Reihe gedreht und in die Kinos gespuckt. Heute sieht das schon wieder etwas anders aus, da ist BLOOD FATHER ein Außenseiter, ein Relikt, das an eine vergangene Tradition erinnert, die er nicht nur rezitiert, sondern deren Spirit er in seinen besten Momenten greifbar macht. BLOOD FATHER ist nicht die aufregende Partybekanntschaft, mit der man spannende Diskussionen führt, sondern der alte Freund, mit dem man zusammensitzt, ein Bier trinkt und im Schweigen Übereinkunft spürt.

 

 

Mel Gibson befindet sich seit einigen Jahren in einem seltsamen Karrierelimbo: Zwar tritt er trotz seiner alkoholgeschwängerten antisemitischen Ausfälle noch relativ regelmäßig mit großen, aufwändigen und prestigeträchtigen Produktionen als Regisseur in Erscheinung (zuletzt etwa mit HACKSAW RIDGE, der mich gleichermaßen fasziniert wie befremdet hat), doch als Hauptdarsteller in Großproduktionen scheint er einigermaßen verbrannt, was nur zum Teil auf sein mittlerweile fortgeschrittenes Alter zurückzuführen ist. Seine letzten Filme waren Zahlers großartiger DRAGGED ACROSS CONCRETE, ein unabhängig produzierter Low-Budget-Film, und der Historienfilm THE PROFESSOR AND THE MADMAN, der ebenfall außerhalb des großen Filmzirkus anzusiedeln ist. Seine letzten Hollywood-Filme waren DADDY’S HOME 2, THE EXPENDABLES 3 und MACHETE KILLS, in denen er jeweils die Funktion der aufmerksamkeitstauglich besetzten Nebenrolle einnahm. Und vor diesen kam eben der mit rund 20 Millionen Dollar budgetierte GET THE GRINGO, der weltweit gerade einmal ein Viertel davon wieder einspielte. Nicht gerade ein Argument für ihn, aber GET THE GRINGO ist ein hübscher Appetithappen für Fans des badass cinema, in dem es sich Gibson kein Stück anmerken lässt, dass er die Teilnahme an einem Film dieser Art zehn Jahre vorher nicht einmal annähernd in Erwägung gezogen hätte.

Gibson spielt den Berufsverbrecher Driver, der direkt zu Beginn des Films nach einem Raubüberfall, bei dem er zwei Millionen Dollar erbeutet hat, vor der Polizei flieht und dabei die Grenze nach Mexiko überquert. Sein Verfolger (Dean Norris) hat gegenüber den korrupten mexikanischen Cops das Nachsehen: Sie stecken Driver in das berüchtigte Gefängnis „El Pueblito“ – das Gibsons Charakter mit „the world’s shittiest mall“ vergleicht – und selbst die Beute ein. Im Knast checkt Driver sofort die Lage, um dort einigermaßen über die Runden zu kommen und findet so heraus, dass der Crimlord Javi (Daniel Giménez Cacho), der den Knast quasi regiert, dringend eine neue Leber benötigt. Ein sicherer Spender ist ein zehnjähriger Junge (Kevin Balmore), der im Knast sitzt, weil seine Mutter (Dolores Heredia) wegen eines Drogendeliktes verurteilt wurde: Er hat eine Rechnung mit Jai offen, denn der Gangster ermordete einst seinen Vater. Driver freundet sich mit dem Jungen an und versucht ihm zu helfen. Dass der um die zwei Millionen Dollar erleichterte Frank (Peter Stormare) seine Fühler nach Driver ausstreckt, um sein Geld zurückzubekommen, nutzt der clevere Gangster für seine eigenen Zwecke.

GET THE GRINGO hat zum einen einen großartig aufgelegten Mel Gibson, der diesen Crime-Film mit seinem angeborenen Charisma und seinem lakonischen Humor gehörig aufwertet, mit dem real existierenden „El Pueblito“-Knast zum anderen ein faszinierendes Setting, das sich von anderen Film-Gefängnissen deutlich abhebt. Es ist eine ganz eigene Welt, eine vollständige kleine Stadt mit unterschiedlichen „Einwohnern“, die sich hier innerhalb der gegebenen Strukturen „frei“ bewegen, eigenen Geschäften und einer eigenen Ordnung und Hierarchie. Zusammen mit Driver lernt der Zuschauer diese faszinierende Welt kennen, erhält Einblicke in die Mechanismen und Regeln, nach denen sie funktioniert und nimmt dann Teil daran, wie er diese für seinen eigenen Zwecke beugt und nutzt. Ziel ist natürlich, mittelfristig auszubrechen, am besten mit der Kohle, die er erbeutet und dann bei seiner Inhaftierung verloren hat. Grünbergs Film erinnert ein bisschen an Kurosawas YOJIMBO oder noch mehr natürlich an Leones Western-Adaption PER UN PUGNO DI DOLLARI: Wie Eastwoods Namenloser manipuliert Driver die verschiedenen Parteien, suggeriert ihnen, er spiele bei ihrem Spiel mit, während er sie in Wahrheit für seine eigenen Zwecke nutzt. Die schönsten Szenen hat GET THE GRINGO aber gleich nach seiner Ankunft im Knast, wenn er ungläubig mit dem ausgelassenen Treiben dort konfrontiert wird, erste Schritte für das spätere Überleben unternimmt (er überfällt einen Gangster und deponiert dann dessen Knarre in einem Versteck) und bereits Pläne ausheckt und ausführt, um an etwas Bargeld zu kommen. Später verfällt der Film dann etwas in den Modus der zynischen Gewaltkomödie, wenn etwa die beiden Cops vom Anfang von Frank verhört, gefoltert und schließlich hingerichtet werden. Nicht mein bevorzugter Modus für diese Art von Crime-Film, aber Grünberg vermeidet auch allzu starke Überzeichnungen und doofe Witze. Am Ende gibt es einen großen Shootout mit – leider- ziemlich hässlichen CGI-Blutspritzern und eine Eastwood-Imitation von Gibson, an der sich die Geister scheiden werden und die allein deshalb schon im Gedächtnis bleibt, sowie ein romantisches Happy End für Driver.

GET THE GRINGO ist kein Meisterwerk, aber es ist schön, dass es solche Filme überhaupt noch gibt. Das sang- und klanglose Absaufen an der Kinokasse spricht allerdings nicht dafür, dass wir dergleichen in Zukunft noch oft serviert bekommen werden. Von Gibson als Mensch mag man halten, was man will, aber den badass mit dem Sinn für Humor und Selbstironie hat er immer noch drauf wie kein anderer. Von daher bitte mehr davon: Eine Welt, die uns Gibson in kleinen, dreckigen Crime- und Actionfilmen schenkt, ist eine bessere. Regisseur Grünberg ist derzeit mit RAMBO: LAST BLOOD im Kino zu sehen. Kein Meister seines Faches, aber einer, der sich auf Actioninszenierung versteht und der gern damit weitermachen darf.

 

Fiktion, ganz gleich, ob sie sich nun des Mediums des Films oder der Literatur bedient, ermöglicht es dem Rezipienten, fremde Perspektiven einzunehmen, die Welt durch die Augen eines anderen Menschen zu sehen. Im Idealfall erweitern wir damit unseren eigenen Horizont, machen die sogenannte Kontingenzerfahrung: Wir verstehen, dass unsere Sichtweise nur eine von unzähligen gleichberechtigten ist. Als Leser oder Filmseher stellt man aber auch immer wieder fest, dass uns Menschen anderer geografischer, gesellschaftlicher, kultureller oder historischer Herkunft bei allen uns voneinander trennenden Eigenschaften in vielen Dingen auch sehr ähnlich sind: Auch wenn wir in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland geboren wurden, fällt es uns nicht besonders schwer, uns mit einem altgriechischen Feldherr zu identifizieren – was natürlich auch daran liegt, dass dieser in der Regel der Feder eines unserer Zeitgenossen entsprang. Es passiert sehr selten, dass wir in eine Figur schlüpfen müssen, deren Anschauungen und Motivationen uns völlig fremd sind. Für mich war HACKSAW RIDGE zumindest in Teilen ein solches Werk und die Sichtung auch, aber nicht nur deshalb ein enorm erkenntnisreiches Erlebnis.

Mel Gibsons Film erzählt die Geschichte von Desmond Doss, gläubiger Christ und hochdekorierter Kriegsheld – der erste seiner Art, denn Doss erhielt seine Auszeichnung für seinen Einsatz im Zweiten Weltkrieg, ohne je eine Waffe angefasst zu haben. Als „conscientious objector“, übersetzt „Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen“, verteidigte er sein Recht, mit der Armee in den Krieg ziehen zu dürfen, ohne dabei eine Waffe tragen zu müssen. Als Sanitäter rettete er während der Schlacht um Okinawa mehrere Dutzend verwundeter Kameraden und erhielt dafür nach Kriegsende die „Medal of Honor“, die höchste militärische Auszeichnung der USA. Nach dem Vorbild von Kubricks FULL METAL JACKET teilt Gibson seinen Film in zwei Hälften: Die erste widmet sich Doss‘ biografischem Hintergrund, seiner Grundausbildung, den Anfeindungen von Vorgesetzten und Rekruten, die in ihm einen Feigling sehen, der ihnen im Ernstfall nicht zur Seite stehen kann, und schließlich seinem Sieg vor dem Militärgericht; die zweite wirft uns mit den Soldaten in das Gemetzel der Schlacht um das Hacksaw Ridge, einer postapokalyptisch anmutenden Wüstenei oberhalb einer gewaltigen Klippe. Wie es mit Spielbergs SAVING PRIVATE RYAN zum Standard des Kriegsfilms wurde, malt Gibson die Kampfhandlungen in schlammigen Grau- und Brauntönen und gesprenkelt mit heftigen Splatterschüben: Da fliegen die Gliedmaßen und Eingeweide nur so durch die Gegend, Köpfe werden von Kugeln durchlagen und Soldaten gehen kreischend in Flammen auf. Der liebe Gott, an den Doss so unerschütterlich glaubt, er scheint weit, weit weg, ist aber in Gestalt des Sanitäters doch mittendrin im Inferno, wo er sich vollkommen unbewaffnet der Gefahr stellt, um die vereinzelten Verwundeten aufzusammeln und sie in Sicherheit zu bringen.

Es fällt zunächst sehr, sehr schwer, mit diesem Protagonisten mitzugehen, sein unbedingtes Bedürfnis zu verstehen, an einem Krieg teilzunehmen, wenn er es seinem Glauben entsprechend doch für eine Sünde hält, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen. Als er sich während seiner Ausbildung erklären soll, wird er unter anderem mit der Aussage konfrontiert, dass der Feind der Teufel höchstpersönlich sei und der bewaffnete Widerstand demnach gottgewollt. Doss widerspricht dem nicht, er teilt diese Ansicht sogar. Es ist der Grund, warum auch er sich berufen fühlt seinen – wenn auch unbewaffneten – Beitrag zu leisten. Doss‘ Weigerung, eine Waffe zu tragen, wird im Film auch aus seiner Biografie heraus erklärt: Der Film beginnt mit einem Rückblick in die Kindheit des Protagonisten, in der er seinen Bruder bei einem Streit so heftig mit einem Stein schlug, dass es kurz so aussah, als müsse dieser den Angriff mit seinem Leben bezahlen. Während die Eltern (Rachel Phillips und Hugo Weaving) verzweifelt versuchen, den bewusstlosen Sohn aufzuwecken, fällt Desmonds Blick auf ein Bildnis von Kain und Abel und die dieses erklärenden Worte des fünften Gebots. Später dann berichtet er einem seiner Kameraden von einem anderen Erlebnis: Als sein Vater, ein Veteran des Ersten Weltkriegs, der über die traumatischen Erfahrungen zum Säufer geworden war, wieder einmal seine Ehefrau attackierte, griff Desmond zur Pistole und drohte dem Vater, ihn zu erschießen. Dieses Ereignis habe ihn dazu gebracht, vor Gott das Versprechen abzulegen, nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen. Aber wie kann man mit der Überzeugung, dass die Tötung eines anderen Menschen gegen Gottes Gebote verstoße, an einem Krieg nicht nur teilnehmen, sondern ihn in einem größeren Kontext für „richtig“ halten?

Es ist wahrscheinlich nicht möglich, diesen Widerspruch auch nur annähernd befriedigend aufzulösen, schon gar nicht für einen nichtgläubigen Menschen. Ich halt es durchaus für möglich, dass Gibson, der – das legen zahlreiche aus den letzten Jahren über ihn kursierenden Geschichten durchaus nah – vielleicht tatsächlich ein wirrköpfiger religiöser Fanatiker ist, diesen Widerspruch vielleicht gar nicht sieht und Doss‘ Handeln für nachvollziehbar hält: Aber es spielt eigentlich auch keine Rolle, weil es in HACKSAW RIDGE letztlich um etwas anderes geht. Mir scheint gerade genau diese geschilderte Hermetik wichtig, die Tatsache dass wir Doss nicht verstehen. Am Ende ist da ein Mann, der von seinen eigenen Überzeugungen abstrahiert, weil er begreift, dass er Teil einer Sache ist, die größer ist als er. Er nimmt für sich nicht in Anspruch, sich da raushalten zu dürfen, weil er es vielleicht besser weiß, weil der Krieg nicht in sein Weltbild passt. Er glaubt vielmehr daran, dass er im Falschen noch etwas Gutes tun, inmitten des Wahnsinns als kleiner Funken der Hoffnung wirken kann. Und er tut es. Das wirft Fragen auf.

Man muss vor allem gegen Ende des Films einige vor Pathos triefende Szenen über sich ergehen lassen, in dem die sakralen Hengste mit Gibson durchgehen, etwa wenn der verwundete Doss auf einer an einem Seil hängenden Bahre von der titelgebenden Klippe heruntergelassen wird und es aus der Untersicht so aussieht, als ob er im gleißenden Licht der Sonne direkt zum Himmel führe. Übel stößt auch die Zeichnung der Japaner als tierhafte Horde kreischender Bestien auf, vor allem weil der Film eben nicht explizit die Perspektive der amerikanischen GIs einnimmt (wie etwa Scotts BLACK HAWK DOWN, den ich gegen ähnliche Vorwürfe verteidigt habe), sondern ja ein sehr viel universelleres Thema behandelt. Vielleicht liege ich auch komplett daneben und HACKSAW RIDGE ist das von vielen Teilen der Filmkritik konstatierte reaktionär-christofaschoide Spektakel eines Antisemiten, eine Apologie der Kriegstreiberei und eine Anklage all jener Menschen, die nicht daran glauben, dass man mit den Mitteln der Gewalt irgendetwas erreicht. Aber zum jetzigen Zeitpunkt muss ich sagen, dass mich Gibsons Film sehr beeindruckt hat.

 

 

 

Der folgende Beitrag ist eine Premiere: Es handelt sich um den ersten Gastbeitrag auf meinem Blog. Vor ein paar Wochen, ich weiß gar nicht mehr genau, worum es ging, fragte mich Stefan Jung im Rahmen einer Facebook-Diskussion, ob ich Interesse hätte, einen Text von ihm zu MAD MAX 2: THE ROAD WARRIOR zu veröffentlichen, den er gewissermaßen in der Schublade liegen habe, ohne zu wissen, wohin damit. Meine heute beendete MAD MAX-Retro ist nun der geeignete Anlass, seinen Text hier zu posten, gewissermaßen als essayistische Vertiefung eines Aspekts, den ich in meinen Rezensionen nur kurz angerissen habe. Ich gebe Stefan sehr gern eine Plattform: Er hat als Mitherausgeber des Buches „Joe Dante – Spielplatz der Anarchie“ fungiert, zu dem ich auch einen Beitrag leisten durfte, und ist nicht nur als intelligenter und begeisterter Filmfreund eine Bereicherung für die hiesige Filmschreiber-Szene, sondern auch ein immens freundlicher Zeitgenosse. Und nun los.

George Millers (*1945) furiose Fortsetzung seines Apokalypse-Actiondramas MAD MAX (1979) lief in Amerika unter dem einschlägigen Titel THE ROAD WARRIOR (dt. Mad Max – Der Vollstrecker). War der erste Film neben seiner direkten Nähe zu den Figuren auch eine Verbildlichung stets variierender (Fahrt-)Tempi, gewann THE ROAD WARRIOR an Breite und Mystik. Der zweite Teil der Saga setzte Maßstäbe hinsichtlich Actionchoreografie, stilsicherer Motivbildung und generell in Bezug auf die Visualisierung eines dystopischen, postapokalyptischen Weltbilds. Zweifellos ein Kultfilm, ein Dekade-prägendes Werk, erlaubt er weitere Begutachtungen.

Erst hier in der Weiterführung der Geschichte um Ex-Polizist Max Rockatansky (Mel Gibson) wird dieser zum wortkargen Gewaltengel stilisiert, der in seinem motorverstärkten Ford Falcon V8 („Interceptor“) einsam die Wüstenstraßen entlangfährt, immer auf der Suche nach dem letzten wertvollen Gut: Benzin. Die Geschichte ist im weiteren Verlauf zügig erzählt: Max hilft einer Gruppe Überlebender, ihr Öl aus der Raffinerie an den Rand der Wüste, in die Freiheit zu bringen und dabei möglichst unbemerkt von den monströsen Menschgestalten – Lord Humungus trug die berühmte Hockeymaske noch vor Jason Voorhees –, die scheinbar eigens aus der Wüste herausgeboren wurden und nur das Recht des Stärkeren kennen. Der Film selbst wirkt dabei wie eine einzige große Verfolgungsjagd, dabei auch wie die Suche nach der Freiheit selbst und beschreibt die Flucht aus dem schroffen Niemandsland, für dessen Entstehung die Menschheit zuvor selbst verantwortlich war. Der atmosphärische Prolog des Erzählers verdeutlicht dies.

So hat Mel Gibson als Max in diesem Film kaum Dialog. Seine Blicke und Handlungen bestimmen sein Wesen, eines von schlummernder, schließlich wahnhafter Energie und dem ultimativen Willen zu Überleben, somit aber auch eines von physischer Malträtierung. Max ist ein Geschändeter inmitten dieses postapokalyptischen Universums, doch für das Wüstenkind, das in diesem Film ebenfalls neu etabliert wird und das zur Gruppe der Überlebenden gehört, ist er ein Held, ein Vorbild und Befreier.

Das spezifisch Eigene an dem zweiten Teil, der ihn merklich vom (ebenfalls sehr gelungenen) Vorgänger absetzt, ist nicht nur die neu stilisierte Bildgestaltung – Mel Gibson arbeitete Jahre später erneut mit Kameramann Dean Semler in APOCALYPTO (2006) zusammen – sondern auch die auffällige Rahmung der Erzählstruktur, die an Anfang und Ende den Erzähler (das Wüstenkind als alter Mann, der sich zurückerinnert) sprechen lässt und zwei entscheidende Dinge vollbringt. Zum einen wird der Bezug zum Vorgänger in Rückblenden (in Vollformat und Schwarzweiß) hergestellt. Der Zuschauer versteht den zweiten Teil also auch, ohne den ersten zuvor gesehen haben zu müssen. Die Rückblenden werden dabei mit Archivaufnahmen von Artillerie-Manövern und Rebellionsstürmen der (realen) Kriegsgeschichte vermischt, sodass der Prolog semidokumentarisch wirkt.

Hier wird ein verstärkter Bezug zur Hauptfigur und ihrer Vorzeit hergestellt – Max wird in den ersten Bildern, zu Beginn des Prologs, bereits als ultimativer Einzelgänger stilisiert, als „Mann, der vor den Dämonen der eigenen Vergangenheit in die Wüste floh und dort, wo alle Hoffnung endet, ein neues Leben begann“, so die altersraue Stimme des Erzählers. Die Sandhölle wird später filmisch mithilfe der Kamera in gleißendes Licht getaucht und stellt gewissermaßen eine Welt ohne Ort und ohne Zeit dar, ein Niemandsland. Das plötzliche (und veränderte) Auftreten der Hauptfigur an diesem exotisch-verruchten Schauplatz kommt einer Legendenfigur gleich und die Stimme des Erzählers tut das Ihrige, diese Stilisierung noch zu verstärken. Im Folgenden wird je ein Ausschnitt aus den beiden Erzählpassagen von Anfang und Ende des Films zitiert, in welchen beide Male Max als einsamer Krieger der Wüstenstraße (Road Warrior) zu sehen ist, und die in Kongruenz zu den beiden Abbildungen stehen (die erste als Ausschnitt des im Kino deutlich kleineren Vollbilds, die zweite im originären Cinemascope-Breitbildformat; motivisch sind beide exakt aufeinander abgestimmt, wirken rahmend).

(Anfang): „Mein Leben neigt sich dem Ende zu, die Bilder verblassen. Alles was noch bleibt, sind Erinnerungen. Sie führen mich zurück in jene Tage, als das Chaos regierte und die Träume keine Zukunft hatten in diesem verwüsteten Land. Aber vor allem erinnere ich mich an einen Mann, den wir Max nannten, den Vollstrecker. Um zu verstehen, was er uns bedeutet hat, müssen wir uns an eine Zeit erinnern, die vergangen ist …“

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(Ende): „Was mich betrifft, ich wurde irgendwann erwachsen und nach einer gewissen Zeit wurde ich zum Führer gewählt. Zum Führer des großen Nordvolkes … Und der Vollstrecker? Das war das letzte Mal, dass wir ihn sahen. Er wird für uns ewig weiterleben – in unserer Erinnerung.“[1]

Fährt die Kamera zu Beginn des Films noch auf die Hauptfigur zu, befindet sich also im allerersten (oben abgebildeten) Filmbild noch weit von ihr entfernt, so ist die Bewegungsrichtung der Kamera am Ende genau entgegengesetzt. Ein Motiv in spiegelbildlicher Reflexion: Wir als Zuschauer verlassen nun den Film und seine albtraumhafte Atmosphäre, wobei die Figur in der Überblendung zunächst groß erscheint (Abb. 2) und schließlich immer kleiner wird. Der Vollstrecker weicht von dannen, so ikonisch, so rein figürlich, wie er zunächst eingeführt wurde, verlässt er – und wir mit ihm – die erzählte Geschichte, die aufgrund ihrer zeitlichen Rahmung wie bereits angesprochen wie eine Legende, gar wie ein Märchen wirkt.

Die Eigenschaft des Antihelden Max als geschädigtes Wesen mit inneren und äußeren Verletzungen – auffällig sind seine Zweckmäßigkeit und Verschlossenheit – offenbart sich in diesem Film viel deutlicher als in den übrigen Teilen der Saga. Hier tritt er sehr wortkarg auf, fast stumm, er ist durch und durch ein „ausgebrannter Einzelgänger“. Gemäß dem Actionkino steht die reine Handlung im Vordergrund, das ist innerhalb der Genreregeln klar – aber ein gezeichneter Protagonist, seine Unfähigkeit, mit anderen Menschen auszukommen, gar seine völlige Stilisierung vom Menschen zum kämpfenden Dämon, das hat schon viel mit einer generellen Figuren-Neubestimmung zu tun. Diese schöpft sich in ihrem Kern aus der Loslösung/Verdrängung der eigenen Vergangenheit bzw. Identifikation. Wie die Stimme des Erzählers in der Einleitung preisgibt: „Er wurde ein Anderer.“ Parallel dazu sehen wir wieder die verschwommenen Erinnerungsbilder des frühen Max in verblassendem Schwarzweiß und erkennen Mel Gibson nur zwei Jahre später in seiner Fortsetzungsrolle kaum wieder: Bezüglich seines Aussehens veränderte sich der Schauspieler innerhalb der ersten Jahre noch markant.

Bezeichnend bleibt zuletzt, dass George Miller, Regisseur aller bisherigen Teile nun auch in seiner jüngsten Installation, MAD MAX: FURY ROAD (2015), wieder auf das markante Motiv des wortkargen Rächers, des dämonischen Antihelden setzt. Im ersten Teil seit dreißig Jahren spielt nun Tom Hardy den geschändeten Max, diese Neuerzählung rund um die Geschichte der ursprünglichen Fortsetzung wurde in jahrelanger Produktion wieder in den Fokus gerückt und setzt hierbei auch erstmals eigene physische Erinnerungsbilder, quasi als semiotische Unterfütterung von Max’ kaputter Psyche, ein.

[1] THE ROAD WARRIOR, Timecodes: 01:04–01:31 und 1.28:49–1.29:17. Die deutsche Übersetzung der Erzählstimme ist nicht immer ganz sinngemäß. So lässt sich beispielsweise das Ende am besten wie folgt übersetzen: „Das war das letzte Mal, dass wir ihn sahen. Nun lebt er nur noch in meinen Erinnerungen.“ Der letzte Satz nimmt somit noch einmal verstärkt Bezug auf die Identifikation über das subjektive Erinnerungsvermögen. Auch wird das Ende der Geschichte stärker untermauert, denn die Erzählung erlischt mit den verblassenden Gedanken des alten Mannes.

Weiterführendes

Video: THE ROAD WARRIOR (Mad Max 2/Mad Max – Der Vollstrecker). 95 Min. AUS 1981. Regie: George Miller. Quelle des Bildmaterials: Warner Bros. DVD (2001), Deutschland. Auch auf Blu-ray erhältlich.
Literatur: Lash, Scott & Urry, John (1994). Time and Memory. In: Economies of Signs and Space. London/Thousand Oaks/New Dheli: SAGE Publications, S. 223–251.
Rüffert, Christine (Hg.) (2004). Zeitsprünge. Wie Filme Geschichten erzählen. Berlin: Bertz.
Schüle, Christian (2011). Im Bann der Erinnerung. In: ZeitWissen, Nr. 2/2011, S. 16–28.
Vollständiges Drehbuch zu THE ROAD WARRIOR: http://www.scifiscripts.com/scripts/madmax2.txt

Kurzbiografie

Stefan Jung lernte das Kino von der Quelle an zu lieben. Wenn er früher noch 35mm-Rollen aufrollen, einfädeln und transportieren durfte, erlaubt ihm heute seine Zeit, vermehrt über das Kino zu schreiben. Texte u.a. für critic.de, Schnitt, Deadline – das Filmmagazin. Den Urheber dieses Blogs lernte er vor allem bei der Zusammenarbeit an ‚Joe Dante – Spielplatz der Anarchie‘ (Bertz+Fischer Verlag, 2014) kennen und schätzen. Ihm ist wichtig, dass das Genre des Fantastischen Films hierzulande wissenschaftliche Beachtung erfährt – aber in erster Linie, dass das Kino als Kunst- aber auch Unterhaltungsform nie verschwinden, sondern stets begeistern wird.

Im Ton markiert MAD MAX: BEYOND THUNDERDOME einen harten Bruch gegenüber den ruppigen, elliptischen, reduzierten ersten beiden Teilen. Er ist leichter, positiver, auch lustiger, ließe sich durchaus mit dem Begriff „Familienunterhaltung“ charakterisieren und scheint sich nicht nur mit dem Stamm allein gelassener Kinder, auf die Max bei seiner Odyssee trifft, an jüngere Zuschauer zu wenden. Ob diese Entwicklung dem Zeitgeist geschuldet war – mich erinnert BEYOND THUNDERDOME in seiner Verbindung von leichtfüßiger Action, fantastischen Elementen und comichaftem Humor sehr an die ersten beiden Indiana-Jones-Filme (sogar das in Brauntönen gehaltene Poster sieht so ähnlich aus) und aufgrund seiner deutlichen Parallelen zu „Peter Pan“ an Spielberg generell –, oder ob Miller, dem ungefähr dreimal so viel Geld zur Verfügung stand wie für MAD MAX 2: THE ROAD WARRIOR, den Druck der Geldgeber spürte, darüber lässt sich wohl nur spekulieren. Auch darüber, ob die Rechnung aufging, kann man durchaus geteilter Meinung sein: MAD MAX: BEYOND THUNDERDOME war ein finanzieller Erfolg, erntete auch durchaus wohlwollende Kritiken, gilt vielen Verehrern der beiden Vorgänger heute aber beinahe schon als Sakrileg, als unentschuldbarer Exkurs Richtung Hollywood-Bullshit. Ich denke, die Wahrheit liegt wie so oft zwischen den Extremen.

Inhaltlich stellt MAD MAX: BEYOND THUNDERDOME ein Spiegelbild des unmittelbaren Vorgängers dar: Wie dort fungiert Max (Mel Gibson) als Führer, der einer Gruppe von Menschen, die noch nicht resigniert haben, sondern an eine Zukunft glauben, hilft, ihr Ziel zu erreichen. Bei dieser Gruppe handelt es sich diesmal um halbwild in einer Art Oase lebende Kinder, die dort nach einem Flugzeugabsturz gelandet sind und ihre Eltern mittlerweile überlebt haben. Als seine Gegner fungieren die Schergen von Aunt Entity (Tina Turner), die eine Siedlung namens Bartertown befehligt, einen Ort voller Halsabschneider und zwielichtiger Gestalten. Entity liegt dort zu Beginn des Films im Clinch mit dem MasterBlaster, einem Lilliputaner (Angelo Rossitto), der in einer symbiotischen Verbindung mit einem riesenhaften Schwachkopf (Paul Larsson) lebt und Entity mit der Kontrolle über die auf Schweinedung beruhende Energieversorgung der Stadt erpresst. Sie gewinnt Max dafür, in der titelgebenden „Donnerkuppel“ gegen den Blaster zu kämpfen und ihre Herrschaft zu sichern. Als Max den Todesstoß verweigert, weil er sieht, dass der Blaster ein geistig Behinderter ist, wird er von Entity in die Wüste verbannt, wo ihn die Kinder finden und in ihm den mythischen Retter „Captain Walker“ erkennen, der sie ins gelobte Land führen soll. Weil Max an dieses gelobte Land nicht glaubt und weiß, welche Gefahren auf die Kinder lauern, verweigert er zunächst die Hilfe. Doch natürlich ändert er seine Meinung, natürlich kommt es am Ende zur erneuten Konfrontation mit Entity und ihrer Armee, natürlich obsiegt der Held und hilft den Kindern (zumindest einigen von ihnen) auf den Weg, natürlich bleibt er zurück. Das Finale zeigt, wie die Kinder sich im vollkommen zerstörten Sidney niederlassen, um dort eine neue Zivilisation zu begründen. Max wird für sie zu einer Art Messias, an den sie sich in Erzählungen erinnern.

MAD MAX: BEYOND THUNDERDOME ist nach den pessimistischen ersten Installationen der Reihe deutlich hoffnungsvoller und verspielter. In Bartertown mögen sich üble Gesellen und Verbrecher herumtreiben, wirklich furchteinflößend wie der Psychopath Toecutter aus MAD MAX, der hysterisch kreischende Wez oder der gesichtslose Lord Humungus aus MAD MAX 2: THE ROAD WARRIOR sind sie aber nicht. Das liegt auch daran, dass sich die Menschheit in diesem dritten Teil bereits in der Neugründungsphase befindet. Der Grundstein für eine neue Zivilisation wurde gelegt und selbst wenn Entity und ihre Untergebenen auch tendenziell schurkische Pläne verfolgen, so handeln sie im Wesentlichen zweckorientiert und rational. Dem Kampf in der Donnerkuppel (den man als Hommage an das Hongkong-chinesische Wire-Fu verstehen kann, mehr als ein Jahrzehnt, bevor es von Hollywood-Blockbustern begeistert aufgegriffen wurde), aber auch der obligatorischen Verfolgungsjagd am Ende fehlen demzufolge der Wahnsinn, das Gefühl des totalen Chaos, das ihren Pendants in den ersten beiden Filmen den Drive gab. Die Dringlichkeit ist weg, stattdessen bemüht Miller einen cartonnesken Humor, der bisweilen an alte Slapstick-Nummern oder Road-Runner-Cartoons erinnert. Ironbar (Rose-Tattoo-Frontmann Angry Anderson), Entitys henchman, darf gleich mehrfach anscheinend das Zeitliche segnen, bevor er sich dann nach etlichen Auferstehungen mit dem alten, heute eher Fremdscham evozierenden Toter-zeigt-Stinkefinger-Gag aus dem Film verabschiedet. Und Max verwandelt sich vom geisterhaften Phantom, vom ziellos die Ödnis patroullierenden Drifter, zum fast selbstironischen Anachronismus: Die Welt ist längst weitergezogen, nur Max kommt aus der alten Masche nicht raus.

Im Zentrum stehen ganz klar die Kinder, und auch wenn MAD MAX: BEYOND THUNDERDOME mit ihrer Etablierung endgültig in den Bereich der Spielbergianischen Peter-Pan-Hommage abgleitet, finden sich in diesem Teil des Films die interessantesten Ideen. Die Kinder haben in der Einsamkeit ein eigenes Vokabular und eine eigene Grammatik entwickelt sowie einen Erlösungsmythos, den sie sich immer und immer wieder erzählen, um an ihrer Hoffnung festzuhalten. Im Videozeitalter geprägt, betrachten sie ihre in Höhlenbildern festgehaltene Geschichte durch einen aus Holz gebauten „Fernsehschirm“ und erwecken die Bilder so für sich zum Leben. Miller knüpft nicht nur an den Diskurs zum Thema „Erinnern“ an, den er in der Rahmung von MAD MAX 2: THE ROAD WARRIOR etablierte, er erinnert uns auch an die Ursprünge des Kinos, an die zivilisatorische Bedeutung von Narration – und natürlich an den Ursprung des Actionhelden im Bereich des Mythischen. Hatte er das Heldenepos zuvor bis aufs Skelett entkleidet, sein nacktes Gerippe bloßgelegt, reichert er es hier wieder mit Details an.

Was man von MAD MAX: BEYOND THUNDERDOME auch halten mag, es lässt sich nicht darüber streiten, dass seine Fotografie bisweilen atemberaubend ist. Die weiße Wüstenei, die sich unter einem endlosen blauen Himmel erstreckt, das wie ein verendetes Tier aus einer Düne herausragende Flugzeug, die sternenklare Nacht, vor der sich die Wandernden als gestochen scharfe Silhouetten abzeichnen, die paradiesische Schlucht, in der die Kinder eine Heimat gefunden haben, die wie Mahnmale in den Himmel zeigenden Wolkenkratzer des zerstörten Sidneys, die wuselige Geschäftigkeit von Bartertown. Es gibt viel zu sehen und  eigentlich keinen Grund, Millers Film nicht sympathisch zu finden. Außer eben diesen einen, der dafür aber einen umso dunkleren Schatten über ihn wirft: Als Fortsetzung der Geschichte von Max Rockatansky fühlt er sich ohne Zweifel wie ein kleiner Verrat an. Als ließe sich der Eindruck der ersten beiden Teile mit der Extradosis Sentimentalität einfach so beiseite wischen. Die 20 Jahre andauernde Pause, die das Franchise danach einlegte, erscheint nach diesem Eintrag keineswegs mehr wie einer Verkettung von Sabotageakten geschuldet: Welche Abenteuer hätte man von diesem besänftigten Max noch erwarten sollen?

Road-Warrior-PosterWie ich in meinem Text zu MAD MAX schon angedeutet hatte, ist es eigentlich dieser Film, das Sequel, das den kurzen, aber heftigen Endzeit-Boom auslöste und vor allem unsere Freunde aus Italien zu unzähligen ihrer herrlichen Rip-offs inspirierte: Castellaris I NUOVI BARBARI (den ich, glaube ich, demnächst mal nachlege), Guerrieris L’ULTIMO GUERRIERO, Carnimeos IL GIUSTIZIERE DELLA STRADA, Martinos 2019: DOPO LA CADUTA DI NEW YORK, Fulcis I GUERRIERI DELL’ANNO 2072, Riccis RUSH oder D’Amatos ENDGAME – BRONX LOTTA FINALE, um nur mal einige zu nennen, die mir spontan einfallen. Kein Wunder: Der Look von George Millers Sequel ist so einzigartig, so einnehmend, so instinktiv „richtig“, dass man seinen Schöpfer kaum genug dafür loben kann. Die mit den aus den geborgenen Überbleibseln einer untergegangenen Zivilisation fantasievoll zusammengebastelten Outfits und Wagen, der in ihnen zum Ausdruck kommende Expressionismus, diese Mischung aus rotziger Fuck-it-all-Attitüde, aus auf den basalen Überlebenswillen reduzierter Lebenslust und selbstaffirmativem Fatalismus traf zu Beginn der Achtzigerjahre, als der Kalte Krieg einem möglicherweise vernichtenden Höhepunkt entgegenbrodelte (zumindest empfand man das damals so), absolut den Nerv. Und sah dazu einfach nur scheißegeil aus, was sicherlich kein Hindernis darstellte. Punk, No Future, New Wave, MAD MAX 2: Das passte einfach.

Inhaltlich stellt das Sequel noch einmal eine Radikalisierung des strukturellen Reduktionismus des Vorgängers dar. MAD MAX 2: THE ROAD WARRIOR spielt im Wesentlichen an einem Schauplatz und läuft während der geduldigen ersten Stunde (ein genialer Wurf, wie sich das Geschehen da zuerst aus der Distanz beobachtet im Blick von Max entfaltet) zielstrebig auf den epochemachenden Showdown zu, der das gesamte letzte Drittel des Films einnimmt, eine selbstmörderische Verfolgungsjagd mit unzähligen irrwitzigen Stunts, geschrotteten Wagen und zermalmten Körpern, eine Oper in Blech, Feuer, Asphalt, Motoröl und Benzin. „Oper“ ist sowieso ein gutes Stichwort, denn George Millers Film ist ganz veräußerlichte Emotion, reines Bild. Es gibt keine Subtilität, keine subkutane Bedeutung, keine Geheimnisse, keine Psychologie, nur Überlebenskampf, Gewalt, Tod und Geschwindigkeit. In seiner mythologischen Qualität greift der Film auf Westernmotive zurück: Auf der einen Seite sind da die braven Siedler, blonde Menschen in weißen Fantasieoutfits, die sich in einer alten Ölraffinerie verschanzt haben, auf der anderen die Wilden um den gesichtslosen Lord Humungus (Kjell Nilsson). Dazwischen tritt mit dem vom Voice-over-Narrator, dem mittlerweile erwachsenen „Feral Kid“ (Emil Minty), als „Road Warrior“ titulierten Max (Mel Gibson) ein ziellos wie ein Geist durch das Niemandsland streunender Endzeit-Shane, ein Unbekannter, ein Mann ohne Vergangenheit und Zukunft, aber einer bis zum Bersten gefüllten Gegenwart. Im Hier und Jetzt ist alles zu gewinnen, alles zu verlieren.

Diese totale Verbildlichung und erzählerische Reduktion macht es – für mich – aber auch deutlich schwieriger, etwas über den Film zu sagen. Wahrscheinlich ist das der Grund, dass mir MAD MAX einen Hauch besser gefällt. Er ist näher an unserer Erfahrungswelt, weniger stilisiert, belebt mit Menschen, die eine Biografie haben, die an unsere erinnert, mit Jobs, Familie, einer Bleibe. Er erlaubt, emotional anzudocken, sich mit seinen Charakteren zu identifizieren, mit ihnen mitzufühlen und zu leiden. Das fällt im Sequel weg, verständlicherweise, denn die Welt, in der es spielt, ist eine andere, fremde, eine Welt mit neuen Gesetzen und Regeln. Sie bietet neue Chancen, sich selbst zu erfinden, neu anzufangen, aber dafür muss zunächst viel Ballast abgeworfen werden. Die Siedler scheinen das zu können, sich einer neuen Zukunft entgegenzuträumen, aber Max wird weiterhin Kilometer fressen, immer auf der Suche nach dem nächsten Tropfen Benzin, immer bereit, sein Leben gegen jene zu verteidigen, die dasselbe wollen und denen er dabei im Weg ist. Er ist, wie ich schon einmal sagte, ein Geist, ein Phantom, er ist das schlechte Gewissen, das uns daran erinnert, wie wir die Welt zerstört haben. (Dieser letzte Shot von ihm mit dem darüberliegenden Voice-over-Kommentar fasst alles, wofür diese Figur für mich steht, kongenial zusammen.) MAD MAX 2: THE ROAD WARRIOR ist so gesehen die beste, konsequenteste Fortsetzung, die Miller machen konnte, die einzig logische Konsequenz aus den vorangegangenen Ereignissen, aus der Entwicklung, die Max vollzog. Und der Film bewahrt diese überwältigende, furchteinflößende körperliche Qualität, die den ersten Teil für mich auszeichnete. Seine Punks sind ein entfesselter, tierischer Haufen schreiender Irrer, die Manifestation der Irrationalität, die Abwesenheit aller Menschlichkeit. Meine Lieblingsaufnahme des Films zeigt sie während der Belagerung der Raffinerie als Silhouette vor der untergehenden Sonne in einer Art heidnischem Ritual. MAD MAX 2: THE ROAD WARRIOR mag den meisten als Vollgas-Actionvehikel (der Begriff macht hier endlich mal Sinn) in Erinnerung bleiben, für mich ist es dieses Bild, das ihn auf den Punkt bringt: Es verkörpert seine Brachialgewalt, diese verstörende, bizarre Fremdartigkeit und die Tilgung aller Grauzonen. MAD MAX 2: THE ROAD WARRIOR fordert totale Unterwerfung.

Wie bei so vielen Filmbegeisterten steht auch bei mir dieser Tage alles im Zeichen von George Millers MAD MAX: FURY ROAD, dem lang erwarteten Sequel/Reboot/Re-Imagining/Whatever seiner mittlerweile vor 30 Jahren „beendeten“ Trilogie. Da die vor wenigen Tagen als Blu-ray veröffentlicht wurde, ein doppelt guter Anlass, sie als Vorbereitung auf den morgigen Kinobesuch aufzufrischen.

Viel ist anlässlich des mit fast schon beängstigend zu nennender Einhelligkeit abgefeierten neuen Films über MAD MAX geschrieben worden. Das mit einem Minibudget von knapp 400.000 australischen Dollar finanzierte Regiedebüt von George Miller wurde vom Start weg zu einem kulturellen Phänomen, machte seinen Hauptdarsteller zu einem der größten Filmstars seiner Zeit, schuf mit seinem Titelhelden eine ikonische Figur, schrieb als Film mit der bis 1999 höchsten Profit-to-Budget-Ratio Filmgeschichte (dann kam THE BLAIR WITCH PROJECT), inspirierte ein ganzes Genre postapokalyptischer Actionfilme und wird noch heute kultisch verehrt und referenziert. Miller und sein Team interpretierten ihre finanziellen Limitierungen zur eigentlichen Stärke ihres Films um. Die an Reduktionismus grenzende Ökonomie der Erzählung, der dreckige Look, die selbstgebastelten Kostüme und Requisiten, die enorme Physis der halsbrecherischen Stunts und der Kameraarbeit: Das alles macht den Film zu dem adrenalinpumpenden Klassiker, der er ist, und trug maßgeblich zu seiner Wirkung bei. So wie George A. Romero mit NIGHT OF THE LIVING DEAD den modernen Zombie aus der Taufe hob, so prägte Millers Film wesentlich unsere Vorstellung davon, wie die Welt der postatomaren Katastrophe aussehen könnte. Sein Einfluss ist in Filmen wie DOOMSDAY oder THE BOOK OF ELI auch heute noch zu spüren. Auch auf allgemeinerer Ebene mag er weiterhin als Inspirations- und Motivationsquelle für junge Filmemacher dienen: Wie Überzeugung und Vision ein Multimillionen-Budget ersetzen, wie die Zurückgeworfenheit auf den Körper, die Kamera und ein paar ramponierte Fahrzeuge einem Actionfilm zu jener Durchschlagskraft verhelfen können, die mit keinem State-of-the-art-Effektteam zu erreichen ist. Die ungebrochene Kraft von MAD MAX sollte Actionfilm-Regisseuren heute noch die Augen für das Wesentliche öffnen.

MAD MAX ist hinsichtlich seiner Rezeption aber auch ein Kuriosum: Denn vieles von dem, was man ihm gemeinhin zuschreibt, trifft eigentlich erst auf seine Fortsetzung zu, den zwei Jahre später entstandenen MAD MAX 2: THE ROAD WARRIOR. Erst dieser Film macht Ernst mit der Zeichnung einer Welt nach dem Atomkrieg, betreibt die Mythologisierung seiner Hauptfigur zum Endzeit-Messias, häuft bizarre Kostüme und zu retrofuturistischen Steampunk-Vehikeln aufgemotzte Karren an. (Das erinnert etwas an die FRIDAY THE 13TH-Reihe, deren größte popkulturelle Schöpfung – der Killer mit der Eishockeymaske – nicht vor dem dritten Teil in Erscheinung tritt.) Das Sequel wird daher von vielen als dem Vorgänger als überlegen angesehen: Sicherlich ist es bildgewaltiger und erfindungsreicher, noch radikaler in seiner No-holds-barred-Actiondramaturgie und Full-throttle-Mentalität, aber ich mag tatsächlich den ersten Teil lieber und versuche hier mal zu erklären, warum.

George Miller hält sich nicht lang mit einer Exposition auf: MAD MAX beginnt mit dem Blick auf seine Protagonisten, die männlichen Mitglieder der motorisierten „Main Force Patrol“, einem bunten Haufen ruppiger, ungeschliffener, aber enthusiastischer Haudegen, die mit ihren grell bemalten Muscle Cars die endlosen australischen Highways einer nicht weit entfernten Zukunft patroullieren. Ohne weitere Erklärung werden sie mit dem „Nightrider“ (Vincent Gil) konfrontiert, der sich mit seiner hysterischen Beifahrerin auf einer tödlichen Amokfahrt befindet und nun von den Helden verfolgt wird. Aller Versuche, ihn zu stoppen, scheitern, bis sich Max Rockatansky (Mel Gibson) einschaltet, der bis dahin ruhig auf seinen Moment gewartet hat. Es dauert nur wenige Sekunden, bis der „Nightrider“ weiß, dass sein letztes Stündlein geschlagen hat. Als er Max im Rückspiegel heranrasen sieht, bricht er in Tränen aus wie ein kleines, verängstigtes Kind. (was für eine irrsinnige Idee!) Wenig später kracht er in einen hinter einer Anhöhe liegengebliebenen Wagen und explodiert in einem leuchtenden Feuerball. Man kann einen Actionfilm nicht besser beginnen: Alles, was der Zuschauer wissen muss, ist in diesen ersten Minuten enthalten, die die Spielregeln darlegen, ohne dabei jedoch in langweilige Erklärungen zu verfallen. Es ist genau dieser Verzicht auf Exposition, dem MAD MAX seine immense Wucht und seine anhaltende Faszinationskraft verdankt. Die Welt von MAD MAX wird nie vollkommen auserzählt, lediglich skizziert. Was ihren desolaten Zustand heraufbeschworen hat, welcher Autorität die Main Patrol Force untersteht, wie der Staat, in dem der Film angesiedelt ist, organisiert ist, warum sich das Verbrechen ganz auf das motorisierte Marodieren verlegt hat, bleibt ungeklärt. Anstatt aber zu verwirren, trägt dieser Verzicht zur stärkeren Immersion des Zuschauers bei. Man ist sofort drin im Film und seine Welt erscheint dem Betrachter umso glaubwürdiger, als sie als vollkommen selbstverständlich behandelt wird. Im Actionfilm geht es im Wesentlichen um Vektoren, um Start und Ziel und die Bewegung zwischen diesen beiden Punkten, und George Miller hat einen Film gemacht, der dieser Idee ganz und gar verpflichtet ist. Es gibt eine Straße, einen Feind, Gaspedal und Bremse und die Distanz, die die beiden Parteien voneinander trennt. Sonst ist da nichts mehr.

Aber dieser Reduktionismus hat noch eine andere Wirkung: MAD MAX gewinnt in seiner Simplizität und dank David Eggbys unglaublicher Kameraarbeit (der Film erhebt das Aufziehen, Zurück- und Heranfahren zu einer eigenen Kunstform) eine verstörend frontale Direktheit und Drastik, die alles, aber auch alles befällt. Der wahnsinnige Toecutter fällt mit seinen grunzenden Kumpanen in ausgestorbene Ortschaften ein und macht sich einen Spaß daraus, die letzten übrig gebliebenen Bewohner zu quälen. Hysterisch kichernd vergewaltigen und morden sie, als bettelten sie förmlich darum, Einlass in die Hölle zu erhalten. Ihre Opfer, wenn sie denn überleben, rennen wie verängstigte Tiere mit nacktem Hintern in die endlose Ödnis des Landes, oder dienen als zu Briketts verkohlte Monstren allerhöchstens noch als Schreckgespenster (eine furchteinflößende Szene, wenn Max seinen alten Freund Goose – oder was von ihm übrig ist – im Krankenhaus besucht). Dazu dröhnt der Score mit seinen sirenenhaften Fanfaren, die wie die hilflosen Klageschreie verendender Dinosaurier klingen. Alles ist längst verloren. Auch der Held stellt in dieser hoffnungslosen Welt keine leuchtende Ausnahme dar: Das blinde, wortlose Verständnis zwischen ihm und seiner Frau Jessie (Joanne Samuel) scheint von Anfang an auf einer tief in seinem Inneren liegenden Verwundung zu gründen. Es ist eben jener Wahnsinn, von dem der Titel spricht, der Max für seine Tätigkeit überhaupt erst befähigt, zuerst noch zurückgehalten, dann schließlich akzeptiert wird. Die Parallelen zwischen Gibsons Darbietung hier und jener in Donners LETHAL WEAPON sind so frappierend, dass es mich wundert, nie zuvor darauf gestoßen zu sein (sogar Riggs‘ Wohnort, der Trailer am Strand, scheint von Max‘ Bleibe inspiriert). Er steht selbst kurz vor dem Absturz, steigt lieber aus, bevor er so wird wie die Amokläufer um den Toecutter, aber natürlich ist es dafür längst schon zu spät. Liebe, ein Familienleben in Frieden, das sind nur Illusionen. Aber wenn Max nach dem Tod seines Kindes und der schweren Verletzung seiner Frau mit leerem Blick in sein Auto steigt, um Rache zu üben, ist das nur bedingt eine Niederlage. Dieser Max ist dazu bestimmt, auf den Straßen zu patrouillieren wie ein Geist, sich mit PS-starken Boliden auf Hochgeschwindigkeit zu beschleunigen und mit dem Gesindel aufzuräumen. Am Ende dreht er sich noch nicht einmal um, als er den feigen Johnny (Tim Burns) zum Teufel jagt. Es geht von hier nur noch nach vorne, auf den Horizont zu, den man nie erreicht, egal, wie weit man das Gaspedal auch nach unten drückt.

Die EXPENDABLESReihe ist irgendwie seltsam.

Als vor rund sechs Jahren die Kunde umging, das Sylvester Stallone mit einer ganzen Horde alter Action-Recken einen Söldnerfilm drehe, da war die Euphorie riesig. Auch der erste Trailer, der schmerzhaft deutlich machte, dass man keinen Throwback in selige alte Zeiten erwarten durfte, konnte daran nichts ändern. Der Film, der dann ins Kino gelangte, war nun aber keineswegs vom Ehrgeiz alter Männer geprägt, den Jungen noch einmal zu zeigen, was eine echte Harke ist, sondern von geradezu aufreizender Entspanntheit. Kein Vergleich zu Stallones ultrabrutalem, in fiebrigem Zorn inszeniertem JOHN RAMBO. THE EXPENDABLES kam nicht in seinen eher enttäuschenden Actionszenen zu sich, sondern im von Harmonie geprägten Miteinander seiner Charaktere. Der ganze Film wirkte tatsächlich wie ein Treffen alter Kumpels, bei dem nebenbei und eher zufällig auch noch ein Film entstanden war. Ich fand gerade das sehr schön, doch offensichtlich sahen die Macher den Grund für den Erfolg des Revivals ganz woanders. Für THE EXPENDABLES 2 wurde die Riege der alten Männer noch einmal erweitert, Jean-Claude Van Damme, Chuck Norris und Scott Adkins wurden eingebunden, die Cameos von Arnold Schwarzenegger und Bruce Willis zu vollwertigen Nebenrollen umgeschrieben. Das Budget wurde nach guter, alter Sequellogik aufgestockt, mit Simon West ein Regisseur verpflichtet, der nicht gerade im Ruf steht, ein Traditionalist oder Handwerker alter Schule zu sein, der ganze Film noch mehr in Richtung Altherren-Kaffeefahrt gebürstet, die mich mit ihren nervtötenden Ausflügen in den ironisch-selbstreferenzielle *Wink-wink*-Metahumor massiv angenervt hat. Hier war endgültig klar, dass man nicht die Tradition im Blick hatte, sondern all die Fans, die den Actionfilm im Grunde genommen total bescheuert finden, sich aber auch noch dann vor Freude in die Hosen machen, wenn Arnie zum hundertsten Mal „I’ll be back!“ stammelt. Furchtbar.

Meine Hoffnungen hinsichtlich THE EXPENDABLES 3 waren demzufolge mehr als gering, eigentlich sogar nahezu inexistent und das nochmalige Aufstocken des eh schon unübersichtlichen Casts ließ Schlimmstes befürchten, zumal man durchaus geteilter Meinung darüber sein darf, ob Leute wie Antonio Banderas, Harrison Ford oder Kelsey Grammer hier überhaupt reingehörten. Dass mit Patrick Hughes ein namenloser Newcomer auf den Regiestuhl gesetzt wurde, stimmte auch nicht eben hoffnungsfroh. Aber erstaunlicherweise ist durchaus eine Art „Rückbesinnung“ zu konstatieren: Der Film kommt nicht mehr als debile, übersteuerte Gagparade rüber, sondern als weitestgehend „ernster“ Actionfilm mit komischen Elementen, der wieder einmal die Kameradschaft der alten Recken betont. Mit dem ersten Teil hat er aber auch die Tatsache gemeinsam, dass die Actionszenen – auch wenn sie in der Summe fast die gesamte Spielzeit einnehmen – sehr middle-of-the-road anmuten. Wirklich hängen bleibt da nichts, Momente, in denen man mitfiebert, aufspringen möchte oder auch einfach nur „Fuck yeah!“ denkt, sind Mangelware. Wie schon im direkten Vorgänger ist ein von Stallone mit seiner unnachahmlich gutturalen Stimme gemurmelter One-Line das einsame Highlight. Wenn Mel Gibsons Oberschurke, der Waffenhändler Blackstone, seinen alten Kumpel Barney (Sylvester Stallone) daran erinnern will, dass er ihn lebendig vor dem Gerichtshof in Den Haag (englisch: The Hague) abzuliefern habe, sagt der nur staubtrocken „I am The Hague!“ und knallt den Halunken nieder. Hose: Geplatzt, Mind: Blown, Mission: Accomplished. THE EXPENDABLES 3 sollte eigentlich voll sein mit solchen Momenten, stattdessen wirkt er aufreizend selbstzufrieden, mit lässiger Geste hingeworfen von Leuten, die glauben, dass die geballte Zugkraft ihrer Namen auf dem Plakat schon die halbe Miete ist. Das finde ich, wie schon beim ersten Teil, durchaus sympathisch, aber ein richtig guter Film wäre mir dann doch noch ein Stück lieber gewesen. Die Rechnung ging dann ja auch nicht auf: Nachdem die ersten beiden Filme noch rund das Dreifache ihres Budgets eingespielt hatten, reduzierte sich das mit dem dritten Film auf das Doppelte.

Es ist tatsächlich schwer, für THE EXPENDABLES 3 echte Emotionen aufzubringen, was an sich ja schon ein kleiner Skandal ist: Klar, es ist einfach schön, diese Typen da vereint auf der Leinwand zu sehen, ihnen dabei zuzuschauen, wie sie im großen Stil Sachen kaputt machen. Antonio Banderas ist als liebenswerter Dauerschwätzer Galgo durchaus putzig, Mel Gibson als Schurke wie zuvor schon Jean-Claude Van Damme ein Höhepunkt (diese Szene, in der er ganz langsam, fast bedächtig eine Treppe hochzugleiten scheint) und einen Gastauftritt von Robert Davi werde ich eh immer zu würdigen wissen. Ich finde es auch angenehm, dass dieser Film nicht mit großer Dominanzgeste inszeniert wurde, sondern fast bescheiden anmutet, dass es innerhalb des ganzen Getöses am Ende des Tages um die Freundschaft dieser Typen geht (auch wenn die Screentime jedes einzelnen kaum noch der Rede wert ist). Bei allem Technik- und Effektbrimborium bewahrt der Film seinen menschlichen Kern, was ihm sein „Alleinstellungsmerkmal“ beschert und auch seinen Reiz ausmacht. Auch Kurzweiligkeit kann man THE EXPENDABLES 3 nicht absprechen. Das ist eine Basis, auf der sich etwas Wunderbares aufbauen ließe, der erste Schritt, auf den dann ein zweiter und dritter folgen müssten. Leider scheinen dazu aber weder der Wille vorhanden gewesen zu sein, noch ausreichend Energie oder Kreativität. Tatsächlich bestätigen die EXPENDABLES-Filme letztlich genau das, was sie eigentlich zu widerlegen angetreten waren: Dass die Beteiligten nämlich tatsächlich entbehrlich geworden sind. Und darüber täuschen sie auch nicht hinweg, indem sie einen besonders farblosen Trupp Jungspunde rekrutieren.

Basic CMYKZugegeben, LETHAL WEAPON 4 ist nicht so öde und lahmarschig wie der direkte Vorgänger, aber dafür so dermaßen übersteuert, dass er kaum weniger nervtötend wirkt. Seinerzeit fand ich ihn wohl ziemlich spektakulär und aufregend, die Melange aus Action und gefühlsduseliger Familienkomödie aber schon damals streitbar, weder wirklich zufriedenstellend noch gar überzeugend. Heute, knapp 15 Jahre später stehe ich dem Film gegenüber wie ein Höhlenmensch, der plötzlich mit Lady Gaga konfrontiert wird: Ich verstehe ihn nicht. Der Film suggeriert mir, dass mir das, was ich da sehe, ein Riesenvergnügen bereiten sollte, aber je überzeugter der Film von seinem Gelingen ist, umso mehr hat er mich befremdet und abgestoßen. Da ist diese wirklich grau-en-haf-te Szene, in der Riggs (Mel Gibson), Murtaugh (Danny Glover) und ihr neuer Partner Butters (Chris Rock – weil dieser Film nichts so sehr braucht wie noch einen Spaßvogel) sich in das Behandlungszimmer einer Zahnarztpraxis schleichen, um einen dort wartenden  Verdächtigen mithilfe von Lachgas zu verhören. Natürlich bekommen auch Riggs und Co. mehr als eine Brise des Betäubungsmittels ab, und die ganze Szene endet in unbändigem Gelächter und Lachkrämpfen, die an die Darbietungen einer mittelmäßigen Impro-Theatergruppe erinnern. Die Differenz zwischen meinem Gemütszustand und dem der Protagonisten hätte während dieser Szene kaum größer sein können. Nicht nur ist das ganze Lachgas-Szenario grauenhaft altbacken ist (es hilft nichts, dass Donner seit LETHAL WEAPON immer und immer wieder die Three Stooges referenziert, um sich abzusichern): Es ist einfach erschreckend unwitzig.

Der sich in dieser Szene niederschlagende Mangel an Selbstreflexion – Richard Donner scheint mir wirklich ein bemerkenswert dummer Mensch zu sein – zeichnet den ganzen Film aus. Hat denn wirklich keiner gemerkt, dass dieser Riggs ein grotesk unsympathisches Arschloch ist, mit seiner Herablassung gegenüber Schwächeren, seinem unverhohlenen Hass auf die Chinesen, die hier das Schurkenpersonal stellen, seiner Bully-Mentalität und seinem Sexismus? Besonders ätzend gerät der unvermeidliche Auftritt der Polizei-Psychologin: Nachdem sie ihm erneut eine Therapie angeraten hat (gähn!), stellt Riggs sie vor versammeltem Polizeirevier bloß, indem er ihr sexuelles Interesse an ihm unterstellt. Klar, dass ein selbstverliebter Geck wie er sich nicht vorstellen kann, dass eine Frau aus einem anderen Grund mit ihm spricht. Und wie idiotisch sich alle verhalten! Riggs erfährt in der Eröffnungsszene von Murtaugh, dass Lorna (Rene Russo) von ihm schwanger ist, weil sie sich nicht getraut hat, es ihm selbst zu sagen. In den folgenden 120 endlosen Minuten vollführen die beiden Endvierziger einen Eiertanz um die Frage, ob sie heiraten sollen: Man fühlt sich wie im Kindergarten. Murtaughs Tochter Rianne hat ihrerseits nicht nur ihre Schwangerschaft vor ihrem Daddy geheim gehalten, sondern gleich auch noch ihre Heirat einschließlich Ehemann. Die Versuche des Inkognito-Schwiegersohns Butters, sich bei Murtaugh beliebt zu machen, missversteht dieser „natürlich“ als die Avancen eines Schwulen. Es ist wirklich beeindruckend, wie würdelos sich Erwachsene verhalten können. Oder vielmehr: Was Donner so alles für lustig hält. Alles aus ist dann am Schluss, wenn es eine rührselige Ansprache von Leo Getz (Joe Pesci) gibt, der nunmehr seit drei Filmen übelste Demütigungen und Beschimpfungen über sich ergehen lassen musste und trotzdem vor lauter Dankbarkeit fast vergeht. Die zwei, drei netten, wirklich witzigen Momente – etwa das Mantra-artig wiederholte „I’m not too old for this shit!“, eine auf-den-Kopf-Stellung von Murtaughs Lieblingsspruch, mit der die beiden ihre unleugbaren Alterserscheinungen wegbeten wollen – fallen bei der Anzahl schmerzhaft-idiotischer Einfälle kaum ins Gewicht.

Von der Actionfront gibt es leider kaum Positiveres zu vermelden. Es kracht, wie erwähnt, etwas mehr als im dritten Teil, aber wirklich mitreißend ist das alles nicht. Der Erfolg einer spektakulären Verfolgungsjagd wird massiv dadurch geschmälert, dass man Gibsons Stunt-Double allzu oft allzu gut erkennen kann, Jet Lis Martial-Arts-Künste sind weitestgehend verschenkt, zumal seine Rolle mit „eindimensional“ noch reichlich wohlwollend beschrieben ist. Nee, nee, das ist alles nichts. Vielleicht ist LETHAL WEAPON 4 einfach schlecht gealtert, vielleicht ist man bei der gerechten Einschätzung des Films auch durch Gibsons Eskapaden in den  letzten Jahren beeinträchtigt. Aus heutiger Warte kann ich mir jedenfalls kaum erklären, warum ich diesen Film nicht damals schon gehasst habe. Ein eindrucksvolles Beispiel, dass Älterwerden mitnichten bloß körperlichen und geistigen Verfall bedeutet, sondern manchmal auch mit einer begrüßenswerten Weiterentwicklung einhergeht.

lethal-weapon-3-pLETHAL WEAPON 3 ist eine Katastrophe. Ein komplett unerträgliche Angelegenheit, die alles, was man schon in den beiden Vorgängern nur ausgehalten hat, weil das Gesamtpaket stimmte, auf epische Breite auswalzt und in noch einmal runtergedummter Version präsentiert – und dabei dann auch noch vergisst, wenigstens ordentlich Rabatz zu machen. Der Film beginnt mit der besten Szene – Riggs (Mel Gibson) jagt bei dem Versuch, eine Bombe entschärfen, ein Hochhaus in die Luft – und hat danach rein gar nichts mehr zu bieten. Jener Auftakt wurde dann damals auch marketingtechnisch weidlich ausgeschlachtet: Dass man eine echte Häusersprengung als Hintergrund benutzte, empfand man seltsamerweise als erwähnenswerte News und nicht etwa als billige Abkürzung der Filmemacher. Von diesem netten Einstieg an geht es nur noch bergab. Die ganz lustige Idee, die beiden Chaos-Cops zum Streifendienst zu verdonnern, wird nach einer kurzen Szene wieder verworfen, bevor sie wirklichen Ertrag eingefahren hat (immerhin dürfen die beiden Helden auf die ihnen eigene „sympathische“ Art einen arglosen Bürger drangsalieren). Der eigentliche Plot um einen Ex-Cop, der sein Insider-Wissen nutzt, um beschlagnahmte Waffen aus der Asservatenkammer zu stehlen, und diese dann samt Teflon-durchschlagender „Cop-Killer“-Munition an Street Kids verhökert, kommt nie in die Gänge. Ständig ist irgendein anderer Schwachsinn wichtiger: Leo Getz (Joe Pesci), der sich nun als geschwätziger Immobilienmakler verdingt, Murtaughs (Danny Glover) Haus verkaufen will und nach einer harmlosen Schussverletzung auf Geheiß seiner beiden feinen Freunde Darmspiegelung und Rektaluntersuchung erhält. Die sich anbahnende Beziehung zwischen Riggs und der Internal-Affairs-Beamtin Lorna Cole (Rene Russo). Das Drama um Murtaugh, der wenige Tage vor seiner Pensionierung in Notwehr einen auf die schiefe Bahn geratenen Freund seines Sohnes erschießt. Der ganze Film ist eine Ansammlung von Satelliten-Ideen, die aufgrund des Verlustes ihres Gravitationszentrums orientierungslos im Nichts schweben, weitab der Umlaufbahn, die ihnen vielleicht einmal Sinn verliehen hat. Der Oberschurke Jack Travis (Stuart Wilson) absolviert hingegen kaum mehr als gelegentliche Gastauftritte, damit man nicht vergisst, dass LETHAL WEAPON 3 ein Actionkrimi sein soll, und gerät zur totalen Non-Entität: Seine Motivation, sein Plan, das alles ist kaum von Interesse und wird dann lediglich zwischen Tür und Angel abgewickelt, weil man es nicht einfach ganz weglassen wollte. Der Showdown in einer nicht fertig gestellten Neubausiedlung wird zwar mit viel Tamtam und Gerumms inszeniert, wirkt aber verglichen mit den Actionszenen der Vorgänger wie aus einer Videopremiere geklaut. Man mag kaum glauben, dass die Köpfe hinter der Serie, die in den vorangegangenen Installationen vielleicht nicht sonderlich inspiriert war, aber für sich doch immerhin in Anspruch nehmen konnte, das Hollywood’sche Achterbahnversprechen ohne Einschränkungen einzulösen, sich zu diesem auf allen Ebenen enttäuschenden Rohrkrepierer hinreißen ließen und dafür noch nicht einmal die entsprechende und verdiente Quittung an den Kinokassen erhielten.

Inhaltlich wird die im Vorgänger schon angedeutete Richtung indessen konsequent weiterverfolgt: Riggs bekommt endlich die Frau zur Seite gestellt, die ihn zügeln und das Wasser reichen kann. Rene Russo absolviert als schlagkräftige Polizeibeamtin fast mehr Actionszenen als Gibson und die Szene, in der die beiden ihre Narben miteinander vergleichen, ist dann auch ein weitestgehend einsamer, wenn auch wenig origineller Höhepunkt des Films. Ein regelrechtes Ärgernis stellt hingegen wieder einmal der Auftritt der Polizeipsychologin Dr. Stephanie Woods (Mary Ellen Trainor) dar, deren unermüdliche, seit dem ersten Teil währenden Bemühungen, Riggs zu einer Therapie zu überreden, mittlerweile deutlich stalkerhafte Züge annehmen. Ein besonders frappierendes Beispiel für den ätzenden Anti-Intellektualismus, Sexismus und Chauvinismus, die die Reihe zwar von Beginn an begleiten, zuvor aber noch offensiv angegangen und daher produktiv zur Wirkung gebracht werden konnten. Der dritte Teil ist nur noch spießig und borniert, dabei aber auch noch jeder kontroversen Härte beraubt (als einziger der Reihe ging er in Deutschland mit 16er-Freigabe durch). Das liegt eben daran, dass die Ausgangsidee der Serie, die Paarung eines braven Familienmanns in den besten Jahren mit einem trainierten und an Depressionen leidenden Killer, im dritten Teil längst passé ist. Klar, Riggs muss sich auch hier mal wieder schmerzhaft die Schulter aus- und wieder einrenken (noch so eine alte, aufgewärmte Idee), und ab und zu darf er noch gefährlich mit den Augen rollen, doch eine tödliche Waffe, eine Bedrohung auch für das eigene Leben, ist er längst nicht mehr. Seine Kanten sind abgeschliffen, sein Schmerz gestillt. Papa hat ihn heim ins Reich geholt, wo der Kleingeist, der er ist, gänzlich reflexionsfrei seinem Omnipotenzwahn nachgehen und seine Polizistenmacht missbrauchen darf, um all jene zu gängeln, die nicht in sein begrenztes Schema passen. Aber das größte Vergehen von LETHAL WEAPON 3 ist noch etwas anderes: Dass Donner noch nicht einmal in der Lage ist, selbst ein Mindestmaß an Interesse für diese Figuren aufzubringen oder seinen Film wenigstens mit einem Tempo zu inszenieren, bei dem einem nicht vor lauter Langeweile die Füße und die Arschbacken einschlafen.