Mit ‘Serienmörder’ getaggte Beiträge

Ich glaube ja, dass Filme einen finden. Damals, in den Neunzigern, war DUST DEVIL ein Titel, der mich eigentlich brennend hätte interessieren müssen, aber die Tatsache, dass er in Deutschland nur gekürzt auf Video erschienen war, schreckte mich ab. Außerdem hatte ich die Befürchtung, er sei mir zu artsyfartsy, was mich davon abhielt, mich weiter um den Film zu bemühen. Vor ein paar Jahren ersteigerte ich zwar eine ungeschnittene US-DVD, die blieb aber ebenfalls ungesehen. Erst die deutsche Bluray-Veröffentlichung des Final Cuts von Stanleys Film rückte ihn wieder in mein Gedächtnis. Und nach der um fast drei Jahrzehnte verspäteten Erstsichtung muss einräumen: DUST DEVIL ist fantastisch. Anstatt mich darüber zu grämen, nicht schon vor 28 Jahren zu dieser Erkenntnis gekommen zu sein, freue ich mich darüber, dass DUST DEVIL gestern – allein zu Hause, mit leichtem Hangover und bei tropischen Temperaturen – der nahezu perfekte Film war. Und weil ich zunächst fälschlicherweise die offizielle gekürzte deutsche Fassung in den Player geschoben habe (wir müssen hier irgendwann mal darüber reden, wie man die Auswahlmöglichkeiten in Menüs gestaltet, die nur zwei Punkte haben), habe ich ihn mir sogar zweimal angeschaut. Späte, aber große Liebe.

DUST DEVIL wird geprägt von Stanleys einzigartiger Sensibilität, seinem ernsthaften Interesse für Magie, Schamanismus, Naturphilosophie, Mystik und alte Kulturen, seiner Liebe für das expressive, von eindringlicher audiovisueller Gestaltung geprägte Genrekino der Siebzigerjahre, aber auch von der vor diesem Hintergrund erstaunlichen Fähigkeit, seine Filme erzählerisch nicht zu überfrachten. DUST DEVIL ist eigentlich ein mit dem Serienmörderfilm kurzgeschlossenes und übersinnlich gewendetes Road Movie, das sich demnach durch äußerste Geradlinigkeit und Zielstrebigkeit auszeichnet: Eine Frau (Chelsea Field) nimmt einen mysteriösen Anhalter (Robert Burke) auf und geht eine Affäre mit ihm ein, muss dann aber erkennen, dass es sich bei dem attraktiven Mann um einen Dämon handelt, der „schwache“ Menschen sucht und opfert, um die fleischliche Form verlassen und ins Schattenreich zurückkehren zu können. Dem Killer auf den Fersen ist zum einen ein schwarzer, alternder Kriminalbeamter (Zakes Mokae), der durch die Apartheid-Erfahrung sowie den Tod seines Sohnes und die anschließende Trennung von seiner Gattin hart geworden ist, sowie der gehörnte Ehemann der Protagonistin. In einer Geisterstadt in der Wüste kommt es zur finalen Konfrontation zwischen den Parteien. (Der ein oder andere fühlt sich angesichts der Inhaltsangabe vielleicht an Robert Harmons THE HITCHER erinnert, um nur einen sehr naheliegenden Vergleich zu nennen.) Und Stanley gelingt es nicht trotz, sondern gerade wegen der Einfachheit des Plots (die sich auch in den rotglühenden Bildern karger Wüsteneien widerspiegelt), DUST DEVIL zum Oszillieren zu bringen wie die Luftschichten einer Fata Morgana.

Mythen von Windgeistern, Hexerei, okkulte Opfermorde, private Beziehungskrisen und gesellschaftspolitische Ereignisse wie der institutionalisierte Rassismus, der Südafrika bis in die frühen Neunzigerjahre plagte, oder Namibias Streben nach Unabhängigkeit spielen allesamt in DUST DEVIL hinein und machen ihn zu einer unheimlich dichten, sinnlichen, ja, beinahe holistischen Erfahrung. Dazu kommen unverkennbar Einflüsse aus dem australischen Kino, dem Giallo (Argentos L’UCELLE DALLE PIUME DI CRISTALLO wird genauso explizit referenziert wie der Hammer/Shaw Bros.-Crossover THE LEGEND OF THE SEVEN GOLDEN VAMPIRES) oder auch dem Italowestern, dem modernen Serienmörderfilm oder dem Horrorfilm generell. Man weiß als Betrachter nie so genau, in welche Richtung sich der Film als nächstes bewegt, aber man vertraut sich Stanley nur zu gern an, weil es ihm immer wieder gelingt, zu überraschen. Und weil der Film einen unwiderstehlichen Sog entwickelt. Einen wichtigen Beitrag liefert gewiss auch das Setting des Films: Die Namib bietet eine eindrucksvolle Kulisse, die Akzente der südafrikanischen Nebendarsteller bringen eine eigene Melodie, an der man sich noch nicht totgehört hat – und ein unverwechselbarer Darsteller wie Zakes Mokae bekommt endlich einmal einen Part, in den er sich mit seinem markanten Kiefer verbeißen kann. DUST DEVIL ist ein rauschhafter, gelichzeitig aber auch sehr kontrollierter oder vielleicht besser: reifer Film – was durchaus erstaunlich ist, denn Stanley absolvierte ja erst zwei Jahre zuvor sein Debüt. Kontrolliert ist hier aber nicht gleichzusetzen mit „kalt“ oder „technisch“: Es bedeutet viel mehr, dass sich Stanley nie komplett in seinen Bildern verliert. Im Fokus stehen einerseits die beiden menschlichen Protagonisten andererseits die Titelfigur und ihre jeweilige Mission, die existenziell nachvollziehbar ist. Die hypnotische Stimmung, die glutstarrenden Bilder der Wüste, die Allusionen an Naturmagie, Hexerei und Schöpfungsmythen, der fantastische Score von Simon Boswell: Sie unterstreichen die Geschichte, bilden einen gleichberechtigte Facette des Ganzen, aber gewinnen nie die alleinige Kontrolle. Wie kunstvoll alles ineinandergreift zeigt sich in der gleich auf mehreren Ebenen magischen Szene in einem heruntergekommenen Drive-in-Kino mitten in der Wüste, dessen Besitzer und Vorführer Spiralen mit weißen Steinen in den roten Wüstensand legt und sich über sein Argento/Hammer-Double-Feature freut.

Nach diesem Wunderwerk war das Interesse Hollywoods nur allzu verständlich. Mein Gott, was hätte Stanleys Verfilmung von „The Island of Dr. Moreau“ für ein Meisterwerk werden können, wenn man ihm etwas mehr Vertrauen (und vielleicht einen erfahrenen Berater) an die Seite gestellt hätte. Wie die Geschichte weiterging, wissen wir ja. Ich bin froh, dass Stanley mittlerweile zurück ist, aber bedenkt man, welches Versprechen er mit DUST DEVIL einst gab, kann man den Verlauf seiner Karriere dennoch kaum anders als als „tragisch“ bezeichnen.

 

 

 

 

Das wäre mal ein interessantes Thema für ein Buch: „Filme, die grotesk irreführend vermarktet wurden“. THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA dürfte darin einen prominenten Platz einnehmen, zumal diese Vermarktung auch noch funktioniert hat, wenn auch anders, als von den Machern wahrscheinlich intendiert: In Großbritannien landete der Titel auf der Liste der berüchtigten „Video Nasties“ – und das, obwohl er sich zwischen prominenten Kollegen wie Fulcis ZOMBI 2, ANTHROPOPHAGUS, CANNIBAL HOLOCAUST, I SPIT ON YOUR GRAVE oder Sadiconazista wie LA BESTIA IN CALORE ausnehmen musste wie ein empfindliches, fragiles Pflänzchen. Was dachte der eingefleischte Gorebauer wohl, als er THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA zu Dosenbier und den Kartoffelchips verköstigte, eine sensenschwingende Amazone erwartete, die Männern die Köpfe vom Leib schnitt, stattdessen aber mit einem ruhigen, zärtlichen Psychogramm über sexuellen Missbrauch und schwerste Traumatisierung konfrontiert wurde?

Fulci-Experte Stephen Thrower stellt den Irrtum richtig und beschreibt den Film in seiner kleinen Einführung auf der Arrow-Bluray als „nicht plot-getriebenes“, „enigmatisches“, „elliptisches“ und „traumgleiches“ Charakterdrama. Was meines Erachtens aber auch nicht ganz präzise ist, denn THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA ist in seiner Bildwelt eigentlich erdrückend profan. Gedreht wurde am Strand von Malibu, in Santa Monica und am Venice Beach, aber statt von kalifornischer Sonne beschienen zu werden, durchzieht den Film ein diesiger, herbstlich-grauer Dunst. Die Settings sind eng, dunkel, staubig und unaufgeräumt. Die Mordszenen sind beinahe antiklimaktisch inszeniert. Die Charakteristika, welche man für gewöhnlich mit Filmen assoziiert, die auf dem schmalen Grat zwischen Realität und Wahnsinn wandeln – Surrealismus, grelle Effekte, filmische Verfremdungstechniken – sind hier nahezu vollständig abwesend. Trotzdem trifft Thrower den Nagel mit seiner Diagnose auf den Kopf, was beweist, wie geschickt Cimbers Inszenierung ist, wie sensibel Robert Thoms Script und wie subtil Dean Cundeys Fotografie. Auch wenn THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA nie ganz abtaucht in die Seelen- und Gedankenwelten seiner Protagonistin, ist er dennoch voll und ganz von ihrer Disposition ergriffen. Er hat einen eigenen Rhythmus, eine eigene Sensibilität, eine eigene Sprache. Es ist schwer, zu erklären, was es ist, was den Film so einzigartig macht. Aber das Gefühl ist da.

Molly (Millie Perkins) ist eine mittelalte, attraktive und sympathische Frau, die sich als Kellnerin über Wasser hält, diverse flüchtige Liebschaften hat, unter anderem mit Long John (Lonny Chapman), dem Wirt der Kneipe, in der sie arbeitet, den beiden jungen Söhnen ihrer Schwester Cathy (Vanessa Brown) verklärende Geschichten iüber den angeblich auf See verschollenen Vater erzählt – und nebenbei ein Alkoholproblem kultiviert. Schon früh zeichnet sich ab, dass mit ihr etwas nicht stimmt: Cathy teilt die liebevolle Erinnerung Mollys an den gemeinsamen Vater überhaupt nicht, bezeichnet ihn als Schwein und scheint etwas über ihre Schwester zu wissen, was diese selbst verdrängt hat. Die Flucht in die Scheinwelt des Fernsehprogramms gründet für Molly auf weit mehr als auf dem Wunsch nach Ablenkung von einem tristen Alltag – und es dauert nicht lange, da offenbart sich ihre tiefe seelische Zerrüttung und das schreckliche Geheimnis ihrer Vergangenheit.

Inhaltlich fügt sich THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA nahtlos in das Genre des Serienmörderfilms als Psychogramm, aber seine Herangehensweise ist doch eine ganz eigene. Weder betrachtet Cimber seine Protagonistin mit der nüchternen Distanz eines Wissenschaftlers, noch macht er sich ihre Sicht auf die Welt ganz zu eigen. Seine Perspektive ist vielmehr von Empathie, Menschlichkeit und dem Wunsch, zu verstehen, geprägt. Seine Mörderin – Opfer väterlichen sexuellen Missbrauchs – ist kein blutgieriges Monster, aber durchaus ein Rätsel, nicht zuletzt für sich selbst. Wenn Molly zur Mörderin wird, sie sich für die erlittenen Verletzungen an den Männern rächt, ist sie ein anderer Mensch: An ihre Taten hat sie danach keine Erinnerung mehr, es ist, als erwache sie aus traumlosem Schlaf. In ihrem „normalen“ Leben ist sie hingegen zärtlich, mitfühlend, liebevoll – vielleicht ein bisschen zu in sich gekehrt, zu sorglos, zu zufrieden mit einem Leben, in dem eigentlich fast nichts stimmt. Diese Kluft durchmisst der Film auch stilistisch: Cimber lässt seine Charaktere keinen „authentischen“, aus dem Leben gegriffenen Smalltalk führen: Die Dialoge sind sehr geschrieben, poetisch mitunter und sie sorgen im Verbund mit Cundeys Bildern dafür, dass THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA wie durch einen Nebel zu einem spricht. Der Film ist enigmatisch, wie Thrower sagt, aber vor allem deshalb, weil er trotz aller bildlichen Klarheit seltsam entrückt scheint. Wie eine Erinnerung, von der man nicht genau weiß, ob sie nicht doch nur ein Traumfragment ist.

Das Script schrieb Robert Thom, der damalige Ehemann von Hauptdarstellerin Millie Perkins aus akuter Geldnot und griff dafür auf (auto)biografische Details aus seiner und Perkins‘ Familie zurück. Aus seiner feder stammen auch die Drehbücher zu Paul Bartels DEATH RACE 2000, Roger Cormans BLOODY MAMA und Robert Aldrichs superbizarrem THE LEGEND OF LYLAH CLARE, was in der Schnittmenge tatsächlich einen guten Eindruck von THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA vermittelt. Millie Perkins‘ Filmkarriere wiederum begann 1959 im Alter von 21 Jahren mit der Hauptrolle in George Stevens‘ THE DIARY OF ANNE FRANK, die sie ohne jede Schauspielausbildung ergatterte. Man prophezeite ihr eine große Karriere, doch das Studiosystem war nicht das rechte Umfeld für sie: Sie fiel in Ungnade und landete schnell bei B-Film und Fernsehen. Sie lebt immer noch und ist mittlerweile 82 Jahre alt. Matt Cimbers claim to fame ist zum einen die Tatsache, dass er der letzte Ehemann von Jayne Mansfield war, zum anderen der Skandalfilm BUTTERFLY, eine Verfilmung von James M. Cains gleichnamigem Hardboiled-Roman, in dem die damals bereits fast 30-jährige Sängerin Pia Zadora ein minderjähriges Mädchen spielt, das ein Verhältnis mit seinem Vater (Stacy Keach) beginnt. Der Film wurde von der Kritik einhellig verrissen und großzügig mit Raspberry Awards und Nominierungen in allen wichtigen Kategorien bedacht. Seine Filmografie, die auch die Blaxploiter THE BLACK SIX, LADY COCOA und THE CANDY TANGERINE MAN, den Barbarinnen-Film HUNDRA umfasst, klingt demnach ziemlich spannend. THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA ist in jedem Fall ein Ausnahmewerk, das in einer gerechten Welt als Klassiker in einem Atemzug mit Titel wie REPULSION, PSYCHO oder THE COLLECTOR genannt werden würde, um jetzt nur mal drei naheliegende Referenztitel zu nennen.

 

 

 

Wie die Millennium-Trilogie („Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“) von Stieg Larsson zum Kulturphänomen geworden ist, habe ich nicht mitbekommen. Ich erinnere mich an eine großformatige Werbeanzeige im Programmheft des Fantasy Filmfests, als die Verfilmungen erschienen, und war erst einmal skeptisch. Ich habe mich nie wirklich dafür interessiert, was sich hinter den Beststellern und den Bildern des gepiercten Emo-Mädels verbarg, vermutlich weil ich irgendeinen halbgaren Hype dahinter vermutete. Und ich weiß auch nicht, was mich letztlich dazu bewog, mir doch alle drei Romane zu kaufen – außer der Tatsache, dass ich irgendeinen leichten, spannenden Lesestoff als Urlaubslektüre brauchte und Lust auf einen Thriller hatte. „Verblendung“, der erste Band, lief dann zu meiner Überraschung rein wie nix. Längst keine selbstverständlichkeit, denn mit Romanen habe ich mich in den letzten zehn Jahren mehr als schwer getan, eigentlich fast nur noch Sachbücher und Biografien gelesen. Während des Lesens wuchs auch das Bedürfnis, den Filmen eine Chance zu geben: tatsächlich aus diesem recht einfachen Impuls heraus, zu sehen, wie Larssons Ideen (die schon in den Romanen so wirken, als habe er eine Verfilmung im Kopf gehabt) in Bilder umgesetzt worden waren. Hatte Regisseur Oplev das so hinbekommen, wie ich es mir beim Lesen ausgemalt hatte? Würde der im Director’s Cut immerhin dreistündige Film der ausladenden Struktur des 750-Seiten-Wälzers gerecht werden? Ich weiß gar nicht, wann mich solche Fragen zum letzten Mal beschäftigt hatten.

MÄN SOM HATAR KVINNOR wird der schwierigen Aufgabe gerecht – begnügt sich aber auch damit, das Buch unfallfrei ins Medium „Film“ zu übersetzen. Erwartungsgemäß ist der Film etwas straffer und etwas weniger elegant konstruiert und Oplev macht es sich bei der visuellen Gestaltung ziemlich leicht: Er bedient sich einer monochromen, kalten Optik, die zu Larssons von gewalttätigen Machtmännern, geknechteten Frauen und über Generationen gewachsenen oppressiven Strukturen bestimmten Welt wie auch zum skandinavischen Winter passt, und die – welch Zufall – seit Demmes THE SILENCE OF THE LAMBS der Standard für nihilistische oder zumindest pessimistische Serienmord- und Profiler-Thriller ist. Wer das Buch mochte, keine Zeit hat, es noch einmal zu lesen, und eine griffige visuelle Zusammenfassung braucht, ist mit der Adaption also gut bedient. Noomi Rapace, für die der Film Sprungbrett zu einer internationalen Karriere war, verleiht der verstörten, eigenbrötlerischen Goth-Hackerin ein einprägsames Gesicht und eine Körpersprache, in der man die zurückliegenden, noch verborgenen Peinigungen erahnt. Und es gelingt ihr auch, den „Freak“ atraktiv zu machen, ohne dass seine Ecken und Kanten abgeschliffen würden. Wer von einer Literaturverfilmung allerdings erwartet, dass sie einen eigenen Ansatz zur Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Stoff findet, den wird MÄN SOM HATAR KVINNOR eher nicht vom Stuhl hauen. Ich hätte mir ein bisschen mehr stilistischen Eigensinn gewünscht, vielleicht auch den Mut, von der erfolgreichen Vorlage ein Stück abzuweichen und eigene Wege zu gehen, aber vielleicht ist es auch einfach unrealistisch anzunehmen, dass die (vom deutschen ZDF mitfinanzierte) europäische Verfilmung eines Bestsellers, der vom Teenie bis zur Hausfrau auf Millionen von Nachttischen lag, mit künstlerischem Wagemut auftrumpfen würde.

Ich weiß nicht, ob die Verachtung, die vom Slant Magazine über dem Film (und en passant auch über Larssons Bücher) ausgekippt wurde, repräsentativ für die „intellektuelle“ Rezeption war, aber sie kommt für mich nicht ganz überraschend. Larssons Bücher sind sicherlich „Reißer“, die auf einige gut angehangene Exploitation-Motive zurückgreifen und sie zu einer makabren Mordgeschichte zusammenrühren. Erfolgreiche Männer mit aktivem Sexleben, Altnazis, berechnende Wirtschaftsverbrecher, schmierige, onkelhafte Vergewaltiger, perverse Frauenmörder, Judenhass und religiöse Verblendung  sowie mittendrin eine traumatisierte, bisexuelle Femme fatale mit Missbrauchsvergangenheit aber nichtsdestotrotz großem sexuellen Appetit:  Das ist nicht unbedingt eine subtile Mischung und Larsson (sowie sein Nachfolger Oplev) weiß zwar, wie er diese saftigen Elemente effektreich in eine bis zum Schluss spannende Geschichte integriert (bzw. diese aus ihnen heraus konstruiert), aber er kann auch nicht ganz verbergen, dass er ein Kerl ist. Die ausladende Geste, mit der die epische Kriminalgeschichte erzählt wird, kann die ihr inhärente Schmierigkeit und Sensationslust nicht vollständig verbergen. Im Film, der seinen Zuschauern die Aufgabe abnimmt, die Schöpfung des Autors selbst in Bilder zu kleiden, tritt dieser Sensationalismus erwartungsgemäß stärker in den Vordergrund. Alles wirkt gegenüber dem Fluch flacher, greller und, ja, auch irgendwie auf etwas unangenehme Art geiler. Wahrscheinlich ist es unvermeidlich, dass eine Seite wie Slant davon massiv getriggert wird und zu einer Tirade über „misogynistischen Trash“ ansetzt. Ich nehme es dem verstorbenen Autor Larsson voll und ganz ab, dass es ihm ernst war mit seiner Thematisierung der langen Geschichte gesellschaftlich geduldeter männlicher Gewalt gegen Frauen. Er wählte dafür aber das Sujet des massentauglichen Reißers, anstatt eine spitzfindige Anklage zu formulieren, die zwar auf die Zustimmung des intellektuellen Feuilletons gestoßen, aber leider von sonst niemandem gelesen worden wäre. Seine Lisbeth Salander ist vielleicht der Fantasie eines „weißen alten Mannes“ entsprungen, aber immerhin erdachte der eine Frau, die sich zu wehren weiß und sich nicht über die Zugehörigkeit zu einem edlen Ritter definiert. (Zum Vorwurf der Küchenpsychologie: Ich bezweifle, dass die Slant-Redaktion ihre Redakteure durch ein Psychologie-Studium schickt.) Ich finde es jedenfalls immer wieder überraschend, wie das Attribut „trashig“ mal als Lob, dann wieder als Abkanzelung verwendet wird. Wahrscheinlich liegt der Fehler von Larssons Buch und von Oplevs Verfilmung tatsächlich eher darin, dass sie ein Stück zu seriös, zu psychologisierend und eben nicht „trashig“ genug sind. Egal. Mir hat „Verblendung“ ausgezeichnet gefallen. Und der Film ist auch okay.

 

 

 

 

Anlässlich seines letzten Spielfilms, des unsäglichen 31, hatte ich bereits überlegt, ob man bei Rob Zombie von einen kreativen Absturz sprechen muss oder ob seine sehr spezielle Spielart der Exploitation einfach nur die natürlichen Ermüdungs- und Abnutzungserscheinungen zeigt. Man kennt das aus der Popmusik, wenn eine beim ersten Mal noch geniale und originelle Idee in der fünften Wiederholung so gnadenlos nervt, dass davon rückblickend auch das Original beeinträchtigt wird. Zombies Kino, eine stets an der Schwelle zur Hysterie stehende Verquickung von True-Crime-Grittiness, Seventies-Worship, greller Americana und Zirkus- und Jahrmarktfetisch, stieß selbst in seinen besten Filmen bisweilen an seine Grenzen, in einem Desaster wie 31 schien dann nur noch das Niederbrennen mit Stumpf und Stiel eine angemessene Reaktion. Dass die kreative Bankrotterklärung einem Film wie THE LORDS OF SALEM folgte, der doch eine Verfeinerung der bekannten Stilistika zeigte und eine dringend nötige Weiterentwicklung des Filmemachers andeutete, warf weitere Fragen über Zombies Verfassung auf, die mit 3 FROM HELL zwar nicht gerade verstummen, deren Beantwortung aber längst nicht mehr so interessant scheint. Die Fortsetzung seines vielleicht beliebtesten Films THE DEVIL’S REJECTS (der seinerseits ein Sequel zum Debüt HOUSE OF 1.000 CORPSES war), ist keinesfalls eine Rückkehr zu alter Form, zeigt im Gegenteil erhebliche Ermüdungserscheinungen und inszenatorische Mängel, ist aber weit vom erbarmungswürdigen Niveau des indiskutablen Vorgängers entfernt. Man könnte ihn wohlwollend als das Sich-Einrichten im Mittelmaß bezeichnen.

Nach den Ereignissen des Vorgängers sind die mörderischen Fireflys – Captain Spaulding (Sid Haig), Otis B. Driftwood (Bill Moseley) und Baby (Sheri Moon Zombie) – inhaftiert und zu Volkshelden mutiert. Spaulding wird hingerichtet, Otis gelingt mithilfe seines Bruders Winslow (Richard Brake) die Flucht und gemeinsam erwirken die beiden auch die Freilassung von Baby, indem sie die Familie von Gefängniswärter Dallas Harper (Jeff Daniel Willis) erst als Geiseln nehmen und dann gnadenlos abschlachten. Die Flucht führt sie nach Mexiko, wo sie allerdings von einem ebenso mordlustigen Kartell ausgemacht und in eine wilde Schießerei verwickelt werden.

Das Hauptmanko von 3 FROM HELL geht schon aus der Inhaltsangabe hervor: Eigentlich hat Rob Zombie nichts mehr zu erzählen. Ja, seine Charaktere sind reizvoll, wenngleich seine Sympathie für ein paar vollkommen geisteskranke, brutale Mörder durchaus Fragen aufwirft, aber er weiß nicht mehr, was er mit ihnen noch anfangen soll. Der Film beginnt mit einer arhythmischen Aneinanderreihung von Fernseh- und Found-Footage-Bildern, die den Betrachter auf den neuesten Stand bringt (und den Eindruck von Unreife hinterlässt, den sich Zombie nach über 20 Jahren im Business eigentlich nicht mehr leisten sollte), und spult dann seine Story ab, die nach der langen Pause der Killerfamilie mehr als unbefriedigend wirkt. Nicht nur hat Zombie nichts zu erzählen, alles mutet wie wie ein lauwarmer Abklatsch vergangener Filme an. Manche Szenen – etwa ein unbeholfener Dialog zwischen Otis und Winslow über Bogart und Cagney – rufen nackte Fremdscham hervor, Sheri Moon Zombie, deren Interpretation der verführerisch-sadistischen Mörderin immer schon schwierig war, strapaziert in einem noch weiter ausgebauten Part erheblich die Nerven, die ausgestellte Brutalität gegenüber der bürgerlichen Familie um den Gefängniswärter scheint in ihrer mitleidlosen Grausamkeit einfach unnötig und kaltherzig, die Gastauftritte alter Genre-Recken – Austin ASSAULT ON PRECINCT 13 Stoker, Dee Wallace, Daniel Roebuck und Clint Howard – sind reine Pflichterfüllung ohne echten Mehrwert, die Frische eines damal so radikalen Films wie HOUSE OF 1.000 CORPSES vermisst man an allen Ecken und Enden. Trotzdem: Die Reduktion ist nach dem Chaos des völlig aus dem Ruder gelaufenen 31 ein Schritt in die richtige Richtung, und ein paar schöne Momente hat der Film dann auch. Dass Zombie, der noch vor 15 Jahren einiges Potenzial offenbarte, noch einmal einen richtigen Entwicklungssprung macht, möchte ich nach 3 FROM HELL allerdings bezweifeln. Der Zug ist wohl abgefahren.

 

Ich gehöre ja zu den Menschen, die TURBO KID ziemlich schrecklich finden. Er ist sicherlich gut gemeint und nicht vollends unerträglich, aber eben genau jene Sorte von Fanservice, Zitatekino und Nerdjerking, mit der ich einfach nichts anfangen kann, die ich grauenvoll unproduktiv finde. Besonders schlimm: Dieses Eighties-Nostalgiegedöns, bei dem man merkt, dass die Urheber die Achtziger auch nur aus komischen Retroshows kennen. SUMMER OF 84 ist der Nachfolger von TURBO KID und macht weiter mit dem Achtziger-Worshipping, auch wenn das hier stärker in den Hintergrund rückt und der Film diese Zeit nur als  (allerdings ziemlich willkürlich gewählten) Rahmen für seine Geschichte verwendet. SUMMER OF 84 ist besser und „reifer“ und auch so angelegt, aber diese Anlage offenbart nun auch endgültig, dass die Filmemacher nicht wirklich etwas zu sagen haben. Auch wenn man TURBO KID ätzend fand, konnte man ihm zugutehalten, dass er immerhin den nötigen Drive und auch einen gewissen Witz mitbrachte, wenn man diesen Humor auch nicht teilte. SUMMER OF 84 läuft zwar gut rein, er ist „funktionabel“, wenn man so will, aber am Ende bleibt einfach nichts übrig. Ein Film, der nicht in erster Linie über seine Schauwerte, Gags und Effekte funktioniert, sollte etwas zu sagen haben. SUMMER OF 84 ist ganz nettes Entertainment, aber er versagt auf dieser Ebene völlig. Er zeigt ziemlich deutlich, dass diese Art von Rückwärtsgewandtheit völlig leer und sinnlos ist, wenn man keine Haltung zu der Zeit und ihren kulturellen Artefakten findet, die man da referenziert.

Der Teenie Davey Armstrong (Graham Verchere) ist der festen Überzeugung, dass sein Nachbar, der Polizist Wayne Mackey (Rich Sommer), der Serienmörder ist, der seit einiger Zeit im County sein Unwesen treibt und es hauptsächlich auf Knaben wie Davey abgesehen hat. Mehrere Hinweise erhärten den Verdacht und so bringt Davey seine Kumpels dazu, auf eigene Faust zu „ermitteln“. Als ihr Detektivspiel auffliegt und Mackey nur wenig später einen Verdächtigen verhaftet, scheint der Fall erledigt. Aber Davey ist immer noch von der Schuld des Polizisten überzeugt.

Eine Prise STAND BY ME, etwas Stephen Kings „Es“ (oder auch die nur ein Jahr zuvor überaus erfolgreich gelaufene Verfilmung), schließlich deutliche Anleihen bei FRIGHT NIGHT, dessen Vampir durch einen ordinären Serienkiller ersetzt wird: So in etwa lässt sich SUMMER OF 84 zusammenfassen. Will man es positiv wenden, so kann man konstatieren, dass es dem Regisseursteam gelungen ist, einen Film zu inszenieren, der die Vorbilder sehr originalgetreu emuliert. Die heterogene Protagonistenschar – zu den Kumpels, die alle einen bestimmten Typus repräsentieren, gesellt sich auch noch die scharfe, etwas ältere Nikki (Tiera Skovbye) – wird mit einigen wenigen Pinselstrichen zum Leben erweckt, das unschuldige Detektivspiel gerät mehr und mehr außer Kontrolle, und hinter dem biederen Antlitz des Killers steckt natürlich die wachsende Erkenntnis, dass die behütete Kindheit bald zu Ende und die Welt da draußen voller Gefahren und unangenehmer Überraschungen ist. Das kennt man, das funktioniert, auch zum hundertsten Mal noch. Aber das ist es dann auch schon. Die als große Erkenntnis dargebotene Weisheit, dass sich hinter dem Nachbar ein kranker Mörder verbergen kann, ist wohl einer der abgedroschendsten Standards des Horror- und Serienmörderfilms und der Hinweis auf Ronny und seine Reaganomics ist wahrscheinlich gesetzlich vorgeschrieben, wenn man einen Film über die American Eighties drehen will. Ansonsten reduzieren sich die Referenzen auf Band-T-Shirts, Poster, Plattencover und Soundtrack sowie den ein oder anderen hingeworfenen Dialogsatz. SUMMER OF 84 könnte genauso gut in den Sechzigern, Siebzigern, den Neunzigern oder den Nullern spielen, der Zeitrahmen ist reiner Zierrat, dessen einzige Funktion darin besteht, die anvisierte Zielgruppe zu triggern. Gähn.

Es ist etwas undankbar, den Film zu kritisieren: Er macht eigentlich nichts falsch, aber das liegt eben auch nicht zuletzt daran, dass er absolut nichts Neues, Eigenes ausprobiert. SUMMER OF 84 ist das filmische Äquivalent zur Coverband. Unter Umständen ganz nett, musikalisch vielleicht sogar beeindruckend, aber eben doch nur ein Abklatsch des Echten.

 

Gemessen an der Weltgeschichte währte die FWOGSF (die First Wave of German Slasher Films) nur Sekundenbruchteile – und auch, wenn man ein durchschnittliches Menschenleben als Maßstab nimmt, nicht allzu lang. Die meisten werden es schon lang vergessen haben, dass es da mal den überaus erfolgreichen ANATOMIE gab, dem gar ein Sequel und eben FLASHBACK folgten. Wenig später war der Spuk dann auch schon wieder vorbei, der deutsche Kinogänger wendete sich wieder seinem Lieblingsgenre, der Komödie, zu und ließ den deutschen Horrorfilm traurig zurück wie einen kurzen Urlaubsflirt.

Auch wenn FLASHBACK also keine spürbaren Folgen in der deutschen Filmlandschaft hinterließ, ist er doch ein überaus charmantes Wurmloch, durch das man in eine Zeit zurückreisen kann, in der die GZSZ-Riege sich anschickte zu Stars zu werden (was dann doch nicht klappte), man seine überdimensionierten Handys in Plüschtäschchen steckte und sich fragte, wie man die vollgequatschte Mailbox leert und ein Werbeslogan wie „Da werden sie geholfen“ zum Kulturgut gehörte. Und das tollste: FLASHBACK beweist auch sonst, dass da durchaus was gegangen wär mit dem deutschen Slasherfilm, wenn man ihm die Möglichkeit der Entfaltung gegeben hätte.

Die Story basiert auf einem Drehbuch der Hammer-Ikone Jimmy Sangster, hinter der Kamera stand mit Peter Krause ein Mann, der als Camera Operator immerhin Roland Emmerich während seiner ersten zehn Hollywood-Jahre begleitet hatte, und Regisseur Michael Karen – der heute wie so viele einstige deutsche Regietalente sein Dasein mit traurig-seichten TV-Filmen und -Serien fristet – inszeniert sowohl die spannenden und horriblen als auch die komischen Momente kompetent und stilsicher. Der Film nimmt sich nicht allzu ernst, aber er ist dann doch relativ zupackend und mit einigen Geschmacklosigkeiten versehen, die man so nicht unbedingt erwarten durfte. Die Story ist genretypisch unglaubwürdig, der Twist überkonstruiert, aber dann immerhin schön böse. Die Besetzung mit Soap-Opera-Stars verleiht dem munteren Treiben eine zusätzlichen Charme, entsprechen sie doch nahezu perfekt dem Typus der eindimensionalen Teenies, die man mit dem Slasherfilm gemeinhin assoziiert – mit der Ausnahme, dass sie hier allesamt züchtig verhüllt bleiben. Dazu ein kleiner Geniestreich wie die Besetzung der strengen Haushälterin „Frau Lust“ mit der deutschen Legende Elke Sommer und die blutigen Effekte, fertig ist ein Werk, das – und das kann man ja nun nicht allzu oft über deutsche Genrefilme sagen – richtig Spaß macht.

 

Ein Teil des anhaltenden Ruhms von Abel Ferraras Regiedebüt geht auf die Tatsache zurück, dass er in Großbritannien als besonders prominenter „Video Nasty“ beschlagnahmt wurde und den sogenannten „Video Recordings Act 1984“ nach sich zog, eine Regelung, die besagt, dass alle für den Handel gedachten Videotapes mit einer Altersfreigabe versehen werden müssen. Wie so oft, hatten die selbsternannten Moralapostel den Film gar nicht gesehen: Es war der Legende nach eine reißerische ganzseitige Werbeanzeige, die Ferraras Debüt die leider ungewollte Aufmerksamkeit einbrachte. Ganz sicher traf Ferrara mit THE DRILLER KILLER einen Nerv. Und noch sicherer hätten sich die aufgebrachten Jugendschützer auch vom Verbot auch nicht abhalten lassen, wenn sie ihn sich angeschaut hätten, denn eins ist mal sicher: Auch wenn die Bohrmaschinen-Morde mit den Effekten eines Savini oder De Rossi nicht mithalten können, THE DRILLER KILLER den durchschnittlichen Gorebauern und Gewaltfanatiker mit seinen Redundanzen eher anöden dürfte, verfügt der Film doch über eine reichlich deprimierende, schmutzige und desillusionierende Atmosphäre, die ausreichend ist, um schlichtere oder zartbesaitete Gemüter in Unruhe zu versetzen.

Die Handlung ist schnell zusammengefasst: Reno (Abel Ferrara) ist ein heruntergekommener, mittelloser Maler, der verzweifelt versucht, ein Bild fertigzustellen, um an Bargeld zu kommen, mit dem er seine sich türmenden Schulden bezahlen kann. Während er arbeitet, stört ihn eine Band, die im Nebenhaus probt. Alle Versuche, sich gegen den Lärm zur Wehr zu setzen, scheitern. Dies und die ihn umgebende New Yorker Trostlosigkeit bringt ihn schließlich dazu, nachts mit einer Bohrmaschine loszuziehen und Obdachlose umzubringen.

Ferrara drehte mit THE DRILLER KILLER so etwas wie die Punkversion von Joel Schumachers Amoklauf-Film FALLING DOWN. Statt eines fleißigen amerikanischen Büroarbeiters mit Kuli in der Hemdtasche gibt es hier einen abgerissenen Maler, anstelle einer aufgesetzten, dabei ins Reaktionäre abgleitenden Gesellschaftskritik den Blick auf eine Stadt kurz vor der Implosion, statt „gerechter“ Angriffe auf unhöfliche Immigranten, brutale Gangmitglieder, Skinheads oder unflexible Serviceangestelle richtet sich Renos Verzweiflung gegen die größten Verlierer überhaupt. Ferrara macht keine „Aussage“ und er folgt auch keiner Agenda; ganz sicher hat er eine Meinung und wenn man sich THE DRILLER KILLER anschaut, kommt man auch relativ schnell dahinter, wie die aussieht, aber sein Film liefert zunächst mal ein Stimmungsbild. Und was man da zu sehen bekommt, ist nicht gerade anheimelnd. THE DRILLER KILLER erstickt nicht nur im Dreck, seine Charaktere stehen dem allgemeinen Verfall der Welt um sie herum auch absolut gleichgültig gegenüber, ja befördern ihn mit dieser Haltung noch. Es gibt keinerlei Vorwärtsbewegung in Ferraras Films. Dramaturgisch tritt er bewusst auf der Stelle, die langen Szenen, aus denen er besteht, erzählen nichts, es ist die Anhäufung der immergleichen sinnlosen Dialoge und idiotischen Tätigkeiten, in denen sich Ferraras Haltung widerspiegelt. Renos Bilder sind durchaus kunstvoll, er scheint nicht gänzlich unbegabt, aber er selbst ist kaum mehr als ein dumpfer Hänger, ohne jedes Ziel oder echten Antrieb. Mit den „Roosters“, der Band, die ihn in den Wahnsinn treibt, verhält es sich eher anders herum: Ihre Musik ist ein Rockmusik-Albtraum, der akustisch eindrucksvoll darlegt, warum Drogen, Egozentrik und mittelprächtiges Talent eine gefährliche Mischung darstellen, aber sie sind wenigstens überzeugt von dem, was sie da tun (kann sein, das Fans von Bands wie Velvet Underground eine andere Meinung zum Sound der Roosters haben, aber ich finde ja auch, dass die Velvets nahezu unanhörbar sind).

Mitunter ist THE DRILLER KILLER aber durchaus komisch. Da gibt es diese (vermutlich improvisierte) Szene, in der zwei Typen an der Bushaltestellen von einem Penner belästigt werden, der sich offensichtlich für einen Komiker hält. Auch wie Renos Kunstagent sein großes Werk am Ende verreißt, davon redet, dass da „keine Energie“ zu sehen sei, einfach nur Scheiße, und wie Reno dazu dreinschaut, entbehrt nicht einer gewissen Komik, auch wenn dem Protagonisten eher nicht zum Lachen zumute ist. Und dann natürlich das romantische Dinner auf dem verwanzten Teppich in Renos Behausung, mit einer fetttriefenden Pizza aus der Hölle, deren Einnahme mit Schmatz- und Kaugeräuschen unterlegt ist, die auch gut in Fulcis Zombiefilme gepasst hätten. THE DRILLER KILLER ist nicht unbedingt aufregend, aber als Mood Piece für Leute mit New-York- und Underground-Fetisch funktioniert er auch heute noch ausgezeichnet.

EUGÉNIE ist der zweite von insgesamt drei Filmen des Spaniers, die mit dem Frauennamen im Titel aufwarten: Zuvor gab es die Towers-Produktion EUGENIE … THE STORY OF HER JOURNEY INTO PERVERSION, später sollte noch EUGENIE (HISTORIA DE UNA PERVERSION) folgen. Der Film, um den es hier geht, entstand 1969/70, ungefähr zur selben Zeit wie das dunkle Juwel LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT, doch er fand seinen Weg in die belgischen und französischen Sexkinos erst deutlich später (weshalb er etwa in der IMDb auf das Jahr 1973 datiert wird) – in Deutschland erschien er überhaupt nicht. Laut Stephen Thrower ist EUGÉNIE der Film, in dem „Franco lernte, Franco-Filme zu drehen“ und selbst wenn ich dieser Aussage nicht ganz beipflichten möchte, scheint mir die Bedeutung des Films für das Werk des Regisseurs unstrittig. Hier legt er seine von De Sade beeinflusste Philosophie explizit dar, formuliert sie aus und stellt sie in den Mittelpunkt der Handlung.

Diese dreht sich um die schöne Eugénie Radeck (Soledad Miranda) und ihren Stiefvater Albert (Paul Muller), einen Schriftsteller, der sich mit Erotik und Sadismus beschäftigt. Die beiden beginnen eine Liebesbeziehung und entscheiden sich dazu, ihre sadistischen Neigungen mit einer Reihe von Lustmorden auszuleben. Gemeinsam bringen sie mehrere Frauen um, was den Literaten Tanner (Jess Franco) auf ihre Spur bringt, der sich Einblicke in die Psyche Alberts erhofft. Als der Eugénie auf einen jungen Musiker (Andrea Montchal) ansetzt, sie dazu auffordert, ihn zu verführen und dann in den Selbstmord zu treiben, wendet sich das Blatt. Die junge Frau verliebt sich in den Mann und erregt damit den Zorn des eifersüchtigen Stiefvaters.

Make no mistakes: Dass Franco aus Albert einen „Stiefvater“ macht, ist sein Zugeständnis an die damalige Moral. Er wusste, dass sein eh schon gnadenlos unkommerzieller Film überhaupt keine Chance haben würde, wenn er eine „echte“ Inzestbeziehung zwischen einem erwachsenen Mann und seiner Tochter in den Mittelpunkt stellen würde. Dieser Rückzieher lässt sich deutlich leichter ignorieren als das unpassend moralische Ende: Dass Eugénie sich in den furchtbar drögen Musiker verliebt und ihrem Vater damit in den Rücken fällt, wirkt nicht nur intradiegetisch unglaubwürdig und unmotiviert, es widerspricht auch der von Franco zumindest theoretisch vertretenen Amoralität. Kam ihm der eigene Humanismus in die Quere?

Es macht durchaus Sinn, über Francos Überzeugungen und Neigungen zu spekulieren, denn EUGÉNIE ist, anders als der poetische LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT ein eher diskursiver und vor allem selbstreflexiver Film: Es gibt gleich mehrere wichtige Dialogszenen, in denen die Figuren, vor allem natürlich Albert und Tanner, ihre Überzeugungen und Philosophien erläutern und es ist, als hörte man einem inneren Monolog Francos zu. Albert ist Vertreter eines radikalen Sadismus: Die größte sexuelle Befriedigung erreicht man seiner Meinung nach, wenn man sich über Moral und die Werte des Humanismus hinwegsetzt und ein anderes menschliches Wesen unterwirft. Tanner ist von dieser Lebensweise zweifellos fasziniert, aber er kann sich selbst von der Konditionierung durch Moral und Gesetze nicht freimachen. In dieser Haltung spiegelt sich zweifellos Francos eigene wider: Als Künstler befasste er sich immer wieder mit der Verbindung von Sex und Gewalt, lebte seinen Fetisch in seiner Kunst, gewissermaßen mittelbar aus. Sein voyeuristisch-begehrender Blick nimmt EUGÉNIE gleich zu Beginn ein: Der Film eröffnet mit privatem Filmmaterial der Radecks, das sie beim Sexspiel mit einer Unbekannten zeigt, das schließlich mit einem Mord endet. Zunächst ist es Eugénie, die sich mit der Frau um Bett tollt, während ihr Vater die Kamera führt. Dann tauschen beide die Rollen, der Vater übernimmt den Platz der Tochter im Bett neben der Frau, die er schließlich stranguliert, während sein Blick in das Objektiv dringt. Wen fixiert er? Eugénie oder gar den Filmzuschauer? Als Stand-in für diesen fungiert Tanner, der das Material in einem Vorführraum sichtet, ohne dabei irgendeine Gefühlsregung zu zeigen. Es kann kein Zufall sein, dass sich Franco selbst als Zuschauer eines Filmes inszeniert, den er ja nicht nur selbst gedreht hat, sondern der auch ganz direkt Voyeurismus und Sadismus thematisiert.

EUGÈNIE ist über weite Strecken ein ziemlich düsterer, oder besser: misanthropischer Film. Albert ist frei von jedem Mitgefühl, die Liebe, die er für seine Tochter empfindet, macht ihn für den Betrachter nicht sympathisch, sie stößt ab, da auch sie letztlich vor allem seinem Streben nach Kontrolle unterworfen ist. Er genießt es, Eugénie nach seinen Vorstellungen zu formen, sie in seinen Bannkreis zu ziehen, sie zu seinem Geschöpf zu machen, es erhebt ihn, seinen Einfluss geltend zu machen, denn er strebt vor allem nach Macht. Die Beziehung zu seiner Tochter ist für ihn auch ein intellektuelles Spiel, lediglich auf einer höheren Ebene angesiedelt als die Lustmorde, die er gemeinsam mit ihr begeht. Selbst wenn Francos Film Anflüge von Humor zeigt, verhindert seine schneidende Schärfe, dass man darüber lachen kann: Für ihren ersten Mord kleiden sich die Radecks in unmögliche Klamotten, weil Albert der festen Überzeugung ist, dass sie weniger auffallen, wenn sie sich völlig selbstbewusst und betont flamboyant geben. Das Kalkül, das hinter der Verkleidung steckt, der Erfolg, der ihnen schließlich Recht gibt, ersticken jedes Lachen im Keim. Die Bilder des winterlich kalten Berlins mit seiner wie ein Mahnmal in den grauen Himmel stechenden Turm der Gedächtniskirche und dem vereisten See, an dessen Ufer sich die ausladende Villa der Radecks befindet, bestimmen die Atmosphäre, die auch durch die golden glänzenden Nachtklubszenen nicht wirklich aufgelockert wird. Paul Muller, einer von Francos Stammakteuren zeigt hier eine extrem intensive Darbietung: Sein diabolisch-lüsterner Blick lässt keinerlei Wärme oder Mitgefühl erkennen, die dunklen Augen der betörenden Soledad Miranda deuten die dem Stoff inhärente Tragik zweier verlorener Seelen an.

Es gibt einige wunderschöne Aufnahmen – einmal blendet die Kamera sanft von einer Reflektion der Gedächtniskirche auf einer Fensterscheibe auf das nachdenkliche Gesicht Eugénies dahinter -, aber EUGÉNIE bleibt nicht unbedingt wegen seiner Schönheit im Gedächtnis, eher schon wegen seiner kühnen, bis auf das schale Ende kompromisslosen Konstruktion. Wer LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT gesehen hat, erkennt die Szenen zwischen Miranda und Montchal wieder: Franco nutzte die Dreharbeiten von EUGÉNIE, um Aufnahmen für CAUCHEMARS abzuzweigen. Und das DOKTOR SCHIWAGO-Marquee, das schon in NECRONOMICON – GETRÄUMTE SÜNDEN zu sehen war, hat hier erneut seinen Auftritt: Der Film lief tatsächlich über drei Jahre im Royal Palast auf der Tauentzienstraße.

Zwei Körper, einer männlich, einer weiblich, in extremen Close-ups. Haut auf Haut, aus dieser Nähe kaum zu identifizierende Rundungen und Falten, gleißendes Licht. Männliche Finger, die sanft über die weiße Haut streicheln. Zwei Menschen, nach dem Aufwachen, in Liebe umschlungen? Dann werfen die Bilder Zweifel daran auf: Ein zweites männliches Gesicht rückt ins Bild. Klebeband verschließt den Mund der Frau. Das Bett entpuppt sich als mit Plastikfolie verkleidete Liege. Der Mann greift hart zu, die verschmutzten Füße der Frau verkrampfen sich, eine Träne läuft an Ihrer Wange hinab.

Der Schmerz hat in Scott Franks A WALK AMONG THE TOMBSTONES tief in die Welt eingeschrieben: Ein Ex-Cop, der dem Dienst wie dem Alkohol abschwor, nachdem er aus Versehen ein kleines Mädchen erschoss. Ein Jugendlicher, der gegen die Sichelzellenanämie ankämpft. Ein Mann, der ohne Vorwarnung in den Freitod springt, weil er die Schrecken, an denen er beteiligt war, nicht vergessen kann. Und zwei Psychopathen, die sich einen Spaß daraus machen, Frauen zu quälen und ihre Männer mit dem Grauen zu konfrontieren. Das alles angesiedelt in einer Stadt, deren Backsteinhäuser wie Grabsteine in den HImmeln ragen. Die Skyline zeigt noch die berühmten Twin Towers, aber auch sie sind schon dem Untergang geweiht.

A WALK AMONG THE TOMBSTONES ist von tiefer, auswegloser Traurigkeit durchzogen. Alle Charaktere, die den Film bevölkern, scheinen von einer schweren Last niedergedrückt zu werden. Es gibt nichts, auf das sie sich freuen oder auf das sie hinarbeiten würden. Es gibt keine Ideale oder Träume mehr, nur schmerzhafte Erinnerungen und die Einsicht in die Absurdität und Sinnlosigkeit des Lebens. Auch der Himmel ist grau und teilnahmslos. Und mitten hinein in die Depression stoßen zwei eiskalte Mörder, deren Verbrechen keinen Sinn ergeben, die es sich zum Ziel gemacht zu haben scheinen, den Weg in den Abgrund als Boten des Untergangs zu bereiten. Sie werden am Ende ihre gerechte Strafe bekommen, das verlangt die Konvention, aber dass die Welt danach eine bessere geworden ist, glauben weder der Protagonist noch der Zuschauer. Der Kampf geht weiter, jeden Tag. Es ist ein Rückzugsgefecht.

Würde man den Inhalt des Films wiedergeben, A WALK AMONG THE TOMBSTONES würde sich nicht nach viel anhören. Der Crimefilm ist voll von ausgebrannten Ex-Cops, verkommenen Großstädten und perversen Frauenmördern, alle möglichen Konstellationen wurden längst durchgespielt. Aber A WALK AMONG THE TOMBSTONES ist trotzdem anders – und faszinierend. Er ist wie ein Gedicht, auffallend lyrisch, in seiner Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit aber gleichzeitig wunderschön. Er basiert auf einem Roman von Lawrence Block, der den Detektiv Matthew Scudder erdachte und dessen Geschichten seit 1976 in insgesamt 19 Romanen erzählt hat, von denen 8 MILLION WAYS TO DIE bereits in den Achtzigerjahren von Hal Ashby mit Jeff Bridges in der Scudder-Rolle verfilmt wurde. Regisseur Scott Frank hat sich vor allem einen Namen als erstklassiger Drehbuchautor (nicht zuletzt von Hardboiled-Crime-Stoffen) gemacht, mit so beeindruckenden Credits wie GET SHORTY, MISSISSIPPI DELTA, OUT OF SIGHT, MINORITY REPORT oder LOGAN, und ist als Filmemacher noch nicht wirklich in Erscheinung getreten, aber wenn es etwas Gerechtigkeit gäbe, hätten die Produzenten ihm nach diesem Film die Türen einrennen müssen. A WALK AMONG THE TOMBSTONES zeichnet sich durch seine dichte Atmosphäre und eine geschliffene Ästhetik mit tollen Bildern sowie großartige Inszenierungseinfälle aus, die ihn weit über das hinaus heben, was man von einer solchen Bestseller-Adaption erwartet. Die eingangs beschriebene Szene ist nur ein Beispiel für den schmalen Grat zwischen Schönheit und Schrecken, den Scott mit großer Sicherheit beschreitet. Großartig dieser Moment, in dem die beiden Killer ihr nächstes Opfer entdecken, für sie im übertragenen Sinne die Sonne aufgeht, während auf dem Soundtrack Donovans „Atlantis“ anhebt und sich beim Zuschauer alles zusammenzieht, fesselnd das Finale mit dem Shootout, der via Voice-over mit dem 11-Punkte-Programm der Anonymen Alkoholiker unterlegt ist. Das Schlussbild, bei dem man dann zum ersten Mal die Twin Towers sieht, hinterlässt einen Kloß im Hals und dann untermalt eine anbetungswürdige Coverversion von Soundgardens „Black Hole Sun“ die Credits. Zum Niederknien.

Es gibt drei Arten von Besessenheitsfilmen: den ernsten Horrorfilm, der durch Friedkins THE EXORCIST oder auch von De Martinos L’ANTICRISTO idealtypisch repräsentiert wird, das sleazige Rip-off, das schwerpunktmäßig in Europa beheimatet ist (man denke etwa an Walter Boos‘ MAGDALENA, VOM TEUFEL BESESSEN oder an Gariazzos L’OSSESSA), aber auch in Asien einige Vertreter hat, die allerdings nicht auf der christlichen Religion fußen. Die dritte Spielart ist weniger bedeutend und eher am Rande dem Horrorfilm zuzurechnen: Ich denke etwa an Hans-Christian Schmids REQUIEM, der einen realen Exorzismus-Fall aus den Siebzigerjahren behandelt und sich mit den sozialen Ursachen und Wirkungen von religiösem Fanatismus auseinandersetzt. Na Hong-jins Gok-seong – internationaler Verleihtitel THE WAILING – ist ziemlich exakt in der Schnittmenge dieser drei Spielarten angesiedelt: Er spielt im authentisch dargestellten südkoreanischen Provinzalltag, in den plötzlich das Übersinnliche einbricht. Der Film befasst sich mit dem Schrecken dieser unerklärlichen, grausamen Ereignisse, der kulturellen Bedeutung von Magie, Schamanismus und Geisterglaube, ohne jedoch offen „gesellschaftskritisch“ zu sein. THE WAILING ist ein Schocker, der aber im Gewand eines impressionistischen Dramas und/oder Polizeifilms daherkommt.

Wie schon in Na Hong-jins meisterlichem HWANGHAE ist der Kontrast von Langsamkeit, Tempoverschleppung und Stille gegenüber plötzlichen „Beschleunigungen“ und dem damit einhergehenden Chaos ein bedeutendes stilistisches Merkmal von GOK-SEONG, das seinen Verbündeten in einem lakonischen Humor findet, der mit zunehmender Dauer – der Film dauert opulente 160 Minuten – immer mehr auf die Probe gestellt wird. Das Gesicht und Herz des Films ist Hauptdarsteller Do Won-kwak, der als stiller Provinzcop und Familienvater Jong-goo mit einer Serie bizarrer Verbrechen konfrontiert und bald auch ganz persönlich involviert wird. Alles beginnt mit einem brutalen Mord: Der Täter wird an Ort und Stelle festgenommen, blutverschmiert und apathisch ist er am Tatort verblieben. Wenig später gibt es einen Brandstiftungsfall, der das Opfer, eine alte Frau, vollkommen hysterisch hinterlässt. Während Jong-goo sich bemüht, nicht die Nerven zu verlieren, häufen sich Gerüchte über einen vampirischen Japaner (Jun Kunimura), der im Wald lebe, rot leuchtende Augen habe und arglose Wanderer überfalle. Nach anfänglicher Skepsis scheinen sich die Gerüchte zu bewahrheiten: Im Haus des Japaners finden sich Fotografien von Vermissten und Mordopfern, Spuren rätselhafter okkulter Rituale sowie ein Schuh von Jong-goos Tochter (Hwan Hee-kim), die wenig später Zeichen dämonischer Besessenheit an den Tag legt. Entgegen seiner Überzeugungen engagiert Jong-goo schließlich einen Schamanen (Jung Min-hwang), um seine Tochter zu retten.

Es ist nicht ganz einfach, über GOK-SEONG hinsichtlich seiner möglichen Bedeutung zu schreiben oder ihn spontan zu interpretieren. Ich könnte nicht zusammenfassen, worum es geht, was das zentrale Thema des Films ist. Über weite Strecken beobachtet Na Hong-jin einfach nur, begleitet seine Charaktere durch den Provinzalltag, der immer mehr in Schieflage gerät. Schon der erste Mordfall stellt im Leben Jong-goos und seiner Kollegen eine Zäsur dar: Die abgezockte Professionalität, mit der die Professionals des Großstadt-Copfilms noch die übelsten Leichenfunde taxieren, weicht hier einem bis ins Mark reichenden Entsetzen und einer Erschütterung des bis dahin gefestigten Urvertrauens. Im Folgenden bezieht GOK-SEONG nicht wenig Komik aus der Verängstigung seines Protagonisten und seiner Kollegen, lässt sie sich angesichts unheimlicher Geistererscheinungen kreischend unter dem Schreibtisch verstecken und alles andere als routinierte Souveränität an den Tag legen. Doch dann geht eine Veränderung mit Jong-goo einher: Als sich die Beweise immer mehr zugunsten übersinnlichen Wirkens verdichten, legt er auch die Angst ab und wappnet sich für die bevorstehenden Konfrontation. In der zweiten Hälfte wird GOK-SEONG zu einer Art Selbstjustizfilm, mit dem Unterschied, dass sich der Mob nicht gegen Punks, Vergewaltiger und Gesindel formiert, sondern gegen einen bösen Geist. Scheint es zu Beginn noch so, als könnte es in Na Hong-jins Film um die destruktive Kraft von Vorurteilen, Gerüchten und Aberglauben gehen, wird eine solche Lesart schließlich komplett verworfen. Das Dorf aus GOK-SEONG wird tatsächlich vom Bösen heimgesucht, Jong-goos Tochter tatsächlich von einem Dämons besessen und der Schamane, der mit einer ziemlich geilen Zaubershow anrückt und sich dabei inszeniert wie ein Popstar, ist mitnichten ein gemeiner Bauernfänger, sondern weiß ganz genau, was er tut. Es gibt kein Happy-End, aber auch keinen gemeinen Twist am Ende: GOK-SEONG endet einfach auf einer denkbar nihilistischen Note, die er aber nicht als Pointe behandelt, sondern mit derselben Nüchternheit, die er in den 160 Minuten zuvor an den Tag legte.

Die Welt ist in Na Hong-jins Film so weit aus den Fugen geraten, dass es nur als logische Konsequenz erscheint, dämonisches Treiben als Teil unserer Realität zu akzeptieren. Wie in THE EXORCIST, in dem das Grauen ja auch gerade keine religiöse Familie, sondern eine alleinstehende, linksintellektuelle Künstlerin trifft, entscheidet sich Jong-goo mangels glaubwürdiger Alternativen, seine Vorstellungen von der Welt und den Dingen beiseite zu schieben. Zum Glaubenden wird er dennoch nicht: Er folgt einfach den Indizien. Letztlich führt ihn nicht die Abwendung vom Pfade der Ratio ins Verderben, sondern die Tatsache, dass er die Zweifel nicht ganz zur Seite wischen kann.

Ich würde gern mehr sagen über diesen Film, aber er ist nicht zu greifen für mich. Ich fand ihn hochgradig faszinierend, großartig inszeniert, bisweilen kreuzunheimlich, dann wieder sehr komisch, dabei immer spannend, interessant und unterhaltsam. Ich weiß nicht genau, welche Weltsicht Na Hong-jin vertritt, was er glaubt oder auch nur vermitteln möchte. Vielleicht weiß er das selbst nicht so genau. Seine Filme zeigen aber einen sehr genauen Beobachter und sie scheinen mir geprägt von dem Wunsch, die Dinge vorurteilsfrei und genau zu betrachten, uns bei ihrer Beurteilung und Bewertung von bestehenden Konzeptionen und Überzeugungen freizumachen. GOK-SEONG beinhaltet in jedem Fall eine Aufforderung, ganz genau hinzuschauen, der ich sehr gern nachgekommen bin.