Archiv für Mai, 2008

Dies ist mein dritter Anlauf, einen Text zu Fleischers Monumentalfilm zu schreiben, der ihm gerecht wird. Nach zwei gescheiterten, nach herkömmlichem Muster strukturierten Versuchen, habe ich nun beschlossen mich dem Film zu nähern, indem ich die Inhaltsangabe, an der ich zuvor immer gescheitert war, einfach wegzulassen. Warum? Zum einen ist die Story von THE VIKINGS zwar nicht übermäßig komplex – es geht um die üblichen Zutaten wie etwa verlorene Söhne, unerwiderte Liebe, unbändigen Hass, Eifersucht, Ehre und Familienzwist -, aber dennoch wendungsreich und breit genug, um alle Bemühungen, eine knappe Zusammenfassung zu schreiben, zu einer Aufgabe herkulischen Ausmaßes anwachsen zu lassen.

Dabei kommt es auf den Inhalt von THE VIKINGS nun wirklich erst in zweiter Instanz an. Denn auch wenn die spartanischen und kargen Settings und Bauten dem finsteren Mittelalter, in dem der Film angesiedelt ist, perfekt entsprechen und von allem Pomp befreit sind, verkörpert er doch perfekt das, was man unter dem Begriff „Monumentalfilm“ zu fassen sucht. THE VIKINGS ist zu allererst ein Bilderrausch. Kameralegende Jack Cardiff fängt die urwüchsige Landschaft Norwegens in prachtvollen, mythisch aufgeladenen Bildern ein, bei denen man oft den Eindruck hat, sie seien tatsächlich durch die Zeit hindurch gefilmt worden. Er langweilt nicht mit nüchterner Authentizität und Faktentreue, vielmehr liegt immer ein leichter Schleier über den Bildern und verwischt die Grenze zwischen Historie und Mythos. Die vier Hauptrollen werden von den Stars Kirk Douglas, Tony Curtis, Janet Leigh und Ernest Borgnine weniger gespielt denn vielmehr verkörpert und vor allem in Kirk Douglas‘ von den Maskenbildnern überzeugend verunstaltetem Gesicht offenbart sich Fleischers Strategie des „totalen Bildes“: Nach der Attacke eines Falken trägt er ein blindes Auge und eine imposante, quer über das Gesicht laufende Narbe zur Schau. In diesem Gesicht spiegelt sich nicht nur die zerklüftete Topologie seiner Heimat und sein gespaltener Charakter – tapferer Krieger auf der einen, unbesonnener Heißsporn und Gewalttäter auf der anderen -, es belegt auch, dass Douglas als Schurke noch um einiges eindrucksvoller wirkt als als strahlender Held.

THE VIKINGS war relativ erfolgreich, initiierte sowohl eine Fernsehserie als auch ein italienisches Rip-off namens GLI INVASORI, das vom Low-Budget-Visionär Mario Bava inszeniert wurde. Während es Bava in seinen Filmen meist gelang, mittels kreativer Kameraarbeit und fantasievoller Beleuchtung enorm wenig nach enorm viel aussehen zu lassen, fällt seine „Hommage“ allerdings deutlich weniger pompös aus als das Original. Wer Bava kennt, weiß, dass das eine unmissverständliche Empfehlung für Fleischers Film ist.

EDIT: September 2011: Ich habe THE VIKINGS erneut gesehen. Der neue Text findet sich hier.

Yucatan, Mexiko, irgendwann in grauer Vorzeit: Ein friedlicher Maya-Stamm wird vom bösen Hunac Kell angegriffen, der König ermordet und der verbleibende Rest unter der Führung des neuen Königs Balam (George Chakiris) in die Flucht geschlagen. Am Ufer des mexikanischen Golfs überreden die Flüchtigen schnell noch die Bevölkerung eines Fischerdorfs, darunter die schöne Ixchel (Shirley Anne Field), sich ihnen anzuschließen und gemeinsam mit ihnen an fremden Gestaden für einen Neuanfang und einen Vergeltungsschlag gegen den Schurken vorzubereiten. Nach beschwerlicher Reise landet man an der Südküste der USA und richtet sich häuslich ein, sehr zum Missfallen der dort beheimateten Indianer: Deren Häuptling Black Eagle (Yul Brynner) wird kurzerhand überwältigt und gefangen genommen. Doch zwischen dem Gefangenen und Ixchel bahnt sich eine Romanze an, was König Balam wiederum gar nicht passt. Doch als Hunac Kell über das Meer geschippert kommt, müssen persönliche Differenzen zum Wohle aller begraben werden …

Wenn man Film als alternative Geschichtsschreibung begreift, dann ist KINGS OF THE SUN ein weißer Schimmel. Er gibt sich ganz einer „Was wäre, wenn“-Prämisse hin, deren Naivität man nur schwerlich ausblenden kann, die aber zu einem nicht unerheblichen Teil den Reiz diesen Monumentalfilms ausmacht. „Monumental“ muss man dabei eben – wie in diesem Satz – in Anführungsstriche setzen, denn so ganz gelingt es Thompson (der fast das komplette Alterswerk Charles Bronsons zu verantworten hat) nicht, seinen Film vom etwas käsigen B-Movie-Flair zu befreien, was aber gar nicht so schlimm ist. Bildlich ist KINGS OF THE SUN beinahe unspektakulär: Es gibt keine (allzu) kolossalen Bauten, keine überwältigenden Massenszenen, kein gigantisches Staraufgebot. So bleibt er hinter den Vorstellungen, die er anregt – Indianer vs. Mayas –, etwas zurück und genau das ist es, was er heutigen Historien- und Fantasyschinken voraus hat: Es gelingt ihm eben nicht, die Fantasie zu übertrumpfen, er kann ihr nur kleine Apptetihäppchen vorwerfen, sie aber nie vollkommen sättigen und bietet so willkommenes Futter für eigene Kopffilme. Schlüssel zum Erfolg ist neben der farbenfrohen und irgendwie putzigen Aussattung Yul Brynner, der seinen Black Eagle mit so viel Virilität und Machismo ausstattet, dass der Bildschirm qualmt. Wenn er mit vorgeschobenem Becken, zurückgebogenen Schulternm geschwollener Brust und ebenso kühnem wie teilnahmslosem Blick durch das Geschehen schreitet, dann entbergen sich darin all die Heldengeschichten, die KINGS OF THE SUN leider nicht erzählen kann. Einer der ganz wenigen Filme, dessen Versäumnisse ihn erst zu dem machen, was er ist: ein Film für das Kind in uns. Und der Erwachsene darf rätseln, ob Thompson nun eine Geschichte der Mobilmachung gegen feindliche Eindringline erzählt, oder doch eher eine über die grenzüberschreitende Völkerverständigung. So oder so ein uramerikanischer Film. Wahrhaft königlich – und überaus sonnig.

ratatouille (brad bird, usa 2007)

Veröffentlicht: Mai 22, 2008 in Film
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Remy (Patton Oswalt) ist eine besondere Ratte, denn er liebt das Essen, während seine Artgenossen einfach nur fressen, ohne Sinn für den Genuss. Als die Ratten ihre bisherige Heimat, ein kleines Häuschen auf dem Lande, verlassen müssen, verliert Remy den Anschluss und landet über Umwege in einem Restaurant in Paris. Sein Talent als Koch verhilft der tolpatschigen Küchenhilfe Linguini (Lou Romano) bald zu unerwartetem Ruhm. Das Misstrauen des intriganten und missgünstigen Küchenchefs Skinner (Ian Holm), der das einst legendäre Restaurant des verstorbenen Meisterkochs Gusteau und dessen Namen mit billigen Tiefkühlgerichten vollkommen heruntergwirtschaftet hat, ist geweckt, weiß er doch, dass Linguini in Wahrheit Gusteaus Sohn und somit der rechtmäßige Besitzer seines Restaurants ist …

Die Berechtigung des Animationsfilms wurde einst vor allem darin gesehen, Dinge auf der Leinwand zu Leben erwecken zu können, an denen ein Spielfilm scheitern musste: anthropomorphisierte Tiere und Maschinen, andere Welten und Mikrokosmen. Dieser „Zweck“ hat sich mit dem Siegeszug digitaler Effekte und der Verwischung der Grenze zwischen Animations- und Spielfilm zusehends verflüchtigt. Doch die Filme des Pixar-Studios, das laut Bordwell und Thompson „is making the most consistently excellent films in America today“, lassen keinen Zweifel daran, dass das Animationskino immer noch seine Berechtigung hat, ja dem normierten Geschehen des Mainstreamkinos vielleicht sogar einen großen Schritt voraus ist. RATATOUILLE macht da keine Ausnahme, übertrifft sogar noch den ebenfalls schon großartigen THE INCREDIBLES von 2004. Dessen satirisch-parodistischem Inhalt und seinen stilisierten Oberflächen setzt RATATOUILLE nun eine menschliche Wärme und Lebendigkeit entgegen, die alle Vorbehalte gegen synthetisch erzeugte Filme und Protagonisten wegwischen. Dabei ist RATATOUILLE der bislang vielleicht komplizierteste Film des Studios, das in Filmen wie FINDING NEMO, MONSTERS INC. und CARS noch überwiegend technische Herausforderungen angenommen hatte (die Darstellung von Wasser, Fell und polierten Oberflächen). In RATATOUILLE werden die gewonnenen Erkenntnisse nun nicht nur zu spekatkulärem Effekt zusammengefügt und die Grenzen des technisch Machbaren erneut herausgeschoben, sondern vielmehr mit der Kombination der einzelnen Faktoren nun genau das erreicht, was bisher als Achillesferse des Animationsfilm galt: die Simulation dessen, was man als „Seele“ bezeichnet. RATATOUILLE tritt an, die sinnliche Erfahrung, die ein wohlkomponiertes Gericht auslöst, auf der Leinwand abzubilden, und damit etwas, das nicht nur unsichtbar, sondern auch verbal kaum zu beschreiben ist. Die Illusion ist perfekt: Im Zusammenspiel aus Bild und Ton gelingt Pixar ein Film, der Gerüche und Geschmäcke simuliert und evoziert. Reine Poesie, denn auch seine warmherzige, rührende und, ja, in den entscheidenden Momenten auch unkonventionelle Geschichte berührt tief im Inneren, an einem verborgenen und verschütteten Ort, an den Worte und Rationalisierungen nicht mehr vordringen können. Es gibt einen paradigmatischen Moment in diesem traumhaften Film, der seine Leistung perfekt verbildlicht: Als der verbissene Nosferatu-artige Restaurantkritiker Anton Ego (Peter O’Toole) das von Remy zubereitete Ratatouille probiert, verwandelt er sich in den kleinen Jungen, der vom Mittagessen seiner Mutter verzaubert wurde und sich ganz dem unbeschreiblichen Genuss hingab. Der Mann, der das Genießen längst verlernt hatte, ist verschwunden. Und RATATOUILLE, dieser Film aus der Maschine, zeigt uns wieder, was es heißt, am Leben zu sein.

Nach dem Tod seines Arbeitgebers und Mentors, des Gangsters Bumpy Johnson (Clarence Williams III), schwingt sich Frank Lucas (Denzel Washington) mit marktwirtschaftlicher Geschäftsphilosophie und strengem Arbeitsethos zum Drogenzar in New York auf. Wie ein Großhändler schaltet er Gewinn mindernde Mittelmänner aus, indem er sein Heroin direkt vom Hersteller in Kambodscha kauft, und so Topqualität zu Spottpreisen anbieten kann. Damit stürzt er nicht nur Harlem – und damit vor allem „seine“ Leute – in die Drogensucht, er erzürnt auch das organisierte Verbrechen und natürlich die Polizei. Detective Richie Roberts (Russell Crowe), selbst ein besessener Vertreter seiner Sache, der zu zweifelhaftem Ruhm gelangt, als er eine Million Dollar beschlagnahmt und einreicht, anstatt sie in die eigenen Tasche zu stecken, beginnt mit einer kleinen Spezialeinheit gegen Lucas zu ermitteln …

Ridley Scott wird weniger als großer Visionär als vielmehr als cleverer Projektmanager in die Filmgeschichte eingehen. Ohne große Inspiration, aber mit unleugbarem visuellem Gespür fertigt er in regelmäßigen Abständen seine filmischen Großprojekte, und hat es so geschafft vielerorts als „Meisterregisseur“ bezeichnet zu werden. So ist dann auch in AMERICAN GANGSTER schnell klar, was ihn an Lucas‘ Geschichte fasziniert hat: Den Schwerverbrecher zeichnet er als Vorläufer des heutigen „Global Players“, dessen Legitimation einzig die erwirtschafteten Gewinne sind. Wenn Bumpy Johnson zu Beginn – wir schreiben die späten Sechzigerjahre – das Aussterben des Einzelhandels beklagt, ist die Anspielung auf gegenwärtige Zustände nicht zu übersehen; genauso wenig wie der Einfluss Lucas’schen Geschäftsgebarens etwa auf die Popkultur: AMERICAN GANGSTER ist vor allem in der Hip-Hop-Landschaft begeistert aufgenommen worden, die ja ebenfalls von einer kapitalistischen Lebensphilosophie geprägt ist, aber letztlich immer dem Ziel verpflichtet, das Ghetto hinter sich zu lassen, die eigenen Leute mit einem gewissen Maß an Wohlstand auszustatten. Jay-Z hat sich von Scotts Film zu einem Konzeptalbum gleichen Titels inspirieren lassen, zahlreiche Mixtapes werden derzeit von einem dem Filmplakat inspirierten Artwork versehen, die Parallelen zwischen dem Rapper und dem Drogendealer herausgestellt. Diese Parallelen sind tatsächlich eindeutig: Wenn Lucas mit dem selbst verdienten Vermögen seine ganze Sippe aus dem ruralen North Carolina in eine Luxusvilla in New York verfrachtet und seine Brüder und Cousins in sein Geschäft integriert, sie zu Teilhabern macht, fühlt man sich nicht zu Unrecht an zahlreiche Rapper erinnert, die ihre Homies bei ihren Plattenfirmen unterbringen und so an ihrem Erfolg teilhaben lassen konnten. Ridley Scott selbst scheint sich dieser Parallele bewusst gewesen zu sein: Zahlreiche Rapper treten in Nebenrollen auf, von RZA über Common bis hin zu T. I. geben sie sich die Klinke in die Hand und machen AMERICAN GANGSTER zum filmischen Manifest des Hustles. Das macht Scotts Film aber ideologisch hochgradig fragwürdig: Der Mörder wird hier zum Wohltäter mit kleinen Schwächen verharmlost, der sich reinwäscht, indem er die korrupten Bullen – die eigentlichen Schurken (hallo, Paranoia) – in den Bau bringt. „Geld stinkt nicht“ – Von diesem Diktum kann sich AMERICAN GANGSTER nur halbherzig distanzieren.

Leider stellt Scotts eigener protestantischer Arbeitseifer dem durchschlagenden Erfolg seines Films auch formal ein Bein. Die strenge Zweiteilung des Films, die ihn zur Hälfte zum Gangster- zur anderen zum Copfilm macht, legt AMERICAN GANGSTER von Anfang an in Ketten. Der Aufstieg des Gangsters wird ebenso mit den tausendfach gesehenen Plotversatzstücken (erster Erfolg, die entscheidende Geschäftsidee, der langsame Kontrollverlust, die Entfremdung von den eigenen Wurzeln) abgehandelt wie Roberts‘ Jagd auf das Phantom (Ärger mit den eigenen Leuten, der verständnisvolle Chef, Verlust des Partners, Probleme mit der Familie). So kommt der Film nie über die erneute Bestätigung des längst Bekannten hinaus: Das Verbrechen muss irgendwann gesühnt werden, der Polizist ist das Spiegelbild des Gangsters, der Besessenen genießt nur ein kurzes weltliches Glück. Man hat nach den 160 Minuten AMERICAN GANGSTER das Gefühl, viel Aufbau und wenig Payoff bekommen zu haben. Scott erzählt zwei Geschichten und hat am Ende einen halben Film. Das ist auch nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu wenig.

Return of the Himmelhunde

Veröffentlicht: Mai 1, 2008 in Zum Lesen

Auf Sauft Benzin, ihr Himmelhunde! gibt es einen neuen Artikel: Der Aussenseiter und ich haben uns John Carpenters unsterblichen Endzeit-Klassiker ESCAPE FROM NEW YORK aka DIE KLAPPERSCHLANGE angesehen und wie immer versucht, den Geheimnissen des Films im Dialog auf die Schliche zu kommen. So unterhalten wir uns über Dystopien in Dystopien,  Antihelden, den ewigen „Day After“, die mit einem Augenzwinkern herbeigeführte Apokalypse und fragen uns: Ist es die Menschheit wert, gerettet zu werden?

Der Text ist der erste Teil unseres kleinen Endzeit-/Tech-Noir-Specials, das in Kürze mit James Camerons THE TERMINATOR und Paul Verhoevens ROBOCOP seine Fortsetzung finden soll. Zunächst wünsche ich aber allen Lesern, die so viel Geduld aufgebracht haben, viel Spaß!