Episode 237: Nachtgebete (Theodor Grädler, Deutschland 1994)
Ulrike Berger (Monika Baumgartner), Angestellte im Nachtclub der Ganoven Cottbus (Robert Jarczyk) und Sacko (Hanno Pöschl), wird ermordet, weil sie „auspacken“ will. Vorher benennt sie den Kunsthistoriker Dr. Roth (Gerd Anthoff) als leiblichen Vater ihrer jugendlichen Tochter Marianne (Joschka Lämmert). Roth ist erstaunt: Zwar hat er die Berger bei einem Kuraufenthalt kennengelernt und sich mit ihr angeregt unterhalten, aber sonst war da nichts. Bei einem Treffen mit Marianne erlebt er, wie Cottbus und sein Schläger versuchen, das Mädchen aus der Wohnung zu prügeln. Er schaltet die Polizei ein und nimmt die Vormundschaft an. Doch damit zieht er den Zorn der Verbrecher auf sich …
So langsam erinnern die Serie und Derricks Funktion darin an den Michael-Landon-Heuler EIN ENGEL AUF ERDEN. Und zur angemessenen Bewertung müsste ich eigentlich ein neues Kriterium einführen: Als Krimiepisode versagt NACHTGEBETE auf ganzer Linie, es gibt auch keine inszenatorischen oder schauspielerischen Glanzlichter oder Kunststückchen zu bestaunen, stattdessen regiert die zu dieser Zeit typische Biederkeit. Dennoch geht von der Folge eine enorme Faszination aus: Es ist schon erstaunlich, auf welche dramaturgischen Irrwege sich Reinecker begibt, um seine Weltanschauung und Moralphilosophie unters Volk zu bringen. Er diagnostiziert einen Zustand allgemeiner „Gleichgültigkeit“ gegenüber dem nächsten, der sich dem Drehbuch zufolge auch in der Weigerung des Dr. Roth widerspiegelt, die Vaterschaft für ein ihm völlig unbekanntes Mädchen von einer flüchtigen Bekanntschaft unterjubeln zu lassen. Aber er wird von Engel Derrick ja dann doch auf den Pfad der Tugend geführt: In einer nur als bizarr zu bezeichnenden Wendung, nimmt der Historiker (der noch mit seine Mama zusammenwohnt) Marianne bei sich auf wie ein Heiliger, führt sie in sein Haus und konstatiert: „Hier wohnst du jetzt.“ Warum? Weil das langweilige Spießerleben zwischen ledergebundenen Wälzern die Nachtclubangestellte – wer bezahlt eigentlich deren Kur? – so nachhaltig beeindruckt hat, dass sie es als Zukunft für ihre Tochter herbeivisioniert, wissend, dass sie bald den ihren letzten Atem aushauchen wird. Die letzten fünf Minuten, in denen Dr. Roth und seine Familie im dunklen Haus das Auftauchen der Killer erwarten, sind sogar ganz spannend, beim Rest kann man nur den Kopf schütteln. Dafür gibt es aber eine der überzeugenderen Disco-Szenen in der an solchen nicht gerade reichen Serie und Hanno Pöschl, der mit weiß geschminktem Gesicht und rotem Pagen-Jackett Frauen versteigert.
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Episode 238: Abendessen mit Bruno (Alfred Weidemann, Deutschland 1994)
Die Unternehmer Mandy (Wolf Roth) und Martin Sasse (Sebastian Koch) haben ein Problem: Sie werden von ihrem Angestellten Simon (Thomas Schücke) erpresst: Dafür, dass er ihnen belastendes Material überlässt, will er Teilhaberschaft im Unternehmen. Es kommt zur Auseinandersetzung, bei der Sasse den Emporkömmling erschlägt. Den Mord schieben die Sasses – der Vater (Ernst Jacobi) und Martins Schwester Ingrid (Sosa Macdonald) – ihrem geistig behinderten Bruder Bruno (Phillip Moog) in die Schuhe. Derrick glaubt aber nicht an dessen Schuld und entlässt den jungen Mann zurück in die Obhut der Verräter …
Nach dem KAFFEE MIT BEATE nun also das ABENDESSEN MIT BRUNO. Mehr als an den Whodunit aus den Siebzigerjahren erinnert die Folge aber an eine andere und Reinecker macht sich noch nicht einmal die Mühe, das Vorbild zu Verschleiern: Einen geistig Behinderten namens Bruno gab es bereits schon einmal bei DERRICK und auch damals wollte dessen feine Familie ihm den Mord des Bruders in die Schuhe schieben, weil er sich nicht wehren konnte: Die Rede ist von ANSCHLAG AUF BRUNO von 1979, in der Dieter Schidor die Rolle des wehrlosen Tropfes übernahm. Wer DERRICK seit den Anfängen verfolgt, weiß bereits, dass die Serie in der Darstellung von psychischen Erkrankungen die Grenze zur Fantasy mitunter lustvoll überschreitet. Das ist auch hier so: Moog, der seine Popperfrisur gegen einen einem Behinderten offensichtlich angemesseneren Dreidollarhaarschnitt, die Barbour-Jacke gegen einen beigefarbenen Opablouson eingetauscht hat, interpretiert den Bruno als dumpf ins Leere starrenden, schweigenden Forrest Gump mit Teddybär. Seine Erkrankung bestehe darin, erklärt der Arzt (der ihn aus seiner Obhut entlässt, weil er seine Klinik schließen will, um sich anderen Dingen zu widmen!), dass Bruno „alles auf einmal“ wisse und verstehe. Möglicherweise sei er damit ja sogar gesünder als die vermeintlich „Normalen“. Der Kniff Derricks, den vermeintlichen Mörder zu entlassen, um so den Druck auf die von Schuldgefühlen geplagten Sasses zu erhöhen, ist ebenfalls alt: Das gab es schon einmal in der KOMMISSAR-Episode DREI BRÜDER von 1974. Weil Reinecker damals aber noch Krimis schrieb statt moralphilosophisch verquaste Kammerspiele, wurde die Kapitulation der Täter da glaubwürdig herbeigeführt. Hier verliert der Mörder schon am ersten Abend beim Anblick seines Bruders die Nerven und versteigt sich in eine peinliche Zornrede. Wie schon oben konstatiert: Als Krimi zum Vergessen, als Blick in die Reinecker’sche Gedankenwelt faszinierend.
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Episode 239: Katze ohne Ohren (Horst Tappert, Deutschland 1995)
Als Karina (Svenja Pages), die Freundin des Drogenhändlers Manfred Mauser (Peter Kremer) im Fernsehen ein Interview mit dem Physiker Kostiz (Karlheinz Hackt) hört, in dem dieser die Jugend dazu ermahnt, die drängenden Aufgaben zur Verbesserung der Erde anzugehen, verlässt sie ihren Partner. Wenig später wird er in seiner Tiefgarage erschossen.
Der Titel klingt wie ein frühes Draft einer Til-Schweiger-Erfolgskomödie, bezieht sich aber auf den Vortrag des Wissenschaftlers: In Südafrika habe er eine Frau gesehen, die eine Katze fütterte, der das Ozonloch die Ohren „weggebrannt“ habe. Das Bild hat den Mann so erschüttert, dass er darüber seinen Wissenschaftlerjob an den Nagel gehängt hat, um nun als Mahner und Aufrütteln durch Fernsehshows, Schulen und andere Einrichtungen zu tingeln und die Jugend an ihre große Verantwortung zu erinnern. Die Episode dieser Tage zu schauen, sorgt für ein interessantes Déjà-vu und erinnert zum einen daran, dass die letzten rund 25 Jahre in Sachen Klima- und Umweltpolitik leider ziemlich verschlafen wurden, zum anderen, dass man von Reinecker in dieser Phase seines Schaffens offensichtlich keine spannenden Fernsehkrimis mehr erwarten darf. Die Figur des Wissenschaftlers kann man vielleicht als Alter ego des Autors verstehen, der seine Tätigkeit als Erfinder von Kriminalfällen niedergelegt hat, um seine Zuschauer über den Status quo der Welt und des menschlichen Daseins zu ermahnen. So ehrlich das auch gemeint sein mag: KATZE OHNE OHREN steht sich bei seinem Anliegen mit ihrer bisweilen bizarren Weltfremdheit mehr als einmal selbst auf den Füßen. Da ist zum einen der Drogendealer Kremer, der freudestrahlend vom Treffen mit den „großen Bossen“ kommt und seiner Freundin mitteilt, dass sie ihm nun alle Münchener Schulen überlassen haben, aber in seiner Wohnung abgepacktes Heroin rumliegen hat und zum Verkauf schon einmal abgerissene Junkies wie Andreas Klausen (Robinson Reichel) bei sich begrüßt. Dann ist da der Wissenschaftler, der mit seiner Karriereentscheidung beruflichen Selbstmord begeht. Warum es der Betreiber einer Drogenklinik für eine gute Idee hält, einen Weltverbesserer vor Junkies darüber schwadronieren zu lassen, dass sie vor der Wirklichkeit wegrennen, anstatt die Welt zu retten, sei dahingestellt. Sehr rührend fand ich die Idee, dass Kostiz seine Vorträge auf Kassetten aufnimmt und dann kostenlos an seine Zuhörer verteilt. Das Geschäftsmodell scheint mir nicht wirklich durchdacht. Aber was weiß ich schon.
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Episode 240: Anruf aus Wien (Alfred Weidenmann, Deutschland 1995)
Babette (Sibylle Widauer), die Tochter des geschiedenen Ehepaars Bach (Peter Fricke & Jutta Kammann), wird entführt, die Entführer fordern eine Million DM. Panisch vor Sorge willigt Bach ein, ergreift bei der Lösegeldübergabe schließlich zur Waffe und erschießt den Boten. Bevor Derrick und Klein Bach festnehmen können, müssen sie aber erst noch eine Möglichkeit finden, Zeit zu gewinnen und die Entführer aus der Reserve zu locken. Sie holen Charlotte (Veronika Fitz), die Ehefrau des Toten, in ihr Boot und fordern sie auf, den Partnern ihres Mannes zu erzählen, er sei nach Wien gereits, um mit ihr dort ein neues Leben anzufangen, und sie erwarte seine telefonischen Instruktionen. Sie macht bei dem Spiel mit – aber wohl vor allem, weil sie im Schock glaubt, ihr Mann sei wirklich nach Wien gereist …
Die letzten Folgen waren ja schon viel, viel besser als das, was Reiencker uns sonst so im Jahr 1994 aufgetischt hatte, doch ANRUF AUS WIEN kommt einem Quantensprung gleich. Nicht nur, dass dem Mann nach gut drei jahrzehnten Fließbandkrimiarbeit noch einmal etwas Neues eingefallen ist: Die Folge ist tatsächlich sauspannend. Zunächst mal geht das alles sehr normal los: Es wird ein etwas zu harmonisches Papa-Tochter-Idyll gezeichnet und die Mama als Buhmann aufgebaut. Fricke zieht dann seine Masche durch und wird immer erratischer und panischer, während seine Ex-Gattin bemüht ist, die Nerven zu behalten. Richtig interessant wird das alles, als Derrick hinzustößt und seinen raffinierten Plan ausheckt. Reinecker zieht die Spannung hier sehr geschickt aus dem nicht zuletzt von Harry geschürten Zweifel, dass Charlotte begreift, was auf dem Spiel steht und mitspielt. Veronika Fitz ist toll als völlig abgeschaltete Gattin, die nach dem Schock der Todesnachricht in einen Zustand der Trance gerät und kurzzeitig Trost in dem von Derrick inszenierten Spiel findet. Aber der Zustand ist natürlich immens fragil: Bei jedem Anruf der Ganoven bei ihr erwartet man, dass sie aus ihrem Trancezustand aufwacht, sich verrät, die Täuschung auffliegen lässt und so den Tod des Mädchens verursacht. Clever gescriptet, gut umgesetzt, toll.
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Episode 241: Ein Mord, zweiter Teil (Alfred Weidenmann, Deutschland 1995)
Der Gefängnispsychologe Dr. Grossler (Stefan Wigger) sucht Derrick auf: Rudolf Kollau (Wolf Roth), den Derrick vor sieben Jahren wegen des Mordes am Geliebten seiner Ehefrau Agnes (Gudrun Landgrebe) festgenommen hatte, steht kurz vor seiner Entlassung wegen guter Führung. Doch Grossler glaubt nicht an den trügerischen Frieden: Für ihn ist Kollau der „absolute Verbrecher“ und nur darauf aus, sich an seiner Ex-Gattin zu rächen, die mittlerweile mit dem biederen Beamten Arno (Edwin Noel) verheiratet ist und in dem Haus wohnt, das Kollau noch zur Hälfte gehört. Tatsächlich bittet er Agnes, seine Bücher bei ihr im Keller unterstellen zu dürfen, bis er eine Bleibe gefunden hat, doch dann steht er wieder vor ihrer Tür, bezieht erst einen Kellerraum und beginnt von dort aus seinen Keil zwischen die Eheleute zu treiben. Derrick sind die Hände gebunden. Was hat Kollau vor?
Reinecker klaut wieder beim Besten: sich selbst. In DER UNTERMIETER war es Peter Kuiper, der sich nach der Haftentlassung in der Wohnung seiner mittlerweile wieder verheirateten Ex-Freundin breitmachte und dabei unter anderem deren Untermieter drangsalierte. Hier wie dort wird Derrick von einem befreundeten Beamten auf den Schurken aufmerksam gemacht, ist der Neue an der Seite der Verflossenen vom Typus des Reinecker’schen Waschlappens. Den wesentlichen Unterschied markiert hier die Besetzung der Schurkenrolle, denn der großartige Wolf Roth legt seinen Eindringling nicht wie Kuiper als zudringlichen, bullyhaft-einschüchternden Gewaltmenschen an, sondern als intelligenten, äußerlich betont kontrollierten, innerlich aber brodelnden Psychoterroristen, dessen immenses Drohpotenzial fast auschließlich zwischen den mit einem süffisanten Lächeln ausgesprochenen Zeilen liegt. Und der Roth hat Freude an dieser Rolle, uiuiui. Er ist ja fast immer super, aber hier ist nahezu jeder seiner Auftritte zum Niederknien. Wenn er seine schlotternde Ex beim Frühstück mit dem Gatten stört und scheißfreundlich nach einem Kaffee fragt oder immer wieder fallen lässt, dass das Haus, das sie bewohnen, ja zur Hälfte ihm gehöre, spürt man den ganzen über die Jahre aufgestauten Zorn und die Freude, die ihm das Wissen verschafft, dass schon seine bloße Anwesenheit die beiden verrückt macht. Mit Derrick liefert er sich hingegen scharfe Wortgefechte, in denen er seine Verachtung für den Beamten nicht zurückhält: Derrick, sonst nie um eine schlagfertige, altersweise Antwort verlegen, wird hier auffällig wortkarg. Wenn es etwas zu meckern gibt – neben der Tatsache, dass die Episode ein Dreiviertelremake ist -, dann ist es wahrscheinlich das Ende. Die Idee ist zwar gut, aber trotzdem fühlt es sich ein bisschen wie ein Letdown an. Egal, Wolf Roth rockt!
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Episode 242: Teestunde mit einer Mörderin? (Alfred Weidenmann, Deutschland 1995)
Der attraktive Roland Ortner (Thomas Kretschmann) ist auf dem Weg zu seiner attraktiven Geliebten Isabel (Christina Plate), die pikanterweise die Pflegerin von Rolands schwerkranker, schwerreicher, aber deutlich älterer Ehefrau Agnes (Ursula Lingen) ist. Bei seiner Ankunft ist Isabel tot, erschossen, und für Roland kann es keinen Zweifel geben, wer als einziger als Mörder in Frage kommt: seine Ehefrau, die ihm die Affäre einst zugestanden hatte, weil sie spürte, dass sie ihrem jungen Ehemann nicht mehr bieten konnte, was er brauchte.
Das ist eine reine Schauspielfolge, in der vor allem Ursula Lingen viel Raum erhält, um ihre würdevolle Grande Dame zu geben. Sie verfügt über große Präsenz, macht den Schmerz ihres Charakters greifbar, der spürt, dass seine grenzen- aber eben auch körperlose Liebe nicht mehr in gleichem Maße erwidert wird und deren Rettungsanker letztlich zur totalen Entzweiung führt. Thomas Kretschmann, Anfang 30 erst, aber bereits mit einigen nennenswerten Produktionen im Rücken, funktioniert gut als ihr deutlich weniger in sich ruhender, vor Lebenslust vibrierender Ehemann, der sich nach eigenem Bekunden von ihr hat kaufen lassen. Das wird leider zu wenig ergründet: Man erhält einen kurzen Einblick in ihre gemeinsame Vergangenheit, aber man erfährt nie, was der junge Mann an der Frau, die seine Großmutter sein könnte, fand. Die ganze Beziehung wird nicht richtig glaubwürdig, auch wenn sich die beiden Darsteller alle Mühe geben. Hinzu kommt der wenig spektakuläre Verlauf: Man weiß schnell, wer der Mörder ist und eine richtige Überraschung bleibt aus. Trotzdem: gehobener Durchschnitt, wie ich ihn mir gefallen lasse.
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Episode 243: Ein Mord und lauter nette Leute (Theodor Grädler, Deutschland 1995)
Die Geschäftsleute Kelpe (Sky DuMont), Bienert (Klausjürgen Wussow) sowie dessen Sohn Hans (Christoph Eichhorn) finden das Callgirl Ruth tot in ihrem Appartement. Alle drei Männer hatten eine Beziehung mit der Frau, zahlten ihr die Miete und ermöglichten ihr auch, ihre Schwester Lona (Julia Dahmen) auf ein Internat zu schicken. Derrick holt das junge Mädchen nach München und berichtet ihr, wer ihre Schwester war. Lona möchte unbedingt die Liebhaber Ruths kennenlernen und dabei helfen, den Mörder zu finden.
Das ist natürlich etwas, was Reinecker nicht versteht: Wie eine Frau sich mehreren Männern gleichzeitig darbieten kann, wie diese Männer sie auch noch untereinander teilen – und wie sogar deren Ehefrauen und Geliebte damit einverstanden sind, weil diese Ruth so ein wunderbarer Mensch war. Und weil er das nicht versteht – was ja vor allem sein Problem ist -, müssen diese Männer und Frauen ölig-verschlagene Schmierlappen sein, denen die falsche Betroffenheit nur so aus jeder Pore tropft – und eine(r) von ihnen natürlich ein Mörder, bei dem es mit der Polyamorie dann doch nicht so weit her war. Was grundsätzlich trotzdem ein Superansatz für 60 Minuten stimmungsvolle Unterhaltung wäre, wenn Reinecker nicht viel zu viel Gewicht auf die Trauerbewältigung der hübschen, aber langweiligen Lona legen würde. Sky DuMont spielt seine Masche runter, Klausjürgen Wussows onkelige Schmierigkeit wird vollkommen verschenkt. Gut, dass Christine Buchegger noch da ist, die Kelpes Sekretärin und Geliebte mit der devoten Strenge einer zärtlichen Domina versieht.
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Episode 244: Kostloffs Thema (Dietrich Haugk, Deutschland 1995)
Der selbsternannte Theaterinhaber, Schauspiellehrer, Stückeschreiber, Regisseur und Philosoph Kostloff (Gert Anthoff) führt die Polizei zur Leiche eines seiner „Schüler“ in einem Steinbruch, nachdem er ihn als vermisst melden wollte. In den Steinbruch schickte er seine Eleven, um ihre Stimme zu schulen. Derrick und Klein ist er damit sofort verdächtig: Und tatsächlich tut der selbstverliebte, von sich selbst überzeugte Sohn einer schwerreichen Mutter (Maria Becker) nichts, um diesen Verdacht zu zerstreuen. Im Gegenteil: Mit seinen seltsamen Theorien darüber, dass jeder Mensch ein Opfer sei und töte, was er liebe, liefert er sich gewissermaßen auf dem Präsentierteller. Nur Beweise gibt es nicht. Also liefert ihm Derrick einen Undercover-Beamten (Nikolaus Gröbe) als neuen „Schüler“ …
Das ist schwierig. Auf der Habenseite hat die Episode ein paar interessante formale Kniffe vorzuweisen, die ich in diesem Stadium von an Leichenstarre erinnernder Routine, in den die Serie zumindest inszenatorisch eingetreten ist, schon nicht mehr erwartet habe. Da dröhnt ein theatralischer Score über die rauschhaft-beknackten Monologe von Kostloff, gibt es eine mit Handkamera inszenierten Film-in-Film, wird das Finale im Steinbruch mit harten Schnitten zum Videoclip. Putzig ist wieder einmal Reineckers unverhohlen zur Schau getragene Verachtung für all diese Kunstfuzzis mit ihren überkandidelten Konzepten und Ideen: Wie schafft man es unter diesen Voraussetzungen, über 30 Jahre lang am Fließband Drehbücher zu schreiben, ohne sich selbst zu hassen? Das macht Spaß, das gefällt. Weniger sicher bin ich mir bei Gert Anthoff, der in der Serie sonst meist den Typus des bürgerlichen Waschlappens verkörpert, der mal positiver, mal negativer angelegt ist, und hier von der Leine gelassen wird. Er dreht ziemlich auf als Kostloff, stolziert wie ein Pfau in einer unglaublichen Hausjacke herum, trinkt Likör mit abgespreiztem Finger, schwadroniert, redet sich in Rage, zitiert Wilde, wedelt affektiert mit den Händen herum und umgarnt am Schluss den neuen Schüler in deutlich homoerotischer Intention. (Da fiel mir nach rund vier, fünf Jahren Derrick und 244 absolvierten Folgen zum ersten Mal auf, wie abwesend das Thema Homosexualität in der ganzen Serie ist.) Das finde ich prinzipiell gut, aber zum einen nehme ich Anthoff die Rolle einfach nicht ab, zum anderen ist dieser Kostloff als Figur – oder so, wie Anthoff ihn anlegt, viel zu comichaft für die Serie. Bei allem, was es zu kritisieren gibt, eins kann man KOSTLOFFS THEMA Nicht vorwerfen: dass die Episode langweilig oder routiniert wäre. Das gibt bei der Erstsichtung einen Bonus.
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Episode 245: Derricks toter Freund (Theodor Grädler, Deutschland 1995)
Arno Beckmann (Walter Renneisen), ein ehemaliger Kleinkrimineller, wird durch die Tür seiner Wohnung erschossen. Das Appartement hatte ihm die wohlhabende Martha Hauser (Christiane Hörbiger) zur Verfügung gestellt, eine platonische Freundin des Opfers. Wie Derrick herausfindet, hatte der auf Anraten seines Zellenkameraden, des Heiratsschwindlers Leo Körner (Jürgen Schmidt), Frauen angeschrieben, um an Geld zu kommen, das ihm aufgrund fehlender Ausbildung und mangelnden Selbstbewusstseins fehlte. Beckmann machte mit seiner Hilflosigkeit, aber auch mit seiner Offenheit nicht nur Eindruck auf Martha, sondern auch auf deren verheiratete Tochter Helga (Roswitha Schreiner) und ihre Freundin Ilse (Gertrud Jesserer). Alle drei Frauen hatte von ihren Männern nicht mehr viel Zuneigung zu erwarten.
Die irreführend betitelte Episode – Derrick kannte Beckmann gar nicht, fühlt sich ihm dann aber durch die Berichte der Frauen verbunden, eben als sei er ein Freund – macht aus dem traurigen Tropf das männliche Gegenstück zu all den unschuldigen weiblichen Zauberwesen, die vor allem in den Siebzigern regelmäßig die Köpfe alternder Männer in DER KOMMISSAR und DERRICK verdrehten. Beckmann ist in der Interpretation von Renneisen ein bemitleidenswerter Trottel, eine Art treudoofer Straßenhund, den man adoptiert, um ihn gesund zu pflegen, aber seine Unbedarftheit und Wärme öffnet ihm den Weg in die Herzen der Damen, die von ihren patriarchischen Männern keine Liebe mehr erfahren. DERRICKS TOTER FREUND passt zu Reineckers Altersthema der zunehmenden Vereinsamung, das im Zentrum dieser späten Jahrgänge steht, aber die Folge scheitert an Renneisen. Dass wohlhabende Frauen ihn als Sozialexperiment adoptieren, mag ja noch angehen, doch dass sich Roswitha Schreiner in diesen linkischen Hampelmann verliebt, sich auch eine körperliche Beziehung zur platonischen wünscht, ist dann doch etwas zu viel des Guten. Renneisen overactet gnadenlos und was liebenswert und unvoreingenommen wirken soll, wirkt tölpelhaft und peinlich. Es liegt an Traugott Buhre, der Marthas autoritären Gatten spielt, dass das Konstrukt halbwegs funktioniert. Wenn es Renneisen schon nicht gelingt, seinen Beckmann zur überirdischen Sympathiefigur zu machen, so schafft Buhre es, allen Hass auf sich zu ziehen. So ist die Episode kein Totalreinfall – und als faszinierender Blick ins vernebelte Oberstübchen von Sozialmärchenonkel Reinecker eh faszinierend.
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Episode 246: Eines Mannes Herz (Alfred Weidenmann, Deutschland 1945)
Der Geschäftsmann Ludwig Dalinger (Walter Schmidinger) sucht die Familie um Dr. Kirchheimer (Ralf Schermuly) auf: Die Tochter des Hauses war vor zwei Jahren spurlos verschwunden und Dalinger zeigt große Anteilnahme an ihrem Schicksal. Wenig später wirft er sich vor einen fahrenden Zug und in seinem Abschiedsbrief, der den Kirchheimers zugeht, erklärt er ihnen, dass er das Herz ihrer Tochter in der Brust trage. Der Mann hatte nach dem Engagement seines Geschäftspartners Bertram (Wolf Roth) ein neues Herz erhalten, für das offensichtlich ein junger Mensch sterben musste …
Kein echter Kriminalfall, weil der Mord an der Verschwundenen nicht geklärt wird, aber eine ziemlich faszinierende und spannende Geschichte. Im Unterschied zu vielen anderen von Reineckers offen „humanistischen“ Folgen, ist EINES MANNES HERZ ausnahmsweise mal nicht gnadenlos verlabert und moralinsauer, sondern tatsächlich involvierend und bewegend. Das Schicksal sowohl der Kirchheimers als auch Dalingers lässt nicht kalt, wird durch die Leistungen der Darsteller nachvollziehbar und greifbar. Und der Verzicht auf einen Schurken, der alles Übel dieser Welt verkörpern muss, tut der Sache gut. Bertram, der der Anforderung an einen Bösewicht noch am ehesten entspricht, ist eigentlich auch ein armes Schwein, das nicht wusste, dass seine Bemühungen, das Leben seines Freundes zu retten, zum Tod eines anderen führen würden. Das Schlussbild, das ihn zeigt, wie er mit einem Phantombild des vermeintlichen Mörders die Gäste eines Münchener Nachtclubs anspricht – zuvor hatten wir erfahren, dass er sein Geschäft aufegegeben habe und nicht mehr erreichbar sei – ist gleichermaßen tragisch wie bewegend und eine schöne Abwechslung zum sonst vorherrschenden Reinecker’schen Pessimismus.
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Episode 247: Dein Bruder, der Mörder (Hans-Jürgen Tögel, Deutschland 1995)
Musterknabe Randolf Basler (Holger Handtke) hat Scheiße gebaut: In seinem Bett liegt eine tote Prostituierte. Seine patente Löwenmutter (Eva Kotthaus) will die Zukunft des Sohnes um jeden Preis retten, also überredet sie dessen Bruder Hubert (Peter von Strombeck), die Leiche mit ihr gemeinsam wegzuschaffen. Anstatt sie aber einfach irgendwo abzuladen, legt Hubert sie sorgfältig vor ihrer Haustür ab und sucht gleich am nächsten Tag die Familie der Toten auf. Dabei erfährt er, dass sie eine von den Großeltern unerwünschte Tochter hinterlässt, um die sich nun Vera (Carin C. Tietze), die Schwestern der Toten, kümmern muss. Hubert bietet ihr seine Hilfe an und zieht so die Aufmerksamkeit Derricks auf sich, der großes Interesse an dem Mann zeigt, weil er spürt, dass er mit dem Mord zu tun hat. Das gefällt Randolf natürlich überhaupt nicht …
Die Episode passt zu Reineckers humanistischer Mission. In Folge um Folge proklamiert er die Gleichgültigkeit gegenüber dem anderen als das Übel unserer Zeit, das sich in DEIN BRUDER, DER MÖRDER wieder einmal darin niederschlägt, dass Mutter und Sohn für sich entscheiden, dass seine Zukunft wichtiger ist als die Gerechtigkeit, eine Prostituierte letztlich niemand vermisst und seine Tat am Ende nur ein Unglück war, für das man ihm die Zukunft nicht versauen sollte. Mitgefühl: Fehlanzeige. Hubert, als „Versager“ apostrophiert, kann und will da nicht mitgehen: Er spürt eine Verantwortung für die Tote und das Bedürfnis nach Wiedergutmachung. Die Sympathien sind klar verteilt, auch weil Holger Handtke und Eva Kotthaus in ihren Rollen nahezu ohne positive Eigenschaften auskommen dürfen. Man kann kaum etwas gegen die Konstruktion der Episode sagen, die wieder ein bisschen an die Anfangstage der Serie erinnert, aber ohne den Furor auskommen muss, den Derrick damals noch an den Tag legte. Reineckers Hauptaugenmerk liegt auch nicht mehr bei den Schurken und ihrer Überführung durch den Kriminalbeamten, sondern beim Altruismus des Bruders. Weil seine Wohltätigkeit aber weniger aus einem Schuldgefühl hervorgeht, sondern beinahe instinktiv aus ihm kommt, und wir als Zuschauer bemerken, in welche Gefahr er sich damit begibt, ist die Folge dann doch recht spannend.
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Episode 248: Die Ungerührtheit der Mörder (Helmuth Ashley, Deutschland 1995)
Professor Weiland (Wolf Roth), Lehrer einer Abiturklasse, ist fasziniert vom Mord und was er in unserem Gehirn anstellt. Für einen Aufsatz lädt er den soeben aus der 15-jährigen Haft entlassenen Frauenmörder Ali Klais (Michael Mendl) in die Schule ein, damit seine Schüler ihm Fragen stellen können. Die Begegnung mit dem ungerührten Mann hinterlässt einen starken Eindruck bei den jungen Leuten und sie suchen ihn nach Schulschluss in der Kneipe auf, in der er kellnert. Auch an der Polizeipsychologin Sophie Lauer (Marion Kracht), die als junges Mädchen Opfer einer Vergewaltigung war, gehen die Worte Klais‘ nicht spurlos vorbei. Als Klais erschossen wird, befürchtet Derrick das Schlimmste …
Im Zentrum der Episode steht ein interessantes Spannungsverhältnis, das auf Erzählebene aber leider nicht wirklich zufriedenstellend eingebunden wird: Mir ging als Betrachter das Messer in der Tasche auf angesichts der Selbstgerechtigkeit, mit der Weiland den völlig verstörten, intellektuell deutlich unterlegenen Mörder vorführt und die Schüler dann mit ihrem begrenzten Weltbild auf ihn einprügeln lässt, und auch Derrick und Klein sind zu Recht angewidert von dem Schauspiel. Zum Teil wird der moralische Furor der Schüler aber durch die angebliche „Ungerührtheit“ Klais‘ gerechtfertigt: Er zeigt weder Reue noch ist er überhaupt in der Lage, seine Tat annähernd zu reflektieren. Dem Drehbuch nach zu urteilen, soll das tatsächlich auf seine Gleichgültigkeit gegenüber fremdem Leben schließen lassen, auch wenn eine andere Erklärung angesichts der Situation, in der er sich befindet, ja viel naheliegender scheint: Nach 15 Jahren Haft eben erst auf freiem Fuß (er wird von Weiland am Knast abgeholt und direkt in die Schule gebracht) sieht er sich als „Ausstellungsstück“ einem Tribunal gegenüber, das von dem völlig unvorbereiteten Mann nicht nur Auskunft über längst vergangene Gefühle und Gedanken, sondern sogar eine Art erneutes Schuldgeständnis einfordert. Dass die Jugendlichen mit der Situation ebenso überfordert sind wie er, ist verständlich (passenderweise erklärt ihnen der von der Begegnung mit dem Mörder geradezu berauschte Lehrer, was sie zu denken und am besten auch zu schreiben haben), aber dass eine Polizeipsychologin nicht in der Lage ist, einen Schritt zurückzutreten und ihre eigenen Befindlichkeiten außen vor zu lassen, disqualifiziert sie eigentlich für ihren Beruf. Abgesehen von der interessanten Ausgangssituation gibt die Folge leider sonst nicht viel her. Aber sie ist auch kein Schuss in den Ofen.
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Episode 249: Herr Widanje träumt schlecht (Alfred Weidenmann, Deutschland 1995)
Herr Widanje (Henry van Lyck) wird vor seinem Haus erschossen. Der Mann pflegte einen ausgeprägten Vergwaltigungs-Fetisch, den er auch vor seiner Gattin (Eleonore Weisgerber) nicht verheimlichte und den er dann auch aktiv auslebte. Kergal (Edwin Noel), Vater der jungen Dina (Julia Brendler), die Widanje zum Opfer fiel, zog die Anzeige zurück, weil der Unternehmer ihm im Gegenzug einen Arbeitsplatz in seiner Firma anbot. Zu den Verdächtigen gehören außerdem Agnes Voss (Gudrun Landgrebe), die Therapeutin von Widanjes Gattin, sowie der junge Staatsanwalt Dahlau (Philipp Moog), der ein Foto von Dina auf dem Schreibtisch stehen hat, um das ungesühnte Verbrechen nicht zu vergessen …
Ich habe mich noch nicht so recht zu einer echten Einschätzung dieser Episode durchringen können, die einige interessante Elemente und Details aufweist – hier wären einmal die schwarzweißen Behandlungsvideos zu nennen, die Dr. Voss Derrick von ihren Patienten vorführt – und damit überrascht, dass der Mord am Ende nicht aufgeklärt werden kann. Das Problem ist, dass sie keinen echten Drive entwickelt. Nicht dass, die Serie zu diesem Zeitpunkt sonst ein Ausbund an Spannung und Intensität wäre, aber Weidenmann gelingt es einfach nicht, die verschiedenen Ansätze hier unter einen Hut zu bringen und seine Story so geradlinig zu entwickeln wie das nötig wäre. Am Ende macht sie einen etwas überladenen, ungeordneten Eindruck und sie steht sich dabei selbst im Weg. Was schade ist, denn eigentlich hat die Prämisse großes Potenzial, das man aber nur hier und da aufblitzen sieht.
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Episode 250: Mitternachtssolo (Helmuth Ashley, Deutschland 1995)
Arthur Bolz (Edgar Walther), der Inhaber eines Nachtclubs, wird von seinem Geschäftsführer Prasko (Winfried Glatzeder) erschossen, als er ihn der Unterschlagung von Geldern bezichtigt. Bevor Prasko und seine Mitarbeiter die Leiche fortschaffen können, werden sie vom Nachtwächter Randel (Udo Samel) erwischt. Der sieht seine große Chance: Doch er will kein Geld für sein Schweigen, sondern Praskos Ehefrau Inge (Susanne Uhlen) …
Die Standard-Ausgangssituation nimmt mit Randels Forderung leider keine Wendung ins Bizarre, sondern in ein wenig überzeugendes Melodram: Natürlich verliebt sich Inge, deren Ehemann ein absolutes Arschloch ist, in den biederen Nachtwächter, weil der echtes Interesse an ihr zeigt. Ein Happy End darf es aber nicht geben, weil sich Inge wie einst Winnetou in einen auf Old Shatterhand Randel abgefeuerten Schuss wirft. Derrick guckt drein, als wollte er sagen: „Kinders, was macht ihr immer nur für Sachen.“ Glatzeder ist gut als schwitzender Schurke, aber die Episode ist nicht mehr als unterer Durchschnitt.
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Episode 251: Die zweite Kugel (Horst Tappert, Deutschland 1996)
Johannes Kahlert (Dirk Galuba) erpresst Schutzgeld von italienischen Gastronomen. Veronese (Peter Bertram) weigert sich zu zahlen, also schickt Kahlert seinen Laufburschen Valentino (Götz Hellriegel), um ihn einzuschüchtern. Der nimmt seinen Freund mit, Kahlerts Sohn Konrad (Oliver Hasenfratz). Im Gasthaus des Opfers kommt es allerdings zu einem Schusswechsel, bei dem Konrad durch eine Kugel am Arm verwundet wird und Veronese daraufhin erschießt. Weil er medizinische Versorgung benötigt, aber nicht riskieren kann, dass die Schusswunde der Polizei gemeldet wird, wendet er sich an den Priester Figges (Philipp Moog), um vor diesem die Beichte abzulegen und somit auf das Beichtgeheimnis bauen zu können. Tatsächlich erklärt sich der Pfarrer bereit, einen Arzt (Lambert Hamel) zu organisieren, der dichthält. Derrick kommt der Sache schnell auf die Spur, aber er möchte den Täter identifizieren, ohne den Pfarrer zum Verletzen des Beichtgeheimnisses zu zwingen.
Vielleicht ist diese Folge die ultimative Neunziger-DERRICK-Episode: Philipp Moog spielt einen Pfarrer und Derrick agiert als Hebamme der Wahrheit mit Respekt vor einem heiligen Gelübde. Erzählt wird in getragenem Tempo, alle Schauspieler sind mit großem Ernst bei der Sache, der sich in einer respektvollen Behutsamkeit niederschlägt, so als hätten sie Angst, Reineckers fragile Prosa könne sonst zerbrechen. Selbst Galuba, sonst der verlässliche Mann fürs Grobe, reißt sich sichtlich am Riemen: Anstatt seinem dämlichen Sohn gründlich den Arsch zu versohlen, schluckt er den Ärger herunter. Heraus fällt allerdings eine Actionszene, wahrscheinlich eine von insgesamt drei überzeugenden in 30 Jahren DERRICK: Aus einem fahrenden Auto wird mit einer Maschinenpistole auf den holzhackenden Pfarrer geschossen (Moog im weißen Shirt und Latzhose vorm Holzstapel), der sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit bringt. Hatte Tappert als Vorbereitung etwa John Woo studiert?
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Episode 252: EInen schönen Tag noch, Mörder (Alfred Weidenmann, Deutschland 1996)
Der Buchhalter Dannhof (Gerd Burkard) kommt mit schlechten Nachrichten auf die Großbaustelle seines Chefs, des Bauunternehmers Kottler (Volker Lechtenbrink): Dessen Geschäft steht kurz vor dem Konkurs, das Überleben hängt von frisierten Zahlen ab, die Dannhof aber nicht liefern will. Kottler nimmt den Buchhalter mit auf einen kleinen Spaziergang und stößt ihn dann in die Baugrube. Rudolf (Stefan Kolosko), Sohn des Kranführers Alex Hasinger (Stefan WIgger), hat wie sein Vater alles gesehen, doch der Ältere zwingt den Jungen zur Falschaussage: Alles sei ein Unfall gewesen, Kottler habe versucht, den stürzenden Dannhof festzuhalten. Dannhofs Kinder, Albert (Philipp Brammer) und Erika (Natali Seelig), sind am Boden zerstört. Aber Derrick gibt nicht auf und bringt Kottler dazu, die Kinder des Toten auf einen großen Empfang einzuladen.
Volker Lechtenbrink ist gut, Philipp Brammer nervt und Reinecker war beim Verfassen des Scripts wohl nicht durchgehend im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Im Streitgespräch mit Dannhof, bei dem auch Kottlers engste Mitarbeiter anwesend sind, gesteht der Unternehmer, dass er „derzeit schwach“ sei, aber diese Schwäche garantiert nicht zeigen werde: Was damit, dass er es ausgesprochen hat, ja irgendwie hinfällig ist. Viel Zeit wird darauf verwendet, das Leid des trantütigen Geschwisterpärchens einzufangen: Vor allem diese Erika ist grauenvoll, sagt in der ganzen Episode kein Wort, guckt lediglich deprimiert aus der Wäsche und lässt sich von ihrem Bruder in den Arm nehmen. Was soll das?
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