Mit ‘Komödie’ getaggte Beiträge

Der deutsche Pauschaltourist und Spießer ist seit je her eine beliebte Zielscheibe ätzender Satire und Kabarettisten und Gerhard Polt einer derjenigen, die sich auf diesen Typus – laut, dumm, chauvinistisch, bayrisch und plump – spezialisiert hatten. Unvergessen natürlich sein Fernsehsketch um „Mai-ling“, die asiatische Katalogbraut, die stumm und devot im Kimono neben Polts bayrischem Urviech sitzt, der ihren Fleiß und ihren Gehorsam preist, als handele es sich bei ihr um ein besonders folgsames Haustier. Die dreiköpfige Löffler-Familie aus MAN SPRICHT DEUTSH – Papa Erwin (Gerhard Polt), Mama Irmgard (Gisela Schneeberger) und Sohn Heinz Rüdiger (Thomas Geier) – ist deutlich weniger hassenswert angelegt: Polt, der das Drehbuch zusammen mit Regisseur Müller schrieb, hält sich zwar nicht zurück, was das Bloßstellen deutscher Herablassung angeht, aber letzten Endes sind die Löfflers und ihre deutschen Strandnachbarn ja auch Opfer des tristen Mittelklasse-Daseins mit Bild-Zeitung, Pauschalurlaub an italienischen Albtraum-Stränden und dem Mangel an jedweder Bildung und Kultur. Ein bisschen können sie einem auch leid tun, in ihrer Borniertheit, die ihnen die höheren Weihen des Daseins gnadenlos versperrt, auch wenn sie schrecklich dumm und vulgär sind.

MAN SPRICHT DEUTSH hat keine richtige Handlung, keinen Plot nach klassischem Verständnis: Er spielt während der letzten Urlaubsstunden der Löfflers am Strand des italienischen Touri-Ortes, den sie anscheinend jedes Jahr aufs Neue beehren, und läuft in kleinen Vignetten und Gags ab. Die Familienkutsche steht vollgepackt auf dem Parkplatz und muss bewacht werden, schließlich klauen die Italiener wie die Raben. Wie praktisch, dass in Erwins Blickschneise das vollbusige Fräulein Häberle (Isa Haller) liegt. Gleich nebenan hat es sich das Ehepaar Endress (Siegfried Mahler & Elisabeth Welz) aus dem Frankenland gemütlich gemacht und sogar ein paar Flaschen kühles deutsches Pils dabei, schließlich kann man die italienische Plörre nicht trinken. Gemeinsam bestätigt man sich in seinen Vorurteilen, motzt über die Italiener, lauscht Bayern3 im Radio und ärgert sich über die anderen Urlauber, die die eigene Ruhe empfindlich stören. Ein Dr. Wilms (Michael Gahr) hängt die ganze Zeit am Münzfernsprecher des Strandkiosks und versucht verzweifelt, seine Mutter in Deutschland zu erreichen. Sohn Heinz Rüdiger schleppt ständig irgendwelchen Unrat aus dem Meer an und wird von den Eltern gemaßregelt. Zwischendurch fallen Erwin und Irmgard in kleine Tagträume, die von der Flucht aus ihrem armseligen Leben handeln. Dieter Hildebrandt feiert einen Auftritt als neureicher Immobilienhai Eigenbrodt, der Irmgard in ihrem Traum in seine vor Sicherheitsgimmicks und schrillen Alarmanlagen nur so strotzende Traumvilla entführt. Erwin geht hingegen mit der italienischen Schönheit Violetta (Pamela Prati) in ein Luxusrestaurant, wo er sich darüber beschwert, dass es keine Pizza „mit allem“ gibt, sodass er stattdessen Spaghetti Bolognese bestellt, schließlich ist man ja in Italien. In einem anderen Traum verfolgt er den kleinen Straßenjungen, der von Autodieben als Ablenkung eingesetzt wurde, und wird in den Gassen des Städtchens von aufgebrachten Einwohnenern und den Carabinieri gestellt. Als er aufwacht, händigt ihm der Junge den Autoschlüssel aus, den die Löfflers zuvor verloren hatten. Zwischendurch geht es zum Essen ins Strandlokal „Schwarzwald-Grotte“ und weil es der letzte Tag ist, gönnen die Löfflers sich die Meeresfrüchte-Platte, lässt sie aber wieder zurückgehen, weil ein Hummer dann halt doch keine Schweinshaxe ist.

Müllers Film krankt ein bisschen an seiner Episoden- und Kabaretthaftigkeit. Zur Hochform läuft er immer dann auf, wenn er seinen Karikaturen aufs Maul schaut, die ganze Bräsigkeit ihres Urlaubs abbildet und die kleinen Banalitäten so authentisch einfängt, z. B. wie der präpubertär-ungelenke Heinz Rüdiger sein Eis in den Sand fallen lässt, kaum dass er dessen Papierverpackung abgezogen hat, oder wie er mit Teerflecken an der Babyspeckplauze aus dem Wasser stapft. Unvergessen die Momentaufnahme der an der Kamera vorbeitreibenden Kackwurst oder des Klopapierfetzens, der Erwin nach seinem Tauchgang am Rücken klebt. Die Hauptdarsteller sind allesamt großartig und eigentlich wäre es vollkommen ausreichend, einfach nur 80 bis 90 Minuten lang draufzuhalten aufs biedere Deutschsein. Offensichtlich glaubte man aber nicht, dass das ein über die volle Länge tragfähiges Konzept sei, und erdachte den erzählerischen Kniff mit den Traumsequenzen. Diese bringen den Film aber nicht wirklich weiter. Die verbindende Idee hinter ihnen ist der Wunsch seiner Protagonisten, ihrem jämmerlichen Dasein zu entfliehen, doch ihre Fantasie entpuppt sich immer wieder als noch größerer Albtraum. Diese Strategie trägt sicher dazu bei, die Figuren sympathischer zu machen: Sie haben eine Ahnung davon, dass ihr eigenes Leben flach und armselig ist, sie sind noch nicht vollkommen abgestumpft, auch wenn diese Ahnung bisher noch in ihrem Unterbewusstsein schlummert. Aber erzählerisch bringen diese Episoden nichts und sie unterwandern mit ihrem grellen Witz auch den stumpfen Realismus des Films, der seine wahre Stärke ist.

 

Mit BAD BOYS II, Bays fünftem Spielfilm, kehrte er 2003 zu den Helden seines Debüts von 1995 zurück. Das, wenn man bedenkt, wie umstritten und unverwechselbar der Regisseur heute ist, doch vergleichsweise bieder daherkam. Mit BAD BOYS II war Bay hingegen längst bei seinem bis heute allerhöchstens in Nuancen verfeinerten Stil angekommen: Eigentlich hatte er ihn bereits mit dem Zweitlingswerk THE ROCK gefunden. Ob man BAD BOYS II mag oder aber fürchterlich findet, hängt demnach entscheidend davon ab, wie man Bay insgesamt gegenübersteht. Stellt sein bisweilen infantiler und konservativer Humor eine unüberwindliche Hürde dar? Ist man der Meinung, dass Over-the-Top-Gewalt nicht im Gewand munterer Familienunterhaltung präsentiert werden sollte? Findet man die Videoclip-Ästhetik und den überbordenden Materialismus – alles ist teuer, gestylt, glänzt und wird ausgestellt wie in einem Schaufenster – abstoßend? Verursacht einem die mit beachtlicher Konsequenz durchgezogene Einstellungslänge von rund drei Sekunden epileptische Anfälle? Wenn man dazu neigt, den Löwenanteil Fragen mit „Ja“ zu beantworten, dann wird man auch mit BAD BOYS II keine Freude haben.

Ideologisch ist BAD BOYS II ebenfalls nur schwer zu verteidigen: Seine beiden Helden – die Drogencops Mike (Will Smith) und Marcus (Martin Lawrence) aus Miami, sind sich sich in der aus unzähligen Buddy Movies bekannten Hassliebe verbundenen, können sich mit ihrem Bullengehalt rätselhafterweise kiloschwere Goldketten und Armbanduhren, Designer-Sonnenbrillen und -Anzüge, Traumvillen am Wasser und protzige Luxuskarossen leisten. Außerdem legen sie großen Wert darauf, bloß nicht als schwul angesehen zu werden, lösen wahre Zerstörungsorgien aus und ballern russisch-hispanische Klischeeschurken weg, deren Zeichnung mit dem Attribut „problematisch“ noch vorsichtig umschrieben ist, offenbaren sich in der Erziehung ihrer Kinder zudem als autoritäre Vollspießer und im Umgang mit Frauen als ätzende Machos. Der Film liegt diesen beiden Typen aber geradezu ehrfürchtig zu Füßen, präsentiert ihre peinlichen Marotten als herzallerliebst, ihr Verständnis von Recht und Ordnung als vorbildlich, ihre gestrigen Vorstellungen von Geschlechterrollen und Sexualität als wohltuend ehrlich. Das Böse spricht in BAD BOYS II mit russischem oder spanischem Akzent, verdient Geld mit Drogen und Nutten, hat einen Mamakomplex und schmierige Haare, die Guten machen Barbecue im Garten und reden nicht über Erektionsprobleme. Wenn es auf einer Straßenkreuzung zu einer wüsten Schießerei mit Maschinenpistolen kommt, werden Passanten ausschließlich von den Schurken getroffen, bei einer haarsträubenden Verfolgungsjagd, bei der unzählige Autos explodieren oder ineinanderkrachen, gibt es anschließend angeblich keinerlei Opfer zu beklagen. Ehrlicherweise gibt es auch ein paar redneckige Ku-Klux-Klan-Nazis (der Director-Credit wird just in dem Moment eingeblendet, in dem ein Kreuz in Flammen aufgeht), aber die werden als bierbäuchige Tölpel dargestellt. Der geschmacklose Gipfel des Films ist die Verfolgung eines Leichentransports, bei der die leblosen Körper auf die Straße fallen und dann mitleidlos von den Helden überrollt werden. Bay hält immer schön drauf, ist ja auch einfach zu geil. Das alles, wie gesagt, in einer Ästhetik dargeboten, die ihren Dauerständer angesichts all der Gewalt, der gepimpten Oberflächen und der materiellen Statussymbole kaum verbergen kann. BAD BOYS II ist ein rund zweistündiger Propagandaclip für den American Dream.

Ja, und nun kommt der überraschende Plottwist: Denn ich finde diesen auf Hochglanz polierten und getunten Protzboliden, seine hedonistische Zelebrierung materialistischen Spießertums und männlichen Omnipotenzwahns, seine besinnungslose Selbstbesoffenheit und den unverkennbar kompensatorischen Charakter seiner Gewaltausbrüche auf eine perfide Art auch ziemlich geil. Die immer wieder ins Feld geführte Strategie „Hirn aus, und abfahren“ ist aber nicht der richtige Ansatz. BAD BOYS II ist nicht trotzdem geil: Seine vielfältigen Verfehlungen auszublenden, hieße auch, sich den idealen Zugang zu Film zu verbauen. Nein, BAD BOYS II ist deshalb so geil, weil er Gewaltporno, rechtskonservative Law-and-Order-Fantasien, spießigste Wertvorstellungen, Sitcom-Humor, Videoclip- und Marketing-Ästhetik so unverhohlen und schamlos zusammenbringt und dabei den Eindruck kindlicher Unschuld vermittelt.

An den Kinobesuch anno 1998 erinnere ich mich noch genau: Nicht zuletzt weil mein Freund auf dem Weg zum Kino den Seitenspiegel eines parkenden Autos abfuhr und kurz entschlossen Fahrerflucht beging, weil wir sonst den Beginn des Films verpasst hätten. Nicht nett, ziemlich rücksichtslos und asozial sogar, um genau zu sein, aber eigentlich auch der perfekte Prolog für die Sichtung von Gilliams letztem echtem Meisterwerk. (Ich glaube, gekifft haben wir vorher auch noch, aber das kann ich nicht beschwören.) An die Sichtung selbst habe ich keine expliziten Erinnerungen mehr, weiß aber noch, dass wir beide total geflasht waren. FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS war alles, was wir uns von ihm erhofft hatten (ohne viel über ihn zu wissen), er gehörte für einige Jahre zu unseren Lieblingsfilmen und kam demnach desöfteren bei marihuanageschwängerten Filmabenden zum Einsatz. Ich las später noch den Roman, wohnte einer Lesung bei, die Smudo, Martin Semmelrogge und Günter Amendt zusammen hielten, und kaufte das zugehörige Hörbuch, doch dann wurden irgendwann andere Dinge wichtiger. Dass sich mein Verhältnis zu Terry Gilliam in den vergangenen Jahren merklich abgekühlt hat (seine ärgerlichen Meinungsäußerungen könnte ich ihm noch verzeihen, aber leider sind auch seine Filme seit mindestens 15 Jahren zum Weglaufen), hat sicher auch seinen Teil dazu beigetragen, dass ich FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS wahrscheinlich seit gut 20 Jahren nicht mehr gesehen habe. Die zauberhafte Arrow-Edition, die im vergangenen Jahr erschien, war Anlass für eine erneute Sichtung, vor der ich durchaus Respekt hatte: Ich hielt es nicht für gänzlich unmöglich, dass ich den Film heute schrecklich blöd finden würde. (Nennen wir es das Oliver-Stone-Syndrom.) Aber ich kann Entwarnung geben: FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS ist erstaunlich gut gealtert und hat nichts von seiner subversiven Kraft, seinem Witz oder seinem Verstörungspotenzial verloren. Eigentlich ist er mit seiner Vision einer Welt am Abgrund heute sogar wieder ziemlich aktuell. Vielleicht sogar aktueller als damals.

Es spricht für den Film, dass die meisten US-Kritiker ihn damals verrissen: Sie warfen Gilliam vor, dass sein Film keine echte Geschichte erzähle, dass er keinen Sinn ergebe, redundant sei und jeden Spannungsbogen vermissen ließ. Wahr ist, dass die Protagonisten von FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS keine richtige Entwicklung durchmachen, wie man das von Hauptfiguren üblicherweise erwartet. Sie haben auch kein Ziel, das sie verfolgen und am Ende erreichen. Richtig ist auch, dass Gilliams Film keinen klassischen Spannungsaufbau aufweist: Er beginnt in einem Stadium des drogeninduzierten Wahnsinns, in dem andere Filme üblicherweise enden, und er kann dann nur noch graduell zusetzen. Gilliam – der auf ein Drehbuch zurückgriff, das kurz vor Drehbeginn improvisiert werden musste und im Grunde genommen eine slightly abridged version von Hunter S. Thompsons Roman ist – argumentiert nicht, so wie auch Thompson nicht argumentierte. Sein Film läuft nicht auf eine finale Message zu, die logisch aus der Geschichte folgt und die man versteht, wenn man die Reise mitgemacht hat. Er expliziert seine Message am Ende, ja, aber eigentlich ist sie in FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS zu jeder Sekunde offensichtlich. Alles, was die beiden Antihelden in den rund 110 Minuten tun, ist in jedem Augenblick schreiender, hedonistischer, fehlgeleiteter Irrsinn, panische, überstürzte Flucht vor einer hoffnungslos übersteuerten, materialistischen und verrückt gewordenen Welt und krachendes Scheitern mit Anlauf und Ansage. Jeder Augenblick des Films ist eine Kristallisation von Hunter S. Thompsons Weltsicht. Und der Exzess ist gleichermaßen Medium und Message.

Wer den Film wirklich noch nicht gesehen oder den Roman gelesen hat, dem sei gesagt, dass er im Jahr 1971 spielt und von der Reise des Journalisten Raoul Duke aka Hunter S. Thompson (Johnny Depp) und seines Drogenbuddies/Anwalts Dr. Gonzo aka Oscar Zeta Acosta (Benicio del Toro) nach Las Vegas handelt, die beide mit einem Koffer voller Drogen, dem fast forscherischen Ehrgeiz, sie alle auszuprobieren, und der Mission antreten, ein legendäres Autorennen in der Wüste zu covern. Unter dem Einfluss verschiedener Rauschmittel werden die beiden mit der artifziellen Glitzerwelt der Zockermetropole konfrontiert, einer Art hochkonzentrierter, unverschnittener, amoklaufender Version des amerikanischen Traums, und mit einer Menschheit, die sich auch im nüchternen Zustand nicht wesentlich von ihnen unterscheidet. Die beiden verwüsten diverse Hotelzimmer, scheitern mehrfach knapp daran, sich umzubringen, verstören mit ihrer Art so manchen, der ihren Weg kreuzt, verlieren ihr Gedächtnis, prellen die Zeche in diversen Etablissements und kommen am Ende zu dem Schluss, dass der Traum von der Freiheit, der im „Sommer der Liebe“ geträumt wurde, sich längst in einen nie endenden Albtraum verwandelt hat, an dem beide kräftig mitwirken.

FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS gliedert sich in kurze Episoden: die Fahrt durch das „bat country“ der Wüste Nevadas, die Ereignisse rund um das Autorennen, einen Besuch im Circus-Circus (über den Duke/Thompson sagt: „The Circus-Circus is what the whole hep world would be doing Saturday night if the Nazis had won the war. This is the sixth Reich.“), die Begegnung mit der jungen, neurotischen Malerin von Barbra-Streisand-Porträts (Christina Ricci), die Dr. Gonzo möglicherweise sexull missbraucht, und der traurigen Kellnerin eines Diners (Ellen Barkin), der Konfrontation mit einem homosexuellen Cop (Gary Busey) und der Teilnahme an einem Drogenkongress für Polizisten. Passend zum Exzess des Films, der sich sowohl auf formaler Ebene wie auch im entfesselten Spiel der beiden Hauptdarsteller spiegelt, kulminiert FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS in einer Ellipse: Nachdem Duke eine Überdosis Adrenochrom eingenommen hat, wacht er mit einem umgeschnallten Plastik-Krokodilschwanz und einem ins Gesicht getapeten Mikrofon in seiner überschwemmten Suite auf, die aussieht wie eine mit Plüsch überzogene Höllenvision Boschs, von Gonzo keine Spur. Was sich in der Zwischenzeit abgespielt hat, wird nie aufgeklärt. Es ist die Irrationalität des Ganzen, die so schockierend ist, die Vorstellung, dass man im Rausch jede Ratio und Menschlichkeit verlieren könnte. Das Einzige, was das alles noch erträglich macht, sind die grelle Überzeichnung mit der Gilliam die Ereignisse abbildet und die Comicperformance von Depp, der mit seinem souveränen detachment ein wenig an Bugs Bunny erinnert. Es ist eine Phrase, aber hier stimmt sie: Das Lachen bleibt eine mehr als einmal im Halse stecken.

 

 

Der zu Gewaltausbrüchen neigende Bill Caufield (Michael Keaton), der Jesus-Freak Jack McDermott (Peter Boyle), der an einer Zwangsstörung leidende Schizophrene Henry Sikorsky (Christopher Lloyd) und der einfältige Albert Ianuzzi (Stephen Furst) sind allesamt Insassen einer Nervenheilanstalt. Um sie für ihre Therapiefortschritte zu belohnen, nimmt ihr Psychiater Dr. Weitzman (Dennis Boutsikaris) sie auf einen Ausflug mit nach Manhattan. Als er dort jedoch Opfer eines Überfalls wird und ins Koma fällt, sind die vier Verrückten plötzlich auf sich allein gestellt …

Kurz bevor er als Batman in Tim Burtons Verfilmung zu kurzem Superstardom aufstieg, wirkte Michael Keaton in dieser typischen Achtzigerjahre-Komödie mit – ein Genre, dem er schon seinen Durchbruch mit MR. MOM verdankte. THE DREAM TEAM startete in den USA tatsächlich recht erfolgreich, bevor sein Stern an der Kasse unaufhörlich zu sinken begann: Heute ist Zieffs Film nahezu vergessen. Der auf Wikipedia zitierten Kritik von Howard Canby kann ich mich vollumfänglich anschließen. Er schrieb in der New York Times, dass „there’s nothing dreadfully wrong with THE DREAM TEAM, Howard Zieff’s new comedy, except that it’s not funny too much of the time. On those occasions when it is funny, the humor less often prompts laughter than mute appreciation of the talents of the principal performers – Michael Keaton, Christopher Lloyd and Peter Boyle.“ Der Film krankt an seinem viel zu routinierten Script, das krampfhaft bemüht darum ist, alle Plotmechanismen der Eighties-Comedy abzuhaken und darüber vergisst, sein Szenario mit Leben und Esprit zu füllen. Was schade ist, weil die Darsteller, allen voran Lloyd, Keaton und Boyle, wie Canby richtig schreibt, hervorragend aufgelegt sind und besseres Material verdient gehabt hätten.

Anstatt seine komödiantisch eigentlich reizvolle Prämisse – vier Verrückte in einer Stadt, die als Schmelztiegel der Verrückten gilt – weidlich auszureizen, verstrickt sich das Drehbuch in eine müde Krimiposse, wie sie damals anscheinend in keiner Komödie fehlen durfte. Die Suche nach zwei korrupten Cops, die einen Kollegen erschossen und auch die Verletzung des Psychiaters zu verantworten haben, bleibt erwartungsgemäß oberflächlich und kommt über den Status eines leeren Plotvehikels niemals hinaus, dazu wird der Hauptfigur Caufield auch noch eine kaum weniger formelhafte Liebesgeschichte angedichtet, wahrscheinlich weil man der Meinung war, eine Komödie benötige unbedingt eine Romanze. All das interessiert niemanden, raubt aber wertvolle Laufzeit für das, wovon der Film eigentlich handeln sollte. Dass THE DREAM TEAM ein krass unrealistisches, arg simplifizierendes und fast romantisierendes Bild von Geisteskrankheit zeichnet, fällt angesichts dieser Verfehlungen kaum ins Gewicht: Caufield ist eigentlich ein guter Kerl, dessen Aggressionen im Wesentlichen darauf beruhen, dass er den Bullshit der Gesellschaft nicht mitmachen will – er ist ganz deutlich nach dem Vorbild von Nicholsons Charakter aus ONE FLEW OVER THE CUCKOO’S NEST gezeichnet (und Keaton tut sein bestes Nicholsons Manierismen zu emulieren). McDemotts Jesustick ist eine harmlose kleine Marotte im Vergleich zu dem ätzend-kapitalistischen Opportunismus, der bei seiner ehemaligen Tätigkeit als Copywriter einer großen New Yorker Werbeagentur von ihm gefragt war, und Sikorsky muss eigentlich nur mal klarkommen und sich zu seiner Familie bekennen, dann wird das auch schon mit seinen Zwangsstörungen und dem Glauben, er sei ein Arzt. Nur der Simpleton Ianuzzi ist ein hoffnungsloser Fall, was aber okay ist, weil er ja niemandem wehtut mit seinen ständigen Baseball-Analogien. Die Aussage des Films, dass die Irren eigentlich die Normalen sind, ist gewiss fragwürdig, wäre aber vertretbar, wenn das Drehbuch sich die Mühe machte, das richtig herauszuarbeiten, anstatt nur die einfachsten Klischees und Feindbilder zu bemühen: Ärzte sind unmenschlich und lechzen nur danach, großzügig Gehirnwäschen zu verteilen, der Polizeiapparat ist dumm und verbrecherisch (gut, das ist vor dem Hintergrund der aktuellen Nachrichten vielleicht weniger problematisch), die Yuppies, die New York bevölkern, die allerletzten narzisstischen Arschgeigen. Wie sympathisch sind dagegen diese putzigen Sonderlinge, wie liebenswert und orginiell ihre Wahnvorstellungen: Von ihrem Nonkonformismus könnten wir uns alle echt eine Scheibe abschneiden. So einfach ist es leider nicht.

Aber wie gesagt: Man muss sich gar nicht auf das Podest der Ideologiekritik stellen, um an THE DREAM TEAM einiges falsch zu finden. Für eine Komödie – vor allem eine, die das Hohelied des Nonkonformismus und der Individualität singt – ist THE DREAM TEAM viel zu stromlinienförmig und letztlich zu bieder. Es fehlen der Wahnsinn und der Drive – oder auch einfach nur die Gags, bei denen man sich wirklich schütteln muss vor Lachen. Komplettisten und Eighties-Aficionados kann ich trotzdem eine kleine Empfehlung aussprechen: Ich finde es immer wieder schön, diesen Darstellern zu begegnen, Manhattan gibt immer eine gute Kulisse ab und es gibt auch ein paar Marquees zu sehen, die ihre nostalgische Wirkung zumindest bei mir nicht verfehlen.

 

 

CRIMEWAVE ist mir irgendwann in den frühen Neunzigern als Verleihtape unter seinem deutschen Titel DIE KILLER-AKADEMIE für ein paar Mark fuffzich in die Finger geraten. Ich weiß nicht mehr, ob ich die Tatsache, dass es sich um eine echte Kollaboration von Raimi und den Coens handelte, damals wirklich würdigen konnte, aber der Film hat mich schon bei der Erstsichtung total begeistert und eine kleine Liebesaffäre losgetreten, die bis heute angehalten hat. Nur warum sonst kaum jemand diese Liebe teilen wollte oder auch nur von der Existenz des Filmes wusste, war mir immer ein Rätsel, das mit der gestrigen Sichtung der deutschen Bluray und dem darauf enthaltenen Bonusmaterial endlich gelöst wurde.

CRIMEWAVE ist das folgerichtige Ergebnis einer Zusammenarbeit von Raimi – damals mit dem Low-Budget-Überraschungshit THE EVIL DEAD im Gepäck – und seinen Kumpels Joel und Ethan Coen: Sein von Tex-Avery-Cartoons inspirierter, mit Elementen alter Screwball-Comedies verschnittener Humor erinnert stark an spätere Coen-Filme wie etwa RAISING ARIZONA oder THE HUDSUCKER PROXY, die dann mit Raimis expressiver Kameraführung beschleunigt werden. Der Film spielt in einer cartoonesken Kunstwelt, die von überlebensgroßen Stereotypen bevölkert wird den physikalischen Gesetzmäßigkeiten eines Comics unterworfen ist und zweifellos mit reiner Cinephilie zum Leben erweckt wurde. Die Beschreibung „als hätte Alfred Hitchcock eine Episode der ,Drei Stooges‘ inszeniert“, die in einem Interview mit Hauptdarsteller Reed Birney fällt, trifft den Nagel ziemlich auf den Kopf. Vor allem die ausgedehnte Suspense-Szene um den Angriff von Paul L. Smiths grunzendem Killer auf die panische Zeugin lässt an den Altmeister denken zumal Raimis Timing ähnlich filigran ist. Aber es sind die vielen kleinen überdrehten, liebevollen Details, die mir den Film so ans Herz geschweißt haben: das Foto seiner grotesk lachenden Frau, das der hereingelegte Trend (Edward R. Pressman) auf dem Schreibtisch stehen hat; die Pistolenschuss-Soundeffekte, die das affektiert-selbstverliebte Lachen des schmierigen Renardo (Bruce Campbell) untermalen; die Rasierschaum-Grimasse, mit der eine der Nebenfiguren verendet; das hysterische Dauerggigeln, das Brion James seinem Psychokiller schenkt; dieser Moment, in dem der kleine naseweise Junge aus dem Fahrstuhl segelt; und natürlich der grenzenlos liebenswerte Optimismus des einfältigen Protagonisten Victor (Reed Birney), der selbst dann noch vor Freude über seine romantische Errungenschaft (Sheree J. WIlson) strahlt, wenn er mit ihr hunderte von Tellern spülen muss, um die Zeche begleichen zu können. In nur 83 Minuten stopfen Raimi, Coen und Coen so viele Ideen, dass es eigentlich für mehrere Filme reicht.

Warum aber war CRIMEWAVE dann aber gute 20 Jahre lang komplett vergessen, statt ein anerkannter früher Klassiker mittlerweile etablierter Filmemacher? Wie ich gestern erfuhr, markiert CRIMEWAVE ein eher dunkles Kapitel in der Filmografie der Beteiligten: Es war der erste Kontakt der noch unerfahrenen, aber nach dem Erfolg mit EVIL DEAD hochmotivierten Freunde mit Hollywood, den sie mit reichlich Lehrgeld bezahlen mussten. Alles fing damit an, dass Campbell, der als Hauptdarsteller vorgesehen war, vom Studio abgelehnt wurde – obwohl er selbst als Produzent fungierte. Ständige Einmischung erschwerte die Dreharbeiten und dann zögerte sich die Veröffentlichung über ein Jahr hinaus, weil endlose Umschnitte und schließlich gar ein Nachdreh gefordert wurden (die erzählerische Klammer um die bevorstehende Hinrichtung Vics war ursprünglich nicht vorgesehen). Als CRIMEWAVE endlich fertig war, spendierte ihm das Studio einen erwartungsgemäß erfolglosen Ministart, nachdem er dann in den Archiven verschwand. Campbell kann diese Erinnerungen in seinem Interview nicht mehr vom Film trennen, was verständlich ist. Und CRIMEWAVE ist auch nicht so ein innovatives Meisterwerk wie THE EVIL DEAD – im ausgedehnten Showdown treten seine Limitierungen deutlich zu Tage. Trotzdem ist er weitaus mehr als nur ein Missgeschick, aus dem dann Lehren gezogen wurden. CRIMEWAVE ist ein früher Beleg für die absolut eigenständigen Sensibilitäten dreier Filmemacher, die noch von sich Reden machen sollten und schon zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Laufbahn eine eigene Sprache entwickelt hatte. Und der Film zeigt, was man mit wenig Geld erreichen kann, wenn man eine Visio hat.

Es war ruhig hier in den vergangenen zwei Monaten und das wird vermutlich auch noch eine Weile so bleiben. Die Corona-Pandemie und ihre Begleiterscheinungen koinzidierten bei mir mit dem beruflichen Neustart in einem neugegründeten Unternehmen, für Filme blieb kaum Energie und auch keine rechte Lust. Ich habe diverse Serien geschaut oder einige wenige Filme, die ich schon kannte. Über ein paar davon hätte ich unter anderen Umständen auch Texte geschrieben, aber so habe ich mir den Luxus gegönnt, es bleiben zu lassen. Nach über 15 Jahren Schreiben über Filme ist die Luft im Moment raus. Mal sehen, wie sich das entwickelt. Ich schließe im Moment nichts aus, auch nicht das Ende dieses Blogs.

Über PARASITE, den ich im Krefelder Autokino gesehen habe, muss ich aber natürlich schreiben. Als Doppelgewinner der Goldenen Palme und des Oscars für den Besten Film – nicht des Besten ausländischen Films wohlgemerkt, was heftig diskutiert wurde – ist er jetzt schon gewissermaßen „historisch“. Aber nicht nur der kritische Konsens spricht für den Film, auch die Zuschauer scheinen ihn zu lieben, wenn man nur mal das Imdb-Rating betrachtet. Ich war von Anfang an eher skeptisch, zumal ich den ebenfalls weithin gefeierten SNOWPIERCER ziemlich fürchterlich finde. PARASITE, so viel kann ich vorwegnehmen, hat mir zwar besser gefallen, aber das Gefühl der Enttäuschung und Ernüchterung konnte ich dennoch nicht ganz abschütteln. Und eine knappe Woche nach der Sichtung finde ich den Film sogar irgendwie ärgerlich. Er ist gediegener, weniger nerdig und insgesamt ambivalenter als Bong Joon-hos genannter Versuch eines allegorischen Science-Fiction-Actioners, aber am Ende hat er genau dasselbe Kernproblem: Die Gesellschaftskritik des Regisseurs ist reaktionär, unreflektiert, populistisch und, ja, auch unmenschlich.

PARASITE stellt zwei Familien gegenüber und spielt sie gegeneinander aus: auf der einen Seite die armen Kims um Vater Ki Taek (Kang-ho Song), die in einer gammeligen Souterrain-Wohnung leben, in der sie keinen Handyempfang haben, ihr Geld mit dem Falten von Pizza-Kartons verdienen und durch das Wohnzimmerfenster andauernd betrachten müssen, wie Betrunkene gegen ihre Hauswand pissen, auf der anderen die wohlhabenden Parks, deren Vater Geun-se (Myeong-hoon Park) sich von einem Chauffeur zur Arbeit bringen lässt, während die neurotische Mama Yeon Keo (Yeo-jeong Jo) sich zu Hause um das Wohl ihres hochbegabten Söhnchens und der pubertierenden Tochter sorgt. Die beiden Familien kommen zusammen, als Kim-Sprössling Ki Woon (Woo-sik Choi) einen Job als Hauslehrer der Park-Tochter ergattert. Cleveres Kerlchen, das er ist, sieht er bald eine Chance, seine nicht minder gerissene Schwester Ki-jung (So-dam Park) als Kunsttherapeutin für den Sohn zu vermitteln. Mit dem Vater und Mutter Chung Sook (Hye-jin Jang) wird es schwieriger, denn deren potenziellen Stellen als Fahrer und Haushälterin sind bereits besetzt, doch mit List, Tücke und einer guten Portion Rücksichtslosigkeit gelingt es ihnen, die Jobinhaber zu vertreiben. Alles könnte perfekt sein, doch dann klingelt eines Tages die ehemalige Haushälterin Moon Gwang (Jeong-eun Lee) an der Tür: Auch sie hat den Reichtum der Parks missbraucht, indem sie ihren Ehemann in einem den Hausbesitzern unbekannten Luftschutzbunker im Keller einquartiert hat …

Der relativ zurückhaltende schwarze Humor, die Bösartigkeit, mit der die Protagonisten sich nach oben kämpfen, und die Leistungen der Kim-Darsteller verschleiern relativ lang, was dann in seinem einfallslos-blutrünstigen Finale gnadenlos durchbricht: Bong Joon-hos Gesellschafts- oder besser Kapitalismuskritik fußt auf Kurzsichtigkeit und billiger Schwarzweiß-Malerei. Das Handeln der Armen ist per se durch ihre Not legitimiert, egal wie rücksichtslos und selbstsüchtig sie auch sind, Wohlhabende sind per se amoralisch, dekadent und blind für die Nöte der weniger Begüterten. Während die Kims miterleben müssen, wie ihr ganzes Hab und Gut von einem Unwetter weggespült wird und kurzzeitig Quartier in einer Turnhalle beziehen, planen die Parks eine spontane Geburtstagsfeier für das verzogene Söhnchen, für die sie mal eben so ein kleines Vermögen auf den Kopf hauen (Mama Yeon Keo schnattert während des Einkaufs vergnügt am Handy mit einer Freundin). Und freuen sich die Parks anfangs noch über die außergewöhnlich qualifizierten Hausdiener, stören sie sich plötzlich an deren unangenehm muffigem Geruch. Der schwelende Konflikt, in den sich dann noch eine dritte Partei einschaltet, mündet während der erwähnten Feier in eine Gewalteruption, die doppelt einfalls- und hilflos anmutet. Nicht nur, dass es anscheinend nicht mehr möglich ist, einen Film nicht in der totalen Eskalation enden zu lassen, Bong Joon-ho zerstört in dieser Szene auch noch das letzte Fünkchen von Ambivalenz. Konfrontiert mit dem brutalen Mord an der Lehrerin seines Sohnes reagiert Vater Geun-se nicht etwa empathisch, er hat nur das Wohl der eigenen Sippe im Sinn. PARASITE hat keinerlei Vision, er versteht sich nur als Verkünder der bevorstehenden gesellschaftlichen Katastrophe.

Ich finde das schade. Gewiss ist es nicht die Aufgabe eines Filmemachers, die gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit zu lösen. Aber etwas mehr als billige, populistische Arm-gegen-Reich-Polemik dürfte es schon sein, finde ich. Warum sind die Kims, die doch über einige beachtliche Talente verfügen, nicht in der Lage, ihr Können zu monetarisieren? Wer sind die Parks neben ihrer Eigenschaft als „Reiche“? Diese Fragen interessieren Bong Joon-ho überhaupt nicht, weil die Antworten ihm bei seiner Dichotomie in die Quere kämen. PARASITE ist eine agitatorische Blendgranate.

 

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Veröffentlicht: März 20, 2020 in Film
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Weil es hier derzeit nicht so viel zu lesen gibt – ich schaue derzeit vor allem CALIFORNICATION und die zweite Staffel von TRUE DETECTIVE – habe ich mal wieder einen Einkaufstipp. Ich war fleißig in den letzten Wochen und das erste Resultat meiner Arbeit liegt jetzt in den Regalen der Onlinehändler oder der gut sortierten Elektrofachmärkte. Das Nic-Cage-Frühwerk VAMPIRE’S KISS war lange völlig vergessen, bevor es dank diverser GIFs und Clips zum Internetphänomen wurde. Der Film liefert ein ideales Showcase für Cages „Megaacting“, zeigt aber auch, dass es sich hier um weit mehr als simples „Overacting“ handelt. Dank Cages Performance reift dieses Indie-Kleinod um einen psychotischen New Yorker Literaturagenten, der sich plötzlich für einen Vampir hält, zur schwarzhumorigen, kafkaesken Parabel über die Vereinsamung im Spätkapitalismus (die durchaus ihrer Zeit voraus war) heran. Den Film, der in Deutschland lange nicht verfügbar war, gibt es jetzt als hübsches, knallrotes Mediabook mit einem Booklet von yours truly. Viel Spaß damit!

Der Übergang von den Sechzigern- zu den Siebzigerjahren war in Hollywood eine komplizierte Phase. Hat sich auch die Geschichte vom Siegeszug des New Hollywoods etabliert, das die alten Studiobosse mit neuen Ideen und Konzepten auf ihren Stühlen kräftig durchschüttelte und schließlich stürzte, sieht die Wahrheit wie immer etwas weniger romantisch aus. Neben den auch heute noch kultisch verehrten Werken von jungen Gipfelstürmern wie Friedkin, Ashby, Rafelson, Beatty, Hopper oder Altman sowie den ganz neue Aufmerksamkeit erlangenden Veteranen und Mavericks wie Siegel, Peckinpah oder Penn (um mal nur ein paar zu nennen, die mir spontan einfallen), gab es da nämlich nach wie vor die willigen, routinierten Handwerker, die auf Geheiß greiser Produzenten so weitermachten als sei nichts passiert. Abenteuer- und Katastrophenfilme, Romanzen oder Western aus jener Phase sehen heute besonders altbacken aus, nicht zuletzt, weil sie meist mit Stars aufwarteten, die nun neben den neuen Gesichtern noch mehr wie Relikte aus einer vergangenen Zeit wirkten.

CANDY ist ein solcher Film, ohne Zweifel gut gemeint, aber auch hoffnungslos hin- und hergerissen zwischen falsch oder nur halb verstandenden Ideen der damals an Boden gewinnenden Gegenkultur sowie der männlich geprägten Macht- und Machokultur, die Hollywood immer noch dominierte. Betrachtet man den Film – Christian Marquands letzte Regiearbeit, die überhaupt nur zustande kam, weil er Marlon Brando gewinnen konnte und plötzlich alles, was Rang und Namen hatte, sich zur Mitarbeit bereit erklärte -, kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass eine Menge Drogen im Spiel waren. Wahrscheinlich schon in den späten Fünfzigerjahren, als Terry Southern den zugrunde liegenden Roman zusammen mit Mason Hoffenberg in Greenwich Village und in Frankreich verfasste, später dann bei der Adaption durch Buck Henry und vermutlich auch beim Dreh, denn anders ist dieses Tohuwabohu kaum zu erklären, das von der deutschen Synchro auch noch eine dem Zeitgeist entsprechende derbe Spaßsynchro verpasst bekam, die den Film endgültig aus dem Ruder laufen lässt.

CANDY verfolgt das titelgebende kulleräugige, puppenhaft-naive Schulmädchen (Ewa Aulin) durch eine Reihe von Vignetten, die durch eine Art losen Roadmovie- und Coming-of-Age-Plot verbunden sind: Vom exzentrischen alkoholabhängigen Dichter McPhisto (Richard Burton) wird das junge sexuell unerfahrene Mädchen verführt und schließlich vom mexikanischen Gärtner der Familie (Ringo Starr) entjungfert, was das konservative Elternhaus um den Vater (John Astin) in eine existenzielle Krise stürzt. Das Mädchen soll zu Verwandten ausgerechnet nach New York geschickt werden, um sie auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, doch auf dem Weg zum Flughafen tauchen drei motorradfahrenden Hexen auf (darunter Florinda Bolkan), die Schwestern des gefeuerten Gärtners, und es beginnt eine wilde Verfolgungsjagd, die an Bord eines Flugzeugs der amerikanischen Luftwaffe endet. An Bord verliert General Smight (Walter Matthau), der Anführer der Spezialeinheit, die seit sechs Jahren in Wartestellung durch die Luft kreist und nur zum Tanken oder zum Einholen von Proviant landen darf, beim Anblick der jungen Schönen die Beherrschung. Beim folgenden Handgemenge wird Candys Vater schwer verletzt und nach der Notlandung vom Starchirurgen Dr. Krankeit (James Coburn) operiert. Auch der kann seine Libido nicht im Zaum halten. So geht der Film weiter: Weitere Episödchen drehen sich um einen durchgeknallten Regisseur (Enrico Maria Salerno), dessen Film „Gumbo“ zwei Stunden lang Aufnahmen von Suppen aneinanderreiht, einen buckligen Vagabunden (Charles Aznavour), der an Wänden hochlaufen kann, sowie schließlich um einen Guru (Marlon Brando), dessen Ashram sich im Anhänger eines Lkw befindet und der es mit der gepredigten Askese selbst nicht so ernst nimmt.

Alle diese Geschichten laufen darauf hinaus, dass die Männer diverse Vorwände suchen, das Mädchen ins Bett zu zerren, und dank ihrer Sorglosigkeit damit auch meist erfolgreich sind. Es handelt sich bei den Kerlen fast ausnahmslos um Autoritätsfiguren, die ihre Stellung missbrauchen, um sich in das Höschen der jungen Schönen zu mogeln. Das soll satirisch gemeint sein und ist mitunter auch ziemlich amüsant, da die Superstars sich mit Verve in die ihnen auf den Leib geschriebenen Karikaturen hineinwerfen. Allerdings stellen sich in der zweiten Hälfte doch auch einige Ermüdungs- und Erschöpfungserscheinungen ein: Zum einen grenzt das atemlose Tempo des Films an Hysterie, sind alle Figuren so gnadenlos überzeichnet, dass man sich manchmal eine Pause wünscht, zum anderen hat CANDY kein echtes Ziel. Und so stellt sich das Gefühl ein, dass auch diese latente geäußerte Kritik an geilen Männern, die ihre Macht missbrauchen, nur Vorwand für eine wüste Sexkomödie ist, zumal jede sich bietende Gelegenheit genutzt wird, die Reize seiner Hauptdarstellerin ins rechte Licht zu rücken. Man könnte sagen, dass der vordergründig mit jeder Menge Hippie-, Psychedelia- und Gegenkultur-Schnickschnack vollgestopfte Film eigentlich eine Altherrenfantasie bedient – und dabei ziemlich spießig ist. Das spiegelt auch die deutsche Synchro wider, die einerseits Juwelen wie „Ich bin Sozialwissenschaftler, kein Humanist!“ aus dem Hut zaubert, dann aber eher an den Ton von Herrenwitzen erinnert.

Sehr kurios ist auch die deutsche Fassung, die sowohl um die von Douglas Trumbull gefertigte Anfangssequenz erleichtert wurde, als auch das eigentliche Ende an den Anfang verfrachtete und so jede noch in Spurenelementen enthaltene aufklärerische Message ad absurdum führt. Interessant ist der Film trotzdem: Er ist ein schönes Beispiel dafür, wie zur damaligen Zeit auch unter dem strengen Studioregime und der Mitwirkung seriöser Superstars völlig außer Kontrolle geratener Blödsinn entstehen konnte. Das gibt es zwar auch heute dann und wann noch – siehe zuletzt CATS -, aber die Wildheit, Geschmacksverwirrtung und rasende Bizarrie eines CANDY sucht man heute weitestgehend vergebens.

Vor zwei Jahren feierte MANIA, der letzte Film der Nürnberger Hobbyfilmer von Postmortem Productions seine ausverkaufte Weltpremiere beim Morbid Movies. Das damalige Werk hätte inhaltlich eigentlich besser in den Rahmen des 1. Hieb- und Stichfestes gepasst als ZOMBI RITUAL, der neueste Streich des Teams, aber der aus allen Nähten platzende Saal des KommKinos und die enthusiastischen Reaktionen des Publikums auf den Film ließen keinen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung, auch das neueste Opus wieder ins Programm aufzunehmen. ZOMBI RITUAL ist – im Rahmen der Möglichkeiten natürlich – deutlich ambitionierter als der Vorgänger (was sich nicht zuletzt in der längeren Spielzeit niederschlägt), die Effekte sind aufwändiger, die Gags elaborierter. Im Kern funktioniert auch dieser Film aber vor allem deshalb, weil all jene Stärken, die schon den Vorgänger so liebenswert machten, bewahrt wurden.

Die Story dreht sich um ein heidnisches Ritual, mit dem die Toten zum Leben erweckt werden, um ein rätselhaftes Found-Footage-Video, das den Helden des Films zugespielt wird, und am Ende sogar um eine gemeine Erbschwindelei. Letztlich ist sie aber vor allem der Anlass für lustige Schpläddereien Marke Eigenbau, die mit viel Witz, Selbstironie und natürlich der Verneigung vor den beliebten Videoklassikern verbunden werden.

Ich schrieb es damals schon: Gerade der Horror-Amateurfilm krankt oft daran, dass Anspruch und Realität meilenweit auseinanderklaffen und sich der Spaß, den die in den Dreh Involvierten zweifellos hatten, nicht zwangsläufig auch auf Außenstehende überträgt. Die Jungs hinter ZOMBI RITUAL kennen ihre Grenzen aber ganz genau und statt sie notdürftig zu kaschieren, werden sie einfach mitinszeniert. Die Mitwirkenden sind keine echten Schauspieler, sondern einfach nur enthusiastische Kumpels? Kein Problem, wenn man sie einfach so quatschen lässt, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, und ihnen keine literarisch wertvollen Dialogzeilen unterjubelt. So zieht ZOMBI RITUAL seine größten Lacher auch aus der furztrockenen fränkischen Art, mit denen die Publikumslieblinge Roland „Ripper“ Kreißl und Benjamin Herr das absurde Gemetzel quittieren. Was wiederum nicht hieße, dass nicht auch die gescripteten Gags zünden: Sehr schön etwa, wenn die großspurige Behauptung, hinter der unscheinbaren Fassade eines Reihenhauses verberge sich eine Kultstätte der Templer, auch von den Charakteren des Films entsprechend ungläubig quittiert wird. Richtig gut gelungen ist auch der atmosphärische Prolog, der das titelgebende Ritual in ferner mittelalterlicher Vergangenheit zeigt: Ganz ohne Dialoge, nur untermalt vom tollen Score von Sabrina Teleki, entfaltet die Sequenz zum Ende hin tatsächlich eine blasphemische Intensität, die auch den Blackdeathern von Goath, die als Höllenpriester fungieren, gut gemundet haben dürfte. Vielleicht zeigt sich hier sogar ein Weg für die Zukunft der Filmemacher, weg vom Funsplatter und hin zu einer ernsteren, düstereren Spielart des regionalen Low-Budget-Horrors. Ich bin jedenfalls jetzt schon gespannt, wohin die Reise gehen wird und freue mich auf die Weltpremiere in ca. zwei Jahren.

Weitere Informationen und Trailer zum Film sowie die Möglichkeit, BRs, DVDs oder CDs zu bestellen, bietet die Website von Postmortem Productions. Support your local Horrorfilmmakers!

Das Postermotiv illustriert das ungewöhnliche ästhetische wie inhaltliche Konzept annähernd perfekt: Mit einem frühlingshaften Blumenkranz gekrönt, der doch Ausdruck von Lebensfreude und Energie sein sollte, zeigt Protagonistin Dani (Florence Pugh) eine verzerrte Grimasse der Angst, Blut rinnt von ihrer Schläfe hinab. MIDSOMMAR konfrontiert seine US-amerikanische Hauptfiguren mit einer schwedischen Paganisten-Sekte, die in Eintracht und Harmonie leben, die Touristen aber trotzdem bis ins Mark erschrecken.

Der Prolog des Films bildet auch farblich den Kontrapunkt zu der sonnigen Utopie, die möglicherweise ein Albtraum ist: In einer winterlichen nordamerikanischen Stadt bewahrheiten sich Danis allerschlimmste Befürchtungen, als die bipolare Schwester nicht nur sich umbringt, sondern die Eltern gleich mit in den Tod reißt. Danis Freund, der wankelmütige Christian (Jack Reynor), der eigentlich schon mit der Trennung liebäugelt, wird angesichts der Tragödie weich, schließlich kann er seine Freundin in dieser emotional fordernden Situation nicht hängen lassen. Doch die Beziehung existiert zumindest für ihn nur noch auf dem Papier, was sich auch zeigt, als Dani durch Zufall erfährt, dass er mit seinen Studienkumpels für mehrere Wochen zu den Feierlichkeiten der Sommersonnenwende nach Schweden fahren will, in die Heimat des Kommilitonen Pelle (Vilhelm Blomgren), der zu Hause in einer Art Kommune aufwuchs. Sehr zur Begeisterung der Kumpels lässt sich Christian breitschlagen, Dani mitzunehmen. In Schweden offenbart sich dann nicht nur, dass es für das Paar keine gemeinsame Zukunft gibt, sondern auch, dass sich hinter Pelles Kommune eine heidnische Sekte verbirgt, die ihre Ältesten in den Freitod treibt, damit sie als Junge wiedergeboren werden, ihre Propheten aus erzwungener Inzest gewinnt und jeden, der ihr Geheimnis verraten will, umbringt.

MIDSOMMAR orientiert sich thematisch, aber auch dramaturgisch natürlich an Robin Hardys meisterlichem THE WICKER MAN, den er aber noch vertieft. Er teilt mit dem britischen Klassiker die Konfrontation eines Außenseiters mit einem paganistischen Kult sowie den langsamen Wandel von neugierigem Interesse seiner Hauptfiguren über ihre zunehmenende Irritation bis hin zum totalen Entsetzen. Was ihn von Hardys Film unterscheidet, ist zunächst die Charakterisierung seiner Protagonisten: War Edward Woodwards Polizeibeamter Neil Howle im Klassiker noch ein ziemlich unsympathischer, von seiner Autorität und der Unumstößlichkeit seiner puritanischen Ansichten absolut überzeugter Spießer, begegnen die Studenten den schwedischen Paganisten zuerst mit Offenheit und ehrlichem (mitunter wissenschaftlich begründetem) Interesse. Doch dieses Interesse bröckelt, als die Studenten mit den blutigen Seiten des Naturglaubens konfrontiert werden: Dass Menschen ihrem Leben freiwillig ein Ende machen, um als kosmische Energie in der Gemeinschaft aufzugehen, ist für sie einfach nicht nachvollziehbar. Mit der Aufgeschlossenheit ist es danach vorbei und auch die Gastgeber bemerken, dass die Besucher möglicherweise zum Problem werden könnten, woraufhin sie sehr unfreundlich entsorgt werden; bis auf die zunehmend isolierte Dani, die zur Maikönigin avanciert und damit ins Zentrum der Festivitäten der Sommersonnenwende rückt. Zum Finale vollzieht sie die Trennung vom egoistischen Christian: Er wird in ein Bärenfell genäht und mit anderen Opfern rituell verbrannt.

Der Schrecken von MIDSOMMAR liegt keinesfalls in der sozialistischen Ideologie der Paganisten, von denen jeder einzelne sich damit zufrieden gibt, ein vergängliches und ersetzbares Mitglied der Gemeinschaft zu sein, die über jedem singulären Interesse steht. Er entsteht erst in der Konfrontation der Sekte mit den „fremden“ Protagonisten, für die sich das zunächst charmant-volksfesthafte Leben in der Kommune mit dem Freitod der Alten als barbarisch und vorzivilisatorisch entpuppt. Die Frage, die sich stellt: Ist es das wirklich oder ist es nicht einfach nur anders? Die schwedischen Paganisten scheinen glücklich, zufrieden. Es gibt keine Streitigkeiten, keine Missgunst unter ihnen. Die mütterliche Siv (Gunnel Fred) versucht verzweifelt, die Amerikaner zu beschwichtigen, die außer sich sind, nachdem sie dem rituellen Selbstmord der beiden Alten beiwohnen mussten: Es sei ein Freudentag, denn jeder sehne den Tag herbei, an dem er sich für die Gemeinschaft opfern dürfe. Man ist geneigt, ihr zu glauben. Auf der Gegenseite die Protagonistin: Dani, die von einer familiären Tragödie und einem Selbstmord, der eben nichts Befreiendes hatte, zerrissen wird. Christian, ihr Partner, der sich nicht für, aber auch nicht konsequent gegen sie entscheiden mag. Mark (Will Poulter), der typische Stoner, der immer nur Sex im Kopf hat, aber völlig verklemmt agiert. Der akademische Konkurrenzkampf zwischen Josh (William Jackson Harper) und Christian, die nicht miteinander, sondern ausschließlich gegeneinander kämpfen können, weil es ihnen um die Selbstbehauptung geht. MIDSOMMAR lässt nur wenig Zweifel, wer das „bessere“ Leben führt – auch wenn sich das mitunter auf bizarre Überzeugungen gründet, die sich mit unseren christlich geprägten westlichen Werten nur schwer vereinbaren lassen.

Dass Aster keinen klassischen Horrorfilm gedreht hat – der der ebenfalls tolle HEREDITARY zweifellos noch war -, zeigt sich aber nicht nur daran, dass es hier eigentlich keinen Bösewicht gibt: Der Film verzichtet bis auf den bereits erwähnten Prolog auch auf die dunkle Bildsprache sowie weitestgehend auf die grotesken Schocks und Schreckensbilder, die charakteristisch sind für das Genre, stattdessen tauchen Aster und Kameramann Pawel Pogorzelski MIDSOMMAR in sonnendurchflutete, helle Bilder voller Klarheit, die unterstützt werden von wunderbar subtilen CGI, wie etwa dem stetigen Wogen der Wälder, die die Kommune der Paganisten umgeben. MIDSOMMAR bezieht seinen Schrecken nicht aus der Konfrontation mit einem Anderen, das „uns“ an den Kragen will. Wer der „Andere“ ist liegt immer im Auge des Betrachters – und manchmal sind es unsere eigenen vermeintlich zivilisierten Werte und Überzeugungen, die uns eigentlich krank machen.

 

EDIT: Da ich den Text ca. eine Woche nach der Filmsichtung gesehen habe, sind mir ein paar wichtiges Aspekte der Handlung entfallen, die einigen der oben gemachten Punkte widersprechen: Der Konflikt entsteht nicht erst daraus, dass die Amerikaner vom Selbstmordritual schockiert sind. Vielmehr sind sie mit dem Hintergedanken eingeladen worden, einen bedeutenden Platz als Menschenopfer bei den finalen Festivitäten einzunehmen. Die schwedischen Paganisten sind demnach nicht irgendwelche Unbescholtenen, die nur ihre Kommune verteidigen. Trotzdem glaube ich, dass mein Text da oben im Wesentlichen gerecht wird.