Mit ‘Robert Altman’ getaggte Beiträge

Am Ende, während die Abschlusscredits laufen, fährt die Kamera einen Stadtplan von Los Angeles ab, zeigt die unüberschaubare Vielzahl von sauber vertikal und horizontal oder aber kurvig und scheinbar natürlich verlaufenden Linien, die die Straßen der Westküstenmetropole repräsentieren, und deren gemeinsame Kreuzungen. Mit SHORT CUTS, mit dem Altman nach seinem Comeback THE PLAYER bewies, dass der mitnichten ein Zufallstreffer gewesen war, und an seinen ambitionierten, ausschweifenden Ensemblefilm NASHVILLE anknüpfte, entwirft der Regisseur so etwas wie einen emotionalen Straßenplan, zeichnet die Stadt als ein engmaschiges Geflecht, aus sich kreuzenden Lebenswegen von Menschen, die über mehrere Ecken miteinander in Verbindung stehen, ohne es zu wissen. Nicht alle dieser Begegnungen begründen eine dauerhafte Beziehung, manche sind sehr flüchtig und werden von den Betroffenen kaum weiter bemerkt, weil ihnen der Kontext fehlt, sie in den „Stadtplan“ einzuordnen. Genau daraus entspringt die Schönheit, die Komik, aber auch die Tragik von SHORT CUTS: Altman zeigt, wie Jeder mit Jedem verwoben ist, wie die Handlungen des Einzelnen das Leben eines Fremden auf völlig unvorhergesehene Weise beeinflussen und wie alle viel zu sehr mit ihren niederen Problemchen oder auch großen Krisen beschäftigt sind, als dass sie diesen größeren Zusammenhang, in den sie eingebunden sind, verstehen könnten. Der Mensch ist in SHORT CUTS wie ein Tourist ohne Straßenplan.

Die Kellnerin Doreen Piggot (Lily Tomlin) fährt den kleinen Casey an, Sohn von Andy und Howard Finnigan (Andie McDowell & Bruce Davison). Der Junge übersteht den Unfall anscheinend unverletzt, doch er wird an seinen Folgen sterben, seine Eltern in tiefe Trauer stürzen, während Doreen am Schluss die Überwindung einer Ehekrise ausgelassen mit ihrem Gatten Earl (Tom Waits) feiert, nicht wissend, welches Leid ihre Unachtsamkeit ausgelöst hat. Die Ehe des für Casey zuständigen Arztes Dr. Ralph Wyman (Matthew Modine) mit der Malerin Marian (Julianne Moore) krankt an einem nicht aufgearbeiteten vermeintlichen Seitensprung der Frau, die des Polizisten Gene Shepard (Tim Robbins) und seiner Frau Sherri (Madeleine Stowe) an der Unfähigkeit beider, sich ihrer sexuellen Zuneigung zu versichern. Jerry Kaiser (Chris Penn) leidet an der Telefonsex-Tätigkeit seiner Frau Lois (Jennifer Jason Leigh) und der wahrgenommenen Diskrepanz zwischen dem Enthusiasmus, mit dem sie diesen ausübt, und der Tristesse des gemeinsamen Sexlebens, die Cellistin Zoe (Lori Singer) an der Unaufmerksamkeit und Selbstbezogenheit ihrer Mutter Tess (Annie Ross), die für ihre emotionale Unfähigkeit wiederum den Drogentod ihres einstigen Mannes heranführt. Stuart Kane (Fred Ward) betrachtet die Leiche der jungen Frau, die just dort am Flussufer liegt, wo er mit seinen Freunden ein Angelwochenende verbringt, nicht als Körper eines Menschen, der Angehörige hat, sondern lediglich als Hindernis, das es für ein paar Tage zu ignorieren gilt, und die Versuche von Howard Finnigans Vater Paul (Jack Lemmon), den jahrelang brachliegenden Kontakt zu seinem Sohn wiederherzustellen, scheitern daran, dass er sich dafür ausgerechnet den Zeitpunkt ausgesucht hat, an dem der mit seiner Frau wohl den schlimmsten Tag erlebt, den sich Eltern vorstellen können.

Keine dieser ursprünglich von Raymond Carver als einzelne Short Stories verfassten und erst von Altman verbundenen Geschichten ist besonders spektakulär, genauso wenig wie ihre am Ende des dreistündigen Films manchmal doch etwas abrupt wirkenden Auflösungen. Sie sind, wie meine Gattin nach dem Film sagte, damit einen unausgesprochenen Gedanken von mir bestätigend (wenn man über Film schreibt, formuliert man ja noch während des Filmschauens ständig mögliche Sätze), „wie das Leben“. Das heißt aber konsequenterweise nicht nur, dass sie sehr authentisch erscheinen, sondern auch, dass sie immer wieder auch banal, hässlich, undramatisch, unterentwickelt, pointen- und humorlos sind. Dies ist aber keineswegs als Kritik gemeint, schon deshalb nicht, weil es dazwischen immer wieder auch zahlreiche Momente von sprühendem Witz, menschlicher Wärme und bleischwerer Traurigkeit gibt, sondern eben ausdrückliche Stärke des Films, der sein Thema nicht aus einem Zurechtbiegen oder eine dichterischen Überhöhung und Stilisierung entwickelt, sondern einzig aus der Verbindung seiner einzelnen, kompakten Teile. Die Gesamtheit aller menschlichen Leben, ist jedes einzelne davon auch noch so mangelhaft und defizitär, ergibt ein wahrhaft göttliches Konstrukt, dessen wahre Schönheit auch im Hässlichen dem Menschen leider verschlossen bleiben muss, weil er zu sehr in seiner individuellen Narration gefangen ist, ihm der Überblick fehlt, sich selbst als Puzzleteil in einer gewaltigen Erzählung namens „Leben“ zu begreifen.

Vielleicht finde ich es auch deshalb so schwierig, mich zu SHORT CUTS zu verhalten. Die drei Stunden vergehen wie im Flug und die Charaktere werden einem – so idiotisch man ihre Neurosen und Probelme vielleicht auch finden mag – über die Spielzeit mit all ihren Macken so vertraut, dass man sich unweigerlich fragt, was beim eigenen Nachbarn denn eigentlich so vor sich geht. Aber dann ist der Film, dessen Protagonisten ja alle im Sumpf der irdischen Durchschnittlichkeit gefangen bleiben, ohne Hoffnung jemals aus diesem emporzusteigen, auch verdammt deprimierend. Und nichts, aber auch gar nichts kann für mich den Tod des kleinen Casey, die Schmerzen seiner Eltern und die unweigerlich aufkeimende Angst, es könnte dem eigenen Kind genauso ergehen, in eine tröstliche Perspektive rücken oder irgendwie abmildern. Diese auch von Altman zentral positionierte Geschichte prägt die Stimmung des ganzen Films, der damit sehr unmissverständlich in Erinnerung ruft, dass Leben immer ein Leben mit dem stets zur falschen Zeit eintreffenden Tod ist. Ich sagte es bereits: SHORT CUTS ist wie das Leben: voller Paradoxien. Ganz leicht zu schauen, dabei nur schwer zu ertragen. Eine ambitionierte Abhandlung über das moderne urbane Leben, die dabei aber nie zur Erbauungsprosa verkommt, auf metaphysische Paradiesversprechen und Romantisierungen ganz verzichtet. Ein zweifellos großer filmischer Wurf, der mir jedoch nie das Gefühl gab, einem Meister der Kunst bei der Ausübung seiner heiligen Kunst zusehen zu dürfen, sondern der in seiner narrativen Akribie nur wie gewissenhafte, ganz dem Zweck unterworfene Arbeit wirkt. Ein Film, der nicht dafür gemacht zu sein scheint, ihn schön zu finden, oder der sonstwie auf Zustimmung und Applaus aus wäre, sondern der einfach da ist. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt noch klarer hinbekomme: Mir ist SHORT CUTS irgendwie unheimlich.

Das war der vorläufige Abschluss meiner am Ende doch etwas ermüdenden Altman-Reihe. Ein guter Schluss, weil SHORT CUTS doch auch gut als Antwort Altmans auf den nicht zuletzt von mir öfter mal erhobenen Zynismus-Vorwurf gelten darf. Das letzte Drittel seines Werkes werde ich bestimmt irgendwann mal nachholen. Jetzt freue ich mich erst einmal, mich neuen Dingen zuwenden, die längst überfällige Fleischer-Werkschau mit neuem Elan beginnen und mich einem Regisseur widmen zu können, der einen gänzlich anderen Typus des Filmemachers vertritt.

Griffin Mill (Tim Robbins) hat die Aufgabe, für ein Hollywood-Studio geeignete Drehbücher auszuwählen. Als er mit Larry Levy (Peter Gallagher) einen Konkurrenten bekommt und in Folge Gerüchte kursieren, er befände sich auf dem absteigenden Ast, beginnen seine Nerven zu flattern. Eine Reihe von anonym an ihn gesendeten Droh-Postkarten trägt auch nicht zur Stärkung seines Nervenkostüms bei. Ein Treffen mit dem Drehbuchautor David Kahane (Vincent D’Onofrio), den Griffin vor ein paar Monaten abgewimmelt hat und deshalb als Urheber dieser Postkarten vermutet, endet schließlich in einem Handgemenge und der Ermordung des jungen Autors. Von nun an hat Griffin an zwei Fronten zu kämpfen: Er muss sich in der Hierarchie des Studios behaupten und gleichzeitig die bald mit unangenehmen Fragen auftauchende Polizei von seiner Unschuld überzeugen. Dass er eine Liebschaft mit Kahanes Ex-Freundin, der Malerin June Gudmundsdottir (Greta Scacchi), beginnt, macht seine Aufgabe nicht leichter …

THE PLAYER markierte zu Beginn der Neunzigerjahre eine Art Comeback für Robert Altman. Zwar war er in den Achtzigerjahren keineswegs untätig gewesen, doch keiner seiner in diesen Zeitraum fallenden Filme konnte an seine Erfolge aus den Siebzigern anknüpfen – sie floppten sowohl an der Kasse als auch künstlerisch, zumindest in den Augen der meisten Kritiker. Die Bissigkeit und der Spott, mit der er die Filmindustrie in THE PLAYER überzieht, legen die Vermutung nahe, dass er diesen Liebesentzug nicht erwartet hatte und für ungerechtfertigt hielt, die „Schuld“ nicht bei sich suchte, sondern einem mutlosen Studiosystem zuschob, das sich sein Publikum zurechtverdummt hatte. Sein Film ist bevölkert von Speichelleckern und Arschkriechern, hoffnungslosen Egomanen, Materialisten, rücksichtslosen Karrieristen und einfallslosen und noch dazu geschmacksverwirrten Produzenten, die eine Kunstform mit dem Enthusiasmus eines Versicherungsvertreters, der Ehrfurcht eines Grabschänders und dem Feingefühl eines Schrotthändlers traktieren. Es ist demzufolge alles andere als ein Wunder, dass ein solcher Rundumschlag nicht gerade dazu geeignet ist, das Herz des Zuschauers zu erwärmen. Mit dem Protagonisten, dem ebenso rückgrat- wie skrupellosen Griffin, fiebert man dann auch eher qua Konvention mit: Er ist die Figur, die man von Altman aufgezwungen bekommt und dass man ihm für seinen Mord und das darauf folgende feige Sich-um-die-Verantwortung-Drücken sowie das erbärmliche Abservieren seiner Freundin nicht die passende Strafe an den Hals wünscht, sondern vielmehr hofft, dass er entkommen möge, liegt einzig und allein daran, dass einem keine positiveren Alternativen zur Identifikation angeboten werden.

THE PLAYER ist schon ein besonders abgezockter und böser Film, der sich die Liebe, die normalerweise Menschen zukommt, ganz für seine filmischen Injokes, Meta-Referenzen und selbstreflexiven Tricks aufspart, die Altman am Ende zu einem hintersinnigen Zirkelschluss verwebt. Er eröffnet seinen Film mit der Großaufnahme einer Filmklappe und lässt den Zuschauer so gleich zu Beginn dem – vermeintlichen? – Trugschluss aufsitzen, er befinde sich an einem Filmset, den er mit seiner Schlusspointe dann doch wieder als richtig nahelegt, wenn Griffin über einen Film namens „The Player“ nachdenkt, der genau die Geschichte erzählt, der wir soeben beigewohnt haben. Dazwischen kommentiert Altman das Geschehen immer wieder mithilfe von Verweisen auf Filme, lässt seine Figuren während einer langen Einstellung ohne Schnitt über berühmte lange Einstellungen ohne Schnitt diskutieren oder Griffin Filmideen konstruieren, um Lösungsansätze für seine realen Probleme zu erproben. Film und Realität sind in THE PLAYER überhaupt nicht mehr zu trennen, was durch Dutzende von Cameos berühmter Schauspieler, Regisseure, Autoren und Produzenten, die sich selbst spielen, noch bekräftigt wird.

So gesehen ist THE PLAYER durchaus ein Vorbote des ein paar Jahre später durchstartenden Metakinos eines Quentin Tarantino, der ja ebenfalls eine Welt zeichnet, die aus popkulturellen Zitaten und Verweisen zusammengesetzt ist und von Menschen bewohnt wird, die sich vor allem als Popfans oder zumindest -konsumenten definieren. Der Unterschied ist, dass Altman seinem Zuschauer nicht die Ausflucht bietet, sein moralisch bis ins Mark verrottetes Hollywood als in der Fantasie verortete Parallelwelt zu begreifen. Man ahnt, dass die schwachsinnigen Pitches, die hirnrissigen Ideen und halbherzigen Kompromisse, die das Filmgeschäft in THE PLAYER betimmen, keine Erfindung und Halsabschneider wie Griffin keine Ausnahme, sondern genau der Stoff sind, aus dem die hollywood’schen Erfolgsgeschichten sind. Der unverkennbare, ätzende Humor dient ihm nicht zur Distanzierung, sondern dazu, die bittere Wahrheit umso tiefer einsinken zu lassen.

Um zum Schluss zu kommen: THE PLAYER ist ein meisterlich gefertigter Film und stilistisch tatsächlich eine Rückkehr zu den Großtaten seines Regisseurs. Es mag also an einer sich nach nunmehr 20 geschauten Filmen unweigerlich einstellenden Übersättigung meinerseits liegen – Altman-Filme sind immer Altman-Filme und sein Stil ist ebenso wenig variabel wie seine Themen -, dass er mich nicht mehr zu jenen Begeisterungsstürmen hinreißt, die er für meinetwegen NASHVILLE, CALIFORNIA SPLIT, MCCABE & MRS. MILLER, THIEVES LIKE US oder 3 WOMEN von mir geerntet hat. Ich finde, dass er diesen Meisterwerken aus den Siebzigern in THE PLAYER allerhöchstens noch Nuancen hinzuzufügen hat. Und der pastellige Look der frühen Neunziger ist einfach nicht mein Ding. Ich freue mich darauf, meine Zwei-Drittel-Werkschau mit SHORT CUTS demnächst abzuschließen, um mich mit neuer Frische anderen Dingen zu widmen – und THE PLAYER dann vielleicht in ein paar Jahren neu entdecken zu können.

Die New Yorker Prudence (Julie Hagerty) und Bruce (Jeff Goldblum) treffen sich zu einem Blind Date in einem französischen Restaurant, das in einem Eklat endet, als er ihr erst unverblümt sagt, dass er ihre Brüste mag, und ihr dann auch noch gesteht, dass er bisexuell ist und mit einem Mann zusammenlebt. Trotzdem begegnen sich die beiden hochneurotischen Personen wieder und versuchen an homosexuellen Liebhabern (Christopher THIS IS SPINAL TAP Guest), eifersüchtigen Müttern (Genevieve Page), sexhungrigen (Tom Conti) oder sprachgestörten Therapeuten (Glenda Jackson) vorbei eine Beziehung aufzubauen …

BEYOND THERAPY ist Altmans mittlerweile vierte Adaption eines Theaterstückes und wird in der Mainstreamrezeption als einer seiner großen inszenatorischen Fehlschläge betrachtet. Wie schön, dass er mir gefallen hat! Dabei sind die Vorwürfe, die gegen ihn in geradezu unheimlichem Einklang erhoben werden, nicht von der Hand zu weisen. Wenn Vincent Canby in der New York Times schreibt: „What ‚Beyond Therapy‘ lacks – to a near-fatal degree – is the kind of inexorable logic that is the fuel of any farce and makes its loony characters so funny. […] Under Mr. Altman’s wayward direction, ‚Beyond Therapy‘ has been transformed into a feature-length blur. There’s no special logic at work. The performances are good, but the film has been assembled without an overriding sense of humor and style. It remains in bits and pieces.“, dann muss man ihm in dieser Beobachtung zumindest teilweise ebenso Recht geben wie seinem Kollegen Roger Ebert, der BEYOND THERAPY als einen Film beschreibt, „in which every scene must have seemed like a lot of fun at the time, but, when they’re edited together, there’s no pattern to the movie, nothing to build toward, no reason for us to care „, ein gravierendes Manko in Altmans Schwäche für „asides and irrelevancies, for the kind of weird background action that usually works in his movies, but not this time“  erkennt und zu dem Schluss kommt, dass „the bits and pieces remain separate, unresolved, not adding up to anything.“ Tatsächlich wirkt BEYOND THERAPY zwischen den vielen akribisch konstruierten Filmen Altmans geradezu schlampig: Mit knappen 90 Minuten Laufzeit kommt er als handlicher, flüchtiger Gebrauchsfilm daher und eine herkömmliche, stringente Plotentwicklung sucht man vergebens. Beinahe könnte man von einer Sammlung von Sketchen sprechen, die zwar inhaltlich verbunden sind, aber keiner klassischen Dramaturgie folgen: BEYOND THERAPY beginnt als skurrile Komödie über Neurotiker bereits reichlich chaotisch und hält dies bis zum Ende durch. Wird als eines der Charakteristika von Narration die Entwicklung von Charakteren von einem Anfang zu einem Ende hin beschrieben, so fällt Altmans Film aus dieser Definition ziemlich heraus: Seine Charaktere sind wie der Titel schon sagt „untherapierbar“, entwicklungsunfähig – das teilt er mit dem Vorgänger FOOL FOR LOVE.

Als die angedeutete Sketchsammlung funktioniert der Film aber dennoch ausgezeichnet – und das ist eindeutig Altmans Sinn für schräge Figuren und absurde Situationen zu verdanken. Die beiden Therapeuten, die ihren Patienten doch eigentlich helfen sollten, sind selbst so komplexbeladen und dysfunktional, dass sie nur noch mehr Schaden anrichten: Prudence‘ Therapeut Dr. Framingham (Tom Conti) spricht mit einem lachhaften italienischen Akzent, weil er meint, dies verleihe ihm mehr Kompetenz, leidet unter vorzeitigen Samenergüssen und hört sich ihre Sorgen in erster Linie deshalb an, weil er hofft, sie noch einmal in sein Bett zerren zu können. Bruce‘ Therapeutin Charlotte hingegen verschläft ihre Sitzungen gern, hat die Wände ihres Büro mit Kinderbildern behängt, deren Relevanz für die Probleme des jeweiligen Patienten sie gebetsmühlenartig betont, und hat extreme Wortfindungsstörungen. Nebenbei trifft sie sich mit ihrem Büronachbarn Dr. Framingham zwischen den Sitzungen zum reuelosen Sex in einem leerstehenden Zimmer. Bruce‘ Liebhaber Bob ist nicht minder komisch und ihm gehört dann auch mein Lieblingsmoment des Films: Als Bruce Prudence in die gemeinsame Wohnung einlädt, lauert Bob hinter einer dieser japanischen Papierwände, die sein Schlafzimmer vom Wohnbereich abgrenzen. Als Bruce sich in der Küche zu schaffen macht, öffnet er die Schiebetür, bittet Prudence Bruce auszurichten, dass er mit ihm zu sprechen wünsche, schließt die Tür und ist danach als regloser Schatten hinter der Papierwand zu sehen, der wie eine Drohung hinter Prudence zu lauern scheint. Neben diesen komischen Perlen und den mit Pointen gespickten Dialogen gibt es aber – wie oben angedeutet – auch etliche Elemente die ihren Platz innerhalb des Films nicht so recht finden wollen: Die manische Belegschaft des französischen Restaurants, in dem sich ein Großteil des Filmes zuträgt, kommt zu kurz und hätte mehr Raum gebraucht. Die Schlusseinstellung schließlich, die den die ganze Zeit über erkennbaren echten Schauplatz des Films – Paris – enttarnt, mutet auch eher redundant an. Aber da BEYOND THERAPY so herrlich unangestrengt und selbst „untherapierbar“ rüberkommt, kann und will ich all diese Schwächen einfach nicht als solche begreifen. Auch, wenn ihm gegen Ende der eigene Wahnsinn fast die Luft abdreht.

In einem ranzigen Motel in der Mojave-Wüste verschanzt sich May (Kim Basinger) vor ihrem zurückkehrenden Liebhaber, dem Cowboy Eddie (Sam Shepard), der sie einst mit einer anderen Frau betrogen hatte. In einer aufgeheizten Nacht prallen die beiden nun wieder aufeinander, versuchen, sich selbst zu behaupten und erliegen dabei doch wieder nur dem anderen. Es ist eine komplizierte Beziehung und der „alte Mann“ (Harry Dean Stanton), der die beiden neugierig beobachtet, weiß auch warum: Er ist nämlich ihr gemeinsamer Vater …

FOOL FOR LOVE basiert auf einem Stück von Hauptdarsteller Sam Shepard, ist somit die dritte Theateradaption Altmans in Folge (nach COME BACK TO THE FIVE AND DIME, JIMMY DEAN, JIMMY DEAN, STREAMERS und SECRET HONOR) und außerdem einer jener Filme, mit denen die Cannon Mitte der Achtzigerjahre ihre Ambitionen, zu den großen Studios aufzuschließen, zementierte und sich einen neuen Ruf als cinephile Produktionsfirma aufzubauen suchte: Neben Altman drehten seinerzeit auch Barbet Schroeder, John Cassavetes, John Frankenheimer, Andrey Konchalovskiy und Jean-Luc Godard für die Cannon. Dass die Pläne für die Cannon zumindest mittel- bis langfristig nicht aufgingen, muss ich hier nicht mehr erwähnen, wohl aber, dass FOOL FOR LOVE auch den qualitativen Schlingerkurs, den Altman in den Achtzigerjahren fuhr, nicht beenden konnte. Ich muss eingestehen, dass ich seinen Film nicht besonders konzentriert verfolgt habe und meine Meinung daher eher vorläufigen Charakter hat – auch wenn ich definitiv nicht vorhabe, mir FOOL FOR LOVE in Bälde nochmal anzusehen.

Shepards Stück, für das er sich hinischtlich seines Settings und der Figuren aus dem Fundus des Film Noir bedient, zeichnet das emotionale Porträt einer heißblütigen Hassliebe, die ihre Wurzeln in der Vergangenheit und dem egoistischen Lebenswandel des gemeinsamen Vaters hat, der zwei Beziehungen gleichzeitig führte und mit beiden Frauen Kinder zeugte, die sich schließlich ineinander verliebten. Leider wirkte das Ganze auf mich vor dem Hintergrund des bis zur Abstraktion stilisierten Settings jedoch gar nicht aufgeheizt, sondern eher blutleer und konstruiert. Das Hauptproblem ist für mich die fehlenden Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern: Zwar kennt man solche White-Trash-Paare wie Eddie – Typ: kerniger, unnachgiebiger Macho – und May – Typ: heilige Hure des Trailerparks – zu Genüge aus anderen Filmen, um ihre Beziehung sofort zu akzeptieren, aber über diese Konvention hinaus scheint es nur wenig zu geben, was die beiden aneinander bindet. Möglicherweise ist das aber auch gerade der Punkt des Films: Aufgrund ihrer Vergangenheit ist es ihnen unmöglich, eine Entscheidung gegen den anderen und für ihr eigenes Wohl zu treffen. Aber um das als tragisch und demzufolge Mitleid oder Sympathie für die Figuren zu empfinden, müssten diese einem in ihrem Leid ja irgendwie plausibel gemacht werden. Und das gelingt meines Erachtens nach gar nicht:  Vielleicht liegt das aber auch nur an meiner Abneigung für Shapard (die mir erst jetzt wirklich bewusst geworden ist) und der Tatsache, dass ich bei Kim Basinger nie weiß, ob sie eine miese Schauspielerin ist, oder ob ihre scheinbare Unbeholfenheit tatsächlich nur gespielt ist. So lief der Film an mir vorbei, ohne dass mir klar geworden wäre, warum ich diese Geschichte interessant und erzählenswert finden sollte. Filmisch betrachtet bekommt Altman die bei STREAMERS unübersehbaren Probleme besser in den Griff, profitiert dabei von seinem Setting, der Cinematografie von Pierre Mignot (mit dem er auch bei den anderen oben genannten Theateradaptionen sowie bei O.C. AND STIGGS zusammengearbeitet hatte)  und dem stimmunsgvollen Country-Soundtrack. Wenn ich etwas Positives über FOOL FOR LOVE sagen sollte, dann, dass er unleugbar über eine sehr dichte Atmosphäre verfügt, der aber leider der schrecklich egale Inhalt entgegensteht. Einfach nicht meins, sowas soll’s geben.

Phoenix, Arizona: Oliver Cromwell Ogilvie, kurz O. C. (Daniel Jenkins), und sein Kumpel Mark Stiggs (Neill Barry) vertreiben sich ihren letzten Sommer vor dem Gang aufs College damit, die verhasste Upper-Middleclass-Familie um den Versicherungszampano Randall Schwab (Paul Dooley) zu quälen und bloßzustellen …

Auch wenn ich der unumstößlichen Meinung bin, dass die zahlreichen Rezensenten, die O. C. AND STIGGS als Altmans größten Fehlschlag bezeichnen, dass nur tun, weil sie entweder QUINTET nicht gesehen haben oder aber zu besessen davon sind, als gebildete, kunstbeflissene, sensible und durch und durch aufgeklärte Liberale durchzugehen, als dass es ihnen möglich wäre, dem bemüht wichtigen STREAMERS diese hochverdiente Ehre zukommen zu lassen, fällt es nicht schwer, seinen Versuch, eine auf Charakteren aus dem Witzmagazin „National Lampoon“ basierende Teeniekomödie zu inszenieren, als weitestgehend gescheitert zu betrachten. Altman selbst macht keinen Hehl daraus: Das Drehbuch von Ted Mann und Donald Cantrell gefiel ihm überhaupt nicht, sodass er deren straighte Teeniekomödie in eine ihm besser zu Gesicht stehende Satire auf amerikanisches Spießertum und Konformität umformte, damit wiederum den Zorn der Autoren und die Ratlosigkeit des Studios auf sich ziehend, die den Film kurzerhand für zwei Jahre in die Archive verbannten und ihn erst dann auf ein vollkommen gleichgültiges Publikum losließen.

Angesichts der Tatsache, dass Altmans Film eigentlich ein ziemlicher Schlag ins Gesicht des Durchschnittsamerikaners ist, der seine hart erarbeiteten Dollars an der Kinokasse für eine locker-flockige Teeniekomödie bezahlte, dann aber ein anarchisches Durcheinander zu Gesicht bekam, in dem alles, was ihm lieb und teuer war, mit ätzendem Spott überzogen wurde, ist die Reaktion „Gleichgültigkeit“ eigentlich fast noch als Triumph zu bewerten. Wie seine beiden Protagonisten, die ihre Verachtung für die geschmacklos-unkultiviert-dekadenten Schwabs gar nicht mehr verbergen können und deren „Streiche“ mehr als einmal die Qualität von Terroranschlägen annehmen, so arbeitet sich Altman mit Gusto an der heilen Mainstreamkinowelt ab: Sein Film ist ein großes „Fuck you!“ an den Eskapismus, an die Idee wohlgeformter, gut reinlaufender Unterhaltung, an affirmatives, den Status quo erhaltendes Message-Kino und ans Wohlfühl-Bedürfnis des Publikums. Mehr als einmal fühlte ich mich an BREWSTER MCCLOUD erinnert, denn wie in jenem Film erteilt Altman den Konventionen von linearer Narration und psychologischer Charakterisierung in O. C. AND STIGGS eine Absage. Gespickt mit Filmzitaten (Dennis Hopper wiederholt seine Rolle aus APOCALYPSE NOW, eine spontane Tanzeinlage referenziert den vergangenen Glamour von Fred Astaire und Ginger Rogers, ein Trip nach Mexiko erinnert an verschiedene Western und Ray Walston gibt die Rentnerversion eines ausgebrannten Noir-Cops), Selbstbezügen (der Politiker Hal Phillip Walker aus NASHVILLE zeigt hier endlich auch sein Gesicht, die Comichaftigkeit erinnert an Altmans letzten Ausflug ins Mainstreamkino mit POPEYE), dem expressiven Einsatz von Musik (das chaotische Treiben der Schwabs wird einmal von Henry Mancinis PINK PANTHER-Melodie unterlegt) und den in diesem Sujet fremdartig erscheinenden typischen Altmanismen wie den überlappenden Dialogen und der mäandernden Kamera, ist O. C. AND STIGGS Metakino vom allerfeinsten, das nie einen Hehl daraus macht, am Plot kaum mehr als ein sekundäres Interesse zu haben. Die Geschichte, wenn man sie denn so nennen will, folgt einer den Rhythmus völlig zerstückelnden Rückblendenstruktur und statt einer runden Dramaturgie gibt es mehrere völlig ins Leere laufende Episoden.

Auch die zahlreichen Gags taugen kaum dazu, sich freudig auf den Schenkel zu klopfen: Da berichtet ein Penner namens Wino Bob (Melvin Van Peebles), Lincoln habe die Sklaven nur deshalb befreit, weil er sich im Vollrausch befand, verbirgt die Alkoholikerin Elinor Schwab (Jane Curtin) ihren Schnaps in immer absurder werdenden Verstecken, obwohl ihre Familie eigentlich eh völlig gleichgültig ist, verteilen die beiden Protagonisten T-Shirts, die mit dem Firmenlogo von Schwabs Versicherung bedruckt sind, an die Pennerfreunde von Wino Bob, damit diese damit in der Stadt herumlaufen, drücken dem nerdigen Schwab-Sohn Randall jr. (Jon Cryer) auf der Hochzeit von dessen Schwester ein geladenes Maschinengewehr in die Hand und sind die Dialoge der braven Durchschnittsbürger von gesalzenen Rassismen durchzogen, die deutlich machen, dass ihnen das amerikanische Herrenmenschendenken ganz selbstverständlich geworden ist.

„Gefallen“ im herkömmlichen Sinne hat mir O. C. AND STIGGS nicht. Aber wie ich weiter oben schon sagte: Er ist ausdrücklich gegen ein solchens „leichtes“ Gefallen inszeniert, weswegen auch ein Mäkeln daran, dass hier im Grunde nichts so richtig zusammenpasst, den Kern der Sache verfehlt. Als heimtückischen Guerillafilm, als Wolf im Schafspelz, als gefährlichen Querschläger, als filmischen Doppelagenten und als Nackenschlag gegen die Rezipienten-Bequemlichkeit ist O. C. AND STIGGS ausgezeichnet. Altman hat sich mitnichten einen Fehlgriff geleistet: Er wusste ganz genau, was er hier tat. Und das nötigt mir großen Respekt ab. Wie viele einst mit großen Idealen gestartete Filmemacher sind dann doch irgendwann dem Duft des großen Geldes gefolgt oder haben just in dem Moment, als es darauf ankam, für diese Ideale tatsächlich einzutreten, den Schwanz eingekniffen? Eben.

Einen schönen Text – einen der wenigen positiven – zum Film hat Georg Seeßlen verfasst. Er findet sich hier.

In den späten Siebzigerjahren schließt sich der 1974 nach dem Watergate-Skandal aus dem Amt entlassene Präsident Richard M. Nixon in seinem Arbeitszimmer ein. Er trägt einen samtroten Hausmantel, schenkt sich ein gutes Glas Scotch ein, lädt seinen Revolver, schaltet die Überwachungsbildschirme an und bereitet ein Aufnahmegerät vor. In den folgenden 90 Minuten wird er einen Monolog halten, der als Verteidigungsrede vor einem imaginären Richter beginnt, jedoch immer wieder in einen ausufernden, konfusen Stream of Consciousness abgleitet. Er wird seinen Werdegang beschreiben, seine Feinde angreifen sowie seine Version des Watergate-Skandals darlegen, der doch nur das kleinere Übel gegenüber einem weitaus schlimmeren Vergehen war, das es zu vermeiden galt …

SECRET HONOR ist das Ergebnis von Altmans Gastprofessur an der Universität von Michigan, wo der Film unter Mithilfe der Studenten gedreht wurde, und basiert auf dem Bühnenstück von Donald Freed und Arnold M. Stone, das Altman mehreren Quellen zufolge annähernd eins zu eins auf die Leinwand übertrug. Anders als bei der misslungenen Adaption von STREAMERS, bei dem Altman überwiegend Großaufnahmen einsetzte, und eine schlüssige Raumdramaturgie völlig vermissen ließ – unverzeihlich eigentlich bei einem Stück, das in nur einem einzigen Raum spielt -, findet er für SECRET HONOR wieder zu einer kraftvollen Inszenierung zurück. Die Kamera gleitet mit Nixon durch dessen mondänes Arbeitszimmer, steht wie dieser kaum still, beleuchtet ihn von allen Seiten wie einen Fetisch und suggeriert so immer die Präsenz jener Entität, um die es bei Nixon immer auch und gerade dann ging, wenn es eigentlich nur um ihn zu gehen schien: die Öffentlichkeit, das Volk. Das Stück von Freed und Stone ist eine Fiktion, mit dem Ziel „to illuminate the character of President Nixon“ „in an attempt to understand“, wie eine Texttafel zu Beginn erklärt. Es geht also nicht in erster Linie um Fakten, auch wenn sie die Basis für die Fiktion Stones und Freeds bilden, sondern in erster Linie darum, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen sich die Figur Nixon als Mensch verstehen lässt. SECRET HONOR verfolgt damit zwar ein ähnliches Ziel wie Stone in seinem NIXON, doch die Mittel sind komplett andere: Während Stone eine anscheinend objektive biografistische Sichtweise bemüht, um ein dichtes Biopic zu weben, das Nixon in der Verstrickung in einen größeren Gesamtzusammenhang konturiert, blendet SECRET HONOR jedes wie auch immer geartete Außen aus, lässt somit nie einen Zweifel an seinem spekulativen Gehalt, kommt dem Menschen Nixon ironischerweise aber gerade dadurch näher als Stone.

Es sind Sympathie und Empathie, die aus Altmans Film sprechen, doch werden diese nicht um den Preis der Geschichtsklitterung erkauft. Der Zuschauer sieht einen mit Worten ringenden, mal schäumenden, dann wieder jammernden, gebrochenen, verbitterten, enttäuschten und neidischen Mann, einen, der unfähig ist, die Verantwortung für sein Versagen zu übernehmen, und der gerade deshalb unseres Mitgefühls sicher ist, weil sein Verhalten nicht zu entschuldigen ist. Nixon ist trotz der Macht und des Wohlstands, die er seinem Amt zweifelsfrei zu verdanken hatte, ein Opfer seiner Erziehung, seiner Zeit, seiner Nation und seines Ichs. Und eben dies machte ihn für das US-amerikanische Volk, das ihn – das sollte man nicht vergessen – zu einem beispiellosen Wahlsieg und einer zweiten Amtsperiode verholfen hatte, zu einem Traumkandidaten, einer Projektionsfläche für alle eigenen unerfüllten Ambitionen. Nixon – das zeigt sich mehrfach im Film, etwa wenn er einen unbekannten Dritten namens Roberto per Aufnahme instruiert, Passagen, in denen er sich zu sehr verstrickt hat, wieder zu löschen – ist besessen von seinem Bild und seiner Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit und die Anerkennung der Bevölkerung schwebt immer als höchstes Ziel über seinen Entscheidungen. Es ist die bittere Ironie der Fabel von Stone und Freed, dass sie gerade jenes Ereignis, mit dem sich Nixon auf ewig als Verräter brandmarkte, als seinen größten Dienst an seinem Land und vielleicht als seinen einzigen wirklich selbstlosen Akt zeichnen. Weil Nixon sich ganz und gar der Macht verschrieben, einen faustischen Pakt mit denen geschlossen hatte, die ihn im Präsidentenamt halten konnten, hatte er sich zu ihrer Handpuppe gemacht: Ein jämmerlicher Strohmann, der die Drogengeschäfte der Mächtigen mit Fernost decken sollte, indem er das Ende des Vietnamkriegs hinauszögerte. Watergate, so bekennt er am Schluss, war seine Inszenierung, um ihrem Zugriff zu entgehen, den ihm ekelhaft gewordenen Pakt von seiner Seite aufzukündigen. Er opferte sich und den Ruf des höchsten Amtes der USA, um Leben zu retten.

Diese Offenbarung, der Stoff, aus dem die Verschwörungstheorien sind, ist zwar der dramaturgische Höhepunkt des Films, doch tritt er hinter der Leistung Philip Baker Halls zurück, der seinen Nixon bis zur Selbstaufgabe und aller Ketten entledigt interpretiert, jeden Zentimeter des Settings erkundet, alle Fassetten seiner Stimme nutzt und damit eine Darbietung für die Ewigkeit gibt. Er ist der menschliche Kern des FIlms, der den Zugang zu ihm auch dann ermöglicht, wenn man – wie ich und wahrscheinlich viele Zuschauer, die Nixon nur aus zweiter Hand kennen – mit den Details seiner Präsidentschaft nicht so vertraut ist. Die Namen fliegen manchmal nur so an einem vorbei, aber das ist nicht entscheidend, weil es vor allem um das „Wie“ von Halls Monologisierung geht, die Emotionen, die in seinen Tiraden zum Ausdruck kommen. SECRET HONOR ist ein hoch komplexer Film. Es geht um einen Mann, in einem Zimmer, mit einem Bedürfnis. Aber gleichzeitig um alles.

In einer Army-Baracke warten vier junge Männer angespannt darauf, den Marschbefehl nach Vietnam zu erhalten: der konservative und wortgewandte Billy (Matthew Modine), der zurückhaltende, sensible Afroamerikaner Roger (David Alan Grier), der intellektuelle, effiminierte Richie (Mitchell Lichtenstein) und Martin (Albert Macklin), der der Einberufung mit einem Selbstmordversuch entgeht. Die Jungen, die von den ständig besoffenen Korea-Veteranen Cokes (George Dzundza) und Rooney (Guy Boyd) beaufsichtigt und geneckt werden, unterhalten sich, scherzen und trinken miteinander und befassen sich unwillkürlich mit Fragen von Rasse, Klasse und Sexualität: Ist Richie wirklich homosexuell? Als der aggressive Ghetto-Schwarze Carlyle (Michael Wright) sich in die Diskussionen einmischt, eskaliert die Situation …

Ich wusste schon, warum ich keine Lust auf Altmans Filmadaption des Theaterstückes von David Rabe (das Mitte der Siebzigerjahre in einer Inszenierung von Mike Nichols uraufgeführt wurde) hatte. Und auch wenn das eigentlich keine ´Grundlage ist, auf der man einen Film fair bewerten kann, so muss ich doch sagen, dass STREAMERS alle meine Befürchtungen bestätigt hat. Um die folgende Kritik etwas abzumildern sei gesagt: Ich habe es nicht so mit Theater und STREAMERS verkörpert so ziemlich alles, was ich am Theater nicht mag. Auch wenn Altman bemüht ist, das Kammerspiel mithilfe der ihm zur Verfügung stehenden Technik in das Medium Film zu übertragen, so gelingt es ihm nicht, den ihm innewohnenden didaktisch-pädagogischen Mief auszutreiben. Was in einem Theaterstück, dessen „Gemachtheit“ ja viel deutlicher mitkommuniziert wird als in einem Film, noch funktionieren mag, das erscheint in einem Film einfach nur gestelzt und unglaubwürdig: Der Genickbruch für ein Werk, das kein Lieferant von Schauwerten sein, sondern den Zuschauern etwas auf den Weg mitgeben möchte. Thematisch ist STREAMERS, dessen Titel einen sich nicht öffnenden Fallschirm bezeichnet, der natürlich als Bild für den freien Fall der Protagonisten zu lesen ist, durchaus nicht uninteressant: Er erhebt das ängstliche Warten der jungen Soldaten im beengten Inneren der Baracke zum Gleichnis auf das menschliche Dasein generell. Der Druck, der auf den Männern lastet, ist der Druck der Existenz selbst, das nicht mehr als ein trostloses Leben zum Tode ist. Altman, unsentimentaler Realist, wenn nicht gar Zyniker,  versteht es meisterlich, diese Hoffnungslosigkeit einzufangen, die Außenwelt – Studiosettings, auf die man lediglich kurze Blicke durch die kleinen Fenster der Baracke werfen darf – weniger als realen Raum als vielmehr als utopisch verklärte Projektionsflächen darzustellen. Es sind vor allem die konkreten gesellschaftskritischen Untertöne, die in STREAMERS angeschlagen werden, die zumindest in Altmans Version merkwürdig unentschlossen und halbgar wirken. Das größte Problem des Films ist sicherlich, dass Richies Verhalten selbst zu Zeiten des Vietnamkriegs kaum jemanden vor Rätsel bezüglich seiner sexuellen Ausrichtung gestellt haben dürfte: Lichtenstein, der vor einigen Jahren die schöne Horrorkomödie TEETH inszenierte, stattet seine Figur mit so offenkundig klischierten, fast schon die Grenze zur Karikatur überschreitenden homosexuellen Merkmalen und Eigenschaften aus, dass die Ahnungslosigkeit seiner Kameraden wie auch die Erkenntniskrise, in die sie sein Geständnis schließlich stürzt, freundlich formuliert naiv und unglaubwürdig, weniger zurückhaltend jedoch schlicht lächerlich  wirken. Weil die Frage nach Richies sexuellen Präferenzen aber der Dreh- und Angelpunkt ist, um den sich alle weiteren Konflikte gruppieren, ist dieser Makel allein schon dazu geeignet, Altmans Film als Ganzes zu desavouieren. Der Konflikt, der schließlich eskaliert, als der Unterklassen-Schwarze Carlyle den sexuellen auch noch rassistische Schmähungen hinzufügt – er bezichtigt seinen „Bruder“ Roger, sich dem „weißen Mann“ anzubiedern -, wird genauso wenig „echt“ wie die Charaktere, die die hinter ihnen stehenden aufklärerischen Motive, deren Sprachrohr sie sind, nie verbergen können. Die Vorlage hätte sicher Stoff für einen interessanten Film hergegeben: Altmans STREAMERS ist keiner, sondern lediglich verfilmtes Theater, mit allen negativen Konnotationen. Nicht ganz so katastrophal daneben wie QUINTET, aber auf seine bieder-gutmenschelnd-durchschnittliche Art fast noch schlimmer.

Man weiß nicht, was das größere Rätsel ist: wie die Entscheider bei Disney und Paramount auf die Idee kommen konnten, ausgerechnet Altman für die Verfilmung des beliebten Comicstrips zu engagieren, einen Regisseur, der sich bis dahin nicht gerade einen Namen mit kassenträchtigen Publikumsschlagern und kindgerechtem Entertainment gemacht hatte. Oder wie es Altman gelang, alle Befürchtungen eines Sellouts zu zerschlagen, mit POPEYE tatsächlich ein jederzeit als Altman-Film erkennbares Werk abzuliefern und noch dazu eines, das nicht bloß als Kuriosität und bizarrer Fehlschlag angesehen werden darf, sondern eines, das aller offenkundiger Mängel zum Trotz tatsächlich als eine der schönsten, eigenständigsten und mutigsten Comicverfilmungen bezeichnet werden muss. Diese Meinung teilt man allerdings nicht mit allzu vielen Menschen: POPEYE ist in der Rezeption weitestgehend als Flop gebrandmarkt, was zumindest in finanzieller Hinsicht schon rein faktisch falsch ist, denn er war seinerzeit durchaus erfolgreich und spielte das Doppelte seines Budgets allein während seiner Kinoveröffentlichung in den USA ein. Allerdings dürfte ein nicht unerheblicher Teil der Zuschauer damals etwas irritiert aus dem Kino gekommen sein, denn was Altman aus der Vorlage gemacht hatte, widersprach der Hoffnung des Publikums auf eine bunte, geradlinige und den etablierten Strukturen des Unterhaltungskinos verhaftete Umsetzung vehement.

Wenn man wollte, dann könnte man so etwas wie eine Plotlinie aus POPEYE herausfiltern, doch ist Altman an dieser viel weniger interessiert als daran, das aus der Zeit gefallene Fantasiestädtchen Sweethaven mit seinen verschrobenen Bewohnern zu einem lebendigen und authentisch wirkenden Eigenleben zu verhelfen, ohne es jedoch lediglich zu „verrealisieren“. Mit seinen windschiefen, chaotisch übereinander getürmten und beinahe organisch aus den Skeletten älterer Bauten und gestrandeter Schiffe errichteten Häusern, die gegen architektonische Paradigmen wie Ökonomie, Effizienz oder Pragmatik krass verstoßen, verfügt POPEYE nicht nur über eine der schönsten Filmkulissen überhaupt, Altman versteht es auch, diese Kulisse als Ausdruck des Innenlebens der Bewohner zu inszenieren und Sweethaven so zur Karikatur auf das moderne Stadtleben zu überhöhen.

Der „Taxman“ (Donald Moffat) erhebt auf jede Tätigkeit sogleich eine Steuer, im Restaurant von Round House (Allan F. Nicholls) gibt es ausschließlich Burger (als Vorsichtsmaßnahme gegen die immer wieder ausbrechenden Schlägereien kann die Kassiererin von der Decke einen Käfig über ihren Arbeitsplatz herabsenken), Bluto fordert nachts mit einem lauten Schrei alle Bewohner dazu auf, ihre Lichter zu löschen, und alle sind so sehr mit ihren hanebüchenen Tätigkeiten beschäftigt, dass sie darüber völlig unempfänglich für die eigenen Bedürfnisse und Gefühle und die ihrer Mitmenschen sind. So schiebt Olive ihre Hochzeit mit Bluto, mit dem sie nur wegen seines Ansehens zusammen ist und über den sie nicht mehr Positives vorbringen kann, als dass er „large“ sei, ständig vor sich her, bis ihr nur noch die Flucht vor ihm bleibt. Kein Wunder, dass Popeye, der von sich selbst nur sagen kann „I am what I am what I am what I am“, frischen Wind in die Stadt bringt. Alle diese Charaktere wirken wie echte Persönlichkeiten, nicht bloß wie zweidimensionale Pappaufsteller, und die Besetzung muss man als phänomenal bezeichnen. Robin Williams kopiert den Comicseemann in seinem Spielfilmdebüt geradezu perfekt, hat mit seinem hingenuschelten Seemannsenglisch voller falsch betonter Wörter eine zitierwürdige Zeile nach der anderen (mein Favorit: „I’m no doctor but I’m losing my patience.“) und außerdem traumhafte Gummiunterarme und -waden. Paul L. Smith, der in den Siebzigern gern als Bud-Spencer-Klon besetzt wurde (und später in Raimis göttlichem CRIME WAVE mitspielte) ist perfekt als Bluto und dasselbe gilt für Paul Dooley als burgersüchtiger Wimpy. Im Zentrum steht aber eindeutig Shelley Duvall, die für die Rolle der Olive Oyl wohl geboren wurde und ohne die man sich den Film gar nicht vorstellen mag. Wie sie die Bewegungslegasthenie ihres Comicvorbilds kopiert, ihre Beine ineinander verheddert und mit ihrer fragilen wie durchdringenden Stimme „He needs me“ singt, ist herzerweichend. Man merkt, dass Altman die Vorlage ganz genau studiert hat und sie deshalb bis ins Detail perfekt in Spielfilmbilder übersetzen konnte. (Wer allen Ernstes kritisiert, dass die Schauspieler schlecht sängen, hat tatsächlich den Witz nicht verstanden.)

Dass POPEYE trotzdem nicht ausschließlich positiv aufgenommen wurde, liegt wiederum ebenfalls an Altman: An ausuferndem Klamauk ist er ebenso wenig interessiert wie an den Balgereien, die in den Comics meist im Vordergrund standen. Die kurzen Schlägereien des Films muten undynamisch und wie ein Zugeständnis an die Erwartungen des Publikums an, genauso wie der sich erst im letzten Drittel in den Vordergrund drängende Plot, dessen Verlauf weitaus weniger interessant ist als das geschäftig-ziellose Treiben auf den Straßen Sweethavens. Altman ist einfach kein Actionregisseur, weil er sich für Bewegung nur soweit interessiert, wie sie etwas über den Charakter verrät: Deswegen ist sie in POPEYE auch meist als Tanz an die von Hardy Nilsson geschriebenen Musicalnummern gekoppelt. Bewegung als Selbstzweck, das Aufgehen in der Aktion, das ein Sich-Verlieren im Hier und Jetzt ist, hingegen sind seine Sache nicht. So stellt sich gerade in den slapstickartigen Actionszenen ein Gefühl der Distanz ein: Man spürt als Zuschauer, dass Altman mit diesen Szenen nichts anzufangen wusste, sie ihn nicht interessierten. Da sitzen Schnitte nicht richtig, Bewegungsabläufe scheinen unnatürlich und forciert und visuelle Pointen versanden wirkungslos, weil sie schlecht getimt sind. Der Finalkampf gegen Bluto schließlich ist nicht weniger als antiklimaktisch. Aber nirgendwo sonst tritt das Desinteresse Altmans an der Schlagkraft seiner Hauptfigur so deutlich hervor, wie in seinem Verzicht auf das zentrale Erzählelement der Comics: Als ganz zum Schluss endlich die Dose Spinat geöffnet wird, die Popeye seine Kraft verleiht, wirkt das wie eine Niederlage Altmans.

Doch auch wenn POPEYE also letztlich vor allem als Ergebnis eines verlorenen Kampfes Altmans mit sich selbst betrachtet werden kann, sein Film demzufolge alles andere als eine runde Sache, sondern in sich unschlüssig und zerrissen ist, so ändert das nichts an meiner Zuneigung für ihn. Die ist mit dieser Zweitsichtung noch gestiegen: Vielleicht auch, weil ich die verwinkelten Gässchen Sweethavens, das sein Dasein heute unter dem Namen „Popeye Village“ als etwas maroder (und überteuerter) Vergnügungspark auf Malta fristet, wo der Film gedreht wurde, selbst schon durchschreiten durfte und bei Betrachtung des Films demnach das schöne Gefühl hatte, diesen Ort – und mit ihm seine Bewohner – tatsächlich zu kennen.

Über eine Partnerschaftsagentur lernen sich Alex (Paul Dooley) und Sheila (Marta Heflin) kennen: Er ist der Sohn einer griechischen Einwandererfamilie, arbeitet im Antiquitätengeschäft seines patriarchischen Vaters (Titos Vandis) und hat sich immer noch nicht von diesem emanzipiert, obwohl er schnurstracks auf die 50 zugeht. Sie ist Sängerin der vielköpfigen Rockband „Keepin‘ ‚em off the Streets“, lebt mit allen Musikern gemeinsam in einem großen Loft und wird vom herrischen Frontmann Teddy (Ted Neeley) herumkommandiert. Das erste Date verläuft dank eines Wolkenbruchs und des nicht schließenden Verdecks seines Wagens annähernd katastrophal und das sich dennoch anbahnende Liebesglück wird auch in der Folge immer wieder von den jeweiligen Familien torpediert, die ihre Exklusivansprüche geltend machen …

Nach dem künstlerischen und kommerziellen Fiasko von QUINTET stellt der im gleichen Jahr entstandene A PERFECT COUPLE gleichermaßen eine Rückbesinnung auf alte Stärken wie auch den gelungenen Versuch Altmans dar, nach vielen konzeptschweren Filmen auf dem Gebiet der leichten Liebeskomödie Fuß zu fassen bzw. diese den eigenen Vorstellungen anzugleichen. Nach eigenem Bekunden wollte er eine Liebesgeschichte mit ganz normalen Menschen erzählen anstatt mit überirdischen Hollywood-Stars und demzufolge sind Idealismus, Kitsch und Pathos in A PERFECT COUPLE dann auch vollkommen abwesend: Von Dooley und Heflin eher verkörpert als gespielt, torkeln Alex und Sheila abwechselnd trunken vor Glück und dann wieder ernüchtert von der Unzulänglichkeit der Realität einem Happy End entgegen, den Titel des Films erst als Ironie enttarnend, dann schließlich dessen Implikationen hinterfragend: Gibt es sie überhaupt, die perfekten Paare, deren Hälften sprichwörtlich für einander gemacht sind? Oder zeichnet ein solch „perfektes Paar“ nicht vielmehr aus, dass es die eigene Unperfektheit akzeptiert und als eigene Stärke interpretiert?

In einem typischen Anflug Altman’scher Pointierung kreuzt immer wieder ein älteres, namenlos bleibendes Liebespaar den Weg der Protagonisten, das die hilflosen Bemühungen der Protagonisten, zusammenzufinden, mit schier unerträglicher Glückseligkeit kontrastiert. Es ist eines dieser Paare, die in einem luftleeren Raum zu existieren scheinen, vollkommen unempfänglich für die sie umgebende Durchschnittlichkeit, die Sorgen und Nöte der weniger vom Schicksal begünstigten Menschen und besoffen von der Liebe, und deren ostentativ vor sich hergetragenes Glück von jedem normalen Menschen geradezu als Affront empfunden werden muss. Nichts kann ihr entrücktes Lächeln trüben, nichts ihre heilige Zweisamkeit stören, während Alex und Sheila von einer Panne zur nächsten schlittern, sich die kurzen Momente des Glücks hart erarbeiten müssen und dann doch wieder einen Rückschlag erfahren. Doch ganz am Ende, als es ihnen gegen alle Widerstände gelungen ist, zusammenzufinden, da zeigt dieses vermeintlich perfekte Paar auf einmal seine bisher verborgen gebliebene hässliche Seite. „The grass is always greener on the other side“ heißt es: Erst wenn man selbst mit sich im Reinen ist, erkennt man, dass die anderen nicht so makellos sind, wie es vorher den Anschein hatte. Perfektion existiert nur in der Vorstellung, auch Jennifer Lopez stinkt beim Kacken.

Wollte man die Leichtigkeit von A PERFECT COUPLE als Mangel an Nachdrücklichkeit kritisieren, hieße das gerade die Stärke des Films zu übersehen, der in Altmans unachahmlicher Art das pure Leben in all seiner Willkürlichkeit und Irrelevanz einfängt. Die Geschichte von Alex und Sheila wird immer wieder von den Darbietungen ihrer Band unterbrochen, deren Songs das Geschehen zum Teil kommentieren, manchmal aber auch einfach nur aufbrechen und damit den Eindruck verwischen, hier werde eine Geschichte mit einem zwingenden Anfang und einem ebensolchen Ende erzählt, deren Richtung kausal und also zwangsläufig ist. A PERFECT COUPLE ist episodisch, manches läuft ins Leere, anderes platzt vollkommen unerwartet in die Handlung, alles hat Konsequenzen, aber nichts scheint endgültig und unwandelbar. Auch die eigene Persönlichkeit nicht: Beide müssen sich erst von ihren Wurzeln freimachen, ihre Familien, von denen sie Zwängen unterworfen werden, die ihrem Glück entgegenstehen, verlassen und Verantwortung für das eigene Leben übernehmen. In der Gegenüberstellung der beiden Familien – Alex‘ patriarchische, übergriffige und moralisch rigide Sippschaft und die komplett entgegengesetzte libertinäre Künstlertruppe Sheilas, deren Angehörige sich Wohnraum und manchmal auch Betten teilen – werden deren Gemeinsamkeiten in der Differenz deutlich: Wo Alex‘ Privatsphäre ständig durchleuchtet und missachtet wird, da besteht unter den Mitgliedern der Band gar nicht erst ein Bedürfnis nach einer solchen. Das Ergebnis ist das gleiche. Altman bewertet diese unterschiedlichen Lebensentwürfe nicht, aber er zeigt, dass man sich von solchen Banden befreien muss, wenn man sie als beengend empfindet.

Ich hatte nicht viel erwartet von A PERFECT COUPLE. Im Werk Altmans kommt ihm eher geringe Bedeutung zu. Obwohl in derselben Phase entstanden wie A WEDDING und eben QUINTET, scheint es mir angebracht, ihn als Übergangsfilm zu bezeichnen. Auf ihn folgte unmittelbar der wohl kommerziellste Film Altmans, die Disney-Produktion POPEYE, auf dessen Zugänglichkeit er sich vielleicht mit A PERFECT COUPLE vorbereitet hatte (ich halte ihn sogar für noch leichter als die Comicverfilmung, aber dazu später mehr). Wenn er aus heutiger Sicht etwas dated und vielleicht sogar unfokussiert wirkt, dann liegt das vor allem an den zahlreichen, für den Fortgang der Handlung nicht unbedingt zwingend notwendigen Auftritten von „Keepin‘ ‚em off the Streets“, deren von Allan F. Nicholls geschriebene Musik – theatralischer, narrativer 70s-Rock, dargeboten von einer fünfköpfigen Sängertruppe und einer dazugehörigen Band – deutlich in ihrer Zeit verhaftet ist und gar kein zeitgenössisches Pendant mehr kennt. Mir hat die Musik trotzdem oder gerade deshalb gefallen und irgendwie passt sie ja auch zum Film: gleichzeitig ambitioniert wie trivial, technisch auf höchstem Niveau wie spontan, sucht man Filme wie A PERFECT COUPLE heute nämlich meist vergeblich.

In einer postnuklearen (?) Eiszeit: Essex (Paul Newman) kehrt nach Jahren der Abwesenheit in die Überreste seiner Heimatstadt zurück. Das einzige, was die Menschen von der Tristesse ihres Daseins ablenkt, ist ein Brettspiel namens Quintet, über das der Schiedsrichter Grigor (Fernando Rey) wacht. Dann werden mehrere Spieler umgebracht: Es scheint, als würde das Spiel nicht mehr nur mit Holzfiguren ausgetragen …

Filme wie QUINTET sind für einen passionierten Filmseher und -schreiber eigentlich der Stoff, aus dem die Träume sind: Von Kritikern einhellig als missraten abgetan und weit gehend dem Vergessen überantwortet, bietet er doch potenziell die heiß ersehnte Gelegenheit, ihn als zu Unrecht missverstandenen und unterbewerteten Film in einem ansonsten völlig erschlossenen Werk zu rehabilitieren. Leider jedoch bin ich nach dem Durchleiden der 120 Minuten Spielzeit eher geneigt, seinen Ruf als katastrophalen Fehlschlag nicht nur zu bestätigen, sondern dieses Urteil noch zu verschärfen. Die erste Einstellung, in der zwei winzige Gestalten in einer unendlichen Eiswüste umherirren, lässt einen noch hoffen, QUINTET als Wiederaufnahme und Steigerung der letzten Minuten von MCCABE & MRS. MILLER interpretieren zu könen, doch das Bedürfnis, den Film zu retten, weicht schon nach wenigen Minuten der Ernüchterung. QUINTET ist tatsächlich so unfassbar missraten, dass man zur Ehrenrettung Altmans nur die Vermutung anbringen kann, er habe den Film entweder nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte inszeniert oder aber er sei Opfer widriger Produktionsumstände geworden. Zumindest letzteres kann man aber ausschließen: Wenn Altman auch nicht gerade einen Ruf als Blockbuster-Lieferant innehatte, so war er als Künstler doch so weit anerkannt, dass er keine Intervention übergriffiger Studiobosse befürchten musste – nicht zuletzt, weil er an der Produktion seiner Filme meist mitbeteiligt war. Umso erstaunlicher ist das künstlerische Scheitern seines Endzeitfilms auf wirklich allen Ebenen. Es steht tatsächlich zu befürchten, wie Vincent Canby in der New York Times schrieb, dass Altman genau den Film gemacht hat, den er machen wollte. Und das ist tragisch.

Schon inhaltlich hat QUINTET wenig mehr als heiße Luft zu bieten: Das Brettspiel ist zwar die einzige Unterhaltung der postapokalytischen Gesellschaft, doch reicht der Kick, Figuren auf einem Spielfeld herumzuschieben, nicht mehr aus: Die Spieler übertragen das Spiel auf das echte Leben, „töten“ nicht mehr nur Holzfiguren, sondern sich gleich gegenseitig. Nicht nur, dass dies eine nur wenig originelle Idee ist, dass Essex auch noch bis zum Ende des Films braucht, um dahinter zu kommen, dass die Morde Teil des Spiels sind, ist geradezu lächerlich: Er ist im Besitz einer Liste von sechs Spielern, die einer nach dem anderen ermordet werden, und schon die Tatsache, dass am Spiel Quintet sechs Spieler teilnehmen, sollte ihm den entscheidenden Hinweis geben, den der Zuschauer bereits nach kurzer Zeit richtig zu deuten weiß. Stattdessen stapft er ahnungslos durch den Film, um am Ende von Grigor in einem überflüssigen und redundanten Dialog über das Offensichtliche aufgeklärt zu werden. Aber das ist es nicht allein, was den Film absaufen lässt.

Es ist zu allererst die formale Gestaltung, die dem Vorwurf der prätentiösen Langeweile auch noch jenen der ästhetischen Armut hinzufügt: Die Kostüme, die einen Rückfall der postapokalyptischen Gesellschaft ins Mittelalter evozieren, wirken im Kontext des Films schlicht unglaubwürdig und albern. Wo spätere Endzeitfilme einen gelungenen Patchwork-Style für die Protagonisten entwerfen sollten, der suggerierte, dass sich ihre Protagonisten bei den Requisiten bedienten, die die Katastrophe überdauert hatten, scheinen im nuklearen Winter von QUINTET Modedesigner am Werk zu sein, die sich ihre Inspiration von Mittelaltermärkten holen. Die sterilen, leblosen und fürchterlich unansehnlichen Studiosettings erinnern an bemühte pseudopostmoderne Theaterinszenierungen, den wenigen futuristischen Elementen haftet der Muff der Siebzigerjahre an. Der grauenhafte Score von Tom Pierson dröhnt dissonant vor sich her, wenn er nicht die Mittelalter-Assoziationen mit kitschigen Flötenklängen unterstreicht. Und als wäre das alles nicht genug, war Altman völlig unerklärlicherweise auch noch der Meinung, es sei eine gute Idee, die Ränder des Bildes mit Unschärfe zu strafen: Man schaut nahezu über die vollen 120 Minuten durch ein Fenster, dessen Ecken mit Vaseline beschmiert wurden und wird darüber schon nach kurzer Zeit wahnsinnig.

Altman hatte sich in seinen vorangegangenen Filmen als meisterhaft darin erwiesen, den Eindruck lebendiger Gesellschaften zu erzeugen, die auch abseits des Filmes existierten: In QUINTET werden die Randbezirke des Films stattdessen von gesichtslosen Statisten bevölkert, die nie den Eindruck erwecken, in diese Welt zu gehören. Und auch die wenigen Protagonisten sind so schablonenhaft und leblos angelegt, dass man den Darstellern kaum vorwerfen kann, dass sie wie Pappfiguren agieren, völlig ratlos, was sie mit ihren gestelzten Dialogzeilen anfangen sollen. Zäh wie Tapetenkleister fließt der Film vor sich hin und wäre das alles nicht jeder Emotion beraubt, man müsste wohl von unfreiwilliger Komik sprechen. Was man dem Film nicht absprechen kann, ist seine klaustrophobische, bleierne Atmosphäre, die nun durchaus nicht unpassend ist: Doch ist es anderen Filmemacher eben gelungen, diese zu schaffen, ohne darüber elementare Publikumsinteressen zu missachten. Und warum sollte man sich lang mit der Ehrenrettung eines Films befassen, der nicht nur keinen einzigen interessanten Gedanken produziert, sondern darüber hinaus auch noch fürchterlich aussieht und zu keiner Sekunde vergessen macht, dass man eben bloß einen spektakulär misslungenen und ratlosen Film sieht? Es wäre natürlich ein leichtes, aus den unendlichen Sphären des Semi-Amateur-, Low-Budget-Trash- und Exploitationfilms einen ganzen Batzen von Filmen zu bergen, der objektiv betrachtet mieser ist als QUINTET: Gemessen an dem, was man von Altman bis zu diesem Zeitpunkt jedoch gewohnt war, ist dieser hier einer der schlechtesten Filme aller Zeiten. Und das ist auch der einzige Grund, aus dem man  ihn sich vielleicht wenigstens einmal ansehen oder zumindest hineinschauen sollte (ihn durchzustehen, ist eine Aufgabe herkulischen Ausmaßes): Es ist mir ein absolutes Rätsel, wie ein Regisseur, der zehn Jahre lang eine Großtat nach der anderen inszenierte, diesen Film auf diese Art drehen konnte, ohne innezuhalten und sich zu fragen: Was mache ich hier eigentlich?