Archiv für April, 2016

young_sherlock_holmes-782808703-largeImmer schwierig: „Nostalgiefilme“, zu denen die nostalgische Bindung fehlt. YOUNG SHERLOCK HOLMES ist so ein Film. In den Achtzigerjahren wäre diese Spielbergproduktion, mit der das langsam den Kinderschuhen entwachsende Wunderkind eine Art jugendfreien TEMPLE OF DOOM in die Kinos brachte, genau meine Kragenweite gewesen. Gut, streng genommen war ich 1986, als er mit einer Freigabe ab 12 in die deutschen Kinos kam, immer noch zwei Jahre zu jung, aber hätte ich ihn damals zu Gesicht bekommen, ich hätte ihn bestimmt geliebt. Ein jugendlicher Held, superschlau, schlagfertig, ausgezeichnet mit dem Degen und trotz durchschnittlichem Äußeren mit hübscher Freudin ausgestattet, dazu ein treuer Sidekick, unterirdische Tempel, finstere Kulte, wahnwitzige Erfindungen und jede Menge aufwändiger Ausstattung und fantasievoller Effekte: YOUNG SHERLOCK HOLMES hat alles, was ein Heranwachsender zur Identifikation benötigt, was ihn begeistert und seine Fantasie beflügelt. Mit dem Erwachsenen sieht es da schon etwas anders aus.

Der Film, den ich bislang noch nicht kannte, hat mich dann doch eher kalt gelassen bei der gestrigen Sichtung. Ich bin einfach nicht reingekommen (was auch an äußeren Umständen gelegen haben mag), die Story war mir herzlich egal, das Staunen, auf das Spielberg und Sonnenfeld gewiss hingearbeitet haben, entsprach bei mir einem grundsätzlich wohlwollenden, aber doch eher teilnahmslosen „Ach guck mal, nett“. Ich will das YOUNG SHERLOCK HOLMES nicht ankreiden, der vieles richtig macht und seine Prämisse sehr ernst nimmt (auf jeweils einer Schrifttafel am Anfang und Ende des Films entschuldigen sich die Macher förmlich dafür, dass sie nicht auf eine Originalvorlage zurückgreifen konnten). Die Spezialeffekte sind toll und lassen einen jene Zeit zurückwünschen, in denen das meiste von dem, was man da zu Gesicht bekam, tatsächlich noch Handarbeit war. Die Kulissen – ob echt oder nachgebaut – verleihen dem Film jenen sense of place, den man bei den meisten Greenscreen-Schöpfungen vergeblich sucht, auch wenn sie noch so detailverliebt sind. Besonders hervorzuheben ist aber die Besetzung, die ohne jeden mit Gewalt reingezwungenen Star auskommt. Britische Charakterdarsteller bestimmen das Bild und sorgen mit ihren Stimmen und dem charakteristischen Akzent für Authentizität, um die sich Guy Ritchie bei seinen Vehikeln sicher weniger scherte. YOUNG SHERLOCK HOLMES lässt sich Zeit dafür, seine Charaktere einzuführen, und sein Hauptplot kristallisiert sich fast nebenbei aus dem episodischen Flow der Ereignisse heraus. Das ist alles sehr sympathisch, auch und vor allem, wenn man es mit vergleichbaren Großproduktionen von heute vergleicht, denen Stromlinienförmigkeit alles ist. Aber wie gesagt: Der Funke wollte nicht richtig überspringen. Vielleicht bin ich tatsächlich zu alt für diesen Scheiß.

tick-_tick-_tickSpannend, sich vorzustellen, wie dieser Film wohl ausgesehen hätte, wäre er nur ein, zwei Jahre später entstanden, nachdem SHAFT die Ära der Blaxploitation eingeläutet hatte. Das unter Nelsons Regie eher ruhige, unspektakuläre Rassismus-Drama, dessen „Showdown“ aufgrund geglückter De-Eskalationsstrategie gar nicht erst stattfindet, hätte wohl einen deutlichen Testosteronschub erhalten und sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, Jim Brown mit stählernen Fäusten und großkalbrigen Knarren bewaffnet auf Rassistenjagd zu schicken. So geht es in TICK … TICK … TICK … aber (leider) nicht um wohltuende Triebabfuhr durch explosive Redneckbestrafung. Dass Nelsons Film dadurch automatisch „realistischer“ würde, möchte ich, in Unkenntnis der damaligen Verhältnisse zwar, aber dennoch, bezweifeln. Ralph Nelson, der sich im selben Jahr mit dem umstrittenen SOLDIER BLUE für die Belange der amerikanischen Ureinwohner einsetzen sollte, meint es gewiss ernst und hat einige interessante Gedanken zur friedlichen Koexistenz von Afroamerikanern und Weißen, aber leider trifft er nicht immer den richtigen Ton.

In einer Kleinstadt im Bundesstaat Mississippi bereitet sich Sheriff Little (George Kennedy) auf seinen Abgang vor. Am nächsten Tag soll Jim Price (Jim Brown), ein Schwarzer, den Posten übernehmen, ein Ereignis, dem die weißen Rassisten des Ortes mit sadistischer Neugier entgegensehen und den Fehltritt des unliebsamen Neuen, der nur eine Frage der Zeit ist, sehnlichst erwarten. Little, zwar verletzt wegen seiner Abwahl, aber ein gemäßigter Vertreter inmitten der tosenden Dummheit, steht dem unbeugsamen, aber auch etwas undiplomatischen Price zur Seite. Das ist auch bitter nötig, als der Sheriff den Sohn eines einflussreichen Politikers wegen Totschlags verhaftet …

Nelson beleuchtet den Grundkonflikt von unterschiedlichen Seiten, zeichnet die weiße Stadtbevölkerung nicht ausschließlich als schäumende Schwarzenhasser, sondern zeigt auch, wie politische Interessen die Situation noch anheizten. Dass Price die Position des Sheriffs überhaupt erringen konnte, verdankt er nicht zuletzt der Hilfe von Bürgerrechtlern von außerhalb, die längst das Weite gesucht haben, als er seinen Arbeitsplatz bezieht. Little hat zwar Recht, wenn er die wütenden Weißen daran erinnert, dass es keine „schwarzen“ und „weißen“ Stimmen, sondern nur Stimmen in einer Wahl gibt und die Mehrheit eben siegt, aber dass da ein gefährliches sozialpolitisches Experiment auf dem Rücken der Bürger – und dem von Price! – ausgetragen wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Price hat aber längst nicht nur mit Vorurteilen von Rechts zu kämpfen: „Seine“ Leute erwarten von ihm nun ihrerseits eine Sonderbehandlung, wundern sich, als er einen Vergewaltiger verhaften will und bezeichnen ihn als Verräter, weil er keinen Unterschied zwischen Weiß und Schwarz macht. Unterlegt wird der Film vom titelgebenden unablässigen Ticken verschiedener Uhren, das wohl daran erinnern soll, auf welchem Pulverfass Price sitzt. Unterminiert wird dieser Kniff aber durch den allzu versöhnlichen Plotverlauf: Die drohende Gefahr kann durch die Zusammenarbeit von Schwarzen und Weißen am Ende leicht und ohne Blutvergießen abgewehrt werden und selbst der unversöhnlichste Redneck hat schließliche Resekt vor dem mutigen Sheriff, der kein Geheimnis daraus macht, Ambitionen auf das Amt des Bürgermeisters zu haben.

Nelson vertraut auf die menschliche Vernunft, was ihn gewiss ehrt, TICK … TICK … TICK … aber auch etwas naiv anmuten lässt. Hinzu kommen einige fragwürdige Entscheidungen wie jene, die Jagd auf den Totschläger, der kurz zuvor im Suff ein kleines Mädchen totgefahren hat, als munteren Ringelpiez mit abschließendem Badespaß zu inszenieren, der völlig vergessen lässt, dass da gerade ein Mensch sein Leben gelassen hat. Auf der Habenseite verbucht er aber die wunderbaren Darbietungen von Kennedy als mit sich selbst haderndem Ex-Sheriff, dessen Wunden von seiner kritischen Gattin zusätzlich mit Salz bestreut werden, und Fredric March als patriarchaischem, aber nicht mehr ganz taufrischem Bürgermeister, der die Bürger seiner Stadt behandelt wie der strenge Lehrer seine Schüler. Entgegen seines ernsten Themas, das ja oft Anlass für mahnende Lehrstunden à la MISSISSIPPI BURNING oder IN THE HEAT OF THE NIGHT war, ist TICK … TICK … TICK … also ein eher entspannter Film geworden. Vielleicht ist es vor allem die Verwunderung darüber, dass ich nicht hunderprozentig warm mit ihm geworden bin.

 

 

ich2bseh2bich2bsehDie Natur, die da draußen vor der Tür der sachlich-kastenförmigen, keinen unnötigen Schnörkel sich erlaubenden Villa liegt, ist dunkel und geheimnisvoll. Das Maisfeld ein unergründliches Labyrinth unzähliger Gänge ohne Ziel, der rissige, schwankende Feldboden bedeckt eine endlose Tiefe, der Wald schluckt jeden Ton, den ein Mensch machen könnte, Felsbrocken sehen aus wie Spielzeug, das Riesen in grauer Vorzeit zurückließen, als sie von der Erdoberfläche verschwanden, der See vor der Haustür ist wie ein großer, schwarzer Spiegel. Hier und da haben die Menschen ihre Spuren hinterlassen, den Eingang zu einem Kanal etwa, der mitten im Wald klafft wie das Tor zu einer anderen Dimension, oder eine Zisterne, in der sich Menschenknochen und -schädel stapeln. Für Lukas und Elias (Lukas & Elias Schwarz) ist alles eins: lockendes Mysterium, Quell der Abenteuer, Anlass für aufregende Entdeckungsreisen, Nahrung für die übersprudelnde Fantasie. Letzteres gilt auch für die mit bandagiertem Gesicht und reizbarem Gemüt aus dem Krankenhaus zurückkehrende Mama (Susanne Wuest), deren Launen die beiden Brüder bald schon in den Glauben versetzen, jemand anderes habe ihre Stelle eingenommen.

ICH SEH ICH SEH lebt nicht zuletzt von der Spannung zwischen dem Draußen und Drinnen: Draußen die schon geschilderte, mitunter bedrohliche Natur, die sich keinem menschlichen Willen beugt, oder auch die Urwüchsigkeit eines ausgestorbenen österreichischen Dorfes, das sich völlig organisch um eine Kirche drängt, drinnen die rationale Kühle kubistischer Architektur, gerade Linien, klare Abgrenzungen zwischen Weiß und Schwarz, Abwesenheit jeder Dunkelheit. Es gibt diese Szene, in der die Jungen ihre Mutter förmlich zur Seite stoßen, um endlich raus zu kommen aus diesem leblosen, sterilen Haus, draußen zu spielen und rennen, das Gras unter den Füßen zu spüren. Nicht etwa in strahlendem Sonnenschein, sondern in einem sommerlichen Hagelschauer, der zu einer Schlacht mit den kleinen, perfekten weißen Eiskörnern einlädt. Der wankende Boden auf dem Feld, das schwarze Loch im Wald, die unergründliche Tiefe des Sees, die Berge von Totenschädeln machen den Jungen keine Angst. Angst machen ihnen das Gesicht, das sich hinter den weißen Bandagen verbirgt, die Geräusche, die das im Schlafzimmer der Mutter versteckte Babyfon an sie überträgt, die lieblose Zweckmäßigkeit ihres Hauses, das wie eine Verlängerung der grausamen Gefühlskälte der Mutter wirkt. Man fragt sich, wie die beiden Brüder das Haus betrachteten, bevor die Mutter ins Krankenhaus ging, ob sie sich da von seinen Wänden geborgen fühlten, wenn draußen ein Unwetter tobte. Oder ob schon die bloße Existenz dieses scheußlichen Betonklotzes der erste Schritt zu jener Entfremdung ist, die sich im letzten Akt des Films in überaus schmerzhaften Bildern der Gewalt entlädt.

 

 

white ghost (b.j. davis, usa 1988)

Veröffentlicht: April 24, 2016 in Film
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oxk9ahhba01z4mzwn3lpwbax6lvErstaunlich: Da meint man sich auszukennen auf dem Gebiet US-amerikanischer Actonfilme aus den Achtzigerjahren und dann stolpert man trotzdem immer wieder über Titel, die einem entweder völlig unbekannt sind oder die man total vergessen hatte. WHITE GHOST ist einer dieser Filme, ein durchaus mit einigem Aufwand gefertigter Back-to-Vietnam-Film, der auf der US-Bluray in schönster Farbenpacht erstrahlt – und dem Liebhaber darüber hinaus auch sonst einiges zu bieten hat.

Zum Beispiel eine unorthodoxe Besetzung: William Katt, der blondgelockte Schönling aus Brian De Palmas CARRIE (oder auch aus Steve Miners HOUSE), gibt den Titelhelden, einen Vietnamveteranen, der damals nicht mit nach Hause geflogen ist, sondern für tot gehalten wurde und daher zurückblieb. In der Gegenwart streift er im Lendenschurz durch den vietnamesischen Urwald, um die Hundemarken der Gefallenen einzusammeln, die wie er nie die Heimreise antraten, und so ihre Seelen zu befreien. Die einheimischen Soldaten, die ihm dabei über den Weg laufen, lehrt er Mores und hat sich so einen legendären Ruf als „weißer Geist“ erarbeitet, der ihn freilich nicht daran hindert, ein höchst irdisches Dasein mit einer vietnamesischen Geliebten (Rosalind Chao) in einer selbst gebauten Urwaldhütte zu führen. Interessant wird es, als die US Army, vertreten durch Major Cross (Reb Brown), von der Existenz des Mannes, den sie einst Steve Shepard nannten, erfahren und einen Söldnertrupp damit beauftragen, ihn zurückzuholen: Da er das Gebiet so gut kennt wie kein anderer, erhofft man sich wichtige Erkenntnisse von ihm. Dummerweise ist der Anführer besagter Söldner, der fiese Walker (Wayne Crawford), Shepards Erzfeind aus alten Vietnamtagen, der gar kein Interesse daran hat, ihn lebend nach Hause zu bringen.

WHITE GHOST beginnt wie eine Mischung aus Tarzanfilmen und RAMBO: FIRST BLOOD PART 2, deren Hauptattraktion die bizarre Minipli/Vokuhila-Frisur von Hauptdarsteller William Katt ist. Zum Glück wird er nach nicht allzu langer Zeit frisiert und so kann der Zuschauer seine Aufmerksamkeit auf anderes lenken, zum Beispiel auf die tolle Fotografie, die die satten Grüntöne des Urwalds sehr effektiv und schmuckvoll ins Bild setzt. (Gedreht wurde der Film in Zimbabwe, das ein gutes Vietnam-Stand-in darstellt.) Dieser tolle Look und die höchst professionelle Machart von WHITE GHOST stoßen sich zwar immer ein wenig mit dem etwas hölzernen Spiel der Darsteller und ihren steif deklamierten Dialogen, aber was B.J. LASER MISSION Davis‘ Film in dieser Hinsicht vermissen lässt, macht er durch extreme Ruppigkeit wieder wett. WHITE GHOST braucht eine Weile, um im Fahrt zu kommen, aber am Ende ist man ob der zur Schau gestellten Kaltschnäuzigkeit, mit der da am laufenden Meter Menschen in die Luft gesprengt oder exekutiert, Kniescheiben, Bäuche und Gesichter durchlöchert werden, mehr als erstaunt. Auch Reb Brown, der einen zunächst sehr undankbaren Part als Vorgesetzter am Telefon hat, läuft in den letzten Minuten des Films zu gewohnter Hochform auf und darf sein Protegé mit zwei Maschinengewehren unter den schwitzigen Achseln und vom Kriegsgebrüll verzerrten Gesicht höchstselbst raushauen.

Sicherlich keiner der ganz großen, aber doch ein sehr sehenswerter Vertreter seiner Zunft, an dem Liebhaber auf gar keinen Fall vorbeigehen sollten. Wer Dschungelaction mit Vietnambezug liebt, kommt an WHITE GHOST nicht vorbei und ordert sich jetzt schleunigst die Blu-ray aus den Staaten.

 

 

demon wind (charles philip moore, usa 1990)

Veröffentlicht: April 24, 2016 in Film
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demon windDEMON WIND ist mir als einstig fleißigem Studenten diverser Horrorfilm-Lexika und ihrer akribischen Qualitäts- und Härtepunktwertungen schon lange ein Begriff, gesehen habe ich ihn aber jetzt zum ersten Mal. In „Fachpublikationen“ wie dem „Hölle auf Erden“ blitzten neben seinem Titel die verheißungsvollen Totenkopfsymbole in Reihe auf, die jede Menge Splatter und Gematsche versprachen und einen mehr als einmal zugreifen und die Ahnung, dass sonst nicht viel mehr geboten würde, missachten ließen. Der Staatsanwaltschaft war die rührende Unzulänglichkeut dieses Films, der auch vor nunmehr 26 Jahren kaum dazu geeignet war, irgendjemandem ernsthafte Albträume zu bescheren,selbstverständlich kein Grund, ihn nicht trotzdem  zu beschlagnahmen und ihn so endgültig zum Kultobjekt zu stilisieren. Ein Ruf, den diese billig runtergekurbelte EVIL DEAD-Variation – in Deutschland konsequent als TANZ DER DÄMONEN vermarktet – kaum verdient, auch wenn in die Masken und Spezialeffekte sichtlich Mühe und Herzblut gegossen wurde.

Es geht wieder einmal um ein am Arsch der Welt gelegenes Grundstück, das traditionell von Dämonen heim- und in der Gegenwart des Films von einem jungen Mann und seinen nervtötenden Freunden aufgesucht wird. Dessen Großeltern ließen dort einst auf ungeklärte Art und Weise ihr Leben und auch den Twens geht es im Folgenden übel an den Kragen. Auf Länge gebracht wird diese „Story“ durch jede Menge trantütiges Gestapfe durch die ländliche Ödnis, nervige Zickereien unter den Protagonisten und schließlich ein großes Aufgebot an aknekranken Höllenbewohnern und lustigen Zaubertricks, mit denen sie die jungen Leute ins Bockshorn jagen. Ich möchte den Machern gar nicht absprechen, dass sie sich redlich bemühten, einen Film auf die Beine zu stellen, der wie das große Vorbild neben den wüsten Effekten auch eine gewisse Atmosphäre aufzubieten hat: Man merkt dieses Bemühen vor allem in der ersten halben Stunde, in der die Tristesse der wie leergefegt anmutenden Hügellandschaft, in der DEMON WIND angesiedelt ist, durchaus effektiv eingefangen wird. Aber es gibt dann eben doch einen feinen Unterschied zwischen Traumgleichheit und unheilvoller Stimmung und Langeweile, den Regisseur Moore indes leider nicht so ganz erkannt zu haben scheint. Mein grundsätzlicheer Goodwill, durch die ein der andere putzige Unbeholfenheit der Inszenierung und das sedierte Spiel der Darstellerriege, die einen hoffnungslosen Kampf gegen ihre Klischeefiguren kämpft, noch einige Zeit am Leben gehalten, löste sich irgendwann in Luft auf: Das sich eine gefühlte Ewigkeit hinziehende „Finale“ stellte die eh schon strapazierte Geduld noch einmal sehr auf die Probe, das Einsetzen der Schlusscredits kam einer Erlösung gleich.

DEMON WIND ist bestimmt nicht der schlechteste Film, den ich je gesehen habe, und ich bin gern bereit, ihm seine eklatanten Schwächen angesichts seiner offenkundigen Semiprofessionalität zu verzeihen. Man merkt, dass die meiste Arbeit in die Spezialeffekte gesteckt wurde, die sich dann auch durchaus sehen lassen können, mehr jedenfalls als der Rest des Films. Wie sehr haben sich die Zeiten seit damals doch geändert: Hier ist das noch kein Problem, dass der prollige Jock der Clique seine beiden sich umarmenden Kumpels als „Homos“ beschimpft, wird der bizarre Tod einer Freundin kaum zur Kenntnis genommen, sondern gleich zur Tagesordnung übergegangen, während ihr Lover dreinschaut, als habe er gerade sein neues Auto zu Schrott gefahren. DEMON WIND ist absolut typisch für seine Zeit, in der der DTV-Horrorfilm ein ertragreiches Geschäftsfeld war und es für den Videothekenhit unter Umständen reichte, ein geiles Covermotiv und ein paar lustige Splattereien aufzubieten. Insofern ist es auch ein nostalgisches Erlebnis, sich diesen Film zu Gemüte zu führen. Aber eher eines, das einem verdeutlicht, dass damals auch nicht alles gut und der eigene Geschmack mitunter reichlich unterentwickelt war.

orderblackeagleEin bondesker Agent mit einem frechen Pavian als Sidekick, Nazis, die in einer Pyramide in Südamerika hocken, von dort aus die Welt erobern wollen und außerdem den eingefrorenen Adolf Hitler aufbewahren, eine Gruppe schlagkräftiger Söldner, von denen jeder einzelne ein ganz bestimmtes Talent mitbringt, jede Menger smarter Sprüche, Keilereien, Schießereien, Explosionen, Verfolgungsjagden durch den Dschungel und putziger Gimmicks: Das sind die Zutaten zu ORDER OF THE BLACK EAGLE, einem der spaßigsten und buntesten Filme, die ich in letzter Zeit zu Gesicht bekommen habe.

Abseits der Empfehlung an vergnügungssüchtige Eighties-Aficionados, sich dieses wirklich umwerfende Teil zu Gemüte zu führen, ist kaum noch etwas zu sagen, was die Freude der eigenen Entdeckung nicht erheblich schmälern würde: Ian Hunter ist Duncan Jax, Superagent, und das darf man durchaus wörtlich verstehen, denn in seiner kurzen, nur zwei Filme umfassenen Laufbahn spielte er Jax gleich zweimal, eben hier und im mir leider noch unbekannten Prequel DUNCAN JAX AND MISTER BOON. Bei eben jenem Mister Boon handelt es sich um den erwähnten Pavian, der von Jax liebevoll herumgetragen wird, Kritikern seines etwas blasierten Chefs mit Vorliebe den Stinkefinger zeigt, aber auch sehr nützliche Sachen macht, wie etwa den Rettungshelikopter einfliegen oder mit einem raktenewerfergespickten Kampfpanzer herumfahren. Inszenierung und Ausstattung des Films sind sehr kompetent und liebevoll, ohne jedoch die Wurzeln im infantilen Pulp mit langweiliger Perfektion zu überdecken: Warum Jax am Ende erst umständlich auf den futuristisch anmutenden Turm mit dem Protonenstrahler klettern und dort eine Sprengladung anbringen muss, warum Boon das Teil nicht einfach mit seinem Panzer von außen kaputtballern kann, bleibt das Geheimnis des Drehbuchs, aber es sind eben solche haarsträubenden Ungereimtheiten, die den Film als so authentische Fortsetzung alter Serials erscheinen lassen. Wenn dann noch der schwarze Kraftprotz durch die Heerscharen der Nazis läuft, sie mit weit ausholenden Schwingern unangespitzt in den Boden rammt oder einfach wegwirft, Bösewichter von den Druckwellen der unzähligen Explosionen in wunderschönen Flugbahnen durchs Bild sausen, bis sie am Ende der Parabel unsanft im Dreck aufschlagen, ist das Vergnügen perfekt.

Ich weiß, ich langweile einen Teil meiner Leser wahrscheinlich mit diesem Thema, aber ich muss es an dieser Stelle einfach ansprechen: Es ist genau diese Art von überdrehtem Fun, blühendem, selbstbewusst ausgestelltem Unfug, funkensprühender Naivität, dem Verzicht auf jegliche Bedeutungshuberei und dem unübersehbaren Augenzwinkern, das aber verbunden ist mit der ehrlichen Freude, das alles trotzdem und mit voller Überzeugung zu tun, die ORDER OF THE BLACK EAGLE so auszeichnet und die ich an den sich genau dies auch auf die Fahnen schreibenden, jedoch meist meilenweit an diesem Anspruch vorbeisegelnden Comicverfilmungen der Gegenwart so überaus schmerzlich vermisse. Bei mir gewinnt ORDER OF THE BLACK EAGLE den direkten Vergleich mit Leichtigkeit. Ein tolles Ding, dieses Ding.

11948-i-lunghi-capelli-della-morteVorab: Nachdem ich Antonio Margheritis Gothic-Horror-Masterpiece DANZA MACABRA beim dritten Terza Visione auf großer Leinwand erleben durfte, ist es kein Wunder, dass I LUNGHI CAPELLI DELLA MORTE, der von Margheriti inszenierte Nachfolger, in der Heimkinovorführung anhand einer nur guten Konservenfassung im Vergleich Federn lassen muss (auch der in dieser Form noch einmal geschaute DANZA MACABRA kam nicht mehr ganz so eindrucksvoll daher). Ich will das dem Film aber keinesfalls ankreiden: I LUNGHI CAPELLI DELLA MORTE ist eigenständiger, ungewöhnlicher, auch komplexer als der Vorgänger, aber diese dunkelromantischen Schwarzweiß-Schauerstücke brauchen einfach den dunklen Kinosaal und den entsprechenden Bildraum, um sich zu voller Kraft entfalten zu können.

I LUNGHI CAPELLI DELLA MORTE erzählt eine klassische Rache-aus-dem-Totenreich-Geschichte, geht dabei allerdings recht eigene, wenig ausgetretene und labyrinthisch verschlungene Wege. Ausgangspunkt ist ein heimtückischer Mord in der Vergangheit, der die Verbrennung der unschuldigen Adele (Halina Zalewska) als Hexe sowie einen weiteren Mord an der unliebsamen Zeugin Helen (Barbara Steele) nach sich zieht. Erstere stößt einen Fluch aus, der in der Gegenwart des Films in Form der Pest wütet, letztere kehrt aus dem Totenreich zurück, um mit der Tochter der Hingerichteten, die mit dem wahren Mörder, dem intriganten Fürstensohn Kurt (George Ardisson), verheiratet wurde, um den Fluch zu stillen, Rache zu üben. Kurt hat natürlich keine Ahnung, wer die mysteriöse schwarzhaarige Frau ist, die da eines Nachts aus dem Regen auftaucht, weil ihre Erscheinung seinem Vater (Giuliano Raffaelli), ihrem Mörder, sofort einen tödlichen Herzanfall beschert.beginnt er, mieser Drecksack, der er ist, sofort eine Liebesaffäre hinter dem Rücken seiner Gattin mit ihr …

Was sofort auffällt an I LUNGHI CAPELLI DELLA MORTE ist seine visuelle Gestaltung, die im Vergleich zu DANZA MACABRA oder anderen Schwarzweiß-Gothic-Horrors nicht den Schwarz-, sondern den Weißanteil des Bildes betont. Besonders auffällig natürlich zu Beginn, bei der Hexenverbrennung, wenn das Bild selbst förmlich abbrennt, aber auch später, in der vielleicht tollsten Einstellung des Films, als Kurt, das Schlafgemach der mysteriösen Schönen schleicht und sie dort vor einem weiß leuchtenden Himmelbett wartend antrifft. Ein Bild, dessen seltsame Kraft sich kaum begreifen und noch weniger in Worte fassen lässt, aber ein gutes Beispiel dafür ist, wie Poesie, Schönheit, Schrecken und blanker Horror in I LUNGHI CAPELLI DELLA MORTE Hand in Hand gehen. Der Zuschauer weiß natürlich, dass die Schöne eine Wiedergängerin ist, dass Kurt nicht nur mit einer Toten ins Bett steigen wird, sondern sich durch sein Verhalten immer noch tiefer in die ihm eh schon bis zum Kinn stehende Scheiße reitet. I LUNGHI CAPELLI DELLA MORTE ist auch deshalb so perfide, weil er im Zuschauer Empathie für einen Menschen weckt, der eigentlich nicht mehr zu verteidigen ist. Margheriti muss den Horroranteil des Films, seine fantastischen Elemente, deshalb auch kaum explizit ausspielen, er tut dies weitaus weniger als noch in DANZA MACABRA – die „langen Haare des Todes“, die der Titel verspricht, kommen nur einmal kurz vor -, weil er stattdessen eine den ganzen Film über anhaltende, eigentümliche, unheilvolle Stimmung verbreitet. Sie kündet von der Unausweichlichkeit des Schicksals und natürlich von Wahnsinn und Tod, die in den kaum verhohlenen Hinweisen auf Nekrophilie zusammentreffen. DANZA MACABRA ist die geschickt konstruierte Geisterbahn, die einem eine hartnäckige Gänsehaut beschert, I LUNGHI CAPELLI DELLA MORTE ist dagegen leiser, verhaltener, aber sein Schrecken kriecht tiefer, weil er sich mehr noch als der Vorgänger aus einer Angst speist, die uns allen vertraut ist.

 

chinese-kamasutra-movie-poster-1993-1020378132Die amerikanische Sinologin Joan Parker (Giorgia Emerald) verschlägt es zu Studienzwecken nach China, wo sie auf der Suche nach, wie sie sinngemäß sagt, „wenig bekannten kulturellen Phänomenen Chinas“ auf das Kamasutra stößt. Man verzeiht ihr die scheunentorbreite Bildungslücke, denn obwohl Joan ein heißer Feger ist, wirkt sie ziemlich spröde und schaut zudem drein wie ein ausrangiertes Auto aus einem ehemaligen Ostblockstaat. Die Lektüre des selbst in der chinesischen Bibliothek mit „Chinese Kamasutra“ beschrifteten Folianten bringt ihr träges Blut zwar ziemlich in Wallung, nur wo sie mit der ganzen tosenden Lust hin soll, das weiß sie nicht. Ihr Kollege würde ja gern mal ran, aber Joan scheint die Signale nicht zu erkennen. Stattdessen wird sie von einem heruntergekommenen, leerstehenden Haus magisch angezogen, hinter dessen Fenstern angeblich ein Mann stehe und ihr anzügliche Blicke nachschicke. Als Joan vor lauter Neugier das Haus betritt, trifft sie dort eben jenen Mann, einen bärtigen Chinesen mit Stirnband und Cape, der ihr eine Geschichte auftischt, die viel zu verrückt ist, als dass sie sie nicht sofort für bare Münze nehmen müsse: Joan sei seine wiedergeborene Geliebte, eine Prinzessin, und er der Geist eines ermordeten Prinzen, der nun in der Ewigkeit darauf warte, mit der Verflossenen wiedervereint zu werden. Warum sie zu diesem Zweck in diverse fantasievolle Sexspielchen einbezogen werden muss, habe ich nicht ganz verstanden – man steckt halt nicht drin im Chinesen -, auch nicht, ob sie das nun alles geil findet oder doch eher befremdet ist: Ihr Blick legt letzteres nahe, aber da sie auch nichts Besseres zu tun hat …

Kann sein, dass es an ihrer Verwirrung liegt, die die Verwischung der Grenze zwischen Traum und Realität verursacht, aber vielleicht ist sie tatsächlich auch nur enttäuscht: CHINESE KAMASUTRA ist (zumindest in der Fassung, die ich gesehen habe) ein Softsexfilm, der sich hier und da lustvoll an den Grenzen zur Hardcore-Pornografie reibt, aber dann doch reichlich trocken bleibt. Das ganze wollüstige Gelecke, ölige Massieren und fingrige Reiben wirkt über die gesamte Spieldauer weniger erregend als vielmehr enervierend. Man möchte den männlichen Protagonisten zurufen, dass sie das Ding doch jetzt endlich mal reinstecken mögen, aber das einzige was eingeführt wird, sind bunte Plastikdildos. In einer sehr bizarren Szene wird Joan von drei hochmotivierten Lustsklaven mit ebensolchen misshandelt und man sieht sehr deutlich, dass sie überhaupt nicht berührt wird. Später serviert man ihr eine Gemüseplatte, deren Centerpiece eine phallisch geschnitzte Möhre ist, die sie mit großem Eifer und unter großem Zungeneinsatz verspeist. Schön, wenn es schmeckt, den Koch wird es gefreut haben. Am Ende fasst sich Joans Kollege, der sie schon seit Tagen nicht mehr gesehen hat und sich Sorgen macht, ein Herz und betritt das Haus: Er sieht so aus wie der Prinz einst und als er Joan auffindet, kommt es dann endlich zur finalen Nummer und der Wiedervereinigung der Wiedergeborenen. Ihr Orgasmus bleibt aber Privatsache, denn CHINESE KAMASUTRA endet just in diesem Moment.

D’Amatos Film sieht zum Teil sehr hübsch aus, vor allem die Rückblenden in die einstige gemeinsame Vergangenheit des Pärchens gefallen dank des ungewöhnlichen Settings, einer verwitterten Ruine, die alles gewesen sein könnte, aber gewiss nicht, wie es in den Dialogen heißt, ein chinesischer Herrscherpalast. Macht nix, denn wenn ich an CHINESE KAMASUTRA etwas wirklich hervorheben möchte, dann definitiv die Tatsache, dass es D’Amato sehr schön gelungen ist, seinen Film in einem Raum anzusiedeln, der weniger geografisch als vielmehr mental verortbar ist. Er entfaltet sich wie ein Traum, schwerelos, redundant, völlig bescheuert, dann wieder mit immenser unklarer Bedeutung aufgeladen, an der nicht nur die teilnahmslose Protagonistin abprallt. Am allertollsten finde ich aber, dass D’Amato, der nie um ein Pseudonym verlegen war, diesen Film tatsächlich unter dem Namen „Chang Lee Sun“ inszeniert hat. Das zeugt von Humor und Stil. Ich glaube daher, dass er den Koch, der so tolle Penisgemüse schnitzt, von zu Hause mitgebracht hat. Oder war das hinterher gar das Werk von Laura Gemser?

poster20-20lost20patrol20the_01Wenn man sich den alten Titanen der Filmkunst stellt, zumal im Heimkino, das trotz großen HD-Flatscreens nur einen faden Abglanz des ursprünglichen Erlebnisses liefert, hat man oft das Problem, dass ihre Filme mit der technischen Augenwischerei, die heute betrieben wird, naturgemäß nicht ganz mithalten können. Und was damals vielleicht absolut revolutionär war, ist im Lauf der Jahrzehnte oftmals zum müden Klischee verkommen und erscheint uns demnach heute nur noch langweilig. Es erfordert also deutlich mehr Einsatz, sich diese Werke zu erschließen, mehr Offenheit, mehr Vorarbeit. Das geht mir auch mit Ford so und viele Filme von ihm werde ich wahrscheinlich erst mit den nächsten Sichtungen wirklich einzuordnen lernen. Bei THE LOST PATROL liegt das zur Abwechslung einmal etwas anders, weil er dem „Männerkino“ zuzuordnen ist, mit dem ich mich dann doch ganz gut auszukennen glaube. Es handelt sich um einen Kriegsfilm, der auf dem etwa aus THE BIRTH OF A NATION bekannten Blockhütten- und Belagerungsmotiv aufbaut und eine wichtige Inspiration für zahlreiche Action-, Science-Fiction- und Horrorfilme darstellt, ohne dafür jedoch jemals die angebrachte Würdigung erhalten zu haben.

THE LOST PATROL spielt im Jahr 1917 und folgt einer zunächst zwölfköpfigen Einheit britischer Soldaten bei einer Mission in der arabischen Wüste. Nach einer kurzen Schrifttafel, die über die ständige Bedrohung der Soldaten durch eine nahezu unsichtbare Gefahr aufklärt, wird als eigentlicher Beginn des Films wie zum Beweis ausgerechnet jenes Mitglied der Einheit durch einen harmlos pfeifenden Schuss aus dem Nichts getötet, das als einziges wusste, wohin es für die Männer eigentlich gehen sollte. Ihr Anführer (Victor McLaglen) fordert sie sogleich auf, die Waffen gegen Spaten einzutauschen und den Unglücksseligen zu begraben, eine Vorausschau auf Kommendes. Der religiöse Fanatiker Sanders (Boris Karloff), der sich beim Gebet in tränenreiche Ekstase hineinzusteigern droht, wird jäh unterbrochen, es bleibt keine Zeit für Sentimentalitäten. Wenig später entdecken die Männer eine Oase samt eines befestigten Hauses, wo sie unterkommen und sich erfrischen können. Doch schon in der ersten Nacht fällt ihr Wachposten dem Feind zum Opfer, alle Pferde werden gestohlen. Die Männer sitzen mitten in der Wüste fest, dazu verdammt, auf Rettung zu warten, im Visier eines Feindes, den sie selbst nicht sehen. Hitze, Erschöpfung und die dauernde Angst setzen ihnen zu, die Nerven werden bloßgelegt, die Emotionen kochen über.

Fords Kriegsfilm zeigt gerade durch die Abwesenheit des Feindes, die Sinnlosigkeit der „Mission“, von der keiner weiß, was eigentlich ihr Ziel ist, und der vollkommenen Leere der die Männer umgebenden Landschaft was für ein absurdes Unterfangen Krieg eigentlich ist: Menschen verrecken auf einem Flecken Wüste, der für niemanden einen echten Wert und der nichts mit den in Europa tobenden Konflikten zu tun hat, durch Kugeln von anonymen Feinden, denen sie nie ins Gesicht sehen. Sie könnten auch vom Blitz getroffen werden, ihr Ende würde dadurch kaum jäher und willkürlicher ausfallen. Der Glaube Sanders‘, der den Feinden am Ende mit einem selbst gezimmerten Holzkreuz entgegen- und in den Tod eilt – ein unglaublich starkes, vielseitig deutbares Bild -, fällt umso fanatischer aus, je deutlicher wird, dass Gott sich vom Menschen längst abgewandt hat, wenn er sich denn überhaupt jemals für ihn interessierte. Es ist erstaunlich, wie es Ford hier beinahe spielend gelingt, in knapp 66 Minuten mehrere komplexe Themen in einem kongenial zugespitzten Szenario zu bündeln, das nach ihm Dutzende von Filmemachern für eigene Werke adaptierten. Das Szenario der Belagerung durch einen unsichtbaren Feind, die dadurch geschürte Paranoia, die Bedrohung nicht nur von außen, sondern zunehmend auch von innen heraus: Unzählige Genrefilme brauchten die Vorarbeit von Ford nur geringfügig zu variieren, gewisse Aspekte stärker zu betonen oder durch andere zu ersetzen, um daraus etwas Eigenes zu machen. Ford war (wahrscheinlich) der erste, THE LOST PATROL der Film, der alle Nachzügler in sich bündelt.

 

 

doctor bull (john ford, usa 1933)

Veröffentlicht: April 16, 2016 in Film
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580full-doctor-bull-posterDr. George Bull (Will Rogers) lebt in einer amerikanischen Kleinstadt, in der auf den ersten Blick nur wenig passiert: Aus dem durchfahrenden Zug steigt nie jemand aus, in der Milchbar lassen sich die jungen Mädels ihre Malted Milk ausschenken, während die Männer Zeitung lesen und Kaffee schlürfen, am Sonntag geht es in die Kirche, wo man stolz vorführt, was man in der Woche während der Chorprobe gelernt hat. Im Mittelpunkt steht der gutmütige, etwas grummelige Arzt, der die kleinen Zipperlein der Bürger versorgt, Babys zur Welt bringt, Kühe behandelt, ein offenes Ohr für die Sorgen seiner Mitmenschen und stets einen guten Ratschlag hat und sich außerdem rührend um Joe Tupping (Howard Lally) kümmert, den Mann der hübschen Telefonistin May (Marian Nixon), der der Aussage der Stadtärzte zufolge unheilbar gelähmt ist. Aber unter der Oberfläche der Picket-Fence-Idylle brodelt es und es ist ausgerechnet der aufopferungsvoll seiner Tätigkeit nachgehende Dr. Bull, der zur Zielscheibe des gehässigen Tratsches wird: Seine Beziehung zur Witwe Cardmaker (Vera Allen) ist den scheinheiligen Bedenkenträgern nicht genehm, und als dann auch noch eine Typhus-Epidemie ausbricht, macht der Stadtrat gegen den unbeugsamen Bull mobil …

DOCTOR BULL greift einige der Elemente von Fords Arzt- und Wissenschaftlerfilm ARROWSMITH auf: Auch dort praktizierte der Protagonist in einer Kleinstadt (wenn auch nur vorübergehend), therapierte dort sowohl Menschen wie Kühe und entwickelte wie sein älterer Kollege im späteren Film gar ein sensationelles Heilmittel. Die Tätigkeit stellt sich aufgrund der großen Nähe zu den Patienten in beiden Filmen als emotional aufreibend dar, doch beide Ärzte gehen ganz anders damit um: Während der eher kalte Stadtmensch Arrowsmith bald die sterilen Labors einer Forschungsstelle in der Großstadt der mühsamen Arbeit im direkten Kontakt mit den Menschen vorzieht, ist Bull ein echtes „Original“, tief verwurzelt in der Gemeinschaft seines Heimatortes, wo er jedes Geheimnis, jede Marotte der Einwohner kennt. Beim Besuch im Labor des Kollegen Dr. Verney (Ralph Morgan) beäugt er die modernen Gerätschaften (und die fesche Assistentin) mit den großen Augen eines neugierigen, aber auch etwas skeptischen Jungen: Er bewundert die intellektuellen Höhen, in die sich die Wissenschaft im Idealfall emporschwingt, aber er hat sich den Glauben an das Wunder bewahrt. Verney sieht keinerlei Hoffnung für den jungen Tupping, wissenschaftlich betrachtet ist sein Schicksal besiegelt, aber Bull weiß, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die die Lehrbücher nicht erfassen.

Bull ist ein Praktiker, weshalb er den Vorwürfen, der Typhus-Epidemie nicht frühzeitig Einhalt geboten zu haben – die Wasserverschmutzung durch die Fabriken des Unternehmers Banning (Berton Churchill) hätte ihm auffallen müssen, so seine Gegner -, nur entgegnet, dass er alle Hände voll damit zu tun habe, sich um die Menschen zu kümmern, und nicht auch noch prophylaktische Wasserproben entnehmen könne. Aber es geht eh um etwas anderes bei der Kampagne gegen ihn: Bull ist den Menschen suspekt, weil er seine eigene Meinung hat, diese auch zu vertreten weiß, und sich weigert, die albernen Gesellschaftsspielchen mitzuspielen, nur um sich beliebt zu machen. Als man ihm das Vertrauen aufkündigt, wehrt er sich nicht lang dagegen. Dass Joe Tupping dank seiner Beharrlichkeit wieder laufen kann, ist eine mehr als deutliche Antwort. Fraglich, ob man noch einmal einen wie ihn finden wird.

DOCTOR BULL ist zunächst eine Komödie, die vor allem von der Darbietung des schrulligen Will Rogers lebt, 1933 schon ein Nationalheiligtum, zudem ein absoluter Hollywood-Superstar und der angeblich bestbezahlte Schauspieler seiner Zeit. Rogers kam ursprünglich vom Vaudeville, hatte sich neben seiner Tätigkeit als Schauspieler aber nicht zuletzt als Kolumnist und Humorist einen Namen gemacht: Für die New York Times war er von 1922 bis zu seinem Tod 1935 im Alter von nur 56 Jahren tätig, zunächst mit einer wöchentlichen Kolumne, ab 1926 dann sogar täglich. Er kommentierte das aktuelle Tagesgeschehen und kritisierte die Prominenten und Mächtigen mit Humor und Biss, aber auch mit Wärme und Menschlichkeit, was ihm die Achtung, Wertschätzung und Vertrauen von Politikern und Präsidenten einbrachte. Heute bezeichnet man ihn in den USA als wichtigsten politischen Humoristen seiner Zeit und als legitimen Nachfolger eines Mark Twain. Man erkennt viel von dieser Persönlichkeit in seinem Doctor Bull, der zwar auf deutlich kleinerer Bühne aktiv, aber in seinem Dorf ähnlich engagiert ist. Er bezieht gegen die Scheinheiligen deutlich Position, aber er verurteilt sie nicht von oben herab: Ein Demokrat wie er im Buche steht. Wieder einmal singt Ford ein Loblied auf den „kleinen Mann“, der mit dem täglichen Einsatz in seiner Kommune das Rückgrat der Nation stärkt, auch wenn es ihm nicht wirklich gedankt wird. Bull lebt in Bescheidenheit mit seiner greisen Tante, die ihn immer mit dem Namen ihres toten Sohnes anspricht, und als er das teure Auto von Dr. Verney bestaunt und sich danach zu seiner Rostlaube umdreht, da fährt ihm förmlich ein Schreck durch die Glieder. Rogers erweckt seinen Protagonisten gerade mit solchen kleinen Details zum Leben.

Ford erzählt seine Geschichte in einer – zumindest bei der ersten Sichtung – sehr locker und entspannt anmutenden Form, ganz dem verschlafenen Alltag in dem kleinen Städtchen angemessen, springt von einem Haus zum nächsten und wartet dort auf die Ankunft des umtriebigen Arztes oder trifft ihn dort bereits an. Die einzelnen Plotstränge werden durch Bull und die Dorfgemeinschaft zusammengehalten, wie die Telefonistin schaltet Ford kunstvoll, aber immer ökonomisch und unaufdringlich zwischen ihnen hin und her. Wie stringent der Film erzählt ist, bemerkt man eigentlich gar nicht, weil immer wieder kleine Nebenepisoden für Ablenkung sorgen. Wunderschön etwa die Szene, in der Dr. Bull das Baby italienischer Immigranten zur Welt bringt. Bitter eine andere, in der er den Tod eines jungen Hausmädchens feststellen muss: Nur subtile Details in den Dialogen und Bulls strafender Blick am Ende lassen erkennen, dass es sich um eine Schwarze gehandelt haben muss, die nicht gerade unter den besten Bedingungen lebte. So entsteht der Handlungsort in knapp 80 Minuten als lebendes Biotop vor dem Zuschauer, eine Miniatur der USA gewissermaßen. Ein Ort, den man lieben und hassen kann und muss, so wunderschön und widerwärtig wie das Leben.