replicant (ringo lam, usa 2001)

Veröffentlicht: September 17, 2010 in Film
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Seit drei Jahren treibt der Serienmörder Edward Garrotte (Jean-Claude Vand Damme), genannt „Die Fackel“,  in Seattle sein Unwesen, misshandelt alleinerziehende Frauen und zündet sie nach ihrer Ermordung an. Detective Jake Riley (Michael Rooker) hat bislang vergeblich versucht, ihn zu fassen, und quittiert darüber frustriert seinen Dienst. Kurz darauf tritt die NSA an ihn heran und bittet ihn um Mitarbeit: Es ist gelungen den Killer aus einem gefundenen Haar zu klonen und man erhofft sich nun von diesem Klon (Jean-Claude Van Damme), dass er die Ermittler mithilfe der telepathischen Verbindung, die er zu seinem „Bruder“ hat, auf dessen Spur führt. Und Riley soll ihn in dazu auf den richtigen Weg bringen …

Die Idee, einen Menschen zu klonen und ihn also per genetischer Selektion zu programmieren, ist quasi die auf die Spitze getriebene Konsequenz aus den im vergangenen Jahrhundert gewonnenen Erkenntnissen aus der Vererbungslehre und der daraus hervorgegangenen modernen Genforschung. Sie macht mit vorher für unverrückbar gehaltenen philosophischen Grundsätzen wie der (Willens-)Freiheit des Menschen und dessen Selbstbestimmung endgültig Schluss und stellt die Menschheit vor die schwere Aufgabe, umzudenken, sich neu zu definieren. Was bedeutet Identität, wenn sie doch nur das Ergebnis eines Remix vorhandener Erbanalagen ist? Welche Rolle spielen äußere Einflüsse wie Erziehung und soziales Umfeld tatsächlich? Wie frei ist der Mensch, wenn seine Identität von Geburt an festgelegt ist und inwiefern ist er dann überhaupt noch für seine Taten zur Verantwortung zu ziehen? Diese Fragen wirft Ringo Lam in REPLICANT auf und was seinen Film letztlich scheitern lässt, ist, dass er sich um eine ehrliche Beantwortung dieser Fragen drückt bzw. seine eigenen Prämissen ignoriert. Man muss einräumen, dass die skizzierte Problematik in der Lage ist, das Fundament des Actionfilms, wie auch REPLICANT einer ist, zum Einsturz zu bringen. Der Actionfilm handelt tief in seine Struktur eingegraben auch von einer Weigerung: Der Actionheld weigert sich, die Kontingenz – die Erkenntnis, dass alles, was ist, auch anders sein könnte – anzuerkennen und zur Grundlage seiner Handlungen zu machen – was letztlich seine Handlungsunfähigkeit bedeuten würde. Der Actionheld trifft eine Entscheidung, er markiert eine Zäsur. Er ist sozusagen das Mensch gewordene Trotzdem. Und er lässt sich nicht determinieren, er definiert sich selbst durch seine Handlungen. Der Actionheld ist ein Träumer. Immer wieder – auch hier im Blog – fällt im Zusammenhang mit dem Actionfilm der Begriff des Existenzialismus. Der Existenzialismus besagt im Kern nicht mehr, als dass die Existenz der Essenz vorausgeht. Der Mensch ist erst, bevor er zum Individuum wird. Er kommt als Tabula Rasa auf die Welt, mit der Möglichkeit, sich in alle möglichen Richtungen zu entwickeln, bevor er sich dann qua seiner Handlungen selbst definiert. Der Mensch als Actionheld: Wesentlich für sein Sein ist das, was er tut. Die Genetik suggeriert aber, dass der Existenzialismus eine Illusion ist. Sie ist essenzialistisch, weil sie zeigt: Die Essenz geht der Existenz voraus. Im Moment der Geburt ist der Mensch bereits komplett angelegt, sein Weg vorgezeichnet, seine Entscheidungen determiniert. Die Konsequenz des Essenzialismus ist eine Welt ohne Helden.

Es ist also klar, wie sich Lam in der Entwicklung seines Plots entscheidet, ja wie er sich entscheiden muss. Der Klon des Killers, von dem man doch glaubt, dass er selbst auch ein Killer ist, entwickelt sich nämlich ganz anders. Unter der Leitung Rileys, der von seiner Mutter zu hören bekommt, dass ein Mensch zum Verbrecher wird, wenn man ihn wie einen Verbrecher behandelt, als er den Klon unsanft zur Bettruhe im Bad ankettet, wird er nicht zur Kopie des „Bruders“, sondern zu dessen Negativ. Und das wird nicht wirklich überzeugend entwickelt: Geht REPLICANT mehrfach davon aus, dass auch Erinnerungen und Sinneseindrücke vererbt werden, sich also in die Biologie einschreiben – etwa wenn der Klon Bilder vor dem geistigen Auge sieht, die sein Bruder gesehen hat, er Erinnerungen seines Bruders teilt -, so markiert er als wesentlichen Unterschied zwischen den beiden komplementären Teilen die leibliche Erfahrung des Traumas: „Die Fackel“ wurde in der Kindheit von der alleinerziehenden Mutter in den Schrank eingeschlossen, dieser dann gar angezündet. Seine Mordserie ist nichts anderes als die verspätete Rache für dieses erlittene Leid. Ein Leid, dass der Klon dann doch „nur“ erinnert, ohne echte Gefühle damit verknüpfen zu können. Man könnte das damit erklären, dass Lams Film selbst genetisch vorprogrammiert ist: Im Actionfilm kann eben nicht sein, was nicht sein darf. Oder aber damit, dass Lam – selbst ganz existenzialistischer Actionheld – eben eine Zäsur setzt, Schluss macht mit dem Determinismus; nicht, weil er bessere Argumente hat, sondern um überhaupt leben (= einen Film machen) zu können. Nur wirkt diese Zäsur nicht wie mit dem Mut der Verzweiflung, dem heiligen Zorn und ungebremster Überzeugung vorgebracht, sondern wie die Tat eines Gewohnheitstieres, der nur noch through the motions geht. So bringt sich Lam leider um die Chance eines radikalen Umbruchs des Actionfilms, die Chance, den Helden im Essenzialismus zu suchen und vielleicht zu finden. Die zweite Hälfte des Films bedient sich dann auch eher des Motivs des Kampfes gegen sich selbst, einer bodenständigeren Variante von Woos FACE/OFF, wenn man so will. Der Klon und der Killer sind die zwei Seiten einer Persönlichkeit, die jedoch nicht länger nebeneinander existieren können. So entpuppt sich der biologistische Ansatz von REPLICANT am Ende doch nur als Fassade, nur als Metapher für einen letztlich eher von der psychologischen Seite her aufzudröselnden Film. Das ändert aber nix daran, dass REPLICANT hoch interessante „Lektüre“ bietet. Und dass Lam inszenieren kann, muss ja eh nicht extra betont werden.

Kommentare
  1. Marcos sagt:

    Was mich an diesem Film immer sehr gestört hat war, dass er – immerhin im Jahr 2000 gedreht – immer noch nicht den gravierenden Unterschied zwischen Vererbungslehre und Genetik in der Lage war deutlich zu machen. Das schaffen erstaunlicherweise schon Filme aus den 1960er Jahren. Man bedient sich tatsächlich den technologischen Überlegungen neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse des ausgehenden 20. Jahrhunderts, verrührt es mit den hirnverbrannten Theorien der Vergangenheit (Lamarck lässt grüßen) und fügt noch eine Prise Science Fiction dazu und fertig ist das Potpourri. Das Ringo Lam daraus keinen überzeugenden Film gemacht hat, wundert mich nicht, haben er und seine Autoren doch nicht mal im Ansatz das Sujet verstanden innerhalb dessen sie sich aufhalten. Genforschung hat und hatte nichts damit zu tun „was“ ein Mensch in der Welt ist, sondern „wie“ er auf sie reagiert. Das ist eine weit komplexere Angelegenheit aus dem Zusammenspiel Erbanlagen und Umwelt als nur einem von beidem den Vorzug zu geben. Dies ist dann auch der größte Fehler in REPLICANT. Es ist ähnlich wie bei einem Thesenroman, doch bedient Ringo Lam sich nicht nur wissenschaftlichen Überlegungen, die irgendwann drohen veraltet zu sein, sondern stützt seine gesamte Geschichte auf wissenschaftliche Überlegungen, die so niemals von irgendeinem Wissenschaftler vertreten wurden (Mörder-Gene, vererbte Erinnerungen, Traum-Telepathie usw.). Das wäre aber alles noch gar nicht weiter schlimm, wenn Lam diese Sache wenigstens im Werk reflektieren würde oder auch nur eine Szene einbauen würde, die herausarbeitet, dass die Basis aller Überlegungen, auf die sich gestützt wird, falsch ist. Stattdessen kontert er sein falsches Gerüst mit einer philosophischen Wahrheit, die aber bereits elementarer Bestandteil der Basis sein müsste, hätte man sich von Anfang an klar gemacht, was die Implikationen des Themas bedeuten. Die Redundanz, die das Werk dadurch erhält, lässt es in eine Art Starre fürs Genre verfallen. Es hat nichts, aber auch gar nichts auszusagen. Von seinen hanebüchenen Beiträgen zum Thema Lerntheorie und abgedroschenen humanistischen Binsenweisheiten ganz zu schweigen.

    Wenn man sich übrigens klar macht, dass eine „genetische Programmierung“ lediglich teil-bestimmend ist wie wir auf bestimmte Umweltreize reagieren und sich aus dem reziprokem Wechselspiel mit der Umwelt erst ergibt was wir in der Welt sind, dann gibt’s auch zwischen Essenz und Existenz im Existenzialismus gar nicht mehr so viele Probleme. Im Gegenteil: Das macht die Sache dann erst richtig interessant. Das ist auch einer der wichtigen Bausteine meiner „Heldentheorie“, von der ich Dir zum Airwolf-Text mal erzählt habe.

  2. Oliver sagt:

    Danke für deine Ergänzungen. Mir war beim Schreiben schon klar, dass ich mich als halbwissender Laie auf wackliges Terrain begebe, insofern finde ich es gut, dass du meinen Blubb präzisierst bzw. geraderückst. 🙂

    Ich habe Sartres Definitions des Existenzialismus als das Der-Essenz-Vorausgehen der Existenz immer schon eher als, sagen wir mal, politische Forderung verstanden. Den Erkenntnissen der Naturwissenschaften konnte auch er sich nicht entziehen und war wohl intelligent genug, um zu wissen, dass der Mensch nicht bedingungslos „frei“ ist. Auch sein existenzialistisches Manifest (es trägt wohl nicht zu Unrecht den Titel „Der Exitenzialismus ist ein Humanismus“) ist im Grunde genommen eine Zäsur, wie sie der Actionheld vornimmt.

    Dass REPLICANT verquast ist, dem würde ich ohne Wenn und Aber zustimmen, auch dass er eigentlich nichts Neues zu sagen hat, sondern im Gegenteil eigentlich sogar extrem reaktionär ist: Er fällt noch weit hinter längst erworbene Erkenntnisse zurück. Aber ich finde es schon spannend, wie sehr sich Lam windet, um nicht die eigentlich logischen Konsequenzen aus seinen falschen Ansichten über Vererbung und Genetik ziehen zu müssen.

  3. Marcos sagt:

    Ja, das geht mir auch so. Dieser kantonesische Inszenierungsstil der Emotionalität und Theatralik – Du hast es ja schon passenderweise mit John Woo verglichen – lassen das dann sowieso schon in ein SciFi-Märchen abgleiten. Ähnlich wie Ringo Lam sich bei seiner Inszenierung windet, winde ich mich dann bei den herzzerreißenden Szenen, wenn der Klon-van-Damme wie ein verschrecktes Tier im Heizungskeller liegt. Da geben sich Fremdscham und echte Rührung die Klinke in die Hand. Daher wohl auch meine etwas barschere Abkanzelung des Films. Selbst ein so inhaltlich dummer Film rührt noch mein Herz. Das soll er nicht, denkt sich da mein Ratio-Ich.

  4. Oliver sagt:

    Ja, der Film ist in seiner Darstellung des Klons herrlich plakativ. Aber Van Damme macht das eigentlich ziemlich toll. In seinem erstaunten Gesicht habe ich gestern ein paar Mal den neugierig-verwunderten BLick meiner kleinen Tochter wieder erkannt. Dass man geneigt ist, sein Spiel ein bisschen zu belächeln, liegt glaube ich eher daran, dass er sich da wirklich kopfüber und ohne Netz und doppelten Boden reinstürzt. Er spielt genauso naiv wie seine Figur das verlangt.

  5. Marcos sagt:

    Sehe ich auch so. Van Dammes Spiel ist eigentlich noch das beste daran. Bestimmt nicht die verkitschte Musik oder die Close-Ups seines Gesichts (die ihre Wirkung bei mir aber auch nicht verfehlen, verdammt).

  6. […] handelt. Hier haben wir sie, die Chance für den Helden im Essenzialismus, vor der Lam in REPLICANT noch zurückschreckte. Ein normales Leben ist für ihn zwar nicht mehr möglich, aber Erlösung […]

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