Archiv für Juli, 2020

Das wäre mal ein interessantes Thema für ein Buch: „Filme, die grotesk irreführend vermarktet wurden“. THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA dürfte darin einen prominenten Platz einnehmen, zumal diese Vermarktung auch noch funktioniert hat, wenn auch anders, als von den Machern wahrscheinlich intendiert: In Großbritannien landete der Titel auf der Liste der berüchtigten „Video Nasties“ – und das, obwohl er sich zwischen prominenten Kollegen wie Fulcis ZOMBI 2, ANTHROPOPHAGUS, CANNIBAL HOLOCAUST, I SPIT ON YOUR GRAVE oder Sadiconazista wie LA BESTIA IN CALORE ausnehmen musste wie ein empfindliches, fragiles Pflänzchen. Was dachte der eingefleischte Gorebauer wohl, als er THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA zu Dosenbier und den Kartoffelchips verköstigte, eine sensenschwingende Amazone erwartete, die Männern die Köpfe vom Leib schnitt, stattdessen aber mit einem ruhigen, zärtlichen Psychogramm über sexuellen Missbrauch und schwerste Traumatisierung konfrontiert wurde?

Fulci-Experte Stephen Thrower stellt den Irrtum richtig und beschreibt den Film in seiner kleinen Einführung auf der Arrow-Bluray als „nicht plot-getriebenes“, „enigmatisches“, „elliptisches“ und „traumgleiches“ Charakterdrama. Was meines Erachtens aber auch nicht ganz präzise ist, denn THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA ist in seiner Bildwelt eigentlich erdrückend profan. Gedreht wurde am Strand von Malibu, in Santa Monica und am Venice Beach, aber statt von kalifornischer Sonne beschienen zu werden, durchzieht den Film ein diesiger, herbstlich-grauer Dunst. Die Settings sind eng, dunkel, staubig und unaufgeräumt. Die Mordszenen sind beinahe antiklimaktisch inszeniert. Die Charakteristika, welche man für gewöhnlich mit Filmen assoziiert, die auf dem schmalen Grat zwischen Realität und Wahnsinn wandeln – Surrealismus, grelle Effekte, filmische Verfremdungstechniken – sind hier nahezu vollständig abwesend. Trotzdem trifft Thrower den Nagel mit seiner Diagnose auf den Kopf, was beweist, wie geschickt Cimbers Inszenierung ist, wie sensibel Robert Thoms Script und wie subtil Dean Cundeys Fotografie. Auch wenn THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA nie ganz abtaucht in die Seelen- und Gedankenwelten seiner Protagonistin, ist er dennoch voll und ganz von ihrer Disposition ergriffen. Er hat einen eigenen Rhythmus, eine eigene Sensibilität, eine eigene Sprache. Es ist schwer, zu erklären, was es ist, was den Film so einzigartig macht. Aber das Gefühl ist da.

Molly (Millie Perkins) ist eine mittelalte, attraktive und sympathische Frau, die sich als Kellnerin über Wasser hält, diverse flüchtige Liebschaften hat, unter anderem mit Long John (Lonny Chapman), dem Wirt der Kneipe, in der sie arbeitet, den beiden jungen Söhnen ihrer Schwester Cathy (Vanessa Brown) verklärende Geschichten iüber den angeblich auf See verschollenen Vater erzählt – und nebenbei ein Alkoholproblem kultiviert. Schon früh zeichnet sich ab, dass mit ihr etwas nicht stimmt: Cathy teilt die liebevolle Erinnerung Mollys an den gemeinsamen Vater überhaupt nicht, bezeichnet ihn als Schwein und scheint etwas über ihre Schwester zu wissen, was diese selbst verdrängt hat. Die Flucht in die Scheinwelt des Fernsehprogramms gründet für Molly auf weit mehr als auf dem Wunsch nach Ablenkung von einem tristen Alltag – und es dauert nicht lange, da offenbart sich ihre tiefe seelische Zerrüttung und das schreckliche Geheimnis ihrer Vergangenheit.

Inhaltlich fügt sich THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA nahtlos in das Genre des Serienmörderfilms als Psychogramm, aber seine Herangehensweise ist doch eine ganz eigene. Weder betrachtet Cimber seine Protagonistin mit der nüchternen Distanz eines Wissenschaftlers, noch macht er sich ihre Sicht auf die Welt ganz zu eigen. Seine Perspektive ist vielmehr von Empathie, Menschlichkeit und dem Wunsch, zu verstehen, geprägt. Seine Mörderin – Opfer väterlichen sexuellen Missbrauchs – ist kein blutgieriges Monster, aber durchaus ein Rätsel, nicht zuletzt für sich selbst. Wenn Molly zur Mörderin wird, sie sich für die erlittenen Verletzungen an den Männern rächt, ist sie ein anderer Mensch: An ihre Taten hat sie danach keine Erinnerung mehr, es ist, als erwache sie aus traumlosem Schlaf. In ihrem „normalen“ Leben ist sie hingegen zärtlich, mitfühlend, liebevoll – vielleicht ein bisschen zu in sich gekehrt, zu sorglos, zu zufrieden mit einem Leben, in dem eigentlich fast nichts stimmt. Diese Kluft durchmisst der Film auch stilistisch: Cimber lässt seine Charaktere keinen „authentischen“, aus dem Leben gegriffenen Smalltalk führen: Die Dialoge sind sehr geschrieben, poetisch mitunter und sie sorgen im Verbund mit Cundeys Bildern dafür, dass THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA wie durch einen Nebel zu einem spricht. Der Film ist enigmatisch, wie Thrower sagt, aber vor allem deshalb, weil er trotz aller bildlichen Klarheit seltsam entrückt scheint. Wie eine Erinnerung, von der man nicht genau weiß, ob sie nicht doch nur ein Traumfragment ist.

Das Script schrieb Robert Thom, der damalige Ehemann von Hauptdarstellerin Millie Perkins aus akuter Geldnot und griff dafür auf (auto)biografische Details aus seiner und Perkins‘ Familie zurück. Aus seiner feder stammen auch die Drehbücher zu Paul Bartels DEATH RACE 2000, Roger Cormans BLOODY MAMA und Robert Aldrichs superbizarrem THE LEGEND OF LYLAH CLARE, was in der Schnittmenge tatsächlich einen guten Eindruck von THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA vermittelt. Millie Perkins‘ Filmkarriere wiederum begann 1959 im Alter von 21 Jahren mit der Hauptrolle in George Stevens‘ THE DIARY OF ANNE FRANK, die sie ohne jede Schauspielausbildung ergatterte. Man prophezeite ihr eine große Karriere, doch das Studiosystem war nicht das rechte Umfeld für sie: Sie fiel in Ungnade und landete schnell bei B-Film und Fernsehen. Sie lebt immer noch und ist mittlerweile 82 Jahre alt. Matt Cimbers claim to fame ist zum einen die Tatsache, dass er der letzte Ehemann von Jayne Mansfield war, zum anderen der Skandalfilm BUTTERFLY, eine Verfilmung von James M. Cains gleichnamigem Hardboiled-Roman, in dem die damals bereits fast 30-jährige Sängerin Pia Zadora ein minderjähriges Mädchen spielt, das ein Verhältnis mit seinem Vater (Stacy Keach) beginnt. Der Film wurde von der Kritik einhellig verrissen und großzügig mit Raspberry Awards und Nominierungen in allen wichtigen Kategorien bedacht. Seine Filmografie, die auch die Blaxploiter THE BLACK SIX, LADY COCOA und THE CANDY TANGERINE MAN, den Barbarinnen-Film HUNDRA umfasst, klingt demnach ziemlich spannend. THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA ist in jedem Fall ein Ausnahmewerk, das in einer gerechten Welt als Klassiker in einem Atemzug mit Titel wie REPULSION, PSYCHO oder THE COLLECTOR genannt werden würde, um jetzt nur mal drei naheliegende Referenztitel zu nennen.

 

 

 

Der zweite Teil von Stieg Larssons Millennium-Trilogie nimmt im Gesamtkonstrukt eine ähnliche Rolle ein wie THE EMPIRE STRIKES BACK in George Lucas‘ STAR WARS-Trilogie: Beide malen den menschlichen Background ihrer Hauptfigur aus, beide warten dazu mit einer überraschenden Enthüllung auf und beide enden mit einem krassen Cliffhanger.

Nachdem der Journalist Mikael Blomqvist (Michael Nyqvist) in MÄN SOM HATAR KVINNOR die verstörte, eigenbrötlerische, aber brillante Hackerin und Researcherin Lisbeth Salander (Noomi Rapace) in der Ermittlung zu einem spektakulären Serienmordfall kennengelernt hatte, wird die junge Frau in der in Deutschland unter dem Titel VERDAMMNIS erschienenen Fortsetzung selbst zum Gegenstand eines Kriminalfalls, als sie wegen dreifachen Mordes verdächtigt und gesucht wird. Um ihre Unschuld zu beweisen, muss Blomqvist erst das Geheimnis ihrer Vergangenheit aufklären. Wie im Vorgänger stößt er dabei auf skurpellose Männerbünde und dubiose politische Machenschaften, deren Opfer erneut die Frauen sind: Lisbeth Salander zum einen, minderjährige zwangsprostituierte Immigrantinnen aus dem Ostblock zum anderen. Larsson verbindet im zugrunde liegenden Roman Elemente des Krimis, des Serienmörder- und Horrorfilms sowie des Psycho- und Politthrillers und zieht – wie bereits im Vorgänger – mit der geschickten Verflechtung der verschiedenen Handlungsstränge sowie dem ständigen Perspektivwechsel zwischen den handelnden Personen, vor allem natürlich zwischen den getrennten Verbündeten Mikael und Lisbeth, in Bann.

In der Verfilmung von Daniel Alfredson gelingt die Übertragung diesmal leider deutlich weniger gut als noch im ersten Teil. Vor allem der Aufbau wirkt überhastet und holprig: Während die Romanvorlage epischen Drive entwickelt und die Ahnung historischer, schicksalsträchtiger, tragischer Tiefe langsam einsinken lässt, gerät der Stoff in Alfredsons Händen zur wüsten Räuberpistole, die eine sorgfältige Konstruktion über weite Strecken gänzlich vermissen lässt. Das Hauptproblem des Films offenbart sich schon, wenn man sich anschaut, wie sich die beiden Teile des Director’s Cuts zum Buch verhalten: Teil 1 deckt die ersten rund 500 Seiten ab, Teil 2 die letzten 250. Kein Wunder, dass FLICKAN SOM LEKTE MED ELDEN „hinten raus“ deutlich an Klasse gewinnt, die erste Hälfte hingegen den Eindruck macht, die Produzenten hätten ständig zur Eile gemahnt. Der Tiefpunkt ist gewiss der Kampf zwischen dem Boxer Paolo Roberto (Paolo Roberto) und einem hünenhaften Killer, im Buch ein dramatisches Highlight: Alfredson lässt jedes Gefühl für Action, Kinetik und Drive vermissen, das die Szene gebraucht hätte, stattdessen wirkt sie billig, unbeholfen und mit ihren fehlgeleiteten Wisch- und Slomo-Effekten zudem ästhetisch hässlich. Für die Größe, die Larsson ohne Zweifel anstrebte, fehlten offensichtlich die Mittel. Das zeigt sich auch im Verzicht auf die Verfilmung des fulminanten Prologs des Buches, der schon beim Lesen aufwändig produzierte Filmbilder vor dem geistigen Auge vorüberziehen ließ und Larssons Ambitionen ziemlich deutlich machte. So muss man sagen: Gottseidank, dass die Produzenten die Finger davon gelassen haben.

Zur Ehrenrettung Alfredsons muss ich allerdings einräumen, dass Larssons Roman weit weniger dankbar zu verfilmen war als dessen Vorgänger. Oplev, Regisseur von MÄN SOM HATAR KVINNOR, profitierte auch davon, dass die Vorlage eine (mehr oder weniger) abgeschlossene Geschichte erzählte, die auch räumlich mit der Verortung auf einer winterlichen schwedischen Insel klar umrissen und stimmungsvoll zu bebildern war. FLICKAN SOM LEKTE MED ELDEN kann nicht allein für sich stehen und die Handlungsfäden, die er aufgreift und weiterspinnen muss, sind weit weniger klar voneinander abgegrenzt. Dazu kommt, dass die beiden Protagonisten, deren Freundschaft im Vorgänger das menschliche Zentrum bildete, nun getrennt voneinander kämpfen müssen. Das Buch bezieht seine Spannung im Wesentlichen daraus, dass es ganz langsam auf die Enthüllung hinarbeitet, während es die Schlinge um den Hals seiner Protagonistin kontinuierlich enger zieht. Larsson spielt sehr geschickt mit der Ökonomie der Informationsweitergabe. Um das filmisch adäquat umzusetzen, hätte es eines Scripts bedurft, dass nicht verzweifelt versucht, möglichst viel aus dem Buch in den Film zu retten, stattdessen stärker aussortiert und dafür die Zügel fester im Griff behält. Gerade im Bedürfnis, die Fans des Buches mit einer „originalgetreuen“ Adaption zu erfreuen, hat man den Bestseller seiner größten Stärke beraubt.

 

Wie die Millennium-Trilogie („Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“) von Stieg Larsson zum Kulturphänomen geworden ist, habe ich nicht mitbekommen. Ich erinnere mich an eine großformatige Werbeanzeige im Programmheft des Fantasy Filmfests, als die Verfilmungen erschienen, und war erst einmal skeptisch. Ich habe mich nie wirklich dafür interessiert, was sich hinter den Beststellern und den Bildern des gepiercten Emo-Mädels verbarg, vermutlich weil ich irgendeinen halbgaren Hype dahinter vermutete. Und ich weiß auch nicht, was mich letztlich dazu bewog, mir doch alle drei Romane zu kaufen – außer der Tatsache, dass ich irgendeinen leichten, spannenden Lesestoff als Urlaubslektüre brauchte und Lust auf einen Thriller hatte. „Verblendung“, der erste Band, lief dann zu meiner Überraschung rein wie nix. Längst keine selbstverständlichkeit, denn mit Romanen habe ich mich in den letzten zehn Jahren mehr als schwer getan, eigentlich fast nur noch Sachbücher und Biografien gelesen. Während des Lesens wuchs auch das Bedürfnis, den Filmen eine Chance zu geben: tatsächlich aus diesem recht einfachen Impuls heraus, zu sehen, wie Larssons Ideen (die schon in den Romanen so wirken, als habe er eine Verfilmung im Kopf gehabt) in Bilder umgesetzt worden waren. Hatte Regisseur Oplev das so hinbekommen, wie ich es mir beim Lesen ausgemalt hatte? Würde der im Director’s Cut immerhin dreistündige Film der ausladenden Struktur des 750-Seiten-Wälzers gerecht werden? Ich weiß gar nicht, wann mich solche Fragen zum letzten Mal beschäftigt hatten.

MÄN SOM HATAR KVINNOR wird der schwierigen Aufgabe gerecht – begnügt sich aber auch damit, das Buch unfallfrei ins Medium „Film“ zu übersetzen. Erwartungsgemäß ist der Film etwas straffer und etwas weniger elegant konstruiert und Oplev macht es sich bei der visuellen Gestaltung ziemlich leicht: Er bedient sich einer monochromen, kalten Optik, die zu Larssons von gewalttätigen Machtmännern, geknechteten Frauen und über Generationen gewachsenen oppressiven Strukturen bestimmten Welt wie auch zum skandinavischen Winter passt, und die – welch Zufall – seit Demmes THE SILENCE OF THE LAMBS der Standard für nihilistische oder zumindest pessimistische Serienmord- und Profiler-Thriller ist. Wer das Buch mochte, keine Zeit hat, es noch einmal zu lesen, und eine griffige visuelle Zusammenfassung braucht, ist mit der Adaption also gut bedient. Noomi Rapace, für die der Film Sprungbrett zu einer internationalen Karriere war, verleiht der verstörten, eigenbrötlerischen Goth-Hackerin ein einprägsames Gesicht und eine Körpersprache, in der man die zurückliegenden, noch verborgenen Peinigungen erahnt. Und es gelingt ihr auch, den „Freak“ atraktiv zu machen, ohne dass seine Ecken und Kanten abgeschliffen würden. Wer von einer Literaturverfilmung allerdings erwartet, dass sie einen eigenen Ansatz zur Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Stoff findet, den wird MÄN SOM HATAR KVINNOR eher nicht vom Stuhl hauen. Ich hätte mir ein bisschen mehr stilistischen Eigensinn gewünscht, vielleicht auch den Mut, von der erfolgreichen Vorlage ein Stück abzuweichen und eigene Wege zu gehen, aber vielleicht ist es auch einfach unrealistisch anzunehmen, dass die (vom deutschen ZDF mitfinanzierte) europäische Verfilmung eines Bestsellers, der vom Teenie bis zur Hausfrau auf Millionen von Nachttischen lag, mit künstlerischem Wagemut auftrumpfen würde.

Ich weiß nicht, ob die Verachtung, die vom Slant Magazine über dem Film (und en passant auch über Larssons Bücher) ausgekippt wurde, repräsentativ für die „intellektuelle“ Rezeption war, aber sie kommt für mich nicht ganz überraschend. Larssons Bücher sind sicherlich „Reißer“, die auf einige gut angehangene Exploitation-Motive zurückgreifen und sie zu einer makabren Mordgeschichte zusammenrühren. Erfolgreiche Männer mit aktivem Sexleben, Altnazis, berechnende Wirtschaftsverbrecher, schmierige, onkelhafte Vergewaltiger, perverse Frauenmörder, Judenhass und religiöse Verblendung  sowie mittendrin eine traumatisierte, bisexuelle Femme fatale mit Missbrauchsvergangenheit aber nichtsdestotrotz großem sexuellen Appetit:  Das ist nicht unbedingt eine subtile Mischung und Larsson (sowie sein Nachfolger Oplev) weiß zwar, wie er diese saftigen Elemente effektreich in eine bis zum Schluss spannende Geschichte integriert (bzw. diese aus ihnen heraus konstruiert), aber er kann auch nicht ganz verbergen, dass er ein Kerl ist. Die ausladende Geste, mit der die epische Kriminalgeschichte erzählt wird, kann die ihr inhärente Schmierigkeit und Sensationslust nicht vollständig verbergen. Im Film, der seinen Zuschauern die Aufgabe abnimmt, die Schöpfung des Autors selbst in Bilder zu kleiden, tritt dieser Sensationalismus erwartungsgemäß stärker in den Vordergrund. Alles wirkt gegenüber dem Fluch flacher, greller und, ja, auch irgendwie auf etwas unangenehme Art geiler. Wahrscheinlich ist es unvermeidlich, dass eine Seite wie Slant davon massiv getriggert wird und zu einer Tirade über „misogynistischen Trash“ ansetzt. Ich nehme es dem verstorbenen Autor Larsson voll und ganz ab, dass es ihm ernst war mit seiner Thematisierung der langen Geschichte gesellschaftlich geduldeter männlicher Gewalt gegen Frauen. Er wählte dafür aber das Sujet des massentauglichen Reißers, anstatt eine spitzfindige Anklage zu formulieren, die zwar auf die Zustimmung des intellektuellen Feuilletons gestoßen, aber leider von sonst niemandem gelesen worden wäre. Seine Lisbeth Salander ist vielleicht der Fantasie eines „weißen alten Mannes“ entsprungen, aber immerhin erdachte der eine Frau, die sich zu wehren weiß und sich nicht über die Zugehörigkeit zu einem edlen Ritter definiert. (Zum Vorwurf der Küchenpsychologie: Ich bezweifle, dass die Slant-Redaktion ihre Redakteure durch ein Psychologie-Studium schickt.) Ich finde es jedenfalls immer wieder überraschend, wie das Attribut „trashig“ mal als Lob, dann wieder als Abkanzelung verwendet wird. Wahrscheinlich liegt der Fehler von Larssons Buch und von Oplevs Verfilmung tatsächlich eher darin, dass sie ein Stück zu seriös, zu psychologisierend und eben nicht „trashig“ genug sind. Egal. Mir hat „Verblendung“ ausgezeichnet gefallen. Und der Film ist auch okay.