Ich erinnere mich noch daran, was ich anhatte, als ich JURASSIC PARK im Sommer 1993 im Kino sah. Vielleicht liegt das an mir (oder der Klamotte), aber ich denke, es sagt doch auch etwas darüber aus, als wie bahnbrechend wir Spielbergs Film damals empfunden haben: Das war nicht einfach ein Kinobesuch, wir nahmen Teil an einem historischen Ereignis. Zwar waren digitale Effekte seinerzeit nichts Neues mehr – schon zwei Jahre zuvor hatte James Cameron mit T2 – JUDGMENT DAY ein neues Zeitalter des Kinos eingeläutet (den Grundstein dafür hatte er weitere zwei Jahre zuvor selbst mit THE ABYSS gelegt) -, aber Spielbergs Film setzte dennoch einen neuen Maßstab. JURASSIC PARK war nicht nur Aufbruch und Machtdemonstration, sondern auch vielleicht der letzte Coup des oft als „großes Kind“ apostrophierten Regisseurs, das letzte Geschenk, das er sich und seinen Seelenverwandten mit diesem Film machte, bevor er sich dann in Richtung des respektablen Dramas und Erwachsenensein abwendete.
Heute, 27 Jahre nach seinem Erscheinen, begnügt sich das Eventkino längst nicht mehr mit der bescheidenen Idee, ein paar Dinosaurier als lebensechte Animationen auf die Leinwände zu bringen: Es werden ganze Welten aus der Maschine gezaubert, Filme haben sich visuell und im Produktionsverlauf immer mehr Computerspielen angenähert und neue technische Effekt-Errungenschaften sind kaum noch eine Schlagzeile wert. Wir haben uns daran gewöhnt, dass es eigentlich nichts mehr gibt, was nicht zeigbar ist, alles immer noch ein bischen detaillierter, lebensechter und spektakulärer geht. Insofern ist es auch kein Wunder, dass JURASSIC PARK heute geradezu bescheiden und altmodisch anmutet. Das betrifft nicht unbedingt die Qualität der Effekte, die erstaunlich gut gealtert sind, zwar nicht so filigran und fein anmuten, wie wir das von Computeranimationen heute gewöhnt sind, aber auch nicht so grob sind, dass sie aus dem Erlebnis reißen würden. Nein, es ist sein dem Monsterfilm der Fünfzigerjahre verpflichteter erzählerisch-dramaturgischer Entwurf, der so gar nicht zu dem Aufbruch in die Zukunft passen mag, den JURASSIC PARK effekttechnisch markiert. (Über Camerons AVATAR ließe sich ganz Ähnliches sagen.) Da gibt es das bekannte – und darüber hinaus sehr als überschaubare – Figureninventar und einen grob skizzierten Plot, der ohne viel Getue losgetreten wird und dann zielstrebig auf das große Finale zusteuert. Im MIttelpunkt steht Sam Neil als Paläontologe Grant, der die Enkelkinder des Parkerfinders Hammond (Sir Richard Attenborough) vor den Dinos beschützen und seiner Kollegin Ellie (Laura Dern) so nebenbei beweisen muss, dass er ein würdiger Vater ihrer noch zu zeugenden Kinder ist. Während er sie durch den Park geleitet, steht es an Ellie, gemeinsam mit dem Jäger Muldoon (Bob Peck) die ausgefallenen Sicherheitssysteme wieder in Gang zu bringen. Der als humoriges Element eingeführte Chaostheoretiker Malcolm (Jeff Goldblum) liegt da längst flach, ausgeschaltet von einer läppischen Beinverletzung, mit Hammond als ebenfalls nutzlos herumstehendem Gefährten. Alle anderen Beschäftigten des noch auf seine Eröffnung wartenden Parks sind da bereits mit einem Schiff abgefahren, um einem heraufziehenden Sturm zu entkommen. Man vergleiche das nur mit JURASSIC WORLD, der das Franchise vor ein paar Jahren zu neuem Leben erweckte und dabei einen riesigen, von tausenden Touristen bevölkerten Park ins Chaos stürzte.
Spielbergs Entscheidung, JURASSIC PARK als eher überschaubares Freiluft-Kammerspiel mit Dinos anzulegen, ist aber aus mehreren Gründen ein kluger und richtiger Schachzug, der eindrucksvoll darlegt, warum der Mann über einen Zeitraum von 40 Jahren Hit um HIt produzierte und dabei immer wieder neue Maßstäbe setzte. Zum einen machte es Sinn, die neue Effekttechnologie (die sich auf Handlungsebene im wissenschaftlichen Coup des Dinosaurier-Clonings spiegelt) erst langsam einzuführen, den Zuschauer eben nicht in einen überfüllten, voll funktionstüchtigen Dinopark zu stecken, sondern ihm mit den Protagonisten eine Sneak Preview für V.I.P.s zu gewähren. Spielberg teasert in seinem Storyentwurf gewissermaßen an, was seine Zuschauer in Zukunft erwarten durften, ohne jedoch alles zu offenbaren – was technisch wahrscheinlich auch noch gar nicht möglich war, jedenfalls nicht in der Perfektion, die er ohne Zweifel anstrebte. Es fällt auch auf, wie oft hier noch handfeste Animatronics eingesetzt werden, um die CGIs zu stützen. In Detailaufnahmen oder wenn eine direkte Interaktion mit den menschlichen Darstellern erforderlich ist, sieht man immer wieder liebevoll modellierte Saurierköüfe oder Gliedmaßen oder, wie im Fall des erkrankten Triceratops, auch einen ganzen Plastiksaurier. Diese Effekte sind von erstaunlicher Qualität und verstärken den Effekt der CGI, anstatt ihn zu mindern. Ein Trauerspiel, dass man sich heute von dieser traditionellen Technik fast vollständig verabschiedet hat.
Wenn JURASSIC PARK inhaltlich auch nicht die Wurst vom Teller zieht, Spielberg den Focus ganz klar auf seine technischen Errungenschaften legt und sich darauf konzentriert, einen Rahmen für sie zu schaffen, in dem sie am besten zur Geltung kommen, so muss man doch neidlos konstatieren, dass die zentralen Suspense-Szenen ihre Wirkung auch 30 Jahre später und nach etlichen Sichtungen nicht verfehlen. Meine Kinder, „alten“ Filmen gegenüber voreingenommen und außerdem effekttechnisch ziemlich verwöhnt, kreischten, hüpften und schlugen die Hände vor die Augen, als Tyrannosaurus und Velociraptoren ihre jeweiligen großen Auftritte feierten, die Protagonisten in immer ausweglosere Situationen getrieben wurden und sich jedem Aufatmen todsicher der nächste Schock anschloss. Spielbergs Timing bei der Orchestration solcher Spannungsmomente ist einfach unerreicht und im Falle von JURASSIC PARK reichen die zwei ausgedehnten Sequenzen – die Konfrontation mit dem T-Rex am Zaun sowie die Jagdszenen mit den Raptoren am Ende – völlig aus, um den Puls bedrohlich in die Höhe zu treiben. Anders als JAWS ist JURASSIC PARK kein Überfilm, weil er leidglich die technische Verfeinerung eines bereits etablierten Schemas darstellt, aber er zeigt dennoch die Meisterschaft seines Urhebers für diese Art gestreamlinten Familien-Entertainments. Es gibt einfach niemanden, der das besser konnte oder kann als er.