Mit ‘Thriller’ getaggte Beiträge

Der kleine, in einer eingeschlafenen Ehe gefangene Angestellte Fabio Santamaria (Enzo Cerusico) wird bei einem Angelauflug Zeuge eines Mordes: Er ertappt den Universitätsprofessor Ranieri (Riccardo Cucciola) auf frischer Tat, als dieser eine Prostituierte mit einem Knüppel zu Tode prügelt. Panisch ergeift Santamaria die Flucht: Anstatt jedoch die Polizei aufzusuchen und eine Aussage zu machen, verkriecht er sich zu Hause. Schließlich kommt ihm Ranieri zuvor: Der Professor dreht den Spieß um, meldet sich selbst als Zeuge und Santamaria als Mörder. Der in die Enge Getriebene begeht in der Folge einen Fehler nach dem anderen …

Das italienische cinema di dinuncia kritisierte in den späten Sechziger- und Siebzigerjahren den Korruptionsfilz, der in Italien die Verhältnisse zementierte: Mafia, Politik und Wirtschaft hielten zusammen und machten sich auf Kosten der Steuerzahler die Taschen voll. Das Genre brachte einige hoch brisante, intelligente und eiskalte Filme hervor, bevor der ihm inhärente Zorn als Treibstoff für den bauchzentrieren Poliziottesco diente, der die komplexen Betrachtungen auf eine einfache, als reaktionär zu bezeichnende Formel herunterbrach: Die Reichen sind Schweine, die Armen meist die Gelackmeierten. NO IL CASO È FELICEMENTE RISOLTO steht zwischen den Extremen: In seinem ruhigen Spannungsaufbau und dem Druck, den er kontinuierlich erhöht, äußert sich seine Nähe zum intelligenten, reflektierten cinema di dinuncia, aber an der Zahl der Unwahrscheinlichkeiten, die er sich erlaubt, um seine Geschichte zu ihrem bitteren Ende zu bringen, erkennt man den Exploiter, der es mit der Wahl seiner Mittel nicht allzu genau nimmt: Hauptsache er hämmert seine Message ins empörte Volk.

Diese erzählerischen Schwächen betreffen fast allesamt die Charakterzeichnung des Protagonisten, den Enzo Cerusico als etwas selbstgerechten Waschlappen interpretiert. Sein ursprüngliches Vorhaben, den Mord zu melden, scheitert daran, dass er vom Mörder verfolgt wird – sowie an hinzukommenden ungünstigen Umständen. Irgendwann ist der richtige Zeitpunkt einfach vorbei und Santamaria verkriecht sich und ergeht sich in Selbstmitleid. Ich halte das nicht für gänzlich falsch, aber so wie es im Film umgesetzt wird, scheint es mir nur bedingt glaubwürdig. Ein Beispiel: Seinen Versuch, einem Verkehrspolizisten von dem Mord zu berichten, unterbricht Santamaria, weil die Autos hinter ihm zu hupen anfangen. Er reagiert darauf, in dem er einsteigt, von seinem Plan ablässt und schimpfend weiterfährt – obwohl er ja auch sehr bequem auf dem gut erkennbaren Seitenstreifen hätte parken können. Später dann, als Phantombilder und Beschreibungen seines Wagens von ihm kursieren, ergreift er allerhand Maßnahmen um seine Spuren zu vertuschen, die am Ende, wenn er sich schließlich doch bei der Polizei meldet, negativ auf ihn zurückfallen. Warum er nicht die Hilfe eines Anwalts in Anspruch nimmt, bleibt unklar. Ihm muss bewusst sein, wie seine Geschichte auf die Polizeibeamten wirkt. Und Salerno lässt seinen Protagonisten noch zusätzlich dumm aussehen, weil er Cerusico nicht richtig an die Zügel nimmt. Man könnte sagen, dass diese Hauptfigur es dem Drehbuch zu leicht macht: Santamaria ist zu waschlappig, zu dumm, zu wankelmütig, zu gutgläubig, zu weich. Das wird zum Problem für den Film, der Systemkritik üben möchte, dafür aber einen Charakter konstruiert, der nicht in der Lage ist, auch nur zwei Schritte vorauszudenken. Da kann man den Polizisten fast keinen Vorwurf mehr machen.

Richtig stark ist allerdings der Anfang des Films, seine fast gialloeske Inszenierung des Mordes im Schilf und der nächtliche Leichenfund durch die Polizei, bei der das geschundenen Opfer für Sekunden vom Blitzlicht der Fotoapparate aus der Schwärze der Nacht geschält wird. Cucciola ist exzellent als kontrollierter Frauenmörder, Cerusico als nervöser Angsthase gut, aber die Story hätte eben eine Figur mit etwas mehr Rückgrat gebraucht, wie Franco Nero sie in ähnlichen Filmen idealtypisch verkörperte. In einer Nebenrolle tritt außerdem Enrico Maria Salerno als Zeitungsmann auf, der ahnt, dass an der ganzen Geschichte um den sauberen Professor etwas faul ist, ohne dass dieser Subplot wirklich irgendwohin führte. Vielleicht hätte ich mir für eine fairere Beurteilung des Films noch das eigentlich vorgesehene, aber nicht zum Einsatz gekommene Ende anschauen sollen, das auf der schönen Blu-ray von Cinema Obscura enthalten ist. So fand ich den Film lediglich unterhaltsam und handwerklich ordentlich, halte ihn aber keinesfalls für das vergessene Meisterwerk, zu dem er von Teilen der italofixierten Filmschreiberszene gemacht wurde. Aber da habe ich mittlerweile eh oft den EIndruck, dass es mehr ums Prinzip als um eine gerechte Einschätzung geht.

 

Nach FEMALE PRISONER #701: SCORPION, FEMALE PRISONER 701: JAILHOUSE und FEMALE PRISONER #701: BEAST STABLE markiert FEMALE PRISONER #701: GRUDGE SONG den vierten und letzten Teil der von Regisseur Shunja Itô ins Leben gerufenen Original-Filmreihe. Auf dem Regiestuhl nahm diesmal jedoch nicht mehr Itô Platz, sondern Yasuharu Hasebe, der mit Star Meiko Kaji bereits mehrere Filme der Pinku-Serie NORA-NEKU ROKKU inszeniert hatte, die international unter dem Titel ALLEYCAT ROCK bzw. STRAY CAT ROCK bekannt ist. Berüchtigt ist Hasebe aber vor allem für die Pinkus, die er kurz nach seinem FEMALE PRISONER-Beitrag drehen sollte: Die Pinkus OKASU! (Englisch: RAPE!), BOKO KIRISAKU JAKKU (Englisch: ASSAULT! JACK THE RIPPER) und RAPE! 25-JI BOKAN (Englisch: RAPE! 13TH HOUR) gelten gleichermaßen als Klassiker und derbe Gipfelpunkte des japanischen Filmgenres, das Gewalt und Sex explosiv vereinte. Der Abschluss der FEMALE PRISONER-Serie ist vergleichsweise zahm und kann, wie schon Itôs Vorgänger nicht an die ersten beiden Teile anknüpfen, die sich durch ihre expressive Bildsprache auszeichneten. Wie schon BEAST STABLE ist GRUDGE SONG ein roher, schmutziger Film, der sich im Wesentlichen der Aufgabe verschrieben hat, die Geschichte der schweigsamen Rächerin, Staatsfeindin und Männermörderin Nami Matsushima zum Ende zu bringen. Das gelingt letztlich vor allem deshalb, weil er in der zweiten Hälfte in den Frauenknast zurückkehrt, den die Reihe im zweiten Teil verlassen hatte.

Nami gelingt zunächst die Flucht vor den fanatischen Polizisten, die sie einsperren und der Todesstrafe zuführen wollen, und sie findet Unterschlupf beim Sonderling Kudo (Masakazu Tamura), der in einem Sexclub arbeitet und in einem schäbigen Verschlag haust. Die beiden gehen eine dieser typischen Außenseiter-Freundschaften ein und begehen sogar einen Mord zusammen, wobei es sich eher um einen Unfall handelt. Später wird Kudo geschnappt und er verpfeift Nami, weil er ein Schwächling ist, wofür sie sich später, nachdem sie erneut aus dem Gefängnis ausgebrochen ist, an ihm rächt. Im Knast kommt es zu einer Revolte und einer nächtlichen Schlacht, die Hasebe in einer wunderschönen Studiokulisse samt gemaltem Sonnenuntergang realisiert – hier knüpft der Film dann noch einmal an den visuellen Einfallsreichtum der ersten beiden Teile an.

Insgesamt ist GRUDGE SONG wieder etwas besser als der direkte Vorgänger BEAST STABLE, und wer diesen unverwechselbaren Seventies-Grit sowie japanische Exploitation aus jener Zeit mag, wird mit diesem vierten Teil gewiss seinen Frieden machen, aber die Luft ist dennoch ein bisschen raus. Der Charakter der Nami ist zu eindimensional, um noch ein echtes Interesse hervorzurufen, ihre Entwicklung ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwei Filmen völlig abgeschlossen und der Film demzufolge wenig mehr als ein routiniertes going through the motions. Das könnte sicher noch deutlich langweiliger ausfallen, aber es ist dann doch ganz gut, dass nach diesem vierten Teil vorerst Schluss war.

Der zweite Teil von Stieg Larssons Millennium-Trilogie nimmt im Gesamtkonstrukt eine ähnliche Rolle ein wie THE EMPIRE STRIKES BACK in George Lucas‘ STAR WARS-Trilogie: Beide malen den menschlichen Background ihrer Hauptfigur aus, beide warten dazu mit einer überraschenden Enthüllung auf und beide enden mit einem krassen Cliffhanger.

Nachdem der Journalist Mikael Blomqvist (Michael Nyqvist) in MÄN SOM HATAR KVINNOR die verstörte, eigenbrötlerische, aber brillante Hackerin und Researcherin Lisbeth Salander (Noomi Rapace) in der Ermittlung zu einem spektakulären Serienmordfall kennengelernt hatte, wird die junge Frau in der in Deutschland unter dem Titel VERDAMMNIS erschienenen Fortsetzung selbst zum Gegenstand eines Kriminalfalls, als sie wegen dreifachen Mordes verdächtigt und gesucht wird. Um ihre Unschuld zu beweisen, muss Blomqvist erst das Geheimnis ihrer Vergangenheit aufklären. Wie im Vorgänger stößt er dabei auf skurpellose Männerbünde und dubiose politische Machenschaften, deren Opfer erneut die Frauen sind: Lisbeth Salander zum einen, minderjährige zwangsprostituierte Immigrantinnen aus dem Ostblock zum anderen. Larsson verbindet im zugrunde liegenden Roman Elemente des Krimis, des Serienmörder- und Horrorfilms sowie des Psycho- und Politthrillers und zieht – wie bereits im Vorgänger – mit der geschickten Verflechtung der verschiedenen Handlungsstränge sowie dem ständigen Perspektivwechsel zwischen den handelnden Personen, vor allem natürlich zwischen den getrennten Verbündeten Mikael und Lisbeth, in Bann.

In der Verfilmung von Daniel Alfredson gelingt die Übertragung diesmal leider deutlich weniger gut als noch im ersten Teil. Vor allem der Aufbau wirkt überhastet und holprig: Während die Romanvorlage epischen Drive entwickelt und die Ahnung historischer, schicksalsträchtiger, tragischer Tiefe langsam einsinken lässt, gerät der Stoff in Alfredsons Händen zur wüsten Räuberpistole, die eine sorgfältige Konstruktion über weite Strecken gänzlich vermissen lässt. Das Hauptproblem des Films offenbart sich schon, wenn man sich anschaut, wie sich die beiden Teile des Director’s Cuts zum Buch verhalten: Teil 1 deckt die ersten rund 500 Seiten ab, Teil 2 die letzten 250. Kein Wunder, dass FLICKAN SOM LEKTE MED ELDEN „hinten raus“ deutlich an Klasse gewinnt, die erste Hälfte hingegen den Eindruck macht, die Produzenten hätten ständig zur Eile gemahnt. Der Tiefpunkt ist gewiss der Kampf zwischen dem Boxer Paolo Roberto (Paolo Roberto) und einem hünenhaften Killer, im Buch ein dramatisches Highlight: Alfredson lässt jedes Gefühl für Action, Kinetik und Drive vermissen, das die Szene gebraucht hätte, stattdessen wirkt sie billig, unbeholfen und mit ihren fehlgeleiteten Wisch- und Slomo-Effekten zudem ästhetisch hässlich. Für die Größe, die Larsson ohne Zweifel anstrebte, fehlten offensichtlich die Mittel. Das zeigt sich auch im Verzicht auf die Verfilmung des fulminanten Prologs des Buches, der schon beim Lesen aufwändig produzierte Filmbilder vor dem geistigen Auge vorüberziehen ließ und Larssons Ambitionen ziemlich deutlich machte. So muss man sagen: Gottseidank, dass die Produzenten die Finger davon gelassen haben.

Zur Ehrenrettung Alfredsons muss ich allerdings einräumen, dass Larssons Roman weit weniger dankbar zu verfilmen war als dessen Vorgänger. Oplev, Regisseur von MÄN SOM HATAR KVINNOR, profitierte auch davon, dass die Vorlage eine (mehr oder weniger) abgeschlossene Geschichte erzählte, die auch räumlich mit der Verortung auf einer winterlichen schwedischen Insel klar umrissen und stimmungsvoll zu bebildern war. FLICKAN SOM LEKTE MED ELDEN kann nicht allein für sich stehen und die Handlungsfäden, die er aufgreift und weiterspinnen muss, sind weit weniger klar voneinander abgegrenzt. Dazu kommt, dass die beiden Protagonisten, deren Freundschaft im Vorgänger das menschliche Zentrum bildete, nun getrennt voneinander kämpfen müssen. Das Buch bezieht seine Spannung im Wesentlichen daraus, dass es ganz langsam auf die Enthüllung hinarbeitet, während es die Schlinge um den Hals seiner Protagonistin kontinuierlich enger zieht. Larsson spielt sehr geschickt mit der Ökonomie der Informationsweitergabe. Um das filmisch adäquat umzusetzen, hätte es eines Scripts bedurft, dass nicht verzweifelt versucht, möglichst viel aus dem Buch in den Film zu retten, stattdessen stärker aussortiert und dafür die Zügel fester im Griff behält. Gerade im Bedürfnis, die Fans des Buches mit einer „originalgetreuen“ Adaption zu erfreuen, hat man den Bestseller seiner größten Stärke beraubt.

 

Wie die Millennium-Trilogie („Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“) von Stieg Larsson zum Kulturphänomen geworden ist, habe ich nicht mitbekommen. Ich erinnere mich an eine großformatige Werbeanzeige im Programmheft des Fantasy Filmfests, als die Verfilmungen erschienen, und war erst einmal skeptisch. Ich habe mich nie wirklich dafür interessiert, was sich hinter den Beststellern und den Bildern des gepiercten Emo-Mädels verbarg, vermutlich weil ich irgendeinen halbgaren Hype dahinter vermutete. Und ich weiß auch nicht, was mich letztlich dazu bewog, mir doch alle drei Romane zu kaufen – außer der Tatsache, dass ich irgendeinen leichten, spannenden Lesestoff als Urlaubslektüre brauchte und Lust auf einen Thriller hatte. „Verblendung“, der erste Band, lief dann zu meiner Überraschung rein wie nix. Längst keine selbstverständlichkeit, denn mit Romanen habe ich mich in den letzten zehn Jahren mehr als schwer getan, eigentlich fast nur noch Sachbücher und Biografien gelesen. Während des Lesens wuchs auch das Bedürfnis, den Filmen eine Chance zu geben: tatsächlich aus diesem recht einfachen Impuls heraus, zu sehen, wie Larssons Ideen (die schon in den Romanen so wirken, als habe er eine Verfilmung im Kopf gehabt) in Bilder umgesetzt worden waren. Hatte Regisseur Oplev das so hinbekommen, wie ich es mir beim Lesen ausgemalt hatte? Würde der im Director’s Cut immerhin dreistündige Film der ausladenden Struktur des 750-Seiten-Wälzers gerecht werden? Ich weiß gar nicht, wann mich solche Fragen zum letzten Mal beschäftigt hatten.

MÄN SOM HATAR KVINNOR wird der schwierigen Aufgabe gerecht – begnügt sich aber auch damit, das Buch unfallfrei ins Medium „Film“ zu übersetzen. Erwartungsgemäß ist der Film etwas straffer und etwas weniger elegant konstruiert und Oplev macht es sich bei der visuellen Gestaltung ziemlich leicht: Er bedient sich einer monochromen, kalten Optik, die zu Larssons von gewalttätigen Machtmännern, geknechteten Frauen und über Generationen gewachsenen oppressiven Strukturen bestimmten Welt wie auch zum skandinavischen Winter passt, und die – welch Zufall – seit Demmes THE SILENCE OF THE LAMBS der Standard für nihilistische oder zumindest pessimistische Serienmord- und Profiler-Thriller ist. Wer das Buch mochte, keine Zeit hat, es noch einmal zu lesen, und eine griffige visuelle Zusammenfassung braucht, ist mit der Adaption also gut bedient. Noomi Rapace, für die der Film Sprungbrett zu einer internationalen Karriere war, verleiht der verstörten, eigenbrötlerischen Goth-Hackerin ein einprägsames Gesicht und eine Körpersprache, in der man die zurückliegenden, noch verborgenen Peinigungen erahnt. Und es gelingt ihr auch, den „Freak“ atraktiv zu machen, ohne dass seine Ecken und Kanten abgeschliffen würden. Wer von einer Literaturverfilmung allerdings erwartet, dass sie einen eigenen Ansatz zur Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Stoff findet, den wird MÄN SOM HATAR KVINNOR eher nicht vom Stuhl hauen. Ich hätte mir ein bisschen mehr stilistischen Eigensinn gewünscht, vielleicht auch den Mut, von der erfolgreichen Vorlage ein Stück abzuweichen und eigene Wege zu gehen, aber vielleicht ist es auch einfach unrealistisch anzunehmen, dass die (vom deutschen ZDF mitfinanzierte) europäische Verfilmung eines Bestsellers, der vom Teenie bis zur Hausfrau auf Millionen von Nachttischen lag, mit künstlerischem Wagemut auftrumpfen würde.

Ich weiß nicht, ob die Verachtung, die vom Slant Magazine über dem Film (und en passant auch über Larssons Bücher) ausgekippt wurde, repräsentativ für die „intellektuelle“ Rezeption war, aber sie kommt für mich nicht ganz überraschend. Larssons Bücher sind sicherlich „Reißer“, die auf einige gut angehangene Exploitation-Motive zurückgreifen und sie zu einer makabren Mordgeschichte zusammenrühren. Erfolgreiche Männer mit aktivem Sexleben, Altnazis, berechnende Wirtschaftsverbrecher, schmierige, onkelhafte Vergewaltiger, perverse Frauenmörder, Judenhass und religiöse Verblendung  sowie mittendrin eine traumatisierte, bisexuelle Femme fatale mit Missbrauchsvergangenheit aber nichtsdestotrotz großem sexuellen Appetit:  Das ist nicht unbedingt eine subtile Mischung und Larsson (sowie sein Nachfolger Oplev) weiß zwar, wie er diese saftigen Elemente effektreich in eine bis zum Schluss spannende Geschichte integriert (bzw. diese aus ihnen heraus konstruiert), aber er kann auch nicht ganz verbergen, dass er ein Kerl ist. Die ausladende Geste, mit der die epische Kriminalgeschichte erzählt wird, kann die ihr inhärente Schmierigkeit und Sensationslust nicht vollständig verbergen. Im Film, der seinen Zuschauern die Aufgabe abnimmt, die Schöpfung des Autors selbst in Bilder zu kleiden, tritt dieser Sensationalismus erwartungsgemäß stärker in den Vordergrund. Alles wirkt gegenüber dem Fluch flacher, greller und, ja, auch irgendwie auf etwas unangenehme Art geiler. Wahrscheinlich ist es unvermeidlich, dass eine Seite wie Slant davon massiv getriggert wird und zu einer Tirade über „misogynistischen Trash“ ansetzt. Ich nehme es dem verstorbenen Autor Larsson voll und ganz ab, dass es ihm ernst war mit seiner Thematisierung der langen Geschichte gesellschaftlich geduldeter männlicher Gewalt gegen Frauen. Er wählte dafür aber das Sujet des massentauglichen Reißers, anstatt eine spitzfindige Anklage zu formulieren, die zwar auf die Zustimmung des intellektuellen Feuilletons gestoßen, aber leider von sonst niemandem gelesen worden wäre. Seine Lisbeth Salander ist vielleicht der Fantasie eines „weißen alten Mannes“ entsprungen, aber immerhin erdachte der eine Frau, die sich zu wehren weiß und sich nicht über die Zugehörigkeit zu einem edlen Ritter definiert. (Zum Vorwurf der Küchenpsychologie: Ich bezweifle, dass die Slant-Redaktion ihre Redakteure durch ein Psychologie-Studium schickt.) Ich finde es jedenfalls immer wieder überraschend, wie das Attribut „trashig“ mal als Lob, dann wieder als Abkanzelung verwendet wird. Wahrscheinlich liegt der Fehler von Larssons Buch und von Oplevs Verfilmung tatsächlich eher darin, dass sie ein Stück zu seriös, zu psychologisierend und eben nicht „trashig“ genug sind. Egal. Mir hat „Verblendung“ ausgezeichnet gefallen. Und der Film ist auch okay.

 

 

 

 

Bei der Konfrontation mit dem Kriminalbeamten Kondo (Mikio Narita), hackt die flüchtige Sasori (Meiko Kaji) diesem den Arm ab. Ihr Weg führt sie in das Haus der Prostituierten Yuki (Yayoi Watanabe), die zusammen mit ihrem geistig zurückgebliebenen Bruder lebt, dem sie immer wieder sexuelle Gefallen tut, um ihn ruhigzustellen – und sogar ein Kind von ihme erwartet. Sasori gerät aus Fürsorge für ihre neue Bekannte zwischen die Fronten eines Unterweltkampfes, bei dem sie auch ihrer alten Bekannten Katsu (Reisen Lee) wiederbegegnet, die ihr schon im Gefängnis das Leben zur Hölle gemacht hatte.

Nach dem psychedelisch-surrealen Vorgänger stellt der dritte Teil – auch der letzte, der von Itô gedreht wurde – eine Rückkehr zum schmutzigen, mit Elementen des Pinku versetzten Crime- und Rachefilms ersten Teil dar, der in dieser Inkarnation allerdings noch deutlich „trockener“ geraten ist. Inszenatorische Kabinettstückchen wie die sich drehenden Bühnenbilder sucht man hier vergebens, im Gedächtnis bleibt hier eher die mit versteckter Kamera gedrehte Sequenz zu Beginn, während der die Titelheldin mit dem abgetrennten Arm Kondos durch die Straßen Tokios rennt, vorbei an ihr verdutzt nachblickenden Passanten. Was die wohl zu Hause erzählt haben?

Ich habe den Film schon vor zwei Wochen gesehen und die Erinnerung ist etwas verblasst, deshalb ist dieser Text hier unter „Pflichterfüllung“ einzusortieren: FEMALE PRISONER SCORPION: BEAST STABLE ist ein hübscher Exploiter, dem aber der kreative Drive der ersten beiden Teile ziemlich abgeht. Meiko Kaji reißt es raus und den ein oder anderen schönen visuellen Einfall gibt es auch wieder, aber wirklich mitgerissen hat mich der Film nicht mehr. Er ist allerdings noch um Lichtjahre stärker als der enttäuschende Abschluss, den es dann demnächst irgendwann hier gibt, wenn ich hoffentlich wieder mehr Lust aufs Schreiben habe.

Nami Matsushima (Meiko Kaji), Amüsiermädchen in einem Rotlichtbetrieb, wird von dem Kriminalbeamten Sugimi (Isao Natsuyagi), mit dem sie eine glückliche Liebesbeziehung unterhält und der gegen ihre Arbeitgeber ermittelt, verraten. Im Gefängnis sieht sie sich einer ganzen Reihe von Demütigungen ausgesetzt, sowohl durch die sadistische Anstaltsführung als auch durch die weiblichen Mitgefangenen. Doch Nami hält durch, beseelt von der Durst nach Rache an dem Verräter …

FEMALE PRISONER #701: SCORPION, der Auftakt zur vierteiligen Filmreihe (spätere Neuadaptionen nicht mitgezählt) um die stoische Rächerin Nami, die zur Ikone und Kultfigur heranreifte, trägt die typischen Zeichen eines Debütfilms. Vordergründig ein konzentrierter Exploiter mit klar herausgearbeiteter Storyline, sind es die zahlreichen visuellen Raffinessen und Regieeinfälle, die die Grenze zum experimentellen Avantgardefilm immer wieder verwischen. So inkorporiert Itô in der via Rückblende erzählten „Origin-Story“ etwa Elemente wie schwenkbare Bühnenbilder, um den Fortgang der Zeit zu verdeutlichen, sichtbare Szenenübergänge zu schaffen und die Form des reinen Erzählfilms aufzubrechen. Krasse Beleuchtungseffekte erinnern an expressionistische Horrorfilme, unterwandern jeden zaghaften Versuch in Sachen Realismus und verwandeln seinen Film in einen grellen, abstrakten Comic Strip (der Film basiert auf einer Manga-Reihe), der ebenso den japanischen Machismo geißelt wie er dem Fetisch weiblicher Leidensfähigkeit einen reizvoll schillernden Altar baut.

Dass das alles nicht in die misogynistischen Abgründe des Schmierfilms abgleitet, in denen es sich weite Teile des WiP-Films häuslich eingerichtet haben, liegt zum einen an Itô, der keinen Zweifel daran lässt, wie seine Sympathien verteilt sind, zum anderen an Meiko Kaji, die der wilden Entschlossenheit ihrer schweigsamen Rächerin große Anmut und inspirierende Standfähigkeit verleiht. Wenn sie unter den drohenden Augen ihrer Peiniger auch dann noch weiter an ihrem Loch gräbt, als ihre weiblichen Mithäftlinge links und rechts von ihr vor Erschöpfung zu Boden sinken, wenn jede Demütigung an ihr abprallt, sie alles über sich ergehen lässt, weil sie weiß, dass ihr Moment kommen wird, dann sieht man in sie in der guten Gesellschaft meist männlicher Kino-Stoiker – die jedoch anders als sie nur höchst selten als geschlechtliche Wesen aufs Korn genommen wurden.

Itô inszeniert seinen Film mit der unbändigen Kreativität eines Mannes, der jeden visuellen Einfall, der ihn in den Jahren zuvor geplagt hat, auf die Leinwand bringen möchte. FEMALE PRISONER #701: SCORPION birst förmlich vor Experimentierfreude, doch er verliert darüber nie den roten Faden. Wenn seine Protagonistin am Ende ihre Rache bekommt, als schwarzer Engel mit eng anliegendem Mantel und breitkrempigem Hut auf die Jagd geht, schreibt Itô sogar Genrekino-Geschichte. Die Sequels – der nun endgültig in den Bereich der Psychedelik diffundierende zweite Teil FEMALE PRISONER SCORPION: JAILHOUSE 41, der aufgeräumtere dritte FEMALE PRISONER SCORPION: BEAST STABLE und in geringerem Maße der von Yasuharu Hasebe inszenierte Abschluss FEMALE PRISONER SCORPION: #701’s GRUDGE SONG – haben allesamt ihre Stärken und Momente, aber weder bekommen sie die Gratwanderung zwischen raumgreifendem Mitteilungsbedürfnis und größter Konzentration auch nur annähernd so gut hin wie das Original noch haben sie diese Momente für die Ewigkeit. FEMALE PRISONER #701: SCORPION hingegen ist ein echter Klassiker, den jeder Freund des abseitigen Kinos auf dem Zettel haben sollte.

Ich gehöre ja zu den Menschen, die TURBO KID ziemlich schrecklich finden. Er ist sicherlich gut gemeint und nicht vollends unerträglich, aber eben genau jene Sorte von Fanservice, Zitatekino und Nerdjerking, mit der ich einfach nichts anfangen kann, die ich grauenvoll unproduktiv finde. Besonders schlimm: Dieses Eighties-Nostalgiegedöns, bei dem man merkt, dass die Urheber die Achtziger auch nur aus komischen Retroshows kennen. SUMMER OF 84 ist der Nachfolger von TURBO KID und macht weiter mit dem Achtziger-Worshipping, auch wenn das hier stärker in den Hintergrund rückt und der Film diese Zeit nur als  (allerdings ziemlich willkürlich gewählten) Rahmen für seine Geschichte verwendet. SUMMER OF 84 ist besser und „reifer“ und auch so angelegt, aber diese Anlage offenbart nun auch endgültig, dass die Filmemacher nicht wirklich etwas zu sagen haben. Auch wenn man TURBO KID ätzend fand, konnte man ihm zugutehalten, dass er immerhin den nötigen Drive und auch einen gewissen Witz mitbrachte, wenn man diesen Humor auch nicht teilte. SUMMER OF 84 läuft zwar gut rein, er ist „funktionabel“, wenn man so will, aber am Ende bleibt einfach nichts übrig. Ein Film, der nicht in erster Linie über seine Schauwerte, Gags und Effekte funktioniert, sollte etwas zu sagen haben. SUMMER OF 84 ist ganz nettes Entertainment, aber er versagt auf dieser Ebene völlig. Er zeigt ziemlich deutlich, dass diese Art von Rückwärtsgewandtheit völlig leer und sinnlos ist, wenn man keine Haltung zu der Zeit und ihren kulturellen Artefakten findet, die man da referenziert.

Der Teenie Davey Armstrong (Graham Verchere) ist der festen Überzeugung, dass sein Nachbar, der Polizist Wayne Mackey (Rich Sommer), der Serienmörder ist, der seit einiger Zeit im County sein Unwesen treibt und es hauptsächlich auf Knaben wie Davey abgesehen hat. Mehrere Hinweise erhärten den Verdacht und so bringt Davey seine Kumpels dazu, auf eigene Faust zu „ermitteln“. Als ihr Detektivspiel auffliegt und Mackey nur wenig später einen Verdächtigen verhaftet, scheint der Fall erledigt. Aber Davey ist immer noch von der Schuld des Polizisten überzeugt.

Eine Prise STAND BY ME, etwas Stephen Kings „Es“ (oder auch die nur ein Jahr zuvor überaus erfolgreich gelaufene Verfilmung), schließlich deutliche Anleihen bei FRIGHT NIGHT, dessen Vampir durch einen ordinären Serienkiller ersetzt wird: So in etwa lässt sich SUMMER OF 84 zusammenfassen. Will man es positiv wenden, so kann man konstatieren, dass es dem Regisseursteam gelungen ist, einen Film zu inszenieren, der die Vorbilder sehr originalgetreu emuliert. Die heterogene Protagonistenschar – zu den Kumpels, die alle einen bestimmten Typus repräsentieren, gesellt sich auch noch die scharfe, etwas ältere Nikki (Tiera Skovbye) – wird mit einigen wenigen Pinselstrichen zum Leben erweckt, das unschuldige Detektivspiel gerät mehr und mehr außer Kontrolle, und hinter dem biederen Antlitz des Killers steckt natürlich die wachsende Erkenntnis, dass die behütete Kindheit bald zu Ende und die Welt da draußen voller Gefahren und unangenehmer Überraschungen ist. Das kennt man, das funktioniert, auch zum hundertsten Mal noch. Aber das ist es dann auch schon. Die als große Erkenntnis dargebotene Weisheit, dass sich hinter dem Nachbar ein kranker Mörder verbergen kann, ist wohl einer der abgedroschendsten Standards des Horror- und Serienmörderfilms und der Hinweis auf Ronny und seine Reaganomics ist wahrscheinlich gesetzlich vorgeschrieben, wenn man einen Film über die American Eighties drehen will. Ansonsten reduzieren sich die Referenzen auf Band-T-Shirts, Poster, Plattencover und Soundtrack sowie den ein oder anderen hingeworfenen Dialogsatz. SUMMER OF 84 könnte genauso gut in den Sechzigern, Siebzigern, den Neunzigern oder den Nullern spielen, der Zeitrahmen ist reiner Zierrat, dessen einzige Funktion darin besteht, die anvisierte Zielgruppe zu triggern. Gähn.

Es ist etwas undankbar, den Film zu kritisieren: Er macht eigentlich nichts falsch, aber das liegt eben auch nicht zuletzt daran, dass er absolut nichts Neues, Eigenes ausprobiert. SUMMER OF 84 ist das filmische Äquivalent zur Coverband. Unter Umständen ganz nett, musikalisch vielleicht sogar beeindruckend, aber eben doch nur ein Abklatsch des Echten.

 

Zuerst: Ich habe keinen einzigen Roman aus Lee Childs Reihe um den Titelhelden aus McQuarres Film gelesen, kann also wenig dazu sagen, inwiefern der Figur da Recht oder Unrecht widerfahren ist. Der Film hat mir ganz gut gefallen, aber er hat auch seine Probleme, die man auch ohne Kenntnis der literarischen Vorlage bemerkt.

Wie eigentlich immer, wenn eine beliebte Romanfigur den Weg auf die Leinwand findet, waren die Liebhaber auch im Falle von JACK REACHER damals enttäuscht. Die Besetzung mit Superstar Tom Cruise wurde durchaus kontrovers diskutiert, zumal mit ihm in der Haupt- und Titelrolle auch klar war, dass die Härten der Romane zugunsten der Massenverträglichkeit weichen mussten. Reacher ist ein mit allen Abwassern gewaschener Superprofi, Ex-Militärpolizist mit undurchsichtiger Vergangenheit, ein Loner, der, wenn er will, jahrelang von der Bildfläche verschwindet, Menschen mit einem gezielten Schlag zum Krüppel machen kann, zudem über das Denkvermögen eines avancierten Schachcomputers, ein fotografisches Gedächtnis und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn verfügt. Die Figur ist, wie man dieser Beschreibung entnehmen kann, ein echter Supermann, für den Cruise, dessen MISSION:IMPOSSIBLE-Held Ethan Hunt ähnlich übermachtig, aber deutlich comichafter angelegt ist, in vielerlei Hinsicht die Idealbesetzung darstellt. Es gibt wahrscheinlich niemanden, der eine solch übertriebene Figur auf der Leinwand glaubwürdig verkörpern kann, ohne dafür auf entwaffnende Selbstironie zurückgreifen zu müssen. Cruise ist selbst eigentlich kaum noch ein Mensch, sondern eine Entertainment-Maschine, die in ihrem eigenen Kosmos schwebt, bevor sie sich wie einst Zarathustra dazu herbalässt, wieder einmal zu den Sterblichen hinabzusteigen. Er ist wahrscheinlich der größte Actionstar der Welt, aber er hat sich diesen Ruf nicht unbedingt mit Filmen unbarmherziger Härte erkämpft, wie seine Kollegen. Für JACK REACHER ist das schon auch ein Problem, wenngleich nicht das größte.

Der Film, der auf dem Roman „Sniper“ basiert, beginnt mit dem Attentat eines Scharfschützen (Jai Courtney), der anscheinend wahllos fünf Passanten am Ufer des Ohio Rivers erschießt. Alle Beweise führen zu einem ehemaligen Scharfschützen aus dem Irak-Krieg, der aber keine Stellung zu seiner Involvierung nehmen will (der Zuschauer weiß, dass er es nicht war). Das einzige, was er sagt, ist ein Name: Jack Reacher. Der taucht wenig später in Pittsburgh auf: Er hatte den Verdächtigen, der in Bagdad mehrere US-Soldaten erschossen hatte, damals festgesetzt, musste dann aber mitansehen, wie er freigelassen wurde, weil seine Opfer ordentlich Dreck am Stecken hatten und das Militär keinen Staub aufwirbeln wollte. Nun hofft Reacher, den Mann endlich zur Strecke zu bringen, doch je mehr er sich mit dem Fall beschäftigt, umso mehr wachsen die Zweifel an seiner Schuld. Die Staatsanwältin Helen Rodin (Rosamund Pike) steht ihm bei seinen Ermittlungen zur Seite.

JACK REACHER profitiert zum einen von der immensen Coolness seines Stars, der die allumfassende Souveränität und Abgezocktheit Reachers glaubwürdig verkörpert, und dem Drehbuch McQuarries, der offensichtlich große Freude daran hat, ihm eine geeignete Plattform für seine Show zu liefern. Das Timing stimmt, die Dialoge sind pointiert und erinnern auch sehr schön an die Hard-Boiled-Tradition der Romanvorlage, der der Film in den mit angezogener Handbremse inszenieren Gewaltszene nicht immer gerecht wird. Ein paar mehr Härten hätten JACK REACHER nicht geschadet, wie er aller guten Ansätze zum Trotz und sehr im Kontrast zu seiner subject matter überhaupt etwas bieder und leblos geraten ist. Das zeigt sich etwa in der ausgedehnten Sequenz, in der uns alle Opfer des Amokschützen als unbescholtene Tugendbolzen präsentiert werden, samt pathetischem Musik- und Zeitlupeneinsatz, wenn sie dann noch einmal effektreich ins Gras beißen dürfen. Nach der sehr gelungenen Einführung – der Auftritt Reachers etwa ist wunderbar – wird der Film zusehends stromlinienförmiger, bis er nach viel zu langen zwei Stunden in sein austauschbares Finale mündet, bei dem mich die Hintergründe des Falls schon kaum noch interessierten. Schade ist es vor allem um Werner Herzog, der hier eine sehr schöne Darbietung als diabolischer Schurke abliefert, aber trotzdem wie ein zusätzlich aufgepfropftes Gimmick wirkt: Wie er sich in die verschwurbelte Geschichte einfügt, habe ich dann auch nicht so ganz geblickt.

Unterm Strich dennoch ein ganz hübscher Film, für mich als Cruise-Apologeten und Rosamund-Pike-Schwärmer sowieso, und für Freunde des Hard-Boiled-Thrillers auch. Ist doch schön, dass es solche ernsten Thriller ohne irgendwelchen Schnickschnack noch gibt. Das kann man, bei allen kleineren Fehlern, gar nicht ausreichend loben.

 

Tief dringt die Kamera ein in das enigmatische Funkeln eines Rohdiamanten, fliegt immer tiefer hinein, als verberge sich eine ganze Welt in dem über Tausende, wenn nicht Millionen von Jahren hoch verdichteten Mineral. Heraus findet sie über den Darm des Diamantenhändlers und Juweliers Howard Ratner (Adam Sandler), der sich gerade einer Koloskopie unterzieht. Ist UNCUT GEMS vielleicht eine bittere Satire über den gnadenlosen Verwertungskreislauf des Kapitalismus, der sich alles einverleibt, nur um die unbrauchbaren Reststoffe am Ende wieder auszuscheißen? Leider ist der Film deutlich banaler, was auch das Wiederaufgreifen der oben genannten Kamerafahrt am Ende belegt: Das Leben, so wollen die Safdies sagen, ist ein unvorhersehbares Wagnis, ein Labyrinth aus verlockenden Irrwegen und Sackgassen. Und das große Ziel, das man anscheinend vor Augen hat, ist vielleicht doch nur der eigene Tod.

Der von Netflix produzierte UNCUT GEMS wurde in den letzten Monaten gehypt wie kaum ein zweiter Film des vergangenen Jahres. Und der von der „intelligenten“ Filmkritik so verhasste Adam Sandler sah sich aufgrund seiner Darstellung des spielsüchtigen, gedemütigten und vom Pech verfolgten Ratner plötzlich als verkanntes Genie und schauspielerischer Gigant rehabilitiert (dass man dieselbe Offenbarung schon vor fast 20 Jahren anlässlich von Paul Thomas Andersons PUNCH-DRUNK LOVE erlebt hatte, ist schon längst wieder vergessen). Wer Sandler positiv oder auch nur unvoreingenommen gegenübersteht, den wird seine Leistung in UNCUT GEMS hingegen weniger überrascht haben: Zum einen hatte er bereits in einigen anderen Filmen angedeutet, dass er sein Handwerk zweifellos versteht (siehe oben) und mehr kann, als den Clown zu geben. Zum anderen können nur die verblendetsten Hater übersehen, dass Sandler ja auch in diesen vermeintlich „schlechten“ Filmen eine unleugbare Präsenz ist. UNCUT GEMS ist durchaus sehenswert, aber wer hier in der Hauptrolle nicht diese „Offenbarung“ erlebt, der wird auch dem Rest gelassener gegenüberstehen; und dann wahrscheinlich bemerken, dass UNCUT GEMS alles andere ist als die Neuerfindung des Rades.

Was ihn auszeichnet, ist sein manisches Tempo: Die Dramaturgie entspricht der sprichwörtlichen Achterbahnfahrt, bei der es hier aber immer nur abwärts geht. Zu Beginn scheint noch der große Reibach für Howard anzustehen, denn er hat einen raren Opal aus Äthiopien aufgetrieben, einen mystisch aufgeladenen, uralten und angeblich mit magischen Kräften ausgestatteten Stein, für den er auf einer New Yorker Auktionen einen hohen Millionenbetrag zu erzielen hofft. Man ahnt da schon, dass Howie vielleicht etwas zu optimistisch mit seiner Schätzung sein könnte, aber bevor es zur Auktion kommt, gibt es zahlreiche weitere Hürden zu überwinden. Kevin Garnett, der Basketballprofi aus Boston, muss den Opal als Glücksbringer haben und dem Juwelenhändler gelingt es nicht, ihm diesen Wunsch abzuschlagen. Den Meisterschaftsring, den er von Garnett als Pfand erhält, verpfändet er, um Bargeld für eine riskante Wette zu haben: Ihm is klar, dass Garnett mit dem Opal im Gepäck ein sensationelles Spiel hinlegen wird. Mit dem Gewinn will er die Schulden bei Arno (Eric Bogosian) begleichen, der langsam die Geduld mit dem Verwandten verliert, von dem er immer nur vertröstet wird, und natürlich den Ring zurückkaufen. Tatsächlich landet Howard mit seiner Wette einen Riesencoup, doch er ist trotzdem der Verlierer: Arno hat die Wette canceln lassen und so hat der Pechvogel nicht nur kein Geld gewonnen, sondern auch das Problem, dass er den Ring zurückkaufen muss, um wieder an seinen Opal zu kommen. Diese Episode ist aber nur ein Glied in einer engmaschigen Kette aus Verstrickungen, Schicksalsschlägen und Fehlentscheidungen, mit denen sich der Protagonist kontinuierlich und gnadenlos in die Scheiße reitet – bis UNCUT GEMS nach rund zweieinhalb Stunden genauso endet, wie man das eigentlich von Anfang an erwartet hat.

Das ist unterhaltsam, auch spannend, vor allem aber aufreibend und anstrengend, weil es kaum einmal einen Moment der Ruhe gibt. Das betrifft sowohl die beschriebene Dramaturgie als auch die Hochfrequenzdialoge und den Schnitt. Und inhaltlich ist der Film ähnlich eindimensional: UNCUT GEMS spielt in einer Welt, in der ständig alle dem großen Geld hinterherrennen oder aber sich selbst verkaufen. Echte Vertrauensbeziehungen gibt es nicht, vielmehr umschleichen sich alle wie die lauernden Raubtiere, nur auf den Moment wartend, in dem der andere eine Schwäche zeigt und zu Fall gebracht werden kann. Dinah (Idina Menzel), Howards Noch-Ehefrau hat für ihren Gatten nur noch offene Verachtung übrig, die gemeinsame Tochter nimmt ihn auch nicht mehr ernst. Aber noch nicht einmal in seinem Beruf kommt Howard zur Ruhe: Deals platzen, verprellte Kunden bezichtigen ihn des Betrugs, das automatische Schließsystem der Tür fällt immer wieder aus und zwingt betuchte Kunden, in der engen Schleuse auszuharren, bis das technische Problem mit Mühe und Not gelöst ist. Natürlich bringt auch der Opal nicht die erhofften Millionen und selbst das, was er wert ist, kann Howie nicht einstreichen. Er ist für diese Welt einfach nicht gemacht, aber man bekommt als Zuschauer einfach keinen echten Einblick, worin sein Versagen eigentlich besteht: Kommt zu seiner Spielsucht, seinem Leichtsinn und seiner linkischen Art gar auch noch berufliche Inkompetenz hinzu? Hier bleibt UNCUT GEMS leider zu vage. Letztlich erzählt er die geschickt, aber trotzdem überkonstruierte Geschichte eines Süchtigen, der alle Mäßigung verliert und dafür bestraft wird. Das ist alles andere als revolutionär und in der hier dargebotenen Schärfe nicht nur unproduktiv, sondern fast ein wenig sadistisch.

Schön ist die Cinematografie von Darius Khondji, der überwiegend auf Schwarz- und Grautöne setzt, dann aber immer wieder grelle Farbpunkte wie Lichtreflexe in einem Diamant aufblitzen lässt. Auftritte von Basketballprofi Garnett, Soul-Crooner Abel Tesfaye aka The Weeknd oder das Tilda-Swinton-Cameo passen ebenfalls ins Bild. Aber letztlich ist UNCUT GEMS tatsächlich in erster Linie ein Showcase für Sandler, der nahezu jede Szene bestreitet und die ernste, „realistische“ Variante seiner liebenswerten Clowns und Losers geben darf. Er überzeugt auf ganzer Linie und sorgt auch wesentlich dafür, dass einem Howies Schicksal nicht am Arsch vorbeigeht. Er ist somit aber nicht das i-Tüpfelchen auf einem Meisterwerk, sondern der Faktor, der UNCUT GEMS überhaupt erst zum Gesprächsthema macht. Über den Rest muss man wirklich nicht nach Hause schreiben.

Paul Verhoevens sechster Langfilm ist auch der letzte, den er in den Niederlanden produzierte. Direkt im Anschluss folgte er dem Ruf Hollywoods, wo zwei Jahre später sein düsterer Historienfilm FLESH & BLOOD erschien. Ich habe Verhoevens Frühwerk leider noch nicht begutachtet, aber wenn man DE VIERDE MAN sieht, ahnt man schon, dass es für den Filmemacher in seiner Heimat nicht mehr viel Luft nach oben gab. Um weiterzukommen, sich neuen Herausforderungen zu stellen und seine Kunst weiterzuentwickeln, musste er fast zwangsläufig über den großen Teich gehen. Das heißt nicht, dass DE VIERDE MAN von irgendwelchen Makeln oder Kompromissen beeinträchtigt würde, im Gegenteil. Er ist nahe dran an der Perfektion, dazu von einer formalen Geschliffenheit und dramaturgischen Pointierung, die man sonst eigentlich mit Hollywood assoziiert. Die provokante subject matter erinnert noch am ehesten daran, dass dieser Film europäischen Ursprungs ist, aber wie wir wissen, half Verhoeven den Amerikanern ja auch in dieser Hinsicht auf die Sprünge. Es grenzt demnach an Ironie, dass ausgerechnet dieser Film, der Verhoevens Sprung über den großen Teich unabwendbar machte, in den Niederlanden weniger Geld einspielte, als seine vorangegangenen Filme.

Für DE VIERDE MAN, der auf dem gleichnamigen Roman von Gerard Reve basiert, vereint der Regisseur Elemente des Künstlerdramas, des Film noir und des Thrillers miteinander. Der bisexuelle, alkoholsüchtige und überaus zynische Schriftsteller Gerard Reve (Jeroen Krabbé) reist für eine Lesung nach Vlissingen, wo er die attraktive Christine (Renée Soutendijk) kennenlernt und sofort mit ihr anbändelt. Sein Interesse an ihr steigt, als er herausfindet, dass sie nicht nur überaus wohlhabend, sondern auch mit dem gutaussehenden Herman (Thom Hoffman) liiert ist. Die Offenbarung, dass Christine bereits dreimal verheiratet war und alle drei Männer unter mysteriösen Umständen ums Leben kamen, stürzt den eh schon von Halluzinationen geplagten Autor vollends in die Krise.

DE VIERDE MAN ist das Porträt eines Künstlers kurz vor dem Zusammenbruch: Reve ringt mit seiner Alkoholsucht, seiner Kunst und seiner finanziellen Situation, dazu kollidiert seine Sexualität hart mit seinem Katholizismus, den er als Grundlage seiner Kunst verteidigt, auch wenn er alles andere als fromm ist. Tagträume, Halluzinationen, Mord- und Todesfantasien sind sein ständiger Begleiter und lassen ihn zunehmend an seinem eigenen Verstand zweifeln, gleichzeitig lässt er sich obsessiv von seinen Trieben leiten. Er stellt sich vor, wie er seinen Liebhaber erwürgt, jagt dann einem jungen Mann nach, dem er im Bahnhofskiosk begegnet. Er tritt ein in das Bild eines Hotels, das in seinem Zugabteil hängt, und wird von der Vision einer blutenden Tür aufgeschreckt: Aus der Reisetasche einer jungen Mutter, die ihm immer wieder über den Weg läuft und die er als Marienerscheinung interpretiert, ist Tomatensaft aus- und über das Bild gelaufen. Bei der Lesung filmt ihn die kühle blonde Christine, entführt ihn dann in ihr riesiges Haus, in dem sie einen Schönheitssalon mit dem Namen „Sphinx“ betreibt: Weil das „h“ und das „x“ der Leuchtreklame defekt sind, lautet das Schild einfach „Spin“ – Niederländisch für Spinne. Während sich Reve von der jungen Frau aushalten lässt, wächst sein Verdacht, dass er in Gefahr schwebt. Er träumt von seiner Kastration, sieht immer wieder Trugbilder und Zeichen seines nahenden Todes. Seine Paranoia nähert sich dem Gipfelpunkt, als er Herman begegnet, für den er eine heftige Leidenschaft verspürt und mit dem er eine heimliche Affäre beginnt. Es ist klar, dass das alles in einer Katastrophe enden muss.

Verhoeven inszeniert diese Geschichte mit viel visuellem Flair und aufdringlicher Symbolik: Er sagte seinerzeit, er habe es mit christlichen Symbolen bewusst übertrieben, um die Kritiker, die ihm zuvor stets nackten Sensationalismus vorgeworfen hatten, an der Nase herumzuführen. Er schafft so eine sehr künstliche Oberfläche, nicht unähnlich den Giallos, die Argento einst so meisterhaft inszenierte, aber mit weniger akademischer Strenge und mehr Humor. Zu seinem Protagonisten hat Verhoeven ein ambivalentes Verhältnis: Er schätzt seinen Witz und seinen ätzenden Zynismus („Es gibt eh bald Krieg“, sagt Reve mehrfach), seine Spontaneität und seine Fantasie, aber er hält ihn auch für einen hoffnungslosen Narziss mit Hang zum Drama und einem auffallenden Mangel an Selbstkontrolle. Jeroen Krabbé gelingt es auf brillante Art und Weise, diesen nun nicht gerade durchschnittlichen Charakter zum Leben zu erwecken und ihn und seine psychische Disposition nachvollziehbar und greifbar zu machen. DE VIERDE MAN ist zunächst ein formal beeindruckendes filmisches Vexierspiel, so schillernd und trügerisch wie ein Spiegelkabinett oder ein Glaslabyrinth, aber dahinter verbirgt sich mehr. Der Film ist auch eine Auseinandersetzung mit einer Generation – der des Regisseurs und seines Hauptdarstellers, Jahrgang 1938 respektive 1944 -, die es gewohnt ist, die Deutungshoheit über die Dinge zu haben und der plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen wird.