Archiv für August, 2009

LascarsDie beiden Banlieue-Bewohner Tony Merguez (Vincent Cassel) und Joe (Izm) wollen eigentlich in den Urlaub nach Santo Rico. Irrtümlich habe sie jedoch das falsche Ticket gelöst und stehen so vor dem Problem, ihren Traumurlaub neu finanzieren zu müssen. Lösung naht: Joe verpflichtet sich, beim Richter Santiepi eine Sauna einzubauen – nicht zuletzt, weil er mit dessen Tochter Clémence (Diane Kruger) anbändeln möchte –, Tony nimmt dem brutalen Dealer Zoran (Gilles lelouche) fünf Kilo Haschisch ab, das er verkaufen will. Natürlich gibt es reihenweise Schwierigkeiten: Joe zerstört das halbe Haus des Richters und Tony verliert das Dope, hat somit bald Zoran im Nacken und muss sich zudem mit seiner Freundin herumschlagen, die sich als Polizistin entpuppt …

LASCARS ist ein Animationsfilm, der von seiner Mischung aus expressiv gezeichneten Figuren und im 3D-Verfahren animierten Hintergründen lebt, von den dank der ausgezeichneten Sprecher sehr lebendig und authentisch rüberkommenden Figuren und den skurrilen und witzigen Situationen, in die er seine Charaktere treibt. Der fett pumpende Hip-Hop-Soundtrack tut sein übriges und so bietet LASCARS witzige Unterhaltung, die sich vom US-Animatiosneinerlei wohltuend abhebt und lediglich einige kleine Durchhänger aufzuwesien hat.

bloedbroeders-posterHolland in den Fünfzigerjahren: Der blässlich-spargelige Klassenprimus Simon (Erik van Heijningen) freundet sich mit den beiden aus schwerreichem Hause stammenden van-Riebeeck-Zwillingen Arnout (Matthijs van de Sande Bakhuyzen) und Victor (Derk Stenvers) an. Ihr Leben in Luxus und Sorglosigkeit ist ein Traum für den aus einfachen Verhältnissen kommenden Simon, der in der Freundschaft einen Weg aus dem Mittelmaß sieht. Als der 14-Jährige Rowdy Ronnie (Sander van Amsterdam), mit dem zusammen die drei kleinere Delikte begehen, Unterschlupf vor seinem prügelnden Vater im riesigen Haus der van Riebeecks sucht, bahnt sich ein Drama an: Denn Ronnie hat die drei Freunde in der Hand und weigert sich auch nach mehreren Wochen, sein Versteck wieder zu verlassen …

BLOEDBROEDERS basiert auf einem realen Mordfall, dessen genaueren Umstände bis heute zwar nicht geklärt sind, der aber den drei Freunden mehrjährige Haftstrafen einbrachte. Die van Riebeecks – der Name ist erfunden – gehören heute zu den reichsten Personen der Niederlande, von ihrem Mittäter hat man nie wieder etwas gehört. BLOEDBROEDERS erinnert etwas an Rob Reiners STAND BY ME, weil auch er eine Coming-of-Age-Geschichte erzählt: Mit dem Mord an Ronnie sind die drei Protagonisten gezwungen, erwachsen zu werden. Gleichzeitig erzählt er von der langsamen Eskalation der Gewalt und vom Klassenkampf: Simon biedert sich bei den van Riebeecks an, weil er sich von der Freundschaft einen Ausweg aus der Tristesse des eigenen Elternhauses erhofft, die van Riebeecks wiederum geben sich mit ihm ab, weil er die perfekte Spiegelfläche für ihren Narzissmus darstellt. Und Ronnie, der Asoziale, ist so etwas wie ein Haustier für alle drei: Seine Amoral verspricht erst den Ausbruch aus der langweiligen Sicherheit, schließlich verwandelt er sich irgendwann jedoch in den Prügelknaben, an dem die drei die eigene Überlegenheit demonstrieren und ihre Frustrationen auslassen können. In dieser Figurenkonstellation besteht die Spannung und Dramatik von BLOEDBROEDERS, dem es wie etwa VAN DIEMEN’S LAND gelingt, über die gesamte Laufzeit einen gleichmäßigen Flow beizubehalten, ohne auch nur einen einzigen Fehlgriff. Sowas gibt es viel zu selten, weshalb ich mich auch hier genötigt sehe, eine Empfehlung auszusprechen.

van_diemens_landAcht zu Sklavenarbeit in Australien verurteilten britischen Strafgefangenen gelingt zu Beginn des 19. Jahrhunderst die Flucht. Doch der Weg durch die unendliche Wildnis entpuppt sich als härter und länger als erwartet: Bald macht der Hunger den Männern schwer zu schaffen. Als der erste getötet wird, um sein Fleisch zu essen, ist das Tabu gefallen und weitere müssen sterben …

Der ruhig erzählte, hypnotische Film von Jonathan Auf Der Heide erzählt die reale Geschichte des Alexander Pearce, der wegen mehrerer Fälle von praktiziertem Kannibalismus schließlich gehängt wurde. VAN DIEMEN’S LAND interessiert sich dankenswerterweise nicht für den Shock Value seiner Geschichte, sondern macht das Schockierende im Gegenteil nachvollziehbar, zeigt, wie unausweichlich es ist. Die Entscheidung, die Kameraden zu töten und zu essen, fällt den Protagonisten nicht leicht, aber sie sehen sich dazu gezwungen, um ihr eigenes Leben zu retten. Es ist etwas, was sie tun müssen, gegen ihre Moral, gegen ihren Glauben. VAN DIEMEN’S LAND ist frei von misanthropischem Nihilismus, er beschreibt das Geschehen distanziert, ohne ein moralisches Urteil zu fällen. Die in grandiosen Bildern eingefangene australische Natur schaut ungerührt auf das menschliche Drama, das sich in seiner Mitte abspielt. Jonathan Auf Der Heides Film zählte für mich zu den kleinen, eindringlichen Überraschungshits des Festivals und fügt sich nahtlos in den im australischen Film  gängigen Naturmystizismus ein.

largo_winchLargo Winch (Tomer Sisley) ist der Adoptivsohn und Alleinerbe des Tycoons Nerio Winch. Als dieser ermordet wird und die feindliche Übernahme seines Konzerns droht, tritt der bis dato unbekannte Largo auf. Um seine Identität zu beweisen, muss er jedoch erst ein paar Aktienbriefe bergen. Doch die Feinde sind ihm dicht auf den Fersen …

Die Verfilmung der Graphic Novel von Philippe Francq verbindet Bondeskes Location Hopping, klassisches Draufgänger- und Abenteurerkino und die emotionslose Oberflächlichkeit der Hochfinanz zu einer Mischung, die im ersten Anlauf weder ärgert noch nachhaltig begeistert. Die Idee eines Indiana Jones im Wirtschaftswesen ist durchaus interessant und könnte in kommenden Sequels noch reifen. Vorerst bleibt ein leider etwas zu glatter Abenteuerfilm mit einer Hauptfigur, die noch um Sympathien kämpfen muss: Wer hat schon Mitleid mit einem Millionenerben?

Hier kann man sich außerdem einen F.LM-Podcast zum Film anhören.

Steelhead (Jackie Chan), ein Chinese, folgt seinen bereits emigrierten Verwandten und Freunden nach Tokyo. Dort muss er nicht nur feststellen, dass Chinesen nur wenig Ansehen bei den Japanern genießen und seine ehemalige Verlobte zudem nun mit einem Yakuza-Boss lieert ist. Mit miserablen Jobs hält Steelhead sich über Wasser, bis sich eines Tages die Chance  ergibt, ein Stück vom Kuchen abzubekommen.

shinjuku_incident_Die Beziehung zwischen Japanern und Chinesen war schon Stoff ganz unterschiedlicher Filme, die das Schüren von Vorurteilen und das Bedienen rassistischer Ressentiments nicht immer so gut zu vermeiden wussten wie Derek Yees Film. Er schiebt den Schwarzen Peter nicht einer der beiden Nationalitäten zu, sondern zeigt, dass der Rassismus systeminhärent ist. SHINJUKU INCIDENT ist ausdrücklich kein Actionfilm, auch wenn es dann un wann mal ordentlich kracht, lässt sich eher als Sozialdrama lesen und überzeugt mit einem idealbesetzten Jackie Chan. Und mehr fällt mir jetzt auch nicht ein.

Mit Matthias‘ Meinung gehe ich exakt d’accord, was auch daran liegt, dass der kleine Frechdachs zwei meiner Aussagen zum Film für seinen Text verwendet hat und ich jetzt ganz schön doof dastehe. Der Film beginnt sehr schön, bevor ihm nach ca. der Hälfte massiv die Puste ausgeht und er seine märchenhafte Geheimniskrämerei zugunsten schnöder Erklärerei verwirft, die einem das Gezeigte jedoch nicht näherbringt, sondern im Gegenteil erst Distanz und dann Gleichgültigkeit erzeugt. Nicht der erste südkoreanische Film, der den richtigen Zeitpunkt für das Ende um Längen verpasst. Scheint kein Zufall zu sein.

Halloween: Im bunten kostümierten Treiben begegnet der Zuschauer einem spießbürgerlichen Lustmörder  (Dylan Baker), weiblichen Werwölfen, rachsüchtigen  zombiefizierten Kinderleichen, einem grummeligen Halloweenhasser (Brian Cox) und schließlich dem Geist des Halloweenfests selbst …

trickrtreat2008posterTRICK ‚R TREAT ist so etwas wie Reparation, die der auf Süßigkeiten und Gruselmasken reduzierte Feiertag vom überidealisierten Weihnachtsfest bekommt: ein Weihnachtsfilm für Halloween, sozusagen. In kurzen, aber nicht nacheinander erzählten, sondern ineinander verwobenen Episoden erzählt Dougherty seine kleinen Geschichten, die zwar kaum mehr Nährwert haben, als die Süßigkeiten, mit denen sich die Kinder im Film die Taschen voll machen, der aber seinen Zweck vollkommen erfüllt. Die Fotografie ist herrlich stimmungsvoll und herbstlich, der Film fängt die karnevaleske Atmosphäre des Halloweenfests perfekt ein und versetzt einen gut 20 Jahre in die Vergangenheit. TRICK ‚R TREAT erinnert frappierend an Episodenfilme wie CREEPSHOW, die Horror mit Humor zu paaren verstanden, ohne sich in Funsplatter-Exzessen, Pennälerhumor und Furzwitzen zu ergehen, die sich damit begnügten, 90 Minuten leicht zu unterhalten und sich nicht um jeden Preis mit dem Ruch der Relevanz schmücken mussten, um sich wichtig zum machen. Eine runde, rundum sympathische Sache.

Die Familie Palmer trauert über den Verlust der Tochter Alice, die bei einem Badeausflug ertrunken ist. Doch auf Videoaufnahmen und Fotos taucht die Tochter wenig später wieder auf. Spukt sie tatsächlich als Geist durch ihr altes Zuhause oder erlaubt sich jemand einen Scherz mit den Palmers?

lake_mungoLAKE MUNGO erzählt seine Geschichte in Form einer Dokumentation, wie man sie aus Fernsehsendungen, die sich mit übersinnlichen Phänomenen beschäftigen, kennt und gibt damit ein relativ deutliches Statement zur Gegenwart des Geisterfilms: Geistererscheinungen sind ohne ihren medialen Aspekt, ohne ein verbreitendes Trägermedium kaum noch zu denken. Auch in LAKE MUNGO geht es weniger um den Schrecken, der mit der Erscheinung verbunden ist, sondern gerade um ihre heilsame Wirkung für die trauernde Familie. Man beachte etwa den qualitativen Unterschied, den der Film zwischen subjektiven, sprich unbezeugten Geistererscheinungen und jenen macht, die per Bild oder Videoaufzeichnung auch für Dritte erfahrbar sind. Erst nachdem sie einen handfesten Beweis haben, beginnt für die Palmers die Auseinandersetzung mit dem Spuk, infolge derer sie ihre Tochter erst richtig kennen lernen und schließlich ihre Geheimnisse, die ihren Tod überhaupt erst begünstigten, ergründen.

Der Schatten, der sich auf Familienbildern und -videos zeigt und in dem die Palmers ihre Tochter sehen wollen, muss nicht erst durch eine Drehbuchfinte rationalisiert werden, weil er deutlich als Symbol für die Leerstelle zu erkennen ist, die Alices Tod hinterlassen hat. Dass Anderson den Geist am Schluss doch durch die Hintertür wieder einführt, ist weniger Plotinkonsequenz, sondern der therapeutischen Funktion des Films geschuldet: Wir brauchen den Glauben an Geister, auch wenn uns die Vernunft sagt, dass sie nicht existieren.

LAKE MUNGO ist deutlich schwieriger als man das aufgrund seiner Fake-Doku-Struktur zunächst annehmen möchte, die einen dank der offenkundigen Ähnlichkeit zu anderen Filmen in der Sicherheit der Vertrautheit wiegt. Tatsächlich erfüllt sie aber noch eine andere, wichtigere Funktion als die der nackten Authentifizierung. LAKE MUNGO versucht den Zugriff auf das Übernatürliche zu schaffen und er erzählt gleichzeitig von diesem Versuch. Anderson betreibt Trauerarbeit. Mir hat LAKE MUNGO ausgezeichnet gefallen: ein moderner, intelligenter Geisterfilm, der seine Spuren hinterlassen wird, da bin ich mir sicher.

pontypoolDer Radiomoderator Grant Mazzy (Stephen McHattie) tritt seinen neuen Job als Moderator einer Morgensendung im verschlafenen Nest Pontypool an. Mit seiner bissigen, kritischen Art handelt er sich sogleich einen Rüffel von seiner Chefin Sidney (Lisa Houle) ein, die ihn auffordert, sich zu mäßigen. Doch bald haben beide andere Sorgen: Nachrichten von aufständischen Horden gehen in der Radiostation ein. Von der Außenwelt abgeriegelt und nur über den Kopfhörer mit ihr verbunden, müssen Grant und Sidney versuchen herauszufinden, was da draußen vor sich geht …

PONTYPOOL ist der intelligente High-Concept-Schocker des diesjährigen Fantasy Filmfests, der den ebenso halbgaren wie dummen DISTRICT 9 auf die hinteren Plätze verweist. Schon von Beginn an, wenn sich der Titel auf der Leinwand ausbreitet und zunächst nur ein „Typo“ erscheint, ist klar, dass dieser Film seine Prämisse ernstnimmt, anstatt sie als Gimmick zu verheizen. In PONTYPOOL wird der Zuschauer mit den Protagonisten zum Zuhörer degradiert. Die Apokalypse reduziert sich auf kryptische Anrufe und verrauschte Stimmen, eine Einordnung oder Verifizierung bleibt indes aus. „Trauma is a photo without a caption“ zitiert Grant Mazzy den französischen Philosophen Roland Barthes und beschreibt damit sehr genau, was in PONTYPOOL vor sich geht: Die Welt, sie wird den Protagonisten unverständlich, sie zerfällt in ihre Bestandteile Bild und Ton, deren sinnhafte Bedeutung sich jedoch verflüchtigt. Aber das ist nur der erste Schritt der Apokalypse, die sich im weiteren Verlauf sprichwörtlich als Verlust der Bedeutung äußert. Es ist die Sprache selbst, die den Keim des Todes in sich trägt, sich von Mund zu Ohr verbreitet und deshalb sprichwörtlich zerstört werden muss.

Man muss PONTYPOOL sicherlich mehrfach sehen (am besten mit einem Linguistikhandbuch in Reichweite), um ihn zu durchdringen. Aber auch nach einmaliger Sichtung wird klar, dass man es hier mit einem sehr ungewöhnlichen Zombiefilm zu tun hat. Nicht nur die für Nichtgermanisten und -philosophen sehr abstrakte Wendung dürfte manchen Zuschauer überfordern, auch seine Form macht es Gelegenheitssehern eher schwer. In diversen Foren liest man die Klage, der Film sei ein Hörspiel, kein „großes Kino“ etc.  Dabei schafft es Bruce McDonald perfekt, die große Apokalypse im Kleinen zu zeigen. Wie die Gewissheit langsam in den Radiosender und die Köpfe seiner Angestellten eindringt, sich der Raum immer mehr verengt, bis schließlich noch nicht einmal mehr die Worte eine Zuflucht bieten, ist schon sehr eindrücklich dargestellt, schauspielerisch wie auch filmisch. Und wofür andere Filme große im Rechner angefertigte Panoramen vom Weltuntergang brauchen, da reicht in PONTYPOOL Stephen McHatties großartige Stimme.

PONTYPOOL ist natürlich auch ein eminent politischer Film, um das zu erkennen, hätte es nicht zwingend die Hinweise auf Afghanistan gebraucht: Er erzählt von einer Welt, in der der Schrecken nicht von der Irrationalität ausgeht, sondern gerade von der kühl kalkulierenden Vernunft, die sich nach Adorno und Horkheimer selbst verabsolutiert hat. „Pure Vernunft darf niemals siegen“, das wussten schon Tocotronic. Aber um das zu gewährleisten, muss man ihre Heimat zerstören. Kiss is kill.

podcast: the children

Veröffentlicht: August 29, 2009 in Uncategorized

An dieser Stelle sei nachträglich noch der Podcast vom zweiten FFF-Tag in Köln nachgereicht. Gemeinsam mit Leena Peters, Matthias Huber und Florian Frommer diskutiere ich über Tom Shanklands fiesen Kinderschocker THE CHILDREN. Hier kann man ihn hören.