Mit ‘Siegfried Rauch’ getaggte Beiträge

Episode 139: Der Augenzeuge (Theodor Grädler, 1986)

Der arbeitslose Erich Schuster (Klaus Herm) wird Zeuge, wie ein Nachtwächter von zwei Juwelenräubern auf der Flucht erschossen wird. An die Gesichter der Flüchtigen kann er sich nicht erinnern, aber er fällt Derrick danach durch sein seltsames Verhalten auf, genauso wie der Sohn der Mordopfers (Dieter Schidor). Derricks Verdacht: Die beiden kennen den Täter und lassen sich ihr Schweigen von ihm teuer bezahlen …

Noch so ein DERRICK-Standard: arme Tröpfe, die ihre Chance wittern und sich dabei die Flossen verbrennen. Nicht viel Neues hier, lediglich Bewährtes routiniert dargeboten. Dass Sky DuMont in einer absoluten Nullrolle verbraten wird, ist allerdings doppelt kontraproduktiv: Nicht nur verschenkt man einen erstklassigen Schauspieler, der nicht auf den Kopf gefallene Zuschauer weiß auch, dass er nur eine Erklärung für diesen zweifelhaften Coup geben kann. Und so ist es dann auch.

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Episode 140: Das absolute Ende (Alfred Vohrer, 1986)

Herta Kolka (Marion Kracht) wird nach ihrer Gitarrenstunde erschossen. Die Ermittlungen führen Derrick und Klein in eine höchst sonderbare Familie: Der Vater (Günther Mack) ist am Boden zerstört, sein Bruder Rolf (Volkert Kraeft) seltsam hysterisch und unsouverän. Dann sind da noch Rolfs Gattin (Reinhild Solf), die mit ihrem Bruder (Wolfgang Müller) vor der argentinischen Militärdiktatur floh, als die ihren Eltern das Leben kostete, und die den alten Kraft (Konrad Georg) pflegt, der dem Wahnsinn anheimgefallen ist …

Ein bisschen erinnert die Episode an das Serien-Highlight „Die Entscheidung“ von 1980. Zwar ist Vohrers Folge am Ende deutlich „sauberer“ und nicht ganz so deliriös wie Grädlers Meisterstückchen, aber auch hier gibt es reichlich Stoff zum Staunen: Dass ausgerechnet Schwiegertochter Drombusch Marion Kracht in ihrer Rolle als Stern des Münchener Nachtlebens gezeichnet wird, dem alle Männer erlegen sind, ist da nur der Anfang. Volkert Kraeft trägt sich mit einer Glanzleistung in die lange Ahnengalerie DERRICK’scher Waschlappen ein, Konrad Georg verbringt seine zwei, drei Kurzauftritte rammdösig in die Kamera grunzend und Reinhild Solf agiert mit der sympathischen Verve eines depressiven Exekutionsroboters. Als trauriger Millionär und Schickeria-König Rocco Gretschkow ist Michael Heltau zu sehen: Sensationell, wie er die zu einer Spontanparty in seine Villa eingeladenen Gäste ebenso spontan und grob wieder rausschmeißt, als er die Lust verliert. Frank Duvalls todessehnsüchtig-weggetretener Titelsong „Liebe und Tod“ dudelt dazu in geschmacksresistenter Endlosschleife. Aber schon das Startbild ist super: ein tristes, marodes Haus auf einem Schotterplatz, darüber der Titel „Das absolute Ende“. Dass das Haus nicht der Schauplatz des Münchener Kettensägen-Massakers, sondern einer Gitarrenstunde beim Musiklehrer Thomas Astan ist, weist aber schon auf die kleineren Verfehlungen der Episode hin, die in erster Linie auf das Konto von Reinecker gehen. Zwischen Wahnsinn, Münchener Nachtleben und argentinischer Militärdiktatur verliert er ein bisschen den Fokus. Warum die beiden Morde „das absolute Ende“ darstellen sollen, habe ich jedenfalls nicht so ganz verstanden, auch wenn ich die Idee sehr reizvoll fand. Unterm Strich bin ich geneigt, über die Schwächen hinwegzusehen und „Das absolute Ende“ als Vertreter der so liebenswerten und in den Achtzigern selten gewordenen DERRICK-Verstrahlung zu betrachten.

Filmhistorisch ist die Epsiode darüber hinaus bedeutsam, weil es sich um die letzte Regiearbeit des wunderbaren Alfred Vohrer handelte: Er wurde von seinem Regieassistenten tot in einem Berliner Hotelzimmer entdeckt. Man hatte sich gewundert, warum er nicht am Set seiner DER ALTE-Episode erschienen war …

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Episode 141: Der Charme der Bahamas (Jürgen Goslar, 1986)

Der Kunsthistoriker Gerhard Brosch (Jürgen Behrendt) erhängt sich, nachdem er sein ganzes Vermögen an den miesen Finanzhai Müller-Brode (Karl-Michael Vogler) verloren hat. Broschs Sohn Franz (Till Topf) will den Betrüger zur Rede stellen, der sich am Telefon von seiner Gattin Carina (Evelyn Opela) verleugnen lässt und sich dann panisch an seinen Anwalt Dr. Schwede (Thomas Fritsch) wendet. Als Franz bei Müller-Brode ankommt, findet er den Mann tot vor …

Fritsch und Vogler sind super, aber die schwere Bürde namens Till Topf, eine der größten Trantüten in der langen DERRICK-Tradition lappiger Charaktere, machen auch sie nicht wett. Egal, die Episode kann man so weggucken.

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Episode 142: Die Nacht, in der Ronda starb (Theodor Grädler, 1986)

Der Lehrer Dr. Schenk (Klaus Schwarzkopf) wird von seiner Frau (Ursula Lingen) offen mit dem Gymnastiklehrer Ronda (Paul Neuhaus) betrogen. In seiner Not vertraut er sich nicht nur seinem Nachbarn Derrick, sondern auch seinen Schülern an. Die stehen dem Lehrer in einer Nacht mit Schnaps bei und treiben ihn dazu an, gegenüber Ronda klare Kante zu zeigen. Am nächsten Tag ist der Liebhaber seiner Frau tot …

Gleich mehrere Details lassen hier den Autor Reinecker erkennen: Kinder und Jugendliche sind seltsam alterslos, fast schon abgebrühter als die Erwachsenen und immer gut dafür, plötzlich zu rechtsphilosophischen Monologen anzuheben, die den Derrick-Erfinder seit je her faszinierten. Dann gibt es mal wieder ein waschlappiges Opfer, das unter dem stetig wachsenden Druck notgedrungen irgendwann übers Ziel hinausschießt. Seine Frau ist ein besonders grausamer Vertreter der Spezies, hält es nicht mal mehr für nötig, ihre Affäre irgendwie vor dem Ehemann zu verbergen. Der Lover empfängt den gehörnten Gatten sogar schon am Frühstückstisch! Es fällt wieder auf, dass sich Reinecker für Spannung und Suspense, eigentlich ja wichtigster Charakterzug des Krimis, nur noch sporadisch interessiert. Klar, die Folge lebt wesentlich von der Frage, ob es nun der angestachelte Schenke oder die Schüler selbst waren, die Ronda über die Klinge springen ließen, aber es bleibt kein Zweifel, dass die Reflexionen über Moral das sind, was Reinecker antrieb.

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Episode 143: Ein eiskalter Hund (Theodor Grädler, 1986)

Luise Lohbach (Christine Buchegger) leidet in ihrer Ehe mit Jakob (Klaus Löwitsch). Aus seiner Gleichgültigkeit für die Ehefrau macht der gar keinen Hehl, er behandelt sie wie Luft und betrügt sie mit einer Kellnerin im familieneigenen Wirtshaus. Als Luise in ihrem Ferienhaus einem Mordanschlag zum Opfer fällt, ist Jakob für viele, die das Leiden der Frau mitansehen mussten, der Hauptverdächtige. Doch der hat ein hieb- und stichfestes Alibi …

Unvergessen ist Löwitschs schauspielerischer Amoklauf in der frühen Episode „Hoffmanns Höllenfahrt“. DERRICK hat sich seitdem immens verändert, Klaus Löwitsch nicht so sehr. Seine Jakob Lohbach agiert zwar nicht annähernd so fiebrig wie der panische Hoffmann, aber der Schauspieler genießt es sichtlich, ein unentschuldbares Arschloch geben zu dürfen. Der Zuschauer, der es in dieser Phase der Serie fast ausschließlich mit selbstmitleidigen Jammerlappen als Täter zu tun hat, natürlich auch. In Nebenrollen sind Axel Milberg und Horst Michael Neutze zu sehen.

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Episode 144: Der Fall Weidau (Alfred Weidenmann, 1986)

Der junge Klaus Weidau wird morgens tot in seinem Bett auf dem elterlichen Gutshof aufgefunden, vergiftet mit Blausäure. Die Weidaus sind so erschüttert wie Derrick und Klein anschließend ratlos: Die Familie lebte in tiefster Harmonie, sich in Respekt und Liebe zugetan. Nicht einmal der Anflug eines Streits oder Konflikts zeigt sich. Dann der zweite Mord, diesmal an Sohn Hubert (Ekkehard Belle). Und die erschütternde Erkenntnis: Der Mörder muss aus den Reihen der Familie selbst kommen …

Das Leben auf dem Hof der Familie Weidau gerät im Zusammenspiel von Weidenmanns Regie und Reineckers Drehbuch zur bizarren Utopie: einer Utopie mit Haken, denn wie Derrick weiß: „Jeder Mensch hat irgendeine Macke.“ Und wenn alles perfekt ist, dann besteht natürlich die Gefahr, dass es damit bald vorbei ist. Wie immer, wenn Reineckers philosophische Reflexionen besonders spannend geraten, fungiert die Auflösung als Spielverderber. Nicht, dass sie hier wirklich ärgerlich wäre, aber die Identifizierung eines Täters mutet am Ende einer solch apokalyptischen Geschichte einfach furchtbar banal und zweitrangig an. Viel lieber hätte man gesehen, wie alle Weidaus am Ende tot auf ihrem Hof liegen, ihre Gesichter in Ratlosigkeit eingefroren und keine Antwort auf die drängende Frage in Sicht.

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Episode 145: Schonzeit für Mörder? (Gero Erhardt, 1986)

Der geniale Automobil-Ingenieur Bothe wird in seinem Haus erschlagen. Vor den Augen Derricks haucht er in der Ambulanz eines Krankenhauses sein Leben aus. Wer ist der Mörder? Seine junge Gattin Helene (Lena Stolze) oder Bothes Sohn Eberhard (Christoph Waltz), der ein Verhältnis mit seiner nur ein Jahr älteren Stiefmutter hatte? Grund hätten auch Bothes Bruder Georg (Horst Bollmann) oder dessen Sohn Ralf (Volker Lechtenbrink) gehabt, denn Bothe pflegte seine Verwandten zu behandeln wie Diener …

Debütant Gero Erhardt ist mit einem eher mittelprächtigen Script ohne Glanzpunkte geschlagen. Christoph Waltz ist gut, sonst bleibt nicht viel hängen.

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Episode 146: Die Rolle seines Lebens (Alfred Weidenmann, 1986)

Nach überstandener Alkoholsucht kehrt Schauspieler Martin Theimer (Franz Boehm) zurück: Er will sich die Rolle seines Lebens angeln, doch die hat ihm sein Konkurrent Kranz (Karl Heinz Vosgerau) vor der Nase weggeschnappt. Als der Opfer eines Mordanschlags wird, ist der Weg für Theimer frei: Sehr zur Freude von Regisseur Bracht (Peter Bongartz), aber auch von Theimers Gattin Lydia (Sonja Sutter) und Tochter Dinah (Roswitha Schreiner) …

Die Idee mit der doppelten Rolle des Lebens ist gut, aber den durchschlagenden Erfolg verhindert Weidenmanns etwas lahmarschige Regie. Die Szenen am Filmset wirken richtiggehend albern, gekünstelt und theatralisch, was in hartem Widerspruch zu den Lobeshymnen steht, die Bracht über seinen Star singt. Einmal sitzt der Regisseur sogar direkt neben seinem Hauptdarsteller, als die Kamera schon längst wieder läuft. Hätte was werden können, so aber leider zu nix zu gebrauchen.

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Episode 147: Entlassen Sie diesen Mann nicht! (Horst Tappert, 1986)

Der Wissenschaftler Dr. Kroll (Pinkas Braun) war nach einem Mordanschlag auf seine Gattin (Reinhild Solf) vor fünf Jahren wegen Schizophrenie in eine Heilanstalt gesperrt worden. Nun soll er zur großen Überraschung aller damals Involvierten wieder freigelassen werden: Für seine Gesundheit verbürgt sich vor allem Krolls Arzt Kraus (Wolf Roth). Kroll hat es sich in den Kopf gesetzt, seine Ex-Frau zurückzuerobern, doch die hat keine Lust, ihn wiederzusehen. Als ihr Schwager Kroll zur Rede stellen will, wird er umgebracht …

Horst Tappert bringt als Regiedebütant tatsächlich frischen Wind. Die kurze Auftaktsequenz, die das geschäftige Treiben in der Dienststelle zeigt, ist eindeutig von Police Procedurals wie STAHLNETZ beatmet, der betont altmodische Score erinnert aber auch an die Edgar-Wallace-Filme, in denen Pinkas Braun einst gern gesehener Gast war. Die Story ist auch stark: Dr. Kroll wird zu einem deutschen Vorläufer von Hannibal Lecter und Wolf Roth ist immer eine Schau. Tappert treibt der Episode die Reinecker’sche Steifheit aus und akzentuiert die pulpig-makabre Note seines Scripts mit einigem Erfolg. Klasse!

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Episode 148: Mädchen in Angst (Horst Tappert, 1986)

Harry kommt der jungen Anja (Sona Mac Donald) zur Hilfe, die vor der Tür eines zwielichtigen Etablissements von Franz Belter (Henry van Lyck) verdroschen wird. Er nimmt die junge Frau bei sich auf, die auf die schiefe Bahn geraten ist und sich als Prostituierte verdingt, und versucht, sie aus den Fängen Belters, der mit dem ebenfalls dubiosen Rotter (Stefan Behrens) zusammenarbeitet, zu befreien. Dabei fängt er sich eine heftige Tracht Prügel ein, bei der er seine Dienstwaffe verliert. Wenig später ist Belter tot: Erschossen mit Harrys Revolver. Die Indizien sprechen gegen Derricks Kollegen …

Unterhaltsame Folge, die Harrys bisweilen ans Unprofessionelle grenzenden Übereifer in den Mittelpunkt rückt. Manchmal meint man, es sei das Mitleid seiner Ausbilder gewesen, das ihm den Job bescherte. Die Verlagerung des Fokus auf den Assistenten sorgt für willkommene Abwechslung, auch wenn Derrick die drohende Inhaftierung recht schnell abwenden kann. Hier hätte die Spannungsschraube ruhig etwas straffer gedreht werden dürfen.

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Episode 149: Die Dame aus Amsterdam (Helmuth Ashley, 1986)

Der Privatdetektiv Hufland (Raimund Harmstorf) kann seinen Bekannten Derrick eben noch darüber in Kenntnis setzen, dass er in eine ganz große Sache reingestolpert sei, da wird er von Maschinengewehrsalven zerrissen. Die Ermittlungen führen Derrick zu Dr. Soest (Ernst Jacobi), einem Chemiker, der sich mit seiner holländischen Geliebten (Elisabeth Augustin) in einem Hotel verlustierte und dabei im Auftrag seiner Gattin (Gustl Halenke) von Hufland beobachtet wurde. Hinter dem Mord steckt aber viel mehr als Eifersucht: Soest arbeitete an einem hochpotenten Insektizid …

Lang ist’s her, seit Derrick das letzte Mal in einem Fall des internationalen Verbrechens ermittelte, anstatt sich mit den niederen Instinkten des Bürgertums auseinanderzusetzen. „Die Dame aus Amsterdam“ ist ein gelungenes Beispiel für diese etwas unterrepräsentierten Episoden, von Ashley temporeich inszeniert und bis zum Ende spannend. Das Finale ist bitterböse und setzt dem Ganzen ein makabres Krönchen auf.

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Episode 150: Anruf in der Nacht (Theodor Grädler, 1986)

Ein Pfarrer (Horst Sachtleben) wird nachts zu einem im Sterben liegenden Unfallopfer gerufen: In seinen letzten Atemzügen ringt der Sterbende dem Geistlichen einen Gefallen ab. Der macht sich sofort auf den Weg, ohne jemanden in den Zweck seiner Mission einzuweihen. Am nächsten Morgen wird er tot aufgefunden. Einer der Verdächtigen ist Erich Bronner (Thomas Fritsch), der Bruder des Verunglückten, der Sexreisen veranstaltet …

Die Episode ist streng genommen nichts Besonderes, aber weil lange im Dunkeln bleibt, worum es geht, dennoch spannend. Die Auflösung ist eher ungewöhnlich, da wie schon bei „Die Dame aus Amsterdam“ eine internationale Komponente in den Fall hineinspielt. Richtig glaubwürdig ist das Ganze nicht, aber immerhin kommt der Zuschauer in den Genuss eines Gastauftritts von Jess-Franco-Regular Paul Muller als südamerikanischem Drogenbaron.

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Episode 151: Absoluter Wahnsinn (Horst Tappert, 1987)

Eine Frau wird in ihrem Haus ermordet, nachdem sie ihrem Bruder per Telefon noch mitgeteilt hat, dass „er“ sie töten wolle. Für den ist der Fall klar: Als Mörder kommt nur ihr Ehemann (Robert Atzorn) in Frage, der aus seiner Verachtung für die Gattin keinen Hehl machte und von ihrem Tod finanziell zudem erheblich profitiert. Doch seine Freundin Susi (Ingrid Steeger) gibt ihm ein Alibi. Wenig später meldet sich der traurige ältere Herr Mertens (Horst Bollmann) geständig. Der freundliche, sanftmütige Mann ist ein denkbar unwahrscheinlicher Mörder, aber welchen Grund sollte er haben, die Schuld auf sich zu nehmen, wenn er nicht der Täter ist?

Horst Tappert macht sich wirklich nicht schlecht als Regisseur. „Absoluter Wahnsinn“ zeichnet sich durch eine Mischung aus Witz und Tragik aus – eine Eigenschaft, die die Episode allein schon aus dem Rahmen fallen lässt, auch wenn der eigentliche Kriminalfall wieder recht typisch ist. Ingrid Steeger hat als Atzorns gereizte Freundin eine echte Sahnerolle abbekommen, die sie mit Verve ausfüllt. Dass sie noch etwas ungeschliffen agiert, tut der Sache keinerlei Abbruch, eher sogar im Gegenteil. Und Derricks Reaktionen auf die unfreundliche, misstrauische und missmutige Person sind einfach großartig. Viel zu selten darf Tappert als Derrick diese Seite zeigen: Meist stapft er ja als regungslose Gerechtigkeitsmaschine durch die bundesdeutsche Tristesse und selbst die Anflüge von Abscheu und Schadenfreude, die er in frühen Episoden regelmäßig so effektiv an den Tag legte, sind einer desillusionierten Routine gewichen. Aber das ist nicht alles: Das Ehepaar Mertens – neben Bollmann agiert Eva Kotthaus nahezu stumm, aber vielleicht auch deshalb so wirkungsvoll – bildet das Herz der Geschichte, demütig, bescheiden, zurückhaltend, freundlich. Ihr Schicksal geht nicht spurlos am Betrachter vorüber. Vielleicht ist es der einzige Fehler der Episode, dass das Schlussbild nicht den Eheleuten gehört, die da stumm, Arm in Arm in ihr Leben zurückkehren, sondern dem doofen Atzorn.

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Episode 152: Der Tote auf der Parkbank (Theodor Grädler, 1987)

Auf einer Parkbank wird ein Mann gefunden – erschossen und dann am Isar-Ufer abgesetzt. Es handelt sich um einen Herrn Lindemann, den Inhaber einer Werbeagentur, über den wirklich niemand etwas Positives zu sagen hat. Weder die Gattin (Gisela Peltzer), die wusste, dass er sie mit dem Fotomodel Patricia (Ursula Karven) betrog, noch sein Sohn (Christian Hellenthal), seine Angestellten oder der Arbeitslose Ulrich (Ulrich Matthes), der sowohl mit Patricia als auch mit Frau Lindemann befreundet war …

Mittelmäßig interessante Folge, in der Reinecker mal wieder der Philosophie frönt und dabei einige seltsame Ideen hat. Es ist ausgerechnet der humanistische geprägte Ulrich, dessen Fantasien über einen besseren, überlegenen Menschen den Mord inspirieren und Derrick am Ende zu mahnenden Worten veranlassen. Da frohlockt der AfDler, der im Linksliberalismus die Wurzel allen Übels sieht.

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Episode 153: Die Nacht des Jaguars (Jürgen Golsar, 1997)

Die hübsche Gisela Trabuhr (Ursula Buchfellner) wird neben einer Telefonzelle erschossen aufgefunden. Sie war mit dem weichlichen Albert (Volkert Kraeft) verheiratet, der dieses Ausbund an Lebenslust nicht zu bändigen wusste. Gisela war, so erfährt Derrick, sehr freigiebig: Er bezeichnet das als „nymphoman“, wird aber zurechtgewiesen. Nein, diese Gisela war so voller Liebe, dass ein Mann einfach zu wenig für sie war. Wer war also der Täter? Einer ihrer Freier, Alberts Bruder Harald (Christian Kohlund), der um den Ruf der Familie besorgte Vater (Hans Korte) oder die von einem beinahe religiösen Furor erfüllte Mutter (Doris Schade)?

DERRICK-Standard mit dem üblichen Waschlappen im Zentrum und der dysfunktionalen Familie um ihn herum. Nichts Besonderes, aber bei Weitem kein Totalausfall. Bester Moment: Der Close-up auf Kortes Gesicht, nachdem sein stolzes Weib wieder einmal einen denkwürdigen Auftritt hingelegt hat, dann seine hämischen Mutmaßungen, dass Moses die Gesetzestafeln wahrscheinlich hier im Haus versteckt habe und seine Gattin darauf knie, wenn sie sich zum Gebet niederlasse. Boah. Das allein lohnt das Ansehen.

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Episode 154: Ein Weg in die Freiheit (Gero Erhardt, 1987)

Herr Wilke wird spätabends in seinem Büro erschossen, wo er sich mit seinem Vorgesetzten Ewald Potter (Michael Degen) verabredet hatte. Derrick mutmaßt, dass der Mordanschlag möglicherweise den Falschen getroffen habe. Wenig später, im Haus der Potters, scheint sich dieser Verdacht zu bestätigen, denn es passiert ein zweites Attentat, diesmal jedoch erfolglos. Der Verdacht fällt auf eine Gruppe von Musikern um Harro (Volker Lechtenbrink), die in einer der Kneipen Potters engagiert war, bevor der sie rauswarf. Oder hat der mit ihnen befreundete Potter-Sohn Hans (Christoph Eichhorn) etwas damit zu tun?

Eine unterdurchschnittlich Episode. Liegt vielleicht aber auch daran, dass ich Volker Lechtenbrink nicht so mag, schon gar nicht in der Rolle eines bebrillten Smooth-Jazz-Musikers, der mit 20 Jahre jüngeren Menschen in einem Kellerproberaum abhängt. Fun Fact: Das ist nach „Kranzniederlegung“ und „Das absolute Ende“ schon die dritte Folge in kurzer Zeit, in der ein Jugendlicher obsessiv immer wieder denselben Song hört. Ein neuer, aber leider kein guter Einfall: Henry van Lyck als Clubbesitzer mit Zwirbelschnurrbart.

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Episode 155: Nachtstreife (Dietrich Haugk, 1987)

Bei einer Streife wird ein junger Polizist erschossen. Sein Partner, der erfahrene Marx (Hans Brenner), macht sich danach schwere Vorwürfe, gibt jedoch zu Protokoll, dass er nichts gesehen habe. Einen Tag später ändert er seine Meinung: Er schwört, in einem der Flüchtenden den einschlägig bekannten Conny de Mohl (Frank Hoffmann) gesehen zu haben. Doch dessen Familie – Anton Diffring und Herbert Boetticher – gibt ihm ein Alibi …

Haugk hat viele tolle Episoden gedreht: Diese hier entfaltet leider nicht ganz das ihr innewohnende Potenzial, aber die Ansätze reichen. Aus dem eingeschworenen Männerbund und vor allem aus der Verbindung von Diffring und Boetticher hätte man viel mehr machen müssen – gerade letzterer bekommt unerklärlicherweise kaum etwas zu tun -, aber eine in Fotoschnappschüssen aufgelöste Sequenz, in der die drei Verbrecher sich nach einem kurzen Knastaufenthalts Connys wiedertreffen, die Arme euphorisch in die Luft werfen und triumphierend ins Objektiv grienen, ist schon ziemlich geil. In einer Nebenrolle als Marx‘ Ehefrau ist Witta Pohl zu sehen, die im besten DIESE DROMBUSCHS-Stil Freudlosigkeit und Verkniffenheit verkörpert. Veit Harlan hätte bestimmt einen großen Star aus ihr gemacht.

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Episode 156: Koldaus letzte Reise (Franz Peter Wirth, 1987)

Nachdem er eine 20-jährige Haftstrafe abgesessen hat, kommt der Auftragskiller Martin Koldau (Peter Ehrlich) nach München zurück. Er will hier ein letztes Mal seinem Beruf nachgehen – und seine große Liebe Franziska (Liane Hielscher) wiedertreffen, die mittlerweile mit dem Alkoholiker Miele (Klaus Herm) verheiratet ist. Das Wiedersehen der beiden Liebhaber verläuft traumhaft: Die Funken fliegen und Koldau schwört, den aktuellen Auftrag nicht auszuführen, um mit Franziska ein neues Leben anzufangen. Doch das nimmt ihm sein Auftraggeber sehr übel: Franziska findet Koldau erschossen vor. Vom Mörder hat sie nur eine Hand gesehen …

John Ford, Jean-Pierre Melville, John Woo, Michael Mann: Alle hätten sie diesen Stoff verfilmen können. Stattdessen war es Franz Peter Wirth im Rahmen von Deutschlands erfolgreichster Fernsehserie, deren Hüftsteife in diesem Kontext einen sonderbaren Reiz entfaltet. Peter Ehrlich ist mir eines der liebsten DERRICK-Gesichter und er ist toll als Profikiller Koldau, der sich in eine so gar nicht glamouröse, sondern ganz und gar bodenständige Frau verliebt. Es ist schon traurig, dass „Koldaus letzte Reise“ nicht einfach die Liebesgeschichte zweier Menschen jenseits der 40 erzählen kann, sondern natürlich irgendwann zum Kriminalfall werden muss, der niemanden mehr so richtig interessiert. Aber Franziska und Martin, wie sie nach 20 Jahren neuen Mut schöpfen, die bleiben im Gedächtnis.

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Episode 157: Nur Ärger mit dem Mann aus Rom (Helmuth Ashley, 1987)

Arthur Dribald (Burkhard Driest) hat vor Jahren einen Mann erschossen, konnte aber nie gefasst werden. Jetzt entdecken ihn Derrick und Harry wieder und heften sich an seine Fersen. Was sie nicht wissen: Dribald weilt im Auftrag der Herren Scholler (Sieghard Rupp) und Zoller (Siegfried Rauch) in München, um einen Bruch zu begehen …

Helmuth Ashleys Kinovergangenheit kommt auch dieser Serienepisode zu Gute, die wie schon „Koldaus letzte Reise“ etwas „größer“ wirkt. Der Plot ist für die Serie ungewöhnlich und nur wenig vorhersehbar: Abwechslung, die DERRICK zu dieser Phase sehr gut zu Gesicht steht. Siegfried Rauch und Sieghardt Rupp als „Stars“ zu bezeichnen, geht vielleicht etwas zu weit, trotzdem hat ihr gemeinsamer Auftritt hier den Duft von Fernsehereignis. Burkhard Driest ist als selbstverliebter, ständig auf Schürzenjagd befindlicher Macho-Krimineller aber auch ziemlich toll: Die Szene, in der er sich per Videoaufzeichnung die MIsshandlung der barbusigen Uschi Buchfellner in Zeitlupe ansieht und dabei lüstern grinst, ist für deutsche TV-Verhältnisse schon ziemlich weit draußen und erinnert zudem an John McNaughtons ungefähr zur selben Zeit erschienenen HENRY: PORTRAIT OF A SERIAL KILLER.

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Traumprojekte haben gerade beim Film nicht selten die unangenehme Eigenschaft, sich in Albträume zu verwandeln. Die emotionale Bindung an den Stoff, der unbedingte Wille, diesem gerecht zu werden, der Wunsch, dieses eine Meisterwerk abzuliefern, das beim Zuschauer keine Fragen mehr offenlässt und am besten noch Filmgeschichte schreibt: Das alles übt unter Umständen einen Leistungsdruck aus, der nicht so sehr anspornt, sondern im schlimmsten Fall jeder Lockerheit abträglich und  lähmend ist. LE MANS ist so ein Fall. Nachdem „Day of the Champion“, der Rennfahrerfilm, den McQueen nach THE SAND PEBBLES drehen wollte, vom Studio gecancelt wurde – man fürchtete die direkte Konkurrenz von Frankenheimers GRAND PRIX, der aufgrund der Verzögerung von Wises Film als erste in die Kinos gekommen wäre –, bot sich Ende der Sechzigerjahre erneut die Möglichkeit. McQueen wollte die Essenz des Sports einfangen, zeigen, dass Autorennen eine Zelebrierung des Lebens selbst seien. Sein Ziel war nicht weniger, als den ultimativen, definitiven Film zum Thema abzuliefern und er wusste auch, dass dieser Film nur das berühmte 24-Stunden-Rennen von Le Mans zum Thema haben konnte. Seine eigene Produktionsfirma Solar Productions war wesentlich an der Finanzierung beteiligt und für die Regie wurde John Sturges gewonnen, der eine freundschaftliche Beziehung zu McQueen pflegte, dessen Karriere er mit THE MAGNIFICENT SEVEN und THE GREAT ESCAPE wesentlich befördert hatte. Aber die Probleme begannen früh und nahmen nicht ab. Als Sturges nach Frankreich reiste, um Footage des Autorennens zu Filmen existierte noch kein fertiges Drehbuch und das sollte auch bis zum Schluss so bleiben. Hinzu kamen private Probleme des Stars, dessen Ehe mit seiner Gattin Neile kurz vor dem Aus stand und der sich deshalb weniger in der Pre-Production engagierte, als es eigentlich nötig gewesen war. Seine Weigerung, Sturges bei der Finalisierung des Scripts zu helfen, führte zu dessen entnervtem Ausstieg aus dem Projekt. Als Ersatz wurde Lee H. Katzin angestellt, der erst am Anfang seiner Filmkarriere stant und deshalb von Anfang an mit dem Misstrauen des Stars zu kämpfen hatte. Hinzu kam, dass das Material, das Sturges eingefangen hatte, sich als nicht verwendbar erwies, weil Gulf Porsche, das Team, für das McQueens Charakter Michael Delaney im Film ins Cockpit steigen sollte, schon früh ausgeschieden war. Als sich abzeichnete, dass LE MANS weder zu den veranschlagten Kosten noch zum angepeilten Datum fertig werden würde, setzte das Studio McQueen die Pistole auf die Brust: Der Star erklärte sich u. a. bereit, auf Teile seiner Gage und eine Umsatzbeteiligung zu verzichten, letztlich wurde das Material am Schneidetisch in Form gebracht. Nach über 12-monatiger Drehzeit war LE MANS den vielen Ärger nur bedingt wert gewesen: Die Kritik konnte mit dem Film genauso wenig anfangen wie die Zuschauer, kritisierte einen Mangel an „Story“ und befand das Ergebnis als langweilig und prätentiös. Erst im Verlauf der Jahre wurde LE MANS als das rehabilitiert, was McQueen von Anfang an im Sinn gehabt hatte: als dokumentarisch-impressionistisches Proträt einer Sportart, wie sie abstrakter kaum sein kann.

Der Mangel an Narration ist dann auch die ausdrückliche Stärke des Films, der eher als ästhetisch aufregende Collage von unverbundenen Momentaufnahmen betrachtet werden sollte. Der Film beginnt am Morgen vor dem Rennen, als Delaney (Steve McQueen) die noch im Schlaf liegende Gegend um die Rennstrecke abfährt, dabei unter anderem jene Stelle ausfucht, an der er im Jahr zuvor bei einem Unfall am Tod eines Kollegen beteiligt war. Langsam beginnen die Vorbereitung für das Riesenevent, die Zuschauermassen rollen in wahren Blechlawinen ein oder erwachen in ihren Zelten, bevölkern das riesige, mit Jahrmarkt-Attraktionen bebaute Areal, vertreiben sich die Zeit mit Essen, Schlafen, Lesen. Die Rennfahrer machen sich fertig, nutzen die verbleibende Zeit, um sich noch ein wenig zu entspannen oder besprechen noch einmal die Taktik, ein Stadionsprecher macht das Publikum mit den Regeln vertraut. Langsam und geduldig wird auf den Moment hingearbeitet, auf den alle fiebrig warten: jenen Augenblick, wenn die Flagge fällt, die Ampel auf Grün springt, 55 Motoren gleichzeitig aufheulen und den Asphalt zum Beben bringen.

LE MANS versucht erst gar nicht, das kontrollierte Chaos in geordnete Bahnen zu bringen. Was da auf der Rennstrecke genau passiert, wer das Feld anführt, darüber klärt in erster Linie die immer wieder eingeschaltete Stimme des Kommentators auf. Dialoge zwischen den Fahrern und ihren Mechanikern sind meist stumm, übertönt vom Lärm der Maschinen. Das Rennen und das Gewusel in seiner Peripherie erinnern an ein archaisches Ritual, dessen genaue Regeln dem Betrachter ein Rätsel bleiben. Es dauert 38 Minuten bis zum ersten Dialog, McQueen hat weniger als 12 Zeilen im ganzen Film. Jedes Wort wird wohl überlegt, und wenn es nicht unbedingt nötig ist, sagt man lieber gar nichts. Blicke sagen im Zweifel mehr. Die Fahrer werden einem schlaglichtartig vorgestellt, es handelt sich nicht um ausgereifte Charaktere, sondern um austauschbare Archetypen: Es gibt die Rivalen Deleney und Stahler (Siegfried Rauch), den schönen Franzosen Claude Aurac (Luc Merenda), der in einen dramatischen Crash verwickelt wird, Delaneys Kollegen Ritter (Fred Haltiner), der über sein Karriereende nachdenkt und den jungen, aufstrebenden Wilson (Christopher Waite). Sie alle werden definiert über die Leidenschaft für ihren Sport, die spürbar wird, deren Wesen aber im Bereich des Mystischen bleibt. Auch Lisa Belgetti (Elga Andersen), die Witwe des im Jahr zuvor verstorbenen Rennfahrers, wird von diesem Mysterium an den Ort des Schicksalsschlags gelockt, weil sie sich Antworten erhofft, die sie benötigt, um ihre Trauer zu verarbeiten. Als sie Delaney in einer seiner Pausen fragt, warum Menschen ihr Leben für so etwas Sinnloses aufs Spiel setzen, antwortet der ihr nur: „When you’re racing, it’s life. Anything that happens before or after is just waiting.“ Es ist ein Satz, der gleichzeitig alles und nichts sagt, den Lisa versteht und doch nicht versteht. Es gibt eben keine Verständigung über die Leidenschaft der Rennfahrer, weil sie der Ratio – wie jede Leidenschaft – entzogen ist.

Nur auf bildlicher Ebene wird die Faszination greifbar, fühlbar. Wie die dröhnenden, bunt lackierten Boliden über dieses dunkelgraue Band aus Asphalt rasen, wie sie die Naturgesetze nutzen, denen sie gleichzeitig ausgeliefert sind, wie der Regen auf die Fahrbahn prasselt, die Sonne über der Strecke auf- und wieder untergeht, wie die Anspannung sich verdichtet, je näher das Finale rückt, wie Mensch und Maschine eine Einheit bilden – oder wie sie sich in zermalmenden Kollisionen und Feuersbrünsten voneinander entfremden: Man bekommt eine Ahnung davon, was diese Männer antreibt, was sie in das enge Cockpit der Rennwagen zieht. So gesehen ist LE MANS genau der Triumph, der McQueen vorschwebte. Der Film ist nicht mit einem von außen auferlegten Bedeutungs- und Bezugsrahmen befasst, er benötigt kein vermittelndes Medium. McQueen tat gut daran, dass er sich gegen Sturges durchsetzte, der die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen Delaney und Lisa Belgetti in den Mittelpunkt rückten und das Rennen in ihrer Peripherie stattfinden lassen wollte. Es ist gut, dass der zwischenmenschliche Aspekt des Film im Hintergrund bleibt. Die Liebe der Männer gehört ihren windschnittigen Rennwagen, dem Heulen des Motors, der unter den Reifen dahinfliegenden Fahrbahn, dem Adrenalinrausch des Rennens. Es ist eine bedingungslose, vor jeder Vernunft existierende Liebe, die jede Faser ihres Körpers erfasst und sie verstummen lässt. LE MANS ist mit seinen wortlosen Bildern pure Avantgarde, einer der abstraktesten Filme, die je im Hollywood-Studiosystem entstehen konnte und ein mutiges künstlerisches Statement McQueens. Es ist aber auch kein Wunder, dass ihm die meisten Menschen nicht folgen konnten – oder wollten.

omicidio-al-17-piano-img-124233Zu Beginn: Eine unfassbar laszive Nadja Tiller in einer nicht anders als „geil“ zu nennenden Sexszene. Schon auf dem Weg in das als Liebesnest beim Studenten Kirr (Jochen Busse) gemietete Appartement ist ihre Hilde Kusmeit kaum zu bändigen, lüstern lachend wie eine leuchtende Gottesanbeterin, die weiß, dass ihr mal wieder ein kapitaler Fang gelungen ist. Der Blick, mit dem sie sich, von ihrem bebenden Liebhaber bäuchlings aufs Bett geworfen, in die Matratze verbeißt, ist voll flammender Lust, gefährlicher, selbstzerstörerischer Triebhaftigkeit und kultischer Entrückung. Später, als sie genannten Kirr ranlässt – einen versnobten Blässling, der abgebrüht tut, aber doch nur ein verkappter Onanist ist –, um ihn gefügig zu machen, weicht das von archaischen Gelüsten gleißend aufgehellte Strahlen ihrer Augen (siehe Postermotiv) dem Schleier souverän-gelangweilter Überlegenheit.

Jaja, die Geilheit. Sie ergreift auch Besitz von der nicht mehr ganz taufrischen Frau Dingeldey (Ellen Umlauf). Sie sollte sich wahrscheinlich lieber um ihre Tochter Moni (Susanne Uhlen) kümmern, aber die hauseigene Bar mit angeschlossener Diskothek sowie die dort wartenden, willigen Männer sind zu große Verlockungen für die dem „Sommer der Liebe“ eigentlich längst entwachsene Frau. So tanzt sie dann ekstatisch im Ozzy-Osbourne-Gedächtnis-Fransenkaftan, wirft ihre Löwenmähne als sei sie von einem afrikanischen Dämon besessen und schart die leichte Beute witternden „Verehrer“ um sich, während die Tochter sich in der Wohnung ein paar Stockwerke höher die Zeit mit Robert (Jan Koester) vertreibt, der wiederum der Sohn der Kusmeit ist – und ein Mörder.

ENGEL, DIE IHRE FLÜGEL VERBRENNEN. Der Titel ist zweideutig. Sehr konkret bezieht er sich auf das Schicksal von Moni und Robert, noch unschuldigen „Engeln“ eben, die aufgrund ihres familiären Umfelds, oder vielmehr der Nichtvorhandenheit eines solchen, in den Tod getrieben werden. Der einprägsame Titelsong von Peter Thomas ist ihr Thema und erklingt fast in jeder Szene mit ihnen; was durchaus auch komisch ist: Ein bisschen sind sie auch Gefangene ihrer vermeintlichen Tugendhaftigkeit, mit der es ja auch nicht so weit her ist. Auf allgemeinerer Ebene bezieht er sich auf den Menschen überhaupt, der in einem halsbrecherischen Wettrennen ums flüchtige Glück gefangen ist, dass ihm jedoch umso mehr entgleitet, je fester er es zu greifen versucht. Die Menschen sind ja alle fürchterlich unentspannt in diesem Appartementhaus, das für jeden Geschmack Zerstreuung bietet: Die lüsternen, geilen, anzüglichen, herausfordernden Blicke sind kaum zu zählen, und jeder Bewohner ist voll in seinem Hamsterrad gefangen, selbst die greise alte Dame, die ihre große Chance wittert, bei der Aufklärung des Mordfalls mitzuhelfen. Die einzige Ausnahme sind die beiden Kinder, deren Blicke suchend und fragend statt taxierend und herabsetzend sind, und der lustige Hippie an der Bar, über dessen Gesicht ein zufriedenes Lächeln huscht, als alle anderen in brausende Aufruhr geraten. Der Vergleich mit David Cronenbergs SHIVERS, auf den ich hier gestoßen bin, fördert wirklich verblüffende Gemeinsamkeiten zutage, die bis in Details reichen: Beide Filme spielen in modernen Appartementhäusern, in beiden sind deren Bewohner in einem libidinösen Taumel gefangen, in beiden werden die letzten „Unschuldigen“ am Ende von einem rasenden Mob verfolgt, in beiden gibt es einen Showdown in einem Schwimmbad. Was die beiden unterscheidet, ist die Einschätzung des Rauschs: Könnte man ihn bei Cronenberg noch als Befreiung von gesellschaftlichen und biologischen Zwängen, gewissermaßen als Utopie verstehen, verhält es sich bei Brynych eher umgekehrt. Dieser Sex, der selbstvergessene, sucht- und triebhafte, unreflektierte, ist bei ihm Symptom eines Mangels.

Der zu befürchtende Sodbrennen verursachende Moralinsäuregehalt wird von Brynych durch großzügige Beigabe lakonischen Humors und tschechischer Zärtlichkeit gedrosselt. Auch wenn ENGEL, DIE IHRE FLÜGEL VERBRENNEN tragisch endet, wird hier nicht mit erhobenem Zeigefinger von der Kanzel gepredigt. Mehr als eine realistische Bestandsaufnahme ist er eine überzogene Farce, eine Karikatur der hedonistischen Upperclass, die den Blick für das Wesentliche vollkommen aus den Augen verloren hat. Und der Film ist wirklich urkomisch. Am besten hat mir die Szene gefallen, in der Moni den Zimmerservice kommen lässt und die beiden überfreundlichen Kellner mit eben jener zickig-arroganten Herablassung behandelt, die sie sich wahrscheinlich von der Mutter abgeschaut hat. Ganz groß, wenn sie aus einem dicken Geldbündel einen Zehn-Mark-Schein fallen lässt, und dem Kellner, der ihn servil aufhebt, ein gönnerhaft-desinteressiertes „Der ist für sie.“ hinwirft. Aber ein Großteil des Witzes lässt sich nicht in der Nacherzählung einzelner Szenen wiedergeben, weil er vor allem darin besteht, wie die Charaktere miteinander umgehen, wie sie sprechen, wie sie sich zu ihrer Umwelt verhalten, welche Blicke sie sich zuwerfen. Ganz toll ist auch Karl-Otto Alberty als Polizeikollege von Siegfried Rauch. Wie er da stets gut sichtbar und lustvoll auf seinem Pfefferminzdrops lutscht, ihn mit der Zunge heraustreckt und wieder einrollt, das ist schon besonders dreist und offensiv. Und das freche Früchtchen Susanne Uhlen zeigt, dass sie das lolitahafte Schürzen der Lippen bereits im Schlaf beherrscht. Über allem thront natürlich Nadja Tiller, die in ihrer Erotik eine Autorität und Würde ausstrahlt, dass einem als Mann nur angst und bange werden kann. Ein Wahnsinnsfilm, einer, wie er nur alle paar Jahrzehnte mal aus dem günstigen Zusammentreffen künstlerischer Inspiration und glücklicher Fügung heraus geboren wird. Dafür muss man dankbar sein.

10858595_691208994328276_5655791815666574058_nAnna (Anne-Marie Küster), jugendliche Tochter aus bestem Hause, ist durcheinander: Die langweiligen Schulstunden verträumt sie von der Frage getrieben, was die unterrichtenden Schwestern wohl unter dem Ornat tragen. Im Wagen beim Chauffeur (Siegfried Rauch) weiß sie nicht, ob sie seine Blicke im Rückspiegel schmeichelnd oder bedrohlich finden soll. Robert (Amadeus August), ihr Jahre älterer Freund, weckt sexuelles Begehren in ihr, nimmt sie aber nur zu den Spielen des FC Bayern München mit, weicht aus, wenn sie mit ihm über ihre Bedürfnisse reden will. Und die Eltern, Unternehmerpapa (Karl Michael Vogler) und Vorzeigemama (Nadja Tiller), sind nur an ihrem Funktionieren interessiert, als es darum geht, vor dem potenzielle Geschäftspartner Siemsen (Eckart Dux) harmonische Familie vorzuspielen. Da kann man ja nur verrückt werden …

Zbynek Brynych kenne ich vor allem für seine zahlreichen Beiträge zum Serien-Dauerbrenner DERRICK, aber der gebürtige Tscheche drehte Anfang der Siebzigerjahre auch einige Kinofilme in Deutschland: DIE WEIBCHEN harrt derzeit seiner DVD-Veröffentlichung via Bildstörung, OH HAPPY DAY und ENGEL, DIE IHRE FLÜGEL VERBRENNEN drohen indes, dem Vergessen anheimzufallen. Was ich an Brynychs DERRICK-Episoden so liebe, sind seine ausgefallenen, oft jenseits jeglicher narrativer und stilistischer Konvention liegenden erzählerischen und inszenatorischen Ideen, die ins steife Korsett formelhafter Fernsehunterhaltung gepresst noch umso stärker wirken. OH HAPPY DAY, der erste seiner drei deutschen Kinofilme, belegt, dass Brynych es wohl gern noch wilder gehabt hätte, wenn man ihn hätte machen lassen. Das Coming-of-Age-Drama fällt zunächst durch den Verzicht auf eine klassische, „saubere“ und auf den Zweck zugerichtete Exposition auf: In der ersten halben Stunde, in der er seiner Protagonistin nicht von der Seite weicht, ja, ihr förmlich in den Kopf dringt, veranstaltet Brynych einen deliriösen psychedelischen Bilderwirbel, der hart mit der braungrauen Spießerwelt Nachkriegsdeutschlands kollidiert. Anna mutet mit ihren natürlichen Wünschen und Sorgen wie eine Außerirdische inmitten katholischer Lehrerinnen, kapitalistisch-ökonomischer Eltern, spießbürgerlicher Mitbürger und selbstvergessener Altersgenossen an – und kommt sich auch selbst so vor: Ein Eindruck, den die Exponate psychedelischer Pop-Art, die die Wände ihres unentschlossen zwischen Mädchenzimmer und Studentenbude pendelnden Refugiums im Haus der Eltern, mit ihren Abbildungen übergroßer Augenmünder, noch verstärken. Wenn der Film nach diesem wilden Anfangsdrittel langsam in geordnetere Bahnen läuft, gewinnt auch Anna ihren Überblick wieder, sucht nach einer nächtlichen Odyssee, bei der es sie in eine auf einer der Baustellen ihres Vaters hausende Hippiekommune und auf die Polizeiwache verschlägt – wo man mit den Jung-Erwachsenen auch nichts anzufangen weiß –, die Aussprache mit den Eltern und landet dann endlich mit ihrem Freund, der sich als kaum souveräner als sie herausstellt, im Bett eines Hotelzimmers.

Faszinierend und sofort einnehmend an OH HAPPY DAY ist diese Spannung zwischen urdeutscher Bildwelt und formaler Wildheit und Lockerheit, die man nun nicht als erstes mit deutschem Film assoziiert. Gleichzeitig hatte ich aber gerade mit den psychedelischen Anwandlungen der ersten halben Stunde einige Schwierigkeiten. Ich finde Brynych ja eigentlich immer dann am besten, wenn er den schmalen Grat zwischen mondän-distinguierter Theatralik und galliger Satire beschreitet (was er in seinen besten DERRICK-Folgen sehr oft tut). Nadja Tiller, die sich in lasziven Yogaübungen auf dem Teppich ihrer Villa räkelt, während sie mit ihrem Mann Geschäftliches bespricht, ein schmieriger, alternder Casanova mit Bleistiftschnurrbart und Raubtierlächeln in einer dunklen Gasse: Das ist der Stoff, aus dem die Brynych-Träume sind. Die in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern so modernen, mit Beatmusik unterlegten Bilderwirbel rauben dem Film aber leider etwas von seiner Singularität und wirken auf mich heute vor allem dated. OH HAPPY DAY ist als Ganzes immer noch ein ausgesprochen frisches Beispiel für das, was deutsches Populärkino zu jener Zeit im Idealfall war oder hätte sein können, aber auf mich machten gerade jene Szenen den nachhaltigsten Eindruck, in denen Brynych seine Figuren in verbalen Schlagbatausch schickt, hohle gesellschaftliche, bürgerliche Rituale erst auf die Spitze treibt und dann umkippen lässt, ohne dabei den distanzierten, aber wissenden Beobachterblick aufzugeben. Vor allem aus psychologischer Hinsicht lässt der improvisiert anmutende, bewusst offen und elliptisch gehaltene Film aber einiges zu wünschen übrig: Wenn die frech-kesse Anna ihren Vater damit konfrontiert, dass er ihre Mädchen-Verliebtheit einst nicht erwiderte, ist das aus den Trends der Sexualerziehung heraus jener Zeit vielleicht nachvollziehbar, für sie als mittlerweile nach Selbstständigkeit strebende junge Frau aber nicht. Solche Szenen sind wie aus der Drehbuchfibel diktiert und muten im freiassoziativen Fluss wie Fremdkörper an, wie ein Klammern an die Psychologie, die Brynych doch sonst kaum interessiert. OH HAPPY DAY lässt sich – nach meinem Empfinden – so auf eine Formel bringen: Er ist der Film eines starken Filmemachers, den unterwegs der eigene Mut verlassen hat.

Der Schwerverbrecher Arthur Hillary (Franco Fantasia) wird von seinen Kumpanen, darunter der gefährliche Anthony (Siegfried Rauch), bei einem Gefangenentransport befreit. Hillary hatte vor seiner Inhaftierung einen spektakulären Diamantenraub gelandet, die Beute hatte er in der titelgebenden Statue bei seinem Zwillingsbruder Robert in Kanada versteckt. Jenen gilt es nun ausfindig zu machen, um ihm die Steinchen wieder abzunehmen. Derweil Captain Rowland (Brad Harris) auf den flüchtigen Schurken angesetzt wird, ist Privatdetektiv Jo Walker im Auftrag der Versicherung unterwegs, die Diamanten zurückzuholen. Beide müssen sich wieder miteinander arrangieren, um zum Ziel zu kommen …

Der fünfte Film der insgesamt siebenteiligen Reihe setzt die mit dem Vorgänger KOMMISSAR X – DREI GRÜNE HUNDE eingeschlagene Linie fort. Das bedeutet, dass es auch hier um einen „normalen“ Kriminalfall geht, die an die Erfolge der Bond-Reihe angelehnten Ausflüge ins Science-Fiction-Genre der Vergangenheit angehören. Die Story ist nicht übermäßig spektakulär, aber durchaus kurzweilig, das Zusammenspiel von Harris und Kendall steht wieder mehr im Vordergrund, der Ton des Films ist wesentlich komödiantischer als zuvor. Harris hat als Rowlanddie Rolle des etwas einfältigen Deppen inne, der der Cleverness seines freischaffenden Partners nur wenig entgegenzusetzen hat, aber dessen Scharfsinn mit der nötigen körperlichen Durchschlagskraft ergänzt. Die spritzige Dynamik der beiden kann man etwas mit jener vergleichen, die Terence Hill und Bud Spencer einige Jahre später zu Ruhm und einem Platz in der (europäischen) Filmgeschichte verhelfen sollte. Den Hintergrund des munteren Treibens bildet vor allem die Kulisse der damaligen Weltausstellung in Montreal, und Ausflüge nach L.A. und Calgary werden auf die bekannt rührend-unbekümmerte Art mit Material aus Italien ergänzt. Das garantiert gleich zu Beginn einige Lacher, wenn Parolini dem Zuschauer ein südeuropäisches Bergambiente mit unbefestigten Schotterpisten als die Serpentinen der Hollywood Hills verkaufen will, oder er jenen berühmten Wasserfall, der in fast jedem italienischen Film der Sechziger- und Siebzigerjahre zu sehen ist, nach Kanada verlegt. Schön ist auch die als Hightech-Sensation eingebaute Archivmaterial-Szene mit einem Jetpack, das für „Menschen im Düsenzeitalter“ als die kommende Fortbewegungsart gepriesen wird, sonst aber keinerlei narrative Funktion erfüllt. Das sind die Momente, für die man den trivialen Stoff jener Tage liebt. Für Kurzweil ist also, nicht zuletzt aufgrund der Anwesenheit von Eurobabes wie Erika Blanc oder Hannelore Auer, wieder einmal gesorgt, auch wenn die vorangegangenen Höhepunkte der Reihe unerreicht bleiben. Ein Meisterwerk erwartet von einem KOMMISSAR X-Film eh niemand, insofern darf die Mission „Entertainment“ nach 90 schön bunten, beschwingten und angenehm depperten Minuten dennoch als „erfolgreich“ abgehakt werden. Mehr fällt mir zu diesem Film aber auch nicht mehr ein.

In einer ceylonesischen Grotte, die ein großer, goldener Katzenkopf als Eingangstor ziert, bekommt der beschnurrbartete Karatemeister King (Dan Vadis) den Auftrag, Babs Lincoln (Ann Smyrner), Tochter des amerikanischen Botschafters Jefferson Lincoln, zu entführen. Das sieht dann so aus, dass er der blonden Schönen mit seinen beiden Kumpanen (darunter Siegfried Rauch als „Nitro“) auffällig, aber unbemerkt durch die deutlich kürzer gewachsenen Scharen Einheimischer hinterherstapft, die sich anlässlich eines Volksfestes auf den Straßen tummeln. Niemand stört sich daran, als die Frau von ihnen niedergeschlagen und weggeschleppt wird, nur ihr amerikanischer Kollege nimmt die Verfolgung auf, muss diesen Wagemut aber mit seinem Leben bezahlen, derweil Babs entkommen kann. Schnitt zu einer im Freien abgehaltenen Polizeipräsentation, bei der der Redner die Vorzüge von Karate preist und vor seinen Gefahren warnt, gerät die Kampfkunst in falsche Hände. Dass ein Karateschlag die Durchschlagskraft einer Pistolenkugel hat, belegt danach Captain Tom Rowland, indem er eine Delle in einen mit Alufolie umwickelten Styroporwürfel boxt, die von den Anwesenden bestaunt wird wie die Landung eines Ufos. Bevor er Autogramme geben muss, wird er aber abkommandiert nach Colombo, um im Fall der oben geschilderten Ermordung zu ermitteln. An Ort und Stelle trifft er auf seinen Kumpel Jo Walker (im vorangegangenen Text nannte ich ihn fälschlicherweise „Joe“), der wiederum herausfinden soll, wer die schöne Babs entführen wollte. Schon nach kurzer Zeit werden diverse Mordanschläge auf die beiden verübt: Erst plätschert eine gefährliche Säure aus Walkers Dusche, dann sollen die beiden Gangsterjäger samt Babs Lincoln, Lincolns Neffe Dawson (Philippe Lemaire) und des einheimischen Inspektor Da Silva in die Luft gesprengt werden. Hier zeigt sich nicht zum ersten Mal, aber am eindrucksvollsten das, was den Film vor allem auszeichnet: der unbändige Wille, sich jeder schnöden Logik zu widersetzen, um ein hübsches Spektakel auf die Leinwand zu bringen: Zunächst platziert King eine Ampulle mit Nitroglycerin auf dem Nebentisch der Helden – warum er mit seinem überaus auffälligen Äußeren von Babs nicht erkannt wird, bleibt ihr Geheimnis – und macht sich dann vom Acker. In einem Hotelzimmer mit Aussicht auf die fröhlich plauschende Tischgemeinschaft nimmt nun „Nitro“ mit einem Scharfschützengewehr Platz. Seine Aufgabe ist es, das Nitrofläschchen abzuschießen und so eine Explosion auszulösen, die alle auslöscht. Ja, das hätte man durchaus einfacher lösen können, und so ist es dann auch kein Wunder, dass der Plan vereitelt wird. Wer so blöd ist, der hat es nicht besser verdient. Auch nicht, wenn man sich hinter einem so geilen Kampfnamen wie „Drei gelbe Katzen“ versteckt. Die verbergen sich hinter diesen ganzen mal mehr, meist aber weniger geglückten Taten, handeln jedoch nur im Auftrag eines noch größeren Schurken. Es geht nämlich um einen Wissenschaftler, der einen todbringenden Biokampfstoff entwickelt hat und nun den Mann erpresst, der ihn wegen diese Erfindung einst des Landes verwiesen hatte. Alle wollen Geld, alle haben Dreck am Stecken, aber außer den beiden Protagonisten blickt keiner mehr durch.

Nach Ablauf der 90 Minuten von KOMMISSAR X – DREI GELBE KATZEN dessen Handlung zusammenzufassen, stellt daher auch vor einige Probleme. Wie bei den besten Exploitern wirkt die Story wie von einem Zehnjährigen mit galoppierender Fantasie, aber mangelndem editorischen Geschick erdacht, wüst mit dem heiligen Vorsatz zusammengekloppt, möglichst viele astreine Elemente unterzubringen. War Parolinis KOMMISSAR X – JAGD AUF UNBEKANNT noch annähernd seriös, begibt sich die Reihe unter der Regie von Rudolf Zehetgruber auf eine Kreuzfahrt in beinahe surrealistische Gaga-Gefilde. In den ersten Minuten des Films dreht sich alles um „Karate“, wobei dieser heute sehr trivial anmutende Begriff hier wie der unaussprechliche Vorname des Leibhaftigen behandelt wird: „Karate“, das ist hier noch etwas Exotisches, Geheimnisvolles, potenziell Gefährliches. Und je häufiger das Wort ausgesprochen wird, umso exotischer, geheimnisvoller und potenziell gefährlicher wird auch der Film. Karate, Karate, Karate. In der Vorstellungswelt des Zehnjährigen, der sich diese Geschichte ausgedacht hat, gibt es eigentlich nur eine Sache, die noch verbotener und verlockender ist: Säure. Deshalb gibt es auch einmal den tollen (von mir aus dem Gedächtnis paraphrasierten) Dialogsatz: „Seit letztem Jahr sind mehrere Menschen verschwunden. Entweder getötet durch Karate oder durch Säure!“ Ein Satz, den man so sicherlich nie bei den Tagesthemen hören wird und der Schrödingers Katzensatz mit einem neuen Paradoxon kontert: Wie kann jemand verschwunden und gleichzeitig durch Karate (oder Säure) getötet worden sein? Kommissar X kennt die Antwort auf diese Frage mit Sicherheit auch nicht, ist er doch immun gegen jeden erkenntnistheoretischen Höhenflug. Mit geradezu autistischer Beschränktheit stelzt er allem hinterher, was ballonförmige sekundäre Geschlechtsmerkmale aufweist, drückt jeder Frau ungefragt ein Küsschen ab, fest davon überzeugt, dass die nichts dagegen haben könne. Und zum Wunder des heutigen Mannes ist das hier auch so. Es ist durchaus reizvoll, sich ein „gritty reboot“ der Kommissar-X-Reihe vorzustellen, das den Titelhelden als Stalker und Sexualverbrecher zeigt, einen von seinem unstillbaren Trieb aufs gesellschaftliche Abstellgleis geführten psychiatrischen Pflegefall, der sich zwanghaft an Frauen reiben muss und vor lauter Anzeigen wegen sexueller Nötigung einen Zweitwohnsitz längst im Gerichtsgebäude hat, wo ihn selbst der Hausmeister mitleidig beäugt. Seltsam ist in diesem Zusammenhang auch diese permanente Kippen-Not: Es ist einer der Running Gags des Films, dass Walker seinen Kumpel Rowland um Zigaretten anschnorrt. Ein weiteres Merkmal, dass ihn als unverdrossenen Frechdachs zeichnet, der immer auf die Füße fällt: Er ist natürlich das alter ego des zehnjährigen Drehbuchautors.

Der hat neben abstrusen Albernheiten aber durchaus noch einige gute Ideen in petto: Der „Todessee“, auf dem der Film gegen Ende spielt, eine Sumpflandschaft mit im Wasser stehenden, abgestorbenen Bäumen, liefert ein stimmungsvolles Setting. Die von Zehetgruber völlig lautlos eingefangene Todesszene von Dawson, der auf dem Rücksitz eines Autos vergast wird, derweil der durch eine Scheibe geschützte Fahrer seinen Tod mit sadistischem Grinsen quittiert, ist für einen sonst doch sehr munteren Film überaus bitter und unangenehm geraten. Super ist auch der Showdown zwischen Rowland und King: Vom Polizisten besiegt, schleicht der Geschlagene tief enttäuscht von dannen, um die Schmach der Niederlage durch seinen Todessturz zu mildern. Und der Film endet dann mit dem begehrlichen Blick Walkers auf gleich drei Frauenärsche: den von Babs, den der exotischen Michéle (Michéle Mahaut) und den einer rassigen Elefantendame. DREI ÄRSCHE FÜR KOMMISSAR X wäre durchaus ein passender Alternativtitel gewesen. Rudolf Zehetgruber ist mir von seinem verschnarchten DIE NYLONSCHLINGE in leidlich guter Erinnerung und von Christoph Draxtra weiß ich, dass Verschnarchtheit gewissermaßen der modus operandi des DUDU-Stars ist. Dass er sich schwertut mit einer ökonomischen Spannungsdramaturgie (wie ein Zehnjähriger!), fällt bei KOMMISSAR X – DREI GELBE KATZEN allerdings kaum ins Gewicht, da hier einfach immer was los, immer was geboten ist. Wer braucht schon Suspense, wenn er Remmidemmi haben kann. Das macht Hoffnung für Zehetgrubers zweiten Beitrag zur Reihe, die laufende Nummer 4, KOMMISSAR X – DREI GRÜNE HUNDE.

Zwei Schülerinnen eines Mädcheninternats werden mit einem neuartigen Giftgas ermordet, außerdem fallen weitere Menschen einem rot gewandeten Mönch und seiner Peitsche zu Opfer, mit denen er ihnen das Genick bricht. Inspektor Higgins (Joachim Fuchsberger) nimmt die Ermittlungen auf. Er findet heraus, dass Ann Portland (Uschi Glas), eine der Schülerinnen des Internats, über ein großes Vermögen verfügt, das im Falle ihres Ablebens einem noch unbekannten Erben zufällt. Plötzlich verschwindet sie …
Alfred Vohrers zehnter Wallace-Film ist ein farbenfroh realisiertes Remake des zum Zeitpunkt des Entstehens gerade einmal zwei Jahre alten Reinl-Films DER UNHEIMLICHE MÖNCH. Warum man sich für eine Neuauflage ausgrechnet dieses Werks entschied, anstatt sich eines älteren anzunehmen, kann ich an dieser Stelle nicht beantworten. Auf der Handlungsebene unterscheiden sich beide Filme nur marginal. Vohrer inszeniert DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE aber deutlich stärker auf den Knalleffekt hin, während Reinl einen deutlich gemäßigteren Stil pflegte. Diese Differenz wird vor allem durch den Wechsel von Schwarzweiß zu Farbe bedingt und zeigt sich schon in der Gestalt des Mönchs: Der im Vorgänger noch mit einer schlichten schwarzen Kutte versehene Mörder weicht in Vohrers Adaption einer imposanten Gestalt mit grellroten Gewand und spitzer Kapuze. Zur Tarnung taugt das neue Kostüm zwar nicht, bringt seinen Träger auch in der tiefsten Nacht noch eindrucksvoll zum Leuchten, macht aber in der saftig-übersteuerten Farbdramaturgie mächtig was her. DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE suhlt sich geradezu in Bildern, die wie die filmische Umsetzung grellbunter Groschenheft-Titelseiten aussehen.
So startet der Film in einem Mad-Scientist-Labor voller blubbernder und dampfender Flüssigkeiten in allerlei Tiegeln, Gläsern und Schläuchen, das in einem düsteren Kellergewölbe untergebracht ist. Der zauselig aussehende Wissenschaftler hat soeben seine Erfindung fertiggestellt, ein duft- und geschmackloses Giftgas, das binnen Sekunden tötet, wie der finale Test an einigen Laborratten gezeigt hat. „Dieser Tod hat Zukunft!“, verkündet er im Stile eines Unmenschen und bringt dann sofort seinen Assistenten um, den späte Gewissenbisse packen. Man fragt sich, wie diese Wissenschaftler eigentlich arbeiten, dass sie am Ende vor einem Ergebnis stehen, das sie nicht einmal annähernd abgesehen haben. Ein weiteres hübsches Setting wurde im Berliner Aquarium für einen Blofeld-artigen Oberschurken eingerichtet. Er sitzt stets mit dem Rücken zum Zuschauer an seinem Schreibtisch, betrachtet die ihn umgebenden Wasserbecken und spricht mit durch ein Mikrofon verfremdeter Stimme. Wann immer Not am Mann ist, löscht er das Licht und verschwindet somit ganz unverhofft aus dem Sichtfeld seines überraschten Gastes. Hartnäckige Gegner landen bei Bedarf im Krokodilgehege. Eine weitere Kuriosität ist das Internatsschwimmbad, das über ein Unterwasserfenster verfügt, das zur Wohnung eines Lehrers gehört. Andächtig beobachtet er die jungen Schülerinnen in ihren engene Badeanzügen, damit verdeutlichend, dass die Wallace-Filme längst nicht mehr ohne Sex auskamen. Subplots wie jener, der sich um die Liebschaft eines Lehrers zu einer Schülerin dreht, wären noch wenige Filme zuvor undenkbar gewesen. Die italienischen Gialli, die der Wallace-Reihe einige Stichworte zu verdanken hatten, sollten den Bogen dann nur wenig später konsequent weiterspannen.
Aufmerksamen Lesern mag auffallen, dass es zu DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE nicht übermäßig viel zu sagen gibt: Es handelt sich um einen durchweg unterhaltsamen, prächtig anzusehenden Film, der mir aber vielleicht eine Spur zu routiniert ausgefallen ist (ein Problem, das die Wallace-Filme von Beginn an mit sich schleppen). Echte Überraschungen oder Aha-Effekte stellen sich leider nicht ein. So ist der wirkliche einzige Irritationsmoment die Figur des Inspektor Higgins: Der kaut während des gesamten Films auf irgendetwas herum, ohne dass diese Marotte auch nur einmal thematisiert würde. Wahrscheinlich einfach ein Ergebnis von Improvisation, macht es die Auftritte Fuchsbergers merkwürdig enervierend und „edgy“.
Die Edgar-Wallace-Checkliste:
Personal: Siegfried Schürenberg (13.), Joachim Fuchsberger (10.), Kurt Waitzmann (6.), Wilhelm Vorwerg (5.), Heinz Spitzner, Jan Hendriks (4.), Ilse Pagé, Tilo von Berlepsch, Susanne Hsiao (3.), Uschi Glas, Grit Boettcher, Harry Riebauer, Hans Epskamp, Rudolf Schündler, Suzanne Roquette, Bruno W. Pantel (2.), Siegfried Rauch, Claus Holm, Narziss Sokatscheff, Ewa Strömberg, Herbert Kerz (1.). Regie: Alfred Vohrer (10.), Drehbuch: Herbert Reinecker (5.), Musik: Martin Böttcher (6.), Kamera: Karl Löb (10.), Schnitt: Jutta Hering (7.), Produktion: Horst Wendlandt (21.).
Schauplatz: Ein britisches Internat im Grünen, eine Haftanstalt. Gedreht wurde in Berlin und zwar auf der Pfaueninsel, dem Teufelsberg und im Berliner Aquarium.
Titel: Bezieht sich auf den umgehenden Mörder. Zum vierten Mal enthält der Titel einen klerikalen Begriff.
Protagonisten: Inspektor Higgins und Damsel in Distress Uschi Glas.
Schurke: Der titelgebende Mönch und ein Drahtzieher im Hintergrund.
Gewalt: Diverse Giftgas- und Peitschenmorde, Erschießungen.
Selbstreflexion: Begrüßung zu Beginn, Erwähnung von DER UNHEIMLICH MÖNCH („So einen Fall hatten wir doch schon einmal.“), am Ende sinkt ein Schild mit der Aufschrift „Ende“ ins Bild.

Der Erste Weltkrieg. Schwarzweiß. Ein Schlachtfeld. Rauchschwaden ziehen über die verstreut herumliegenden Leichen und Trümmer, ein großes Holzkreuz, dessen Jesusfigur traurig aus ihren tiefen schwarzen Augenhöhlen auf die ihn umgebende Verwüstung stiert, prangt über dem Geschehen. Ein Soldat (Lee Marvin) torkelt nach Orientierung suchend umher, wird von einem aufgescheuchten, panischen Hengst attackiert, der jedoch ebenso schnell wieder verschwindet, wie er aufgetaucht ist. Plötzlich kommt aus dem Nebel ein Mann auf den Soldaten zu. „Der Krieg ist vorbei! Der Krieg ist vorbei!“, ruft er. Der Soldat versteckt sich, überrumpelt den Mann und ersticht ihn. Zurück in seinem Stützpunkt berichtet er seinem Vorgesetzten von dem Angriff und dem vermeintlich feigen Täuschungsmanöver des Deutschen. Doch der klärt ihn auf, dass der Krieg tatsächlich vorbei ist. Der Soldat hat einen Menschen umgebracht.

So beginnt Samuel Fullers THE BIG RED ONE, in vielerlei Hinsicht vermutlich der persönlichste und wichtigste Film des großen Regisseurs. Samuel Fuller war selbst Soldat im Zweiten Weltkrieg und die Erfahrungen, die er dort machte, sollten seine Filme – neben seiner Journalistentätigkeit – am meisten beeinflussen. Es reicht bereits eine oberflächliche Kenntnis von Fullers Biografie, um THE BIG RED ONE als autobiografisch erkennen zu können: Schon mit dem Titel spielt er auf den „Spitznamen“ seiner Einheit an, der 1. Infantriedivision, deren Kennzeichen, eine rote Eins, der Soldat im oben geschilderten Prolog erfindet. Die Stationen, die die Protagonisten des Films durchlaufen – Nordafrika, Sizilien, die Normandie, Belgien, Tschechoslowakei -, waren auch die Stationen von Fullers Einsatz und einige der Episoden des Films gründen auf seinen Erlebnissen während dieser Zeit. Darüber hinaus ist Fuller aber auch als Person allgegenwärtig: Zab (Robert Carradine), ein zigarrerauchender Journalist und Schriftsteller, der zu Hause gerade seinen ersten Roman veröffentlicht hat, ist eindeutig das Alter ego des Regisseurs, der in einer kleinen Rolle als Kriegsberichterstatter auch selbst mitwirkt, und der von Lee Marvin – seinerseits ein Zweiter-Weltkriegs-Veteran – gespielte Sergeant darf als Manifestation Fuller’scher Überzeugungen und Werte betrachtet werden. Man kann daher nur erahnen, wie sehr es Fuller getroffen haben muss, als die Verantwortlichen von Warner THE BIG RED ONE brutal verstümmelten und lediglich in einer radikal gekürzten Rumpffassung veröffentlichten, die trotz Kritikerlob – der Film gewann 1980 die Goldene Palme in Cannes – natürlich niemand sehen wollte. Die seit 2004 erhältliche rekonstruierte Fassung, die rund 40 Minuten länger ist als die alte Kinofassung, vermittelt einen genaueren Eindruck davon, was Fuller zeigen und sagen wollte (auch wenn sich diese Fassung dem tatsächlichen Director’s Cut letztlich auch nur annähern, ihn aber nicht tatsächlich wiederherstellen kann) und was den Studioleuten damals so sauer aufstieß.

In lose verbundenen Szenen schildert THE BIG RED ONE die Kriegserlebnisse der „Four Horsemen“, einer Gruppe junger Rekruten (Robert Carradine, Mark Hamill, Bobby Di Cicco und Kelly Ward), die gemeinsam mit dem namenlos bleibenden Sergeant, einem kernigen Vollblutsoldaten, zahllose Schlachten durchstehen, Neuankömmlinge überleben und schließlich das Kriegsende erleben. Nach dem erfolgreichen Einsatz in Nordafrika, gelangen sie über Sizilien nach Frankreich, wo sie am D-Day der Invasion der Alliierten in der Normandie beiwohnen, sich bis in die Ardennen durchkämpfen und schließlich das Konzentrationslager Falkenau befreien. Verfolgt werden sie dabei von Schroeder (Siegfried Rauch), dem deutschen Pendant des Sergeants, der sich persönlich für eine erlittene Verwundung rächen will …

Schon dieser Versuch einer konventionellen Inhaltsangabe macht deutlich, warum THE BIG RED ONE seinerzeit so viel Unverständnis entgegenschlug: In seiner episodischen, losen Struktur verweigert sich der Film einer auf dem Kriegsfilm der Vierziger- und Fünfzigerjahre beruhenden epischen Heldenerzählung, stiftet weniger Sinn und Überblick im kriegerischen Chaos, als die existenzielle Wucht dieses Chaos in seiner brüchigen Form herauszuarbeiten, erteilt keinen moralischen Freibrief, indem er Schuldzuweisungen vornimmt, in Gut und Böse unterteilt, sondern lässt den Zuschauer mit dem Widerspruch zurück. Dennoch lässt er sich nicht dem nach dem Vietnamkrieg etablierten Antikriegsfilm zuordnen, weil er nicht wie dieser von einem archimedischen Punkt aus kritisiert – wie könnte er auch? -, sondern den Krieg vielmehr als Bestandteil menschlicher Zivilisation annimmt, mit dem wir leben müssen. Und auch wenn er in seinem narrativen Fragmentarismus als Vorläufer des zeitgenössischen Kriegsfilms mit seinen um Authentizität bemühten Darstellungen erscheint, dank Fullers zupackender Inszenierung, die ohne extravagante Kniffe und selbstverliebte Technikspielereien auskommt, wie diese sehr unmittelbar und körperlich wirkt, so hat der Film doch auch eine andere, unleugbar metaphysische Qualität. Der Sergeant, von dem wir weder den Namen noch sonst ein biografisches Detail erfahren, scheint im Feuer des Krieges geboren, er fungiert als eine Art Schutzengel für seine Rekruten, die ihre Odyssee unter seiner Obhut ohne jeden Kratzer überstehen, eher wie distanzierte Beobachter als wie Teilnehmer wirken, gemeinsam lachen, feiern, essen, reden und geil sind. Das ist das Geheimnis ihres Überlebens: dass sie nie zu sehr in das Geschehen um sie herum involviert sind. Die Namen der Männer, die ihnen wieder und wieder zur Seite gestellt werden, merken sie sich nicht, weil sie an das ständige Sterben gewohnt sind, und einmal sagt Zab, der als Erzähler fungiert, dass man sich im Schlachtgetümmel immer allein fühle, egal von wie vielen Kameraden man umgeben sei. Im Krieg geht es um nichts anderes als das Überleben: „Surviving is the only glory in war“, heißt es am Ende und das ist auch die Quintessenz des Films. Doch es ist die Überzeugung des Sergeants, dass moralisches Handeln und Überleben sich keineswegs ausschließen, sondern ersteres letzteres überhaupt erst ermöglicht. Und es gehört zur Offenheit von THE BIG RED ONE und zu Fullers konzeptionell-dramaturgischem Geschick, dass er diese Sichtweise in pervertierter Form auch von Schroeder vertreten lässt, der behauptet, dass ein Soldat alles tun müsse, um zu überleben, sich notfalls auch vor dem Feind ergeben, um so in der Lage zu sein, ihn zu einem späteren Zeitpunkt umzubringen.  

Dieser Gegensatz ist der vielleicht der stärkste in einem Film, der das Nebeneinander und die Gleichzeitigkeit von Leben und Tod, von Glück und Leid, Freude und Angst, Sieg und Niederlage, also das Dialektische, Paradoxe, Absurde als paradigmatisch für das Phänomen „Krieg“ begreift. Ob die Soldaten sich selbst eingraben müssen, um dem Feind zu entgehen, sie einem Jungen bei der Beerdigung von dessen Mutter behilflich sind und im Gegenzug dafür zu einem Geschützpunkt geführt werden, sie einer Frau in einem Panzer bei der Entbindung helfen (jedoch, wie einer von ihnen sagt, nur dafür ausgezeichnet werden, Mesnchen umgebracht zu haben), oder eine Irrenanstalt stürmen, die den Nazis als Versteck dient: So eindeutig und klar ihre Mission auch ist, als so widersprüchlich empfinden sie sie dennoch. Das kommt nicht zuletzt in den geschliffen ungeschliffenen Dialogen zum Ausdruck, deren Pointen messerscharf durch den bullshit schneiden wie ein heißes Messer durch Butter. Der Austausch zwischen dem zweifelnden Rekruten Griff und dem Sergeant ist ein Beispiel: „I can’t murder anybody.“ „We don’t murder, we kill.“ „It’s the same thing.“ „The hell it is. You don’t murder animals, you kill ‚em.“ Der Dialog kurz vor dem Angriff auf das Irrenhaus ein anderes: „Killing insane people is not so good for public relations.“ „Killing sane people is okay?“ „That’s right.“ Es ließen sich noch zahlreiche weitere Beispiele aufzählen, doch keines verdeutlicht die Absurdität des Krieges so gut wie das Finale, mit dem Fuller nicht nur den Bogen zum im ersten Absatz geschilderten Prolog schlägt, sondern seinem Sergeant auch die Absolution erteilt: Wieder taumelt ein Soldat – der deutsche Schroeder – auf den Sergeant zu, wieder verkündet dieser das Ende des Krieges, wieder glaubt der Sergeant an einen Trick und greift den Mann an, wieder stellt sich kurz danach heraus, dass der Mann die Wahrheit gesagt hat. Doch gemeinsam mit den „Four Horsemen“ gelingt es dem Sergeant diesmal, den Mann, der nur wenige Stunden zuvor noch sein Todfeind war, zu retten: „You’re going to live, even if I have to blow your brains out.“

Viele Filmemacher haben den Krieg als surreale Parallelwelt gezeichnet und mancher hat dabei sogar seine körperliche und geistige Gesundheit und sein Vermögen riskiert. Doch so klar wie Fuller ist noch niemand gewesen. Es ist wohl auch diese Klarheit, die verhindert, dass THE BIG RED ONE neben Kritikern und Filmwissenschaftlern auch den Laien begeistert.

Im Hafen von New York läuft ein führerloser Frachtdampfer ein. Bei der Begehung des Schiffes durch die Polizei unter der Führung von Lieutenant Tony Aris (Marino Masé) stellt sich heraus, dass die gesamte Besatzung tot ist, im Frachtraum finden sich zudem Hunderte von Kartons, die mit merkwürdigen eierartigen Gebilden gefüllt sind. Deren Inhalt entpuppt sich schon kurz darauf als ausgesprochen tödlich, was den Einsatz von Colonel Stella Holmes (Louise Marleau) erforderlich macht. Experimente zeigen, dass die Eier außerirdischen Ursprungs sind und offensichtlich von einer Marsexpedition auf die Erde gebracht wurden. Den Astronauten Hubbard (Ian McCulloch) hatte man noch für verrückt erklärt, als er die Eier in seinem Bericht erwähnte, nun weiß man es besser. Und sein Partner Hamilton (Siegfried Rauch), der angeblich tot sein soll, ist quicklebendig und bereitet von Südamerika aus die Invasion der außerirdischen Lebensform vor …

CONTAMINATION ist einer von zwei frühen italienischen Versuchen, sich eine Scheibe vom Erfolg von Ridley Scotts ALIEN abzuschneiden (der andere ist der frech betitelte ALIEN 2 – SULLA TERRA von Ciro Ippolito) und gilt nicht zuletzt aufgrund seiner exzessiven Splattereffekte, die man als wenig subtile Interpretation des Original-Chestbursters verstehen darf, als kleiner Klassiker des Italosplatters. Und das sehr zu Recht, wie ich nach meiner erst jetzt absolvierten Erstsichtung erfreut festgestellt habe: Im Blick hatte ich ihn zwar schon seit etlichen Jahren, aber irgendwie ist mir immer etwas dazwischen gekommen bzw. schien mir dringlicher als dieser Film, der ja zudem jederzeit verfügbar war. Aber was ist mir da für ein prächtiges Schätzchen entgangen! Die Parallelen zum Vorbild sind zwar unverkennbar, die Eier sehen tatsächlich fast genauso aus wie in Scotts Meisterwerk, aber Cozzi hat dann doch wesentlich dickere als der inszenierende Werbefuzzi aus England: Statt eines mageren aufplatzenden Brustkorbs gibt es hier etliche davon und die Eingeweide spritzen meterweit und zudem in Zeitlupe, dass einem förmlich das Herz überläuft. Und handlungstechnisch schreitet Cozzi durchaus auf eigenen Wegen: Der Hauptunterschied ist wohl die (budgetbedingte) Verlegung der Handlung von einem Raumschiff/fremden Planeten auf die Erde, die Abwesenheit eines killenden Monsters, das aus den Eiern schlüpft, und eine deutliche Akzentverschiebung in Richtung Bondfilm’scher Weltbeherrschungsfantasien. Die fremde Alienbrut hat nämlich die telepathische Herrschaft über einen Menschen übernommen, der wie ein megalomanischer Superschurke die Invasionspläne „leitet“ und zudem die „Mutter“ der Aliens beherbergt. Das Finale mit dem bizarr aussehenden – und tricktechnisch sehr gut gelungenen – Zyklopenwesen ist der Zuckerguss auf einem ohnehin schon äußerst wohlschmeckend geratenen Alienkuchen und man könnte sogar fast sagen, dass Cozzi hier die erst in Camerons Sequel auftretende Alienmutter vorwegnimmt.

Was CONTAMINATION im direkten Vergleich mit ALIEN fehlt, ist neben den ganz offenkundigen production values und dem superioren Giger-Design vor allem die Atmosphäre repressiver Sexualität samt der entsprechenden Symbolik – Cozzis Film ist einfach nur straighter, aber sehr stimmungsvoller Alien-Invasion-Splatter ohne jedweden Subtext – sowie die so genial erdachte Genese der fremden Rasse. Die lückenlos-zyklische Entwicklung der Aliens von der Mutter zum Ei zum Facehugger zum Chestburster zum fertigen Alien weicht in CONTAMINATION einer traurigen Eintagsfliegen-Existenz: Die Alienmama brütet Eier aus, die dann platzen und Menschen töten. Der Freude tut dies aber, wie gesagt, keinen Abbruch: Mithilfe von Kameramann Giuseppe Pinori und Editor Nino Baragli gelingen einige formidabel umgesetzte Szenen – sehr gut hat mir etwa das Zusammenspiel der beiden in einer eigentlich eher unspektakuläre Szene auf einem Hotelflur gefallen, aber auch die Mars-Rückblende ist toll -, Goblin hat einen hübschen Score beigesteuert, die Effekte sind spitze und Siegfried Rauch hat eine wahrhaft saftige Rolle abbekommen. Wenn es etwas zu meckern gibt, dann nur, dass das arg schematische offene Ende dem Film rein gar nichts bringt. Verschmerzbar im Gegensatz zu seinem platzenden Brustkorb, möchte man meinen.