Mit ‘Paul L. Smith’ getaggte Beiträge

CRIMEWAVE ist mir irgendwann in den frühen Neunzigern als Verleihtape unter seinem deutschen Titel DIE KILLER-AKADEMIE für ein paar Mark fuffzich in die Finger geraten. Ich weiß nicht mehr, ob ich die Tatsache, dass es sich um eine echte Kollaboration von Raimi und den Coens handelte, damals wirklich würdigen konnte, aber der Film hat mich schon bei der Erstsichtung total begeistert und eine kleine Liebesaffäre losgetreten, die bis heute angehalten hat. Nur warum sonst kaum jemand diese Liebe teilen wollte oder auch nur von der Existenz des Filmes wusste, war mir immer ein Rätsel, das mit der gestrigen Sichtung der deutschen Bluray und dem darauf enthaltenen Bonusmaterial endlich gelöst wurde.

CRIMEWAVE ist das folgerichtige Ergebnis einer Zusammenarbeit von Raimi – damals mit dem Low-Budget-Überraschungshit THE EVIL DEAD im Gepäck – und seinen Kumpels Joel und Ethan Coen: Sein von Tex-Avery-Cartoons inspirierter, mit Elementen alter Screwball-Comedies verschnittener Humor erinnert stark an spätere Coen-Filme wie etwa RAISING ARIZONA oder THE HUDSUCKER PROXY, die dann mit Raimis expressiver Kameraführung beschleunigt werden. Der Film spielt in einer cartoonesken Kunstwelt, die von überlebensgroßen Stereotypen bevölkert wird den physikalischen Gesetzmäßigkeiten eines Comics unterworfen ist und zweifellos mit reiner Cinephilie zum Leben erweckt wurde. Die Beschreibung „als hätte Alfred Hitchcock eine Episode der ,Drei Stooges‘ inszeniert“, die in einem Interview mit Hauptdarsteller Reed Birney fällt, trifft den Nagel ziemlich auf den Kopf. Vor allem die ausgedehnte Suspense-Szene um den Angriff von Paul L. Smiths grunzendem Killer auf die panische Zeugin lässt an den Altmeister denken zumal Raimis Timing ähnlich filigran ist. Aber es sind die vielen kleinen überdrehten, liebevollen Details, die mir den Film so ans Herz geschweißt haben: das Foto seiner grotesk lachenden Frau, das der hereingelegte Trend (Edward R. Pressman) auf dem Schreibtisch stehen hat; die Pistolenschuss-Soundeffekte, die das affektiert-selbstverliebte Lachen des schmierigen Renardo (Bruce Campbell) untermalen; die Rasierschaum-Grimasse, mit der eine der Nebenfiguren verendet; das hysterische Dauerggigeln, das Brion James seinem Psychokiller schenkt; dieser Moment, in dem der kleine naseweise Junge aus dem Fahrstuhl segelt; und natürlich der grenzenlos liebenswerte Optimismus des einfältigen Protagonisten Victor (Reed Birney), der selbst dann noch vor Freude über seine romantische Errungenschaft (Sheree J. WIlson) strahlt, wenn er mit ihr hunderte von Tellern spülen muss, um die Zeche begleichen zu können. In nur 83 Minuten stopfen Raimi, Coen und Coen so viele Ideen, dass es eigentlich für mehrere Filme reicht.

Warum aber war CRIMEWAVE dann aber gute 20 Jahre lang komplett vergessen, statt ein anerkannter früher Klassiker mittlerweile etablierter Filmemacher? Wie ich gestern erfuhr, markiert CRIMEWAVE ein eher dunkles Kapitel in der Filmografie der Beteiligten: Es war der erste Kontakt der noch unerfahrenen, aber nach dem Erfolg mit EVIL DEAD hochmotivierten Freunde mit Hollywood, den sie mit reichlich Lehrgeld bezahlen mussten. Alles fing damit an, dass Campbell, der als Hauptdarsteller vorgesehen war, vom Studio abgelehnt wurde – obwohl er selbst als Produzent fungierte. Ständige Einmischung erschwerte die Dreharbeiten und dann zögerte sich die Veröffentlichung über ein Jahr hinaus, weil endlose Umschnitte und schließlich gar ein Nachdreh gefordert wurden (die erzählerische Klammer um die bevorstehende Hinrichtung Vics war ursprünglich nicht vorgesehen). Als CRIMEWAVE endlich fertig war, spendierte ihm das Studio einen erwartungsgemäß erfolglosen Ministart, nachdem er dann in den Archiven verschwand. Campbell kann diese Erinnerungen in seinem Interview nicht mehr vom Film trennen, was verständlich ist. Und CRIMEWAVE ist auch nicht so ein innovatives Meisterwerk wie THE EVIL DEAD – im ausgedehnten Showdown treten seine Limitierungen deutlich zu Tage. Trotzdem ist er weitaus mehr als nur ein Missgeschick, aus dem dann Lehren gezogen wurden. CRIMEWAVE ist ein früher Beleg für die absolut eigenständigen Sensibilitäten dreier Filmemacher, die noch von sich Reden machen sollten und schon zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Laufbahn eine eigene Sprache entwickelt hatte. Und der Film zeigt, was man mit wenig Geld erreichen kann, wenn man eine Visio hat.

PrintÜber viele Filme wird es gesagt, hier stimmt es: PIECES, wie MIL GRITOS TIENE LA NOCHE auch heißt, ist ein Meisterwerk des schlechten Geschmacks, ein Film, bei dem man an allen Ecken und Enden das Gelächter der Beteiligten zu hören glaubt, der einem aber nie den Gefallen tut, zum offenen Spoof zu verkommen. Ist das alles am Ende des Tage vielleicht gar ernst gemeint?

Nun, wie man diese Frage für sich auch beantworten mag, es spielt für den Genuss des Films keine Rolle. Juan Piquer Simón, dessen Tierhorrorfilm SLUGS ich auch mal wieder sehen müsste, inszenierte seine kettensägenbewehrte Giallo/Slasher-Kreuzung mit viel Chuzpe und dem Selbstbewusstsein des Mannes, der die Magie des Kinos in seinem Rücken weiß. Da werden nondeskripte Bauten aus dem Einzugsbereich Valencias kurzerhand als Bostoner Universität ausgegeben, dunkelhaarige, lockige Südeuropäer als Neuengländer, ungelenke Statisten mittels schlecht sitzender Uniformen aus der Requisite des lokalen Kostümverleihs mehr schlecht als recht in amerikanische Polizeibeamte verwandelt, Linda Day George vom Drehbuch zum ehemaligen Tennisprofi gemacht, obwohl sie kaum einen Ball übers Netz schlagen kann. Aber der Film hat so eine Art an sich, dass man sich gern von ihm verschaukeln lässt.

Die Besetzung ist alles: Der großartige Christopher George, dem man in seinen besten Rollen die Ferkelsfreude ins Gesicht geschrieben sieht, marschiert trotz Schalks im Nacken mit größter Souveränität und Autorität durch den haarsträubend deliriösen Plot. Edmund Purdom hätte wohl auch dann noch die ganze Distinguiertheit des britischen Gentlemans verkörpert, wenn man ihn mit runtergelassenen Hosen im Schweinestall überrascht hätte, was seine Teilnahme hier ganz adäquat beschreibt. Der alte Jess-Franco-Recke Jack Taylor sieht aus, als sei er einem Helge-Schneider-Film entflohen, und gibt den verklemmten Intellektuellen mit bravourösem Understatement – die potenziell idiotische Szene, in der eine dickbrüstige Studentin ihn aus der Defensive locken will, indem sie ihn nach der Lage ihrer „pectorals“ fragt, meistert er mit einer wissenden Zurückhaltung, die man von einem Film um einen geilen Kettensägenmörder nicht unbedingt erwartet. Und Paul L. Smith, der in etlichen Spencer/Hill-Ripoffs die Rolle des dicken Vollbartträgers übernahm, agiert als wandernde Comicfigur, als wähne er sich immer noch am Set von Altmans POPEYE. Keine Ahnung, wie es dem Regisseur gelungen ist, das alles zusammenzuhalten.

In meiner Lieblingsszene wandert die Polizistin Mary Riggs (Linda Day) im Dunkeln allein über den Campus, als sie plötzlich wie aus dem Nichts von einem Bruce-Lee-Verschnitt im Jogginganzug überfallen wird. Es gibt einen kurzen Schlagabtausch, in deren Verlauf sie den Angreifer zu Boden ringen kann, dann tritt schließlich der Student Kendall (Ian Sera) auf den Plan und stoppt den Kampf mit dem Hinweis, dass der Chinese sein „Kung-Fu-Professor“ sei. MIL GRITOS TIENE LA NOCHE ist voll solcher Szenen, auf der anderen Seite lässt er bei seinen zahlreichen überaus heftigen Splattereinlagen nichts anbrennen. Als ich den Film vor rund 20 Jahren zum ersten Mal sah, da war er mir zu schmuddelig und auch zu selbstzweckhaft und ich wurde nicht richtig schlau aus ihm. Auch heute noch fällt es mir schwer, seine Strategie genau zu beschreiben, zu sagen, warum der Film so gut funktioniert, obwohl er haarstäubender Unfug ist. Ich glaube, ich würde MIL GRITOS TIENE LA NOCHE sogar als eine der ganz wenigen wirklich gelungenen Horrorkomödien bezeichnen.

 

Die Schwertmeisterin Red Sonja (Brigitte Nielsen) begibt sich auf den Weg zur Festung der schurkischen Königin Gedren (Sandahl Bergman): Die hatte einst nicht nur Sonjas Familie ermordet, sie ist auch im Besitz eines Steins, mit dessen Hilfe sie die Welt unterjochen will. Der Kämpfer Kalidor (Arnold Schwarzenegger) sowie der kindliche Prinz Tarn (Ernie Reyes jr.) und dessen treuer Diener Falcon (Paul L. Smith) schließen sich ihr an …

Ein Jahr nach CONAN THE DESTROYER drehte Richard Fleischer – wieder für seinen alten Freund Dino De Laurentiis – diesen Barbarenfilm, ebenfalls basierend auf einer allerdings weniger populären Comicserie. Der zum damaligen Zeitpunkt 69 Jahre alte Regisseur wird das später wahrscheinlich bereut haben: Der Film floppte an der Kinokasse, wurde einhellig verrissen, Brigitte Nielsen verlacht und auch heute noch ist man sich weit gehend einig darüber, dass der Film eine einzige Lachnummer ist. So ganz nachvollziehen kann ich das ehrlich gesagt nicht. Klar, RED SONJA ist nicht mehr als harmloses Fantasykino ohne jeden Tiefgang für eher schlichte Gemüter und gehört zudem einem Subgenre an, dessen Höhepunkt CONAN, THE BARBARIAN danach eigentlich nichts mehr hinzuzufügen war, aber das weiß man ja schon, bevor man sich diesen Film anschaut. Man kann ihm Einiges vorwerfen – Nielsens und Schwarzeneggers Schauspielkunst, das mäßig originelle Drehbuch –, aber definitiv nicht, dass er handwerklich schlecht gemacht wäre. Mir hat RED SONJA gestern jedenfalls überraschend gut gefallen: Es gibt ein paar wirklich tolle Bauten und Kulissen zu bewundern, die Kostümbildner haben sich ebenfalls nicht lumpen lassen, prachtvolle Matte Paintings sorgen für Nostalgieschübe, Morricones Score für das Pathos und die große Gefühle, die die Story vermissen lässt, und wenn der Film auch eine durchgehende Dramaturgie und etwas Gewicht vermissen lässt, so sind seine Episoden doch immerhin kurzweilig.

RED SONJA als Fleischer-Film zu betrachten, macht natürlich überhaupt keinen Sinn und man fragt sich schon, ob der zun diesem späten Zeitpunkt seiner Karriere nicht besser beraten gewesen wäre, sich in den Lehnstuhl zurückzuziehen und andere die Arbeit machen zu lassen. Seine beeindruckende Laufbahn hätte sicherlich ein ruhmreicheres Ende verdient gehabt. Lässt man das außen vor, dann kann man mit RED SONJA aber durchaus glücklich werden. Ich finde ihn nicht wesentlich schlechter als Fleischers CONAN-Film.

Eine Gruppe von Models – unter ihnen auch der Produzent Larry (Marjoe Gortner) und die Fotografin Joanna (Nina Van Pallandt) – wird auf dem Weg zu einem Fotoshooting über dem Amazonas von der Armee des Drogenbarons Cesar Santiago (Paul L. Smith) abgeschossen und schließlich in dessen Kerker geworfen. Als sich der Gangsterboss Vito Mastranga (John Vernon), der mit Santiago ins Geschäft kommen will, mit seinem Gefolge einfindet, gelingt den Frauen die Flucht. Ein wilder Kampf entbrennt …

Filme wie dieser treiben mir regelmäßig die Tränen in die Augen: Was waren das für goldene Zeiten, als so etwas noch produziert wurd? In Deutschland! Und dann auch noch im Kino lief! Aufwändiges, buntes, bescheuertes, aber eben auch durchweg knalliges Exploitationkino mit einer Besetzung, die jedem Filmfreund das Klappmesser in der Hose aufgehen lässt. Feiste Action, ohne Anspruch auf Relevanz, aber mit der heiligen Motivation gedreht, den Zuschauern 90 Minuten lang Feuer unter dem Arsch zu machen. Filme, in denen wirklich ein Flugzeug über den Amazonas fliegt, wenn ein Flugzeug über den Amazonas fliegen soll. Filme, in denen wirlich ein Haus in die Luft gejagt wird, wenn ein Haus in die Luft fliegen soll. Filme, in denen einem Mann Holzpflöcke am Körper festgeklebt werden, wenn er von solchen durchbohrt worden sein soll. Filme, in denen ein Pappkopf durchs Bild rollt, wenn jemand enthauptet wurde. Filme, in denen alles das, was man sieht, tatsächlich vor der Kamera umgesetzt und nicht nachträglich per Rechner reingemogelt wurde. Filme, die ihr Herz gewissermaßen am Revers tragen, bei denen man zu jeder Zeit weiß, woran man ist, was man erwarten kann und das dann auch bekommt. Filme, in denen Models Models sind, Drogendealer Drogendealer, und Söldner eben Söldner. Filme, die damit enden, dass die Guten überleben und die Bösen für ihre Untaten ins Gras beißen, und denen das genug ist.

EUER WEG FÜHRT DURCH DIE HÖLLE passt nur bedingt ins WiP-Subgenre, die Kerkereinlagen sind nur kurz, aber im Geiste schließt er an CHAINED HEAT und RED HEAT: UNSCHULDIG HINTER GITTERN perfekt an. Alle drei Filme aus einer Zeit, die ich schmerzhaft vermisse, als Exploitation und Pulp wie dieser sich nicht nur eine genau abgesteckte „Zielgruppe“ von Nerds, sondern an alle Kinogänger richteten und von diesen genauso wenig in eine voretikettierte Schublade gesteckt wurden. Als Filmemacher noch keinen Hehl daraus machten, dass es ihnen nicht um diesen oder jenen moralisch hehren Zweck ging, sondern darum, Geld zu verdienen, aber dann trotzdem kompromisslosere Filme ablieferten als diese rückgratlosen Windeier heute. EUER WEG FÜHRT DURCH DIE HÖLLE ist die volle Breitseite und lebendige Nostalgie für Menschen, die sich noch an jene Tage erinnern, als Filmplakate von GEHEIMCODE WILDGÄNSE die Litfasssäulen zierten. Hier stimmt alles. Sogar der scheußliche Titelsong, dessen kehlkopfkrebskranke Sängerin die Fistelstimme vom damaligen Popsternchen Stefanie von Monaco wie das Organ von Anna Netrebko klingen lässt. Und jetzt: Lasset uns beten.

Man weiß nicht, was das größere Rätsel ist: wie die Entscheider bei Disney und Paramount auf die Idee kommen konnten, ausgerechnet Altman für die Verfilmung des beliebten Comicstrips zu engagieren, einen Regisseur, der sich bis dahin nicht gerade einen Namen mit kassenträchtigen Publikumsschlagern und kindgerechtem Entertainment gemacht hatte. Oder wie es Altman gelang, alle Befürchtungen eines Sellouts zu zerschlagen, mit POPEYE tatsächlich ein jederzeit als Altman-Film erkennbares Werk abzuliefern und noch dazu eines, das nicht bloß als Kuriosität und bizarrer Fehlschlag angesehen werden darf, sondern eines, das aller offenkundiger Mängel zum Trotz tatsächlich als eine der schönsten, eigenständigsten und mutigsten Comicverfilmungen bezeichnet werden muss. Diese Meinung teilt man allerdings nicht mit allzu vielen Menschen: POPEYE ist in der Rezeption weitestgehend als Flop gebrandmarkt, was zumindest in finanzieller Hinsicht schon rein faktisch falsch ist, denn er war seinerzeit durchaus erfolgreich und spielte das Doppelte seines Budgets allein während seiner Kinoveröffentlichung in den USA ein. Allerdings dürfte ein nicht unerheblicher Teil der Zuschauer damals etwas irritiert aus dem Kino gekommen sein, denn was Altman aus der Vorlage gemacht hatte, widersprach der Hoffnung des Publikums auf eine bunte, geradlinige und den etablierten Strukturen des Unterhaltungskinos verhaftete Umsetzung vehement.

Wenn man wollte, dann könnte man so etwas wie eine Plotlinie aus POPEYE herausfiltern, doch ist Altman an dieser viel weniger interessiert als daran, das aus der Zeit gefallene Fantasiestädtchen Sweethaven mit seinen verschrobenen Bewohnern zu einem lebendigen und authentisch wirkenden Eigenleben zu verhelfen, ohne es jedoch lediglich zu „verrealisieren“. Mit seinen windschiefen, chaotisch übereinander getürmten und beinahe organisch aus den Skeletten älterer Bauten und gestrandeter Schiffe errichteten Häusern, die gegen architektonische Paradigmen wie Ökonomie, Effizienz oder Pragmatik krass verstoßen, verfügt POPEYE nicht nur über eine der schönsten Filmkulissen überhaupt, Altman versteht es auch, diese Kulisse als Ausdruck des Innenlebens der Bewohner zu inszenieren und Sweethaven so zur Karikatur auf das moderne Stadtleben zu überhöhen.

Der „Taxman“ (Donald Moffat) erhebt auf jede Tätigkeit sogleich eine Steuer, im Restaurant von Round House (Allan F. Nicholls) gibt es ausschließlich Burger (als Vorsichtsmaßnahme gegen die immer wieder ausbrechenden Schlägereien kann die Kassiererin von der Decke einen Käfig über ihren Arbeitsplatz herabsenken), Bluto fordert nachts mit einem lauten Schrei alle Bewohner dazu auf, ihre Lichter zu löschen, und alle sind so sehr mit ihren hanebüchenen Tätigkeiten beschäftigt, dass sie darüber völlig unempfänglich für die eigenen Bedürfnisse und Gefühle und die ihrer Mitmenschen sind. So schiebt Olive ihre Hochzeit mit Bluto, mit dem sie nur wegen seines Ansehens zusammen ist und über den sie nicht mehr Positives vorbringen kann, als dass er „large“ sei, ständig vor sich her, bis ihr nur noch die Flucht vor ihm bleibt. Kein Wunder, dass Popeye, der von sich selbst nur sagen kann „I am what I am what I am what I am“, frischen Wind in die Stadt bringt. Alle diese Charaktere wirken wie echte Persönlichkeiten, nicht bloß wie zweidimensionale Pappaufsteller, und die Besetzung muss man als phänomenal bezeichnen. Robin Williams kopiert den Comicseemann in seinem Spielfilmdebüt geradezu perfekt, hat mit seinem hingenuschelten Seemannsenglisch voller falsch betonter Wörter eine zitierwürdige Zeile nach der anderen (mein Favorit: „I’m no doctor but I’m losing my patience.“) und außerdem traumhafte Gummiunterarme und -waden. Paul L. Smith, der in den Siebzigern gern als Bud-Spencer-Klon besetzt wurde (und später in Raimis göttlichem CRIME WAVE mitspielte) ist perfekt als Bluto und dasselbe gilt für Paul Dooley als burgersüchtiger Wimpy. Im Zentrum steht aber eindeutig Shelley Duvall, die für die Rolle der Olive Oyl wohl geboren wurde und ohne die man sich den Film gar nicht vorstellen mag. Wie sie die Bewegungslegasthenie ihres Comicvorbilds kopiert, ihre Beine ineinander verheddert und mit ihrer fragilen wie durchdringenden Stimme „He needs me“ singt, ist herzerweichend. Man merkt, dass Altman die Vorlage ganz genau studiert hat und sie deshalb bis ins Detail perfekt in Spielfilmbilder übersetzen konnte. (Wer allen Ernstes kritisiert, dass die Schauspieler schlecht sängen, hat tatsächlich den Witz nicht verstanden.)

Dass POPEYE trotzdem nicht ausschließlich positiv aufgenommen wurde, liegt wiederum ebenfalls an Altman: An ausuferndem Klamauk ist er ebenso wenig interessiert wie an den Balgereien, die in den Comics meist im Vordergrund standen. Die kurzen Schlägereien des Films muten undynamisch und wie ein Zugeständnis an die Erwartungen des Publikums an, genauso wie der sich erst im letzten Drittel in den Vordergrund drängende Plot, dessen Verlauf weitaus weniger interessant ist als das geschäftig-ziellose Treiben auf den Straßen Sweethavens. Altman ist einfach kein Actionregisseur, weil er sich für Bewegung nur soweit interessiert, wie sie etwas über den Charakter verrät: Deswegen ist sie in POPEYE auch meist als Tanz an die von Hardy Nilsson geschriebenen Musicalnummern gekoppelt. Bewegung als Selbstzweck, das Aufgehen in der Aktion, das ein Sich-Verlieren im Hier und Jetzt ist, hingegen sind seine Sache nicht. So stellt sich gerade in den slapstickartigen Actionszenen ein Gefühl der Distanz ein: Man spürt als Zuschauer, dass Altman mit diesen Szenen nichts anzufangen wusste, sie ihn nicht interessierten. Da sitzen Schnitte nicht richtig, Bewegungsabläufe scheinen unnatürlich und forciert und visuelle Pointen versanden wirkungslos, weil sie schlecht getimt sind. Der Finalkampf gegen Bluto schließlich ist nicht weniger als antiklimaktisch. Aber nirgendwo sonst tritt das Desinteresse Altmans an der Schlagkraft seiner Hauptfigur so deutlich hervor, wie in seinem Verzicht auf das zentrale Erzählelement der Comics: Als ganz zum Schluss endlich die Dose Spinat geöffnet wird, die Popeye seine Kraft verleiht, wirkt das wie eine Niederlage Altmans.

Doch auch wenn POPEYE also letztlich vor allem als Ergebnis eines verlorenen Kampfes Altmans mit sich selbst betrachtet werden kann, sein Film demzufolge alles andere als eine runde Sache, sondern in sich unschlüssig und zerrissen ist, so ändert das nichts an meiner Zuneigung für ihn. Die ist mit dieser Zweitsichtung noch gestiegen: Vielleicht auch, weil ich die verwinkelten Gässchen Sweethavens, das sein Dasein heute unter dem Namen „Popeye Village“ als etwas maroder (und überteuerter) Vergnügungspark auf Malta fristet, wo der Film gedreht wurde, selbst schon durchschreiten durfte und bei Betrachtung des Films demnach das schöne Gefühl hatte, diesen Ort – und mit ihm seine Bewohner – tatsächlich zu kennen.