Mit ‘Peter Carsten’ getaggte Beiträge

Die letzten KOMMISSAR-Sitzungen liegen lang, nämlich fast drei Jahre, zurück: Ein langes, kinderloses Wochenende schien mir der ideale Zeitpunkt, die Sichtung fortzuführen und erneut einzutauchen in die von Reinecker protokollierte, mit Zigarettenrauch und Bierduft durchwaberte Welt des Bürgertums. Mehr noch als DERRICK ist DER KOMMISSAR comfort food, perfekt für die bevorstehende Zeit um Feiertage und Jahreswechsel, wenn der geschäftige Trubel Platz macht für Vorfreude und Entspannung. Im Gegensatz zum kalten Stephan Derrick vermittelt Kommissar Keller (Erik Ode) diese altväterliche, kompromisslose, aber im Kern wohlmeinende Strenge – wie der Weihnachtsmann, der am Ende des Jahres mit prüfendem Blick in sein schlaues Buch die ungezogene Spreu vom artigen Weizen trennt. Mir fiel diesmal auf, dass DER KOMMISSAR manchmal fast wie eine Familienserie rüberkommt: Im Zentrum also der strenge Papa, der seine „Jungs“ (er nennt sie mehrfach wirklich so) Grabert, Heimes und Klein an der langen Leine laufen lässt, um sie aufs Leben vorzubereiten, am Rande das treue „Rehbeinchen“, das dazu Stullen und Bier serviert und manchmal auch einen guten Tipp hat. Die Serie ist wunderbar, gemütlich wie ein alter, vertraut müffelnder Sessel, toll auch, um dabei sanft wegzudösen – und immer wieder für Überraschungen, Begeisterung, Gelächter und offene Münder gut.

 

Episode 056: Tod eines Hippiemädchens (Theodor Grädler, Deutschland 1973)

Der Kollateralschaden der langen Pause: Diese Episode habe ich damals noch gesehen, aber dann vergessen, einen Text darüber zu schreiben.

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Episode 057: Das Komplott (Wolfgang Staudte, Deutschland 1973)

Der Büroangestellte Andreas Steintaler (Udo Vioff) ist nach Dienstschluss noch im Büro, als ihn sein Chef per Telefon zu sich bestellt. Steintaler findet Sekunden später nur noch die Leiche und einen leeren Tresor vor und verständigt die Mordkommission. Die nimmt ihm seine Geschichte aber nicht ab: Wie soll der Täter in der knappen Minute, die der Angestellte von seinem Arbeitsplatz ins Büro des Chefs brauchte, einen Mann erschossen, einen Tresor geleert, alle Spuren verwischt haben und dann auch noch unbemerkt entkommen sein? Als das vermisste Geld kurz darauf an Steintalers Arbeitsplatz gefunden wird, scheint er als Mörder überführt. Dennoch hält er an seiner Geschichte fest. Es scheint, als wolle jemand ihm den Mord in die Schuhe schieben.

Der Kriminalfall ist trickreich gescripteter Standard mit einer allerdings superabsurden Auflösung, die ich hier nicht verraten möchte, bei der aber der immer tolle Charles Regnier überaus passend zum Einsatz kommt. Reineckers Hauptaugenmerk liegt wieder einmal auf dem verlogenen großbürgerlichen Ringelpiez um den eigentlichen Mordfall und er fährt eine beachtliche Schar an suspekten Gestalten auf: Die mondäne Gattin des Toten (Ursula Schult) hat ein Verhältnis mit Steintaler und kann sich nicht im Geringsten dazu durchringen, die trauernde Witwe zu spielen. Dasselbe gilt für ihre beiden Töchter (Ingrid Steeger & Barbara Stanek). Ihr zur Seite steht der hypernervöse Dettmann (Leopold Rudolf), seit Jahrzehnten ein treuer Diener des Toten, dessen anfängliche Fassung immer mehr zum Teufel geht, bevor er in einer eindrucksvollen Szene vor seiner Familie komplett die Nerven verliert. Als sein arroganter, selbstverliebter und aufreizend ungerührter Sohn gibt Wolf Roth eine frühe Kostprobe jenes Typus, den er später noch einige Mal bei DERRICK perfektionieren sollte. Leicht über dem Durchschnitt angesiedelt, ist „Das Komplott“ eine gute Folge zum Wiedereinstieg.

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Episode 58: Schwarzes Dreieck (Theodor Grädler, Deutschland 1973)

In der Abwesenheit seiner Gattin Helga (Käthe Gold) verunglückt der Ehemann in der Badewanne, als ein elektrischer Rasierapparat ins Wasser fällt. Der vermeintliche Unfall wird zum Mord, als Untersuchungen ergeben, dass sich der Mann immer nur nass rasierte. Aber wer brachte den Mann um und verschwand dann unbemerkt aus der abgeschlossenen Wohnung? Neben der Gattin, die von ihren beiden Söhnen (Karl Walter Diese & Peter Fricke) bedrängt wird, die Anteile am Geschäft des Vaters an sie zu übertragen, gerät die rätselhafte Frau Böhle (Angelika Salloker) in Verdacht: Auch ihr Mann starb vor Jahren bei einem höchst sonderbaren Unfall.

Die Grundkonstellation erinnert ein klein wenig an Hitchcocks STRANGERS ON A TRAIN, aber interessanter sind Reineckers Betrachtung von Ehe und Alter im Hinblick auf die älteren Frauen, die im Mittelpunkt der Geschichte stehen. Die drei Damen, um die es geht, werden von ihren Gatten als bessere Hausbedienstete betrachtet und jeder liebevollen Zuwendung beraubt. Mehr noch: Auch Helgas Söhne interessieren sich nur so lange für ihre Mama, wie sie etwas von ihr haben wollen. Kaum hat sie ihre Unterschrift unter dem Vertrag hinterlassen, machen sie sich wieder aus dem Staub, haben noch nicht einmal die Zeit, ihren Kaffee zu trinken und ihr Stück Kuchen zu essen. „Die Ehe ist ein Kampf, den die Frauen verlieren“, sagt Frau Böhle gegenüber Kommissar Keller: eine Überzeugung, die sie dazu geführt hat, einen teuflischen Mordplan auszuhecken. DER KOMMISSAR (und später DERRICK) zeichnet sich nicht unbedingt durch ein besonderes Verständnis für Frauen aus: Reinecker weist ihnen meist eine feste, wenig flexible Rolle zu und verurteilt sie, wenn sie aus dieser ausbrechen. Für ältere Damen macht er aber eine Ausnahme, zumindest ist das der Schluss, zu dem man nach Betrachtung dieser traurigen Episode kommt. Das Schicksal von Helga bewegt, auch weil Käthe Gold eine sehr anrührende Darbietung gibt. Der Anblick der Rentnerinnen, deren größte Freizeitvergnügung es ist, Tauben im Park zu füttern, ist der Gipfel der Tristesse.

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Episode 59: Der Tod von Karin W. (Theodor Grädler, Deutschland 1973)

Die junge Karin Winter (Simone Rethel) wird in einer Kneipe niedergeschossen, nachdem sie noch versucht hat, ihre Mutter (Ida Krottendorf) anzurufen. Die Ermittlungen ergeben, dass Karin in einem Erziehungsheim war und mehrfach durch kleinere Vergehen aufgefallen ist. Die familiären Verhältnisse sind kompliziert: Die alleinstehende Mutter brachte regelmäßig Männerbekanntschaften nach Hause, unter anderem ihren Nachbarn Otto Pajak (Harald Leipnitz), was ihr bei dessen Schwester (Maria Schell) den Ruf der Schlampe einbrachte. Aber Pajak hatte nicht nur Interesse an der Mutter.

Die Folge bestätigt, was ich oben über Reineckers Frauenbild schrieb, denn dass Karins Mutter aktiv Ausschau nach Männern hielt und diese mitunter auch nach Hause brachte, wird ihr ausschließlich negativ ausgelegt. Gut, man mag darüber streiten, inwiefern die Tatsache, dass ihr Schlafzimmer direkt neben dem der Tochter liegt, nicht etwas mehr Zurückhaltung ihrerseits erfordert hätte, aber diese Einschränkung nimmt Reineckers Drehbuch eigentlich nicht vor. Es sind der „Egoismus“ und die Freizügigkeit der Mutter, die die Tochter zur Ladendiebin, Heiminsassin und schließlich zum Mordopfer machten. Pajaks Missbrauch einer Minderjährigen ist demgegenüber ein Kavaliersdelikt: Schließlich fungierte die Mama als Kupplerin. Diese Ausrichtung ist aus heutiger Sicht natürlich extrem streitbar, aber das macht diese und viele andere Episoden der Serie  ja auch so faszinierend. Es ist ein Stück deutscher Mentalitätsgeschichte, derer man da ansichtig wird. Und es ist beileibe keine schöne Geschichte. Harald Leipnitz, sonst meist als kerniger, schlagkräftiger Machotyp besetzt, gibt hier einen der typischen Reinecker-Waschlappen, einen Mann ohne Mumm in den Knochen, der voll unter der Fuchtel sowohl seiner herrischen Schwester als auch seiner Geliebten steht. Diese Charakterisierung ist natürlich zweischneidig: Man spürt Reineckers Verachtung für diese mummlosen Männer (in der man ebenfalls ein sehr traditionelles Männerbild erkennt), gleichzeitig entlässt er sie so auch ein Stück weit aus ihrer Verantwortung.

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Episode 60: Die Nacht, in der Basseck starb (Wolfgang Staudte, Deutschland 1973)

Der Nachtclubbesitzer Basseck (Jürgen Goslar) wird in seiner Wohnung von einem Unbekannten erwartet und erschossen. Keller und sein Team erfahren, dass der Mann regelmäßig junge Mädchen aus seinem Laden als Geliebte rekrutierte und dann wieder auf die Straße setzte, wenn er die Lust an ihnen verlor. Die letzte, die es getroffen hat, ist die schöne Dana (Evelyn Opela). Und dann ist da auch noch Günter Wagner (Jochen Bißmeier), ihr letzter Kunde und der Bruder eine von Bassecks Verflossenen.

Ich fand diese Episode nur mittelmäßig interessant: Sie verschenkt Horst Tappert (als Bassecks Geschäftspartner) und dessen Talent zum Schurkentum in einer völlig unterentwickelten Rolle und nervt zudem mit endlosen Musikeinspielungen der Les Humphries Singers, die als Attraktion des Nachtclubs eine Nummer nach der anderen zum Besten geben und dabei die Tanzfläche ganz allein für sich in Anspruch nehmen. Jürgen Drews, damals ein Mitglied der Combo, tanzt so am Rande mit und wirkt, als sei ihm das alles furchtbar unangenehm. Das zeugt von mehr Geschmack und Stil, als ich ihm zugetraut hätte, aber auch von einer fragwürdigen Arbeitsmoral. Diese breiten Musikeinlagen (neben dem penetranten Ohrwurm „Mamama-mamamalu!“ gibt es auch ein Liedchen über Mexiko, bei dem der Sänger natürlich einen Sombrero tragen muss) sind schon faszinierend – mit welch elender Scheißmusik man damals zu Ruhm und Geld kommen konnte -, aber verfehlen das Ziel, hier ein bisschen Glamour reinzubringen. Viel besser gelingt das der betörenden Evelyn Opela, deren tschechischer Akzent („Ich habe ein Dacksi gerufen.“) in Verbindung mit der markanten Mund- und Kieferpartie sowie dunkeln Augen und Haaren mehr Mystik in die Episode bringen, als alle Scriptwindungen Reineckers.

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Episode 61: Der Geigenspieler (Theodor Grädler, Deutschland 1973)

Der Geigenspieler Triberg (Günther Stoll) erhält eine Warnung, nach seinem Konzert auf gar keinen Fall wie gewohnt mit dem Zug nach Hause zu fahren. Er nimmt die Warnung zur Kenntnis, steigt dann aber doch in den Zug – und wird durch das Fenster erschossen. Seine Ehefrau Irene (Sonja Ziemann) kann am Bahnhof nur noch die Leiche in Empfang nehmen. Wie sich herausstellt, hatte sie ein Verhältnis mit dem mittellosen Maler Kolding (Heinz Bennent). Und der verfügt kurz nach dem Mord plötzlich über eine große Menge Geld, die ihm vom Irene Triberg überreicht wurde.

Ein weiterer Eintrag in Reineckers bis tief in die Neunzigerjahre reichende Abrechnung mit bürgerlichem Ehe-Ennui: Hier geht die Ernüchterung sogar so weit, dass der Ehemann die eigene Ermordung geradezu als Erlösung hinnimmt. Insgesamt ist „Der Geigenspieler“ nur Durchschnitt, was immerhin „gute Unterhaltung“ bedeutet, die zudem durch die Leistungen von Sonja Ziemann, dem immer großartigen Heinz Bennent, Elisabeth Flickenschildt und Erik Schumann in einer ungewohnten Rolle als gammliger Schmierlappen aufgewertet wird.

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Episode 62: Ein Funken in der Kälte (Wolfgang Staudte, Deutschland 1973) 

Die alternde Prostituierte Heide Hansen (Mady Rahl) wird ermordet und aus dem fahrenden Auto geworfen. Sie ging für den fiesen Zuhälter Schönau (Hans Brenner) auf den Strich und unterhielt zudem eine zärtliche Beziehung zu dem Säufer Alfons Schichta (Klaus Behrendt), vor dessen Kellerwohnung sie immer auf Freier wartete. Warum musste sie sterben?

Traurige Dramen im Milieu: Auch darauf verstand sich Reinecker, der hier eine besonders trostlose Geschichte erdachte. Alte Nutten, die keiner mehr haben will und die sich mit einer Erkältung im Kellerloch eines Alkoholikers aufwärmen, der jede Selbstachtung verloren hat, und ein Loddel, der Minderjährige als sein neuestes Geschäftsmodell entdeckt hat: Das sind die Zutaten dieser Episode, die es bundesdeutschen Fernsehzuschauern anno 1973 erlaubte, sich davon zu vergewissern, wie gut sie es selbst hatten, und sich nebenbei von Reineckers Elendstourismus einen wohligen Schauer über den Rücken jagen zu lassen. Vieles hier wärmte Reinecker später bei DERRICK wieder auf, am prominentesten sicherlich den Coup, Behrendt als Säufer im Endstadium zu besetzen. Die Folge ist nicht so spannend und ihr Highlight ist Brenner als schmieriger Zuhälter.

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Episode 63: Sonderbare Vorfälle im Hause von Professor S. (Wolfgang Becker, Deutschland 1973)

Die Haushälterin von Professor Steger (Hans Caninenberg) wird von einem Einbrecher umgebracht: Anstatt die Flucht zu ergreifen, legt er die Leiche in ihr Bett und macht es sich anschließend gemütlich. Er hört Musik, liest, macht sich sogar etwas zu essen. Der Professor, ein Psychiater, verdächtigt seinen Sohn Alfred (Matthieu Carriére), der einst selbst in Behandlung war, und verwischt deshalb alle Spuren. Doch dann gibt es einen ganz ähnlichen, zweiten Fall im Haus des Malers Erdmann (Günther Ungeheuer).

Ein Psychothriller! Die interessante Folge mit tragischer Auflösung bietet Carriére in seiner Paraderolle als aufmüpfig-arroganter, kalter Schnösel, den er eigentlich sein ganzes Leben lang spielte. Margarethe von Trotta bleibt lange im Hintergrund, was zwar die Überraschung am Ende vergrößert, aber hinsichtlich ihrer Figur Potenzial verschenkt. Dazu läuft Lobos Nummer-eins-Hit „I’d love you to want me“ in Dauerschleife, bis man sich die Ohren abreißen möchte. Wenn es um Popmusik und Jugendkultur ging, offenbarten sich Reinecker und mit ihm seine Produzenten meist als völlig Ahnungslose. Nun gut, Lobos Ohrwurm, der auch in den USA zum Hit avancierte, fand reißenden Absatz und dürfte auch bei Teenies für Verzückung gesorgt haben, aber dass die Platte im Haushalt eines Akademikers wie Steger Einzug hält, halte ich für einigermaßen unwahrscheinlich.

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Episode 64: Ein Mädchen nachts auf der Straße (Theodor Grädler, Deutschland 1973)

Die Studentin Inge Sobach (Uschi Glas) wird erwürgt in ihrer Wohnung aufgefunden. In dem erfolgreichen Unternehmer Harald Bergmann (Curd Jürgens) hatte sie einen wohlmeinenden Gönner – und einen Geliebten? Der Mann berichtet Keller, wie er Inge kennen lernte und welche Beziehung er zu ihr unterhielt. Brachte er sie um, weil sie sich in seinen Sohn Rolf (Amadeus August) verliebte? War Rolf der Täter, weil er es nicht ertragen konnte, sie mit dem Vater teilen zu müssen? Oder war gar Bergmanns erzürnte Gattin Elvira (Inge Birkmann) die Täterin?

Eine KOMMISSAR-Folge mit Curd Jürgens muss zwangsläufig ein Ereignis sein: Der „normannische Kleiderschrank“ gibt wieder eine seiner berüchtigten Darbietungen als ergriffen-lüsterner Onkel, der mit seiner einzigartig sonoren Stimme über die „Lebensfreude“ und den unbeirrbaren Optimismus des jungen Mädchens schwärmt, alle berechtigten Nachfragen über die möglicherweise sexuelle Natur seiner Bekanntschaft brüsk von sich weist, solche Unterstellungen als bornierte Fantasielosigkeit von Menschen kritisiert, die einfach keinen Einblick in die höheren Weihen wahrer, platonischer Liebe haben. Dass er einräumen muss, die schöne, reine, freudige und optimistische Inge, die seine Tochter sein könnte, dann doch auch mal gefickt zu haben (aber nur einmal!), ist in seinen Augen kein Widerspruch und schon gar nicht irgendwie anrüchig. Es ist ein Fest. Dass die Männer im KOMMISSAR (und auch später bei DERRICK) auffallend oft ganz selbstverständlich deutlich jüngere Geliebte haben, wird kaum hinterfragt – die Tatsache folgt eben ganz logisch aus der gesellschaftlichen Realität der BRD der Siebzigerjahre, in der die Männer die Karrieren hatten und sich dann jüngere, „repräsentative“ Frauen nahmen, die vom Wohlstand des Gatten schließlich nur profitierten – und mit denen sich vor den Geschäftsfreunden gut protzen ließ. Curd Jürgens führt die Denke, die hinter solchen Beziehungen steht, gnadenlos vor – gerade weil er sich so unreflektiert in seine Rolle wirft, die sich von seiner Lebensrealität wahrscheinlich kaum unterschied. Auch im echten Leben angelte er sich mit Vorliebe deutlich jüngere Mädchen, die seine müden Knochen mit ihrer „Lebensfreude“ munter machten und im Gegenzug in den Genuss seines luxuriösen Lebensstils und natürlich seiner großen Weisheit als Künstler kamen. Uschi Glas macht mit beim schmierigen Spiel, versieht ihre Inge mit großäugiger, reichlich naiver Unbedarftheit und Offenheit, und verleiht dem geilen alten Bock damit mehr oder weniger die Carte blanche. Wahnsinn.

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Episode 65: Sommerpension (Jürgen Goslar, Deutschland 1973)

Im Moor wird ein Toter neben seinem im Schlamm stecken gebliebenen Wagen aufgefunden. Ganz in der Nähe befindet sich die abgelegene Pension von Amalie Schöndorf (Marianne Hoppe), die ihre Zimmer an einige Rentner vermietet. Ihre Tochter Barbie (Gerlinde Döberl) hat ein lahmes Bein, seit die Mama sie zusammen mit ihrer Haushälterin Paula (Bruni Löbel) über den Haufen fuhr – und ihr so das Leben und die Tour bei den Männern vermasselte: Eigentlich hatte der Gasthof-Besitzer Schuster (Götz George) die Barbie schon als Ehefrau in spe auserkoren – bis er das Hinkebein zu sehen bekam. Aber was hat der Tote mit dieser Geschichte zu tun?

German Gothic mit komischen Untertönen, die vor allem auf das Konto der Rentner gehen, die Beweisstücke einsacken, sich über erkaltete Suppe beschweren, Keller zum Baden im Moorsee einladen und natürlich beim Mordfall schön die Klappe halten, weil sie nichts lieber wollen, als dass die brave Barbie endlich den Mann bekommt, der ihr zusteht. Götz George hat einen ca. drei Meter breiten Schnurrbart, aber ansonsten kaum mehr als einen ausgedehnten Gastauftritt, der ihn deutlich unterfordert. KOMMISSAR- und DERRICK-Profis sortieren die Folge als eines von mehreren Beispielen ein, in denen Menschen mit Behinderung äußerst schlecht wegkommen. Ob das nur Reineckers Sicht widerspiegelt oder sie damals dem bundesdeutschen Status quo entsprach, kann ich nicht befriedigend beantworten. Fest steht, dass Barbie durch ihre Behinderung „damaged goods“ ist, völlig unvermittelbar auf dem Ehemarkt. Der eben noch bis über beide Ohren verliebte Schuster schaut auf einmal drein, als habe ihm jemand kräftig in die Suppe gerotzt, als er das Humpeln der jungen Frau erblickt, und das Drehbuch gibt ihm mehr oder minder Recht: Was will ein Gastwirt auch mit einer lahmen Frau, die kann ja weder Gäste bedienen noch Bierfässer schleppen! Dann doch lieber gar keine Gattin! Es ist zum Verrücktwerden.

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Episode 66: Herr und Frau Brandes (Leopold Lindberg, Deutschland 1973)

Die Malerin – was hat Reinecker nur ständig mit Malern? – Gerda Brandes (Agnes Fink) hat soeben Besuch von einem ihrer Kunden, da zerreißt ein Schuss im nahegelegenen Wald die Stille. Wenig später wird ein Toter gefunden, ein junger Mann, der Frau Brandes Modell stand und außerdem ein Verhältnis mit ihr hatte. Der Verdacht fällt natürlich sofort auf ihren Mann Wolfgang (Bernhard Wicki), der von der Affäre weiß – und nach einem Tag des Nachdenkens auch ein Alibi hat, das ihm Ursula Becker (Gisela Stein) gibt, die Erzieherin des geistig behinderten Sohnes Ulrich (Andreas Seyferth), mit der wiederum er sich über die Entfremdung der Ehefrau hinwegtröstet. Dann malt der Junge ein Gewehr.

Zerrüttete Ehen, eines der Leib- und Magenthemen Reineckers. Die Überraschungen halten sich in Grenzen, die Episode lebt ganz von dem Zusammenspiel von Fink und Wicki, die auch im echten Leben verheiratet waren. Wicki beim Rauchen zuzuschauen, ist allein schon ein Fest und die Stimme der Fink, die sie unter anderem Katharine Hepburn und Ellen Burstyn lieh, lässt einen in Ehrfurcht erzittern. Auf der anderen Seite haben wir mit Ulrich wieder ein Beispiel für die erbarmungswürdige Darstellung von Menschen mit Behinderung. Nicht nur, dass der Junge als komplett schwachsinnig dargestellt wird, er wird auch von keiner der ihn umgebenden Personen als auch nur annähernd gleichwertig und zurechnungsfähig behandelt. Das ist aus heutiger Sicht einfach nur erschütternd.

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Episode 67: Tod eines Buchhändlers (Theodor Grädler, Deutschland 1973)

An einem Sonntagmorgen wird der Dorf-Buchhändler Kapp (Werner Bruhns) ersoffen am Ufer der Isar aufgefunden, unweit seines Autos. Im Ort scheint man sich sicher zu sein, dass der Tod Folge eines Unfalls ist, denn jeder weiß, dass Kapp sich samstags gepflegt einen hinter die Binde zu gießen pflegte – nur um danach seine schöne Gattin Herta (Judy Winter) zu verdreschen. Weil aber einige Indizien auf Fremdeinwirkung schließen lassen, nehmen Kommissar Keller und seine „Jungs“ die Ermittlungen auf. Die führen sie schnell zu Kapps Azubi Roland Beyfuss (Pierre Franckh): Der konnte es nicht ertragen, das Leid der Gattin seines Chefs mitanzusehen, denn er schwärmte für die junge Frau.

Wenn mich nicht alles täuscht, beginnt hier die lange Tradition Münchener Krimis mit Pierre Franckh in der Rolle des gutmütigen, treudoofen und schlappschwänzigen Pechvogels. Wer ihn wie ich bereits in Dutzenden von DERRICK-Episoden in Variationen dieses Typus gesehen hat, für den hält sich die finale „Überraschung“ ziemlich in Grenzen. Wobei „Tod eines Buchhändlers“ generell zu den eher vorhersehbaren Folgen des umfangreichen Reinecker’schen Schaffens gehört. Interessant ist sie vor allem hinsichtlich ihrer Haltung zu ehelicher Gewalt: Zwar wird der Gattinnenverprügler Kapp ziemlich deutlich als Unsympath gezeichnet, sein Handeln zudem noch dadurch verschlimmert, dass seine Fäuste die göttliche Judy WInter treffen, die damals wirklich zum Niederknien schön war, aber es ist dennoch auffällig, dass sich Reinecker eine eindeutige, explizite Bewertung verkneift. Keller äußert sich nie zu Kapps Entgleisungen, auch die Aussagen der Nebenfiguren in Richtung „Was andere Leute tun, geht uns nichts an“ bleiben unwidersprochen und am Ende wird der geschundenen Ehefrau gar der schwarze Peter zugeschoben, weil sie dem jungen Roland solche Flausen in den Kopf gesetzt hat. Problematisch, aber faszinierend.

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Episode 68: Domanns Mörder (Wolfgang Becker, Deutschland 1974)

Ernst Faber (Erich Schellow) und sein Sohn Ulrich (Peter Chatel) finden in der Familienvilla den toten Domann (Michael Maien) auf – und fangen sofort an, wilde Pläne zu schmieden und Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, damit die Polizei bloß niemanden verdächtigt. Weder Mutter Gerda (Gisela Uhlen) noch Tochter Hannelore (Gitty Djamal), Hausmädchen Luise (Gustl Halenke) oder die junge Irmi (Irina Wanka) sind da – was auch ein bisschen das Problem der Familie ist, deren Mitglieder alle ihre eigenen Wege gehen, ohne sich groß um die anderen zu kümmern. Die Mitglieder sind sicher, dass einer aus ihrer Mitte der Mörder ist, aber wer, warum und wieso, interessiert sie nicht. Hauptsache, sie gehen straffrei aus.

„Kann denn nicht endlich mal jemand an die Kinder denken!?“, pflegte Ned Flanders‘ Ehefrau bei den SIMPSONS auszurufen. Ihr Flehen könnte auch diese Episode überschreiben, in der Reinecker zeigt, wie die Eitelkeiten der Erwachsenen unsere süßen Kinderlein ins Unglück stürzen. Irina Wanka, die die nahezu stumme Irmi spielt, blieb dem Rollenbild, das sie hier im zarten Alter von 12 zeigte, auch in den folgenden zwei Jahrzehnten bei unzähligen DERRICK-Auftritten treu. Immer spielte sie den Unschuldsengel reinen Herzens, der durch das amoralische Treiben der Sünder um sich herum in tiefste Abgründe gestoßen wurde. Das ist ein fetter Spoiler, ich weiß, aber mehr als die Frage nach dem Täter interessiert in „Domanns Mörder“ die Sezierung großbürgerlicher Arroganz, die Reinecker mit blitzendem Skalpell vornimmt. Vor allem Erich Schellow ist großartig als Patriarch, dem der Gedanke, es mit der Wahrheit zu halten, nicht im Entferntesten in den Sinn kommt.

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Episode 69: Ein Anteil am Leben (Ullrich Haupt, Deutschland 1974)

Die Kellnerin Alma (Heidi Stroh) wird in ihrer Wohnung von ihrer männlichen Begleitung brutal erstochen. Ihre Arbeitskollegin, die Putzfrau Anna Bergmann (Käthe Gold), die bei Alma im Flur schlafen darf, weil sie ihre Wohnung verlor, überrascht den Mörder und lässt sich ihr Schweigen gut bezahlen. Keller ahnt, dass die Frau etwas weiß – und dass der Täter aus dem Kreise gut betuchter Münchener Geschäftsleute und Politiker stammen muss, die Alma jeden Freitag bediente. Keller versammelt die Männer im Brauhaus, doch die wissen, dass er ihnen nichts nachweisen kann.

Das Setting der verschworenen männlichen Saufgemeinschaft, die die mangelnde sexuelle Bereitschaft einer jungen Frau drastisch bestraft, griff Reinecker auch später bei DERRICK noch einige Male auf. Hier verbindet er es mit einer seiner Betrachtungen zur Einsamkeit im Alter. „Ein Anteil am Leben“ ist kein Highlight der Serie, was mehrere Gründe hat: Die ganze Prämisse wirkt überkonstruiert, das Verhalten der alten Dame unglaubwürdig und übertrieben, die Auflösung gegenüber dem Aufbau dann übereilt und zu allem Überfluss spielt auch noch Dieter Schidor mit, der einfach immer fehlbesetzt ist. So wird dann auch die Tragik von Anna Bergmanns Schicksal zunichte gemacht. Es ist schon bitter: Es muss erst jemand umgebracht werden, damit sie ein einziges Mal das Leben aus vollen Zügen genießen kann.

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Episode 70: Die Nacht mit Lansky (Erik Ode, Deutschland 1974)

Kommissar Keller und die „Jungs“ sind zum monatlichen Abendessen bei Heimes‘ Mutter (Ruth Hausmeister) eingeladen, als sie von der Nachbarin Frau Lansky (Heli Finkenzeller) um Hilfe gebeten werden: Ihr Ehemann Heinz (René Deltgen), ein Handelsvertreter, verhalte sich seltsam, sei abwesend und völlig außer sich. Doch der ältere Herr besteht darauf, dass alles in Ordnung sei und schickt die Kriminalbeamten wieder weg: Verdutzt bemerken diese aber Blutflecken an den Händen, den Koffern und am Steuerrad des Wagens des Mannes.

Reinecker sinniert mal wieder über das Alter, darüber wie Menschen irgendwann aufs Abstellgleis geschoben werden und dann dazu gezwungen sind, irgendwie weiterzumachen. In der fest gefügten Ordnung der Siebzigerjahre sind es natürlich vor allem die Männer, die dieses Schicksal trifft. Darauf gedrillt, als Versorger ihrer Familien zu wirken, fühlen sie sich plötzlich nutzlos und impotent. (Das Schicksal der Frauen ist es hingegen, ab einem gewissen Alter von ihren Männern sitzen oder links liegen gelassen zu werden: Auch das haben wir beim KOMMISSAR schon häufiger gesehen.) Im Falle des armen Lansky geht die Verzweiflung so weit, dass er der Familie ein ganzes Jahr lang eine Berufstätigkeit vorgaukelt, montags das Haus verlässt, in sein Auto steigt und dann am Freitag zurückkehrt. Die Tage füllt er mit Einbrüchen bei seinen ehemaligen Kunden, die das nötige Geld bringen und sicherstellen, dass er seine Fassade als Versorger zu Hause aufrechterhalten kann. Bis sein Nachfolger Kessler (Eckart Dux) ihm auf die Schliche kommt. Die Episode ist zermürbend, auch weil sie ziemlich lang auf der Stelle tritt. Keller und Kollegen wissen, dass Lansky etwas verbrochen hat, aber sie haben auch keinen echten Grund, gegen ihn vorzugehen – schließlich scheint es noch gar kein Opfer zu geben. Und alle Versuche, den Mann zum Rede zu bringen, scheitern – bis er dann schließlich doch irgendwann einbricht und seine Geschichte erzählt, die dem Zuschauer dann in Rückblenden serviert wird. Ich bin etwas unentschlossen: Deltgen ist toll, die Episode unendlich traurig, aber ihr Ende ist eben auch recht vorhersehbar.

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Episode 71: Spur von kleinen Füßen (Theodor Grädler, Deutschland 1974)

Ein junges Mädchen (Sabine Sinjen) wird erschossen und dann von einer Brücke geworfen. Sie war vor einem Jahr vom Land nach München gekommen und die lange Galerie ihrer Verehrer führte sie schließlich ins Drogenmilieu.

Die Episode, in der mehrfach die auffallend „kleinen Füße“ des Opfers angesprochen werden, ohne dass das eine echte Bedeutung hätte (Sabine Sinjens Füße sind darüber hinaus keineswegs besonders klein: Fehlbesetzung!), ist mal wieder eines der gruseligen Beispiele für Frauenmystifizierung und Altherrenerotik. Wie schon Uschi Glas in der Episode „Ein Mädchen nachts auf der Straße“ ist auch Sinjen hier das Objekt der haltlosen Idealisierung diverser Männer, die schon ans Pathologische grenzt. Reinecker lässt seine diversen Männertypen von der „reinen Lebenslust“ und einer „verdinglichten Erfahrung“, die das Zauberwesen verkörpere, fabulieren, dabei mit verträumtem Blick ins Leere starren, als könnten sie dort Einhörner beim Kopulieren sehen. Sinjen weiß mit diesem Quatsch offensichtlich gar nichts anzufangen und interpretiert die zarte Elfe als ständig enthusiasmiert grinsende, herumrennende oder wild hüpfende Kindfrau, die jedem Menschen bereits nach kürzester Zeit fürchterlich auf die Nerven fallen würde. Wie eine Biene fliegt sie von einem Mann zum anderen, weil die pure Lebenslust und Neugier sie antreibt. Zurück bleiben Peter Ehrlich als ihr mit seiner verdörrten Schwester zusammenlebender Chef, Martin Lüttge als junger Fotograf, Udo Vioff als eleganter, der Mama (Alice Treff) höriger Drogenhändler und Christian Reiner als Junkie. Keiner ist in der Lage, dieser Nymphe dauerhaft zu geben, was sie braucht. Und es ist klar, dass das nur mit dem Tode enden kann. Die Besetzung der Folge ist natürlich unfuckwithable, zumal auch noch der stets mürrische Günther Neutze als mies gelaunter Kneipenwirt mitmischt. In einer sehr rätselhaften Szene rufen einige junge Partygäste bei einem Telefonseelsorge an, um sich über den Selbstmordversuch eines anwesenden Freundes lustig zu machen. Jesus, what is it with these people?!

Wichtig ist die Folge aber noch aus einem anderen Grund: Es ist die letzte Episode mit Fritz Wepper als Harry Klein: Er wird zu Beginn in einer tatsächlich sehr rührenden Szene in die Obhut von Oberinspektor Derrick verabschiedet und präsentiert dann seinen Bruder Erwin (Elmar Wepper) als Nachfolger. Der erntet zwar sofort die Sympathien von Chef Keller (weil er erkennt, dass das Mordopfer auffallend kleine Füße hatte), steht aber im weiteren Verlauf mehrfach wie Falschgeld herum. Mal sehen, wie er sich entwickelt. Das gilt auch für die Serie insgesamt, die Reinecker doch mittlerweile merklich auf Autopilot betreibt.

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Der 16. Hofbauer-Kongress begann nicht mit diesem Film: Zur Eröffnung lief D’Amatos wunderbarer DIRTY LOVE, (über den ich jetzt aus naheliegenden Gründen nichts schreibe), im Anschluss daran vier Folgen des achtteiligen FWU-Aufklärungsfilms DER LIEBE AUF DER SPUR, die ich – wodka- und bratengeschädigt – leider komplett verschlafen habe. Zum „stählernen Überraschungsfilm“ HEUBODENGEFLÜSTER war ich zum Glück wieder wach: Deutsche Lustspiele der Sechziger- und Siebzigerjahre sind schließlich eine meiner Leibspeisen aus dem Kongress-Portfolio, und diese Variante – mit Heimatfilmkolorit und einem kleinen, aber feinen Darstellerensemble sowie der kundigen Regie Rolf Olsens ausgestattet – sah besonders schmackhaft aus.

Serviert wurde Formelkino par excellence, dank eines vermutlich eher schmalen Budgets besonders karg gestaltet, sich ganz auf die Fähigkeiten seiner Darsteller und die nimmermüde Abfolge tumber Späße verlassend. Es gibt haarsträubend vorhersehbaren Slapstick, wirklich kein „Klassiker“ wird ausgelassen, zahme Erotik, für die vor allem Ann Smyrner zuständig ist, eine wilde Verkettung von amüsanten Verwechslungen und Missverständnissen sowie bayrisches Landschaftsidyll – lediglich der musikalische Auftritt eines Gaststars aus der deutschen Schlagerszene fehlt zum vollkommenen Glück. Aufgewogen wird dieser Mangel aber durch ein Drehbuch, dessen labyrinthische Handlung einzig dazu erdacht wurde, möglichst viel von dem in den Film packen zu können, was deutsche Zuschauer damals lustig fanden – zumindest nach Auffassung der Macher.

Florian Maderer (Peter Carsten) ist ein fescher Gutsbesitzer und Bürgermeisterkandidat seines Örtchens, der sich bei Dorffesten immer wieder in Raufereien verwickeln lässt und deshalb nun zur Abkühlung ins Gefängnis soll. Es gelingt ihm und seiner klugen Frau Genoveva (Elfie Petramer) jedoch, Florians etwas einfältigen Vetter Blasius (Gunther Phillipp) dazu zu überreden, ihm die Haftstrafe uner Vorspiegelung einer falschen Identität abzunehmen. Der willigt tatsächlich ein – wird aber nach dem Besuch des Staatsbeamten Dr. Leo Dorn (Ralf Wolter) sofort wieder amnestiert (zum Geburtstag des Bundespräsidenten), natürlich mit Hintergedanken: Dorn will Maderer ein Grundstück abkaufen und hofft, ihn mit seiner Gefälligkeit im Preis drücken zu können. Am Hofe Maderers kommt es im Folgenden zum großen Chaos: Dorn hat sich angekündigt, um den Deal perfekt zu machen, und damit Florians Schwindel nicht auffliegt, muss sein Vetter die Rolle des Familienoberhaupts übernehmen, während der stolze Florian dazu verdonnert wird, den Knecht zu spielen. Dorn auf den Fersen ist wiederum der Detektiv Hugo Zehe (Herbert Hisel), der von Dorns Gattin (Trude Herr) engagiert wurde, weil sie zu Recht vermutet, er habe ein Verhältnis mit seiner Sekretärin Dodo (Ann Smyrner), die ihn auf seiner Reise begleitet. Und dann sind da noch Florians Tochter Hannerl (Renate von Holt), die zu Besuch aus der großen Stadt kommt und sogleich Kontakt zu ihrem einstigen Jugendschwarm aufnimmt, sehr zum Missfallen ihres Vaters, der depperte Andreas (Paul Löbinger), der scharf auf Florians Magd Resi (Christiane Rücker) ist, sich dann aber in den Detektiv in Frauenkleidern verliebt, der Kneipenwirt Limbusch (Rolf Olsen), Florians ärgster Konkurrent im Kampf um das Bürgermeisteramt, ein stotternder Depp und Willy Millowitsch als Gefängniswärter …

Die zeitgenössische Filmkritik konnte mit soviel geballter Trivialität erwartungsgemäß rein gar nichts anfangen, auch eine Revision ist angesichts harscher Beurteilung wie jener des Lexikons des internationalen Films, nach der HEUBODENGEFLÜSTER „eine Attacke gegen den gesunden Menschenverstand“ sei, eher nicht zu erwarten. Wie schön, dass man solcherlei enthemmtes Amüsement in Nürnberger Nächten zu schätzen weiß. Zusammen wurde Olsens Film gefeiert, bejohlt und beklagt, manches humoristisch verkarstete Tal durchschritten, nur um dann wieder einen sonnebeschienenen Gipfel der Albernheit zu erklimmen. HEUBODENGEFLÜSTER gehen der klebrige Frohsinn und der ornamentale Schwulst anderer deutscher Lustspiele und Heimatfilme weitestgehend ab, Olsen inszeniert mit der Hand des realistischen Ökonoms und die Salve an Zoten, die wie aus der Stalinorgel geschossen auf den Zuschauer niedergeht, ist vor allem ein Mittel, das Tempo hochzuhalten, ein Surrogat für die Schießerei, den Faustkampf oder die Verfolgungsjagd des Actionfilms.

wg9hwqvhGustave Flauberts Roman „Madame Bovary“ (den ich gelesen habe, von dem ich aber kaum mehr erinnert habe, als dass ich ihn mochte) ist berühmt für seine damals revolutionäre, Distanz schaffende Erzählhaltung und den damit einhergehenden Verzicht darauf, das Verhalten seiner Titelfigur zu bewerten oder moralisch zu verurteilen. Besonders gerühmt wird Flauberts Gespür für charakterisierende Details und psychologische Genauigkeit. In DIE NACKTE BOVARY, dem vorletzten Film des damals bereits 67-jährigen Komödien- und Heimatfilmer Schott-Schöbinger, bleibt davon nicht mehr allzu viel übrig: Der Stoff wird vielmehr für ein seichtes Melodram zurechtgestutzt, das Anlass bietet, Edwige Fenechs „teuersten Busen Europas“ (Zitat aus dem Werbematerial zum Film) zur Schau zu stellen, was zugegebenermaßen einer der Gründe war, aus dem ich mir DIE NACKTE BOVARY angesehen habe.

Dass Schott-Schöbinger die literarische Vorlage „völlig verfremdet“, wie das Lexikon des internationalen Films schreibt, will ich nach der Lektüre einer Inhaltsangabe des Romans zwar nicht unbedingt bestätigen, von der Komplexität von Flauberts Werk bleibt aber zugegebenermaßen nicht viel übrig. Der Film hetzt in 90 Minuten durch die Handlung und verkommt so fast notgedrungen zu einer Aneinanderreihung schön anzusehender Klischees, die jede echte Signifikanz vermissen lassen. Was die Figuren wirklich umtreibt, wer sie sind, was sie fühlen, wird weniger erzählt, als via Dialog behauptet. So darf die schöne Madame Bovary (Edwige Fenech) gleich in den ersten Minuten via Voice-over gestehen, dass sie das dörfliche Leben mit ihrem Ehemann (Gerhard Riedmann) schrecklich anödet, was damit verbildlicht wird, dass sie in das eheliche Haus einkehrt, das voll mit den Patienten ihres Gatten ist, und sich über seinen Mangel an Aufmerksamkeit für sie echauffiert. Riedmann selbst, ausreichend attraktiv, aber eben von jener biederen Freundlichkeit, die ihn zum Heimatfilm-Star prädestinierte, macht sich lediglich typischer Filmvergehen schuldig: nicht auf Zuruf seiner Frau seine Patienten sitzen zu lassen, beim vornehmen Empfang nicht mit ihr zu tanzen, sondern sich am Spieltisch der drückenden feinen Schuhe zu entledigen, keine Karriere in Paris machen zu wollen. Der arme Teufel darf bis zum Ende nicht merken, was eigentlich los ist. Emmas drei Love Interests kommen aber kaum besser weg und nicht über auf den ersten Blick durchschaubare Folien hinaus: Franco Ressel gibt den Kaufmann Lheureus als angeschwulten Teufel, dessen schmierig-finsteren Absichten man ihm schon aus der blasierten Visage ablesen kann, Peter Carsten ist als Großgrundbesitzer Rodolphe brustbehaarte Virilität und Verlässlichkeit und mit dem intellektuellen Bübchen Leon (Gianni Dei) unternimmt Emma aufschlussreich-bedeutsame Spaziergänge durch die Natur, bei denen er fast weiblicher agiert als sie.

Wenn DIE NACKTE BOVARY nach knapp 90 Minuten überaus abrupt zu Ende geht, wird die Vermutung bestätigt, dass sich eigentlich keiner der Verantwortlichen größere Gedanken darüber gemacht hat, was „Madame Bovary“ eigentlich erzählt, was an Flauberts Roman relevant ist, was man davon erhalten und in ein anderes Medium übertragen möchte, geschweige denn, was die Möglichkeiten des Mediums Film dabei für einen Mehrwert bringen könnten, außer der Gelegenheit, die Fenech in engen Kleidern, Unterwäsche des 19. Jahrhunderts oder auch nackt zu zeigen. Visuell ist DIE NACKTE BOVARY demnach recht üppig, wenn auch reichlich bieder und altbacken für einen Film des Jahres ’69 in all seiner trivialen Schmonzettenhaftigkeit. Da merkt man ihm die Prägung des Regisseurs im Rentenalter deutlich an.

 

Zehn Jahre vor THE WILD GEESE, der seinerzeit zum Riesenhit avancierte und eine ganze Welle von Söldnerfilmen nach sich zog, erschien dieser Genrevertreter unter der Regie des Kameragenies Jack Cardiff (u. a. BLACK NARCISSUS, RAMBO: FIRST BLOOD PART 2, A MATTER OF LIFE AND DEATH, THE VIKINGS, THE RED SHOES und THE AFRICAN QUEEN). Statt großer Begeisterung und voller Kinos setzte es aber eher harsche Kritik: Die expliziten Gewaltdarstellungen überforderten viele Rezensenten, die auch Probleme damit hatten, einen realen Konflikt – die sogenannte Kongo-Krise – als pittoresken Hintergrund eines Abenteuerfilms „missbraucht“ zu sehen. Nachdem die Demokratische Republik Kongo, eine belgische Kolonie, 1960 die Unabhängigkeit erlangte, kam es dort zu Auseinandersetzungen zwischen Armee und belgischen Offizieren, die in einer Massenflucht der belgischen Einwohner und dem Eingriff von UN-Blauhelmen mündeten. Die folgenden Machtstreitigkeiten führten angestachelt durch die Interventionen Belgiens, der USA und der UdSSR in einen Sezessionkrieg, der die junge Nation in drei Teile spaltete (der deutsche Titel KATANGA ist der Name eines dieser Teilgebiete).

In Cardiffs Film, inszeniert nach dem Roman von Wilbur Smith, wird der amerikanische Söldner Bruce Curry (Rod Taylor) vom kongolesischen Präsidenten Ubi (Calvin Lockhart) beauftragt, die belgischen Bewohner einer abgelegenen Stadt mit einem Zug in Sicherheit zu bringen. Noch wichtiger sind Ubi aber die Diamanten im Wert von 50 Millionen US-Dollar, die ebenfalls in der Stadt liegen und eine überlebensnotwendige Finanzspritze für die leere Staatskasse bedeuten. Zusammen mit seinem kongolesischen Freund Ruffo (Jim Brown), dem faschistischen Deutschen Henlein (Peter Carsten), dem trunksüchtigen Arzt Wreid (Kenneth More) und 40 Soldaten begibt sich Curry auf die gefährliche Reise. Am Ziel angekommen, erfährt er, dass der mit einer Zeitschaltuhr gesicherte Safe erst in drei Stunden geöffnet werden kann. Und die mordlüsternen Simbas sind schon im Anmarsch …

DARK OF THE SUN (oder auch THE MERCENARIES) vereint im Stile der großen Abenteuer-Kriegsfilme der Sechzigerjahre heute eigentlich Unvereinbares, nämlich Politik, Gewalt und kernige Landser-Romantik zu einem garantiert politisch unkorrekten Gebräu. Das Drehbuch von Ranald McDougall und Adrian Spies hakt alle Klischees ab, die dem Genre auch in den kommenden Jahrzehnten erhalten bleiben sollten: die Auftraggeber mit der Doppelagenda, den grausamen Konflikt vor exotischer Kulisse, den abgefuckten Protagonisten, der sich über die Verkommenheit seines Jobs mit der Ausrede hinwegtäuscht, dass ihn sonst jemand anderes machte, den uneigennützig handelnden Freund, dessen unablässige Ansprachen schließlich einen Sinneswandel beim Helden einleiten, den saufenden Verlierer, der in einem Märtyrerakt seine Menschlichkeit zurück erhält sowie neben den gesichtslosen, dafür umso barbarischer agierenden feindlichen Armeen einen wahrhaft scheußlichen Schurken. Peter Carstens Henlein basiert auf dem deutschen Söldner Siegfried Müller, der als „Kongo-Müller“ international bekannt wurde (und Didi Hallervordens „Kongo-Otto“ in seinem DIDI UND DIE RACHE DER ENTERBTEN inspirierte) und sich u. a. mit einem Eisernen Kreuz von der Presse ablichten ließ. Henlein ist noch eine Nummer widerlicher, denn bei ihm ist es das Hakenkreuz, das an seiner Brust prangt. Curry fordert ihn gleich zu Beginn auf, es abzunehmen, befiehlt ihm dann wenig später, nachdem der Deutsche zwei Kinder erschossen hat, es wieder anzulegen: „You have earned it“, kommentiert er angewidert, eine der besten Szenen des Films.

DARK OF THE SUN überzeugt zunächst einmal durch seine Production Values: Der in Jamaica gedrehte Film sieht so fantastisch aus, wie man das angesichts seines Regisseur erwarten durfte, wartet zudem mit einem phänomenalen Score von Jacques Loussier auf, der die ganze emotionale Bandbreite von spannend bis tragisch abdeckt. Auf dieser Basis gelingen auch einige immens packende Sequenzen, die ihre Wirkung beim Zuschauer nicht verfehlen. Besonders hervorzuheben ist natürlich der längere Abschnitt um die Befreiung des Ortes und die folgende Flucht per Zug. Als eine Explosion den letzten Waggon abtrennt und die schreienden Zivilisten zu den Meuchelmördern zurückrollen lässt, kommt es zu der bitteren Szene, in der der Bürgermeister seine Gattin erschießt, damit sie nicht den brutalen Simbas in die Hände fällt. Auch das Finale, in dem Curry die Mordlust packt und er dem schurkischen Henlein über Stock und Stein hinterherrast, ist ein Kracher und in seiner Verbissenheit durchaus komisch. Insgesamt ist DARK OF THE SUN aber eher düster, die Gewalt wird nicht im Stile der sanitized violence verbrämt und wenn man darüber nachdenkt, was da eigentlich passiert, läuft einem mehr als einmal ein kalter Schauer über den Rücken. Dennoch kann Cardiff den hinsichtlich dieses Sujets eher unpassenden Ruch des eskapistischen Spektakels nicht ganz loswerden und der Verdacht, dass man die Kongo-Krise auch deshalb für einen Actionfilm in Betracht zog, weil sie weit genug entfernt war von der Realität der Zuschauer, liegt nahe. Aller oberflächlichen Kritik an Kriegstreiben und Zynismus zum Trotz ist es am Ende eben doch der Ami, der vielleicht nicht als strahlender Held zurückkehrt, dessen Entschlossenheit aber immerhin den fiesen Nazi seiner gerechten Strafe zuführt. Aber seien wir ehrlich: Es sind ja auch solche Widersprüche und ideologischen Stolperfallen, die den Söldnerfilm überhaupt interessant machten. DARK OF THE SUN ist, diese Einschränkung vorausgesetzt, exzellentes Actionkino. Und das fabulöse Kinoplakat würde ich mir ohne zu zögern in die Wohnung hängen.

hannibal_brooksIch habe erst vor kurzem erfahren, dass Oliver Reed und Michael Winner eine tiefe Freundschaft verband, der britische Schauspiel- und Tresengigant Reed dem kontrovers diskutierten Regisseur zudem die (turbulent verlaufene) Karriere verdankte. Dem jungen Reed mangelte es nicht an Selbstbewusstsein und auch nicht an schauspielerischem Talent, trotzdem schien er zu Beginn der Sechzigerjahre, als er in mehreren Hammer-Filmen den Psychopathen oder das Monster mimte, in einer Schublade gelandet zu sein, aus der es nur schwer war, wieder herauszukommen. Es war Michael Winner, der das in Reed schlummernde Potenzial erkannte, ihm 1964 die Hauptrolle in dem Gesellschaftsdrama THE SYSTEM gab und ihn so bekannt machte. Es folgten die weiteren Kollaborationen THE JOKERS (1967), I’LL NEVER FORGET WHAT’S ‚IS NAME (1967) und dann schließlich HANNIBAL BROOKS, ein breit angelegter Kriegs- und Abenteuerfilm mit einer Titelrolle, für die sich manche Hollywoodgröße wahrscheinlich die Hand abgehackt hätte. (1978 folgte dann noch THE BIG SLEEP, das Remake des gleichnamigen Noir-Klassikers).

HANNIBAL BROOKS, so viel schicke ich mal voraus, hat bei mir gestern voll ins Schwarze getroffen: Es ist ein Film, der eigentlich nicht funktionieren dürfte, der in anderen Händen mit großer Gewissheit zum oberpeinlichen Rührstück von disneyhafter Klebrigkeit verkommen wäre, in den Händen Winners, der nun nicht gerade für Sentimentalitäten bekannt geworden ist, aber ganz ohne durchsichtige Zuschauermanipulationen seine emotionale Kraft entfalten kann. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: HANNIBAL BROOKS erzählt von dem britischen Soldaten Stephen Brooks (Oliver Reed), einem ganz und gar nicht martialisch gesonnenem Schelm, der im Zweiten Weltkrieg in deutsche Kriegsgefangenschaft gerät und im Zoo zum Schaufeln von Elefantenscheiße verdonnert wird. Während seine Kameraden sich bei der neuen Tätigkeit schnell langweilen, enntwickelt Brooks hingegen ungeahnten Enthusiasmus und freundet sich rasch mit dem Elefantenweibchen Lucy an. Als der Zoo bei einem Bombenangriff verwüstet wird, nimmt er die Aufgabe auf sich, das Tier über die Alpen in die  Innsbrucker Zoo und die sichere Schweiz zu bringen. Ihm zur Seite stellt man den fiesen Nazi Kurt (Peter Carsten), den freundlichen Willi (Helmuth Lohner) und die polnische Tierpflegerin Vronia (Karin Baal). Es kommt bald zur Auseinandersetzung mit Kurt, bei der Brooks den Mann umbringt: Von nun an ist er auf der Flucht und mit dem Dickhäuter im Schlepptau natürlich eine gute Zielscheibe. Doch Brooks lässt sich nicht beirren. Auf dem Weg kommt ihm immer wieder der amerikanische GI Packy (Michael J. Pollard) zu Hilfe, der in den Alpen eine Art Partisanenkrieg gegen die Truppen des schurkischen von Haller (Wolfgang Preiss) führt.

Richtig gelesen: HANNIBAL BROOKS handelt von der durch nichts aufzulösenden Freundschaft zwischen einem britischen Soldaten und einem Elefanten, und Winner legt sie als eine Art modernes Update der berühmten historischen Geschichte des khartagischen Feldherrn Hannibal an, der mit seiner Elefantenherde über die Alpen ritt, um sich mit den Römern zu balgen. Brooks‘ Intention ist dieser natürlich genau entgegengesetzt, ebenso wie seine Wegrichtung: Er will mit dem Elefanten dem Krieg entkommen und setzt so inmitten der tosenden Unmenschlichkeit ein Zeichen der Fürsorge und Freundschaft. Dass das nicht zum kitschigen „Tiere sind die besseren Menschen“-Quark verkommt, liegt zu allererst an Reed, der hier eindrucksvoll beweist, zu was er wirklich in der Lage war. Viel zu selten durfte er diese Seite zeigen. Man kauft ihm die tiefe Verbundenheit zu dem Tier in jeder Sekunde ab, leidet mit ihm, wenn er den Elefanten zwischendurch verliert oder dieser erkrankt, merkt, dass der oft als schwierig, mürrisch oder gar gewalttätig beschriebene Schauspieler in dieser Rolle wirklich aufging: Der Bund zwischen Mensch und Tier ist echt, die Basis für den Erfolg von HANNIBAL BROOKS. Dann natürlich diese Bilder: Der Reiz, Reed mit dem grauen Koloss vor der beeindruckenden Alpenkulisse zu sehen, trägt fast allein über die 100 Minuten, aber Winner (der das Drehbuch nach eigener Idee mitverfasste) verlässt sich nicht darauf. Im Stile eines Road Movies oder, treffender, einer antiken Heldensage, gliedert er den Weg in kleinere Aufgaben und Abenteuer, sodass niemals Langeweile aufkommt. Da wird der in einem verlassenen Alpendorf nach Proviant suchende Brooks von zwei Nazis überrascht, muss er einen Tierarzt (Ralf Wolter) ausfindig machen, hilft er mit, einen Waffenzug entgleisen zu lassen, oder gerät er in die Hände Hallers. Wenn man von WInner sonst nur zynische Thriller gesehen hat, ist man mehr als erstaunt, wie gut gelaunt und beschwingt er erzählen kann.

Für das Quäntchen Merkwürdigkeit, das den Film endgültig in andere Sphären katapultiert, ist vor allem Michael J. Pollard zuständig. Der spiddelige Nuschler mit dem Gnomengesicht spielt den wahrscheinlich unwahrscheinlichsten Soldaten der Filmgeschichte, läuft als menschgewordener Deus ex machina durch den Film, der Brooks immer genau dann den Hintern rettet, wenn der endgültig in der TInte zu sitzen scheint, und wäre in jedem anderen Film in dieser Rolle zur reinen Lachnummer verkommen. HIer vervollkommnet Pollards unorthodoxes, manisches Spiel noch den Charakter des Films, der insgesamt nicht nur ein humanistisches Manifest gegen den Krieg und für die Völkerverständigung, sondern eben auch für die gesunde Spinnerei, den idealistischen Traum, den Kampf gegen die Windmühlen, die Andersartigkeit ist. Ich ließ mich gestern voller Freude über meine Entdeckung zu der Aussage hinreißen, dass HANNIBAL BROOKS einer der schönsten Filme sei, die ich je gesehen habe. Das ist möglicherweise übertrieben, aber es passt dann doch wieder perfekt zu diesem Film, der förmlich dazu herausfordert, die Welt zu umarmen und einen tanzenden Stern zu gebären. Ein Wunderwerk, wie es nur alle Jubeljahre mal entsteht, und eine Schande, dass er so unbekannt ist.