Mit ‘Drogen’ getaggte Beiträge

Ein photogeshoppter Nicolas Cage vor Stockfoto-Collage auf einer DTV-Premiere, daneben ein aufgeblähter Laurence Fishburne, dessen Gesichtsausdruck „Paycheck“ sagt: Man kann nicht behaupten, dass die Erwartungen durch die Decke gingen, wenn man RUNNING WITH THE DEVIL in den Player wirft. Und er ist auch irgendwie typische Media-Markt-Wühltisch-Ware: Irgendwie seltsam anonym, unpersönlich, ziellos und unfertig, aber dann auch nicht ganz ohne Charme. Hinter seinem unspektakulär-routinierten Professionalismus verbergen sich ein paar gute Ideen und die Abgründe der Sparte, die manchmal den Eindruck erweckt, als bestünde sie nur aus zusammengeklebtem Schnittmüll mit Stand-ins abgetakelter Stars, werden ebenfalls vermieden.

Nicolas Cage ist „The Cook“, ein liebender Familienvater und Betreiber eines Familienrestaurants in Seattle, in dessen Küche er höchstselbst den Kochlöffel schwingt und Pizzateig knetet. Aber er hat noch eine zweite Identität: Für „The Boss“ (Barry Pepper) fungiert er in großem Stil als Drogendealer. Das Business läuft so gut, dass er mit dem operativen Geschäft eigentlich nichts mehr zu tun hat, es sei denn, etwas geht schief, so wie am Anfang von RUNNING WITH THE DEVIL: Ware wird abgezweigt, verschnitten und führt so zu mehreren Drogentoten. Betroffen ist unter anderem die DEA-Beamtin „Agent in Charge“, deren Schwester an einer Überdosis stirbt und die deshalb Jagd auf die Urheber macht. Ein armseliger Kleindealer (Adam Goldberg) wird zu „The Snitch“ und führt sie auf die richtige Spur, derweil „The Cook“ und „The Man“ (Laurence Fishburne) sich nach Kolumbien begeben, um die Spur des Stoffs nachzuvollziehen und herauszufinden, wo die Lücke ist.

RUNNING WITH THE DEVIL ist in seiner ganzen Anlage irgendwie rätselhaft: Für einen DTV-Film ist er erstaunlich ambitioniert und aufwändig, orientiert sich inhaltlich etwas an Soderberghs TRAFFIC und nutzt seine Crime-Story wie dieser, um die wirtschaftlichen Verstrickungen hinter dem Drogengeschäft bloßzulegen, andererseits greift er dabei auf Stilmittel zurück, die diese Ambitionen krass unterwandern. Die Masche, den handelnden Figuren keine Namen zu geben, sondern sie nur nach ihrer Funktion zu benennen und diese Bezeichnungen dann in Freeze Frames reinzustempeln, ist schon vor gut 20 Jahren zum Klischee geronnen, wie auch der ebenfalls in PULP FICTION popularisierte „Gag“, nervige Nebenfiguren zum Opfer plötzlicher Gewaltausbrüche werden zu lassen. Cabell scheint nicht so recht zu wissen, was er wollte – oder aber man drehte seinen Film in der Postproduktion auf links: ernstes Thrillerkino mit quasidokumentarischen Untertönen oder grelle Gewaltkomödie? Diese eigentlich unvereinbaren Ansätze unter einen Hut zu bringe, wäre auch für das größte Regiegenie eine Herausforderung gewesen, ein unbeschriebenes Blatt wie Cabell ist damit hoffnungslos überfordert.

Aber auch wenn RUNNING WITH THE DEVIL gnadenlos uneinheitlich ist und am Ende die Antwort auf die Frage „Was soll das eigentlich?“ schuldig bleibt, so gelingt es ihm immerhin, das Interesse über die Laufzeit von 100 Minuten wachzuhalten. Langweilig ist der Film nicht, es ist immer was los und worauf das alles hinausläuft, lässt sich kaum antizipieren. Bezeichnenderweise ging er noch gut 20 Minuten lang, als ich dachte, dass er jetzt zu Ende sei. Richtig schön fand ich die Szenen um das einfache kolumbianische Ehepaar, das in den Bergen des Landes eine kleine Cocaplantage hat und am bescheidenen Anfang einer Verwertungskette steht, an deren Ende Millionen verdient werden. Da ermöglicht der Film dann tatsächlich Einsichten, die er mit seiner schwarzhumorigen Klischeehuberei ansonsten eher verbaut. Kann man sich durchaus mal angucken, wenn auch nur, um die DAZED & CONFUSED-Homies Hauser und Goldberg mal wieder zu sehen.

 

Mit BAD BOYS II, Bays fünftem Spielfilm, kehrte er 2003 zu den Helden seines Debüts von 1995 zurück. Das, wenn man bedenkt, wie umstritten und unverwechselbar der Regisseur heute ist, doch vergleichsweise bieder daherkam. Mit BAD BOYS II war Bay hingegen längst bei seinem bis heute allerhöchstens in Nuancen verfeinerten Stil angekommen: Eigentlich hatte er ihn bereits mit dem Zweitlingswerk THE ROCK gefunden. Ob man BAD BOYS II mag oder aber fürchterlich findet, hängt demnach entscheidend davon ab, wie man Bay insgesamt gegenübersteht. Stellt sein bisweilen infantiler und konservativer Humor eine unüberwindliche Hürde dar? Ist man der Meinung, dass Over-the-Top-Gewalt nicht im Gewand munterer Familienunterhaltung präsentiert werden sollte? Findet man die Videoclip-Ästhetik und den überbordenden Materialismus – alles ist teuer, gestylt, glänzt und wird ausgestellt wie in einem Schaufenster – abstoßend? Verursacht einem die mit beachtlicher Konsequenz durchgezogene Einstellungslänge von rund drei Sekunden epileptische Anfälle? Wenn man dazu neigt, den Löwenanteil Fragen mit „Ja“ zu beantworten, dann wird man auch mit BAD BOYS II keine Freude haben.

Ideologisch ist BAD BOYS II ebenfalls nur schwer zu verteidigen: Seine beiden Helden – die Drogencops Mike (Will Smith) und Marcus (Martin Lawrence) aus Miami, sind sich sich in der aus unzähligen Buddy Movies bekannten Hassliebe verbundenen, können sich mit ihrem Bullengehalt rätselhafterweise kiloschwere Goldketten und Armbanduhren, Designer-Sonnenbrillen und -Anzüge, Traumvillen am Wasser und protzige Luxuskarossen leisten. Außerdem legen sie großen Wert darauf, bloß nicht als schwul angesehen zu werden, lösen wahre Zerstörungsorgien aus und ballern russisch-hispanische Klischeeschurken weg, deren Zeichnung mit dem Attribut „problematisch“ noch vorsichtig umschrieben ist, offenbaren sich in der Erziehung ihrer Kinder zudem als autoritäre Vollspießer und im Umgang mit Frauen als ätzende Machos. Der Film liegt diesen beiden Typen aber geradezu ehrfürchtig zu Füßen, präsentiert ihre peinlichen Marotten als herzallerliebst, ihr Verständnis von Recht und Ordnung als vorbildlich, ihre gestrigen Vorstellungen von Geschlechterrollen und Sexualität als wohltuend ehrlich. Das Böse spricht in BAD BOYS II mit russischem oder spanischem Akzent, verdient Geld mit Drogen und Nutten, hat einen Mamakomplex und schmierige Haare, die Guten machen Barbecue im Garten und reden nicht über Erektionsprobleme. Wenn es auf einer Straßenkreuzung zu einer wüsten Schießerei mit Maschinenpistolen kommt, werden Passanten ausschließlich von den Schurken getroffen, bei einer haarsträubenden Verfolgungsjagd, bei der unzählige Autos explodieren oder ineinanderkrachen, gibt es anschließend angeblich keinerlei Opfer zu beklagen. Ehrlicherweise gibt es auch ein paar redneckige Ku-Klux-Klan-Nazis (der Director-Credit wird just in dem Moment eingeblendet, in dem ein Kreuz in Flammen aufgeht), aber die werden als bierbäuchige Tölpel dargestellt. Der geschmacklose Gipfel des Films ist die Verfolgung eines Leichentransports, bei der die leblosen Körper auf die Straße fallen und dann mitleidlos von den Helden überrollt werden. Bay hält immer schön drauf, ist ja auch einfach zu geil. Das alles, wie gesagt, in einer Ästhetik dargeboten, die ihren Dauerständer angesichts all der Gewalt, der gepimpten Oberflächen und der materiellen Statussymbole kaum verbergen kann. BAD BOYS II ist ein rund zweistündiger Propagandaclip für den American Dream.

Ja, und nun kommt der überraschende Plottwist: Denn ich finde diesen auf Hochglanz polierten und getunten Protzboliden, seine hedonistische Zelebrierung materialistischen Spießertums und männlichen Omnipotenzwahns, seine besinnungslose Selbstbesoffenheit und den unverkennbar kompensatorischen Charakter seiner Gewaltausbrüche auf eine perfide Art auch ziemlich geil. Die immer wieder ins Feld geführte Strategie „Hirn aus, und abfahren“ ist aber nicht der richtige Ansatz. BAD BOYS II ist nicht trotzdem geil: Seine vielfältigen Verfehlungen auszublenden, hieße auch, sich den idealen Zugang zu Film zu verbauen. Nein, BAD BOYS II ist deshalb so geil, weil er Gewaltporno, rechtskonservative Law-and-Order-Fantasien, spießigste Wertvorstellungen, Sitcom-Humor, Videoclip- und Marketing-Ästhetik so unverhohlen und schamlos zusammenbringt und dabei den Eindruck kindlicher Unschuld vermittelt.

An den Kinobesuch anno 1998 erinnere ich mich noch genau: Nicht zuletzt weil mein Freund auf dem Weg zum Kino den Seitenspiegel eines parkenden Autos abfuhr und kurz entschlossen Fahrerflucht beging, weil wir sonst den Beginn des Films verpasst hätten. Nicht nett, ziemlich rücksichtslos und asozial sogar, um genau zu sein, aber eigentlich auch der perfekte Prolog für die Sichtung von Gilliams letztem echtem Meisterwerk. (Ich glaube, gekifft haben wir vorher auch noch, aber das kann ich nicht beschwören.) An die Sichtung selbst habe ich keine expliziten Erinnerungen mehr, weiß aber noch, dass wir beide total geflasht waren. FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS war alles, was wir uns von ihm erhofft hatten (ohne viel über ihn zu wissen), er gehörte für einige Jahre zu unseren Lieblingsfilmen und kam demnach desöfteren bei marihuanageschwängerten Filmabenden zum Einsatz. Ich las später noch den Roman, wohnte einer Lesung bei, die Smudo, Martin Semmelrogge und Günter Amendt zusammen hielten, und kaufte das zugehörige Hörbuch, doch dann wurden irgendwann andere Dinge wichtiger. Dass sich mein Verhältnis zu Terry Gilliam in den vergangenen Jahren merklich abgekühlt hat (seine ärgerlichen Meinungsäußerungen könnte ich ihm noch verzeihen, aber leider sind auch seine Filme seit mindestens 15 Jahren zum Weglaufen), hat sicher auch seinen Teil dazu beigetragen, dass ich FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS wahrscheinlich seit gut 20 Jahren nicht mehr gesehen habe. Die zauberhafte Arrow-Edition, die im vergangenen Jahr erschien, war Anlass für eine erneute Sichtung, vor der ich durchaus Respekt hatte: Ich hielt es nicht für gänzlich unmöglich, dass ich den Film heute schrecklich blöd finden würde. (Nennen wir es das Oliver-Stone-Syndrom.) Aber ich kann Entwarnung geben: FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS ist erstaunlich gut gealtert und hat nichts von seiner subversiven Kraft, seinem Witz oder seinem Verstörungspotenzial verloren. Eigentlich ist er mit seiner Vision einer Welt am Abgrund heute sogar wieder ziemlich aktuell. Vielleicht sogar aktueller als damals.

Es spricht für den Film, dass die meisten US-Kritiker ihn damals verrissen: Sie warfen Gilliam vor, dass sein Film keine echte Geschichte erzähle, dass er keinen Sinn ergebe, redundant sei und jeden Spannungsbogen vermissen ließ. Wahr ist, dass die Protagonisten von FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS keine richtige Entwicklung durchmachen, wie man das von Hauptfiguren üblicherweise erwartet. Sie haben auch kein Ziel, das sie verfolgen und am Ende erreichen. Richtig ist auch, dass Gilliams Film keinen klassischen Spannungsaufbau aufweist: Er beginnt in einem Stadium des drogeninduzierten Wahnsinns, in dem andere Filme üblicherweise enden, und er kann dann nur noch graduell zusetzen. Gilliam – der auf ein Drehbuch zurückgriff, das kurz vor Drehbeginn improvisiert werden musste und im Grunde genommen eine slightly abridged version von Hunter S. Thompsons Roman ist – argumentiert nicht, so wie auch Thompson nicht argumentierte. Sein Film läuft nicht auf eine finale Message zu, die logisch aus der Geschichte folgt und die man versteht, wenn man die Reise mitgemacht hat. Er expliziert seine Message am Ende, ja, aber eigentlich ist sie in FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS zu jeder Sekunde offensichtlich. Alles, was die beiden Antihelden in den rund 110 Minuten tun, ist in jedem Augenblick schreiender, hedonistischer, fehlgeleiteter Irrsinn, panische, überstürzte Flucht vor einer hoffnungslos übersteuerten, materialistischen und verrückt gewordenen Welt und krachendes Scheitern mit Anlauf und Ansage. Jeder Augenblick des Films ist eine Kristallisation von Hunter S. Thompsons Weltsicht. Und der Exzess ist gleichermaßen Medium und Message.

Wer den Film wirklich noch nicht gesehen oder den Roman gelesen hat, dem sei gesagt, dass er im Jahr 1971 spielt und von der Reise des Journalisten Raoul Duke aka Hunter S. Thompson (Johnny Depp) und seines Drogenbuddies/Anwalts Dr. Gonzo aka Oscar Zeta Acosta (Benicio del Toro) nach Las Vegas handelt, die beide mit einem Koffer voller Drogen, dem fast forscherischen Ehrgeiz, sie alle auszuprobieren, und der Mission antreten, ein legendäres Autorennen in der Wüste zu covern. Unter dem Einfluss verschiedener Rauschmittel werden die beiden mit der artifziellen Glitzerwelt der Zockermetropole konfrontiert, einer Art hochkonzentrierter, unverschnittener, amoklaufender Version des amerikanischen Traums, und mit einer Menschheit, die sich auch im nüchternen Zustand nicht wesentlich von ihnen unterscheidet. Die beiden verwüsten diverse Hotelzimmer, scheitern mehrfach knapp daran, sich umzubringen, verstören mit ihrer Art so manchen, der ihren Weg kreuzt, verlieren ihr Gedächtnis, prellen die Zeche in diversen Etablissements und kommen am Ende zu dem Schluss, dass der Traum von der Freiheit, der im „Sommer der Liebe“ geträumt wurde, sich längst in einen nie endenden Albtraum verwandelt hat, an dem beide kräftig mitwirken.

FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS gliedert sich in kurze Episoden: die Fahrt durch das „bat country“ der Wüste Nevadas, die Ereignisse rund um das Autorennen, einen Besuch im Circus-Circus (über den Duke/Thompson sagt: „The Circus-Circus is what the whole hep world would be doing Saturday night if the Nazis had won the war. This is the sixth Reich.“), die Begegnung mit der jungen, neurotischen Malerin von Barbra-Streisand-Porträts (Christina Ricci), die Dr. Gonzo möglicherweise sexull missbraucht, und der traurigen Kellnerin eines Diners (Ellen Barkin), der Konfrontation mit einem homosexuellen Cop (Gary Busey) und der Teilnahme an einem Drogenkongress für Polizisten. Passend zum Exzess des Films, der sich sowohl auf formaler Ebene wie auch im entfesselten Spiel der beiden Hauptdarsteller spiegelt, kulminiert FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS in einer Ellipse: Nachdem Duke eine Überdosis Adrenochrom eingenommen hat, wacht er mit einem umgeschnallten Plastik-Krokodilschwanz und einem ins Gesicht getapeten Mikrofon in seiner überschwemmten Suite auf, die aussieht wie eine mit Plüsch überzogene Höllenvision Boschs, von Gonzo keine Spur. Was sich in der Zwischenzeit abgespielt hat, wird nie aufgeklärt. Es ist die Irrationalität des Ganzen, die so schockierend ist, die Vorstellung, dass man im Rausch jede Ratio und Menschlichkeit verlieren könnte. Das Einzige, was das alles noch erträglich macht, sind die grelle Überzeichnung mit der Gilliam die Ereignisse abbildet und die Comicperformance von Depp, der mit seinem souveränen detachment ein wenig an Bugs Bunny erinnert. Es ist eine Phrase, aber hier stimmt sie: Das Lachen bleibt eine mehr als einmal im Halse stecken.

 

 

Das Postermotiv illustriert das ungewöhnliche ästhetische wie inhaltliche Konzept annähernd perfekt: Mit einem frühlingshaften Blumenkranz gekrönt, der doch Ausdruck von Lebensfreude und Energie sein sollte, zeigt Protagonistin Dani (Florence Pugh) eine verzerrte Grimasse der Angst, Blut rinnt von ihrer Schläfe hinab. MIDSOMMAR konfrontiert seine US-amerikanische Hauptfiguren mit einer schwedischen Paganisten-Sekte, die in Eintracht und Harmonie leben, die Touristen aber trotzdem bis ins Mark erschrecken.

Der Prolog des Films bildet auch farblich den Kontrapunkt zu der sonnigen Utopie, die möglicherweise ein Albtraum ist: In einer winterlichen nordamerikanischen Stadt bewahrheiten sich Danis allerschlimmste Befürchtungen, als die bipolare Schwester nicht nur sich umbringt, sondern die Eltern gleich mit in den Tod reißt. Danis Freund, der wankelmütige Christian (Jack Reynor), der eigentlich schon mit der Trennung liebäugelt, wird angesichts der Tragödie weich, schließlich kann er seine Freundin in dieser emotional fordernden Situation nicht hängen lassen. Doch die Beziehung existiert zumindest für ihn nur noch auf dem Papier, was sich auch zeigt, als Dani durch Zufall erfährt, dass er mit seinen Studienkumpels für mehrere Wochen zu den Feierlichkeiten der Sommersonnenwende nach Schweden fahren will, in die Heimat des Kommilitonen Pelle (Vilhelm Blomgren), der zu Hause in einer Art Kommune aufwuchs. Sehr zur Begeisterung der Kumpels lässt sich Christian breitschlagen, Dani mitzunehmen. In Schweden offenbart sich dann nicht nur, dass es für das Paar keine gemeinsame Zukunft gibt, sondern auch, dass sich hinter Pelles Kommune eine heidnische Sekte verbirgt, die ihre Ältesten in den Freitod treibt, damit sie als Junge wiedergeboren werden, ihre Propheten aus erzwungener Inzest gewinnt und jeden, der ihr Geheimnis verraten will, umbringt.

MIDSOMMAR orientiert sich thematisch, aber auch dramaturgisch natürlich an Robin Hardys meisterlichem THE WICKER MAN, den er aber noch vertieft. Er teilt mit dem britischen Klassiker die Konfrontation eines Außenseiters mit einem paganistischen Kult sowie den langsamen Wandel von neugierigem Interesse seiner Hauptfiguren über ihre zunehmenende Irritation bis hin zum totalen Entsetzen. Was ihn von Hardys Film unterscheidet, ist zunächst die Charakterisierung seiner Protagonisten: War Edward Woodwards Polizeibeamter Neil Howle im Klassiker noch ein ziemlich unsympathischer, von seiner Autorität und der Unumstößlichkeit seiner puritanischen Ansichten absolut überzeugter Spießer, begegnen die Studenten den schwedischen Paganisten zuerst mit Offenheit und ehrlichem (mitunter wissenschaftlich begründetem) Interesse. Doch dieses Interesse bröckelt, als die Studenten mit den blutigen Seiten des Naturglaubens konfrontiert werden: Dass Menschen ihrem Leben freiwillig ein Ende machen, um als kosmische Energie in der Gemeinschaft aufzugehen, ist für sie einfach nicht nachvollziehbar. Mit der Aufgeschlossenheit ist es danach vorbei und auch die Gastgeber bemerken, dass die Besucher möglicherweise zum Problem werden könnten, woraufhin sie sehr unfreundlich entsorgt werden; bis auf die zunehmend isolierte Dani, die zur Maikönigin avanciert und damit ins Zentrum der Festivitäten der Sommersonnenwende rückt. Zum Finale vollzieht sie die Trennung vom egoistischen Christian: Er wird in ein Bärenfell genäht und mit anderen Opfern rituell verbrannt.

Der Schrecken von MIDSOMMAR liegt keinesfalls in der sozialistischen Ideologie der Paganisten, von denen jeder einzelne sich damit zufrieden gibt, ein vergängliches und ersetzbares Mitglied der Gemeinschaft zu sein, die über jedem singulären Interesse steht. Er entsteht erst in der Konfrontation der Sekte mit den „fremden“ Protagonisten, für die sich das zunächst charmant-volksfesthafte Leben in der Kommune mit dem Freitod der Alten als barbarisch und vorzivilisatorisch entpuppt. Die Frage, die sich stellt: Ist es das wirklich oder ist es nicht einfach nur anders? Die schwedischen Paganisten scheinen glücklich, zufrieden. Es gibt keine Streitigkeiten, keine Missgunst unter ihnen. Die mütterliche Siv (Gunnel Fred) versucht verzweifelt, die Amerikaner zu beschwichtigen, die außer sich sind, nachdem sie dem rituellen Selbstmord der beiden Alten beiwohnen mussten: Es sei ein Freudentag, denn jeder sehne den Tag herbei, an dem er sich für die Gemeinschaft opfern dürfe. Man ist geneigt, ihr zu glauben. Auf der Gegenseite die Protagonistin: Dani, die von einer familiären Tragödie und einem Selbstmord, der eben nichts Befreiendes hatte, zerrissen wird. Christian, ihr Partner, der sich nicht für, aber auch nicht konsequent gegen sie entscheiden mag. Mark (Will Poulter), der typische Stoner, der immer nur Sex im Kopf hat, aber völlig verklemmt agiert. Der akademische Konkurrenzkampf zwischen Josh (William Jackson Harper) und Christian, die nicht miteinander, sondern ausschließlich gegeneinander kämpfen können, weil es ihnen um die Selbstbehauptung geht. MIDSOMMAR lässt nur wenig Zweifel, wer das „bessere“ Leben führt – auch wenn sich das mitunter auf bizarre Überzeugungen gründet, die sich mit unseren christlich geprägten westlichen Werten nur schwer vereinbaren lassen.

Dass Aster keinen klassischen Horrorfilm gedreht hat – der der ebenfalls tolle HEREDITARY zweifellos noch war -, zeigt sich aber nicht nur daran, dass es hier eigentlich keinen Bösewicht gibt: Der Film verzichtet bis auf den bereits erwähnten Prolog auch auf die dunkle Bildsprache sowie weitestgehend auf die grotesken Schocks und Schreckensbilder, die charakteristisch sind für das Genre, stattdessen tauchen Aster und Kameramann Pawel Pogorzelski MIDSOMMAR in sonnendurchflutete, helle Bilder voller Klarheit, die unterstützt werden von wunderbar subtilen CGI, wie etwa dem stetigen Wogen der Wälder, die die Kommune der Paganisten umgeben. MIDSOMMAR bezieht seinen Schrecken nicht aus der Konfrontation mit einem Anderen, das „uns“ an den Kragen will. Wer der „Andere“ ist liegt immer im Auge des Betrachters – und manchmal sind es unsere eigenen vermeintlich zivilisierten Werte und Überzeugungen, die uns eigentlich krank machen.

 

EDIT: Da ich den Text ca. eine Woche nach der Filmsichtung gesehen habe, sind mir ein paar wichtiges Aspekte der Handlung entfallen, die einigen der oben gemachten Punkte widersprechen: Der Konflikt entsteht nicht erst daraus, dass die Amerikaner vom Selbstmordritual schockiert sind. Vielmehr sind sie mit dem Hintergedanken eingeladen worden, einen bedeutenden Platz als Menschenopfer bei den finalen Festivitäten einzunehmen. Die schwedischen Paganisten sind demnach nicht irgendwelche Unbescholtenen, die nur ihre Kommune verteidigen. Trotzdem glaube ich, dass mein Text da oben im Wesentlichen gerecht wird.

Das Poster mit dem Star Spangled Banner, dem furchtsam/hoffnungsvoll in die Ferne blickenden Pärchen von Papa und Töchterlein nebst bärtigem Schuft im Funkenregen sowie der Frage „How far would you go to protect your home?“ lässt Schlimmes befürchten, das sich dann zum Glück aber nicht bewahrheitet. HOMEFRONT ist ein angenehm bodenständiger Actioner, wie er heute, wenn überhaupt, eigentlich direkt auf Heimkino-Medien veröffentlicht oder gestreamt wird, und das Poster verrät die Ratlosigkeit, die die Marketingabteilung angesichts dieses aus der Zeit gefallenen Films ergriff. Wie zum Teufel sollte man das Ding bewerben, um Menschen dazu zu motivieren, an der Kasse ein Ticket zu lösen und zwar in solcher Menge, dass nicht nur die Produktionskosten von 22 Millionen wieder reinkämen, sondern auch noch ein schöner Gewinn? Also entschied man sich für die Patriotennummer, auch wenn der Film mit der suggerierten Bedrohung für die USA of A rein gar nichts zu tun hat.

HOMEFRONT, dessen Drehbuch von keinem Geringeren als Sylvester Stallone geschrieben und ursprünglich als RAMBO-Sequel erdacht worden war, beginnt wieder einmal mit Statham in Langhaarperücke – wie auch schon HUMMINGBIRD – als Mitglied einer Rockergang, die fett im Meth-Geschäft steckt. Doch natürlich ist er in Wahrheit ein Undercover-Cop und am Ende des actionreichen Prologs erschießt er den Sohn des Anführers Danny T (Chuck Zito), der daraufhin in den Bau wandert. Schnitt in die Gegenwart, in der Phil Broker, wie er nun heißt, irgendwo in Louisiana lebt und sich dort mit seinem neunjährigen Töchterchen Maddy (Izabela Vidovic) vom Tod der Ehefrau/Mutter erholt. Der Plot kommt in Gang, als Maddy einem Bully mit vom Papa erlerntem Kampfwissen die Fresse poliert und damit den Zorn der Eltern des Bullys (Kate Bosworth & Marcus Hester), eines fiesen Redneck-Pärchens, auf sich und den hinzugezogenen, eigenbrötlerischen Papa zieht. Zur Sippe der beiden gehört auch „Gator“ (James Franco), ein lokaler Krimineller mit Ambitionen im Meth-Business, der sich für sie der Sache annimmt und dabei Einblick in Brokers Vergangenheit erhält. Er kontaktiert den einsitzenden Danny T, der seine Killer zu Broker nach Hause schickt …

Ein bisschen STONE COLD, ein bisschen Redneck-und-Hillbilly-Action im Stile von WALKING TALL, ein bisschen herzige Papa-und-Tochter-Dynamik und erstklassige Production Values sind die Zutaten, die HOMEFRONT für mich zu einer kleinen, feinen und vor allem unerwarteten Überraschung machten. Die Regie übernahm Gary Fleder, der vor rund 20 Jahren kurzzeitig mal als hoffnungsvolles Talent galt, als er erst den Tarantino-Klon THINGS TO DO IN DENVER WHEN YOU’RE DEAD inszenierte und kurz darauf den prestigeträchtigen KISS THE GIRLS. Mit der ganz großen Hollywood-Karriere wurde es nichts, der Mann arbeitet heute überwiegend fürs Fernsehen, aber für einen Timewaster wie HOMEFRONT, der keine inszenatorische Inspiration benötigt, sondern in erster Linie professionelles Management und sauberes Handwerk, ist er der richtige Mann. Auch die Action – eigentlich nicht seine Spezialität – kommt fett, zupackend und physisch (die Cinematography stammt von Theo van de Sande, der u. a. für BLADE oder THE MARINE sowie für etliche Adam-Sandler-Filme verantwortlich zeichnet). Er lichtet die Bayous Louisiana, die maroden Kleinstädte und Werkstätten sowie die schillernde Metropole New Orleans in tollen Bildern ab und rennt damit bei mir, der ich ein Faible für Südstaatenromantik habe, offene Türen ein. In der größten Actionsequenz, dem Überfall der Killer auf Brokers Haus, kommt richtig Stimmung auf, wenn der Held die Bösewichter beherzt mit der Pumpgun umnietet, dass sie meterweit fliegen, Arme und Beine bricht oder mit dem Messer Hauptschlagadern durchtrennt. Man erkennt in der Zeichnung Brokers und in der Anbahnung des Konfliktes tatsächlich Stallones Handschrift wieder – der Loner mit dem guten Herzen und der gewalttätigen Vergangenheit, der in der Emigration auf dem Land einfach nur in Ruhe gelassen werden will, aber immer wieder Ärger bekommt, ist ja eine Persona, die Stallone in seiner langen Karriere immer wieder verkörperte – und kann HOMEFRONT zudem deutlich als Vorstufe des aktuellen RAMBO: LAST BLOOD betrachten, in dem der Elitesoldat ja auch sein Heim vor anrückenden Drogengangstern verteidigen muss.

Das berühmte Tüpfelchen auf dem i ist die Besetzung des Films: Statham ist kein Stallone und hat das Manko, dass er nicht genug Pizazz mitbringt, um die sagen wir mal „durchschnittlichen“ Filme, in denen er meist mitspielt, aufzuwerten, aber als Papa, der keinen Ärger will, aber ihn magisch anzuziehen scheint, ist er super. Als Schurke gibt James Franco eine überzeugende Darbietung, auch wenn er leider keinen großen Schlussfight bekommt und eher durch feige Gemeinheiten und miese Pläne auffällt. Aber er trägt seinen Teil dazu bei, dass ich bei der Sichtung regelmäßig die Faust in der Tasche ballen musste. Winona Ryder, einst Schwarm und Muse der Generation X, bevor ein Ladendiebstahl-Skandal die Karriere versaute, spielt die von Gator manipulierte Biker-Braut und wertet eine Rolle auf, die sonst eher zum Wegwerfen-Part hätte geraten können. Das gleiche gilt für Clancy Brown, der den besorgten Sheriff spielt. Der eigentliche Hingucker ist aber Kate Bosworth als drogenabhängige Redneck-Mama, einen Part, in den sie sich offensichtlich mit methodacterischer Verve stürzte, und in dem sie – abgemagert, verhärmt, biestig – kaum wiederzukennen ist. Die Darstellerin sollte eigentlich mit ihrem Part als Lois Lane in Singers missratenem SUPERMAN RETURNS zur attraktiven Leading Lady aufsteigen, aber ihre Leistung kam leider nicht gut an und sie „verschwand“ in der Folge in kleineren, weniger populären Filmen. Hier jedenfalls holt sie das Optimum aus ihrer Nebenrolle heraus, der Stallones Drehbuch einen schönen Arc verlieh. Ihr merkt schon: Mir hat HOMEFRONT besser gefallen, als ich es verargumentieren kann. In Stathams durchwachsener Filmografie definitiv ein Gewinner.

 

 

SPRING BREAKERS ist einer der besten Filme des nicht mehr ganz so jungen Jahrtausends, ein Meisterwerk, das gleichermaßen berauschend, erschreckend, betörend und witzig war. Den Regisseur Harmony Korine stellt das natürlich vor das nicht unerhebliche Problem, nachlegen zu müssen. THE BEACH BUM, der Nachfolger des Aufregers von 2012, lässt das Dilemma seines Urhebers deutlich erkennen: Bildlich-visuell sowie in der Thematisierung von Hedonismus, Drogen und Exzess lehnt er sich an SPRING BREAKERS an, doch er wirkt flüchtiger, leichter, improvisierter und spielerischer als der Vorgänger, wabert wie Marihuanadämpfe zum Himmel, wo er sich schließlich verliert, wie Korine selbst ihn beschreibt. Harte tonale Brüche entsprechen den beunruhigenden Störsignalen, die sich in jeden guten Rausch mischen. Der Film hat seine Momente, ist wunderschön anzusehen, aber richtig rund ist er nicht.

Die seltsame Mischung aus Charakterporträt und Stonerkomödie handelt von Moondog (Matthew McConaughey), einem einst erfolgreichen Dichter, der es seit einigen Jahren vorzieht, sich in einem Stadium andauernder Berauschtheit an der Promenade von Key West entlangtreiben zu lassen. Seinen Lebensstil ermöglicht ihm die wohlhabende Gattin Minnie (Isla Fisher), die sich in ihrer Miami-Luxusvilla mit dem Rap-Superstar Lingerie (Snob Doch) vergnügt, ihren Mann aber freudig empfängt, wann immer er sich blicken lässt. Als Minnie nach der Hochzeit der gemeinsamen Tochter Heather (Stefanie LaVie Owen) verunglückt, wird Moondogs Erbe eingefroren, bis dieser ein neues Buch veröffentlich hat. Die Aussicht auf Armut schockt den Lebenskünstler aber nur kurzfristig: Seine anschließende Odyssee führt ihn unter anderem in eine Entzugsklinik, wo er Bekanntschaft mit dem Party-Tier Flicker (Zac Efron) macht, und anschließend auf das Boot des Delfin-Tour-Veranstalters Captain Wack (Martin Lawrence).

THE BEACH BUM ist mehr oder weniger eine One-Man-Show für McConaughey, die mit kleinen Gastauftritten garniert wird. Sein Moondog könnte ein Alter ego seines Wooderson aus DAZED AND CONFUSED sein, der ja nur der erste Anlauf für die breit grinsenden, dauerbekifften Hängertypen war, die zur Spezialität des Texaners avanciert sind, etwa im  furchtbar missratenen SURFER DUDE, der wiederum als eine Art Vorstudie zu Korines Film betrachtet werden kann. In schlabberigen Urlaubsklamotten und stets ausgestattet mit einer Bauchtasche und einer Dose Bier, schlendert Moondog ziellos herum, von einer Pinte zur nächsten, weil man ihn kennt und auch irgendwie liebt, selbst wenn er sich nur so lange für seine Mitmenschen interessiert, wie sie ihm Freude bereiten. Er kifft und säuft, rezitiert seine alten Gedichte, reißt Frauen auf, die von seiner zurückgelehnten Art magisch angezogen werden und hämmert dann und wann auf seiner Schreibmaschine herum. Man kann sich vorstellen, mit diesem Typen einen Abend lang Spaß zu haben, aber irgendwie wirken sein Egoismus und seine Eindimensionalität schon beim Zuschauen anstrengend. Man fragt sich, was mit diesem Typen passiert ist, der doch einst ein angesehener Autor war, aber Korine interessiert sich nicht für seinen Hintergrund. In den Episoden um Flicker, Captain Wack und einen blinden jamaikanischen Flugzeugpiloten (Donovan St. V. Williams) sowie in den kurzen Treffen mit dem Literaturagenten Lewis (Jonah Hill) und Lingerie erinnert THE BEACH BUM dann sogar an die sketchartigen, improvisierten Komödien eines Will Ferrell oder Ben Stiller, manche Gags – ein Haiangriff auf Captain Wack, der die Tiere mit Delfinen verwechselt, Lingeries magische Marihuana-Staude – sind ganz in einer Comicwelt angesiedelt, andere Entgleisungen – die Attacke auf eine alte Dame im Rollstuhl, der Überfall auf einen behinderten Mann – reißen hart aus der allgemeinen Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung. Es wird nie ganz klar, wie Korine eigentlich zu seinem Protagonisten steht: Mal scheint er ihn zu bewundern, dann wird aber wieder klar, dass er ihn für ein verantwortungsloses Arschloch hält. Auch wie es sich mit seiner „genialen“ Lyrik verhält, bleibt ein Rätsel: Alle Figuren sind sich einig, dass Moondog ein Poet von Weltrang ist, aber wenn er seine Gedichte vorträgt, sind sie nicht viel mehr als bekifftes gibberish voller wohlklingender Worte und klischeehafter Huldigungen an den Sternenhimmel, die Sonne, die Schönheit der Frau und seinen Penis. Das alles scheint letztlich egal, weil Moondog mit sich im Reinen ist. Aber kann das wirklich der Maßstab sein?

Ich fand THE BEACH BUM bei der ersten Sichtung faszinierend und witzig, bei der zweiten relativierte sich das aber bereits. Es fällt einfach schwer, sich zu diesen Gestalten in Beziehung zu setzen, bei denen man nie so genau weiß, ob sie nun echte Charaktere sein sollen oder doch nur Gags (die im Falle von Fron und Lawrence aber zugegebenermaßen ziemlich gut sind). McConaughey äußerte sich in einer im Bonusmaterial festgehaltenen Drehpause dahingehend, dass er sich nicht wundern würde, wenn sich die vermeintliche Komödie am Ende als Horrorfilm entpuppte: Was Korines Unberechenbarkeit beschreiben sollte, offenbart sich als geradezu prophetische Einschätzung: THE BEACH BUM ist mit dem Gestus einer Liebeserklärung an ein unkonventionelles Original gedreht, und er hält diesen Ton auch dann noch, wenn sich dieses als rücksichtsloses Monster entpuppt, das Menschen beleidigt, bestiehlt, angreift oder ihnen lachend dabei zusieht, wie sie sich ins Unglück stürzen. Aber das ist weniger verstörend als vielmehr verwirrend: THE BEACH BUM wirkt wie Impro-Theater mit einigen herausragenden und einigen schwächeren Momenten, die sich einfach nicht schlüssig zusammenfügen wollen. Ich denke, man sollte ihn genau so betrachten: als Fingerübung, als Zwischenspiel vor dem nächsten großen Film, den Korine hoffentlich als nächstes machen und in dem er zur Stärke von SPRING BREAKERS zurückfinden wird.

 

 

 

Jean-Claude Van Damme fühlt sich in den Sad-Sack-Rollen, die ihm nun seit rund zehn Jahren immer wieder zugetragen werden, offenkundig so wohl wie in einem schlabberigen Jogginganzug, der mindestens genauso viele Knitterfalten hat wie sein Gesicht. In WE DIE YOUNG spielt er Daniel, einen kriegsversehrten Veteranen des Afghanistan-Feldzuges, der sich als Kfz-Mechaniker verdingt, bei einer Bombenexplosion seine Stimme verlor und außerdem eine Lungenverletzung erlitt, die ihn zur regelmäßigen Einnahme harter Schmerzmittel zwingt, die er dem jungen Lucas (Elija Rodriguez) abkauft. Lucas wiederum ist einer der Kuriere der elsalvadorianischen Gang, die die Vorstadtstraßen Washingtons beherrscht und ein blutiges Regiment führt. An der Spitze der Gang steht Rincon (David Castañeda), ein gesichtstätowierter Melancholiker, mit dem man keinen Streit haben möchte. Als Lucas‘ kleiner Bruder in die Gang aufgenommen werden soll, beschließt der Junge, dass es Zeit für den Ausstieg ist, was Rincon naturgemäß gar nicht gefällt. Es kommt zur Hetzjagd auf den Jungen, bei der ihm Daniel schließlich mit all seiner Erfahrung zur Seite steht.

WE DIE YOUNG scheitert ein wenig an seinen hohen Ambitionen. Regisseur und Drehbuchautor Lior Geller, dessen Debüt-Kurzfilm ROADS den Rekord als meistausgezeichneter Studentenfilm hält, wollte viel mehr schaffen als „nur“ einen Actionfilm. Sein Vorbild dürfte John Singletons BOYZ N THE HOOD gewesen sein, denn wie dieser wirft Geller mit WE DIE YOUNG einen Blick auf die amerikanische Realität des Gangwesens, erzählt eine bewegende Coming-of-Age-Geschichte um den Ausstieg eines Jungen aus dem Sumpf, der ihn umklammert, gibt einen Kommentar zu den außenpolitischen Unternehmungen Amerikas ab, das er mit Elementen des Heimkehrerfilms verbindet, und verpackt das alles in einen innerhalb weniger Stunden spielenden Reißer mit zahlreichen Gewaltszenen, Schießereien und Verfolgungsjagden. Der Versuch ist aller Ehren wert und WE DIE YOUNG hebt sich vom typischen, gleichförmigen DTV-Klopper durchaus wohltuend ab, aber am Ende ist das Stück, das Geller von der Wurst abbeißt, dann doch einfach zu groß.

Das zeigt sich gut an der Rolle Van Dammes, dessen Darbietung als traumatisierter, körperlich behinderter Veteran umso bemerkenswerter ist, als die Figur über eine Ansammlung vager Klischees kaum hinauskommt. Es fehlen jegliche spezifische Details, die diesen Daniel zu einem dreidimensionalen, lebendigen Charakter machen würden. Das zeigt sich besonders deutlich am Schluss, wenn das „Rätsel“ um die Ursache seines Traumas aufgelöst wird, das bis zu diesem Zeitpunkt in Form von nicht weiter identifizierbaren Rückblickfetzen angedeutet wurde: Es zeigt sich, dass Daniel in Afghanistan aus Versehen ein Kind erschossen hatte und über dem Schock schließlich in die Explosion geraten war, die ihm die Stimme kostete. So wie der Film das präsentiert, wirkt das aber nicht wie eine echte Erfahrung, sondern lediglich wie ein Platzhalter, den man vergessen hat, mit Leben zu füllen. Das große Finale, ein Shootout, in den die Polizei die Gangmitglieder verwickelt, koinzidiert mit der Hochzeitsfeier von Rincons Schwester, die natürlich eine tödliche Kugel abbekommen muss, zum einen,um Rincon zu bestrafen, zum anderen, um seinen Zorn auf Lucas noch einmal zu vergrößern. Auch das ist sofort als Drehbuchkniff zu enttarnen, der umso billiger ist, als die Schwester nie wirklich Gestalt annehmen darf, nur als vage Manifestierung von Rincons Bruderliebe existiert. Stark ist WE DIE YOUNG hingegen in der Skizzierung seines Schauplatzes und des Milieus, in dem er spielt. Hätte sich Lior Geller ganz auf den „Arbeitsalltag“ des Drogenkuriers Lucas konzentriert, der mit seinem Fahrrad verschiedene Kunden ansteuert und im Dienste seines Chefs Aufträge ausführt, wäre sicher mehr dabei herausgekommen. So wird WE DIE YOUNG gegen Ende immer zerfahrener und das zum Dabeibleiben nötige emotionale Investment wird durch allzu viele oberflächliche Klischees verhindert. Für Van-Damme-Fans ist der Film aber trotzdem sehenswert und als schlecht würde ich ihn auch nicht bezeichnen.

Billy Dee Williams ist Nick Allen, ein nicht näher spezifizierter Agent im Staatsdienst, dessen 15-jährige Tochter an einer Dosis Heroin verreckt. Allen findet schnell den verantwortlichen Dealer und schlägt ihm die Fresse blutig, doch dessen Jammern, er sei doch nur ein einfacher „worker“ leitet einen Erkenntnisprozess bei dem verzweifelten Vater ein: Wenn er wirklich etwas ändern will, dann muss er die bestrafen, die am Anfang des Wertschöpfungsprozesses stehen: eine neunköpfige Gruppe von feinen Herrschaften im fernen Marseille. Allen stellt ein Team von alten, in Ungnade gefallenen Kollegen und Leuten, die selbst ihre Erfahrungen mit dem Drogengeschäft gemacht haben, zusammen, mit denen er den titelgebenden „Hit“ plant. Ihm dicht auf den Fersen sein Vorgesetzter und dessen Bluthunde, die den abtrünnigen Staatsbediensteten in seine Schranken weisen wollen.

Die Anwesenheit von Williams und Pryor schürt in Zusammenhang mit dem Produktionsjahr zunächst Erwartungen auf einen Blaxploiter mit tief bis zu den Knien hängenden Eiern und swagger for days, aber Furies HIT! ist eher ein Verwandter jener eiskalten, furztrockenen Männerfilme und Agententhriller, wie sie damals regelmäßig von Filmemachern wie Don Siegel, Sam Peckinpah, John Flynn oder auch Michael Winner kamen. Im Vergleich zu den beiden erstgenannten ist HIT! sogar noch eine ganze Spur eisiger: Das Handeln von Allen wird ohne jede Romantik oder Nostalgie für einen aussterbenden Typus Mann betrachtet, lediglich mit sachlich-kühler Distanz. Dazu passt auch, dass keinerlei Bemühungen unternommen werden, dem Zuschauer irgendwie entgegen zu kommen. Ich lehne mich jetzt mal so weit aus dem Fenster und behaupte, dass in HIT! keine einzige Zeile expositorischer Dialog gesprochen wird. Nichts wird erklärt, kein Wort vergeudet: Dass die Tote Allens Tochter ist, macht nur der Schnitt klar. Man erfährt nie, welches Amt Allen genau bekleidet. Wenn er jemanden trifft, den er kennt, begrüßt er den nicht erst mit vollem Namen und Berufsbezeichnung und er erklärt auch nie, was genau er eigentlich vorhat. Als er die Leute aufsucht, die später sein Team bilden sollen, weiß man weder, wer die sind noch, was er von ihnen will. Auch die französischen Drogenhändler bleiben komplett namenlos. Man hinkt dem Geschehen immer hinterher, wie die Beamten, die Allens Plan vereiteln wollen, und man muss höllisch aufpassen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Der Verlauf des Films bleibt über weite Strecken unvorhersehbar, nicht, weil er wirklich so anders verliefe als andere, ähnlich gelagerte Filme, sondern weil das Drehbuch so überaus sparsam mit seinen Informationen ist. Im Umkehrschluss wird der Protagonist so mit einer immensen Coolness und Souveränität ausgestattet, die keine markigen One-liner oder sonstige Mätzchen braucht. Allen ist der einzige im Film, der zu jeder Zeit weiß, was Phase ist, und der so in alle Ruhe seinen Plan durchzieht. Und Furie, der damals schon gute 15 Jahre im Geschäft war und dabei mit Superstars wie Marlon Brando, Michael Caine, Diana Ross, Robert Redford und Frank Sinatra zusammengearbeitet hatte, zeigt, warum er als ein vergessener Meister betrachtet werden darf: Ein Film wie HIT! bedarf zum Funktionieren absoluter Selbstsicherheit und einer klaren Vision und Furie lässt zu keiner Sekunde die Zügel schleifen.

Einen kleinen Schönheitsfehler gibt es dann aber doch: die obligatorische Trainingssequenz. Mit seinem Team zieht sich Allen in ein winterlich-ausgestorbenes Nest an einem See zurück, wo er jeden einzelnen in seiner Aufgabe unterweist. Es ist ein Standard des Commando- oder auch des Heistfilms: Die Mitglieder verzweifeln an ihren unterschiedlichen Aufgaben, es gibt vielleicht eine (zwischenmenschliche) Krise, die das Team zwingt, näher zusammenzurücken, bis schließlich jeder seinen Platz einnehmen und gut vorbereitet in die Schlacht ziehen kann. Das ist auch bei HIT! so, doch zum einen unterscheiden sich diese Aufgaben kaum voneinander, zum anderen wirkt das Training gemessen an dem, was sie später leisten müssen, geradezu läppisch. Die Drogenabhängige Sherry (Gwen Welles) wird einen der Drogenhändler in einem Restaurant mit Wein vergiften und dann fliehen müssen (wie es die Strategie des Films ist, weiß man das zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht): Ihr Training sieht so aus, dass sie eine Flasche Wein öffnet und dann ca. 15 Meter weit zur Tür hinaus rennt, während Allen mit der Stoppuhr daneben sitzt und sie dazu antreibt, schneller zu sein. Das große Drama besteht darin, dass sie aufgrund des High-Heels-Zwangs zu langsam ist und an Allens Unnachgiebigkeit verzweifelt. Das wirkt einfach albern und viel zu unspezifisch. Pryors Willie muss einer Yacht hinterhertauchen und den Schurken dann aus dem Wasser mit einer Harpune erschießen. In seinem Training besteht die größte Hürde aber darin, seinen Taucheranzug schnell genug wieder auszuziehen. Das ist einfallslos, unspezifisch und und fügt dem Film nicht nur keine Dramatik hinzu, es lässt die ganze Unternehmung amateurhaft wirken. Hier wäre mit Leichtigkeit mehr drin gewesen. 

Aber auch dieser Makel verhindert letztlich nicht, dass HIT! über seine ganze opulente Spielzeit von zwei Stunden nahezu perfekte, arschtight inszenierte und spannende Unterhaltung bietet, die einen Hollywood-Standard mit frischem Wind beatmet und im Finale dann auch ziemlich ruppig daherkommt. Ein starker Genrebeitrag, der Freunden des Seventies-Männerkinos viel Freude bereiten sollte und zudem den Bonus hat, dass sein Name noch nicht von jedem Baum gerufen wird.


Teil drei der HANGOVER-Reihe wirkt nach dem sehr auf Nummer Sicher gedrehten zweiten Teil ganz so, als wolle sich jemand für die mangelnde Risikobereitschaft entschuldigen. War der Vorgänger dem ersten Teil nahezu bis in Detail nachempfunden, macht der Abschluss der Trilogie nun bewusst alles anders: Es gibt keinen drogeninduzierten Rausch mit folgendem Blackout und Hangover in exotischer Kulisse, keine verzweifelte, von bitterer Selbsterkenntnis gesäumte Spurensuche mehr, auch keine Bildershow zum Abschluss (wohl aber einen Gag, der einen möglichen vierten Teil anteasert, mit dem dann alles wieder von vorn beginnen könnte). Stattdessen werden einige lose Plotfäden aufgegriffen bzw. eher nachträglich erdichtet, um sie für den Abschluss der Trilogie aufgreifen zu können. Im Zentrum von THE HANGOVER PART III steht Alan, in der Darstellung durch Zach Galifianakis auch in den vorangegangenen Teilen der heimliche Star, für den der Rest des Wolfpack samt angeschlossener Familie eine Intervention einberuft. Alan soll sich in psychiatrische Behandlung begeben und er willigt tatsächlich ein. Doch auf der Fahrt zu seinem Kurort werden die Freunde vom Gangsterboss Marshall (John Goodman) überfallen: Er erklärt ihnen, dass es auch ihr Treiben gewesen sei, dass ihn um insgesamt 21 Millionen Dollar in Gold gebracht habe, die sich nun in Chows Händen befinden, dem es in der Zwischenzeit wiederum gelungen ist, sich aus seinem thailändischen Gefängnis zu befreien. Das Wolfpack wird beauftragt, die 21 Millionen Dollar zurückzuholen, doch dazu benötigen sie Chows Hilfe. Und dem chinesischen Großmaul ist einfach nicht zu trauen.

„The epic finale to THE HANGOVER trilogy“ versprach die oben abgebildete Ankündigung im Vorfeld – und damit auch etwas, womit wahrscheinlich keiner der Zuschauer der ersten beiden Teile überhaupt gerechnet hatte. Zwar bauten die ersten beiden Teile rein chronologisch aufeinander auf, doch mutete das erste Sequel eher wie eine Wiederholung des Erfolgsrezeptes an als wie der zweite Akt einer Trilogie. Niemand hätte sich gewundert, wenn auch Teil drei das bewährte Rezept noch einmal neu aufgekocht hätte, vielleicht mit ein Paar kosmetischen Änderungen, die nach THE HANGOVER PART II angebracht schienen. Wo Teil 2 also etwas zu risikoarm war, hat Teil 3 im Gegenzug abseits der Hauptfiguren und dem Verweis auf vergangene Plotelemente kaum noch etwas mit der Grundidee der Vorgänger zu tun,  entwickelt sich stattdessen zu einer Art Heist Movie, dessen zentrale Verfolgung des amoklaufenden Chow die Helden zurück nach Las Vegas führt und für sie Züge einer Konfrontationstherapie annimmt, von der vor allem Alan profitiert. Was dann das Happy End der Serie ist.

Die Veränderungen tun einerseits gut, weil ein erneutes Aufkochen des zweifachen Erfolgsrezepts zwangsläufig auch einen erneuten Qualitätseinbruch mit deutlichen Ermüdungserscheinungen bedeutet hätte, andererseits fühlt sich THE HANGOVER 3 durch den völligen Verzicht auf den zentralen Witz, der die HANGOVER-Serie erst zur HANGOVER-Serie machte, auch etwas beliebig an. Die Story selbst rechtfertigt für sich genommen kaum das Interesse und dass wir ihr dennoch gern folgen, liegt einzig und allein darin begründet, dass wir die Charaktere aus den Vorgängern in unser Herz geschlossen haben. Bevor sich das alles zu negativ anhört, sei gesagt, dass Phillips Inszenierung ordentlich Tempo macht, und die zahllosen turbulenten Einfälle und haarsträubenden Gags dann auch wieder ganz dem Geist der Vorläufer entsprechen. Dass sich der dritte Teil verstärkt Alan und Chow zuwendet, macht Sinn, denn beide sind natürlich die schrillsten Figuren der Reihe und damit ideal für den Over-the-Top-Charakter der ganzen Unternehmung. Wenn zum großen Finale noch einmal einige Locations des ersten Teils angesteuert werden, Alan gar seine große Liebe (Melissa McCarthy) finden darf und somit endlich die Stabilität findet, die er vorher vermissen ließ, entspricht das dem humanistischen Gestus, der schon die Vorgänger über den bloßen Klamauk hob. Trotzdem bleibt der Eindruck, dass Phillips hier etwas zu Ende brachte, was erst seine Produzenten und der bahnbrechende Erfolg überhaupt zu einer „Sache“ gemacht hatten. Der Film riecht ein wenig nach Kompromiss, nach großer Anstrengung und „Augen zu und durch“  und er täuscht darüber hinweg, indem er retroaktiv eine große, „epische“ Geschichte „dahinter“ konstruiert, die eigentlich niemand wirklich brauchte und die mehr als nur etwas forciert wirkt. Trotzdem: mit kleineren Abstrichen gut.

 

THE HANGOVER war im Jahre des Herrn 2009 ein Riesenerfolg, schloss in den Jahrescharts mit einem Einspielergebnis von über 277 Millionen US-Dollar auf Platz sechs ab – kein Wunder, dass die Fortsetzung nicht lang auf sich warten ließ. Ob man hinter der Tatsache, dass Phillips das Erfolgsrezept für Teil 2 einfach noch einmal verwendete, Faulheit, Ideenarmut, Zynismus oder vielmehr punkerhafte Fuck-you-Attitüde vermutet, bleibt jedem selbst überlassen: Fakt ist, dass THE HANGOVER PART II logischerweise ohne den Überraschungseffekt des Vorgängers auskommen muss, mithin zwangsläufig schwächer ist, aber dafür alles noch eine Nummer größer und wilder macht und sich darüber hinaus zu Recht auf seine clevere Prämisse und seine Charaktere verlassen kann, die auch beim Aufguss noch ausreichend interessant sind.

Diesmal geht es also nach Thailand zu Stus (Ed Helms) Hochzeit, nicht zum Junggesellenabschied – auf den verzichtet Stu nach den Erlebnissen des ersten Teils dankend und überaus nachvollziehbar. Weil aber auch der instabile Alan (Zach Galifianakis) wieder mit dabei ist, kommt es zum erneuten Blackout: Die drei Kumpels wachen völlig zerstört in einem schäbigen Hotelzimmer in Bangkok auf, ihr Begleiter, Stus jugendlicher Schwager Teddy (Mason Lee), ist verschwunden, nur ein abgetrennter Finger ist von ihm übrig. Die Hatz durch die thailändische Metropole führt das „Wolf Pack“ erneut mit dem chinesischen Kriminellen Chow (Ken Jong) zusammen und enttarnt den so auf Besserung bedachten Stu wieder einmal als von dunklen Obsessionen getriebenes Tier.

THE HANGOVER PART II führt für eigentlich jedes Detail des Vorgängers eine Entsprechung ein: Statt drogenversetzter Drinks gibt es mit Drogen versetzte Marshmallows. Statt Doug verschwindet Teddy, der keine Matratze, sondern einen Finger als Hinweis hinterlässt. Stu fehlt kein Zahn, dafür hat er nun ein Gesichtstattoo. Die Rolle des Babys übernimmt ein Äffchen, die des gestohlenen Polizeiautos ein entführter buddhistischer Mönch. Der geehelichten Stripperin entspricht hier ein Transsexueller, mit dem Stu eine Nummer geschoben hat, und dem Stand-off mit Chow und seinen henchmen steht ein Stand-off mit dem Interpol-Mann Kingsley (Paul Giamatti) gegenüber, der das Wolf-Pack missbraucht, um Chow dingfest zu machen. Dafür müssen die Kumpels keine 80.000 Dollar aufbringen, sondern einen Zettel mit einem Code in ihren Besitz bringen. Der missglückten Rettungsaktion folgt wie in Teil eins der kleinlaute Anruf bei der wartenden Familie und selbst ornamentale Elemente wie das Ständchen am Piano, mit dem Stu im ersten Teil in einer Pause das Geschehen kommentierte, werden im Sequel wiederholt – hier singt er ein Lied, während er auf einer Akustikklampfe spielt. Im großen Finale muss die heimliche Hauptfigur sich nicht der dominanten Freundin stellen und ihr den Laufpass geben, sondern seinem herablassenden Schwiegervater beweisen, dass er keineswegs ein Waschlappen, sondern ein echter Kerl ist, der sich nicht länger herumschubsen lässt. Schließlich darf sogar Mike Tyson einen Auftritt absolvieren und wie gehabt endet das Ganze mit einem Blick auf die während der rauschenden Nacht entstandenen Fotos, die danach für immer gelöscht werden. Sogar das über dem ersten Teil stehende Motto „What happens in Vegas, stays in Vegas“ findet sein Echo in der wiederholt fallenden, aber weniger gut zitierbaren Aussage, dass Bangkok jemanden „gekriegt habe“.

Man entnimmt dieser Aufzählung schon, dass sich Philipps und seine beiden Co-Autoren nicht unbedingt ein Bein ausgerissen haben, sondern vielmehr nach dem Motto  „Don’t fix ist it isn’t broken“ verfahren sind. Ganz falsch liegen sie damit nicht: Die Geschichte um drei Typen, die schmerzhaft erfahren müssen, was für ein Chaos sie im Rausch angerichtet haben, funktioniert auch ein zweites Mal noch ganz gut – zumal das exotische Setting für zusätzliche Schauwerte und noch mehr Fallhöhe sorgt. Überhaupt muss man sagen, dass die HANGOVER-Reihe visuell aus dem Einerlei der meist doch eher einfach gehalten US-Komödien positiv heraussticht: Die beunruhigenden Unterströmungen der Story um drei „brave“ Männer, die keine Grenzen mehr kennen, wenn man sie einmal von der Kette lässt, spiegelt sich auch in der optischen Gestaltung, die Bangkok abwechselnd zum schillernden Sündenbabel, dann wieder zur postapokalyptischen Einöde verzeichnet. Begrüßenswert ist die Entscheidung, dem Chinesen Chow diesmal eine etwas größere Rolle zu geben: Eine Gelegenheit, die Ken Jong für eine komplett freidrehende Performance nutzt, die nur noch von Tyson Darbietung des Murray-Head-Gassenhauers „One Night in Bangkok“ getoppt wird. Tyson ist ja eh sowas wie der Schutzpatron dieser ersten beiden Filme: Er ist nicht nur deshalb am Start, weil er ein Promi mit Gesichtstattoo ist, sondern weil er eine Art Seelenverwandten der Protagonisten darstellt. Ein Mann, dessen Karriere gesäumt ist von idiotischen, impulsiv getroffenen Entscheidungen, die ihm aber kein Stück peinlich zu sein scheinen.

Ich fand THE HANGOVER PART II fast zwangsläufig eine Nummer schlechter als den ersten Teil, aber eine Sache gelingt ihm noch besser als diesem: Wenn Stu mit der Tatsache konfrontiert wird, dass er Sex mit einem Mann hatte, reagiert er nach dem Gesetz der Gay Panic mit dem obligatorischen Brechreiz. Doch dann erklärt ihm sein One-Night-Stand, dass sie gleichzeitig gekommen seien, dass er vor Glück geweint habe. Diese Aussage benutzt Phillips keineswegs dazu, die Demütigung für Stu noch größer zu machen, sondern im Gegenteil dazu, ihn liebevoll zu besänftigen, seine vermeintliche Schmach zu verringern: Stu hat Seiten, die nur zum Vorschein kommen, wenn er völlig frei ist von den gesellschaftlichen Zwängen, die ihn sonst gefangen halten – und er ist tatsächlich glücklich, wenn er sie zeigen kann. Diese Haltung macht die HANGOVER-Reihe sehr ungewöhnlich und liebenswert – und sie ist darin absolut untypisch für eine „Männerkomödie“.