Letzte oder vorletzte Woche wurde der BILD-Briefschreiber Franz Josef Wagner in den sozialen Medien für seinen Kommentar zum Terroranschlag in Neuseeland kritisiert bzw. durch den Kakao gezogen: Wie es so seine Masche ist, hatte er aus dem tragischen und sinnlosen Tod Hunderter Unschuldiger eine persönliche Sache gemacht. Das wirklich Furchtbare an dem Massaker in einer Moschee, seien nicht die vielen Toten, sondern dass nun auch sein „Sehnsuchtsland“ Neuseeland seine Unschuld verloren habe. Ich will über diesen geistigen Dünnschiss hier gar nichts weiter sagen, aber dass Neuseeland in unseren kollektiven Hirnen als geradezu utopisch freundlich, friedfertig und auf eine gewisse anrührende Art und Weise rückständig gespeichert ist, scheint mir eine bemerkenswerte Tatsache, deren Ursprung man mal ergründen sollte. Und kaum weniger bemerkenswert ist es, dass einige neuseeländische Filmschaffende dieses Klischee nur zu bereitwillig fortschreiben und damit eine sehr eigene Form von Humor geschaffen haben. Peter Jacksons Frühwerk bezieht seinen Reiz nicht zuletzt aus dem putzigen Englisch, das auf der Insel gesprochen wird, und aus den durch und durch bodenständigen Charakteren, die mit ihrem irdischen Dasein voll und ganz ausgelastet sind. Auch die Comedy-Serie FLIGHT OF THE CONCHORDS, die von zwei hoffnungslos weltfremden und naiven, in ihrem Umgang mit Konflikten geradezu kindlichen neuseeländischen Mistern in New York handelt, arbeitet sich genüsslich am Vorurteil des nahezu außerirdischen Neuseeländers ab. (Ich könnte auch noch die Stunt-Komödie THE DEVIL DARED ME TO anführen, die in eine ganz ähnliche Kerbe haut.)
WHAT WE DO IN THE SHADOWS basiert auf einem Kurzfilm, den Regisseur Taika Waititi bereits im Jahr 2005 gedreht hatte und es gelingt ihm vor allem aufgrund dieses „neuseeländischen“ Humors, mit einer Prämisse wegzukommen, die im Jahr 2014 eigentlich keinen Hund mehr hätte hinter dem Ofen hervorlocken dürfen: Es handelt sich um eine Mockumentary, die den Alltag einer neuseeländischen Vampir-WG mit der obligatorischen Wackelkamera einfängt. Der Witz besteht wie bei so vielen Vertretern dieses Subgenres darin, Themen und Motive, die zuvor der Sphäre des Fantastischen zuzuordnen waren, zu banalisieren: Die Vampire streiten, weil einer der Bewohner nie den Abwasch macht oder weil die Blutsaugerei im Wohnzimmer hässliche Flecken auf dem Teppich hinterlässt, sofern man keine Zeitungen unterlegt. Wenn die Konflikte ausarten, fauchen sich die Streithähne an und fliegen an die Decke. Vor de Spiegel werden alberne Scherze gemacht. Es gibt eine Art Haushälterin, die den Vampiren neue Opfer beschert, um im Gegenzug irgendwann mit der Unsterblichkeit belohnt zu werden – natürlich eine reine Hinhaltetaktik. Und als eines der Opfer – ein Machotyp mit selbstdarstellerischen Tendenzen – mehr aus Versehen nicht umgebracht, sondern zum Vampir gemacht wird, gibt es Probleme, weil der Neue mit seinem Vampirdasein hausieren geht und so schon bald einen Vampirjäger anlockt. Ein weiterer Konfliktherd ist eine Gruppe von Werwölfen, denen die Vampire bei ihren nächtlichen Streifzügen immer wieder begegnen: Die beiden verfeindeten Lager stehen sich dann gegenüber wie in einer albernen Version der WEST SIDE STORY und überziehen sich mit kindischen Beleidigungen, wobei die Vampire mit ihren Fauchanfällen als weibische Theatraliker, die Werwölfe als bessere Hunde diffamiert werden. Das alles ist durchaus witzig, aber wirklich charmant wird es erst durch diese spezielle neuseeländische Bescheidenheit und Freundlichkeit, die die Idee eines Blutsauger von way down under an sich schon zu einem Absurdion macht.
Als Erzähler und Moderator fungiert der zuvorkommende Viago (Taiga Waititi), eine Art Dandy in altmodischen Rüschenhemden, und so etwas wie die Mutter-Figur der Gruppe. Seine schüchtern-zuvorkommende Art steht in krassem Widerspruch zur bestalischen Blutgier, die er an de Tag legt und die ihm ein bisschen peinlich scheint. (Er veranstaltet eine riesige Sauerei, als er die Halsschlagader seines Opfers trifft, aber er bleibt positiv, denn sie scheint „eine gute Zeit“ gehabt zu haben. Deacon (Jonathan Brugh) bezeichnet sich als den „jungen Wilden“ und inszeniert sich als Rebell, als Rockstar, der natürlich mit Viago ständig über Kreuz liegt. Vladislav (Jemaine Clement) spricht mit slawischem Akzent und gefällt sich in der Rolle des romantisch-mystischen Dämons, dem dabei aber dieser nur wenig glamouröse neuseeländische Background im Weg steht. Und im Keller wohnt schließlich doch der 3.000 Jahre alter Petyr (Ben Fransham), ein blutrünstiges Monster, das von den Maskenbildnern nach dem Vorbild von Max Schrecks Nosferatu modelliert wurde und auf den lustigen Gemeinschaftsbildern der WG wie ein Fremdkörper heraussticht. Dann kommt da noch der unerfahrene und unbeherrschte Nick (Cori Gonzalez-Macuer) dazu sowie dessen menschlicher Freund Stu (Stuart Rutherford), der sich in der neuen Gemeinschaft sichtlich unwohl fühlt, aber dabe bleibt, weil er sonst niemanden hat. Er mausert sich im letzten Drittel des Films zum eigentlichen Helden: Wie er da immer etwas misstrauisch, aber beharrlich schweigend zwischen den Blutsaugern steht, ist zum Niederknien. Bei aller Albernheit bleibt WHAT WE DO IN THE SHADOWS sehr zurückhaltend, verliert sich selten in wüstem Slapstick oder gar der Hysterie. Und das ist genau der richtige Ansatz: Es sind nicht so sehr die Vampire selbst, die komisch sind, sondern vor allem die Umstände, unter denen sie ihr Leben fristen müssen. Sie sind mit all ihren Gewohnheiten Fremdkörper im Neuseeland des frühen 21. Jahrhundert, aber sie müssen das Beste aus ihrer Situation machen. WHAT WE DO IN THE SHADOW ist bei allem Witz auch ein schöner Film darüber, wie man seine Identität unter widrigen Umständen bewahrt – und dass es keine Schande ist, ein Sonderling zu sein.