Ich glaube ja, dass Filme einen finden. Damals, in den Neunzigern, war DUST DEVIL ein Titel, der mich eigentlich brennend hätte interessieren müssen, aber die Tatsache, dass er in Deutschland nur gekürzt auf Video erschienen war, schreckte mich ab. Außerdem hatte ich die Befürchtung, er sei mir zu artsyfartsy, was mich davon abhielt, mich weiter um den Film zu bemühen. Vor ein paar Jahren ersteigerte ich zwar eine ungeschnittene US-DVD, die blieb aber ebenfalls ungesehen. Erst die deutsche Bluray-Veröffentlichung des Final Cuts von Stanleys Film rückte ihn wieder in mein Gedächtnis. Und nach der um fast drei Jahrzehnte verspäteten Erstsichtung muss einräumen: DUST DEVIL ist fantastisch. Anstatt mich darüber zu grämen, nicht schon vor 28 Jahren zu dieser Erkenntnis gekommen zu sein, freue ich mich darüber, dass DUST DEVIL gestern – allein zu Hause, mit leichtem Hangover und bei tropischen Temperaturen – der nahezu perfekte Film war. Und weil ich zunächst fälschlicherweise die offizielle gekürzte deutsche Fassung in den Player geschoben habe (wir müssen hier irgendwann mal darüber reden, wie man die Auswahlmöglichkeiten in Menüs gestaltet, die nur zwei Punkte haben), habe ich ihn mir sogar zweimal angeschaut. Späte, aber große Liebe.
DUST DEVIL wird geprägt von Stanleys einzigartiger Sensibilität, seinem ernsthaften Interesse für Magie, Schamanismus, Naturphilosophie, Mystik und alte Kulturen, seiner Liebe für das expressive, von eindringlicher audiovisueller Gestaltung geprägte Genrekino der Siebzigerjahre, aber auch von der vor diesem Hintergrund erstaunlichen Fähigkeit, seine Filme erzählerisch nicht zu überfrachten. DUST DEVIL ist eigentlich ein mit dem Serienmörderfilm kurzgeschlossenes und übersinnlich gewendetes Road Movie, das sich demnach durch äußerste Geradlinigkeit und Zielstrebigkeit auszeichnet: Eine Frau (Chelsea Field) nimmt einen mysteriösen Anhalter (Robert Burke) auf und geht eine Affäre mit ihm ein, muss dann aber erkennen, dass es sich bei dem attraktiven Mann um einen Dämon handelt, der „schwache“ Menschen sucht und opfert, um die fleischliche Form verlassen und ins Schattenreich zurückkehren zu können. Dem Killer auf den Fersen ist zum einen ein schwarzer, alternder Kriminalbeamter (Zakes Mokae), der durch die Apartheid-Erfahrung sowie den Tod seines Sohnes und die anschließende Trennung von seiner Gattin hart geworden ist, sowie der gehörnte Ehemann der Protagonistin. In einer Geisterstadt in der Wüste kommt es zur finalen Konfrontation zwischen den Parteien. (Der ein oder andere fühlt sich angesichts der Inhaltsangabe vielleicht an Robert Harmons THE HITCHER erinnert, um nur einen sehr naheliegenden Vergleich zu nennen.) Und Stanley gelingt es nicht trotz, sondern gerade wegen der Einfachheit des Plots (die sich auch in den rotglühenden Bildern karger Wüsteneien widerspiegelt), DUST DEVIL zum Oszillieren zu bringen wie die Luftschichten einer Fata Morgana.
Mythen von Windgeistern, Hexerei, okkulte Opfermorde, private Beziehungskrisen und gesellschaftspolitische Ereignisse wie der institutionalisierte Rassismus, der Südafrika bis in die frühen Neunzigerjahre plagte, oder Namibias Streben nach Unabhängigkeit spielen allesamt in DUST DEVIL hinein und machen ihn zu einer unheimlich dichten, sinnlichen, ja, beinahe holistischen Erfahrung. Dazu kommen unverkennbar Einflüsse aus dem australischen Kino, dem Giallo (Argentos L’UCELLE DALLE PIUME DI CRISTALLO wird genauso explizit referenziert wie der Hammer/Shaw Bros.-Crossover THE LEGEND OF THE SEVEN GOLDEN VAMPIRES) oder auch dem Italowestern, dem modernen Serienmörderfilm oder dem Horrorfilm generell. Man weiß als Betrachter nie so genau, in welche Richtung sich der Film als nächstes bewegt, aber man vertraut sich Stanley nur zu gern an, weil es ihm immer wieder gelingt, zu überraschen. Und weil der Film einen unwiderstehlichen Sog entwickelt. Einen wichtigen Beitrag liefert gewiss auch das Setting des Films: Die Namib bietet eine eindrucksvolle Kulisse, die Akzente der südafrikanischen Nebendarsteller bringen eine eigene Melodie, an der man sich noch nicht totgehört hat – und ein unverwechselbarer Darsteller wie Zakes Mokae bekommt endlich einmal einen Part, in den er sich mit seinem markanten Kiefer verbeißen kann. DUST DEVIL ist ein rauschhafter, gelichzeitig aber auch sehr kontrollierter oder vielleicht besser: reifer Film – was durchaus erstaunlich ist, denn Stanley absolvierte ja erst zwei Jahre zuvor sein Debüt. Kontrolliert ist hier aber nicht gleichzusetzen mit „kalt“ oder „technisch“: Es bedeutet viel mehr, dass sich Stanley nie komplett in seinen Bildern verliert. Im Fokus stehen einerseits die beiden menschlichen Protagonisten andererseits die Titelfigur und ihre jeweilige Mission, die existenziell nachvollziehbar ist. Die hypnotische Stimmung, die glutstarrenden Bilder der Wüste, die Allusionen an Naturmagie, Hexerei und Schöpfungsmythen, der fantastische Score von Simon Boswell: Sie unterstreichen die Geschichte, bilden einen gleichberechtigte Facette des Ganzen, aber gewinnen nie die alleinige Kontrolle. Wie kunstvoll alles ineinandergreift zeigt sich in der gleich auf mehreren Ebenen magischen Szene in einem heruntergekommenen Drive-in-Kino mitten in der Wüste, dessen Besitzer und Vorführer Spiralen mit weißen Steinen in den roten Wüstensand legt und sich über sein Argento/Hammer-Double-Feature freut.
Nach diesem Wunderwerk war das Interesse Hollywoods nur allzu verständlich. Mein Gott, was hätte Stanleys Verfilmung von „The Island of Dr. Moreau“ für ein Meisterwerk werden können, wenn man ihm etwas mehr Vertrauen (und vielleicht einen erfahrenen Berater) an die Seite gestellt hätte. Wie die Geschichte weiterging, wissen wir ja. Ich bin froh, dass Stanley mittlerweile zurück ist, aber bedenkt man, welches Versprechen er mit DUST DEVIL einst gab, kann man den Verlauf seiner Karriere dennoch kaum anders als als „tragisch“ bezeichnen.