Mit ‘Walter Brennan’ getaggte Beiträge

Gleich zu Beginn, macht Wyatt Earp (Henry Fonda) vor der imposanten Kulisse des Monument Valley mit dem vorbeireitenden Old Man Clanton (Walter Brennan) Bekanntschaft, der ihm das naheliegende Tombstone als „große, schöne, offene Stadt“ ans Herz legt. Zwei Dinge passieren während dieses kurzen Dialogs: Zum einen weiß der Zuschauer, der mit der von Legenden umrankten Geschichte Earps und der Schießerei am O.K. Corral vertraut ist, dass dieser Clanton mit seinem „Ausflugstipp“ nicht einfach nur nett zu dem Fremden ist. Schon wie dieser den sprechenden Namen „Tombstone“ ausspricht und Earp ihn dann arglos wiederholt, wird klar, dass hier jemand Böses im Schilde führt – was sich ja dann auch nur wenige Szenen später bestätigt. Zum anderen weckt seine Beschreibung der Stadt Erwartungen, die die Ansammlung von Häusern nicht im Geringsten zu erfüllen vermag. Tombstone ist (noch) nicht mehr als ein verzweifelter Versuchsballon für die Zivilisation: Schon wenige Minuten nach ihrem Eintreffen werden die drei Earp-Brüder beim Besuch des Barbiers fast erschossen, der Ort ist Anlaufstelle für Säufer, Ganoven, Glücksspieler, Huren und andere Verzweifelte. Das Eintreffen von Earp und später der titelgebenden Clementine Carter (Cathy Downs), einer Lehrerin aus Boston, markiert aber auch einen symbolischen Wendepunkt: Earp verkörpert Recht und Ordnung, Clementine Kultur und Bildung. Für die Clantons, aber auch für einen zerrissenen Charakter wie Doc Holliday (Victor Mature) und seine Freundin, die Prostituierte Chihuahua (Linda Darnell) ist kein Platz mehr. Sie müssen weichen, um den Weg für eine neue Weltordnung und die Idee der USA zu weichen.

Fords Verfilmung der Earp-Geschichte zählt zu den berühmtesten und bedeutendsten Western überhaupt, doch an einer Nacherzählung der historischen Ereignisse war der Regisseur, der damit seinen letzten Film für die Fox vorlegte, kaum interessiert. Die Freiheiten, die er (bzw. das Drehbuch) sich nahm, sind so groß, dass man fast den Eindruck haben kann, er wolle die Zuschauer darauf stoßen, dass es ihm nicht um eine Nacherzählung, sondern eine Mythologisierung ging. Dem stehen allerdings Aussagen gegenüber, in denen Ford behauptet, die Geschichte so authentisch wie möglich nachgeben zu wollen. Dabei sind die Abweichungen eklatant: Ford verlegte den Schauplatz der Geschichte ca. 500 Meilen nach Norden und ein Jahr nach hinten. Er machte aus dem Zahnarzt Doc Holliday einen Chirurgen und ließ ihn in der Schießerei am O.K. Corral den Opfertod sterben, statt ihn an der Tuberkulose verenden zu lassen. Auch bei den Earp-Brüdern und der Clanton-Familie nahm er es mit den Fakten nicht so genau. Und dass er aus Wyatt Earp, einem Falschspieler und Stammgast im Rotlichtmilieu einen tadellosen, rechtschaffenen Bürger machte, der der Zivilisation auf den Weg hilft, darf man beinahe als „whitewashing“ bezeichnen. Das klare Schwarz-Weiß des Films, das ihn nicht nur ästhetisch bestimmt, verursacht heute manchmal einen ideologischen Schluckauf: Speziell an der Figur der Chihuahua, die nicht nur sündige Prostituierte sondern auch noch ein Latino ist, lässt Ford kaum ein gutes Haar. Aber MY DARLING CLEMENTINE verfügt eben in anderer Hinsicht über solch zahlreiche Stärken, dass es relativ leicht fällt, darüber hinwegzusehen. Zumal es Ford eben, wie gesagt, nicht so sehr darum ging, Realitäten abzubilden, sondern überlebensgroße Mythen und archetypische Figuren zu schaffen.

Kritiker hoben an dem Film immer die poetische Kraft seiner Ruhepausen hervor: Auch wenn ich jetzt an die Sichtung zurückdenke, erinnere ich mich weniger an seine vereinzelten Action Set-Pieces oder den Showdown, sondern an diese ruhigen Momente der Introspektion: Earp, wie er im Stuhl wippend vor seinem Sheriff-Büro sitzt und seinen Gleichgewichtssinn austariert. Wie er die nahezu menschenleere Straße beobachtet, die sich durch Tombstone zieht – oder vielmehr daran vorbeiläuft, denn viel mehr als eine Häuserzeile ist da nicht. Dann der gemeinsame Tanz mit Clementine beim Richtfest einer Kirche, wie er seinen Hut wegwirft ihr den Arm reicht und sie dann zur Tanzfläche führt. Wie seinen Abraham Lincoln in YOUNG MR. LINCOLN versieht Fonda auch seinen Wyatt Earp mit einer unerschütterlichen inneren Ruhe und einem unstillbaren Verlangen nach dem, was hinter dem Horizont liegt. Zunächst angetrieben von dem einfachen Wunsch, den Mörder seines Bruders zur Strecke zu bringen, verwandelt sich sein Streben im Verlaufe des Films nahezu unmerklich. Der Kampf gegen die Clantons wird zu einem Kampf für die Zivilisation selbst, gegen die rohe Wildheit des Westens, die Tombstone zwar noch gefangen hält, deren Griff aber zu zittern beginnt. Beide Seelen kämpfen dann auch in Doc Holliday Brust: schwarz gewandeter Falschspieler, Revolverheld und Partner einer Prostituierten auf der einen, Ex-Verlobter der braven Clementine, Arzt und Literaturkenner auf der anderen. Es ist ein klassischer Western-Topos, dem Ford hier zu kristalliner Form verhilft: das Alte, das gehen muss, um dem Neuen Platz zu machen. Aber Ford zeichnet diesen Umbruch nicht als Zeit des Tumults, vielmehr vollzieht er sich mit der Gelassenheit und Ruhe, die das Voranschreiten der Zeit selbst auszeichnet. Earp Entschlossenheit gibt den Ausschlag, aber auch er scheint weniger ein Mann der großen Entscheidungen, als ein Katalysator, durch den sich der Willen der Geschichte vollzieht. Was für ein jämmerlicher Klecks ist Tombstone gegenüber der ungerührten Majestät der Naturdenkmäler des Monument Valley?

MY DARLING CLEMENTINE gilt heute als einer der besten Western aller Zeiten, als Meilenstein des amerikanischen Films und natürlich als einer von Fords wichtigsten Filmen, aber damals war man sich darüber keineswegs einig. Die Kritik war zwar wohlwollend, aber eher zurückhaltend, oft wurden der Mangel an Action, der introvertierte Ton und Fords „Naturfetischismus“ kritisiert. Dabei hatte Zanuck, dem Fords Stil „zu lässig“ war, den Film bereits kürzen und umschneiden lassen, dazu noch Szenen nachgedreht, was Ford erwartungsgemäß erzürnte. Zu den Änderungen gehörte u. a. der Kuss, den Earp Clementine am Ende statt des von Ford gedrehten Händedrucks gibt, sowie eine sehr kitschige Szene, die Earp am Grab seines Bruders zeigt. Glücklicherweise konnten auch solche Eingriffe in die Autonomie des Künstlers dem Film keinen bleibenden Schaden zufügen. Er steht heute noch genauso monumental da wie vor 80 Jahren.

Einer der größten amerikanischen Filmklassiker des vergangenen Jahrhunderts, Inspirationsquelle für zahllose Regisseure und Filme (mir ist z. B. jetzt erst aufgefallen, wie viele Details aus diesem Film sich in Barbonis LO CHIAMAVANO TRINITÀ wiederfinden) nimmt RIO BRAVO mittlerweile längst selbst den Status jener Mythen ein, von denen der Western zu erzählen pflegt. Es ist ein Film, der trotz seines vergleichsweise jungen Alters so sehr mit der Geschichte des amerikanischen Kinos verwoben ist, dass man sich eine Welt ohne ihn kaum vorstellen kann. RIO BRAVO war wahrscheinlich schon immer da, Howard Hawks hat ihn nur sichtbar gemacht, ihn aus dem Wüstensand geborgen, die Knochen freigeschaufelt, gereinigt und wieder zusammengesetzt. Eine Ikone, die bei Betrachtung ein ganzes Universum eröffnet.

Dabei wurde RIO BRAVO mit einem ganz konkreten Vorhaben im Sinn erdacht und realisiert, wenn man den Chronisten Glauben schenken darf. Gemeinsam mit seinem Star John Wayne wollte Hawks – der gerade eine vierjährige Schaffenspause hinter sich hatte, an argen Selbstzweifeln litt und noch nicht ahnen konnte, was für ein fulminantes Comeback seine neuster Film bedeuten würde – das Gegenstück zu Zinnemanns HIGH NOON drehen, einen Film, den der „Duke“ angeblich als „unamerikanisch“ verachtete. („What a piece of you-know-what that was,“ he [John Wayne; Anm. v. mir]  told me [Roger Ebert; Anm. v. mir]. „I think it was popular because of the music. Think about it this way. Here’s a town full of people who have ridden in covered wagons all the way across the plains, fightin’ off Indians and drought and wild animals in order to settle down and make themselves a homestead. And then when three no-good bad guys walk into town and the marshal asks for a little help, everybody in town gets shy. If I’d been the marshal, I would have been so goddamned disgusted with those chicken-livered yellow sons of bitches that I would have just taken my wife and saddled up and rode out of there.“) Die Geschichte um den aufgrund der Feigheit seiner Mitmenschen allein einer Verbrecherschar entgegentretenden Sheriff bedurfte einer Revision, die den amerikanischen Gemeinsinn beschwor. So entstand, basierend auf einer gleichnamigen Kurzgeschichte, RIO BRAVO, ein Film um eine Stadt im Belagerungszustand, mehr aber noch über die Freundschaft fünf äußerst ungleicher, in ihrem Pflichtbewusstsein und ihrer grenzenlosen Loyalität allerdings seelenverwandter Charaktere. Und das ist auch das eigentlich Spannende an RIO BRAVO, das, was den Zuschauer, der heute kaum noch unvorbelastet an ihn herantreten kann, weil Hawks‘ Film die Populärkultur durchdrungen hat wie die Zehn Gebote die westlichen Zivilisationen, überrascht, verblüfft, fasziniert: Dieser Western ist nur ganz am Rande Pferdeoper, nur ganz am Rande an Schießereien und markigen Sprüchen interessiert, sein Rahmen ist im Grunde willkürlich, nicht notwendig für sein Gelingen. Es handelt sich um ein Drama, einen Film über diese fünf Menschen und die Beziehung, die sie zueinander haben, über ihre Freundschaft und ihre Kämpfe, über gegenseitigen Respekt und Treue, aber auch um den Zeitpunkt, an dem man diese Treue im Sinne der Freundschaft entziehen muss. Es ist ein Film über die Vergangenheit, die ihre Schatten auf das Heute wirft, und darüber, wie man sich ihrer entledigt, um das Morgen erleben zu können. Dieses universale, mythische Element steckt natürlich im Kern jedes Westerns, aber dieser sticht dadurch heraus, dass er den Kern weitestgehend freilegt. Wenn sich Chance (John Wayne), Dude (Dean Martin), Colorado (Ricky Nelson) und Stumpy (Walter Brennan) im Finale den Schurken stellen, dann ist das eigentlich nur ein Nachgedanke. RIO BRAVO ist geradezu frappierend modern für einen Western, mit dem John Wayne den Amerikanismus retten wollte.

Der Anfang ist natürlich legendär, perfektes Beispiel dafür, wie man einen Film beginnen sollte: Der abgerissen aussehende, mit einem Deputystern ausgestattete Dude wankt in einen Saloon, blickt sich die Lippen leckend um, sieht überall Männer, die köstlichen Whiskey in sich hineinkippen. Aber er hat kein Geld und niemand ist bereit, ihm welches zu geben. Nur Joe (Claude Akins) wendet sich ihm zu, nimmt einen Dollar aus der Tasche und wirft ihn voller Schadenfreude in einen Spucknapf, der auf dem Boden steht. Ein teuflisches Grinsen huscht über sein breites Gesicht. Dude ist nur anscheinend hin- und hergerissen. Er weiß, dass er den Dollar aus dem Rotz herausangeln wird, um sich den ersehnten Drink kaufen zu können, egal wie lange er mit sich hadert, weiß, dass ihn die Aussicht auf das Gelächter, den Hohn und Spott, den er unweigerlich ernten wird, genausowenig vom Griff nach dem Almosen abhalten werden, wie die Erkenntnis, ganz am Boden angelangt zu sein. Dude beugt sich zum Napf, da tritt ein Stiefel ihn weg. Es ist der Stiefel von Chance, seines Zeichens Sheriff und Freund des traurigen Säufers. Es kommt zur Keilerei, bei der erst Dude seinem alten Freund einen kräftigen Schlag verpasst, dann ein unschuldiger Schlichter von Joe erschossen wird. Joe wechselt den Saloon, und wenig später erscheint dort ein wankender, blutender Chance, um den Mörder zu verhaften. Einer seiner Kompagnons will den Sheriff umlegen, doch da erscheint Dude wieder auf der Bildfläche und rettet Chance mit einem gezielten Schuss das Leben. Joe, der Bruder des örtlichen schwerreichen und kriminellen Viehbarons Nathan Burdette (John Russell), wird verhaftet, das Unheil nimmt seinen Lauf.

Die wichtigsten Handlungselemente des Films sind in dieser kurzen, nahezu wortlosen Exposition enthalten: Sie etabliert den Alkoholismus Dudes, die ehrliche, wenn auch nicht immer harmonische Freundschaft zwischen ihm und Chance und natürlich den Grundkonflikt, der den Film in den folgenden zwei Stunden seinem unweigerlichen Showdown entgegentreibt. RIO BRAVO zeichnet ein Belagerungsszenario, wie es dank gelehriger Schüler wie George A. Romero (NIGHT OF THE LIVING DEAD) oder John Carpenter (ASSAULT ON PRECINCT 13) zu einem Standard des Thrillerkinos wurde: Die Helden warten in einem abgeschlossenen Raum (extern das Kaff Rio Bravo, intern das Sheriffbüro samt Gefängnis) auf Hilfe durch den Marshall, von der sie wissen, dass sie zu spät kommen wird, und auf den Angriff der Schurken. Anders als etwa bei Carpenter wird dieses Warten bei Hawks aber nicht zur nervenzerfetzenden Zerreißprobe. Die fünf Freunde – den Männern gesellt sich noch Feathers (Angie Dickinson) hinzu, die mit Chance anbändelt – nutzen die Zeit, um alte und neue Probleme zu lösen oder aber sich kennenzulernen. Die bevorstehende Aufgabe schweißt sie zusammen, sofern sie nicht eh schon Brüder im Geiste sind. Natürlich schwingt dabei auch die Idee mit, das eigene Leben in Ordnung zu bringen, bevor das Ende naht, aber RIO BRAVO wird niemals düster oder deprimierend. Seine Protagonisten kennen ihren Platz im Leben, wissen, dass sie sich nichts vorzuwerfen haben, aber auch, welchen Weg sie gewählt haben. Wenn sie am Ende in die Schlacht ziehen, hat das deshalb auch nichts von jener Todessehnsucht, die Peckinpahs Wild Bunch befällt, vielmehr mit der Unlust, sich länger in die Passivität drängen zu lassen. Es steckt noch zu viel Energie in ihnen, sei sie entfacht durch eine entflammte Liebe wie bei Chance, die abgelehnte Sucht bei Dude oder den Ehrgeiz, in die Ahnengalerie der Helden einzutreten wie bei Colorado. RIO BRAVO ist ein Charakterfilm, auch wenn eine genaue formale Analyse genug inszenatorische Winkelzüge für ein ganzes Buch offenbaren dürfte (er kommt angeblich mit ganzen vier Nahaufnahmen aus), und wird getragen von seinen Dialogen – die vor allem in den Szenen mit Wayne und Dickinson an die berühmten Austäusche von Bogart und Bacall erinnern – und der Präsenz seiner Darsteller. Dean Martin war wahrscheinlich nie so gut und bewegend wie hier, John Wayne dominiert paradoxerweise mit respekteinflößender Zurückhaltung und Angie Dickinson steht als Frau ihren Mann, ohne dabei die Klischees bedienen zu müssen. Hier fügt sich alles wie ein Puzzle zusammen, und wenn man sich den Film anschaut, dann weiß man, dass das keine Fügung glücklicher Zufälle war, sondern Meisterhandwerk, wie es heute verdammt selten geworden ist.

Wie ich gestern schon zu RIVER OF NO RETURN sagte, liegt im Western (meist) alles auf der Hand bzw. in den Bildern. Man muss kaum mehr tun, als genau hinzuschauen. Auch der Kern dieses monströsen Klassikers liegt offen dar, zumal er bereits so oft Gegenstand eloquenter Essays und Analysen war, dass man, wie ich hiermit, kaum mehr als einer Chronistenpflicht nachkommt. RED RIVER – interessanterweise Hawks‘ erster und damit für ihn recht später Western –, erzählt idealtypisch die Geschichte, die alle Western erzählen: Es geht um nicht weniger als die schwierige Geburt der amerikanischen Nation, um die Schmerzen, die mit ihr verbunden waren, aber auch um die großen Möglichkeiten, die sich mit ihr eröffneten, um den Traum, den sie beflügelte. RED RIVER spiegelt dieses historische Coming of Age  auf mehreren Ebenen: psychologisch im Rite of Passage, das der junge Matt Garth (Montgomery Clift) auf dem Weg zum Mann-Sein durchläuft, im ödipal aufgeladenen Konflikt mit seinem Ziehvater Thomas Dunson (John Wayne), historisch-politisch im Sprung von der von Abenteuerlust, Mut und Entschlossenheit geprägten Pionierzeit zu einer komplex organisierten Gesellschaft und damit einhergehend im Wandel von der autoritären Feudal- zur demokratisch organisierten Bürgerherrschaft. Es liegt in der Meisterschaft Hawks‘ begründet, dass sich diese unterschiedlichen Aspekte nicht sauber voneinander trennen lassen, vielmehr im Bild des gigantischen Rindertrecks zusammenfließen, sich verschränken und spiegeln.

Aus dem Nichts hat Thomas Dunson innerhalb von 14 Jahren ein Rinderimperium aufgebaut: Dafür musste er nicht nur den Tod seiner Verlobten betrauern, sondern auch zahlreiche Männer umbringen, die ihrerseits Anspruch auf sein Land erhoben hatten. In der Gegenwart bringen ihm die Tausenden von Rindern jedoch keinen Cent: Der Krieg hat alles Geld aus der Region gesaugt, sodass Dunson nichts anderes übrig bleibt, als sich mit dem größten Rindertreck der Geschichte auf den Weg nach Norden zu machen, in der Hoffnung, sein Vieh dort verkaufen zu können. Auf dem beschwerlichen Weg kommt es jedoch bald zum Konflikt zwischen dem tyrannischen, keinen Widerspruch duldenden Dunson und seinen gebeutelten Männern und infolgedesssen auch zwischen ihm und seinem Adoptivsohn Matt. Als eine Meuterei kaum noch zu vermeiden scheint, übernimmt Matt die Initiative, nimmt Tom die Herde ab und jagt den Mann davon. Es gelingt Matt, die Herde zu verkaufen, doch am Ziel wird er von Tom eingeholt und gestellt. Eine Frau – Matts neue Geliebte – trennt die Streithähne und versöhnt sie miteinander, bevor Schlimmeres passiert.

Dieses Happy End ist der einzige Schwachpunkt des Films (auch das ein Standarde der Rezeption von RED RIVER): Weil es einen über zwei Stunden sorgfältig aufgebauten Konflikt im Handumdrehen auflöst, aber auch, weil es dem kaum übersehbaren homoerotischen Unterton des Films zuwiderzuläuft. Der Konflikt zwischen Tom und Matt scheint ja auch in Matts sexueller Ausrichtung zu gründen: Als er zum ersten Mal als Junge auftritt, führt er eine Kuh bei sich, später befindet er sich in einem höchst aufgeladenen, dauerhaften Schwanzvergleich mit dem Cowboy Cherry (!) Valance (John Ireland). Dass der bisexuelle Montgomery Clift – der Legende zufolge Zeit seines Lebens in einem inneren Konflikt über seine eigene Sexualität – in den romantischen Szenen mit Tess Millay (Joanne Dru) gegen Ende des Films höchst steif agiert, so, als fühle er sich unwohl in ihrer Nähe, verstärkt diesen Eindruck noch. Dem Verdacht, dass diese Liebesgeschichte von Hawks lediglich nachträglich eingefügt wurde, um Zensurproblemen zu entgehen, steht wiederum die auffällige Struktur des vermeintlichen Männerfilms entgegen, der von zwei Frauenfiguren eingerahmt wird und gerade diesen somit eine besondere Bedeutung zukommen lässt. Was ist davon zu halten, dass Tom seinen Sohn in dem Moment zu respektieren lernt, als der sich von einer Frau helfen lässt? Hier tun sich die Lücken im sonst fest gefügten Film-Zauberwerk auf, an denen man sich beim nächsten Mal festhalten kann.

Und sonst? Was ließe sich den längst allgemeingültigen Beobachtungen an persönlichen Eindrücken hinzufügen? Da sind dieser unglaubliche, meisterlich geschnittene Indianerangriff am Wasserloch zu Beginn des Films, für mich in seiner knapp zweiminütigen Perfektion fast noch aufregender als die berühmte Stampede, die Abenteurer Hawks mit an Todessehnsucht grenzender Authentizität eingefangen hat, und natürlich diese unfassbaren, oft vom Nebel des Mythos durchzogenen Landschaftsaufnahmen, die auch im eher engen 1,33:1-Format noch in majestätischer Breite erscheinen. Am auffälligsten schien mir aber, dass RED RIVER bei aller Geschichtsträchtigkeit vor allem von der Arbeit handelt, von Männern, die ihren Job erledigen. Das gilt natürlich für etliche Western („Cowboy“ ist ja nicht mehr als eine Berufsbezeichnung), aber hier wird das besonders augenfällig. Wenn man die Epik, die mit der Weite des Landes und der ikonischen Gestalt John Waynes einhergeht, abzieht, ist RED RIVER ein auffallend unglamouröser Film: Die Heldentat der Protagonisten besteht darin, Kühe durchs Land getrieben zu haben. Und wenn man bei dieser nüchternen Sicht angekommen ist, sind nur noch ein paar kosmetische Änderungen nötig und man ist beim sozialistischen italienischen Arbeiterfilm angelangt, in dem für menschenwürdige Arbeitsbedingungen gekämpft wird. Strange.