Mit ‘Selbstjustiz’ getaggte Beiträge

Erst wird seine Wohnung verwüstet, dann gerät der unbescholtene Ingenieur Carlo Antonelli (Franco Nero) auch noch in einen Banküberfall. Die Räuber (Romano Puppo, Massimo Vanni, Nazzareno Zamperla) misshandeln ihn, nehmen ihn als Geisel und lassen ihn dann blutend und zerschunden in ihrem Fluchtauto zurück. Die folgende Behandlung durch die Polizei zeigt dem in seinen Grundfesten erschütterten Opfer, dass er von ihrer Seite nur wenig Hilfe, ja noch nicht einmal echtes Verständnis zu erwarten hat. Carlo fühlt sich gedemütigt, in seiner Menschenwürde verletzt und beschließt deshalb selbst tätig zu werden. Aber um die nötigen Kontakte in die Unterwelt zu knüpfen, braucht er einen Mittelsmann. Er guckt sich zu diesem Zweck Tommy (Giancarlo Prete) aus, einen kleinen Fisch, der sich mit gelegentlichen Einbrüchen und Raubüberfällen über Wasser hält, erpresst ihn mit belastendem Fotomaterial und zwingt ihn so, ihm zu helfen. Doch die Verbrecher, denen Carlo sein Trauma zu verdanken hat, sind von anderem Kaliber als Tommy …

Im selben Jahr entstanden wie Michael Winners epochemachender DEATH WISH, erzählt auch Enzo G. Castellari in seinem Actionfilm vom Absturz eines Mannes in die Gewalt, der eigentlich das genaue Gegenteil des brutalen Gewalttäters ist. Zivilisiert und gebildet ist dieser Carlo, ein Intellektueller, der von den Härten des Lebens bislang verschont geblieben ist und auf das ihm widerfahrene Unrecht demnach umso heftiger reagiert. Carlo will die Schuldigen für das zur Rechenschaft ziehen, was sie ihm angetan haben. Es geht ihm dabei keineswegs um die blauen Flecken und Platzwunden, die er davongetragen hat: Viel schwerer wiegt für ihn die seelische Verletzung, das zerstörte Vertrauen in die Ordnung der Dinge, der zerschlagene Glaube, in Sicherheit zu sein, solange er sich an die Regeln hält. Und weil ihm niemand bei der Wiederherstellung der verletzten Gerechtigkeit helfen kann, sieht er es geradezu als seine Pflicht an, sich selbst zur Wehr zu setzen. Seinen Kampf vergleicht er mit dem Widerstand gegen die Faschisten im Zweiten Weltkrieg: Seine Wohnung ziert ein von seinem Vater verfasstes Pamphlet, mit dem der seine Mitbürger einst zur Rebellion gegen die Nazis aufgefordert hatte. Den Zustand auf den Straßen Italiens erkennt Carlo als Notstand, der extreme Mittel rechtfertigt. Seiner Meinung nach befindet sich das Land längst wieder im Krieg.

Diesen Krieg skizziert Castellari schon in den ersten Minuten ganz im Sinne des Cinema di denuncia und des Poliziesco und lässt keinen Zweifel daran, wie zu handeln ist. Oder doch?  IL CITTADINO SI RIBELLA eröffnet mit dem Überfall auf Carlos Wohnung, bei dem auch das oben erwähnte, vom Protagonisten als Andenken an den Vater schön gerahmte Pamphlet zerschlagen wird. Ein prophetischer Blick auf den gedruckten Aufruf, aufzubegehren, leitet über zu den Credits. Zu den Klängen des ebenso melancholischen wie mahnenden Titelsongs „Goodbye my friend“ von Guido und Maurizio De Angelis (überhaupt: dieser Score!) wird in fünf kurzen Szenen gezeigt, was auf den Straßen Italiens los ist. Da werden Passanten auf der Straße beraubt, Schaufenster eingeschlagen und Geschäfte überfallen, Menschen auf offener Straße niedergeschossen oder entführt. Gleich als nächstes wohnt der Zuschauer dem Banküberfall bei, den Castellari mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln als brutalen Anschlag einiger weniger vermummter und bewaffneter Schurken auf eine wehrlose Schar panisch agierender Opfer inszeniert. Das ist kein minutiös geplanter Raub, wie man ihn aus dem Heist-Movie kennt, das ist die Entfesselung des Chaos ohne Rücksicht auf Verluste. Die Opfer merken schnell, dass hier alles möglich ist und kauern sich wimmernd auf dem Boden. Carlo begeht den Fehler, die Aufmerksamkeit der Räuber auf sich zu ziehen, wird so erst mit Schlägen und Tritten bestraft, dann schließlich als Geisel auserkoren. Später wird er gegenüber der Polizei zu Protokoll geben, dass die Nervosität der Räuber gespielt war, um die sich im Schalterraum aufhaltenden Personen in einen Zustand der Angst zu versetzen, ihnen deutlich zu machen, dass hier nichts sicher ist: Die Angst der Bürger, ihre willenlose Fügung in die ihnen zugedachte Rolle des Opfers ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg der Verbrecher. In der „Utopie“, die Carlo aus der Erkenntnis dieses Sachverhalts entwickelt, weicht der Zivilist daher nicht länger in die Passivität, er stellt sich der Bedrohung und tritt in den offenen Kampf. Und er ist der erste, der diese Utopie in die Tat umsetzt, auch gegen die Warnungen seiner Geliebten (Barbara Bach), die versucht ihm klarzumachen, dass er selbst nur ein Verbrecher ist, wenn er zur Waffe greift, um erlittenes Unrecht zu bestrafen. Aber Carlo hat genug davon, auf der Seite der Schäfchen zu stehen, denen immer nur Leid zugefügt wird, weil sie sich an die Gesetze halten, die andere – anscheinend ungestraft – übertreten.

IL CITTADINO SI RIBELLA fügt der im Kino der mittleren Siebzigerjahre heftig geführten Debatte um explodierende Kriminalitätsraten, die Ohnmacht oder gar Korruption des Polizeiapparats und den Wunsch nach Law and Order und Zero Tolerance inhaltlich nichts Wesentliches hinzu: Der Schlag Carlos gegen die Verbrecher hat für den Zuschauer durchaus eine befreiende Wirkung, doch gleichzeitig wird auch klar, dass der „brave Bürger“ dadurch nicht nur sein angekratztes Selbstwertgefühl nicht zurückbekommen, sondern darüber hinaus noch etwas viel Wichtigeres ein für allemal verlieren wird: seine Unschuld. Er wird im Verlaufe des Films zum mehrfachen Mörder, eine Tatsache, die sich nicht mehr umkehren lässt. Der Weg in die Normalität, in die er sich zurücksehnte, ist ihm nun für immer versperrt. Dennoch suggeriert Castellari, dass Carlos Ausbruch eine gesellschaftliche Wendung initiieren könnte und er lässt seinen Protagonisten diese Möglichkeit freudig zur Kenntnis nehmen: Als Carlo am Ende durch das Polizeirevier schreitet, kommt er an einem Büro vorbei, in dem ein weiterer Mann – offensichtlich ebenfalls das Opfer eines Verbrechens – dem zuständigen Beamten droht, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen, da er sonst keine Hilfe zu erwarten habe. Das Volk will nicht mehr länger auf sich herumtrampeln lassen, aber wie sieht ein Staat aus, in dem jeder sein eigener Scharfrichter ist?

Castellari ist sich der Ambivalenz seines Films m. E. ebenso bewusst wie Winner, doch seine Herangehensweise ist eine andere. Während der Brite die Monstrosität der Kriminellen in den Fokus rückt, den Hass des Zuschauers auf diese feigen Schweine schürt, die am hellichten Tage in Wohnungen einbrechen und dort feixend und lachend über die wehrlosen Opfer herfallen, gilt Castellaris Interesse dem Leid und dem Schmerz des Opfers. Nicht nur, dass Einschüsse blutige Explosionen hervorrufen, alle Gewaltakte durch die Kamera quälend zerdehnt werden: Den Film prägt weniger jene apokalyptische Stimmung von DEATH WISH, das Gefühl, die Welt befinde sich am Abgrund, vielmehr ist er von tiefer Traurigkeit geprägt. Franco Neros Gesicht wird im Verlauf des Films zu einer Landschaft des Leids verzerrt, die die ganze Tragweite jedweder Form von Gewalt spürbar macht. Die Schlüsselszene ereignet sich kurz vor dem Showdown: Tommy hat Carlo zu den drei Bankräubern gebracht, doch er hintergeht seinen „Auftraggeber“, gerade als der ihn als Freund zu betrachten begann. Wieder einmal wird Carlo verprügelt, niedergetreten, dann schließlich von den Verbrechern gepackt und an den Gliedmaßen durch den Dreck gezerrt, durch große Pfützen, wo es dann erneut Hiebe und Tritte setzt. Auf mehrere Minuten dehnt Castellari diese Sequenz aus, zeigt immer wieder den vollkommen verdreckten Carlo und sein Gesicht, das nicht so sehr Schmerzen, Angst oder Wut, sondern vielmehr Fassungslosigkeit und Trauer ausdrückt. Mehr als den bezifferbaren, sichtbaren Schaden akzentuiert Castellari diese innere Verletzung, die mit dem Begriff „psychische Schäden“ nur unzureichend beschreiben ist. So widmet sich IL CITTADINO SI RIBELLA weniger dem sehr speziellen Thema der Selbstjustiz, als viel allgemeiner der Grausamkeit, mit der die Menschen sich behandeln, der Grenzüberschreitung, die es bedeutet, sich über die Rechte des Einzelnen mit Gewalt hinwegzusetzen. Das schließt das „Opfer“ Carlo unbedingt mit ein.

 

Udo Rotenberg hat erst kürzlich über die Bedeutung geschrieben, die Enrico Maria Salerno für das Genre des italienischen Polizeifilms einnimmt (und sich bereits vor einiger Zeit auch über LA POLIZIA RINGRAZIA ausgelassen). Der 1994 verstorbene Schauspieler – Lesern meines Blogs ist er wahrscheinlich aus Argentos L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO oder aus L’ULTIMO TRENO DELLA NOTTE ein Begriff – war 1972 bereits seit über 20 Jahren im Geschäft und versah seinen Dienst gewissermaßen an der Schnittstelle zwischen dem politischen cinema di denuncia, wie es ein Damiano Damiani geprägt hatte, und dem folgenden Poliziesco, der in den mittleren Siebzigerjahren seinen Popularitätshöhepunkt erlebte. In LA POLZIA RINGRAZIA (zu Deutsch: „Die Polizei dankt“) stattet er seinen Commissario Bertone mit einer gewissen Resignation und Amtsmüdigkeit aus, die im Kontrast zu den cholerischen Heißspornen steht, die ein paar Jahre später die Straßen der italienischen Metropolen aufräumen sollten. Die späteren Polizieschi boten gewissermaßen die reaktionäre Katharsis, mit Männern wie Maurizio Merli, die als italienische Dirty Harrys Schluss mit dem lichtscheuen Gesindel machten und den Untergang des Humanismus mit Kanonenschlägen aus großkalibrigen Handfeuerwaffen einläuteten. In LA POLIZIA RINGRAZIA befinden wir uns gewissermaßen auf dem Gipfelpunkt, in jenem Moment der Schwerelosigkeit, der kurz vor dem ungebremsten Absturz in die Tiefe eintritt: Die Gesellschaft stellt eben erst fest, dass sie dem grassierenden Verbrechen nicht mehr Herr wird und gerät darüber in Aufruhr. Die Presse wettert in Vertretung des Volkes, das sich im Stich gelassen fühlt, gegen die Polizei, der angegriffene Bertone teilt aus gegen die Journalisten und „die da oben“ im Parlament, die die Befugnisse der Beamten mit ihrer Gesetzgebung beschneiden, und skrupellose Winkeladvokaten, die auch den größten Abschaum noch verteidigen und sich daran bereichern. Vor dem Präsidium versammelt sich ein Lynchmob aufgebrachter Bürger, als ihnen dort Verdächtige in einem Mordfall präsentiert werden. Und dann tritt das „Syndikat“ auf den Plan, eine Organisation, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, Rom zu säubern, und der Polizei die Arbeit abnimmt …

Der Unterschied zu den späteren Polizieschi liegt auf der Hand: So sehr Bertone auch die Faust in der Tasche ballen mag, so sehr er sich wünscht, mal ordentlich dazwischenzuknüppeln und das Gesindel in seine Schranken zu verweisen, so sehr ihn die Strauchdiebe und Taugenichtse auf der Straße auch anwidern, die sich mit Gewalt an Unschuldigen bereichern wollern, und ihn das kluge Gerede seiner Journalistenfreundin Sandra (Mariangela Melato) nervt, die der Meinung ist, dass System sei Schuld, nicht der Mensch, er will doch nach den Regeln spielen. Fast noch wütender als die eigene Machtlosigkeit und die Brutalität der Kriminellen macht ihn die Tatsache, dass seine Polizeikollegen die Taten der Vigilanten begrüßen. Es geht in LA POLIZIA RINGRAZIA nicht um Rache, nicht um das Widerherstellen einer aus den Fugen geratenen Bilanz durch das alttestamentarische „Auge um Auge“, sondern darum, die Ordnung und die Autorität des Staates wiederherzustellen. Das Gesetz ist außer Kraft: Die Verbrecher werden nicht davon abgehalten, gegen die Regeln zu verstoßen, die Sanktionierung funktioniert nicht mehr, weil das System seine Zähne verloren hat. Die Selbstjustiz des Syndikats stellt zwar die Bestrafung der Übeltäter sicher, aber sie verabsolutiert sich selbst dabei und wird damit zu einer neuen Bedrohung.

Regisseur Steno, in Deutschland vor allem für seine vier Filme um den Polizisten Plattfuß sowie BANANA JOE bekannt, inszeniert LA POLIZIA RINGRAZIA nicht als harten Actionreißer, sondern geht sein Thema sehr diskursiv an. Die Idee von Gerechtigkeit, das Wesen von Gesetz und Staatsmacht und die Missstände im Italien der fürhen Siebziger werden von den verschiedensten Seiten beleuchtet und immer wieder in de Dialogen thematisiert. So entsteht ein sehr differenziertes Bild, das keinen Raum lässt für einfache Lösungen. Das Ende ist dann auch typisch für das cinema di denuncia, illustriert die Ohnmacht des Einzelnen gegenüber dem Apparat, dessen Selbsterhaltungsmechanismus perfekt funktioniert. Bertone hat die Drahtzieher des Syndikats zwar ausfindig gemacht, doch sie sind zu mächtig, als sich von einem kleinen Polizeibeamten in die Suppe spucken zu lassen. Bertone endet wie eines ihrer zahlreichen Opfer: erschossen im Dreck. Man ahnt, dass es auch Staatsanwalt Ricciuti (Mario Adorf), der weitere Ermittlungen einleiten will, nicht anders gehen wird. Der Weg für Maurizio Merli ist geebnet …

henker_von_london_derIn London werden Verbrecher, die dem Gesetz bisher durch die Lappen gegangen sind, von einem aus Vigilanten bestehenden Gerichtshof verurteilt und mit dem Original-Henkersstrick aus dem Londoner Kriminalmuseum an öffentlichen Plätzen erhängt. Der junge Beamte John Hillier (Hansjörg Felmy) ermittelt in der Sache, kann aber bislang noch keinen Fortschritt vermelden. Zeitgleich wird London außerdem von den Taten eines Frauenmörders (Dieter Borsche) erschüttert, auf dessen Konto auch Hilliers einstige Geliebte geht …

Brauner-typische Bryan-Edgar-Wallace-Verfilmung, was wieder einmal bedeutet, das ein etwas weniger großes Ensemble in einem sehr fokussiert erzählten Krimi mit atmosphärisch wertvollem Gruseleinschlag agiert. Von erhöhtem Interesse ist hier ausnahmsweise einmal die Handlung, der man durchaus so etwas wie „Relevanz“ bescheinigen möchte und die zudem viele der ein Jahrzehnt später im Zuge des Erfolgs von Michael Winners DEATH WISH ad nauseam durchgearbeiteten Selbstjustiz-Implikationen vorwegnimmt. In der Darstellung der „Gerichtsverhandlungen“ kommt die ganze Absurdität und Unrechtmäßigkeit der Veranstaltung zum Ausdruck. Über das Urteil wird „abgestimmt“, indem jeder der fünf Richter eine schwarze oder weiße Kugel in eine Schale legt: Weiß bedeutet unschuldig, schwarz schuldig. Nicht nur ist dieser Vorgang höchst umständlich, er ist auch von rein formaler Bedeutung, denn natürlich wissen die Ankläger schon im Vorhinein, welches Urteil sie fällen werden. Ihre Verhandlungen kommen ja nur deshalb zustande, weil sie Schurken der ihrer Meinung nach verdienten Todesstrafe zuführen wollen. Von vornherein gibt es keinen Zweifel am finalen Urteilsspruch, das ganze Zeremoniell – die Sitzungen finden in einem finsteren Gewölbe statt, als Pulte dienen den Richtern Särge und sie verbergen sich in schwarzen Roben und Masken – ist bereits Bestandteil der schon feststehenden Strafe.

Das Thema „Todesstrafe“ wird aber noch weitergehend behandelt in den Szenen, in denen Hillier den Vater seiner Freundin Ann Barry (Maria Perschy), den ehemaligen Richter Sir Francis Elliott (Rudolf Forster), um Rat fragt. Elliott rühmt sich damit, sich als Richter niemals von Gefühlsduseleien habe erweichen lassen, das Gesetz stattdessen mit äußerster Strenge ausgelegt, beziehungsweise genauer: in die Tat umgesetzt zu haben („auslegen“ impliziert ja das Wissen darüber, dass Gesetze interpretiert werden müssen und zwei Richter somit zu ganz unterschiedlichen Strafmaßen gelangen können). Er ist der festen Überzeugung, dass es eine richtige und eine falsche Auslegung gibt und er sich nie einen Fehler hat zukommen lassen. Stolz brüstet er sich mit den über 30 Todesstrafen, die er verhängt habe, damit, dass es wohl noch viel mehr seien, wenn er heute noch im Amt wäre, und lässt sich lang und breit darüber aus, wie Ärzte und Psychologen Verbrecher heute wie Opfer behandelten und der „Gerechtigkeit“ damit einen Bärendienst erwiesen. Und wie ein Mephistopheles wendet er sich an Hillier: Wie würde der wohl entscheiden, wenn er die Gelegenheit hätte, dem Mörder seiner Geliebten die gerechte Strafe zuzuweisen? Empfände er keine Genugtuung, wenn er ihn zum Tod durch den Strick verurteilen könnte? Hiller kennt die Antwort, aber er schweigt …

DER HENKER VON LONDON gerät in diesen Szenen fast schon zur essayistischen Auseinandersetzung mit Themenkomplexen wie dem Wesen von Gesetz, Gerechtigkeit und Strafe, der Sinnhaftigkeit und moralischen Rechtmäßigkeit der Todesstrafe – und er bezieht sehr eindeutig Position, ohne jedoch mit erhobenem Zeigefinger zu predigen. Das Handeln des Henkers ist am Ende ebenso nachvollziehbar wie klar ist, dass er sich in eine falsche Idee verrannt hat: Das Gesetz ist eben nicht dazu da, eine aus der Balance geratene Gerechtigkeitsbalance wiederherzustellen. Ein Tod lässt sich ebenso wenig rückgängig machen wie der erlittene Schmerz über den Verlust. Und Mord ist durchaus nicht gleich Mord. Das wird in der Gegenüberstellung der Taten des kranken Frauenmörders und denen des kalkulierenden Henkers frappierend deutlich. Stark.

Nicolas Winding Refn hat sich in den letzten Jahren vom cineastischen Geheimtipp, der nur wenigen ein Begriff war, zum Kritikerdarling und In-Regisseur entwickelt, dessen Filme mit Spannung erwartet werden und den schwierigen Spagat zwischen Programmkino- und Multiplex-Publikum schaffen. Sein DRIVE avancierte – auch dank seines Soundtracks – zum stilprägenden Kultfilm, sein Hauptdarsteller vom eher unscheinbaren Schönling zum plötzlich gefragten Charakterdarsteller. Mit dem zunehmenden Erfolg des Dänen wurde aber – fast zwangsläufig – auch die Kritik an seinem typischen Stil lauter: der bekannte Style-over-Substance-Vorwurf, dem sich vor einigen Jahren auch schon Wes Anderson gegenübersah, hier noch verbunden mit einer ideologischen Kritik an den mitunter von heftigen Gewaltausbrüchen und einer nicht immer ganz durchschaubaren Männlichkeitsinszenierung durchzogenen Filmen. ONLY GOD FORGIVES, der direkte Nachfolger von DRIVE, ist vielleicht Refns wichtigster Film, gilt es doch sich vor einem gewachsenen Publikum zu beweisen, seine neue „Massentauglichkeit“ zu belegen und die Kritiker, die einen ungerechtfertigten Hype unterstellten, Lügen zu strafen. Dummerweise muss dies nun mir Refns vielleicht schwächstem Film gelingen, zumindest aber mit einem, der seinen Kritikern reichlich Öl ins Feuer gießt.

In Bangkok unterhält Julian (Ryan Gosling) gemeinsam mit seinem Bruder Billy (Tom Burke) eine Kickbox-Schule, die gleichzeitig als Front für ihre Drogengeschäfte dient. Als Billy eine Minderjährige vergewaltigt und umbringt, zieht er den Zorn des Polizisten Chang (Vithaya Pansringarm) auf sich, der dem Vater des Mädchens die Möglichkeit gibt, ihren Mörder zu töten. Nachdem Crystal (Kristin Scott-Thomas), die herrische Mutter Julians, in Bangkok eingetroffen ist, um ihren Sohn zu beerdigen, beauftragt sie Julian, sich mit der Rache für den Tod Billys bei ihr zu beweisen. Es beginnt ein Krieg der Killer …

Die wesentlichen Stilelemente des Vorgängers findet man auch in ONLY GOD FORGIVES in gesteigerter Form wieder: Für die gesamten Dialoge des Films benötigt man wahrscheinlich kaum mehr als zwei großzügig bedruckte DIN-A4-Seiten, die Figuren bewegen sich wie in Zeitlupe oder auch wie in Trance durch die symmetrisch komponierten und expressiv ausgeleuchteten Bilder (wenn sie sich überhaupt bewegen), der hypnotisch-dräuende Score von Cliff Martinez verleiht allem eine extrem albtraumhafte Qualität, die durch die elliptische, von Vorahnungen, Rückblenden und Gedankenbildern geprägte Erzählstruktur noch unterstützt wird. Man fühlt sich teilweise in ein modernes Theaterstück versetzt: Begünstigt wird dieser Eindruck durch den bühnenhaften Bildaufbau, der das Geschehen vor dem Zuschauer wie in einem Guckkasten entfaltet, und das wenig subtile, vielmehr breit ausgestellte Spiel der Akteure mit ihren archetypischen, nur flüchtig skizzierten Rollen. Sympathiefiguren gibt es eigentlich gar nicht mehr: Alle Protagonisten sind Psychopathen, psychisch zerrüttet, unfähig ihrem Leben einen Sinn zu geben. Julian sitzt über weite Strecken des Films wort- und reglos in einem Stripclub, wo er ein Mädchen dafür bezahlt, vor ihm zu masturbieren. Die Demütigungen und Beleidigungen seiner Mutter lässt er ohne Widerspruch über sich ergehen, im Kampf gegen Chang agiert er erst mit äußerster Badass-Coolness, nur um von diesem dann hoffnungslos verdroschen zu werden. Und der Cop, ein ausdruckloser Racheengel geht mit unerbittlicher Härte gegen das Verbrechen vor, nur um anschließend vor seinen Männern Karaokeschlager zu intonieren. Von Anfang an bewegt sich ONLY GOD FORGIVES auf sein unausweichliches, vorhersehbares Ende zu: Nur Gott vergibt, für keinen der Charaktere gibt es irgendeine Hoffnung auf dieser Welt und das in grellen Neonfarben flackernde Bangkok ist die Hölle auf Erden, die alles vertilgt.

Formal ist ONLY GOD FORGIVES ein reiches Erlebnis, das die Sinne verführt und eine einzigartige Stimmung entwirft. Der ganze Film wirkt wie die auf 90 Minuten gestreckte Hammerszene aus DRIVE mit ihrem hochstiliserten Bildaufbau, dem frappierenden Kontrast zwischen dem Was und dem Wie, dem Aufeinanderprallen inneren Tumults und äußerster Ruhe der Darstellung. Das fasziniert auch hier wieder, lädt dazu ein, an der Oberfläche der Bilder zu Kratzen, zu begreifen, was sich hinter ihnen verbirgt. So wie man in DRIVE eben wissen wollte, welcher Mensch hinter der ruhigen Fassade des Drivers steckte. Genau hier fangen jedoch die Probleme mit ONLY GOD FORGIVES an, der erschreckend wenig zu erzählen weiß. Das bedeutungsschwere Schweigen wirkt hier eben nicht mehr geheimnisvoll und einladend, nicht wie der Schutzmechanismus eines Verwundeten, der sich vor Fragen abschotten will, weil die Antworten zu grausam sind. Es ist einfach nur Schweigen. Goslings Julian ist kein charismatischer Außenseiter, dessen Wortkargheit mehr sagt als ausufernde Erklärungen, sondern einfach nur ein Feigling, ein Drückeberger. Er spricht nicht, weil er nichts zu sagen hat. Und irgendwie trifft das auch auf seinen Regisseur zu, der bei der kunstvollen Gestaltung seines Films, beim Kreieren dieser unnachahmlichen Atmosphäre irgendwann vergessen hat, was er eigentlich erzählen wollte. Ein Rachefilm muss gewiss keine großen dichterischen Volten schlagen, aber er sollte doch irgendwie über einen moralischen Standpunkt verfügen, ganz gleich, wie der nun genau aussieht. Ich weiß einfach nicht, was Refn mir mit ONLY GOD FORGIVES erzählen will. Alles, was ich aus dem Film herausziehe, finde ich erschreckend banal. Und das beeinträchtigt dann eben auch die Begeisterung für die formale Gestaltung, weil sie eben in keinerlei Verhältnis zum kargen Inhalt steht.

Ich hatte fast schon erwartet, dass mich ONLY GOD FORGIVES enttäuschen würde und konnte mich gestern noch nicht einmal wirklich darüber ärgern. Vieles, was mir bei der Betrachtung rätselhaft erschien, habe ich auch eben erst verstanden, nachdem ich Verns Review gelesen habe. Vielleicht wäre es am besten, ein abschließendes Urteil auf eine Zweitsichtung zu vertagen. Auch wenn ich befürchte, dass sich an meiner grundsätzlichen Haltung zum Film nichts Wesentliches ändern wird, lässt mich der Film noch nicht ganz los. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich nur sagen, dass ONLY GOD FORGIVES sicherlich sehenswert, aber leider auch sehr unbefriedigend ist. Und dass Refn doch nicht unfehlbar ist, was man ja durchaus auch als beruhigend empfinden kann.

Das Teeniemädchen Melissa Compton (Susan Sarandon) lässt sich von ihrem drogendealenden Hippiefreund Frank (Patrick McDermott) eine Überdosis Speed verpassen und landet daraufhin im Krankenhaus. Ihre Eltern sind sofort zur Stelle, Vater Bill (Dennis Patrick) – ein erfolgreicher Geschäftsmann – begibt sich in die Wohnung Franks, um Melissas Habseligkeiten abzuholen und wird dort von dem Dealer überrascht. Im Handgemenge stirbt Frank, Bill bleibt nichts anderes übrig, als seine Spuren zu verwischen und den Tatort zu verlassen. Nachts landet er in einer Bar, in der der Arbeiter Joe Curran (Peter Boyle) seine rassistischen Tiraden absondert. Die beiden kommen miteinander ins Gespräch und Bill lässt die Bemerkung fallen, er habe einen Hippie ermordet. Joe hält das zunächst für einen Scherz, als der Mord an Frank Tage später jedoch durch die Nachrichten geistert, zählt er eins und eins zusammen und sucht Kontakt zu Bill. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich eine gefährliche Partnerschaft …

JOE muss man heute vor allem als Zeitdokument betrachten: Inszenatorisch eher unauffällig und dialoglastig (Wenn auch schön fotografiert), erinnert er etwas an die Filmadaption eines Theaterstücks. Tatsächlich basiert er aber auf einem Originaldrehbuch von Norman Wexler, der zwei Jahre nach EASY RIDER eine desillusionierte Bestandsaufnahme dessen verfasste, was von einstigen Idealen noch übrig geblieben war: nichts mehr. (1972 wurde Wexler dann festgenommen, nachdem er gedroht hatte Präsident Nixon zu erschießen – konsequent.) Was vormals Bewusstseinserweiterung war, ist nur noch Drogensucht, freie Liebe gelangweiltes Rumvögeln, „alternatives Lebenskonzept“ ein Euphemismus für verantwortungsfreies Rumgammeln, die brüderliche Liebe reicht gerade so weit wie der eigene Drogen- und Geldvorrat. Was einst als Gegenentwurf zur kapitalistisch organisierten bürgerlichen Gesellschaft gedacht war, ist nicht nur nicht zum Mainstream, sondern vielmehr selbst zur Dystopie geworden. Und die Antipathie und das Misstrauen, das den Hippies eh schon entgegengeschlagen war, ist nun offenem Hass gewichen. Die jugendlichen „Gammler“ sind zum perfekten Sündenbock für Leute wie Joe geworden, die zwar unter tristen Umständen leben, aber vor lauter Patriotismus nicht erkennen, wer für ihre Situation in Wahrheit verantwortlich ist. Letztlich ist es Neid, der den Zorn Joes schürt: Er würde gern selbst so ungezwungen leben, hat aber nicht den Schneid dazu.

In gewisser Weise kann man JOE auch als Vorläufer solcher Filme wie Cravens LAST HOUSE ON THE LEFT (oder natürlich Scorseses TAXI DRIVER, dessen Amoklauf-Finale JOE vorwegnimmt) betrachten. Die thesenhaft-aufklärerische Dramaturgie verfestigt diesen Eindruck ebenso wie der satirische Grundton des Films, mit dem Avildsen seine beiden Protagonisten bloßstellt, ohne dabei allzu offensichtlich zu werden. In der merkwürdigen Zweckbeziehung zwischen dem wohlhabenden, kultivierten und zivilisierten Bill und dem schäumenden, groben und ungebildeten Joe findet JOE seinen gesellschaftskritischen Kulminationspunkt. Bill braucht Joe, um seine eigenen Schuldgefühle zu exorzieren, Joe braucht Bill als Leitfigur, um die eigene Lethargie abzulegen und endlich auch einmal tätig zu werden. Wie die beiden – eigentlich antipodische Gegensätze, verdankt Joe seine Armut doch nicht zuletzt der Tatsache, dass Menschen wie Bill das Geld hinterhergeschmissen wird – sich zusammentun und jeweils die schlechtesten Eigenschaften des anderen verstärken, ist schon eine Schau. Da weiß man dann gleich wieder, warum man so ein ungutes Gefühl bekommt, wenn Politiker sich in Bierzelten tummeln und zur „Basis“ gehen, um zu erfahren, was der Volksmund so sagt. Joe fungiert für Bill als Versucher, als Katalysator, der ihn Tabus überschreiten und seine Zivilisiertheit abwerfen, weg vom Schreibtisch und mitten hinein ins Leben treten lässt, Bill verleiht den reaktionären Fantasien Joes im Gegenzug erst eine gewisse Legitimation. Und so kommt es am Schluss zur Katastrophe.

JOE trifft aufgrund seiner eher zurückgenommenen Regie heute nicht mehr so unmittelbar, wie er das vor 40 Jahren wahrscheinlich tat. Dennoch lässt sich an ihm gut nachvollziehen, welche Stimmung zu seiner Zeit vorherrschte. Präsident Nixon, der seine Präsidentschaft 1969 angetreten hatte und den Weg von der Euphorie zur totalen Depression begleitete, ist hier etwa schon früh Zielscheibe eines bösen Witzes. So berührt JOE vor allem deshalb, weil er sehr hellsichtig und beinahe prophetisch zeigt, wohin der Weg der USA führen würde, ohne dass jemand in der Lage gewesen wäre, das zu verhindern. Peter Boyle sollte nach dem Erfolg von JOE verständlicherweise die Rolle des ganz ähnlich angelegten Popeye Doyle in Friedkins THE FRENCH CONNECTION übernehmen, lehnte aber ab, weil er Angst vor den Geistern hatte, die er als rassistischer Arbeiter gerufen hatte. Er ist aber vor allem deshalb so furchteinflößend, weil er sehr transparent macht, dass es nur eines kleinen Stoßes bedarf, um einen großmäuligen Dampfplauderer in einen Mörder zu verwandeln. Das macht Avildsens Film dann abseits seines Status als Zeitzeugnis auch heute noch relevant.

defiance (john flynn, usa 1980)

Veröffentlicht: Dezember 17, 2011 in Film
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Der Seemann Tom Gamble (Jan-Michael Vincent) wird wegen einer Schlägerei von seinem Schiff suspendiert und „strandet“ in New York, einer Stadt, die ihn, wie er selbst sagt, „nicht atmen lässt“. Während er auf eine Neueinstellung wartet, quartiert er sich in einem Appartement in der Lower East Side Manhattans ein. Die Bewohner des Viertels werden seit Jahren von einer Straßengang, den „Savage Souls“, terrorisiert und bald zieht auch der unbeugsame Tom die Aufmerksamkeit von Gangleader Angel Cruz (Rudy Ramos) und seinen Männern auf sich …

DEFIANCE, in Deutschland unter dem markanten, aber falschen Titel DIE SCHLÄGER VON BROOKLYN erschienen (der Film spielt, wie oben erwähnt in Manhattans Lower East Side), markiert sowohl formal wie inhaltlich die Schnittstelle zwischen rohem Seventies-Rachekino und der affektreichen Agitprop des Achtziger-Actionfilms. John Flynns auch hier wieder sehr zurückgenommene, fast schon fernsehartige Inszenierung täuscht nicht darüber hinweg, dass DEFIANCE fast als Vorlage für Michael Winners fünf Jahre später entstandene Selbstjustiz-Farce DEATH WISH 3 betrachtet werden kann. Hier wie dort landet ein Unbekannter in einem Stadtviertel, dessen Bewohner sich dem täglichen Terror wehrlos ergeben haben, und zeigt ihnen durch seine (original-)titelgebende Unbeugsamkeit, dass man für seine Rechte einstehen muss, wenn sie einem unrechtmäßig genommen werden. Dass das mit Gewalt geschieht, liegt in der Natur des Genres, doch während Winner seinen Brooklyner Stadtbezirk mithilfe der terminatoresken Kompromisslosigkeit Kerseys zu einem wahren Kriegsschauplatz macht, bleibt Flynn stets im Rahmen des Denkbaren; auch dann noch, als sich am Ende alle vorher passiven Bewohner zu einer schlagkräftigen Armee formieren, die den „Souls“ zeigt, wer der Herr im Hause ist. Auffällig ist die nur minimal andere Schwerpunktsetzung von DEFIANCE, die jedoch in diesem Fall entscheidend ist: Flynn predigt weniger, dass Gewalt das Mittel ist, mit dem man seine Probleme löst, sondern dass sie unausweichlich ist, wenn man den Zeitpunkt verpasst hat, seine Stimme zu erheben. Die Bewohner – unter anderem die ehemalige Gang der „Sportsmen“ um Carmine (Danny Aiello), Herbie (Frank Pesce) und Davey (Tony Sirico, der „Paulie“ aus THE SOPRANOS) – haben sich in ihre passive Opferrolle gefügt und sind an der finalen Eskalation zumindest insofern mitschuldig.

Nicht annähernd so zwingend und aufwühlend wie ROLLING THUNDER, punktet Flynn mit DEFIANCE vor allem in der zwar klischierten, aber dennoch sehr sympathischen Zeichnung des gesellschaftlichen Mikrokosmos. Sein Film hat mit dem unverschudleten Manko zu kämpfen, einerseits Wegbereiter für spätere Filme zu sein, andererseits aber aufgrund seiner mangelnden Verfügbarkeit keinen Kultstatus zu genießen: Wer sich im vor allem in den Achtzigerjahren beheimateten Subgenre des urbanen Gangfilms auskennt, dem wird DEFIANCE wahrscheinlich etwas zu ruhig und vorhersehbar sein. Sich unauslöschlich ins Gedächtnis brennende Momente sucht man vergebens, der Film ist sehr gleichmäßig, mit langsamem Spannungsaufbau und erst ganz am Schluss eskalierender Gewalt. Dass er bereits alle bekannten Plotelemente aufbietet – der einsame Protagonist, sein Love Interest, gutmütige und vor allem wehrlose Opfer und schließlich die Gewalttat, mit der der Held persönlich getroffen wird und die ihm keine andere Wahl mehr lässt, als mit allen Mitteln zurückzuschlagen –, macht ihn zudem etwas vorhersehbar. Aber wie gesagt: Ihm kommt durchaus eine kleine Pionierrolle zu und seinen Realismus, der wenig später in Bausch und Bogen zugunsten heftigerer Szenarien verworfen wurde, muss man ausdrücklich loben.

Nach mehr als sechs Jahren der Kriegsgefangenschaft und Folter in Vietnam kehrt Major Charles Rane (William Devane) in seine texanische Heimat San Antonio zurück, wo er euphorisch empfangen und reich beschenkt wird. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt: Seine Frau Janet (Lisa Blake Richards) hat sich während der Jahre des Wartens in Ungewissheit in den Polizisten Cliff (Lawrason Driscoll) verliebt und will sich scheiden lassen, der Sohn, der noch ein Säugling war, als Rane in den Krieg zog, kann sich an den Papa nicht mehr erinnern, und Rane selbst ist zwar äußerlich gefasst, doch innerlich hat die hinter ihm liegende Erfahrung ihn schwer gezeichnet. Als ein paar Ganoven sein Haus überfallen, weil sie von dem Geldgeschenk der Gemeinde erfahren haben, verliert Rane seine Hand und muss dann mitansehen, wie seine Frau und sein Sohn skrupellos erschossen werden. Zusammen mit der attraktiven Kellnerin Linda (Linda Haynes) begibt er sich auf die Suche nach den Schurken. Als er ihr Versteck ausfindig gemacht hat, geht er mit seinem Armeekumpel Johnny Volden (Tommy Lee Jones) auf einen blutigen Rachefeldzug …

ROLLING THUNDER hat in den letzten Jahren einen erstaunlichen Popularitätsschub erfahren: Der eher selten gesehene Film wurde vor allem von Exploitation-Guru Quentin Tarantino heftig protegiert und avancierte so zu einem gefragten Vertreter des harten, rohen Seventies-Exploitationkinos. Die Beteiligung von Drehbuchautor Paul Schrader, dessen ganz ähnlich gelagertes Script zu TAXI DRIVER einen der größten modernen Klassiker des US-Kinos nach sich zog, tat ihr Übriges. Seit etwa einem Jahr ist ROLLING THUNDER über das „DVD-R on Demand“-Angebot von MGM erhältlich, was angesichts des oben beschriebenen Rufs als vergessener Klassiker und des riesigen Potenzials für eine schicke Special Edition mit üppigem Bonusmaterial zwar eigentlich ziemlich traurig ist, aber immerhin. Wer sich von dem vergleichsweise hohen Preis für den schmucklos aufgemachten Bare-Bones-Realease nicht abschrecken lässt, wird auf jeden Fall sein blaues Wunder erleben, so er Flynns vierten Spielfilm (sein Zweitwerk THE JERUSALEM FILE ist bislang leider noch nicht verfügbar) noch nicht kennt und ihn sich bislang nur anhand der lobenden Worte Dritter ausgemalt hat. Der vermeintlich ultrabrutale Rachefilm entpuppt sich nämlich als zwar durchaus beunruhigendes, aber eben vor allem ruhiges Drama, das die Gewaltschraube erst in den letzten fünf Minuten anzieht, dann allerdings tatsächlich sehr heftig wird. Der Titel, der das entfernte, drohende Grollen des Donners heraufbeschwört, beschreibt den Film in der Tat sehr treffend. ROLLING THUNDER ist 99 % düstere Vorahnung und 1 % Erfüllung des Unausweichlichen. Auch hinsichtlich seiner Einordnung als „Rachefilm“ gibt es Korrektur- oder zumindest Differenzierungsbedarf: Ähnlich wie in Michael Winners DEATH WISH ist der Racheimpuls zwar der Auslöser für den finalen Amoklauf des Protagonisten, doch geht es eigentlich um etwas anderes. In Winners Film wird das dadurch offenkundig, dass Paul Kersey die eigentlichen Übeltäter gar nicht erwischt, ja, sich eigentlich gar nicht dafür interessiert, ob er auf seinen nächtlichen Jagden die „Richtigen“ erwischt: Hinter seinem Rachefeldzug steckt vielmehr die titelgebende Todessehnsucht, die ihn den Deckmantel der bürgerlichen Zivilisiertheit abstreifen lässt. In ROLLING THUNDER agiert Rane am Schluss gemeinsam mit seinem Armeefreund vor allem die in Kriegsgefangenschaft erlittene Traumatisierung aus, die ihm eine Rückkehr in die Gesellschaft unmöglich macht. Aber ich greife vor.

ROLLING THUNDER beginnt mit der Landung von Rane und Volden auf dem Flughafen von San Antonio. Jubelnde Menschen empfangen sie mit Plakaten, eine Kapelle spielt, ein Pult wird errichtet, an dem der extrem gefasst und sortiert wirkende Rane eine kurze Rede hält. Seine Gattin und sein Sohn nehmen ihn in Empfang. Beide sind zwar durchaus erfreut, ihren Ehemann und Vater wiederzusehen, dennoch ist die Stimmung merklich gedrückt. Vorsicht, Unbehagen, auch Angst sind fast mit den Händen zu greifen. Es ist klar, dass die kleine Familie nach den vielen Jahren, in denen niemand wusste, ob Rane überhaupt noch lebt, ob man sich jemals wiedersehen würde, nicht einfach da weitermachen kann, wo sie bei seinem Abschied aufhören musste, doch in diesem Wiedersehen wird etwas ganz anderes evident: Auch einen Neuanfang wird es nicht geben. Wie es in Rane aussehen muss, was sich hinter der Maske des souveränen Kriegshelden tatsächlich verbirgt, zeigt ein Blick in den Spiegel: Johnny Volden bewegt sich bei dem festlichen Empfang, als befürchte er, auf eine Mine zu treten. Steif und ungelenk, wie ein Amputierter, der die ersten Gehversuche mit neuen Prothesen unternimmt, oder ein Kind, das einen kratzigen Wollpullover trägt, stakst er auf dem Rollfeld herum, beunruhigt von der Aufregung, so als sei er nicht ganz überzeugt davon, dass der Vietcong nicht auch hier von irgendwo das Feuer auf  ihn und Rane eröffnen könne.

Charles Rane und Johnny Volden haben den Krieg mit nach Hause gebracht, wie es die Tagline zum Film schon sagt. Und die Fassade der Gefasstheit und Souveränität, die Rane errichtet hat – seine Augen hinter einer dunkeln Sonnebrille verborgen – erweckt weniger den Eindruck, da habe jemand die Kontrolle über sich zurückerlangt, sondern als befände er sich noch immer mitten in einem harten, aussichtslosen Kampf mit den im Inneren tobenden Ängsten. Die Nachricht seiner Gattin, sie habe einen Neuen, trifft ihn zwar, doch er hat es in den vergangenen Jahren gelernt, mit Schmerz umzugehen. Er verbringt die Nacht auf der Couch und eine Parallelmontage zeigt, dass er seine Zelle eigentlich nie verlassen hat. Auch als Cliff, der Geliebte seiner Gattin und ein alter Freund, zu Besuch kommt, lässt sich Rane nichts anmerken. Später wird er zu Linda, die Interesse an ihm zeigt, sagen, dass er längst tot ist, dass die Erfahrung der Kriegsgefangenschaft und Folter ihn ausgehöhlt hat, dass da nichts mehr ist, was ihn an sein altes Leben anknüpfen lassen ließe: „It’s like my eyes are open and I’m looking at you but I’m dead. They’ve pulled out whatever it was inside of me. It never hurt at all after that and it never will.“ Was das bedeutet, erkennt man in der Distanz, die er seiner Frau und Cliff entgegenbringt: kein Schmerz, kein Hass, keine Trauer, keine Wut wird sichtbar. Nur die nüchterne Einsicht in das, was er sowieso schon geahnt hat. Auf die Frage Cliffs, wie er die Jahre in Gefangenschaft überstanden habe, wie er mit der Folter umgegangen sei, antwortet Rane nur, dass er lernen musste, sie zu lieben. Und er tritt sofort den Beweis an, wie sehr er sie zu lieben gelernt hat: Er führt Cliff vor, wie er mit einem Strick gefoltert wurde, drängt den schockierten Mann in die Rolle des Folterers und treibt ihn dazu an, ihm Schmerzen zuzufügen, bis dieser das Seil schließlich entsetzt fallen lässt. Rane hingegen lächelt so triumphierend, wie er wohl schon in Vietnam gelächelt hatte, wenn seine Folterer nach getaner Arbeit von ihm abließen.

Der Überfall – und die Art, wie Flynn ihn inszeniert – treibt die Darstellung von Ranes fortgeschrittener seelischer Postmortalität schließlich auf die Spitze und lässt auch die Einordnung des Films als Revengethriller hinterfragen, wie ich oben schon angedeutet hatte. Die Rednecks, die in sein Haus einbrechen und die Herausgabe eines Koffers voller Silberdollars – einer für jeden Tag seiner Gefangenschaft – fordern, den Rane als Geschenk von der Stadt erhalten hatte, stecken erst seine Hand in den Müllzerkleinerer, nehmen ihm so die Hand (die Hakenprothese, die er danach trägt, ist ein eher unbedeutendes exploitatives Element), und erschießen dann Ranes Sohn, nachdem dieser die Münzen herausgegeben hat, und seine Ehefrau. Flynn inszeniert diesen Schlüsselmoment auffallend nüchtern und unter Aussparung grafischer Details: Der Tod von Frau und Kind findet Offscreen statt, das letzte, was man nach den Todesschüssen der Schurken sieht, ist der am Boden liegende Rane und auch der trägt die Katastrophe wie gewohnt mit Fassung. Zieht man noch einmal den Vergleich zur Überfallszene aus DEATH WISH, bei der Winner alle inszenatorischen Mittel zur Affektbildung ausschöpft und die Vergewaltigung so zu einem wahrhaft höllischen Szenario verzerrt, bedenkt man schließlich, wie sein Protagonist Kersey auf diese Tat reagiert, bei der er ja immerhin nicht zusehen musste, dann kommt man nicht umhin anzuerkennen, dass Flynns fast passive Inszenierung weniger auf Verweigerung basiert, als auf eine ganz bewusste Entscheidung zurückzuführen ist: Noch nicht einmal der Tod seiner Familie erreicht Rane noch, löst irgendwelche Gefühle in ihm aus. Er kann ihn nur noch zur Kenntnis nehmen. Wenn er später seinen Freund Johnny für seinen Rachefeldzug rekrutiert, wird er nur sagen: „I’ve found the men that killed my boy.“ Seine Frau existiert für ihn schon nicht mehr. Der Überfall auf die schmierigen Verbrecher, die sich in einem heruntergekommenen Puff einquartiert haben, ist der verzweifelte Versuch der beiden Veteranen, noch einmal etwas zu fühlen. Es geht nicht darum, Rache zu üben. Das ist nur der äußere Anlass. Deswegen sterben – wie in Winners DEATH WISH  – auch deutlich mehr Menschen, als an dem feigen Mord überhaupt beteiligt waren. Ihre wahre Motivation – oder deren Abwesenheit – bringt Johnny auf den Punkt. Nachdem die beiden mit starrer Miene dem belanglosen Geschwätz von Johnnys Familie gelauscht, zum Schein an einem trauten Familienleben teilgenommen haben, das sie einfach nicht mehr führen können, packen die beiden ihre Waffen und fahren los. Auf die Frage, wo er denn hingehe, antwortet Johnny nur kurz: „I’m gonna go kill a bunch of people.“ [Anm. d. Verf.: Meine Frau hat mich via Kommentar (s. u.) darauf hingewiesen, dass Johnny diese Aussage an anderer Stelle trifft. Ich belasse das hier so, um den Text nicht komplett auseinanderpflücken zu müssen.] Der Schmerz, den sie sich einverleibt haben, muss ein Ventil finden, muss raus. Am Schluss, nachdem Rane und Johnny ein Blutbad angerichtet haben und selbst schwer verwundet wurden, raffen sie sich auf und marschieren Arm in Arm aus dem Bild: „Let’s go home!“, sagt Rane und dann besingt Denny Brooks auf der Tonspur „San Antone“, die Heimat, die nur noch in ihren Köpfen existiert und in einer weit, weit entfernten Vergangenheit.

ROLLING THUNDER ist kein Rachefilm. Er ist ein Antikriegsfilm im Gewand eines Rachefilms, ein Film über die seelischen Narben, die Tausende von Soldaten aus Vietnam mit nach Hause brachten. Es ist ein Film über zerstörte Hoffnungen und Familien, über verlorene Seelen und über die Taubheit, die sich über alles legt, wenn man Jahre in der Hölle verbringen musste. „Warum gerate ich immer an Männer, die verrückt sind?“, fragt Linda, als Rane sie in seine Pläne einweiht. „Weil es keine anderen mehr gibt.“, ist seine Antwort.

Weil das südkalifornische Städtchen Elk Hills nach der Eröffnung einer neuen Ölbohranlage von einer Schwemme raubeiniger Arbeiter überflutet wird, die nach ihrem Feierabend keinen Stein auf dem anderen lassen und für bürgerkriegsartige Zustände sorgen, rekrutiert Ben Arnold (Jan-Michael Vincent) auf Geheiß des Bürgermeisters (Brad Dexter) seinen Bruder Aaron (Kris Kristofferson), einen Kriegshelden, der sich in seinem gegenwärtigen Job nur langweilt. Mit seinen Männern und ebenso einfachen wie effektiven Methoden sorgt Aaron schnell für Ordnung, doch dann beginnt er seinen Status als Sheriff gnadenlos auszunutzen. Unversehens wird der Ordnungshüter selbst zum Tyrannen. Ben bleibt nichts anderes übrig, als den Kampf gegen den eigenen Bruder aufzunehmen …

Für seinen dritten Spielfilm holte Writer/Director George Armitage in den Siebzigerjahren so populäre Selbstjustiz-Thema aus den dunklen Straßenschluchten solcher Metropolen wie New York oder Los Angeles ins sonnig-provinzielle Südkalifornien. Dieser Tapetenwechsel schlägt sich in der gesamten Stimmung seines Films nieder, der der dystopischen Zivilisationsskepsis der Vorreiter über weite Strecken eine heitere, weitaus weniger fatalistische Weltsicht entgegensetzt. Von den marodierenden Arbeitern geht keine echte Bedrohung und schon gar keine zersetzende Kraft für den Staat aus; das ganze Szenario vergnügungs- und trunksüchtiger Latzhosenträger, denen die Kleinstadt nicht gewachsen ist, ist denkbar weit davon entfernt, zur apokalyptischen Untergangsvision zu taugen. Somit richtet sich das Interesse Armitages eher auf die Vigilanten unter der Führung des Vietnamveterans Aaron, dessen Entwicklung als Beleg des bekannten Acton-Zitats „absolute power corrupts absolutely“ dienen mag. Für seine „Heldentaten“ in Vietnam dekoriert, verdient der All-American-Man seine Brötchen mit einem miesen Wachjob, bei dem er von seinem Vorgesetzten auch noch ständig schikaniert wird. Das Angebot Bens, in Elk Hills als Sheriff für Ruhe und Ordnung zu sorgen, dafür gut bezahlt zu werden und nebenbei auch noch den Respekt der Bewohner zu gewinnen, muss für jemanden wie Aaron verlockend klingen; zu verlockend, um den Platz nach getaner Arbeit einfach wieder freizumachen. Und weil Aaron weiß, dass seine Arbeitgeber wehrlos sind – das war schließlich der Grund, warum sie ihn überhaupt rekrutierten -, kann er sich ihnen gegenüber alles erlauben.

Spätestens diese Wendung macht klar, dass Armitages VIGILANTE FORCE eher in der Traditionslinie des Westerns denn in der des urbanen Selbstjustizfilms zu sehen ist: Elk Hills ist mit seiner sprudelnden Ölquelle das zeitgenössische Pendant zu den Boomtowns der Pionierzeit, die randalierenden Arbeiter das Gegenstück zu den berittenen Gangsterbanden und Aaron schließlich ein Nachfahre jener Revolverhelden, denen man einen Sheriffstern anheftete, um sie mit dem Gesindel aufräumen zu lassen, nur um danach festzstellen, dass man sich damit ein noch viel größeres Problem geschaffen hatte. Kris Kristofferson, der kurz zuvor den Westernhelden Billy the Kid für Meister Peckinpah gegeben hatte, ist die Idealbesetzung für Aaron, der mit seinem graumelierten Bart, dem gut ausdefinierten hardbody und dem grummeligen drawl jede Wortäußerung zu einem Manifest der Auf- und Ablehnung erhebt. Wenn er sich mit seiner Bande in einem lerstehenden alten Gebäude in den Bergen verschanzt und Ben und seine Leute den Angriff über die Hügel proben, werden die Westernassoziationen, die Armitage mit seinen sonnendurchfluteten, staubdurchwehten Settings sowieso schürt, noch einmal besonders evident. Daran kann auch das WHITE HEAT-Zitat, in dem Aaron zum Schluss den Tod findet, nichts ändern: Vielmehr zeigt es, dass auch der Gangsterfilm nur eine Verlängerung des Westerns entlang der Zeitachse bedeutete.

VIGILANTE FORCE ist kein Pflichtfilm, kein vergessenes Masterpiece, keine Oldschool-Gewaltgranate, kein Muss für jeden Exploitation- oder Actionfreund, sondern ein beinahe gemütlicher, wohlgeformter kleiner Film, dessen Meriten nicht in vordergründigen Effekten oder in einer superoriginellen Geschichte zu suchen sind, sondern in der Ruhe und Gelassenheit, mit der er sich entfaltet. Armitage ist ein guter Mann, musste nach dem Flop dieses Films aber satte 14 Jahre warten, bis er wieder einen Kinofilm inszenieren konnte: MIAMI BLUES ist dann auch gleich ein kleiner Klassiker des sarkastischen Detektivfilms geworden.

Detective Sean McKinney (Robert Davi) ist am Boden zerstört, als sein Protegé, die wegen ihrer eigenwilligen Methoden schon mehrfach in die Schlagzeilen geratene Polizistin Katie Sullivan (Gretchen Becker), bei einem Einsatz so schwer verwundet wird, dass nur noch der Hirntod diagnostiziert werden kann. Aufgrund manipulativ geschnittener Filmaufnahmen zweier erfolgssüchtiger Nachrichtenreporter sieht es zudem so aus, als habe Katie eine Unschuldige erschossen. Diese Geschichte beschäftigt jedoch nicht nur McKinney, sondern auch den von den Toten auferstandenen Matt Cordell (Robert Z’Dar), der in der Polizistin eine Seelenverwandte erkennt und ihr zu Hilfe eilt …

Hatte ich bei MANIAC COP 2 zunächst noch Probleme, die sich erst bei einer Zweitsichtung weitestgehend auflösten, machte ich mit MANIAC COP 3 genau die umgekehrte Erfahrung: Am Freitag direkt nach Teil 2 gesehen, gefiel er mir zunächst besser, schien er der interessantere, spannendere und abwechslungsreichere Film zu sein; eine Einschätzung, die ich korrigieren muss, nachdem ich auch diesen Film der Nachprüfung unterzogen habe. Gelang es Cohen und Lustig mit dem zweiten Teil noch, ein gängiges Handlungsmuster des Copfilms mit den Mitteln des Horrorfilms zu überspitzen, ohne dabei jedoch den Rahmen des Glaubwürdigen ganz zu verlassen, so ist Teil 3 mit seinen Voodoo- und Wiederauferstehungsritualen ganz eindeutig dem Bereich des Fantastischen zuzuordnen und büßt damit einiges an Wirkungskraft ein. Die Idee mit der seelenverwandten Polizistin, die Cordell vor der postmortalen Zerstörung ihres Rufs bewahren will, ist eigentlich sehr schön und verleiht dem Film emotionale Schwere: Als hoffnungsloser Fall in einem Krankenhausbett vor sich hin vegetierend ist Katie Sullivan die Seele des Films, doch weiß Lustig nicht so recht, wie er diesen nachhaltigeren Strang des Films mit dem eher formelhaften und auch irgendwie albernen Slasherplot verknüpfen soll. So kollidieren die deutlich schwarzhumorigen und gallig-satirischen Elemente des Films – bitterer Höhepunkt in dieser Hinsicht ist ein Dialog zwischen dem Chefarzt des Krankenhauses (Robert Forster) und einem fiesen Politiker (Paul Gleason), in dem ersterer letzterem gegen ein paar Baseballkarten verspricht, die Kate am Leben erhaltenden Maschinen abzuschalten – mit dem menschlichen Kern des Films und die eh schon nicht rundlaufende Geschichte wird dann noch zusätzlich von einem zombiefizierten Cordell gestört. Wenn der Zombiecop einen zynischen Chirurgen mit einem Defibrillator bis aufs Dach des Krankenhauses verfolgt und dort mit Stromstößen umbringt oder einen frechen Punk in die Luft wirft, um ihn dort wie ein Kunstschütze zu durchlöchern, fühlt man sich eher an die späten Einträge der FRIDAY THE 13TH-Reihe erinnert als an Lustigs/Cohens düstere Selbstjustiz-Saga. Was man MANIAC COP 3 nicht absprechen kann, sind auch diesmal wieder eine erstklassige Besetzung und einige exzellente Feuerstunts: Die finale Verfolgungsjagd mit einem brennenden Maniac Cop am Steuer ist ein Highlight, dem man aufgrund des eingegangenen Risikos gern nachsieht, dass sie ein bisschen zu lang geraten ist.

Unmittelbar nach den Ereignissen des ersten Teils: Die Leiche des Mörders in Polizistenuniform konnte leider nicht geborgen werden, sodass Jack Forrest (Bruce Campbell) und Teresa Mallory (Laurene Landon) mit ihren Behauptungen, bei diesem handelte es sich um den für tot geglaubten Ex-Cop Matt Cordell (Robert Z’Dar), nicht mehr erreichen, als von ihrem Vorgesetzten Edward Doyle (Michale Lerner) an die Polizeipsychologin Susan Riley (Claudia Christian) verwiesen zu werden. Die schenkt ihnen aber genauso wenig Glauben wie der selbst ruppigen Methoden nicht ganz abgeneigte Sean McKinney (Robert Davi). Als jedoch erst Jack ermordet wird und Susan Riley dann selbst der Ermordung Teresas durch einen riesenhaften Polizisten beiwohnt, ändern beide ihre Meinung. Und Cordell hat sich inzwischen einen Vertrauten in Form des Serienmörders Turkell (Leo Rssi) gesucht …

Eigentlich war der Verriss schon geschrieben: Die Sichtung am Freitagabend war nicht so richtig erfolgreich, MANIAC COP 2 schien mir nicht mehr als ein wenig charmanter und vor allem etwas langatmiger Aufguss des Vorgängers. Doch irgendwie wollte ich mich damit nicht zufriedengeben und so habe ich den Film dann nochmal geschaut, mit deutlich besserem Ergebnis. Cohens Script ist ziemlich interessant, weil er der Versuchung, den Maniac Cop zum handlungsarmen Slasher zu machen, das Sequel sozusagen auf Nummer sicher und nach Schablone anzufertigen, widersteht und sich noch stärker am Polizei- und Actionfilm orientiert als im Vorgänger. Cordell mag zwar aussehen wie ein Zombie, aber eigentlich ist er lediglich ein besonders entschlossener Vertreter des von den Vorgesetzten verratenen Vollblut-Cops, der so oft im Zentrum des reaktionären Copfilms steht und der hier nun einen besonders teuflischen Racheplan in die Tat umsetzt. In der Gegenübersellung mit dem soziopathischen Turkell kann der Zuschauer mehr als nur ein bisschen Sympathie für den hintergangenen Polizisten entwickeln, in der Figur des McKinney steht ihm ein Mann auf der Seite der Guten gegenüber, der in der Interpretation seines Jobs wohl selbst das ein oder andere Mal Gefahr läuft, so zu enden wie sein Kollege. Und wie man das von Cohen und Lustig erwarten durfte, wird New York als schmutziger Moloch gezeichnet, in dessen Schatten übles Kroppzeug gedeiht und seinen Rachefantasien auf die Gesellschaft, die sie hat fallen lassen, nachgeht, bis die Fantasie allein nicht mehr ausreicht. Die Stadt steht kurz vor der Amtszeit von Rudolph „Rudy“ Giuliani immer noch vor dem Bürgerkrieg. MANIAC COP 2 behält den dystopischen Tenor des ersten Teils also bei und findet seinen Höhepunkt in einem an THE TERMINATOR erinnernden Überfall Cordells auf ein Polizeirevier, bei dem die Polizisten fallen wie die Fliegen.

Abgerundet wird der Film durch eine Besetzung, nach der sich jeder Fan des Genrekinos die Finger lecken dürfte: Neben den bereits Aufgezählten – Campbell bleibt erneut blass und erhält nach drei Szenen die Quittung dafür – tummeln sich Leute wie Charles Napier, Clarence Williams III, Danny Trejo, Sam Raimi und Marco Rodríguez (der Supermarkt-Psycho aus COBRA) in Klein- und Kleinstrollen und die Entscheidung, Robert Davi in der Hauptrolle zu besetzen, kann ich gar nicht hoch genug bewerten (ich mag den Mann einfach). Der Gewinner des Films ist aber eindeutig Leo Rossi, der normalerweise auf Mafiosi im Anzug oder ähnliche Typen abonniert ist und den ich mit wildem Lockenkopf und von einem dichten Vollart zugewuchterten Gesicht überhaupt nicht erkannt habe. Addiert man nun noch den Score von Jay Chattaway und die spektakulären Stunts hinzu, die so manchen Hollywood-Film in den Schatten stellen, dann gibt’s an MANIAC COP 2 nun definitiv nichts auszusetzen. Keine Ahnung, was mich da am Freitag geritten hat.