Mit ‘Werner Peters’ getaggte Beiträge

Nach den Ereignissen von DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE setzt Dr. Pohland (Walter Rilla), der willenlos gemachte Psychiater des verstorbenen Superverbrechers, dessen Werk fort. Seine erste Amtshandlung besteht darin, den wegen Mordes verurteilten Arzt Dr. George Cockstone (Dieter Borsche) aus der Haft zu befreien, ihm ein neues Gesicht und eine neue Identität zu geben und ihn auf seine Seite zu ziehen. Er soll sich das Vertrauen von Professor Laurentz (Alfred Braun) erschleichen, der eine Hypnosemaschine erfunden hat, mit der man seinen Willen auf Dritte übertragen kann. Mit dieser Erfindung hofft Mabuse, das Vereinigte Königreich zu unterjochen. Mabuses Plan gelingt und in der Folge greift der in Deutschland ermittelnde Inspektor Vulpius (Werner Peters) immer wieder Täter auf, die keine Ahnung haben, wie sie zu Verbrechern werden konnten. Weil die Spuren nach London führen, nimmt er Kontakt zu Scotland-Yard-Mann Bill Tern (Peter van Eyck) auf …

Meine im Text zum Vorgänger, einem Remake von Fritz Langs gleichnamigem Meisterwerk, geäußerte Frage, ob er im Rahmen der Mabuse-Reihe einen Neuanfang oder doch nur eine Zäsur bedeutete, kann mit einem klaren „Beides“ beantwortet werden. Zwar knüpft SCOTLAND YARD JAGT DR. MABUSE unmittelbar an Werner Klinglers TESTAMENT an, ignoriert gewissermaßen die ersten drei Filme aus Artur Brauners Mabuse-Reihe, doch nähert er sich mit seinen kruden Science-Fiction-Ideen deren Ton weitestgehend an. In der Mitte des Films gibt es eine kurze Phase, in der das beunruhigende Drohpotenzial einer Hypnosemaschine, die unweigerlich jeden, der in ihren Bannkreis gerät, zum willenlosen Sklaven macht, entfaltet wird, doch viel zu schnell ist May wieder damit beschäftigt, die roten Fäden seiner Krimihandlung aufzunehmen und weiterzuspinnen. Keine Zeit für Paranoia und Atmosphäre.

Die Unentschlossenheit, mit der der Film zwischen seinen düsteren Impulsen und seinem Unterhaltungsanspruch hin und her gerissen wird, ist wahrscheinlich auf sein Drehbuch zurückzuführen: SCOTLAND YARD JAGT DR. MABUSE basiert auf einem Roman von Bryan Edgar Wallace, der mit dem deutschen Superverbrecher rein gar nichts zu tun hatte. Paul Mays Film ist mithin ein waschechtes Crossover der beiden GruselkrimiFranchises Brauners. Doch deren jeweiligen Charakteristika passen nur bedingt zusammen: Elemente wie der Rapport zwischen Tern und seiner Kriminalromane verschlingenden Mutter (Agnes Windeck) sind zwar für sich genommen durchaus amüsant, passen aber nicht so recht zum pessimistischen Ausblick der Mabuse-Filme. Es sind dann auch immer wieder nur kurze Momente, in denen der Blick auf das schwarzes Blut pumpende Herz des Films freigegeben wird: Der Auftakt, mit der Übernahme von Pohlands Körper durch Mabuses Geist, das Bild einer verbrannten Leiche, die Willkür, mit der Mabuses Handlanger Hyllard (Wolfgang Lukschy) seine Opfer auf der Straße aussucht, der Einsatz der Hypnosemaschine bei einer Hinrichtung oder aber die dank subtiler Schärfenziehung zum blassen Schemen im Bildvordergrund verkommende Nancy Masterson (Sabine Bethmann).

Bildschirmfoto 2014-05-10 um 16.35.34
Ein angemessener Beitrag zur Reihe sicherlich, der die große Albernheit eines DIE UNSICHTBAREN KRALLEN DES DR. MABUSE erfolgreich vermeidet. Trotzdem fehlt irgendwas. Ich kann es nicht wirklich benennen. Vielleicht habe ich einfach nur Gert Fröbe vermisst.

Zwei FBI-Agenten werden in Deutschland unter mysteriösen Umständen ermordet: Wie Kommissar Lohmann (Gert Fröbe) weiß, versuchten beide etwas über die anstehende Kooperation des Gangstersyndikats von Chicago mit einem deutschen Verbrecherring herauszufinden. Bei den Ermittlungen bekommt Lohmann Unterstützung von Maria Sabrehm (Daliah Lavi), einer Journalistin, die auf der Suche nach ihrem verschwundene Vater, einem Wissenschaftler, ist, und von Joe Como (Lex Barker), der sich ebenfalls als FBI-Beamter ausgibt, aber eine rätselhafte Doppelidentität pflegt. Die Spuren führen in das Gefängnis von Direktor Wolf (Fausto Tozzi), dessen Gefangenen – allen voran der hünenhafte Alberto Sandro (Ady Berber) – seltsamerweise kommen und gehen wie sie wollen, um draußen wie unter Hypnose Auftragsmorde zu begehen. Steckt hinter allem der angeblich verstorbene Dr. Mabuse?

Mit dem zweiten Teil der neuen Dr. Mabuse-Reihe engagierte Artur Brauner den bereits erprobten Harald Reinl für die Regie, nachdem Fritz Lang sich mit dem Vorgänger aus dem Filmgeschäft zurückgezogen hatte. Mit diesem Besetzungswechsel näherte sich die Reihe unweigerlich den parallel von Horst Wendlandt gestarteten Edgar-Wallace-Filmen an, für deren erste Installationen Reinl stilprägend und maßgeblich war. Der Auftritt von Gruselkrimi-erprobten Darstellern wie Werner Peters, Rudolf Fernau, Ady Berber und Albert Bessler trug ebenfalls dazu bei, die beim Vorgänger von den Kritikern noch festgestellten Unterschiede einzuebnen: Notierten diese anlässlich Langs DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE noch einen gewissen Ernst gegenüber den von Anfang an selbstironisch zwinkernden Wallace-Filmen, erkannten sie die deutlichen Bezüge zur aufkeimenden Realität des Kalten Krieges, gerade im geteilten Berlin, so mussten sie bei IM STAHLNETZ DES DR. MABUSE nun die Kursänderung hin zum mit absurden Einfällen gespickten Pulpspektakel konstatieren. Die in DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE noch furchteinflößende, die Fantasie anregende Figur, war schon im Aufguss von 1960 zum weitestgehend austauschbaren Superschurken deformiert worden und das wird hier hier noch weitergtrieben: Gleich zu Beginn wird der Superverbrecher als Inkarnartion des Teufels höchstselbst in eine Reihe mit Vampiren und Werwölfen gestellt, und wenn er am Ende mit breitkrempigem Hut, Gesichtstuch und Cape durch die Dunkelheit flüchtet, fühlt man sich nicht wenig an die Serials der 1930er-Jahre erinnert. Durchaus doppelbödig zu thematisierende Ideen wie jene einer Übernahme fremder Individuen durch die Verabreichung einer Droge verkommen vor diesem Hintergrund zu reinem Kintopp, frei von jeglicher Relevanz. Aber sich daran aufzuhängen bedeutet ja auch den Witz, Schwung und die Fabulierfreude des Films zu verkennen, die er im Übermaß anbietet, und zu übersehen, was IM STAHLNETZ DES DR. MABUSE dennoch von Wendlandts Konkurrenzfilmen unterscheidet. Während sich die Londoner Beamten auf altehrwürdigen Schlössern mit der Gier etwas überkreativer Meuchelmörder herumschlagen mussten, deren Opfer eh kurz vor Überschreitung des Haltbarkeitsdatums waren, tobt in den Mabuse-Filmen ein noch unbemerkter Krieg, der jedoch unübersehbare Folgen für alle haben wird.

Gert Fröbe erdet den Film als Kommissar Lohmann (der dem Zuschauer schon in Langs M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER und DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE als Identifikationsfigur zur Seite stand), liefert gewissermaßen den gutbürgerlichen Gegenpart zum Hollywood-Beau Lex Barker und lässt den kriminellen Einfallsreichtum Mabuses noch visionärer, abseitiger und teuflischer erscheinen als er es ohnehin schon ist. Wenn er zum ersten Mal auftritt, freut er sich wie ein kleiner Junge auf einen Angelausflug und lässt sich von seinem Sohn die dafür angeschafften Bierkisten ins Auto laden: Undenkbar in einem Wallace-Film und absolut prägend dafür, wie man diese Figur im weiteren Verlauf wahrnehmen wird. Das folgende bunte Treiben – Auftragsmorde auf offener Straße, ferngesteuerte „Zombies“, die sich auf Befehl hin in den Tod stürzen, Zeugen, die im entscheidenden Moment verschwinden oder zum Schweigen gebracht werden, das Wechselspiel verschiedener Identitäten und Motivationen – nimmt er als bundesdeutscher Ottonormalverbraucher wahr, den nichts mehr erschüttern kann, weil er es nach zwei Weltkriegen gewohnt ist, mit dem schlimmsten zu rechnen. Das ist ebenso bundesdeutsche Realität des Jahres 1961 wie der Blick auf deutliche Kriegsschäden zeigende Straßenzüge, und daran kann auch der bei Fausthieben geradezu perfekt aus der Form geratene Scheitel von Lex Barker nichts ändern. Hier wird die Ohnmacht des Bürgers gegenüber dem Treiben von „denen da oben“ illustriert. Das wird natürlich am deutlichsten im Finale, wenn Mabuses willenlos gemachte Privatarmee zur über Lautsprecher wiederholten Beschwörungsformel gegen das Militäraufgebot marschieren, seinerseits lediglich Vollstreckungsgewalt eines Befehls von oben. Man meint die aufkeimenden Zweifel an der Richtigkeit der eigenen Mission, das Erkennen der Ähnlichkeit des Anderen in den Augen der Soldaten erkennen zu können. Es ist ein ungemein kraftvolles, vielsagendes Bild, das IM STAHLNETZ DES DR. MABUSE in den letzten Minuten noch einmal gehörig aufwertet und ihn in mehr als guter Erinnerung behalten lässt.

Ausnahmsweise kam ihm bei Dr. Mabuse mal nicht Horst Wendlandt in die Quere: Die Rechte an der seit 1933 brachliegenden Figur des verbrecherischen Masterminds sicherte sich Artur Brauner ganz allein. Weil düsteren Crime- und Mysterystoffen im ersten Nachkriegsjahrzehnt jedoch keine besonderen Erfolgsaussichten ausgestellt wurden, verzichtete Brauner zunächst auf eine Umsetzung – und überließ doch wieder anderen die Initiative: Als 1959 der erste Edgar-Wallace-Film DER FROSCH MIT DER MASKE erschien und zu einem unerwarteten Publikumsschlager avancierte, war die Saat für düstere Schwarzweißkrimis mit Gruseleinschlag zwar gelegt, der Weg für eine Mabuse-Reihe frei, doch die Marktführer-Position hatte sich die Rialto mit ihrem Engagement erkämpft. Mit DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE landete Brauner mit der Verpflichtung des 1956 aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland zurückgekehrten Fritz Lang, dem Urheber der ersten beiden Dr. Mabuse-Filme, DR. MABUSE, DER SPIELER und DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE, zwar einen echten Coup (er hatte mit Lang zuvor schon DER TIGER VON ESCHNAPUR und DAS INDISCHE GRABMAL realisiert), schien aber dennoch nur auf der neuen Welle der „Gruselkrimis“ mitzuschwimmen. Ein Erfolg an der Kinokasse wurde er dennoch, trotz der Kritik, die bemerkte, dass Langs Film nicht an die Klasse seiner Vorkriegsklassiker heranreichte. DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE blieb Langs letzter Spielfilm. Seinen letzten Auftritt als Regisseur absolvierte er 1964 mit seiner Rolle in Godards LE MÉPRIS, bevor er 1976 starb.

DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE  beginnt mit einer Szene, die fast 1:1 aus TESTAMENT übernommen wurde: An einer Ampel wird der Fernsehreporter Barter in seinem Auto von einem von Mabuses Killern (Howard Vernon) mit einer Stahlnadel erschossen. Der ermittelnde Kommissar Kras (Gert Fröbe) findet heraus, dass Barter einer großen Sache auf die Spur gekommen war, die er publik machen wollte, Interpol enthüllt die Parallelen zu jenem Mord von vor 30 Jahren. Könnte es sein, dass Dr. Mabuse, das kriminelle Genie von damals, gar nicht tot ist? Oder hat er einen Trittbrettfahrer inspiriert? Im Folgenden konzentriert sich die Handlung auf das Hotel Luxor, in dem der amerikanische Milliardär Travers (Peter van Eyck) abgestiegen ist, der sein Geld unter anderem im Bereich der Atom- und Waffenindustrie macht. Er verhindert den Selbstmord seiner Zimmernachbarin Marion Menil (Dawn Addams) und zwischen den beiden entwickelt sich eine zarte Romanze. Unterdessen macht Kras bei seinen Ermittlungen Bekanntschaft mit dem rätselhaften blinden Hellseher Peter Cornelius (Wolfgang Preiss) und dem Versicherungsvertreter Mistelzweig (Werner Peters). Alle scheinen sie in den Mord an Barter und die folgenden Ereignisse, darunter auch zwei Mordanschläge auf Kras, verwickelt zu sein …

Fritz Lang greift viele Elemente aus seinem Klassiker wieder auf. Das reicht von kleineren Plot- und Gestaltungsdetails, wie etwa der Einführung des Kriminalbeamten Kras oder der erwähnten Ermordung Barters, bis hin zu Ideen, wie jener einer aus dem Hintergrund geführten Verbrecherorganisation, die durch moderne Überwachungs- und Kommunikationstechnologie perfekt vernetzt und den Ermittlern immer einen Schritt voraus ist. Das übersinnliche Element – Dr. Mabuse verfügte über ein außergewöhnliches Gehirn, das es ihm ermöglichte, Besitz von anderen Menschen zu ergreifen – findet Eingang durch die Figur des Cornelius, der immer wieder Ereignisse vorhersieht oder aber Informationen besitzt, die er eigentlich gar nicht haben kann. Und während Lang in DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE gegenwärtige politische Strömungen in Deutschland noch verklausuliert kritisierte – die von Mabuse angestrebte „Herrschaft des Verbrechens“ wies deutliche Parallelen zum Terror des Dritten Reichs auf –, nimmt er hier ganz offen Bezug auf die Methoden der Nazis und ihr Erbe im Deutschland der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahre sowie auf die aufkeimende, sich später noch als sehr berechtigt entpuppende Angst vor Rüstungswettstreit und nuklearem Krieg. Natürlich sorgt auch wieder  Langs bewährte Technik des „reimenden Schnitts“ für einen annähernd nahtlosen Fluss des Films. Der große Unterschied zu TESTAMENT zeigt sich dann auch vor allem in Aspekten, die nicht unbedingt auf Anhieb greifbar und möglicherweise in nicht unerheblichem Maß auf die seit damals vollzogene technische Entwicklung zurückzuführen sind: DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE ist deutlich weniger unheimlich und beunruhigend als sein berühmter Vorgänger, die vormals mysteriöse Titelfigur auf das Maß eines relativ gewöhnlichen Superschurken gestutzt. Das ist zum einen auf den relativ herkömmliche strukturierten Krimiplot zurückzuführen, der zwar ein großes Geheimnis um die wahre Identität des ominösen Strippenziehers macht, dabei aber ganz auf die bewährte Whodunit-Schablone setzt, bei der viele verdächtige Personen mit unterschiedlichen Motivationen sich die Klinke in die Hand geben, und den übersinnlichen Aspekt der Geschichte recht schnell als Zirkusnummer enttarnt.

Zum anderen, und das scheint mir entscheidender, steht dem Film aber seine formale Geschliffenheit oder besser: seine Sauberkeit im Weg, die mit den an ihn geknüpften kommerziellen Interessen einhergeht. DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE ist ein lupenreiner Genrefilm, der auf dem Fundament aufbaut, das sein Vorgänger erst begründete. Was damals noch neu und gewissermaßen auch roh und im besten Sinne unausgereift war, irgendwo zwischen den Stühlen von expressionistischem Horror, Thriller und Kriminalfilm verortet, ist hier zum optimalen Funktionieren als Publikums- und Unterhaltungsfilm hin bereinigt und begradigt. Unorthodoxe, idiosynkratische Ideen, störende Elemente sucht man ebenso vergebens wie diese im TESTAMENT so meisterhaft etablierte Stimmung einer schleichenden, unaufhaltsamen Bedrohung, vor der man auch als Zuschauer nicht sicher war. Nicht geringen Anteil an dieser Wirkung hatte mit Sicherheit auch seine äußere Form. Auf die komplizierte, bewegte Editionsgeschichte von TESTAMENT bin ich schon eingegangen und sie hat sich auch in die uns heute vorliegende Kopie eingeschrieben. Der Zahn der Zeit hat an ihm genagt und deutliche Spuren in Form von Verunreingungen und Kratzern hinterlassen, das Bild ist insgesamt weniger scharf als bei neueren Filmen oder eben solchen, die nicht die Knute der Zensur zu spüren bekamen und in irgendwelchen Kellern verschwanden. Aber es ist eben auch jene Patina, der DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE einen Teil seines Mysteriums verdankt. Er wirkt weniger „gemacht“ als wie ein Zeitzeugnis, ein früher Found-Footage-Film gewissermaßen, und das authentifiziert ihn in gleichem Maße wie es ihn dem analytischen Zugriff entzieht. Das soll den Erfolg von DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE nicht schmälern, der mit den glänzend aufgelegten Gert Fröbe und vor allem Werner Peters auftrumpfen kann und immer wieder mal mit überraschenden Ideen oder unerwarteten Ruppigkeiten aus dem zufriedenen Dämmerzustand, den solche Kraut-Pleaser (sorry …) bei mir auslösen, aufschrecken lässt. Aber an diesem Lob zeigt sich eben die gewaltige Kluft: Fritz Langs letzter Film bewegt sich immer im Rahmen eines Genrefilms und er bringt den Zuschauer niemals in Gefahr. Dr. Mabuse bleibt ein Prä-Bond’scher Superschurke, gefährlich, aber eben ausrechenbar. Im Vorgänger wusste man am Ende nicht, ob er die vierte Wand nicht hinter sich gelassen hatte.

durchs_wilde_kurdistanAhmed El Corda (Gustavo Rojo), Sohn des Scheichs der Haddedihn (Charles Fawcett), legt sich mit dem Machredsch von Mossul (Djordje Nenadovic) an, als der seine Männer aus einem Wasserloch des Beduinenvolks trinken lässt. Sie verhaften ihn und bringen ihn nach Burusco, wo ihn im Gefängnis des Mütesselin (Werner Peters) die Hinrichtung erwartet. Scheich Mohammed bittet seinen Freund Kara Ben Nemsi (Lex Barker) und dessen treuen Gehilfen Hadschi (Ralf Wolter) um Hilfe. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg durch das „wilde Kurdistan“, um Ahmed zu retten. Unterwegs begegnen ihnen außerdem der unverdrossene Sir Lindsay (Dieter Borsche) und sein Butler Archie (Chris Howland) sowie die schöne Ingdscha (Marie Versini) …

DURCHS WILDE KURDISTAN schließt an DER SCHUT an, obwohl er jenem als Roman vier Bände vorausging, und wurde wie zuvor DER SCHATZ DER AZTEKEN und DIE PYRAMIDE DES SONNENGOTTES als Zweiteiler angelegt. Die Fortsetzung namens IM REICHE DES SILBERNEN LÖWEN entstand mit derselben Besetzung parallel und verdankte ihren Titel einem späteren Karl-May-Roman, der mit der ursprünglichen sechsbändigen Orientreihe nichts zu tun hatte. Zum ersten Mal wurde nicht in Jugoslawien gedreht, sondern im Italowestern-erprobten Andalusien und auf dem Regiestuhl nahm mit Franz Josef Gottlieb ein Karl-May-Debütant Platz. Der Österreicher hatte für Produzent Artur Brauner zuvor bereits diverse Bryan-Edgar-Wallace-Filme und DER FLUCH DER GELBEN SCHLANGE inszeniert. Die gemeinsame Geschäftsbeziehung endete jedoch mit den Dreharbeiten zum Orient-Zweiteiler: Gottlieb wurde entlassen (wer die Filme an seiner Stelle vollendete, ist nicht überliefert), leistete sich im Folgenden einen drei Jahre dauernden Rechtsstreit mit Brauner und arbeitete danach nicht mehr mit ihm zusammen. Auch mit dem Star Lex Barker bekam Brauner Probleme, denn der sah gar nicht ein, dass er nur für einen Film bezahlt werden sollte, wenn er doch an zweien mitwirkte. Die Gerichte gaben ihm verständlicherweise Recht, Brauner musste zahlen. Dass der für die Rolle des Scheichs Kadir Bei vorgesehene Hans Nielsen kurz vor Drehbeginn verstarb, bedeutete eine weitere Unwegbarkeit, die Charles Fawcett durch Übernahme einer zusätzlichen Rolle beseitigte. Dem Film merkt man diese Probleme wie durch ein Wunder nicht an, dennoch erreicht DURCHS WILDE KURDISTAN nicht die Klasse von DER SCHUT.

Gottlieb, der sich anschließend fast ausschließlich auf Klamaukfilme verlegte, ist für einen epischen Abenteuerstoff wie diesen nur bedingt der richtige Mann. Unter seiner Regie zerfällt der Film in kleinere Episödchen, der Humor, der wohldosiert für feine Akzentuierungen sorgen sollte, gerät zu stark in den Vordergrund und erodiert so den Glauben des Zuschauers an die „Wahrheit“ des Gezeigten. Wenn eh alles nur Spaß ist, warum sich dann um das Leben der Figuren sorgen? Zugegebenermaßen sind gerade Dieter Borsche als Sir Lindsay und vor allem Werner Peters als dauerbesoffener Gefängnisvorsteher Mütesselin wunderbar, bringen genauso neues Leben in die kaum zu übersehene Karl-May-Routine wie Gottlieb mit seiner Regie, deren oberstes Paradigma „Keine Zeit verlieren“ zu sein scheint, aber spannend ist DURCHS WILDE KURDISTAN nun endgültig überhaupt nicht mehr. Man merkt deutlich, dass die Karl-May-Filme nur noch mit der Maßgabe gefertigt wurden, die Kuh so lange zu melken, wie sie noch Milch gibt und dabei möglichst wenig überflüssigen Aufwand zu betreiben. Die einmal etablierte Schablone wurde hier zum xten Mal zur Hilfe genommen und das erstickt eben jeden innovativen und aufregenden Ansatz im Keim. Ganz ohne Charme ist auch DURCHS WILDE KURDISTAN nicht: Endlos niedlich ist die mit Miniaturmodellen realisierte Ballofahrt von Lindsay und Konsorten und die finale Verfolgung des schurkischen Machredsch durch die schroffe Felsenlandschaft lässt noch einmal aufmerken, aber den Eindruck der routinierten Beliebigkeit kann Gottlieb nicht zerstreuen. So reicht es dann für nicht mehr als schmerzlose Kurzweil, was besser als nichts, aber eben nicht der Weisheit letzter Schluss ist.