Anstatt sich darum zu kümmern, die überfällige Miete für sein Appartement aufzutreiben und so seinen Rauswurf zu verhindern, verknallt sich Sam (Andrew Garfield) in eine mysteriöse Blondine und stürzt sich dann Hals über Kopf in die Ermittlungen in einer gewaltigen Verschwörung, als sein Schwarm über Nacht spurlos verschwindet. Es geht um einen Hundemörder, eine Serienkillerin mit Eulengesicht, unterirdische Bunker (oder Grabstätten), sie Entführung eines prominenten Wohltäters, geheime Botschaften in Popsongs und die Geheimnisse, die sich in die Topografie von Los Angeles und der Traumfabrik Hollywood eingeschrieben haben.
UNDER THE SILVER LAKE ist das Gegenteil von IT FOLLOWS, mit dem Regisseur Mitchell vor wenigen Jahren ziemlichen Wirbel machte: Begeisterte der Horrorfilm mit einer cleveren, abstrakten Prämisse, die dann konsequent mit Bedeutung aufgeladen wurde, ist Mitchells neuestes Werk ein (über Gebühr aufgeblasenes) 140-minütiges Epos, dessen Thema das Suchen nach Bedeutung selbst ist. UNDER THE SILVER LAKE ist der jüngste Spross einer Filmtradition, die bis in die Zeiten des Noir zurückreicht und solche unterschiedlichen Beiträge wie SUNSET BOULEVARD, CHINATOWN, THE DAY OF THE LOCUST, THE LONG GOODBYE, MULHOLLAND DRIVE, THE BLACK DAHLIA oder zuletzt MAPS TO THE STARS und INHERENT VICE vereint. Gemein sind diesen Titeln die kritische Auseinandersetzung mit der Unterhaltungsindustrie, die längst nicht so unschuldig ist, wie sie sich vordergründig gibt, und der resignative Schluss, dass die gesamte verkommene Stadt auf Leichen gebaut wurde: ein neuzeitliches Sodom gewissermaßen, dessen Einwohner unter dem Dauerbeschuss der Zeichen langsam wahnsinnig werden und das nur darauf wartet, weggespült zu werden. Das Subgenre bietet Platz für melancholische Dramen (Wilders SUNSET BOULEVARD), bittere Crime-Stoffe (CHINATOWN, THE DAY OF THE LOCUST und THE BLACK DAHLIA) oder aber postmoderne surrealistische Komödien (THE LONG GOODBYE, MULHOLLAND DRIVE, MAPS TO THE STARS und INHERENT VICE), die sich über die Legendenbildung lustig zu machen scheinen. UNDER THE SILVER LAKE gehört zu letzterer Tradition, wobei ich nicht so genau weiß, ob sein Regisseur wirklich „in on the joke“ ist oder ob er nicht doch, wie sein Protagonist, an die große Verschwörung glaubt. Das ist aber nicht das einzige Problem des Films.
UNDER THE SILVER LAKE handelt wohl in erster Linie von der Sinnsuche der Millennials: Sam sollte einer Arbeit nachgehen, aber er hat keine Lust dazu. Seine Zimmerwände zieren die Poster alter Hollywood-Klassiker, mit der Gegenwart und ihrer Kultur scheint er nur wenig zu tun zu haben. Das Mädchen, in das er sich verliebt, sieht selbst aus wie eine Wiederkehr des klassischen Hollywood-Starlets und auf der Suche nach ihr muss er nicht nur lernen, dass die Songs und Helden, die er vergöttert, Fälschungen sind, sondern auch, dass diese Welt nur dazu existiert, die Reichen glücklich zu machen und das Fußvolk in einem Stadium der Sedierung zu halten. Das ist gewiss eine Sicht auf die Welt, den Spätkapitalismus und die Kulturindustrie, über die man produktiv diskutieren kann: Aber sie ist eben auch nicht so revolutionär, dass man sie in einem derart verklausulierten Zweieinhalbstünder verpacken muss, der noch dazu fast gänzlich ohne den dringend nötigen Humor, die überdrehten visuellen Einfälle oder den scharfen Biss auskommt. UNDER THE SILVER LAKE bemüht nicht ganz überraschend das gedrosselte Tempo, das man mit Schlafwandelei oder Tagträumerei assoziiert, aber Mitchell macht den Fehler, zu glauben, dass man seine wilden Verschwörungsfantasien per se genauso faszinierend findet wie er oder sein Protagonist. Letzterer ist schon das Hauptmanko: Sam ist relatable in seiner Gelangweiltheit, aber weder besonders sympathisch noch irgendwie interessant. Man erfährt fast nichts über ihn und wenn doch, möchte man eigentlich nichts mehr mit ihm zu tun haben. Dann ist da der schon erwähnte Mangel an Drive: Wenn ein Film schon nicht darauf setzt, dass man mit ihm mitfiebert oder antizipiert, worauf er hinausläuft, sollte der Weg zum unbekannten Ziel wenigstens mit Attraktionen gepflastert sein, aber Momente, die herausstechen, sind in UNDER THE SILVER LAKE rar gesät. Die Begegnung mit einem greisen Songwriter, der anscheinend alle Hits seit den Fifties geschrieben hat – darunter auch „Smells like teen spirit“, die Hymne über Selbstbehauptung, Individualität und Auflehnung – ist so ein Highlight, aber vieles wirkt leider wie ein lebloser, bemühter Abklatsch der großen Vorbilder. Ich mag diese Art von Filmen eigentlich – aber mein Interesse an UNDER THE SILVER LAKE nahm während des Schauens kontinuierlich ab, bis ich ihn eigentlich nur noch aus Pflichterfüllung zu Ende geschaut habe. Schlecht ist er nicht, aber der bescheidene IT FOLLOWS war ca. hundertmal befriedigender – und nebenbei auch anspruchsvoller.