Mit ‘Schwarze Komödie’ getaggte Beiträge

„Cash rules everything around me“, rappte der Wu-Tang Clan vor nunmehr 26 Jahren. Seit damals hat sich die Situation noch verschärft: Es wird immer schwieriger, ein gutes, finanziell abgesichertes Leben zu führen. Jobs, die einem bis vor einigen Jahrzehnten noch ein solches ermöglichten, werfen heute nicht mehr genug ab oder sind ganz verschwunden. Der Mittelstand erodiert, die viel beschworene Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter. Es sind heute Menschen von realer Armut bedroht, die diese Option nie für möglich gehalten hätten. Und weil die berühmte „ehrliche Arbeit“ heute längst kein Garant mehr für eine entsprechend „ehrliche Bezahlung“ ist, werden die Menschen einfallsreich. Ein ganzer Zweig der Unterhaltungsindustrie baut seit einigen Jahren auf der Gewissheit auf, dass Menschen für Geld fast alles tun. Sie sind bereit ihre Würde zu verkaufen und alle ihre Prinzipien über Bord zu werfen, wenn das Geldbündel, das man ihnen unter die Nase hält, nur dick genug ist. Schwarze Komödien haben sich schon immer mit der Frage beschäftigt, inwiefern Geld – oder nur die Aussicht darauf – den Charakter verdirbt, bereits im Film Noir führt Gier fast immer ins Verderben. CHEAP THRILLS hat so gesehen klare Vorbilder. Was ihn von diesen abhebt, ist die Direktheit, mit der er sein Thema angeht.

Craig Daniels (Pat Healy), Ehemann, frisch gebackener Vater und erfolgloser Schriftsteller, verdient sein Geld als Kfz-Mechaniker. Schon morgens flattert ein Räumungsbescheid ins Haus, später erhält er die Kündigung. Um seinen Kummer zu ertränken, geht er in eine Bar – und trifft dort seinen alten Schulfreund Vince (Ethan Embry), der sein Geld als Schuldeneintreiber verdient und Craig zum Bleiben überredet. Wenig später machen beide Bekanntschaft mit Colin (David Koechner) und seiner deutlich jüngeren Gattin Violet (Sara Paxton): Colin scheint keine Geldsorgen zu haben, denn er schmeißt mit Scheinen nur so um sich, und fordert die beiden Fremden immer wieder zu kleinen Wetten heraus. Was harmlos und mit kleinen Beträgen beginnt, artet in Colins Luxusvilla schließlich völlig aus.

CHEAP THRILLS hat eine einfache Prämisse, die E. L. Katz mit äußerster Konsequenz und ohne auch nur einmal vom Weg abzuweichen zu ihrem kompromisslosen Ende führt. Das zeigt sich auch in seiner Reduktion auf einen vierköpfigen Personenkreis und zwei begrenzte Settings: Der Film erinnert wahlweise an eine bissige Episode aus TWILIGHT ZONE oder auch an einen besonders üblen Scherz aus „Verstehen Sie Spaß?“ Im Mittelpunkt steht die Frage, wie weit seine beiden gebeutelten Protagonisten für Geld zu gehen bereit sind, und Colin und Violet treten in diesem Spiel als sadistisch-zynisches Moderations-/Verführerpaar dazu an, ihr miserables (aber realistisches) Menschenbild zu bestätigen, indem sie ihre beiden Opfer Schritt für Schritt weiter vor sich hertreiben, die Verlockung und die damit verbundenen Herausforderungen kontinuierlich steigern. Zu Beginn geht es noch darum, einen Schnaps schneller zu trinken als der Gegner, einer Stripperin einen Klaps auf den Po zu geben oder möglichst lange die Luft anzuhalten, aber mit steigenden Geldbeträgen wachsen auch die Anforderungen: Irgendwann steht dann etwa die Frage im Raum, wer sich den kleinen Finger abhacken würde – und was ihm diese Selbstverstümmelung wert ist. Aber auch das ist noch nicht das Ende.

Im Zuge dieser immer weiter vorangetriebenen Steigerung geht es logischerweise nicht nur um die jeweils eigenen Schmerzgrenzen: Colin und Violet spielen ihr Spielchen ganz bewusst mit zwei Kandidaten, deren Rivalität anwächst, je höher die Geldbeträge werden. Gewinnen kann schließlich immer nur einer und zum Sieg führen zwei Wege: „Besser“ bzw. „mutiger“ oder „skrupelloser“ zu sein als der andere – oder diesen daran zu hindern, seine eigenen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Als Vince sich bereiterklärt, sich für 25.000 Dollar den kleinen Finger abzuhacken, wird er von Craig unterboten. Seine kritische wirtschaftliche Lage verschafft ihm gegenüber dem alten Freund einen deutlichen Vorteil: Kaum hat er den ersten Schritt gemacht, das erste Prinzip gebrochen, gerät er in einen wahren Rausch. Sein Kumpel kann da schnell nicht mehr mithalten und der körperlich vermeintlich unterlegene Intellektuelle verwandelt sich in einen diabolisch grinsenden Derwisch, der sich von allen zivilisatorischen Zwängen komplett freimacht.

E. L. Katz holt alles raus aus seinem Stoff: CHEAP THRILLS setzt sich mit der Flexibilität individueller Moralvorstellungen auseinander, mit den Machtverhältnissen im Kapitalismus, mit männlichem Omnipotenzwahn, der Korrumpierbarkeit der Intellektuellen und der Frage, was eigentlich hinter unserer zivilisierten Fassade lauert. Das Script von David Chirchirillo und Trent Haaga nimmt sich zunächst Zeit, seine Figuren und die Situation langsam aufzubauen, zieht die Schraubzwinge ganz ruhig und kontinuierlich an und lässt das Spielchen erst ganz zum Schluss eskalieren. Pat Healy ist super als langweiliger, braver straight man, der zum Monster wird, kaum dass die Ketten einmal abgestriffen sind, Ethan Embly überzeugt als handfester Kerl, der plötzlich an ungeahnte Grenzen stößt. David Koechner hat Spaß an seiner Rolle als Mephistopheles, aber er begeht nicht den Fehler, zu überreizen. Überhaupt  hat es mir überragend gut gefallen, dass CHEAP THRILLS nicht dem Irrglauben erliegt, am Ende noch einen Twist, eine Überraschung oder auch nur eine Motivation hinter dem Treiben von Colin und Violet auspacken zu müssen. Ich war der festen Überzeugung, dass sich das Ganze irgendwann als Streich à la THE GAME entpuppt, aber nichts dergleichen passiert. Auch wird einem die Moral von der Geschicht nicht noch einmal griffig dargeboten, vielmehr endet der Film wortlos mit einem Bild, dass das ganze Drama des Films und die Abgefucktheit der menschlichen Rasse auf den Punkt bringt. Es gibt eigentlich nur eines, was ich an CHEAP THRILLS auszusetzen habe: Das Verspeisen eines Hundes wird grob überschätzt. Den Nachbarn ins Haus scheißen, die Gattin eines anderen ficken, während der wichsend zusieht, sich den Finger abhacken: Alles kein Problem, aber das große Schlottern kriegen, wenn gegrillter Hund auf dem Teller liegt: Keine Ahnung, was die Amis für Probleme haben.

 

 

 

 

 

 

Sidney Bruhl (Michael Caine), einst Autor gefeierter Broadway-Stücke, steht nach dem vierten Flop im Folge vor dem Karriereaus und der großen Sinnkrise. Just zu diesem Zeitpunkt flattert das Erstlingswerk von Clifford Anderson (Christopher Reeve) ins Haus: Der junge Mann hatte einst ein Seminar von Bruhl besucht und liefert dem verzweifelten Autor genau jenes makellose Script, das der braucht, um seine Karriere zu retten. Er lädt Clifford zu sich nach Hause ein, fest entschlossen, ihn zu töten und sich das Buch unter den Nagel zu reißen. Und so kommt es dann auch, sehr zum Entsetzen von Bruhls Gattin Mya (Dyan Cannon), die ihren Mann nicht mehr wiedererkennt. Doch der ist noch zu sehr viel mehr fähig …

DEATHTRAP hatte ich eigentlich nach einer knappen halben Stunde abgehakt. Die schwarzhumorige Murder Mystery war bis zu diesem Zeitpunkt zwar sehr gefällig, schien ihr ganzes Pulver aber bereits verschossen zu haben. Er schien mir der typische Fall eines kleinen Zeitvertreibs eines ungleich profilierteren Regisseurs zwischen zwei größeren Filmen: Nett, aber nur wenig nachhaltig. Doch wie bei jenen Thrillern, mit denen Bruhl seinen Ruhm erlangte, muss man sich auch bei DEATHTRAP auf die ein oder andere Überraschung gefasst machen. Zwar ist das gewissermaßen Sinn und Zweck eines solchen Films, aber Lumet bringt seine Life-imitates-art-imitates-life-imitates-art-Geschichte deutlich stil- und niveauvoller zu Ende, als man das von vergleichbaren Werken gewohnt ist. Lumet beackert 15 Jahre, bevor Craven das mit SCREAM tat, ein ganz ähnliches Terrain, nur dass er dafür nicht auf den Slasher-Film zurückgreift, sondern auf die überkonstruierten Murder Mysteries, wie man sie von Agatha Christie kennt. Der ausgebrannte Thrillerautor bedient sich zunächst seines Wissens darüber, wie man einen perfekten Mord verübt, um sich seines Konkurrenten zu entledigen – zumindest lässt Lumet das den Zuschauer glauben, denn eigentlich ist dieser Mord nur Bestandteil eines noch größeren Plans, den Sidney gemeinsam mit dem vermeintlichen Konkurrenten geschmiedet hat, um sich seiner Gattin zu entledigen. Doch kaum ist dieser Plan in die Tat umgesetzt, kommt ihm Clifford mit einem neuen Plan in die Quere: Er will das Verbrechen auf die Bühne bringen, indem er es wieder in ein Script übersetzt. Dagegen hat nun wiederum Sidney etwas, fürchtet er doch zu Recht, dass auch die Öfentlichkeit in der Lage ist, den Rückschluss auf die Realität zu ziehen. Am Ende wird „Deathtrap“, die Geschichte, die sich im Haus des Autors zugetragen hat, tatsächlich zum Broadway-Renner avancieren, aber eben ganz anders, als es sich die Protagonisten des Films DEATHTRAP ausgemalt haben. Und mit einem ganz anderen Autor.

DEATHTRAP hat vor allem ästhetischen Wert: Er begeistert als makelloses Handwerk, lückenloses, höchst funktionales Konstrukt – insofern ist der weiter oben geäußerte Verdacht, Lumet habe hier vor allem seine Fingerfertigkeit geschult, den Film eher als technische Herausforderung gesehen, denn als persönlichen Ausdruck, vielleicht gar nicht so aus der Luft gegriffen. DEATHTRAP ist sicherlich einer von Lumets weniger themenschweren Filmen und man nimmt als Zuschauer keine bleibenden, tiefgreifenden Erkenntnisse daraus mit. Dass der Fokus eher eng ist, erkennt man schon in der Anlage des Films als Zwei-bis-Vier-Personen-Kammerspiel. Ja, wenn man möchte, kann man darüber nachdenken, wie viel von Lumet in Sidney steckt. Und natürlich kann man das spaßige Katz-und-Maus-Spiel als Auseinandersetzung mit den Fragen begreifen, wie Ästhetik und Moral zusammenhängen und welche Verantwortung dem Autor zukommt. Aber diese Auseinandersetzung steht nicht im Zentrum des Interesses weder Lumets noch des Zuschauers. Während der eine seine kreativen Messer wetzt und erprobt, wie viele Metaebenen er sinnvoll ineinanderfalten kann, ohne dabei die Dramaturgie aus den Augen zu verlieren, besteht der Reiz für den Zuschauer eben darin, sich diesem Spiel auszusetzen und sich über die zahlreichen, genau getimten Twists und Turns zu freuen. DEATHTRAP ist mit dem Zauberwürfel auf dem Plakat tatsächlich sehr treffend illustriert: Wie das ikonische Spielzeug fesselt der Film als Denksport, als gleichzeitig einfaches wie verblüffend komplexes Gebilde, in das man sich stundenlang vertiefen kann, um es danach in einer Schublade verschwinden zu lassen. It’s fun.

Dass der Film über seine Laufzeit von 115 Minuten fast durchweg brillant unterhält, liegt natürlich nicht zuletzt am Zusammenspiel von Michael Caine und Christopher Reeve. Das Spiel mit den in stetigem Wechsel begriffenen Machtverhältnissen gelingt beiden mit Bravour. Den von teuflischen Mordplänen besessenen Sidney, der seine Gier hinter dem vorgetäuschten britischen Gentleman-Charme kaum noch verbergen kann, interpretiert Caine mit der ihm eigenen Mischung aus trockenem Humor und brennender Intensität gewohnt souverän. Die eigentliche Entdeckung ist Christopher Reeve, den man aufgrund seiner eher breit angelegten Darbietung in den SUPERMAN-Filmen und seinem jungenhaft guten Aussehen immer etwas unterschätzt hat: Den nahezu übergangslosen Wechsel vom unbedarft-naivem Opfer zum unberechenbaren Psychopathen meistert er mühelos und seine zwei, drei kurzen aggressiven Ausbrüche lassen einem tatsächlich das Blut in den Adern gefrieren. Die beiden fügen sich also nahtlos ins Gesamtbild ein: Alle Beteiligten haben ihr ihr ausnahmslos Bestes gegeben und einen doppelbödigen, immens kurzweiligen Thriller geschaffen, auf den Sidney Bruhl mit absoluter Berechtigung stolz gewesen wäre – oder getötet hätte, um ihn unter seinem Namen zu veröffentlichen.

Für Hard Sensations habe ich William Friedkins viel gerühmten neuen Film KILLER JOE besprochen, der dieser Tage mit dem Fantasy Filmfest durch die Lande zieht. Klick hier.

Das Teeniemädchen Melissa Compton (Susan Sarandon) lässt sich von ihrem drogendealenden Hippiefreund Frank (Patrick McDermott) eine Überdosis Speed verpassen und landet daraufhin im Krankenhaus. Ihre Eltern sind sofort zur Stelle, Vater Bill (Dennis Patrick) – ein erfolgreicher Geschäftsmann – begibt sich in die Wohnung Franks, um Melissas Habseligkeiten abzuholen und wird dort von dem Dealer überrascht. Im Handgemenge stirbt Frank, Bill bleibt nichts anderes übrig, als seine Spuren zu verwischen und den Tatort zu verlassen. Nachts landet er in einer Bar, in der der Arbeiter Joe Curran (Peter Boyle) seine rassistischen Tiraden absondert. Die beiden kommen miteinander ins Gespräch und Bill lässt die Bemerkung fallen, er habe einen Hippie ermordet. Joe hält das zunächst für einen Scherz, als der Mord an Frank Tage später jedoch durch die Nachrichten geistert, zählt er eins und eins zusammen und sucht Kontakt zu Bill. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich eine gefährliche Partnerschaft …

JOE muss man heute vor allem als Zeitdokument betrachten: Inszenatorisch eher unauffällig und dialoglastig (Wenn auch schön fotografiert), erinnert er etwas an die Filmadaption eines Theaterstücks. Tatsächlich basiert er aber auf einem Originaldrehbuch von Norman Wexler, der zwei Jahre nach EASY RIDER eine desillusionierte Bestandsaufnahme dessen verfasste, was von einstigen Idealen noch übrig geblieben war: nichts mehr. (1972 wurde Wexler dann festgenommen, nachdem er gedroht hatte Präsident Nixon zu erschießen – konsequent.) Was vormals Bewusstseinserweiterung war, ist nur noch Drogensucht, freie Liebe gelangweiltes Rumvögeln, „alternatives Lebenskonzept“ ein Euphemismus für verantwortungsfreies Rumgammeln, die brüderliche Liebe reicht gerade so weit wie der eigene Drogen- und Geldvorrat. Was einst als Gegenentwurf zur kapitalistisch organisierten bürgerlichen Gesellschaft gedacht war, ist nicht nur nicht zum Mainstream, sondern vielmehr selbst zur Dystopie geworden. Und die Antipathie und das Misstrauen, das den Hippies eh schon entgegengeschlagen war, ist nun offenem Hass gewichen. Die jugendlichen „Gammler“ sind zum perfekten Sündenbock für Leute wie Joe geworden, die zwar unter tristen Umständen leben, aber vor lauter Patriotismus nicht erkennen, wer für ihre Situation in Wahrheit verantwortlich ist. Letztlich ist es Neid, der den Zorn Joes schürt: Er würde gern selbst so ungezwungen leben, hat aber nicht den Schneid dazu.

In gewisser Weise kann man JOE auch als Vorläufer solcher Filme wie Cravens LAST HOUSE ON THE LEFT (oder natürlich Scorseses TAXI DRIVER, dessen Amoklauf-Finale JOE vorwegnimmt) betrachten. Die thesenhaft-aufklärerische Dramaturgie verfestigt diesen Eindruck ebenso wie der satirische Grundton des Films, mit dem Avildsen seine beiden Protagonisten bloßstellt, ohne dabei allzu offensichtlich zu werden. In der merkwürdigen Zweckbeziehung zwischen dem wohlhabenden, kultivierten und zivilisierten Bill und dem schäumenden, groben und ungebildeten Joe findet JOE seinen gesellschaftskritischen Kulminationspunkt. Bill braucht Joe, um seine eigenen Schuldgefühle zu exorzieren, Joe braucht Bill als Leitfigur, um die eigene Lethargie abzulegen und endlich auch einmal tätig zu werden. Wie die beiden – eigentlich antipodische Gegensätze, verdankt Joe seine Armut doch nicht zuletzt der Tatsache, dass Menschen wie Bill das Geld hinterhergeschmissen wird – sich zusammentun und jeweils die schlechtesten Eigenschaften des anderen verstärken, ist schon eine Schau. Da weiß man dann gleich wieder, warum man so ein ungutes Gefühl bekommt, wenn Politiker sich in Bierzelten tummeln und zur „Basis“ gehen, um zu erfahren, was der Volksmund so sagt. Joe fungiert für Bill als Versucher, als Katalysator, der ihn Tabus überschreiten und seine Zivilisiertheit abwerfen, weg vom Schreibtisch und mitten hinein ins Leben treten lässt, Bill verleiht den reaktionären Fantasien Joes im Gegenzug erst eine gewisse Legitimation. Und so kommt es am Schluss zur Katastrophe.

JOE trifft aufgrund seiner eher zurückgenommenen Regie heute nicht mehr so unmittelbar, wie er das vor 40 Jahren wahrscheinlich tat. Dennoch lässt sich an ihm gut nachvollziehen, welche Stimmung zu seiner Zeit vorherrschte. Präsident Nixon, der seine Präsidentschaft 1969 angetreten hatte und den Weg von der Euphorie zur totalen Depression begleitete, ist hier etwa schon früh Zielscheibe eines bösen Witzes. So berührt JOE vor allem deshalb, weil er sehr hellsichtig und beinahe prophetisch zeigt, wohin der Weg der USA führen würde, ohne dass jemand in der Lage gewesen wäre, das zu verhindern. Peter Boyle sollte nach dem Erfolg von JOE verständlicherweise die Rolle des ganz ähnlich angelegten Popeye Doyle in Friedkins THE FRENCH CONNECTION übernehmen, lehnte aber ab, weil er Angst vor den Geistern hatte, die er als rassistischer Arbeiter gerufen hatte. Er ist aber vor allem deshalb so furchteinflößend, weil er sehr transparent macht, dass es nur eines kleinen Stoßes bedarf, um einen großmäuligen Dampfplauderer in einen Mörder zu verwandeln. Das macht Avildsens Film dann abseits seines Status als Zeitzeugnis auch heute noch relevant.

Im Hause Bildstörung, der ersten deutschen Adresse für den übergangenen, unterschlagenen, außergewöhnlichen Film, ist SPALOVAČ MRTVOL erschienen, unter dem deutschen Titel DER LEICHENVERBRENNER, ein großartiger düsterromantischer Film über – wer hätte es gedacht? – einen Leichenverbrenner und seine verhängnisvolle Liaison mit den Nazis. Juraj Herz‘ Film ist ein Juwel, visuell einzigartig, präzise und geheimnisvoll zugleich und eine Zier für jedes DVD-Regal. Ich habe für die Filmgazette eine Rezension geschrieben, die ihr hier lesen könnt.

Griffin Mill (Tim Robbins) hat die Aufgabe, für ein Hollywood-Studio geeignete Drehbücher auszuwählen. Als er mit Larry Levy (Peter Gallagher) einen Konkurrenten bekommt und in Folge Gerüchte kursieren, er befände sich auf dem absteigenden Ast, beginnen seine Nerven zu flattern. Eine Reihe von anonym an ihn gesendeten Droh-Postkarten trägt auch nicht zur Stärkung seines Nervenkostüms bei. Ein Treffen mit dem Drehbuchautor David Kahane (Vincent D’Onofrio), den Griffin vor ein paar Monaten abgewimmelt hat und deshalb als Urheber dieser Postkarten vermutet, endet schließlich in einem Handgemenge und der Ermordung des jungen Autors. Von nun an hat Griffin an zwei Fronten zu kämpfen: Er muss sich in der Hierarchie des Studios behaupten und gleichzeitig die bald mit unangenehmen Fragen auftauchende Polizei von seiner Unschuld überzeugen. Dass er eine Liebschaft mit Kahanes Ex-Freundin, der Malerin June Gudmundsdottir (Greta Scacchi), beginnt, macht seine Aufgabe nicht leichter …

THE PLAYER markierte zu Beginn der Neunzigerjahre eine Art Comeback für Robert Altman. Zwar war er in den Achtzigerjahren keineswegs untätig gewesen, doch keiner seiner in diesen Zeitraum fallenden Filme konnte an seine Erfolge aus den Siebzigern anknüpfen – sie floppten sowohl an der Kasse als auch künstlerisch, zumindest in den Augen der meisten Kritiker. Die Bissigkeit und der Spott, mit der er die Filmindustrie in THE PLAYER überzieht, legen die Vermutung nahe, dass er diesen Liebesentzug nicht erwartet hatte und für ungerechtfertigt hielt, die „Schuld“ nicht bei sich suchte, sondern einem mutlosen Studiosystem zuschob, das sich sein Publikum zurechtverdummt hatte. Sein Film ist bevölkert von Speichelleckern und Arschkriechern, hoffnungslosen Egomanen, Materialisten, rücksichtslosen Karrieristen und einfallslosen und noch dazu geschmacksverwirrten Produzenten, die eine Kunstform mit dem Enthusiasmus eines Versicherungsvertreters, der Ehrfurcht eines Grabschänders und dem Feingefühl eines Schrotthändlers traktieren. Es ist demzufolge alles andere als ein Wunder, dass ein solcher Rundumschlag nicht gerade dazu geeignet ist, das Herz des Zuschauers zu erwärmen. Mit dem Protagonisten, dem ebenso rückgrat- wie skrupellosen Griffin, fiebert man dann auch eher qua Konvention mit: Er ist die Figur, die man von Altman aufgezwungen bekommt und dass man ihm für seinen Mord und das darauf folgende feige Sich-um-die-Verantwortung-Drücken sowie das erbärmliche Abservieren seiner Freundin nicht die passende Strafe an den Hals wünscht, sondern vielmehr hofft, dass er entkommen möge, liegt einzig und allein daran, dass einem keine positiveren Alternativen zur Identifikation angeboten werden.

THE PLAYER ist schon ein besonders abgezockter und böser Film, der sich die Liebe, die normalerweise Menschen zukommt, ganz für seine filmischen Injokes, Meta-Referenzen und selbstreflexiven Tricks aufspart, die Altman am Ende zu einem hintersinnigen Zirkelschluss verwebt. Er eröffnet seinen Film mit der Großaufnahme einer Filmklappe und lässt den Zuschauer so gleich zu Beginn dem – vermeintlichen? – Trugschluss aufsitzen, er befinde sich an einem Filmset, den er mit seiner Schlusspointe dann doch wieder als richtig nahelegt, wenn Griffin über einen Film namens „The Player“ nachdenkt, der genau die Geschichte erzählt, der wir soeben beigewohnt haben. Dazwischen kommentiert Altman das Geschehen immer wieder mithilfe von Verweisen auf Filme, lässt seine Figuren während einer langen Einstellung ohne Schnitt über berühmte lange Einstellungen ohne Schnitt diskutieren oder Griffin Filmideen konstruieren, um Lösungsansätze für seine realen Probleme zu erproben. Film und Realität sind in THE PLAYER überhaupt nicht mehr zu trennen, was durch Dutzende von Cameos berühmter Schauspieler, Regisseure, Autoren und Produzenten, die sich selbst spielen, noch bekräftigt wird.

So gesehen ist THE PLAYER durchaus ein Vorbote des ein paar Jahre später durchstartenden Metakinos eines Quentin Tarantino, der ja ebenfalls eine Welt zeichnet, die aus popkulturellen Zitaten und Verweisen zusammengesetzt ist und von Menschen bewohnt wird, die sich vor allem als Popfans oder zumindest -konsumenten definieren. Der Unterschied ist, dass Altman seinem Zuschauer nicht die Ausflucht bietet, sein moralisch bis ins Mark verrottetes Hollywood als in der Fantasie verortete Parallelwelt zu begreifen. Man ahnt, dass die schwachsinnigen Pitches, die hirnrissigen Ideen und halbherzigen Kompromisse, die das Filmgeschäft in THE PLAYER betimmen, keine Erfindung und Halsabschneider wie Griffin keine Ausnahme, sondern genau der Stoff sind, aus dem die hollywood’schen Erfolgsgeschichten sind. Der unverkennbare, ätzende Humor dient ihm nicht zur Distanzierung, sondern dazu, die bittere Wahrheit umso tiefer einsinken zu lassen.

Um zum Schluss zu kommen: THE PLAYER ist ein meisterlich gefertigter Film und stilistisch tatsächlich eine Rückkehr zu den Großtaten seines Regisseurs. Es mag also an einer sich nach nunmehr 20 geschauten Filmen unweigerlich einstellenden Übersättigung meinerseits liegen – Altman-Filme sind immer Altman-Filme und sein Stil ist ebenso wenig variabel wie seine Themen -, dass er mich nicht mehr zu jenen Begeisterungsstürmen hinreißt, die er für meinetwegen NASHVILLE, CALIFORNIA SPLIT, MCCABE & MRS. MILLER, THIEVES LIKE US oder 3 WOMEN von mir geerntet hat. Ich finde, dass er diesen Meisterwerken aus den Siebzigern in THE PLAYER allerhöchstens noch Nuancen hinzuzufügen hat. Und der pastellige Look der frühen Neunziger ist einfach nicht mein Ding. Ich freue mich darauf, meine Zwei-Drittel-Werkschau mit SHORT CUTS demnächst abzuschließen, um mich mit neuer Frische anderen Dingen zu widmen – und THE PLAYER dann vielleicht in ein paar Jahren neu entdecken zu können.

Mrs. Marrable (Geraldine Page) ist am Boden zerstört, als sie erfährt, dass ihr verstorbener Ehemann ihr nichts als Schulden hinterlassen hat, aber sie findet schnell einen anderen Weg, ihre Kasse aufzubessern und ihren Lebensstil beizubehalten: Sie stellt Haushälterinnen ein, die sie zu einem Investment bei ihrem Broker überredet, bevor sie sie dann schließlich ermordet, in ihrem Garten verscharrt und sich ihr Vermögen aneignet. Ihr neuestes Opfer, Mrs. Dimmock (Ruth Gordon), macht es ihr jedoch deutlich schwerer bei der Ausübung ihres teuflischen Plans und das liegt daran, dass sie sich selbst nicht ohne Hintergedanken bei Mrs. Marrable beworben hat …

Der Titel lässt unweigerlich an Robert Aldrichs Klassiker des Mörderische-alte-Frauen-Films WHAT EVER HAPPENDED TO BABY JANE? denken, in dem die alternden Diven Bette Davis und Joan Crawford als streitsüchtiges Schwesternpaar Gelegenheit bekamen, ihre reale Feindschaft auch auf der Leinwand auszutragen, und der Produzentencredit Aldrichs zerschlägt auch noch den letzten Zweifel daran, dass diese Nähe mit purer Absicht gesucht wurde. Wie im großen Vorbild liefern sich auch in WHAT EVER HAPPENED TO AUNT ALICE? zwei ältere Damen ein Psychoduell voller gemeiner, mal mehr und mal weniger versteckter Spitzen und ziehen die Aufmerksamkeit des Zuschauers ganz auf sich: Vor allem Geraldine Page ist herrlich hassenswert als niederträchtige, giftspritzende und gierige Witwe und Ruth Gordon ist sowieso fast immer wunderbar, hat hier aber leider einen undankbaren und außerdem nachlässig geschriebenen Part abbekommen. Dennoch lassen die beiden fast vergessen, dass Lee H. Katzins Film leider nur ein gut gemeintes Plagiat ist. Ich schreibe „fast“, denn Katzin gelingt es einfach nicht, dem Spiel der beiden Hauptdarstellerinnen mit einer entsprechenden Regieleistung zur Seite zu stehen. Im besten Fall zweckdienlich und zurückhaltend, im schlechtesten ratlos und unbeholfen verschwendet er zu viel Zeit auf unwichtige Nebencharaktere und unterbricht so immer wieder den schleichenden Spannungsaufbau, den dieser Stoff gebraucht hätte. Die versteckte Motivation von Mrs. Limmock wird zu früh aufgedeckt, ohne dass die Gefahr, in der sie schwebt, wirklich greifbar oder durch ihre spätere Enttarnung wesentlich vergrößert würde, und sie selbst übt nie den Druck auf ihre Gegenspielerin aus, der eine Eskalation der Situation unvermeidlich machte. Das Spiel mit den verdeckten, nur für den Zuschauer offenen Karten führt zu nichts und dann geht plötzlich alles ganz schnell. Das nachgereichte böse Ende verfehlt seine Wirkung, weil es wie aus der Not heraus angeklebt wirkt.

Auch wenn sich das jetzt ziemlich böse liest, ist WHAT EVER HAPPENED TO AUNT ALICE? keineswegs ein schlechter Film, aber er hätte eben viel, viel besser sein können, hätte ein versierterer Regisseur als Katzin hinter der Kamera gestanden und das Psychoduell der beiden Frauen konsequent herausgearbeitet. Katzin landete dann auch ein paar Jahre später, nachdem er unter anderem Steve McQueens LE MANS gedreht hatte, beim Fernsehen. Die IMDb gibt mit Bernard Girard noch einen weiteren Regisseur als uncredited an, doch ob und wenn ja wer da wen ersetzt haben könnte, bleibt unklar. Wie auch immer diese Frage beantwortet werden mag: Da auch Girard sich bis zu diesem Film vor allem als Fernsehregisseur hervorgetan hatte, drängt sich der Vergleich der Produzenten mit unentschlossenen Fußballtrainern, die bei eigenem Rückstand kurz vor Spielende einen Stürmer auswechseln, um einen anderen einzuwechseln, förmlich auf. Schade.

Marco (Jean-Louis Trintignant) leitet im Auftrag der Besitzerin – seine Gattin Anna (Gina Lollobrigida) – eine High-Tech-Hühnerfarm, zu deren Angestellten auch ihre Cousine Gabrielle (Ewa Aulin) zählt. Zusammen mit der „Association“ wird fieberhaft daran gearbeitet, die Gewinnspanne zu erhöhen, indem die Hühner mit radioaktiven Stoffen behandelt werden. Marco steht diesen Experimenten – und den damit verbundenen Marketing-Bemühungen – skeptisch gegenüber. Als es auf der Farm zu rätselhaften Unfällen kommt, fällt der Verdacht zwangsläufig auf ihn – zumal er die dumme Angewohnheit hat, Prostituierte in einem Hotelzimmer umzubringen …

Aus einem alten Giallo-Artikel Christian Kesslers in der Splatting Image wusste ich bereits, dass mich mit Giulio Questis Eierthriller ein reichlich bizarres Seherlebnis erwarten würde, trotzdem gelang es mir erst nach einer erneuten Sichtung der ersten 30 Minuten des Films Licht in das diffuse Zwielicht zu bringen. LA MORTE HA FATTO L’UOVO (zu deutsch etwa: „Der Tod legte ein Ei“) konnte mit seinen psychedelischen Schnittexzessen, dem ohrenbetäubenden Freejazz-Score und der kuriosen Verbindung von linker Agitprop, freudianischem Giallo und schwarzer Komödie wohl zu keiner anderen Zeit als den späten Sechzigern und in keinem anderen Land als Italien entstehen – auch wenn es nicht viel Fantasie braucht, um sich die Handvoll Änderungen vorzustellen, die nötig gewesen wären, um den Film in das Frühwerk Godards bis ca. WEEK END einzugliedern. Questis Film lässt sich zweifellos als filmische Kuriosität goutieren, doch verlöre ein Zuschauer mit solchem Ansatz wahrscheinlich recht schnell das Interesse an ihm: So bizarr das Geschehen um die Hühnerfarm auch ist, so wichtig ist es anzumerken, dass der Film sich längst nicht mit dieser vordergründigen Bizarrerie zufrieden gibt. Er beinhaltet eine Gesellschaftskritik, die auch heute zwar noch nicht überholt ist, allerdings längst nicht mehr mit dieser kämpferischen Schärfe herausgearbeitet wird, weil man sich mit dem Staus quo so schön abgefunden hat. Die gruseligen Errungenschaften der Lebensmitteltechnologie, die dummdreiste Propaganda der Werbung mit ihren Psychospielchen, die Verlorenheit des Individuums in der Güter- und Warenwelt, aber auch die Sinnlosigkeit, sich all diesen Tendenzen überhaupt noch von einem moralischen Standpunkt aus entgegenzustellen, weil auch die Moral (oder, wem’s lieber ist: der gesunde Menschenverstand) längst „einkassiert“ worden ist: All das artikuliert Questi in seinem Film, dem man definitiv nicht vorwerfen kann, er würde sich zum bräsigen Wegkonsumieren eignen. Seine dissoziativen Techniken haben etwas entschieden Labyrinthisches: Wie Marco wird man in ein unmöglich zu durchschauendes Komplott hineingezogen. Von der Hoffnung, da heil wieder herauszukommen, muss man sich schnell verabschieden, die einzige Möglichkeit, die einem bleibt, ist sich vom System einverleiben zu lassen, um es vielleicht von innen heraus zu zersetzen. Notfalls auch als Hühnerfutter.

Auf Filmgazette.de kann man ab heute meine Rezension zum kürzlich in der „Edition Störkanal“, die ich schon mehrfach lobend erwähnt habe, auf DVD erschienenen DOGTOOTH lesen. Die griechische Faschismus-Allegorie war in diesem Jahr unter anderem für den Oscar als „Bester ausländischer Film“ nominiert, nachdem er vor zwei Jahren bei den Filmfestspielen in Cannes bereits mit dem Sonderpreis der Jury ausgezeichnet worden war. Es würde mich nicht wundern, wenn Regisseur Giorgos Lanthimos demnächst einen Zweitwohnsitz in Hollywood bezöge und die Frage, ob das wünschenswert ist, drängt sich nach den aus DOGTOOTH mitgenommenen Erkenntnissen über die Macht der Bilder geradezu auf. Jetzt gilt es aber erst einmal, sich diesen spannenden Film anzusehen – und natürlich meinen Text zu lesen. Klick hier.

Der Chirurg Hawkeye Pierce (Donald Sutherland) kommt während des Koreakriegs mit einem von ihm gestohlenen Jeep in dem Mobile Army Surgical Hospital – kurz: M.A.S.H – der US-Armee an, in dem er seinen Dienst verrichten soll. Das Lazarett erweist sich als Ansammlung von Chaoten, in die sich das Schlitzohr Hawkeye perfekt einfügt: Der Leiter Colonel Blake (Robert Bowen) ist vor allem an der Vermeidung von Konflikten interessiert und lässt alles laufen, Major Burns (Robert Duvall) ist ein religiöser Fanatiker, der einen koreanischen Jungen mit der Bibel indoktriniert und der Zahnarzt Captain Waldowski (John Schuck), der aufgrund seines riesigen Geschlechtsteils „Jawbreaker“ genannt wird, will sich umbringen, weil er befürchtet, homosexuell geworden zu sein. Der Geistliche Father John Mulcahy (Rene Auberjonois) ist derweil bemüht, das Maß der moralischen Ausschreitungen zu beschränken, doch als die verklemmte Krankenschwester O’Houlihan (Sally Kellerman) und Hawkeyes Footballkumpel John McIntyre (Elliott Gould) ihren Dienst im Lager antreten, nehmen die Streiche der Soldaten eine neue Qualität an. Und am Ende kulminiert alles in einem Footballspiel, indem die Ärzte mithilfe des Footballprofis „Spearchucker“ Jones (Fred Williamson) und gezielt gesetzter Spritzen die sich überlegen wähnende Konkurrenz ausschalten …

Obwohl Altman 1970 bereits seit fast 20 Jahren als Fernsehregisseur im Geschäft war, gelang ihm erst mit M*A*S*H der Durchbruch, dem eine über 30 Jahre andauernde berufliche Berg- und Talfahrt folgte: Dass Altman heute als einer der großen amerikanischen auteurs gilt, war jedenfalls in den späten Siebziger- und im Verlauf der Achtzigerjahre, in denen er kommerzielle Reinfälle und von der breiten Masse als solche begriffene künstlerische Selbstmordversuche in Serie produzierte, kaum abzusehen. Mit M*A*S*H hingegen präsentierte sich ein Filmemacher von unvergleichlichem Scharfsinn, einer klaren politischen wie moralischen Position und einem unverwechselbaren individuellen Stil. Sein Antikriegsfilm markiert nicht nur eine der frühen Sternstunden des New-Hollywood-Kinos, er ebnete auch einem Subgenre den Weg, das im folgenden Jahrzehnt einige der wichtigsten Filme der Siebzigerjahre hervorbringen sollte: dem Antikriegsfilm.

Altman interessiert sich nicht für große Schlachten, kriegerische Auseinandersetzungen, strategische Pläne oder tragische Schicksale, vielmehr gelingt es ihm, die ganze Absurdität des Krieges einzufangen, indem er zeigt, wie diejenigen, die unmittelbar mit den physischen Konsequenzen konfrontiert sind – die Sanitäter – mit diesem Leid umgehen. M*A*S*H bedient sich reichlich aus dem Figuren- und Ideenfundus der Militärklamotte und damit der Elemente eines Genres, das das Leid versucht, abzumildern und abzuschwächen, das die Armee als Haufen von lustigen Strolchen zeichnet und damit letztlich vor allem als Werbung fungiert. Die Militärklamotte instrumentalisiert genau jenes Lachen, gegen das Adorno einst polemisierte, es sei Ausdruck der Kapitulation vor dem eigenen Leid: Wer es lacht, akzeptiert seine Unterdrückung, anstatt aufzubegehren. Auch M*A*S*H ist vordergründig ein leichter Film in seiner episodischen Struktur, mit seinen Kumpeltypen, die kein Wässerchen trüben kann, der Darstellung ihres Alltags, der zwar auch darin besteht, klaffende Wunden zu schließen und Körperteile zu amputieren, aber eben vor allem darin, sich die Zeit mit allerhand Blödsinn zu vertreiben – und sich so darüber hinwegzutrösten, wo man sich eigentlich befindet. M*A*S*H ist witzig, aber das ist ja auch irgendwie ein böser Trick: Die Dissoziation seiner Protagonisten grenzt nüchtern betrachtet ans Pathologische und hinter den Hügeln, die das Lazarett umsäumen und von der Realität in gewisser Weise abschotten, sterben tatsächlich Menschen.

Tatsächlich ist M*A*S*H ziemlich böse: Ich finde ihn geradezu deprimierend in seinen grau-braun-grünen Farbpallette, dem beengten Setting, das die Außenwelt auf ans Schwachsinnige grenzende Lautsprecherdurchsagen reduziert, dem grotesken Irrsinn, der das Miteinander der Sanitäter charakterisiert, und dem sie sich entweder durch Spott und Trotz entziehen, oder dem sie verfallen wie Major Burns mit seinen Bibelstunden. Bis auf Hawkeye und McIntyre, die sich als anarchische Helden gegen das unmenschliche System auflehnen, an dem sie teilnehmen, wird M*A*S*H bevölkert von Gebrochenen: Am schmerzhaftesten wird das vielleicht in der Entwicklung von „Hot Lips“ O’Houlihan deutlich, die sich von der verklemmten Puritanerin in eine keifende und herumhurende Cheerleaderin verwandelt. Der Film präsentiert diese Wandlung als komisch, aber eigentlich ist es tragisch, wie diese Frau komplett umgedreht wird.Der Kreig produziert eben ausschlißelich Opfer und man darf annehmen, dass die wenigsten aus ihm so unbeschadet hervorgehen wie Hawkeye und Pierce, die als Schelmenfiguren immer die Kontrolle behalten.

Altman hat einen wahrlich bösen Film gedreht: Keinen, der konstruktive Kritik betreibt, um auf Missstände hinzuweisen und so am Status quo herumzudoktern und zu verschlimmbessern – was sollte man am Krieg auch „verbessern“? –, sondern einen, der zeigt, dass die einzige Möglichkeit, mit dem Krieg umzugehen, die ist, das Leid um einen herum auszublenden – und so letztlich ein vielleicht etwas schwergängigeres, aber doch auch nur ein Rädchen im Getriebe zu sein, das das große Ganze am Laufen hält. M*A*S*H hat Kultstatus und wird von meiner Frau verehrt: Ich finde es sehr, sehr schwer, ihn liebzuhaben. Er ist einfach zu wahr.