Archiv für Juni, 2020

Anstatt sich darum zu kümmern, die überfällige Miete für sein Appartement aufzutreiben und so seinen Rauswurf zu verhindern, verknallt sich Sam (Andrew Garfield) in eine mysteriöse Blondine und stürzt sich dann Hals über Kopf in die Ermittlungen in einer gewaltigen Verschwörung, als sein Schwarm über Nacht spurlos verschwindet. Es geht um einen Hundemörder, eine Serienkillerin mit Eulengesicht, unterirdische Bunker (oder Grabstätten), sie Entführung eines prominenten Wohltäters, geheime Botschaften in Popsongs und die Geheimnisse, die sich in die Topografie von Los Angeles und der Traumfabrik Hollywood eingeschrieben haben.

UNDER THE SILVER LAKE ist das Gegenteil von IT FOLLOWS, mit dem Regisseur Mitchell vor wenigen Jahren ziemlichen Wirbel machte: Begeisterte der Horrorfilm mit einer cleveren, abstrakten Prämisse, die dann konsequent mit Bedeutung aufgeladen wurde, ist Mitchells neuestes Werk ein (über Gebühr aufgeblasenes) 140-minütiges Epos, dessen Thema das Suchen nach Bedeutung selbst ist. UNDER THE SILVER LAKE ist der jüngste Spross einer Filmtradition, die bis in die Zeiten des Noir zurückreicht und solche unterschiedlichen Beiträge wie SUNSET BOULEVARD, CHINATOWN, THE DAY OF THE LOCUST, THE LONG GOODBYE, MULHOLLAND DRIVE, THE BLACK DAHLIA oder zuletzt MAPS TO THE STARS und INHERENT VICE vereint. Gemein sind diesen Titeln die kritische Auseinandersetzung mit der Unterhaltungsindustrie, die längst nicht so unschuldig ist, wie sie sich vordergründig gibt, und der resignative Schluss, dass die gesamte verkommene Stadt auf Leichen gebaut wurde: ein neuzeitliches Sodom gewissermaßen, dessen Einwohner unter dem Dauerbeschuss der Zeichen langsam wahnsinnig werden und das nur darauf wartet, weggespült zu werden. Das Subgenre bietet Platz für melancholische Dramen (Wilders SUNSET BOULEVARD), bittere Crime-Stoffe (CHINATOWN, THE DAY OF THE LOCUST und THE BLACK DAHLIA) oder aber postmoderne surrealistische Komödien (THE LONG GOODBYE, MULHOLLAND DRIVE, MAPS TO THE STARS und INHERENT VICE), die sich über die Legendenbildung lustig zu machen scheinen. UNDER THE SILVER LAKE gehört zu letzterer Tradition, wobei ich nicht so genau weiß, ob sein Regisseur wirklich „in on the joke“ ist oder ob er nicht doch, wie sein Protagonist, an die große Verschwörung glaubt. Das ist aber nicht das einzige Problem des Films.

UNDER THE SILVER LAKE handelt wohl in erster Linie von der Sinnsuche der Millennials: Sam sollte einer Arbeit nachgehen, aber er hat keine Lust dazu. Seine Zimmerwände zieren die Poster alter Hollywood-Klassiker, mit der Gegenwart und ihrer Kultur scheint er nur wenig zu tun zu haben. Das Mädchen, in das er sich verliebt, sieht selbst aus wie eine Wiederkehr des klassischen Hollywood-Starlets und auf der Suche nach ihr muss er nicht nur lernen, dass die Songs und Helden, die er vergöttert, Fälschungen sind, sondern auch, dass diese Welt nur dazu existiert, die Reichen glücklich zu machen und das Fußvolk in einem Stadium der Sedierung zu halten. Das ist gewiss eine Sicht auf die Welt, den Spätkapitalismus und die Kulturindustrie, über die man produktiv diskutieren kann: Aber sie ist eben auch nicht so revolutionär, dass man sie in einem derart verklausulierten Zweieinhalbstünder verpacken muss, der noch dazu fast gänzlich ohne den dringend nötigen Humor, die überdrehten visuellen Einfälle oder den scharfen Biss auskommt. UNDER THE SILVER LAKE bemüht nicht ganz überraschend das gedrosselte Tempo, das man mit Schlafwandelei oder Tagträumerei assoziiert, aber Mitchell macht den Fehler, zu glauben, dass man seine wilden Verschwörungsfantasien per se genauso faszinierend findet wie er oder sein Protagonist. Letzterer ist schon das Hauptmanko: Sam ist relatable in seiner Gelangweiltheit, aber weder besonders sympathisch noch irgendwie interessant. Man erfährt fast nichts über ihn und wenn doch, möchte man eigentlich nichts mehr mit ihm zu tun haben. Dann ist da der schon erwähnte Mangel an Drive: Wenn ein Film schon nicht darauf setzt, dass man mit ihm mitfiebert oder antizipiert, worauf er hinausläuft, sollte der Weg zum unbekannten Ziel wenigstens mit Attraktionen gepflastert sein, aber Momente, die herausstechen, sind in UNDER THE SILVER LAKE rar gesät. Die Begegnung mit einem greisen Songwriter, der anscheinend alle Hits seit den Fifties geschrieben hat – darunter auch „Smells like teen spirit“, die Hymne über Selbstbehauptung, Individualität und Auflehnung – ist so ein Highlight, aber vieles wirkt leider wie ein lebloser, bemühter Abklatsch der großen Vorbilder. Ich mag diese Art von Filmen eigentlich – aber mein Interesse an UNDER THE SILVER LAKE nahm während des Schauens kontinuierlich ab, bis ich ihn eigentlich nur noch aus Pflichterfüllung zu Ende geschaut habe. Schlecht ist er nicht, aber der bescheidene IT FOLLOWS war ca. hundertmal befriedigender – und nebenbei auch anspruchsvoller.

 

 

 

John Woo drehte zwischen 1993 und 2003 sechs Filme in Hollywood (die Fernseharbeiten ONCE A THIEF und BLACK JACK nicht mitgezählt): HARD TARGET, BROKEN ARROW, FACE/OFF, MISSION: IMPOSSIBLE 2, WINDTALKERS und eben PAYCHECK. Er war der erste und außerhalb seiner Heimat wohl auch der berühmteste der Hongkong-Regisseure der Neuen Welle, die Anfang/Mitte der Neunzigerjahre nach „drüben“ geholt worden waren, doch anstatt das US-amerikanische Actionkino zu revolutionieren, wie es sich viele Verehrer des HK-Kinos allgemein und seiner Heroic-Bloodshed-Opern im Besonderen hofft hatten, bekam man nur eine gestutzte, geglättete und ihrer emotionalen Spitzen beraubte Version. Mit HARD TARGET und FACE/OFF fielen aller Blödheiten zum Trotz immer noch zwei ziemliche Kracher ab, aber aus künstlerischer Sicht muss man seinen zehnjährigen Ausflug nach Tinseltown als kreativen Schuss in den Ofen bezeichnen. Wie bezeichnend, dass er diese Phase seines Lebens mit einer Adaption von Philip K. Dick abschloss, die den einstigen Bilderstürmer kaum noch erahnen lässt und dann auch noch mit PAYCHECK betitelt ist. Ich hoffe, dass sich Woos Sackgasse finanziell gelohnt hat.

Michael Jennings (Ben Affleck) ist ein Top-Ingenieur, der regelmäßig gut dotierte Aufträge erhält, technische Innovationen aus der Welt der Computer nachzubauen und zu verbessern. Damit er danach keine Geheimnisse verraten kann, wird ihm zum Abschluss seiner Arbeit stets die Erinnerung gelöscht. Als sein Bekannter Rethrick (Aaron Eckhart) ganze drei Jahre von Jennings Leben auf diese Weise  kaufen will, zögert der nur kurz: De Bezahlung ist einfach zu gut. Doch als er „aufwacht“, stellt er erschrocken fest, dass er die 90 Millionen, die er in drei Jahren Arbeit verdient hat, kurz zuvor angeblich höchstselbst gegen einen Umschlag voll wertlosen Plunders engetauscht hat. Und dann wird er auch noch vom FBI verhaftet. Mithilfe einer Schachtel Zigaretten und einer Brille aus dem ominösen Briefumschlag gelingt ihm jedoch die Flucht. Zufall? Nein, denn es sieht so aus, als habe Jennings an einer Maschine gearbeitet, mit der man in die Zukunft schauen kann …

Ein Jahr vor PAYCHECK war die von Steven Spielberg inszenierte und mit Tom Cruise besetzte Dick-Adaption von MINORTY REPORT ein großer Erfolg gewesen. Auch da ging es im Grunde um den Blick in die Zukunft – und die berühmte Szene, in der Cruise Computergrafiken auf einem riesigen Bildschirm mit bloßen Händen bewegt und manipuliert, wird in Woos Film gleich in den ersten zehn Minuten kopiert. Der visionären Kraft Spielbergs hat Woo allerdings nicht viel entgegegenzusetzen – und noch nicht einmal die Liebhaber seiner elegant inszenierte Ballereien kommen auf die Kosten. PAYCHECK, der für mich alten Sack noch unter „aktuell“ fällt, sieht heute aus wie ein Relikt der Neunziger und könnte, bis auf ganz wenige Aufnahmen, die den Actionmagier erkennen lassen – es gibt eine ganz schöne Verfolgungsjagd, von jedem inszeniert worden sein. Der Einsatz der Zeitlupe, einst ein Markenzeichen Woos, wirkt hier wie weniger wie ein erzählerisches Stilmittel als vielmehr wie ein Zugeständnis an ein saturiertes Publikum, dem schon eine Episode von EIN FALL FÜR ZWEI zu rasant ist. Diese Mischung aus Ruckel-SloMos, verfremdeten Erinnerungsfetzen und anderen visuellen Gimmicks, die nur wenig später dankenswerterweise auf der Müllhalde der Filmgeschichte landeten, schockierte anno 2003 keinen mehr, zu desillusioniert war man da bereits, was Woos Hollwood-Schaffen anging, aber rückblickend ist das schon ziemlich bitter.

Dass PAYCHECK trotzdem keine totale Zeitverschwendung ist, liegt an seinem Drehbuch bzw. der cleveren Idee Dicks und dem, was Drehbuchautor Dean Georgaris daraus macht: Der Film ist ähnlich Banane wie FACE/OFF, hat einen Hauptdarsteller, dessen Underacting gar nicht so weit entfernt ist vom Overacting des Duos Travolta & Cage, eine gnadenlos unterforderte Uma Thurman und Aaron Eckhart mit dem schlimmsten Messdienerscheitel diesseits von Philipp Amthor. PAYCHECK ist der klassische Fall eines Films, der sich für unfassbar clever hält, der eigentlich nur gemacht wurde, um diese vermeintlich unfassbare Cleverness zur Schau zu stellen, sich dann aber recht schnell als nur halb so schlau entpuppt. Am Ende läuft alles doch wieder nur auf das Abspulen gut abgehangener Klischees hinaus, aber es ist eben diese Art von High-Concept-Cleverness, die irgendwie Spaß macht und über die plastikhafte Hässlichkeit des Film hinwegtröstet.

 

Bei der Konfrontation mit dem Kriminalbeamten Kondo (Mikio Narita), hackt die flüchtige Sasori (Meiko Kaji) diesem den Arm ab. Ihr Weg führt sie in das Haus der Prostituierten Yuki (Yayoi Watanabe), die zusammen mit ihrem geistig zurückgebliebenen Bruder lebt, dem sie immer wieder sexuelle Gefallen tut, um ihn ruhigzustellen – und sogar ein Kind von ihme erwartet. Sasori gerät aus Fürsorge für ihre neue Bekannte zwischen die Fronten eines Unterweltkampfes, bei dem sie auch ihrer alten Bekannten Katsu (Reisen Lee) wiederbegegnet, die ihr schon im Gefängnis das Leben zur Hölle gemacht hatte.

Nach dem psychedelisch-surrealen Vorgänger stellt der dritte Teil – auch der letzte, der von Itô gedreht wurde – eine Rückkehr zum schmutzigen, mit Elementen des Pinku versetzten Crime- und Rachefilms ersten Teil dar, der in dieser Inkarnation allerdings noch deutlich „trockener“ geraten ist. Inszenatorische Kabinettstückchen wie die sich drehenden Bühnenbilder sucht man hier vergebens, im Gedächtnis bleibt hier eher die mit versteckter Kamera gedrehte Sequenz zu Beginn, während der die Titelheldin mit dem abgetrennten Arm Kondos durch die Straßen Tokios rennt, vorbei an ihr verdutzt nachblickenden Passanten. Was die wohl zu Hause erzählt haben?

Ich habe den Film schon vor zwei Wochen gesehen und die Erinnerung ist etwas verblasst, deshalb ist dieser Text hier unter „Pflichterfüllung“ einzusortieren: FEMALE PRISONER SCORPION: BEAST STABLE ist ein hübscher Exploiter, dem aber der kreative Drive der ersten beiden Teile ziemlich abgeht. Meiko Kaji reißt es raus und den ein oder anderen schönen visuellen Einfall gibt es auch wieder, aber wirklich mitgerissen hat mich der Film nicht mehr. Er ist allerdings noch um Lichtjahre stärker als der enttäuschende Abschluss, den es dann demnächst irgendwann hier gibt, wenn ich hoffentlich wieder mehr Lust aufs Schreiben habe.

In Rom löst ein unvorhergesehener Schicksalsschlag eine unaufhaltsame Ereigniskette aus, die nicht nur das Leben mehrerer unterschiedlicher Individuen maßgeblich beeinflusst, sondern bis in die höchsten Etagen des Staates reicht.

Die einzelnen Parteien und Personen der Geschichte und ihre Verflechtung miteinander aufzudröseln, würde an dieser Stelle zum einen zu weit führen, zum anderen einen wesentlichen Teil des Vergnügens schmälern. Es macht nämlich einfach Freude, dabei zuzusehen, wie elegant und geduldig Stefano Sollima seine Geschichte entwickelt und zunächst unabhängig voneinander laufende Plotfäden und Figuren auf unvorhergesehene Art und Weise zusammenführt. Im Mittelpunkt der Handlung stehen die Bemühungen des organisierten Verbrechens, den heruntergekommenen römischen Küstenbezirk Ostia in ein italienisches Las Vegas zu verwandeln. Dafür nötig ist ein Gesetz, das zur Verabschiedung zu bringen die Aufgabe des korrupten Abgeordneten Malgradi (Pierfrancesco Favino) ist. Alles ist vorbereitet, doch dann stirbt eine minderjährige Prostituierte bei einer der kleinen Sexorgien Malgradis. Ihre „Entsorgung“ durch einen überehrgeizigen Jungganoven, der nicht weiß, worauf er sich einlässt, tritt die scicksalhafte Ereigniskette los, die in einer politischen und privaten Apokalypse endet.

Das erzählerische Muster, nach dem Sollima vorgeht, ist nicht wirklich neu. Wie fast immer in diesen Polit- und Mafiathrillern sind es die individuellen Charakterzüge und -mängel, Eitelkeiten und Irrationalitäten, die den todsicheren Plan zum Scheitern bringen. Dass der amtierende Premierminister sowie der Papst – dessen Involvierung in schmutzige Geschäfte hier nur angedeutet wird – zurücktreten wollen und das fragile italienische Staatssystem noch mehr unter Druck setzen, ist fast nebensächlich. Es scheint auch nur Ausdruck des allgemeinen Chaos, das alle Beziehungen zu bestimmen scheint. Doch Sollima geht es nicht nur um die elegante erzählerische Konstruktion (die sich auch in den erlesen kühlen Bildern widerspiegelt): Im korrupten System schlummert ein inhärenter Baufehler. Denn da, wo alle in schmutzigen Geschäften miteinander verwickelt sind, muss sich ein offen ausgetragener Konflikt fast zwangsläufig zum unkontrollierbaren Flächenbrand ausweiten. SUBURRA zeigt das ziemlich eindrucksvoll, wie selbst noch Randfiguren des Geschehens in den Sog aus Gewalt und Rache hineingesogen werden, sich die Hände schmutzig machen und letztlich dazu beitragen, dass sich die Gewaltspirale immer schneller dreht.

Anlässlich seines letzten Spielfilms, des unsäglichen 31, hatte ich bereits überlegt, ob man bei Rob Zombie von einen kreativen Absturz sprechen muss oder ob seine sehr spezielle Spielart der Exploitation einfach nur die natürlichen Ermüdungs- und Abnutzungserscheinungen zeigt. Man kennt das aus der Popmusik, wenn eine beim ersten Mal noch geniale und originelle Idee in der fünften Wiederholung so gnadenlos nervt, dass davon rückblickend auch das Original beeinträchtigt wird. Zombies Kino, eine stets an der Schwelle zur Hysterie stehende Verquickung von True-Crime-Grittiness, Seventies-Worship, greller Americana und Zirkus- und Jahrmarktfetisch, stieß selbst in seinen besten Filmen bisweilen an seine Grenzen, in einem Desaster wie 31 schien dann nur noch das Niederbrennen mit Stumpf und Stiel eine angemessene Reaktion. Dass die kreative Bankrotterklärung einem Film wie THE LORDS OF SALEM folgte, der doch eine Verfeinerung der bekannten Stilistika zeigte und eine dringend nötige Weiterentwicklung des Filmemachers andeutete, warf weitere Fragen über Zombies Verfassung auf, die mit 3 FROM HELL zwar nicht gerade verstummen, deren Beantwortung aber längst nicht mehr so interessant scheint. Die Fortsetzung seines vielleicht beliebtesten Films THE DEVIL’S REJECTS (der seinerseits ein Sequel zum Debüt HOUSE OF 1.000 CORPSES war), ist keinesfalls eine Rückkehr zu alter Form, zeigt im Gegenteil erhebliche Ermüdungserscheinungen und inszenatorische Mängel, ist aber weit vom erbarmungswürdigen Niveau des indiskutablen Vorgängers entfernt. Man könnte ihn wohlwollend als das Sich-Einrichten im Mittelmaß bezeichnen.

Nach den Ereignissen des Vorgängers sind die mörderischen Fireflys – Captain Spaulding (Sid Haig), Otis B. Driftwood (Bill Moseley) und Baby (Sheri Moon Zombie) – inhaftiert und zu Volkshelden mutiert. Spaulding wird hingerichtet, Otis gelingt mithilfe seines Bruders Winslow (Richard Brake) die Flucht und gemeinsam erwirken die beiden auch die Freilassung von Baby, indem sie die Familie von Gefängniswärter Dallas Harper (Jeff Daniel Willis) erst als Geiseln nehmen und dann gnadenlos abschlachten. Die Flucht führt sie nach Mexiko, wo sie allerdings von einem ebenso mordlustigen Kartell ausgemacht und in eine wilde Schießerei verwickelt werden.

Das Hauptmanko von 3 FROM HELL geht schon aus der Inhaltsangabe hervor: Eigentlich hat Rob Zombie nichts mehr zu erzählen. Ja, seine Charaktere sind reizvoll, wenngleich seine Sympathie für ein paar vollkommen geisteskranke, brutale Mörder durchaus Fragen aufwirft, aber er weiß nicht mehr, was er mit ihnen noch anfangen soll. Der Film beginnt mit einer arhythmischen Aneinanderreihung von Fernseh- und Found-Footage-Bildern, die den Betrachter auf den neuesten Stand bringt (und den Eindruck von Unreife hinterlässt, den sich Zombie nach über 20 Jahren im Business eigentlich nicht mehr leisten sollte), und spult dann seine Story ab, die nach der langen Pause der Killerfamilie mehr als unbefriedigend wirkt. Nicht nur hat Zombie nichts zu erzählen, alles mutet wie wie ein lauwarmer Abklatsch vergangener Filme an. Manche Szenen – etwa ein unbeholfener Dialog zwischen Otis und Winslow über Bogart und Cagney – rufen nackte Fremdscham hervor, Sheri Moon Zombie, deren Interpretation der verführerisch-sadistischen Mörderin immer schon schwierig war, strapaziert in einem noch weiter ausgebauten Part erheblich die Nerven, die ausgestellte Brutalität gegenüber der bürgerlichen Familie um den Gefängniswärter scheint in ihrer mitleidlosen Grausamkeit einfach unnötig und kaltherzig, die Gastauftritte alter Genre-Recken – Austin ASSAULT ON PRECINCT 13 Stoker, Dee Wallace, Daniel Roebuck und Clint Howard – sind reine Pflichterfüllung ohne echten Mehrwert, die Frische eines damal so radikalen Films wie HOUSE OF 1.000 CORPSES vermisst man an allen Ecken und Enden. Trotzdem: Die Reduktion ist nach dem Chaos des völlig aus dem Ruder gelaufenen 31 ein Schritt in die richtige Richtung, und ein paar schöne Momente hat der Film dann auch. Dass Zombie, der noch vor 15 Jahren einiges Potenzial offenbarte, noch einmal einen richtigen Entwicklungssprung macht, möchte ich nach 3 FROM HELL allerdings bezweifeln. Der Zug ist wohl abgefahren.

 

Nachdem sie am Ende des ersten Teils Rache an ihrem Liebhaber für dessen Verrat genommen hatte und ins Gefängnis zurückgekehrt war, befindet sich Nami (Meiko Kaji) zu Beginn des Sequels seit einem Jahr in Isolationshaft. Als der Justizminister zu Besuch kommt, holt der sadistische Gefängnisdirektor Goda (Fumio Watanabe) die vollkommen geschwächte Frau zu Vorführungszwecken aus der Zelle. Der Auftritt Namis führt zu einer Revolte, die jedoch niedergeschlagen wird. Zusammen mit sechs anderen Frauen soll Nami in ein anderes Gefängnis verlegt werden, doch ihnen gelingt die Flucht durch eine postapokalyptisch anmutende Landschaft.

FEMALE PRISONER 701: JAILHOUSE knüpft unmittelbar an den Vorgänger an, dessen noch sparsam vorhandenen psychedelisch-avantgardistischen Anwandlungen Regisseur Itô nun auf die Spitze treibt: In einem höllenähnlichen Steinbruch wird Nami an einen vertrockneten Baum gebunden; die Flucht führt die Frauen in eine Geisterstadt in den Bergen, wo sie eine greisenhafte Wahrsagerin treffen; ein Gebirgsbach verwandelt sich nach der Ermordung einer der Frauen durch die sie verfolgenden Gefängniswärter in einen Blutstrom; ein bunter Herbstwald umfängt die Flüchtlinge mit der Farbenpracht der fallenden Blätter und alles endet auf einer gigantischen Müllkippe. Ließ sich FEMALE PRISONER #701: SCORPION überwiegend noch als roher Frauenknast- und Rachefilm charakterisieren, der vom Trieb seiner weiblichen Protagonisten und einem straight heruntergerissenen Plot angetrieben wurde, so  wir das Sequel endgültig zur visuell faszinierenden Phantasmagorie, die kaum noch Bezüge zur Realität aufweist, sondern gänzlich in einer Comicwelt oder aber im Kopf der Titelheldin angesiedelt ist.

Leider krankt der Film ein wenig an seiner beliebig anmutenden Handlung – wenn man überhaupt von einer solchen sprechen möchte. Innerhalb der Serie kommt FEMALE PRISONER 701: JAILHOUSE 41 die Aufgabe zu, Nami aus dem Knast in die Stadt zu bringen. Das vollbringt er mit maximalem, meist sogar beeindruckendem Stilbewusstsein, aber inhaltlich bleibt nicht viel hängen – stattdessen schwebt der Vorwurf einer gewissen Prätentiosität über dem Film. Dem ersten Teil merkte man manchmal an, dass Itô viele der Ideen auf die Leinwand, die schon so lange in seinem Kopf gärten, unbedingt auf die Leinwand bringen wollte, doch nie entglitt ihm dabei die straff geführten Zügel. Positiv ausgedrückt könnte an sagen, dass der zweite Teil demgegenüber deutlich freier anmutet, sich Itô ganz und gar von allen erzählerische Zwängen emanzipiert hat; weniger freundlich erinnert der Film an eine Collage von visuellen Ideen, die durch ein wurmstichiges Plotgerüst nur notdürftig zusammengehalten werden. Daran, dass FEMALE PRISONER 701: JAILHOUSE 41 ein faszinierendes Seherlebnis ist, ändert das aber nichts. Es ist sicherlich der ungewöhnlichste Teil der Serie.

Nami Matsushima (Meiko Kaji), Amüsiermädchen in einem Rotlichtbetrieb, wird von dem Kriminalbeamten Sugimi (Isao Natsuyagi), mit dem sie eine glückliche Liebesbeziehung unterhält und der gegen ihre Arbeitgeber ermittelt, verraten. Im Gefängnis sieht sie sich einer ganzen Reihe von Demütigungen ausgesetzt, sowohl durch die sadistische Anstaltsführung als auch durch die weiblichen Mitgefangenen. Doch Nami hält durch, beseelt von der Durst nach Rache an dem Verräter …

FEMALE PRISONER #701: SCORPION, der Auftakt zur vierteiligen Filmreihe (spätere Neuadaptionen nicht mitgezählt) um die stoische Rächerin Nami, die zur Ikone und Kultfigur heranreifte, trägt die typischen Zeichen eines Debütfilms. Vordergründig ein konzentrierter Exploiter mit klar herausgearbeiteter Storyline, sind es die zahlreichen visuellen Raffinessen und Regieeinfälle, die die Grenze zum experimentellen Avantgardefilm immer wieder verwischen. So inkorporiert Itô in der via Rückblende erzählten „Origin-Story“ etwa Elemente wie schwenkbare Bühnenbilder, um den Fortgang der Zeit zu verdeutlichen, sichtbare Szenenübergänge zu schaffen und die Form des reinen Erzählfilms aufzubrechen. Krasse Beleuchtungseffekte erinnern an expressionistische Horrorfilme, unterwandern jeden zaghaften Versuch in Sachen Realismus und verwandeln seinen Film in einen grellen, abstrakten Comic Strip (der Film basiert auf einer Manga-Reihe), der ebenso den japanischen Machismo geißelt wie er dem Fetisch weiblicher Leidensfähigkeit einen reizvoll schillernden Altar baut.

Dass das alles nicht in die misogynistischen Abgründe des Schmierfilms abgleitet, in denen es sich weite Teile des WiP-Films häuslich eingerichtet haben, liegt zum einen an Itô, der keinen Zweifel daran lässt, wie seine Sympathien verteilt sind, zum anderen an Meiko Kaji, die der wilden Entschlossenheit ihrer schweigsamen Rächerin große Anmut und inspirierende Standfähigkeit verleiht. Wenn sie unter den drohenden Augen ihrer Peiniger auch dann noch weiter an ihrem Loch gräbt, als ihre weiblichen Mithäftlinge links und rechts von ihr vor Erschöpfung zu Boden sinken, wenn jede Demütigung an ihr abprallt, sie alles über sich ergehen lässt, weil sie weiß, dass ihr Moment kommen wird, dann sieht man in sie in der guten Gesellschaft meist männlicher Kino-Stoiker – die jedoch anders als sie nur höchst selten als geschlechtliche Wesen aufs Korn genommen wurden.

Itô inszeniert seinen Film mit der unbändigen Kreativität eines Mannes, der jeden visuellen Einfall, der ihn in den Jahren zuvor geplagt hat, auf die Leinwand bringen möchte. FEMALE PRISONER #701: SCORPION birst förmlich vor Experimentierfreude, doch er verliert darüber nie den roten Faden. Wenn seine Protagonistin am Ende ihre Rache bekommt, als schwarzer Engel mit eng anliegendem Mantel und breitkrempigem Hut auf die Jagd geht, schreibt Itô sogar Genrekino-Geschichte. Die Sequels – der nun endgültig in den Bereich der Psychedelik diffundierende zweite Teil FEMALE PRISONER SCORPION: JAILHOUSE 41, der aufgeräumtere dritte FEMALE PRISONER SCORPION: BEAST STABLE und in geringerem Maße der von Yasuharu Hasebe inszenierte Abschluss FEMALE PRISONER SCORPION: #701’s GRUDGE SONG – haben allesamt ihre Stärken und Momente, aber weder bekommen sie die Gratwanderung zwischen raumgreifendem Mitteilungsbedürfnis und größter Konzentration auch nur annähernd so gut hin wie das Original noch haben sie diese Momente für die Ewigkeit. FEMALE PRISONER #701: SCORPION hingegen ist ein echter Klassiker, den jeder Freund des abseitigen Kinos auf dem Zettel haben sollte.