Nachdem ich nun etliche Filme von Michael Winner nachgeholt und seine Autobiografie gelesen habe, bin ich nur wenig klüger als vorher. Sein Ruf als Filmemacher ist nicht unbedingt der beste gewesen: Nicht nur wird er oft für seine politische Gesinnung kritisiert und von ehemaligen Weggefährten als Arschloch und Misogynist bezeichnet, auch seine handwerklichen Fähigkeiten werden mitunter in Frage gestellt. Die Leichtigkeit seiner frühen Brit-Klassiker (THE SYSTEM, THE JOKERS, I’LL NEVER FORGET WHAT’S ‚ISNAME) war schnell verschwunden und wich einer bisweilen bleiernen Klobigkeit, die man durchaus abstoßend finden kann. Dass er seine Filme gern dazu nutzte, sein Publikum zu provozieren, oft um der reinen Provokation Willen, trägt zu diesem Eindruck bei. Ich weiß nicht, ob Winner wirklich so an Film als Kunst interessiert war: Auch wenn er in seiner Autobiografie schreibt, wie gern er in seiner Kindheit und Jugend ins Kino gegangen ist, spürt man nur wenig Leidenschaft oder gar Liebe zur Kunst in seinen Filmen. Es fühlt sich für mich so an, als sei die Entscheidung, Regisseur zu werden, aus reinem Klakül gefällt worden: Winner wusste, dass er mit Filmen die meisten Menschen würde erreichen können und demnach auch die größtmögliche Wirkung erzielen.
SCREAM FOR HELP ist heute kaum noch zu erklären. Winners Stern war in den Achtzigerjahren bereits im Sinkflug, von der einstigen Hoffnung des britischen Kinos war nicht mehr so viel übrig, ein Superhit wie DEATH WISH schien bereits ganz außer Reichweite. Aber kurz zuvor hatte er immerhin noch mit Faye Dunaway und John Gielgud zusammengearbeitet und ein Jahr später sollte er Charles Bronson eine weitere Rückkehr als Paul Kersey bescheren. In der Gegenwart von Stars fühlte Winner, der sich bereits als Jugendlicher das Taschengeld als Film- und Societyjournalist aufgebessert hatte, immer wohl: Was also bewog ihn dazu, SCREAM FOR HELP zu drehen, einen zwar recht spannenden, aber doch auch irgendwie unspektakulären kleinen Thriller (für den er immerhin Led-Zeppelin-Bassist John Paul Jones als Komponisten gewinnen konnte)? Vielleicht wollte auch Winner seine Hitchcock-Hommage drehen, aber von dessen Eleganz ist er mit dem mitunter grotesk plumpen, sleazigen Schocker weit entfernt. Was nicht heißt, dass SCREAM FOR HELP ohne Meriten ist, denn Sleaze und Geschmacksunsicherheit sind ja auch was Feines.
Die Teenagerin Christie Cromwell (Rachael Kelly) hat ihren Stiefvater Paul Fox (David Allen Brooks) im Verdacht, ihre Mutter (Marie Masters) umbringen zu wollen, seit sie ihn bei der Maipulation eines Sicherungskastens erwischt hat, dem wenig später ein Elektriker zum Opfer fiel. Sie beobachtet ihn beim Tête-à-tête mit einer anderen Frau, die offensichtlich seine Ko-Konspiratorin ist. Aber niemand will Christie glauben, auch nicht als sie selbst Zielscheibe diverser Mordanschläge wird …
Drehbuchautor Tom Holland hat für Winner eigentlich einen recht hübschen Paranoia-Thriller geschrieben, der in seinem Schlussdrittel mit einem unerwartet spannenden Belagerungsszenario aufwartet: Von den Schurken in ihrem Haus gefangen genommen, müssen sich Mutter und Tochter gemeinsam ihres Lebens erwehren und wachsen dabei über sich hinaus. Das ist auch deshalb so effektiv, weil Winner die Auseinandersetzungen mit einer ruppigen Härte inszeniert, die man von den in den frühen Neunzigern reüssierenden Home-Invasion-Hochglanzthrillern, die SCREAM FOR HELP etwas vorwegnimmt, eher nicht kennt. Trotzdem ist es nicht ganz leicht, diesen Film so richtig einzuordnen. Die sich durch den ganzen Film ziehende Thematisierung jugendlicher Sexualität läuft der eigentlichen Handlung fast den Rang ab und verblüfft mit geschmacksunsicherer Schmierigkeit, an der zumindest Winner unverkennbar einigen Spaß hat. Protagonistin Christie ist vielleicht keine ausgesprochene Asketin und sie bekommt ja dann auch eine Sexszene mit ihrem Schulfreund Josh (Corey Parker), aber trotzdem sind ihr das orgiastische Rein-Raus und der Austausch von Körperflüssigkeiten der Erwachsenen, aber auch ihrer Freundin Janey (die prompt schwanger wird) einigermaßen suspekt. Als sie ihren Stiefvater beim aggressiven Doggystyle-Sex erwischt, stößt sie der Anblick so sehr ab, dass sie jede Lust auf eigene erotische Betätigung verliert. Das etwas gestelzte Spiel der Jungdarsteller, die Art wie sie die eh schon nicht besonders eleganten Dialogzeilen intonieren und unfreiwillig komisch erscheinen lassen, stützt den Eindruck, dass es hier um jugendliches Unbehagen allgemein geht. Die Angst vor der eigenen wie auch der Körperlichkeit des anderen ist es, die auch Christies Verdacht gegenüber ihrem Stiefvater beflügelt. Dass sie damit Recht hat, ist eher der Genrekonvention geschuldet.
Ein kleines Trivia-Nugget noch zum Abschluss: In Deutschland erschien SCREAM FOR HELP unter dem bescheuerten Titel SPUR IN DEN TOD. Als ein paar Jahre später Joseph Rubens erstklassiger STEPFATHER herauskam, der ein ganz ähnliches Thema hat, erinnerte sich der deutsche Verleih an Winners Film und machte kurzerhand SPUR IN DEN TOD 2 daraus. Bei STEPFATHER 2 besann man sich dann wieder – oder machte das Chaos vielmehr perfekt, indem man den Originaltitel übernahm, obwohl es den ersten Teil in Deutschland ja streng genommen gar nicht gab. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?