Archiv für Dezember, 2019

THEATRE OF BLOOD war Prices erste Horrorfilm, den er nach der Vollendung seines Vertrags mit AIP drehte. Die von Roger Corman für die unabhängige Produktionsgesellschaft inszenierten Poe-Verfilmungen waren in den Sechzigerjahren immens erfolgreich gewesen und hatten die Popularität des Schauspielers in einer Phase bewahrt, in der es für Schauspieler altersbedingt oft schwierig wird, noch Hauptrollen zu ergattern. Der zunächst sehr attraktiv aussehende Zehnjahresvertrag, der der AIP ein Exklusivrecht auf Horrorfilme mit Price sicherte, dem Schauspieler es aber gleichzeitig ermöglichte, andere Rollen für andere Studios zu übernehmen, entwickelte sich für Price nach dem Ausscheiden von Corman aber zur Sackgasse, denn Arkoff und Nicholson fehlten sowohl der Draht zur Jugend, dem Hauptpublikum von Genrefilmen. als auch ein ähnlich stilsicherer und intelligenter Regisseur wie Corman es gewesen war. THE ABOMINABLE DR. PHIBES war wie Balsam auf durch Schund wie CRY OF THE BANSHEE geschlagene Wunden, doch das von Anfang an von Schwierigkeiten geplagte Sequel DR. PHIBES RISES AGAIN und die Tatsache, dass AIP mit Robert Quarry einen neuen Horrorstar neben Price aufbauen wollten, vergrätzten den Veteran. THEATRE OF BLOOD, den er im Anschluss für MGM drehte, und der die Erfolgsformel von THE ABOMINABLE DR. PHIBES noch einmal aufgriff, musste für Price wie eine Wiedergeburt wirken: Bis zu seinem Lebensende bezeichnete er ihn als einen seiner Lieblingsfilme.

Mit der schwarzen Komödie, die Douglas Hickox inszenierte, nachdem Robert Fuest abgelehnt hatte, erfüllte sich für den Mimen auch der Traum, legendäre Shakespeare-Monologe aus Stücken wie „Julius Caesar“, „Othello“, „Troilus und Cressida“, „Der Kaufmann von Venedig“, „Richard III.“, „König Lear“ oder „Romeo und Julia“ zu halten – und dabei gnadenlos dick aufzutragen. Noch dazu durfte er dabei Seite an Seite von wunderbaren britischen Darstellern agieren, die es ihm gleichtaten: Harry Andrews, Coral Brown (die danach Prices Ehefrau wurde), Robert Coote, Jack Hawkins, Michael Hordern, Arthur Lowe, Robert Morley und Dennis Price, ergriffen die Gelegenheit, es den selbstgerechten, versnobbten, eingebildeten und dabei fürchterlich langweiligen Kunstkritikern heimzuzahlen, über die sie sich in ihrer jahrzehntelangen Karrieren wahrscheinlich selbst oft genug hatten ärgern müssen, und warfen sich mit Schwung in ihre auf den Leib geschneiderten Rollen. Die Künstlichkeit des geistigen Vorbilds THE ABOMINABLE DR. PHIBES ersetzt Hickox mit beachtlicher Ruppigkeit: Die Morde sind ein deutlich anderes Kaliber, die nächtliche Enthauptung des friedlich neben seiner Gattin schlafenden Sporut (Arthur Lowe) ist ganz schön happig und wie der tödlich eifersüchtige Psaltery (Jack Hawkins) zum Mord an seiner Ehefrau getrieben wird, ist ein gutes Beispiel dafür, wie Hickox die Sympathien während des Films erheblich schwanken lässt.

Es ist nämlich keinesfalls so, dass THEATRE OF BLOOD sich auf blödes Kritikerbashing reduzieren ließe. Richtig, seine selbstgerechten Popanze haben einen Denkzettel verdient (der im Rahmen eines Filmes ruhig auch blutig ausfallen darf), aber dieser Edward Lionheart (Vincent Price) ist ja kaum weniger selbstsüchtig und raumgreifend in seiner Selbstbesoffenheit. Wie sein Seelenverwandter Dr. Anton Phibes lebt auch Lionheart in einer anderen Zeit und für die Entwicklungen, Trends und Strömungen der Gegenwart hat er keinerlei Verständnis. Das differenzierte Urteil von Peregrine Devlin (Ian Hendry), dem Vorsitzenden der Kritikergilde, Lionheart sei eine Art Dinosaurier, der nicht verstanden habe, dass das Theater sich weiterentwickelt habe und aus mehr als nur Shakespeare bestehe, kommt einer realistischen Einschätzung des Mannes schon ziemlich nahe. Devlin entwickelt sich dann auch immer mehr zur eigentlichen Sympathiefigur und er scheint der einzige zu sein, der im Theater mehr sieht als nur Mittel zu Selbstbewerbung und -erhebung. Das lenkt den Blick dann auch auf einen anderen Aspekt des Films, weg vom Konflikt zwischen Künstler und Kritiker hin zur Idee vom „Leben als Kunst“: Lionheart inszeniert seinen großen Racheakt selbst als Shakespeare’sches Drama, er kopiert den Künstler, der ihm am meisten bedeutet und er gibt den Menschen, die seine Kunst nicht begreife wollen, eine Rolle in seinen Aufführungen, Gelegenheit, selbst einmal „Bühnenluft“ zu schnuppern. Der Schauspieler, der dem Lob der Kritiker, die er eigentlich verabscheute, hinterherrannte, ist von seinem Vorbild aber ironischerweise ebenso abhängig wie die Kritiker, die ohne die Schauspieler, die sie da mit hämischen Worten und blumigen Vergleichen verreißen können, keinen Job hätten. Der gehässige Streit, den beide Parteien zwischen Bühne und Morgenzeitung austragen, ist Teil ein und desselben Spiels.

So direkt nacheinander gesehen sind die Parallelen zwischen THEATRE OF BLOOD und THE ABOMINABLE DR. PHIBES wirklich frappierend: Beide sind mit Price in der Hauptrolle besetzt, beide zeigen ihn als aus der Zeit gefallenen Kunstfreund, der aus dem Totenreich zurückkehrt, um blutige und kreative Rache zu üben. Dafür hat er sich in beiden Filmen in einem opulenten Versteck verschanzt, das ganz seinen Vorlieben entspricht – und er hat wie Phibes eine Dienerin, die ihm bei seinen Mordplänen behilflich ist. Das ist dann auch der einzige kleinere Schönheitsfehler des ansonsten makellosen Films: Man erkennt Diana Rigg hinter der Verkleidung als Hippie sofort, womit der große Effekt ihrer Enttarnung völlig nach hinten losgeht. Das hätte man irgendwie anders lösen sollen. Aber es tut dem Vergnügen keinerlei Abbruch. Wunderbar, immer wieder.

Der Erfolg des Vorgängers machte ein Sequel wohl unausweichlich – angeblich existierten sogar Pläne für eine Trilogie sowie diverse Drehbuchentwürfe für einen dritten Teil. Eine TV-Serie soll ebenso im Gespräch gewesen sein wie ein Konfrontation von Phibes mit dem anderen Frühsiebziger-Horrostar der AIP, Count Yorga. Letztlich entstand dann aber nur noch DR. PHIBES RISES AGAIN, den zu sabotieren sich die Produzenten von AIP aus unerfindliche Gründen alle Mühe gaben. Es ist ein Wunder, dass der vorliegende Film dennoch einigermaßen vergnüglich geraten ist und zumindest einen Teil des Charmes des Vorgängers bewahrt – der ihm aber trotzdem meilenweit überlegen ist.

Die Handlung dreht sich um den Wettlauf des wiederauferstandenen Dr. Phibes (Vincent Price) mit seinem Widersacher Darius Biederbeck (Robert Quarry). Beide wollen in Ägypten das Geheimnis des ewigen Lebens in ihre Gewalt bringen: Phibes, um mit seiner Gattin wiedervereint zu sein, Biederbeck, weil der Vorrat des Jugendserums, das ihn am Leben hält, langsam aber sicher zu Neige geht. In der Wüste schlagen beide ihr Quartier auf und Phibes bringt ein Mitglied von Biederbecks Forscherteam nach dem anderem auf seine originelle Art und Weise um.

Die Geschichtsbücher berichten, dass das Drehbuch aus Budgetgründen zusammengestrichen werden und ca. zehn Minuten des Films der Schere zum Opfer fielen. Das Drehbuch selbst wurde von Regisseur Fuest als „schizophren“ bezeichnet, weil er die finale Version in einer transatlantischen Kollaboration mit Robert Blees erarbeitete, aber auch von diesem Drehbuch ist auf der Leinwand nicht mehr viel zu sehen, wenn man Tim Lucas glauben darf (wovon ich ausgehe), der den informativen Audiokommentar zur Blu-ray-Veröffentlichung von Arrow beisteuerte. Wenn man darauf achtet, fallen etliche Ungereimtheiten und Holprigkeiten auf, der Film ist voll von Aufnahmen und Einfällen, die von etwas Größerem, das die Schere entfernte, übrig geblieben sind und um die Lücken zu füllen und sicherzustellen, dass das Publikum noch mitkam, wurden Voice-overs eingefügt, die sehr unelegant erklären, was eigentlich gezeigt werden sollte. Zu allem Überfluss hassten sich die beiden Hauptdarsteller Price und Quarry und die Stimmung am Set war gespannt und unangenehm. Als DR. PHIBES RISES AGAIN dann veröffentlicht wurde, sank sein Stern schnell: Nicht nur, dass das Sequel mit der Originalität des Vorgängers nicht mithalten konnte, die Kinos sahen auch eine neue Generation von Horrorfilmen, gegenüber denen die Erzeugnisse der AIP gnadenlos überkommen wirken mussten.

Ich mag DR. PHIBES RISES AGAIN, aber seine Verfehlungen sind kaum zu übersehen. Das ist auch deshalb so tragisch, weil man den Film, der das Sequel hätte sein können, sein sollen, immer noch durchschimmern sieht: Das Zusammenspiel von Price und der neuen Vulnavia (Valli Kemp) ist wunderbar, das Setting ist enorm vielversprechend, einige Morde sind inspiriert und das Finale entschädigt für viele ungenutzte Chancen. Diese Ansätze ergeben zusammen genommen zwar immer noch keinen wirklich guten Film, aber sie stellen sicher, dass ich für DR. PHIBES RISES AGAIN dennoch ein Plätzchen in meinem Herzen reserviert halte, ihn alle paar Jahre gern mal wieder auffrische und darüber nachdenke, was man mit der Figur noch für tolle Filme machen könnte.

 

Die Erstbegegnung mit vielen von mir geliebten Horrorfilmen fand nicht im Fernsehen und auch nicht via Videokassette statt, sondern über die Erzählung von Schulfreunden. Meine Eltern waren nicht übermäßig streng mit mir, was Filmkonsum anging, aber sie hielten manche Dinge von mir fern – und ich vertraute ihnen, was dazu führte, dass ich einen Heidenrespekt vor Horrorfilmen hatte – gleichzeitig aber total fasziniert von ihnen war. Von THE ABOMINABLE DR. PHIBES und auch dem Sequel DR. PHIBES RISES AGAIN erzählte mir ein Schulkamerad, der weniger schreckhaft war. Ich erinnere mich noch daran, wie er mir von den bizarren Morden der beiden Filme berichtete. Der Name „Dr. Phibes“ und die Bilder, die ich mir von ihm und seinen Taten ausmalte, waren danach fest in meinem Kopf implementiert. Und erstaunlicherweise stellte die Sichtung viele Jahre später dann keinesfalls eine Enttäuschung dar: Der Film entsprach ziemlich genau dem, was ich mir ausgemalt hatte.

Man muss dazu sagen, dass THE ABOMINABLE DR. PHIBES ja nicht zuletzt deshalb so großartig ist, weil er es sich erlaubt, total am Rad zu drehen. Zusammen mit seinem Stab, allen voran den Komponisten Basil Kirchin und John Gale, dem Kameramann Norman Warwick, der Kostümbildnerin Elsa Fennell und den Set Designern, schuf Regisseur Robert Fuest eine Horrorkomödie, die stilistisch bis heute einzigartig geblieben ist. Die Entscheidung, die Handlung in die Zwanzigerjahre zu verlegen und den Protagonisten zum Jugendstil-Enthusiasten zu machen, ist Gold wert, denn sie stellt sicher, dass THE ABOMINABLE DR. PHIBES schon rein visuell aus dem Meer der Gothic- oder Gegenwartshorrorfilme heraussticht. Der gleichermaßen artifizielle, verspielte wie auch irgendwie kalte Look des Films, dazu der Kontrast zwischen der Over-the-Top-Theatralik des Titelhelden, seinen kreativen, aber dennoch kaltblütigen Morden und der bemitleidenswerten Ratlosigkeit der Ermittler tragen viel zu der eigenwilligen Atmosphäre des Films bei, die ihn ganz wesentlich auszeichnet.

Fuest zeichnet den ungleichen Kampf zwischen Phibes und der Polizei auch als Zusammenprall zweier Welten: Da die dröge, mittelmäßige, durch und durch materialistische Welt der Ermittler und der Opfer, auf der anderen der bis zum Bersten mit Emotionen, überbordender Kreativität und poetischem Schöpfergeist vollgestopfte Kosmos von Phibes, einem Lebemann, Dichter, Genie und Genießer, der seinen Gefühlen an der Orgel freien Lauf lässt, seiner verstorbenen Gattin, die er in einem gläsernen Sarg aufbewahrt, schwelgerische Monologe hält und ihre vermeintlichen Mörder nicht einfach nur umbringt, sondern sie seinem ganzen unheiligen Zorn und den biblischen Plagen unterwirft. Es sind aber auch die kleinen Details, die den Film machen: Das Design von Phibes fensterloser Villa, mit der grell illuminierten Orgel. Die schweigsame Dienerin Vulnavia (Virginia North), die ohne jede Gefühlsregung ihre Arbeit verrichtet und über deren Herkunft oder Motivation wir rein gar nichts erfahren. Die mechanischen Musiker von Phibes, die auch deshalb so unheimlich sind, weil sie von als Puppen verkleideten Schauspielern dargestellt werden – ein Effekt, der sehr typisch für die Ästhetik des gesamten Films ist. Schließlich das Make-up von Phibes, die Idee, ihn mit geschlossenem Mund sprechen (wir sehen nur die Bewegungen seines Kehlkopfes) und Nahrung durch ein Öffnung im Nacken zu sich nehmen zu lassen. Die humorigen Szenen um den indignierten Trout hebeln die Dramatik und den bizarren Schrecken der Geschichte nicht etwa aus, sondern unterstreichen diese noch. Joseph Cotten, der seinen Part straight spielt, sorgt wiederum dafür, dass der ganze Film geerdet bleibt. Und dann diese Musik, die Phibes turbulente Gefühlswelt in überirdische Töne kleidet, die gleichermaßen niederschmetternd schön wie im Zusammenspiel mit den Bildern auch seltsam kalt und entrückt wirken.

THE ABOMINABLE DR. PHIBES ist für mich ein perfekter, wunderschöner, immer wieder endlos faszinierender Film, der sein Geheimnis auch nach etlichen Sichtungen immer noch nicht ganz offenbaren mag. Er ist ein Glücksfalls des Genres, vielleicht auch, weil er ihm nicht vollständig zugehörig ist, bis heute beispiellos und unerreicht. Er zeigt mit seinem Ideenreichtum, wie einfallslos und arm das Genre oft ist, wie gut sich völlig disparate Elemente vereinen lassen, ohne dabei etwas an Schrecken einbüßen zu müssen. Diese innovative Kraft lässt ihn auch heute noch bestehen. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass sich ein bilderstürmerischer zeitgenössischer Regisseur an diesen Dr. Phibes erinnert. Bei all den Remakes, die so viele zweifellos verdiente, aber doch auch irgendwie eindimensionale Horrorklassiker in den vergangenen 20 Jahren erfahren haben, könnte ich mir hier sehr gut ein Update vorstellen, dass die fiebrigen, wahnsinnigen, bezaubernden und befremdlichen Elemente visuell ins neue Jahrtausend überführt. Dieser Dr. Phibes ist noch nicht am Ende (auch wenn das Sequel alles dafür getan hat) und die Welt wäre besser, wenn sie ihm und seinem Genius eine neue Bühne bereiten würde.

 

Hier fängt es an, so richtig interessant zu werden im Werk Francos: Nicht, dass er nicht schon zuvor enorm sehenswerte Filme hervorgebracht hätte, aber mit LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT war er zum ersten Mal von allen kommerziellen Verpflichtungen befreit und nur sich selbst verpflichtet. Es gab keine Produzenten, die ihm reinredeten, keine kommerziellen Erwartungen, die zu erfüllen waren, keine literarische Vorlage, an der er sich orientieren musste. Das Ergebnis ist ein Film, der alle die Elemente zeigt, für die der Spanier berüchtigt ist, wahlweise verehrt oder verlacht wird. LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT drehte Franco innerhalb einer Woche ab und er musste dabei keinerlei Rücksicht etwa auf die Zensur in seinem Heimatland nehmen. Das Werk war nicht für eine breite Kinoauswertung gedacht, sondern für die freigeistigen Sexkinos in Frankreich und Belgien, wo der Film dann auch als einziges aufgeführt wurde, mit drei- bzw vierjähriger Verspätung.

LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT erzählt eine aus alten Mysteryfilmen bekannte Geschichte, die im Rahmen des damals populär werdenden Giallos gerade eine kleine Renaissance erfuhr: Cynthia (Colette Giacobine) und Dr. Paul Vicas (Paul Muller) sind Juwelendiebe, die sich die emotional labile Striptease-Tänzerin Anna (Diana Lorys) ausgeguckt haben, um zwei ihrer Mittäter (darunter Soledad Miranda in einer Mnirolle) auszuschalten und ihr die Schuld in die Schuhe zu schieben. Cynthia gaukelt Anna eine Liebesbeziehung vor, doch in Wahrheit treibt sie ihr manipulatives Spiel mit ihr. Mit Erfolg, denn die ahnungslose junge Frau wird von Albträumen geplagt, die sie an ihrem Verstand zweifeln lassen.

Der Krimi- und Thrillerplot interessiert Franco herzlich wenig und es ist nicht auszuschließen, dass ein wenig aufmerksamer oder von der langsamen, traumgleichen Inszenierung des Spaniers eingelullter Betrachter gar nicht mitbekommt, welche Geschichte da im Hintergrund miterzählt wird. Ziemlich zu Beginn schildert Anna, wie sie Cynthia kennenlernte: Sie trat in einem schäbigen Stripclub in Zagreb auf, dessen Besitzer von ihr verlangte, ihre Stripnummern über den ganzen Abend auszudehnen, sie als nicht enden wollenden Tease anzulegen und ihre männlichen Zuschauer so dazu zu animieren, viel Geld für Getränke auszugeben. Einer der Zuschauer war Cynthia, doch anstatt von Annas Nummer in ihren Bann gezogen zu werden, übte sie mit ihrem Blick eine geradezu hypnotische Kraft auf die Striptänzerin aus. Die Anekdote – die Franco mittels einer Rückblende auf mehrere Minuten ausdehnt und dabei nachdrücklich zeigt, wie „einfallsreich“ und ermüdet die überforderte Anna auf der ranzigen Bühne agiert – fungiert als Schlüssel, um den Code von LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT zu knacken. Franco setzt ganz auf die Zerdehnung der Zeit, auf Ellipsen und Sprünge, die den brüchigen Verstand seiner Protagonistin widerspiegeln, und sein Film wirkt dabei wie eine radikalere, ungeschönte und improvisierte Version des kurz zuvor entstandenen VENUS IN FURS.

Hier geht Franco sogar noch einen Schritt weiter, denn der Wahnsinn Annas zeigt sich auch in dem wahrhaft irrwitzigen Nebeneinander von betörend schönen, wenngleich extrem rohen Einstellungen und Bildkompositionen und amateurhaften, technisch unzureichenden Aufnahmen. Man sieht dem Film sehr deutlich an, dass Franco nicht viel Zeit und auch kein Interesse daran hatte, den perfekten Take einzufangen, dass ihm darüber hinaus das Budget und die räumlichen Bedingungen Grenze auferlegten. Das Badezimmer in Cynthias Haus muss etwa auch für eine Szene herhalten, die ganz woanders spielt. Ein Dialog zwischen Anna und Dr. Vicas wird in einer schier haarsträubend dilettantischen Schuss-Gegenschuss-Komposition aufgelöst, die noch dazu minutenlang dauert: Während Franco Anna durch die stark reflektierende Windschutzscheibe eines Autos filmte, fängt er ihren Gesprächspartner in sauberen, im Inneren des Wagens gedrehten Aufnahmen ein. Cynthias und Vicas‘ Komplizen interagieren nie mit den anderen Darstellern und die Szenen mit ihnen wurden offenkundig ganz woanders (vielleicht sogar für einen anderen Film?) gedreht. Ungefähr zur Halbzeit tauchen wie aus dem Nichts zwei weitere Personen auf, ohne dass geklärt würde, woher sie kommen und wer sie sind. In der sich daraufhin entfaltenden Partyszene erklimmt die nur mit Körperschmuck bekleidete Anna einen Tisch für einen erotischen Tanz, bei dem sie aber die drei herabhängenden Lampions der Deckenlampe entweder verdecken oder aber sehr unelegant gegen ihren Körper stoßen. Die englische Synchronfassung passt sich dem Chaos an und unterlegt einige Szenen mit einem ohrenbetäubenden Hall, der es absolut unmöglich macht, irgendetwas zu verstehen.

Der wahre Zauber von LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT ist aber, dass alle diese Mängel dem Film keinen Schaden zufügen, sondern seinen außerweltlichen Reiz ganz wesentlich mitbestimmen. Nicht ganz unerheblich ist Bruno Nicolais fantastischer, hochklassiger Score, der die Morbidität und existenzielle Verzweiflung, die Anna ergriffen hat, perfekt einfängt und den Film in seiner formalen Disparität zusammenhält. Wobei Disparität eigentlich der falsche Begriff ist: Denn LES CAUCHEMARS NAISSENT LA NUIT ist jederzeit als Ausdruck einer sehr individuellen Kreativität und Ästhetik zu erkennen, in der für schillernde Schönheit genauso Platz ist wie für staubige Ranzigkeit.

Ein Mann, der Jazztrompeter Jimmy (James Darren), findet am Strand die Leiche der jungen Wanda (Maria Rohm), die er wenige Tage zuvor auf einer Party getroffen hatte und dabei Zeuge wurde, wie sie von dem Kunsthändler Kapp (Dennis Price), der Fotografin Olga (Margaret Lee) und dem Playboy Ahmet (Klaus Kinski) in einem perversen Spiel gequält und gefoltert worden war. Der Leichenfund treibt den Musiker nach Rio, wo er eine Beziehung mit der Nachtclub-Sängerin Rita (Barbara McNair) eingeht und wenig später einer Frau begegnet, die wie das Ebenbild der toten Wanda aussieht. Der schweigsamen Frau fallen nacheinander die Peiniger der Ermordeten zum Opfer. Wer ist die mysteriöse Frau? Ist sie eine Doppelgängerin oder ein Geist? Und welche Rolle spielt Jimmy, der immer mehr an seinem Verstand zweifelt, in der Geschichte?

VENUS IN FURS, der in die Reihe der Towers-Produktionen gehört, in die Franco zum Ende der Sechzigerjahre involviert war, ist ein Mysterium. Unter anderem mit deutschen Geldern kofinanziert, erfuhr der Film nie einen Deutschlandstart, obwohl er sicherlich zu den erfolgversprechenderen, „massentauglichen“ Werken des Regisseurs gehörte. Die beiden stark voneinander abweichenden existierenden Schnittfassungen lassen darüber hinaus vermuten, wie Thrower in „Murderous Passion“ schreibt, dass Franco den Film nie wirklich fertigstellte, zumindest keinen Rohnschnitt anfertigte. Die italienische und die amerikanische Fassung erzählen jeweils eine völlig eigene Version Geschichte, was den Verdacht nahelegt, dass es keine Anweisung gab, wie das vorliegende Material sinnhaft zu verknüpfen war.

In der amerikanischen Fassung, die mir vorlag, rückt ein prominenter Voice-over den Film in die Nähe des Film Noirs, der in seinen expressiveren Momenten wie VENUS IN FURS von Desorientierung, Identitäts- und Realitätsverlust erzählte, doch die Bildwelt ist unverkennbar die der psychedelischen, freigeistigen Sixties. Mit beiden Strömungen korreliert die elliptische, sprunghafte, repetitive Struktur des Films, dessen drei zentrale Mordszenen einen Großteil der Laufzeit ausmachen und der mit Szenen am Strand beginnt und endet. Das Spiel mit der Zeit, das endlose Zerdehnen und die großzügigen Wiederholungen sind natürlich ein Standard im Schaffen des spanischen Vielfilmers und sie finden in VENUS IN FURS eine sehr geschliffene, verführerisch oszillierende Umsetzung. Wem die Francos der Siebziger zu billig, zu improvisiert, zu hingeworfen, zu langweilig und zu unambitioniert sind, der dürfte mit VENUS IN FURS seine helle Freude haben, denn der Film ist eine Augen- und dank des famosen Scores von Manfred Mann auch eine Ohrenweide. Das zentrale Mysterium um die Identität des weiblichen Racheengels spiegelt sich in seiner funkelnden Oberfläche, die zwischen den Fingern zerfließt, wenn man sie greifen möchte. Im Kern geht es um Lust (Sadismus spielt wieder einmal eine zentrale Rolle) und um die Schuldgefühle, die sie auslöst: VENUS IN FURS lässt sich als der neunzigminütige guilt trip eine Mannes beschreiben, dessen Selbstschutzmechanismen nahezu perfekt funktionieren – bis zur Selbstverleugnung gewissermaßen. Wer eine dem Krimi entsprechende saubere Auflösung der Vorgänge erwartet, wird wahrscheinlich enttäuscht werden: VENUS IN FURS bildet weitestgehend innere psychische Vorgänge ab, die sich nicht eins zu eins übersetzen oder lückenlos interpretieren lassen.

Die ideale Rezeptionshaltung ist es gewiss, den Film über sich hinwegspülen zu lassen wie einen guten Rausch, sich ihm vorurteilsfrei auszusetzen und vom Zauber seiner Komposition und der kunstvollen Gestaltung seiner Set Pieces einnehmen zu lassen. Maria Rohm ist ein wunderbarer Racheengel und allein der erste Mord, bei dem sie dem alternden Kapp einen tödlichen ruined orgsam beschert, ist ein Meisterstück von Inszenierung und Schnitt. Geistes- und kulturgeschichtlich scheint mir außerdem bemerkenswert, dass Franco den großen Kater, der dem Sommer der Liebe folgen sollte, bereits zu einem Zeitpunkt antizipierte, als die meisten noch ganz mit den Freuden des Trips beschäftigt waren. Die Verheißungen der „freien Liebe“, von Love-ins und Drogenexzessen zeigen hier schon die hässliche Seite ihres Gesichts: Der große Kick ist nicht ohne Nebenwirkungen zu haben. Rauschhaft, betörend und ganz gewiss die beste der Kollaborationen zwischen Towers und Franco. Eine Schande, dass der Film hierzulande nie zu sehen war.

Francos LUCKY, EL INTREPIDO gehört zu den „Superheldenfilmen“, die begünstigt durch den Erfolg der BATMAN-Serie und den Filmabenteuern von James Bond in den Sechzigern ein kleines Subgenre zwischen Eurospy und Science Fiction bildeten und deren bekanntester und bester Vertreter wahrscheinlich Mario Bavas DANGER: DIABOLIK ist. Überraschenderweise fällt sein Beitrag weniger billig aus, als man das vielleicht erwartet hat: Es steckte unter anderem deutsches Geld in dem Projekt, was sich unter anderem im Mitwirken des Edgar-Wallace-Regulars Dieter Eppler und Barbara Bolds niederschlägt, die kurz zuvor in Harald Reinls NIBELUNGEN-Filmen vor der Kamera gestanden hatte. Trotzdem ist der Film ein flüchtiges Vergnügen, das für Jess-Franco-Verehrer nur ganz am Rande interessant ist. Dafür dürften Filmseher, die mit dem Werk des Spaniers sonst eher auf Kriegsfuß stehen, hier ganz gut bedient werden.

Lucky M. (Ray Danton) ist ein berühmter Verbrecherjäger, der auf einen Geldfälscherring angesetzt wird. Die Ermittlungen führen ihn erst nach Rom und dann schließlich nach Albanien und auf dem Weg wird er mit den genreüblichen Bedrohungen und Überraschungen konfrontiert: seltsamen Geheimbünden, hinterlistigen Partnern, ebenso gefährlichen wie attraktiven Frauen, autoritären Militärfiguren, gedungenen Mördern und Last-Minute-Enthüllungen. Am schönsten ist für Freunde des Europulps sicher die Begegnung mit der zauberhaften Rosalba Neri als albanische Militärbefehlshaberin, die vom schneidigen Lucky auf die Matratze gezerrt wird. Sehr schön ist auch der Besuch des Titelhelden auf dem „Schwarzmarkt der Geheimagenten“ in Rom, auf dem in schwarze Trenchoats gewandete Gestalten unauffällig auf und ab gehen und mit flüsternde Stimme Geheimnisse feilbieten. Die ganze Posse wird mit ironischer Distanz erzählt, der Held ist ein ziemlicher Trottel und bisweilen erinnert der Humor des Films beinahe an den Metawitz der Zucker-Abrahams-Zucker-Filme, mit der Einschränkung, dass die Gags hier deutlich tiefer fliegen. Kurze „Standbilder“, in die Sprechblasen gemalt wurden, lassen den Wunsch erkennen, einen filmischen Comicstrip vorzulegen, was aber nicht konsequent durchgehalten wird und letztlich eine halbgare Randerscheinung bleibt. Trotzdem bietet LUCKY, EL INTREPIDO – deutscher Titel LUCKY M. FÜLLT ALLE SÄRGE – grellbunte Kurzweil, die sich vor der alles andere als übermächtigen Eurospy-Konkurrenz nicht verstecken muss. Ich fand den Film überraschend gut gelungen, deutlich charmanter etwa als den zuvor gesehenen DIE SIEBEN MÄNNER DER SUMURU, aber ich nehme trotzdem an, dass es für mich in diesem Leben bei dieser einen Sichtung bleiben wird.

Wenn ich hier über Fords Filme schreibe – mit meiner umfassenden Retrospektive habe ich vor über vier Jahren angefangen, eigentlich mit dem ehrgeizigen Ziel, sie innerhalb eines Jahres abzuschließen -, steht mir immer wieder die Filmgeschichte im Weg wie ein Achttausender. Viele von Fords Filmen, FORT APACHE eingeschlossen, sind ja viel mehr als nur das: Sie gehören zum Kanon, sind Meilensteine des US-amerikanischen Kinos, Generationen von Cinephilen, Historikern, Filmwissenschaftlern, Filmkritikern oder einfach nur ganz normalen Kinogängern und Fernsehzuschauern haben sie gesehen, sich eine Meinung über sie gebildet, eine Beziehungen zu ihnen aufgebaut und zum Teil über sie geschrieben. Das, was ich hier auf begrenztem Raum zum Besten gebe, ist demgegenüber immer ein Kompromiss, der Gefahr läuft, hoffnungslos subjektiv und uninformiert zu sein, ein weiteres belangloses Tröpfchen in einem Meer von Texten, die die fraglichen Titel seit ihrer Uraufführung inspiriert haben. Das ist manchmal entmutigend, aber ich habe beschlossen, mich davon nicht weiter beeinträchtigen zu lassen. Fords Werk wird meine von gefährlichem Halbwissen geprägten, keinen Anspruch auf wissenschaftliche Fundiertheit erhebenden Ergüsse ganz gewiss unbeschadet überstehen – umso mehr, als ich sowieso fast ausschließlich lobende Worte für sie übrig habe. Hoffentlich sind sie ein Beleg dafür, dass seine besten Filme auch heute noch faszinierendes Kino darstellen, das seit damals nur wenig von seiner Kraft verloren hat. Vielleicht fühlt sich der ein oder andere inspiriert, sie sich selbst anzuschauen, sich seine eigene Meinung zu bilden und diese auch zu teilen. Letzten Endes geht es nur darum, die Geschichte der Filme weiterzuschreiben. Auch wenn man nur eine Fußnote zum großen Text beiträgt.

Die Filmgeschichte also: FORT APACHE markiert den ersten Teil der sogenannten Kavallerie-Trilogie, dessen weitere Teile SHE WORE A YELLOW RIBBON und RIO GRANDE sind, beide mit John Wayne in der Hauptrolle. Nach dem finanziellen Misserfolg von THE FUGITIVE brauchte der Filmemacher dringend einen Hit, weshalb er sich dem kommerziell verlässlichen Westerngenre zuwendete und erneut das Monument Valley bereiste, wo er zuvor bereits STAGECOACH und MY DARLING CLEMENTINE gedreht hatte. (Unvorstellbar, dass er damals keineswegs eine bereits allseits beliebte Touristenattraktion ablichtete, sondern diese für Millionen von Touristen überhaupt erst entdeckte.) Die Entscheidung erwies sich als goldrichtig: Ford gelang der benötigte Erfolg, der ihn auch als Produzent etablierte, und darüber hinaus ein echter Klassiker, der zudem als einer der ersten pro-indianischen Western in die Geschichtsbücher einging.

FORT APACHE erzählt die Geschichte der im titelgebenden Stützpunkt im äußersten Südwesten der USA stationierten Soldaten, die die Aufgabe haben, die dort beheimateten Apachen zu befrieden. Kopf des Regiments ist der besonnene Captain York (John Wayne), der die Indianer gut kennt und aufgrund seiner Besonnenheit den Respekt ihres Häuptlings Cochise (Miguel Inclán) gewinnen konnte. Doch mit der Ankunft von Lieutenant Colonel Owen Thursday (Henry Fonda) wendet sich das Blatt: Der Mann wurde trotz seiner Leistungen im Sezessionskrieg degradiert und in den verhassten Westen abkommandiert, wo er sich nun mit militärischen Erfolgen einen neuen Namen zu machen erhofft. Doch mit seinem unmenschlichen, auf Disziplin und Autorität fußenden Stil macht er sich keine Freunde, und auch im Umgang mit den Indianern schlägt er jeden Rat des erfahrenen York aus. Sein Weg führt in die offene Auseinandersetzung und die Katastrophe. Aber zumindest in einer Hinsicht erreicht er sein Ziel: Er wird durch seinen Tod zum gefeierten Militärhelden.

„When the legend becomes fact, print the legend!” Der berühmte Satz fällt zwar erst im 15 Jahre später entstandenen THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE, aber die darin zum Ausdruck kommende Haltung oder Überzeugung Fords ist auch der Kern von FORT APACHE: Als Reporter am Ende mit leuchtenden Augen Auskunft über Thursdays Heldentaten und seine inspirierende Tugendhaftigkeit von York haben wollen, gibt der ihnen, was sie brauchen (der Zuschauer, der Thursday erlebt hat, hört Yorks Kritik zwischen den Zeilen heraus). Nicht nur liegt es ihm fern, den Namen eines Toten in den Schmutz zu ziehen, er weiß auch genau um die identitätsstiftende Kraft, die von Heldengeschichten ausgeht – und er hat verstanden, dass die Fortschreibung der Legende keinen negativen Einfluss auf seine Truppen haben wird: Ihr Spirit wird letztlich nicht von den Befehlshabern bestimmt, sondern von den einfachen Männern, die Tag für Tag ihr Leben riskieren oder es sogar opfern. Dass der New York Herald Tribune den Film anlässlich der Kritik zur Uraufführung als Kriegsverherrlichung beschrieb, ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar: Nicht nur aus heutiger Sicht ist Fords Zeichnung des Militärs als verschworener, gut gelaunter Haufen echter Patrioten (die allerdings aus den unterschiedlichsten Nationen stammen – ein Standard des Ford’schen Schaffens und ein Grund, warum seine Filme so reich sind) gnadenlos romantisch und sentimental. Aber Ford ist alles andere als ein Kriegstreiber, das zeigt auch FORT APACHE, der keinen Zweifel an der Schuld lässt, die die USA im Umgang mit den Indianern auf sich geladen haben (mit seinen häufigen Dreharbeiten im Monument Valley wurde Ford nebenbei zu einem der größten wirtschaftlichen Förderer der dort verbliebenen Navajo-Indianer), und deutliche Kritik an militärischer Betonköpfigkeit, falschem Stolz und Ehrgefühl übt, die im Wesentlichen ursächlich sind für Kriege und sinnlose Tode.

Das Faszinierende an FORT APACHE ist aber, dass er noch so viel mehr erzählt. Ford liefert eine immens detaillierte Zeichnung des militärischen Lebens an einem der äußersten Vorposten der Zivilisation, einen scharfen Blick auf längst vergangene Rituale, Traditionen und Gepflogenheiten und deckt dabei die ganze emotionale Palette ab. In zwei Stunden taucht man tief ein in diese fremde Welt, die von zahlreichen Figuren bevölkert wird, die trotz ihrer Typenhaftigkeit glaubwürdig und echt wirken. Das Spannungsverhältnis zwischen ihnen ist für die dramaturgische Entwicklung dabei fast genauso wichtig wie der rote Faden des Plots. Ein Beispiel: Der degradierte Owen Thursday wird gespiegelt in dem alternden Veteranen O’Rourke (Ward Bond), der nach dem Sezessionskrieg ebenfalls zurückgestuft wurde, wenn auch auf niedrigerem Niveau. Sein Sohn Michael (John Agar) verliebt sich in Thursdays Tochter Philadelphia (Shirley Temple), doch als er bei ihrem Vater um ihre Hand anhält, lehnt dieser brüsk ab: Es geziemt sich für eine Offizierstochter nicht, mit einem niederen Soldaten anzubändeln. Der Eklat findet später bei einer Tanzveranstaltung seine für Thursday peinliche Fortführung, als er erfährt, dass die Tradition in Fort Apache es verlangt, dass er den Eröffnungstanz mit O’Rourkes Gattin absolviert. Es ziehen sich zahlreiche solcher kleiner Subplots durch den Film, viele davon entfalten sich kaum sichtbar unter der Oberfläche: Einer der ungeübten Freiwilligen, die von dem groben, aber gutmütigen Sergeant Festus Mulcahy (Victor McLaglen) ausgebildet werden, ist am Schluss etwa als First Sergeant unter Befehlshaber York zu sehen. Da werden weitere Geschichten und ganze Biografien quasi im Vorbeigehen angedeutet. Es gibt nur wenige Filmemacher, die das so gut können, wie Ford und dahinter steckt das große Herz für den einfachen Arbeiter, der mit seinem Pflichtbewusstsein und seiner Opferbereitschaft das Rückgrat der Nation bildet. Als Philadelphia angesichts der staubigen Behelfsmäßigkeit ihrer Behausung – für deren Pflege und Einrichtung der ganz auf seine Karriere bedachte Vater natürlich keine Zeit hat – in Verzweiflung gerät, sucht sie die patente Miss Collingwood (Anna Lee) auf, die in Windeseile eine Einrichtung aus gefundenen und geliehenen Möbelstücken zusammenstellt. Für den Film als Ganzes hat diese Episode nur periphäre Bedeutung und der direkte Nutzen, den Ford daraus zieht, ist ein kleiner Gag auf Kosten des hüftsteifen Thursday (der Sessel, in den er sich niederlässt, bricht unter ihm zusammen und er muss sich von den Frauen wieder auf die Füße helfen lassen), aber sie spiegelt eben jene Improvisationsgabe und Findigkeit, die es bei der Gründung der USA bedurfte.

Natürlich kann man über den Film nicht sprechen, ohne auf die ikonischen Bilder einzugehen, die Ford aus dem Monument Valley mitbrachte. Die bizarren, unverwechselbaren Felsformationen künden von der tiefen Bedeutung der menschlichen Handlungen, die sich vor ihnen entfalten, setzen diese aber gleichzeitig auch in Perspektive: Der Einzelne, so dramatisch sein Schicksal auch sein mag, ist letztlich nur ein Staubkörnchen im Angesicht dieser steinernen Giganten, die die Jahrtausende ungerührt überdauert haben (das Monument Valley war in grauer Vorzeit mal von Meer bedeckt). Ford filmte die Szenen um die große Schlacht mit speziellem Infrarot-Material, das die Kontraste besonders hervorhob, Menschen in lebende Statuen verwandelte und dramatische Wolkenformationen zeichnete. Historie ist bei Ford die Geschichte, die wir uns erzählen, das Bild, das wir uns davon machen, der Traum, dem wir nacheifern. Er beteiligt sich an dieser künstlerischen Aufbereitung: Aber er fällt auf die Illusion nicht herein.

Man könnte die neun Filme, die Jess Franco zwischen 1968 und 1970 für den Briten Harry Alan Towers drehte – DER TODESKUSS DES DR. FU-MANCHU, DER HEISSE TOD, VENUS IN FURS, DIE SIEBEN MÄNNER DER SUMURU, MARQUIS DE SADE: JUSTINE, DIE FOLTERKAMMER DES DR. FU-MANCHU, DIE JUNGFRAU UND DIE PEITSCHE, DER HEXENTÖTER VON BLACKMOOR und NACHTS, WENN DRACULA ERWACHT – als seine zugänglichsten bezeichnen: Sie sind vergleichsweise üppig budgetiert, bunt, prominent besetzt und allesamt dem Feld des Genrefilms zuzurechnen. Wer den Einstieg in das Werk des produktiven Spaniers sucht, findet hier einen naheliegenden Zugang. Aber ist das wirklich ein Zugang?

DIE SIEBEN MÄNNER DER SUMURU basiert wie schon die beiden Fu-Manchu-Filme auf den Pulp-Romanen von Sax Rohmer: Sumuru (Shirley Eaton) ist eine größenwahnsinnige Superschurkin, die in ihrer Kunststadt Femina eine weibliche Armee befehligt, mit der sie die verhasste männliche Gattung auszulöschen gedenkt. Um ein saftiges Startgeld für ihren ehrgeizigen Plan zu erpressen, hat sie Ulla (Marta Reves) entführt, die Tochter des wohlhabenden Bankers Rossini (Wolf Rilla). Der engagiert den Privatdetektiv Jeff Sutton (Richard Wyler), um die Tochter zu befreien und Sumuru das Handwerk zu legen.

Möglicherweise macht DIE SIEBEN MÄNNER DER SUMURU in der richtigen Laune richtig Spaß: Der Film hat haufenweise tolle Kostüme, viel nackte Haut, absurde Einfälle und jenen Charme, den diese den muffig riechenden Seiten der Schundromane entrissenen Abenteuerfilme fast immer für sich in Anspruch nehmen können. Die Anlehnung an die zur selben Zeit Kassenrekorde aufstellenden Bond-Filme sorgt immer wieder für entwaffnende Peinlichkeiten wie die Foltermaschine, die zwar eine Düse hat, aber eben keinen sichtbaren Laserstrahl wie bei GOLDFINGER. Herzallerliebst, wie sich die Gefolterten unter dem Gerät winden, das offenkundig gar nichts macht. Mit seinen knapp 80 Minuten bietet Francos Film auch nicht gerade viel Gelegenheit für Langeweile. Trotzdem ist mir DIE SIEBEN MÄNNER DER SUMURU  ziemlich am Allerwertesten vorbeigegangen: Man merkt einfach, dass Franco für die Abwicklung des Plots, für spektakuläre Effekte und Actionsequenzen einfach keinen Enthusiasmus aufbringen konnte. Wahrscheinlich hat ihn die Eröffnungsmontage, die sich im Trockeneisnebel räkelnde leicht bekleidete Damen und kurze sadomasochistische Spielchen mit leidenden Männern zeigt, noch am meisten gekickt (mich übrigens auch). Stephen Thrower merkt in seinem Buch „Murderous Passions“ mehrfach an, dass Franco sich besser mit weiblichen Helden identifizieren konnte und das belegt auch dieser Film, der immer aufblüht, wenn er sich der männerhassenden Sumuru zuwendet und förmlich einschläft, sobald der männliche Held die Szenerie betritt. Ich will nicht übermäßig hart mit DIE SIEBEN MÄNNER DER SUMURU ins Gericht gehen, denn der ist natürlich liebenswert und in der passenden Tagesform vielleicht sogar richtig vergnüglich. Ich erwarte von Franco aber etwas anderes: Poesie, Wahnsinn, aufreizende Schlampigkeit, betörende Langsamkeit. Die Towers-Produktionen sind alles das nicht und als „Einstieg“ demnach nur dann geeignet, wenn man bereit ist, sich danach auf etwas völlig anderes einzulassen.

BÉSAME, MONSTRUO (oder KÜSS MICH, MONSTER) entstand back to back mit dem Vorgänger SADISTEROTICA; es ist Francos dritter Film um das weibliche Detektivduo der „Roten Lippen“ (nach LABIOS ROJOS von 1960, der aber ohne Reynaud und Yanni auskommen musste) und wie bei SADISTEROTICA gilt für meine Leser: Auf gar keinen Fall die englische Synchronisation schauen! Mein lauwarmer Text zum Prequel beruht eben auf der hüftsteifen englischen Version, die mit der deutschen, die ich dann Jahre später mal im Rahmen des Mondo Bizarr auf der großen Leinwand bewundern durfte, in punkto Esprit und Wortwitz nicht annähernd mithalten kann.

Janine Reynaud und Rosanna Yanni sind die Zwillinge Diana und Regina, die mit Sexappeal, Witz, Verstand, scharfen Kurven und regelmäßig wechselnder Garderobe rätselhafte Kriminalfälle lösen und sich dabei schlagfertige One-Liner zuwerfen. Der Einfluss sowohl von James Bond als auch der TV-Serie THE AVENGERS ist unübersehbar, beide Filme sind außerhalb der Sixties kaum denkbar mit ihren bunten Kostümen und der provokanten, selbstbewussten flirtiness der Heldinnen. Die Handlung hingegen ist völlig zweitrangig und im Falle von BÉSAME, MONSTRUO nur schwer nachvollziehbar: Es geht um ein Serum, mit dessen Hilfe Menschen in willenlose Kampfmaschinen verwandelt werden können (ein Standard bei Franco) und hinter dem gleich mehrere Parteien her sind, darunter ein homosexuelles Männerpaar, die Anführerin eines Amazonenstammes sowie ein Geheimbund mit Kapuzen. Nach viel Hin und Her, bei dem Franco sich gar nicht erst die Mühe macht, vorzugaukeln, dies habe alles etwas zu bedeuten, endet der Film mit einer schönen Windmühlensequenz, bei der die Flügel des alten Bauwerks den Zahlen einer Safekombination entsprechen. Ebenfalls sehr schön ist eine kurze nächtliche Flussüberquerung an Bord einer Fähre, die mit einem einfachen Seilzug bewegt wird: Franco filmt die komplette Fahrt ohne Schnitt und auch wenn das alles andere als spektakulär ist, scheint der Regisseur in diesem Moment ganz bei sich.

Für BÉSAME, MONSTRUO gilt meines Erachtens dasselbe, was für fast alle Francos dieser Phase gilt: Richtig spannend und charakteristisch wird sein Schaffen erst später, seine bunten Sixtiesfilme sind aber durchweg nett, wenngleich sie eher als Moodfilme rezipiert werden sollten: als Ausflüge in eine vergangene Epoche, die sich durch heiße Fummel, freche, scharfe Frauen und die entsprechenden Requisiten auszeichnet. Die Rote-Lippen-Filme sind harmloser, aber netter Spaß, darüber hinaus angenehm kurz und mit den beiden Hauptdarstellerinnen exquisit besetzt, wobei ich SADISTEROTICA den Vorzug geben würde. Das Leben verändern beide Titel aber nicht.

Episode 218: Ein sehr trauriger Vorgang (Theodor Grädler, Deutschland 1993)

Der schüchterne, zurückhaltende Horst (Holger Handtke) wird von seiner Clique mit ins Bordell genommen und dort unter großem Buhei entjungfert. Beim anschließenden Umtrunk macht sich Anführer Albert (Werner Hochholdinger) einen Spaß daraus, Inge (Dorothee Hartinger), die insgeheim für Horst schwärmt, anzurufen und ihr die Neuigkeiten brühwarm zu erzählen. Wenig später klingelt es an der Tür: Albert geht hinunter, um zu öffnen und wird von einer unbekannten Person erschossen.

Eine impertinente Episode, die wieder einmal vom haarsträubenden Moralismus Reineckers zeugt. Ich spoilere gnadenlos: Als Mörder entpuppt sich Frau Hohner (Christiane Hörbiger), die Lehrerin der Jungs und von Inge, die damit die „Verführung“ des so reinen, unschuldigen Horst durch die Rowdies um Albert bestrafen will. Zwar entgeht sie ihrer Strafe nicht, aber Reineckers Sympathien liegen schon eindeutig bei ihr. Mit dem Besuch im Puff ist der erste Schritt ins Höllenfeuer gemacht, der in seiner Langweiligkeit doch so schützenswerte Horst ist mit der gemachten Erfahrung gewissermaßen dem Untergang geweiht, zumindest aber einfach nicht mehr derselbe. Das ist einfach hoffnungslos albern, verkennt biologische Realitäten und wird noch zusätzlich dadurch befeuert, dass Freund Albert wirklich ein saumäßig unsympathisches Arschloch ist. Diese Gemengelage macht „Ein sehr trauriger Vorgang“ als Kuriosum sehenswert, aber leider fehlt der Inszenierung jeder Hang zum Sleaze, der ein ähnliches Szenario in den Siebzigern noch zum Schenkelklopfer erster Güte gemacht hätte. Das Ding ist einfach nur kreuzbieder.

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Episode 219: Mann im Regen (Alfred Weidemann, Deutschland 1993)

Ilse Lohmann (Claudia Lössl), die als Dienstmädchen im Haus der wohlhabenden Brüder Luis (Hans Georg Panczak) und Hans (Burkhard Heyl) arbeitet, wird morgens tot in ihrem Bett aufgefunden, ihr Körper zeigt Spuren von sexuellem Missbrauch. Pikanterweise hatte sie mit beiden Brüdern ein sadomasochistisches Verhältnis. Der werte Papa (Hans Korte) verschafft ihnen jedoch ein Alibi, indem er angibt, sie seien zur Tatzeit bei ihm gewesen. In die Ermittlungen schaltet sich Robert Lohmann (Ulrich Matthes) ein, der Bruder der Toten. Er ist in psychiatrischer Behandlung und scheint verwirrt.

Ein Reinecker’sches Psychodrama, dessen titelgebendes Bild (das auch die Schlusscredits noch einmal unterlegt) sehr reizvoll ist, das aber etwas an seiner Ziellosigkeit krankt. Lohmann ist ein in sich gekehrter Träumer und was das eigentlich für eine Disposition sein soll, die er da mit sich herumschleppt, wird nie so ganz klar. Trotzdem eine der besseren Episoden aus dieser insgesamt eher problematischen Phase, mit einem sympathisch aufspielenden Matthes. Und Hans Korte ist eh immer super.

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Episode 220: Langsamer Walzer (Helmuth Ashley, Deutschland 1993)

Inge (Jennifer Kitsch), die im Wäschesalon von Kubik (Gerd Baltus) arbeitet, nimmt abends entgegen allen Warnungen die Abkürzung durch den Park – und kommt nie zu Hause an. Neben ihrer Leiche sitzt ein Hund, die Polizei findet außerdem einen Walkman, auf dem eine Kassette einen langsamen Walzer spielt. War Kubik der Täter, der ein Auge auf Inge geworfen hatte und zudem von seiner bettlägerigen Gattin (Hannelore Hoher) gepiesackt wird?

Die Szenen, in denen Derrick und Harry hochkonzentriert der Musik aus dem Walkman lauschen, sind alles: Nicht nur weil fraglich ist, was sie aus dem fürchterlich synthetischen Stück Musik eigentlich herauszuhören hoffen, sondern auch, weil Regisseur Ashley offensichtlich nicht wusste, dass man für einen Walkman einen Kopfhörer benötigt. Das passt zu einer Folge, der ich gern das Prädikat „verstrahlt“ geben würde, wenn die Inszenierung nicht so furchtbar bieder und eigenschaftslos wäre. Nicht auszudenken, wäre „Langsamer Walzer“ in den Siebziger- oder Achtzigerjahren entstanden, denn eigentlich ist hier alles drin: Der dunkle, gefährliche Park, durch den Mädchen des nachts nicht mehr gehen sollten, der geile alte Tropf, der jungen Mädchen nachstelzt, die boshafte Ehefrau (Hannelore Hoger), die ihn aus dem Bett herumkommandiert und eifersüchtig ist auf die jungen Dinger. In den letzten zehn Minuten wird dann auch noch Peter Fricke als Psychiater ausgegraben, der herausgefunden hat, dass grauenhafte Synthieklassik einen beruhigenden Effekt auf Psychopathen hat. Und Christian Berkel spielt das Versuchskaninchen in seinem Beweisvideo! Hier ist genug Stoff für drei Folgen drin – und selbst, wenn sie den Nineties-Muff nicht ganz abschütteln kann, sticht sie doch heraus.

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Episode 221: Geschlossene Wände (Theodor Grädler, Deutschland 1993)

Irene Solm (Constanze Engelbrecht), Ex-Supermodel und ehemaliges Objekt der Begierde der Regenbogenpresse, wird nach einem Selbstmordversuch sowie mehrmonatigem Alkohol- und Drogenentzug aus einer Heilanstalt verlassen und sucht ihren Lover, den Schauspieler Gaston Riemann (Hanns Zischler) auf. Doch der hat längst eine Neue und setzt die ausgebrannte Schönheit mitleidlos vor die Tür. Eingefangen wird das Spektakel vom Klatschreporter Rob SImon (Heiner Lauterbach), der Riemann danach in seinem Blatt an den moralischen Pranger stellt. Das Ergebnis folgt auf dem Fuße: Riemann wird vor den Augen von Irene in der Tiefgarage erschossen.

Reinecker polemisiert mal wieder gegen die sogenannte High Society und vor allem die Showbiz-Szene, deren eitlen Selbstdarsteller ihm alle suspekt sind, weil sie zarte Geschöpfe wie Irene ins Verderben stürzen. Die bildschöne Engelbrecht bekommt leider nicht viel zu tun, außer lebensmüde aus dem ungeschminkten Gesicht zu gucken. Am Ende darf Derrick dem Klatschreporter – in dessen Redaktionsbüro ein Poster von Jason Donovan hängt – die Moral von der Geschicht ins Mikro diktieren. Könnte lustig sein, wenn die Folge etwas mehr Drive hätte. So bleibt nur der furchtbare Song im Ohr, der in dem reichlich tristen Szeneclub immer gespielt wurde, wenn „sie“ den Laden betrat. Dann hätte ich mich allerdings auch in den Suizid gesoffen.

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Episode 222: Nach acht langen Jahren (Helmuth Ashley, Deutschland 1993)

Ein italienischer Gastwirt wird von einem Mafiakiller erschossen, nachdem seine Ehefrau (Cornelia Froboess) den Schutzgeldkassierer wenige Tage zuvor rausgeschmissen hatte. Hinter dem Mord steckt Andreas Heine (Michael Gwisdek), Deutscher im Dienste der Mafia, der nach dem Vorfall sofort aus Rom nach München geschickt wird, um die Sache gemeinsam mit Zensky (Werner Pochath) zu regeln. Vor Ort nimmt er auch Kontakt mit seiner Ehefrau (Rosel Zech) und seinen beiden Kindern auf, die er vor acht Jahren hatte sitzen lassen.

Das muss man sich mal vorstellen: La Famiglia entsendet wegen Cornelia Froboess‘ Aufmüpfigkeit einen Mann aus Rom! Diese völlig absurde Prämisse gibt einigen Aufschluss über die Irrwege, auf denen sich Reineckers Geist damals befunden haben muss. Auch diese Episode ist wieder sehr somnambul und träge, kaum einer verhält sich auch nur halbwegs menschlich – mit Ausnahme des aalglatten Heine, der aber trotzdem erst am Ende aus der Haut fährt, als ihm Harry auf Geheiß Derricks die Handschellen anlegt. Peter Bertram gibt mal wieder einen Italiener mit Klischeeakzent – ob er sich damals Hoffnung machte, den „Isch ‚abe gar kein Auto“-Spot zu bekommen?

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Episode 223: Die Lebensgefährtin (Günter Gräwert, Deutschland 1993)

Hilde Lussek (Krista Bosch) kommt vom Einkaufen nach Hause und findet ihren Lebensgefährten Walter Scholz (Udo Vioff) tot auf: Die beiden standen nur wenige Wochen vor ihrer Hochzeit. Hildes Freundin Vera (Jutta Kammann) macht die schockierte Frau darauf aufmerksam, dass sie mit völlig leeren Händen dastehen wird, sofern Walter sie nicht in seinem Testament benannt hat, doch alles, was die beiden finden, ist ein Säckchen mit wertvollen Juwelen, die Hilde der Freundin zum Schutz anvertraut. Wenig später gesteht der Arzt ihr, dass ihr Partner Opfer eines Mordes geworden ist, und. verständigt die Polizei. Kurz nach Derrick treffen auch Walters Bruder Egon (Christoph Bantzer) und dessen Sohn Udo (Philipp Moog) ein, die als Erben schon mit den Hufen scharren.

Erbschaften und die Streitigkeiten darum bieten Reinecker einen trefflichen Boden für seine Polemisierungen gegen bürgerliche Heuchelei, Verlogenheit und Gier. Im vorliegenden Fall geben Bantzer und der ewig schmierige Moog besonders ekelhafte Beispiele ab: Der Verwandte, der sie zu Lebzeiten nicht ausstehen konnte und sie hochkant rauswarf, ist noch nicht kalt, da gieren sie schon nach seinem Vermögen und ziehen über dessen Lebensgefährtin her, die durch keinerlei amtliche Papiere legitimiert ist. Derrick bleibt cool wie eine Hundeschnauze und lässt sich nicht beirren. Letztlich schaden sich die beiden nur selbst, denn sie drängen sich als Tatverdächtige natürlich geradezu auf. „Die Lebensgefährtin“ ist nicht gerade spannend, weil eigentlich von Anfang an kaum ein Zweifel daran besteht, wer hinter dem Mord steckt, aber sie funktioniert, weil Reinecker weiß, wie er die Affekte bedient. DERRICK-Regulars wie Christian Merkel und Christine Wodetzky mischen auch noch mit.

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Episode 224: Die seltsame Sache Liebe (Theodor Grädler, Deutschland 1993)

Ein junges Mädchen wird tot zwischen den Gleisen des Güterbahnhofs gefunden. Derrick und Harry sehen sofort, dass die Leiche dort nur abgelegt wurde. Es handelte sich um die Freundin des jungen Ulrich (Holger Handtke), den die Nachricht von ihrem Tod völlig aus der Bahn wirft. Sie arbeitete als Kellnerin in der Kneipe von Arnold (Claus Biederstaedt) und Helene Soske (Diana Körner) und war auch am Abend ihres Todes dort. In die Ermittlungen mischt sich der Alkoholiker Seidel (Wolf Roth), ein ehemaliger Kollege Derricks, der dringend eine Beschäftigung braucht, um sein Leben zu meistern.

Reinecker im pseudophilosophischen Schnarchmodus: Wieder einmal zeichnet er das weibliche Opfer als unschuldige Männerbeglückerin und die Liebe zwischen ihr und dem kreuzlangweiligen Ulrich als paradiesischen Zustand des sich gegenseitigen Anstrahlens. Ersteres steht natürlich im Konflikt zu Letzterem und deshalb gibt’s auch wieder ein paar alte Männer, die an einem dreißig Jahre jüngeren Mädel rumschrauben und am Ende doof aus der Wäsche gucken. „Die seltsame Sache Liebe“ ist wie so viele Episoden aus dieser Phase langsam und schnarchig, sodass auch die Reinecker’schen Geschmacksverwirrungen nicht wirklich zum Zuge kommen. Da können noch nicht einmal Biederstaedt und der wie immer großartige Roth das Steuer herumreißen.

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Episode 225: Zwei Tage, zwei Nächte (Zbynek Brynych, Deutschland 1993)

Kronau (Peter Ehrlich) findet durch einen Zufall heraus, dass sein Sohn Achim (Jacques Breuer) sein Geld als Drogendealer verdient und spült dessen Vorrat im Wert von 100.000 DM kurzerhand im Klo herunter. Der Sohn ist verzweifelt, denn nun steht er bei seinen Auftraggebern mit diesem Betrag in der Kreide. Anstatt ihm das Geld zu geben, fordert der Vater Achim auf, die Gauner mit der Tatsache zu konfrontieren und ihnen mit der Polizei zu drohen, um sie in Schach zu halten. Von der Unterredung kehrt Achim nicht zurück, wird erschossen in einer Unterführung gefunden. Der Vater bringt sich um und hinterlässt Tochter Sabine (Katharina Schubert), die nun mit Derricks Hilfe die Mörder des Bruders dingfest machen will.

Dass Ehrlich und Breuer schon nach kurzer Zeit „ausfallen“, ist ein Wermutstropfen, denn die beiden sind immer eine Schau. Die Episode krankt aber auch daran, dass die Täter keinerlei Rolle spielen, erst in der letzte Szene überhaupt in Erscheinung treten. „Zwei Tage, zwei Nächte“ bleibt dem Melodram verpflichtet, begibt sich dafür zwar in den sündigen Unterbauch Münchens – eine Pinte namens „Blue Movie“, in der Walter Renneisen den Zapfhahn bedien und die Junkies zugedröhnt an die Decke starren, während die Flipperautomaten klappern und DERRICK-Veteranin Ute Willing sich einen Schuss in die Wade setzt -, aber wir befinden uns eben in den Neunzigern und da ist alles mit diesem pastoralen Schmelz der Seriosität überzogen. Man merkt, das Brynych versucht, eine gewisse avantgardistische Artifizialität in seine Bildkompositionen zu bringen, aber der aalglatte Fernsehlook lässt alles billig, aseptisch und geleckt aussehen. Vielleicht müsste ich mich von meinen Erwartungen und Vorprägungen freimachen, um die eigenen Reize des Nineties-DERRICKs schätzen zu können, aber noch gelingt mir das nicht. Das Highlight für mich war das Tourposter von Nuclear Assault featuring Depressive Age, das in der Pinte an der Wand hängt.

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Episode 226: Nachtvorstellung (Helmuth Ashley, Deutschland 1993)

Drei Schüler (Oliver Hasenfratz, Nikolaus Gröbe und Philipp Brammer) besuchen die Nachtvorstellung eines Actionreißers im Kino, von der sie sich etwas mehr als nur einen Film versprechen. Sie behalten Recht: Während des Showdowns wird der Kartenverkäufer mitten im Saal unbemerkt vom Publikum erschossen. Derrick findet heraus, dass er mit Drogen handelte – und unter anderem für den Rückfall einer Mitschülerin der drei Jungs verantwortlich war.

Mal wieder eine Anti-Drogen- und Selbstjustizepisode – diesmal mit dem heutigen Rosamunde-Pilcher-Schwarm Francis Fulton-Smith als trauerndem Ex-Dealer und Christoph Bantzer als verständnisvollem Lehrer. Es gibt jede Menge steifer Dialoge, in denen den jugendlichen Zuschauern (hahaha!) erklärt wird, dass Drogen nur was für Feiglinge sind, die mit dem Leben nicht klarkommen (natürlich von Leuten, die das gar nicht beurteilen können), und Derrick beschwört mit starrem Blick das Leid des weiblichen Opfers, das bei seinem Besuch in der Entzugsklinik geschrieen habe „wie ein Tier“. Am besten gefallen haben mir aber die Angriffe auf das zeitgenössische Kino, in dem angeblich nur noch stumpf rumgeballert wird, darüber sind sich sowohl die Schüler als auch Harry einig, der Cineast. Über die Leinwand flimmert dazu etwas, was wie ein zweitklassiger französischer Actionfilm von 1984 aussieht, während im Foyer Poster von solchen Gewaltreißern wie SOMMERSBY und FOREVER YOUNG aushängen. Es ist eine verrückte Welt, dieses München anno ’93. Man muss wahrscheinlich dabeigewesen sein.

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Episode 227: Ein Objekt der Begierde (Zbynek Brynych, Deutschland 1993)

Karoline Hecht (Jeannine Burch) ist der Typ Frau, auf den Männer bei DERRICK immer gleich reagieren: Sie verlieben sich Hals über Kopf, benehmen sich daraufhin wie Fünftklässler mit Samenstau und werden zum Würger, wenn sich die ach so offenherzige, lebensfrohe und aufreizende Damen ihren Avance entzieht. Womit auch der Plot dieser Episode hinreichend skizziert wäre. In dem Mietshaus, in dem sie Nachhilfe vom Studenten Bleiweg (René Heinersdorff) erhält, wohnen gleich haufenweise Verehrer: der trottelige Ratinger (Hans Georg Panczak), der ölige Fotograf Tuball (Sky Dumont), der gescheiterte Schauspieler und Alkoholiker Kowalski (Stefan Wigger) sowie die Ehemänner Soost (Michael Mendl) und Kieler (Ralf Schermuly), die mit ihren Weibern nicht mehr glücklich sind. Eines abends liegt das Mädchen erwürgt im Treppenhaus und die ganze Baggage stürzt sich auf den armen Kowalski …

Das Schauspielerensemble reißt es raus, auch wenn Brynych Wigger nicht vom Overacten abhalten kann. Die Serie ist in dieser Zeit gleichermaßen betulich wie theatralisch, im Aufbau mutet das alles ein bisschen nach Provinztheater an, von der eigenen Bedeutungsschwere überzeugt, in der Unbeholfenheit aber oftmals unfreiwillig komisch. Das beginnt schon bei der Eröffnungsszene, die die ewig feixende Karoline zeigt, wie sie zu laut aufgedrehtem Eurodance im Cabrio durch München heizt, während die Passanten nur Kopfschütteln für sie übrig haben oder ihr gar den Vogel zeigen. Das Frauenbild der Serie, das habe ich ja schon mehrfach angedeutet, ist höchst faszinierend: Auf der einen Seite sind es meist die Männer, die die Kontrolle verlieren, aber die Opfer machen es ihnen auch geradezu unverschämt einfach. Nicht nur, dass sie bereits ersticken, wenn man sie zwei Sekunden lang am Hals berührt: Wie diese Karoline mit ihren lustigen Grübchen hier herumscharwenzelt, die peinlichen Ranwanzereien der älteren Herren für lediglich höfliche Harmlosigkeiten ohne Hintergedanken hält, ist schon sehr beachtlich. Und Tappert, als Derrick einst von gerechtem Furor, Hass für die Verlogenheit und boshafte Schadenfreude angetrieben, schlafwandelt müde durch die gut ausgeleuchteten Settings wie ein Priester, dem man Baldriantropfen in die Oblaten gemischt hat. Nach 227 Folgen der Dummheit und Niedertracht hat er alle Hoffnung längst fahren lassen.

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Episode 228: Das Thema (Alfred Weidenmann Deutschland 1994)

Der Student Werner Godel (Jochen Horst) bessert seine Kasse auf, indem er geklaute Autos für seinen Freund Ralf (Richy Müller) ins Ausland fährt. Bei einer Unternehmung gibt es Komplikationen, die dazu führen, dass Ralf einen Mann erschießt. Zur selben Zeit erhält Werner Besuch von seiner älteren Schwester Monika (Irene Clarin), einer Fotografin, die ihn zu ihrem nächsten Kunstprojekt machen will. Sie bemerkt, dass ihn etwas belastet und bedrängt ihn, sich mitzuteilen.

Es macht derzeit nicht mehr so richtig viel Sinn, die Episoden detailliert zu beschreiben. Manche sind schrecklich, manche lassen Ansätze erkennen, aus denen man zehn oder zwanzig Jahre zuvor noch etwas gemacht hätte, aber die meisten von ihnen sind wie diese hier einfach völlig egal, ohne jede Idee oder innere Spannung. Als das Bild am Ende einfriert und der bekannte Schriftzug eingeblendet wurde, war ich sehr verblüfft: Das war es schon? Dazu passt dann Irene Clarin, eine Schauspielerin, der ich nichts Böses will, die aber die ganze bräsige Mittelmäßigkeit verkörpert, die die Serie nun schon seit einiger Zeit fest umklammert hält.

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Episode 229: Nachts, als sie nach Hause lief (Helmuth Ashley, Deutschland 1994)

Der Buchhändler Jakob Meissner (Karlheinz Hackl) und seine Gattin Doris (Krista Posch) führen eine seltsame Beziehung: Er liebt sie abgöttisch und sie scheint auch ihn zu lieben, dennoch zieht es sie Abend für Abend raus in die Nachtclubs, wo sie sich anderen Männern an den Hals wirft, nur um dann zu Jakob zurückzukehren. Helene (Christine Buchegger), Jakobs Schwester, ist die Ehe ein Dorn im Auge, weil sie den Bruder enteiere, zum Gespött der Stadt mache und ihren guten Familiennamen in den Schmutz ziehe: Sie will, dass er sich von Doris trennt. Doch das ist nicht mehr nötig, als sie auf dem Heimweg von einer ihrer nächtlichen Exkursionen erschossen wird.

Dank des kruden Frauenbildes, das hier mal wieder abgefeiert wird, allerdings ohne dabei vollends in die Scheiße zu greifen, markiert Ashleys Episode einen kleinen Lichtblick. Krista Posch interpretiert die „lebenslustige“, „vergnügungssüchtige“ Frau (der Begriff „nymphoman“ wird erstaunlicherweise nicht benutzt) als Melancholikerin mit abrupten Stimmungsschwankungen. Einmal hat sie sich eigentlich mit ihrem Mann zum Italiener verabredet, da hört er während des Umziehens das schwermütige Trompetenstück, das sie immer dann auflegt, wenn sie einmal wieder das Bedürfnis überkommt, sich ins Nachtleben zu stürzen. Enttäuscht nimmt er sofort die Krawatte weder ab und storniert ohne jede weitere Absprache mit ihr die Reservierung. Die Szenen mit ihr im Nachtklub sind einigermaßen absurd, weil sie eher wie eine haltlose Schnapsdrossel agiert als wie eine heiße Verführerin, aber Hans Peter Hallwachs zeigt sich trotzdem beeindruckt. Die eigentlichen Schurken sind aber wieder mal Christine Buchegger mit einem weiteren ihrer eiskalten Erfolgsweiber und der gefällige Trottel Hans Georg Panczak, der von Derrick und dem traurigen Willi Berger mit einem echt doofen Trick hereingelegt wird, während Harry Nürnberg unsicher macht (von dem man aber leider nichts sieht).

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Episode 230: Das Plädoyer (Theodor Grädler, Deutschland 1994)

Als Lakonda (Klaus Herm), der vor Jahren seine untreue Ehefrau mit 40 Messerstichen ermordete, aus der Haft entlassen wird, sucht er sofort den Staatsanwalt Kolbe (Lambert Hamel) auf, der damals für seine Verurteilung verantwortlich war. Das Plädoyer, das dieser damals gesprochen und den Angeklagten darin der Gefühllosigkeit bezichtigt hatte, hat Lakonda niemals vergessen können. Er sinnt auf Rache, will, dass Kolbe nachvollziehen kann, wie er sich fühlte, als er zum Messer griff. Seine Rache zielt auf Kolbes Gattin Ingeborg (Sona MacDonald) ab …

Mit „Schubachs Rückkehr“ hatte Reinecker eine ganz ähnliche Geschichte schon einmal erzählt – allerdings deutlich besser. Trotzdem liegt „Das Plädoyer“ anno 1994 leicht über dem traurigen Durchschnitt, was wie meist in dieser Phase an der Besetzung liegt: Klaus Herm, sonst auf die Vollversager am Rande der Episoden abonniert, die beklagenswerten Hausmeister, neugierigen Nachbarn oder heuchlerischen Zeugen, darf hier mit dem Supernamen „Lakonda“ ausgestattet einen brutalen Mörder spielen, ohne die ihm eigene, gruselige Mittelmäßigkeit dafür abzulegen. Hamel ist ebenfalls gut als selbstverliebter Popanz, der sich auch nach 15 Jahren noch einen auf sein mit literarischer Ambition entworfenes Plädoyer abwedelt und sich gegenüber seiner zarten Gattin aufspielt. Ideal besetzt ist auch Philipp Moog, der in dieser Phase in gefühlt jeder zweiten Folge mitspielt: Als vermeintlich mitfühlender Charmeur und Frauenretter hat er eine kleine Seagal-Einlage, als er gleich drei Hools verjagt, und damit – sowie mit seiner armseligen CD-Sammlung und seinem Popperscheitel – das Herz von Ingeborg erobert. Leider ist das alles schrecklich unpointiert und sobald Derrick auftritt, fühlt man sich wieder wie beim Priesterseminar.

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Episode 231: Ein sehr ehrenwerter Herr (Zbynek Brynych, Deutschland 1994)

Nachdem Rosy (Monika Baumgartner) und Marta (Juliane Rautenberg), zwei Prostituierte, übel verdroschen wurden, wird ihr Zuhälter Albert Kallus (Hanno Pöschl) in seinem Wagen erschossen. Derricks Verdacht konzentriert sich auf Rosy, den Heilsarmee-Trompeter Buschler (Edwin Noël), der mit Rosy befreundet ist, sowie den Psychologen Fasold (Walter Schmidinger), der immer wieder Prostituierte bei sich aufnimmt und sie aus dem Milieu wegzuholen versucht.

Brynych war in den Siebzigern für einige der allerbesten DERRICK-Folgen verantwortlich. Man sieht immer noch Spuren des Stils, der seine Arbeiten 20 Jahre zuvor unverwechselbar machte: seine bewusst artifiziellen Bildkompositionen, seine überdrehte Melodramatik. Aber im Rahmen dieser plastikhaften, bräsigen Neunzigerjahrehaftigkeit und Reineckers pastoraler Schwafelei verlieren sie all ihre Energie. In „Ein sehr ehrenwerter Herr“ steckt eine gute Episode und mit Hanno Pöschl ist ein Akteur am Start, der mit einem guten Drehbuch ausgestattet in der Lage wäre, einigen Staub aufzuwirbeln, aber es fehlt einfach der Drive und Absonderlichkeiten wie der verfettete Loddel mit Pfedeschwanz, der in der zweiten Hälfte in Kallus‘ Fußstapfen tritt, ohne auch nur eine Zeile Dialog zu erhalten, wirken eher hilflos als inspiriert. Dazu kommt die rätselhafte Juliane Rautenberg, ein echtes DERRICK-Enigma, die ihren letzten Serienauftritt ebenfalls wortlos, dafür aber mit entrücktem Lächeln versieht. Ich gebe trotz aller Vorbehalte drei Sterne, weil man hier wenigstens ein paarmal kräftig mit dem Kopf schütteln kann.

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Episode 232: Eine Endstation (Alfred Weidenmann, Deutschland 1994)

Totgesagte leben länger – manchmal zur Enttäuschung der nächsten Verwandten. So ist es mit dem Unternehmer Robert Schreiber (Will Quadflieg). Nach einem schweren Unfall, der ihm eigentlich das Leben hätte kosten sollen, kommt er wieder auf die Beine. Doch seine Kinder – Sohn Konrad (Gerd Baltus) und Tochter Anna (Sissy Höfferer) und ihre Ehepartner Vera (Christiane Krüger) und Erich (Reinhard Glemnitz) – haben sich in der Zwischenzeit sein Haus und sein Vermögen unter den Nagel gerissen und schieben ihn in ein Altenheim ab. Der Mann bricht den Kontakt zu seinen Kindern daraufhin ab. Kurz darauf wird der Pförtner der Firma Schreiber erschossen, als er den Wagen von Konrad vorfahren soll. Der Sohn ist sich sicher, dass der Mordanschlag ihm galt und vom Vater ausgeübt wurde, aber der hat ein Alibi.War es vielleicht seine treue, langjährige Sekretärin Sänger (Hannelore Hoger)?

Auf der Habenseite stehen eine Geschichte, die nicht schon tausendmal erzählt wurde, Quadflieg, der seine Rolle mit viel Gravitas versieht und eine Besetzung, die viele bekannte DERRICK-Gesichter vereint. Baltus ist mal wieder das rückgratlose Weichei, Glemnitz weckt Erinnerungen an selige KOMMISSAR-Zeiten und mit Manfred Steffen ist außerdem einer meistbeschäftigten Synchron- und Hörspielsprecher am Start. (Krüger und Höfferer sind allerdings einfach nur mit dabei und haben nicht viel zu tun.) Als Kritikpunkt muss man wieder einmal Reineckers Bräsigkeit anführen: Wie so oft in den Neunzigerjahren interessiert er sich weniger für den Krimiplot und Derricks Ermittlungsarbeit als vielmehr für bedeutungsschwere Monologe und Exkursionen in die Moralphilosophie, die allerdings nur selten so tiefschürfend sind wie er das wohl meinte. Wieder einmal geht es um einen Menschen, der mit der „Moral“ abgeschlossen hat, am „Nullpunkt“ angekommen ist, wie es in einer älteren Episode mal hieß. Das könnte theoretisch schockierend sein, aber in Reineckers behäbiger Prosa und vor dem Hintergrund einer schmucklos-melodramatischen Inszenierung mutet es vor allem überkandidelt und theoretisch an. Trotzdem über dem Durchschnitt.

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Episode 233: Darf ich Ihnen meinen Mörder vorstellen? (Theodor Grädler, Deutschland 1994)

Bei einem Klavierkonzert macht Derrick die Bekanntschaft mit dem Geschäftsmann Sauters (Stephan Orlac), der sich sehr für den Job des Kriminaloberinspektors interessiert und ihn schließlich zu sich nach Hause einlädt, um ihm bei dieser Gelegenheit seinen Mörder vorzustellen, wie er kryptisch verspricht. Dieser Mörder in spe ist Ulrich Kemp (Peter Kremer), Sauters‘ Geschäftspartner, Liebhaber seiner Gattin (Eleonore Weisgerber) und Mitbewohner seines Hauses. Vor Jahren bewahrte Sauters Kemp vor dem Selbstmord, gab ihm einen Job und drehte sein ganzes Leben um: Allerdings nicht aus Menschenfreude, sondern eher als perfides Sozialexperiment. Nun erwartet er, von ihm umgebracht zu werden. Und so kommt es dann auch. Aber ist Kemp wirklich der Täter?

Ich hatte es eigentlich nicht mehr erwartet, noch einmal eine Episode zu Gesicht zu bekommen, die tatsächlich etwas Neues bietet – und das auch noch auf ansprechendem Niveau. Der Gag besteht hier darin, dass der Mord gewissermaßen von seinem Opfer geplant wird und zwar auf eine Art und Weise, dass der Verdacht zwangsläufig auf jemanden fällt, der eigentlich unschuldig ist. Da weht ein Hauch von Dostojewski durchs Reinecker’sche Drehbuch und Stephan Orlac – Papa Wichert von nebenan – hat sichtlich Spaß diesen begnadeten Misanthropen zum Leben zu erwecken. Zum Ende wird es dann noch einmal richtig tragisch und die Schlusseinstellung zeigt einen Derrick mit zwar bekanntem Gesichtsausdruck, doch die Empfindung, die dahinter liegt, ist neu. Nicht neu ist hingegen, dass der arme Harry hier mal wieder den besonders begriffsstutzigen Stichwortgeber mimen muss, der als Identifikationsfigur für die weniger intelligenten Zuschauer dient, denen Derrick dann alles noch einmal in Ruhe erklärt.

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Episode 234: Gib dem Mörder nicht die Hand (Theodor Grädler, Deutschland 1994)

Gerhard Schumann (Wolf Roth), Mitglied der Hongkonger Triaden, kehrt nach jahrelanger Abwesenheit für Geschäfte nach München zurück. Bald erfährt sein ehemaliger Freund, der alkoholkranke, arbeitslose Ex-Journalist Demmer (Hans-Peter Hallwachs), von dem Besuch. In der Hoffnung auf einen journalistischen Coup und den damit verbundenen Geldsegen konfrontiert er Schumann, als der seine Familie (u. a. Till Topf, Stefan Wigger, Klaus Behrendt und Liane Hielscher) besucht, und erpresst ihn schließlich. Das lässt sich Schumann natürlich nicht gefallen – er bringt Demmler kaltblütig um und seine Familie dazu, ihm ein Alibi zu geben.

Die Idee mit dem deutschen Mitglied des internationalen organisierten Verbrechens hat Reinecker schon einmal in „Nach acht langen Jahren“ (siehe oben) verbraten. Dank Wolf Roth ist dieses „Reboot“ aber deutlich interessanter und spannender. Wobei man „spannender“ in Anführungszeichen denken muss, denn eigentlich steht hier kaum etwas auf dem Spiel: Der Zuschauer weiß von Anfang an, dass Schumann ein Arschloch ist. Er weiß auch, dass er Demmer umbringen wird, als dieser zum ersten Mal auftritt. Wer mehr als eine Episode DERRICK verfolgt hat, weiß natürlich auch, dass Schumanns Sippe schön stillhalten wird, genauso wie dass am Ende Derrick obsiegt. Aber Wolf Roth macht eben den Unterschied: Den arroganten, sich selbst für einen über den Dingen stehenden Supermacker haltenden Snob hat er so gut drauf wie kaum ein anderer und sein giftig geführter Dialog mit dem Kriminaloberinspektor ist mal wieder vom Allerfeinsten. Am schönsten ist es, wie Derrick es genießt, diesen Typen mit seinen impertinenten Fragen auf die Palme zu bringen. Mein Lieblingsmoment ist wie Derrick, gar nicht beeindruckt von der Schumann’schen Aufschneiderei, den Namen der chinesischen Metropole ausspricht, um seinen Gegenüber zu ärgern: „HOngg-KOngg“. Der Clash dieser beiden Heavyweights fällt noch umso beeindruckender aus, als solche Langweiler wie Till Topf oder Irene Clarin sich daneben ausnehmen wie die Ersatzbesetzung eines Schultheaterstücks. Trotzdem hat die Episode eigentlich nur einen echten Fehler: Dass sich irgendjemand wirklich freuen könnte, einen so knallharten Egoisten und Angeber wie Schumann wiederzusehen, scheint reichlich unwahrscheinlich.

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Episode 235: Gesicht hinter der Scheibe (Dietrich Haugk, Deutschland 1994)

Ein rätselhafter Anruf geht in einer Polizeiwache ein: Der Anrufer fordert den Polizisten auf, einen gewissen Herrn Zeller zu kontaktieren, damit der wiederum in seiner Firma nach seiner Tochter schaue. Der Unternehmer (Klausjürgen Wussow) tut wie ihm geheißen und findet seine Tochter Monika (Muriel Baumeister) tot vor. Ihr Verlobter Arno Beckmann (Jacques Breuer zeigt sich nur wenig schockiert: Er inkriminiert den Filmstudenten Adrian Scholl (Philipp Moog), der mit Monika ein Filmprojekt hatte. Es stellt sich heraus, dass Monika sich sehr einsam fühlte und unter anderem von Kubanke (Winfried Glatzeder), einem Geschäftspartner des Vaters, sexuell missbraucht wurde …

Wieder einmal beschäftigt sich Reinecker mit dem Schicksal einer Frau, die für die ach so gemeine, verlogene Welt da draußen einfach zu gut ist und daran schließlich zugrunde geht. Muriel Baumeister – die ich total fürchterlich finde, was mir irgendwie leid tut – gibt das kulleräugige Zauberwesen, das beim menschgewordenen Popperscheitel Moog offene Türen einrennt. Das Material, das man von dessen Projekt zu sehen bekommt, ist grauenvoll amateurhaft, dazu gleichermaßen prätentiös wie planlos und sollte jeden verantwortungsbewussten Dozenten eigentlich dazu veranlassen, ihm eine andere Karriere nahezulegen – oder ihn mit einem zünftigen Arschtritt aus der Universität hinauszubefördern. In einer Vorlesung gibt es Ausschnitte aus einer frühen Regiearbeit von Bernd Eichinger zu sehen, in denen der Professor EInflüsse des klassischen amerikanischen Kinos erkennt. Klausjürgen Wussow steht in seinem Wohnzimmer und dirigiert zu Klassi von der Schallplatte. Die Rückblenden, die Kubankes Missbrauch an Monika zeigen, sind sehr artifiziell, in Zeitlupe gehalten und erinnern etwas an italienische Giallos. Evelyn Opela ist mal wieder umwerfend als verzweifelte Mutter der Toten, die gestehen muss, dass sie ihr Kind nicht kannte. Der Kriminalfall ist wie so oft in jener Zeit uninteressant, aber die Episode hat was.

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Episode 236: Der Schlüssel (Zbynek Brynych, Deutschland 1994)

Der Geschäftsmann Howald (Sky Dumont), der seine Gattin Susanne (Sunnyi Melles) mit seiner Sekretärin (Gundis Zambó) betrügt, wird nachts vor seinem Haus erschossen. Derrick findet schnell heraus, dass es sich um das Werk eines Auftragsmörders handelt, der schon mehrfach in München zugeschlagen hat. Er vermutet, dass Susanne den Mord an ihrem Gatten in Auftrag gegeben hat.

Alles aus! „Der Schlüssel“ ist endlich mal wieder Brynych vom Allerfeinsten, was bedeutet, dass sich die Merkwürdigkeiten die Klinke in die Hand geben. Das Drehbuch von Reinecker ist Quatsch mit Soße, aber Brynych schert sich nicht weiter darum und dreht alle Regler nach rechts. Nur Tappert schnallt nichts und ereifert sich angesichts des anno 1994 nun keinesfalls neuen Phänomens käuflicher Morde, als stehe der Untergang des Abendlandes nun aber wirklich kurz bevor. Er agiert ein bisschen wie die ahnungslosen Plastikgesichter in STARSHIP TROOPERS, die ja auch dachten, sie machen bei einem geilen Kriegsfilm mit, während sich Verhoeven einen Spaß mit ihnen erlaubte. Ihm gegenüber agiert die elfenhaft-elfenbeinerne Sunnyi Melles, als sei sie auf einem ganz seltsamen Trip, zwischen hypernervös-hysterisch und entrückt-ekstatisch. Es ist eine Performance, die sicher nicht im herkömlichen Sinne als „gut“ zu bezeichnen ist, aber viel zu dieser traumgleichen Atmosphäre beiträgt. Wenn jemals eine DERRICK-Episode in einer surrealen Parallelwelt angesiedelt war, dann diese. Pierre Franckh, Schutzpatron der DERRICK-Jammerlappen, spielt einen Undercover-Cop, Holger Petzold den Wirt in einem Nachtklub, in dem fünf Tänzer sich in ihrer Performance nicht von der laufenden Musik beschränken lassen und Frank Duval, Komponist zahlreicher DERRICK-Songs, den gedungenen Mörder. Sein mit Inbrunst am Klavier vorgetragenes Schlaflied, das in einer Variation auch als Titelsong fungiert, schlägt dem Fass den Boden aus. Während er totalen Nonsens mit der Stimme eines rituellen Beschwörers von sich gibt, bricht ihm der Schweiß aus und am Ende muss ihn seine Muse wieder aufrichten, wel er sich so verausgabt hat. Das ist alles nicht zu fassen. Ich bin unendlich dankbar für „Der Schlüssel“, denn nach Dutzenden von Folgen immergleicher Tranigkeit kommt sie einer auf Drogen durchgefeierten Nacht gleich.

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Episode 236: Das Floß (Helmuth Ashley, Deutschland 1994)

Elvira Nolte (Sona MacDonald) findet ihren Ehemann Hans (Will Danin) tot zu Hause vor. Geschockt oder gar traurig ist sie nicht: Ihr Gatte hatte regelmäßig Frauenbesuch, veranstaltete mit seinem Freund Wexler (Manfred Zapatka) Sexparties, zu der er die knackige Anna Bender (Christina Plate) einludt, die ihm deren Vater (Hermann Lause) verhökerte, um sich die Kasse aufzubessern. Wer war der Täter? War es die gedemütigte Ehefrau? Der emaskulierte Wexler? Anna selbst, ihr Freund Uli (Oliver Hasenfratz) oder doch Annas verständnisvoller Lehrer Borchert (Edwin Noel)?

Nach einmal Semi- und einmal Totalwahnsinn sind wir mit „Das Floß“ wieder zurück in der tristen DERRICK-Wirklichkeit des Jahres 1994. Reinecker bemüht sich noch nicht einmal, Interesse an seinem Kriminalfall vorzugaukeln, stattdessen konstruiert er mit den braven, unschuldigen „Teenies“ – die Plate war bereits 29 – und den korrupten Bürgerlichen mal wieder ein Gegensatzpaar, das keinerlei gesellschaftliche Wahrheiten mehr offenlegt, sondern nur noch Auskunft über den Grad der Verstaubtheit seines Oberstübchens gibt. Die Auflösung gleicht einer Unverschämtheit, das einzige, was die Folge rettet, sind die Brüste der Hauptdarstellerin.

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