Archiv für März, 2016

Taxi-Girl-film-images-679ca646-c156-4bb6-80ca-fdfb6ea31adHach, wie wunderbar, wenn man nach dem Abstecher in fremde Gefilde – mein Ausflug ins japanische Kino – mit  liebevoll geöffneten Armen und dem weich wogenden Busen der göttlichen Edwige Fenech empfangen wird. TAXI GIRL, einer von Tarantinis vielen Beiträgen zur Commedia sexy all’Italiana, war nach den doch sehr fordernden Filmen von Nakagawa, Wakamatsu, Ishii, Suzuki und Oshima genau das Richtige, eine wunderbar spritzige, leichtfüßige, freundliche und lebensfrohe Übung in absolut folgenloser Albernheit, und nebenbei einer der bislang besten Filme aus diesem unüberschaubaren – und in seinen deutsch synchronisierten Inkarnationen manchmal starke Nerven erfordernden – Genres. 1977 entstanden und mithin ein eher später Vertreter der Commedia sexy, hat TAXI GIRL den nicht zu unterschätzenden Vorteil, auf ein bereits fest etabliertes Ensemble aus Darstellern und ihren jeweiligen Personae zurückgreifen zu können. Als Zuschauer kann man sich entspannt zurücklehnen und dem freien Fluss kurzweiliger Episödchen hingeben, die um Edwige Fenechs titelgebende Taxifahrerin Marcella kreisen.

Natürlich ist Marcella der fleischgewordene Liebestraum sämtlicher Kollegen (darunter der unvergleichliche Alvaro Vitali wieder einmal als gutmütiger Pechvogel vom Dienst) sowie des Hallodris Ramon (George Hilton), eines rückgratlosen Playboys mit Minipli-Frisur und herrischer Ehefrau, die von seinen Irrwegen alles andere als begeistert und noch dazu ausgesprochen wehrhaft ist, sowie des tölpelhaften Polizisten Walter (Michele Gammino), der alle ihm zur Verfügung stehende Beamtenmacht mobilisiert, um Marcella auf sich aufmerksam zu machen. Außerdem erweckt sie im Verlauf des Films noch das Interesse des Ölscheichs Abdul Lala (Franco Diogene), dem sie jedoch kurzerhand einen Laufpass gibt, weil sie nicht Teil seines Harems sein möchte, sowie des Mafiabosses Adonis (Aldo Maccione), bei dessen Festsetzung sie Kommissar Angelini (Enzo Cannavale) helfen soll. Dann gibt es da noch Walters depperten Kollegen Isidoro (herrlich blöd, wie immer: Gianfranco D’Angelo), der gern wie Tomas Milian oder Franco Nero wäre, beiden aber nur einmal wirklich nahe kommt, nämlich als er bei einem Motorradunfall mit dem Kopf durch ein Plakat von Milians SQUADRA ANTISCIPPO kracht, und natürlich Marcellas Eltern, die insgeheim davon träumen, dass endlich der Richtige für die Tochter kommt, ein gutverdienender, ehrbarer Bürger, damit sie ihren Job an Nagel hängen und sich dem Kinderkriegen und Haushaltführen widmen kann. Worauf Marcella, selbstständig Frau, die sie ist, natürlich rein gar keine Lust hat.

TAXI GIRL ist berückend und entzückend in seiner burlesken Antilogik: Gleich zu Beginn wird Marcella Zeuge eines Banküberfalls und ruft die Polizei an, die sofort schwer bewaffnet anrückt. Der vermeintliche Überfall entpuppt sich jedoch als Filmdreh und Marcella bekommt schweren Ärger von Angelini, obwohl der Fehler doch offenkundig bei der Polizei liegt. Dem Film ist das egal und auch Marcella fügt sich zwar entnervt, aber doch bereitwillig in ihr Schicksal. So geht das den ganzen Film hindurch: Alles wird immer auf den nächsten Konflikt, die nächste krachlederne Pointe hin konstruiert und man quietscht bald vor Freude, ob der sich immer neu ergebenden Katastrophen – die man natürlich schon von Weitem hat heraufziehen sehen. Alle Grenzen sprengt TAXI GIRL aber in seinem Showdown, einer vollkommen entgrenzten Verfolgungsjagd im Stile von Bogdanovichs WHAT’S UP, DOC?. Die immer absurder werdende Hatz führt die Teilnehmer schließlich nach Cinecittà, wo nicht nur die unterschiedlichsten Filmsettings, sondern auch Cowboys zu Pferde sowie als Polizisten verkleidete Statisten mit ins Chaos einbezogen werden. Man fragt sich, wohin das alles führen soll und offensichtlich wusste Tarantini selbst, dass es schwer werden würde, einen passenden Schlusspunkt zu finden, der nicht einer Enttäuschung gleichkommt. Also setzt er ihn ganz einfach: Die Protagonisten lassen spontan von der Jagd ab, deren ursprüngliches Ziel eh längst vergessen ist, fassen sich an den Händen und tanzen einen ausgelassenen Ringelpiez. Und das Herz des geneigten Zuschauer tanzt mit.

 

jigWie schon Teruo Ishiis HORRORS OF MALFORMED MEN hat mich das magnum opus von Horrorspezialist Nobuo Nakagawa zunächst ein klein wenig enttäuscht – nur um dann in den auf die Sichtung folgenden Stunden in meinem Kopf unablässig weiter zu wirken und zu arbeiten. Ich bin mir immer noch nicht so ganz klar darüber, was JIGOKU mir eigentlich sagen will, aber abseits solcher Fragen entfaltet der Film eine faszinierende Sogwirkung, für die längst nicht nur seine bildgewaltige Höllendarstellung der letzten 45 Minuten verantwortlich ist, die den Film zum einflussreichen und oft imitierten (oder neu aufgelegten) Klassiker des fantastischen japanischen Kinos machte.

Bevor der Film dort hingelangt, entwirft er aber ein zunehmend klaustrophobisches und merkwürdig verschrobenes Erdenszenario, in dem es unmöglich scheint, der Anhäufung von Schuld und der damit unausweichlich einhergehenden Verdammnis zu entkommen, und das die Frage aufwirft, ob die Hölle nicht eigentlich schon im Diesseits beginnt. Nakagawa versammelt einen sich stetig ausdehnenden Kreis von zunächst sehr freundlichen Charakteren, die sich dann einer nach dem anderen als allerdings eher bemitleidenswerte Verbrecher offenbaren und auch noch über mehrere Labyrinth-Ecken in Sünde miteinander verbunden sind. Shirô (Shigeru Amachi), der Protagonist, ein argloser, vielleicht etwas leichtgläubiger und willensschwacher, aber keineswegs böser Student, wird allein über die Verbindung zu diesen Leuten und eine unglückliche Zusammenkunft von Zufällen zum Kandidaten fürs Höllenfeuer und scheint die ganze Zeit über ein ohnmächtiger, in Schockstarre und Unglauben gefangener Zuschauer in seinem eigenen, ihm durch die Finger gleitenden Leben. Und was hat es eigentlich mit seinem teuflischen Kommilitonen Tamura (Yôichi Numata) auf sich, der sich stets wie aus dem Nichts zu materialisieren pflegt, Shirô mit intriganter Perfidie und schadenfrohem Grinsen auf den falschen Weg führt und von Nakagawa gern von unten gefilmt sowie mit expressiv ausgeleuchtetem Gesicht in Szene gesetzt wird? Ich kenne mich nicht genug (eigentlich gar nicht) im Buddhismus und seiner Bedeutung der Hölle aus, um mir eine Deutung von Nakagawas Film anmaßen zu können, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich der Regisseur über den fatalistischen Glauben an im Leben auf sich geladene und im Jenseits zu sühnende Schuld ein wenig lustig macht. In JIGOKU ist am Ende einfach jeder fällig und die Sünder treten sich in der Unendlichkeit des Höllenschlunds mit ungläubigem Gesicht gegenseitig auf die Füße. Das nimmt schon kafkaeske Züge an.

Seinen unsterblichen Ruf und seine filmische Bedeutung genießt JIGOKU aber zweifellos vor allem für die visuell bahnbrechende Darstellung der Hölle und der dort äußert grafisch ausgeteilten Qualen. Fraglich, welchen Einfluss Nakagawas Film außerhalb Japans wirklich ausübte, aber wenn man sich die entsprechenden Bilder aus so unterschiedlichen Werken wie Fulcis L’ALDILA, Barkers HELLRAISER oder Randels HELLBOUND: HELLRAISER 2 anschaut, zudem in Betracht zieht, dass JIGOKU auf seine Zuschauer im Jahr 1960 nicht weniger als bahnbrechend und revolutionär gewirkt haben muss, ist seine filmhistorische Bedeutung kaum zu leugnen. Ein faszinierender, bildgewaltiger Film, der mit ausgesprochener Grazie und Eleganz auf dem schmalen Grat zwischen humanistischem Horror und erlösender Komik tanzt.

mehyô (kôjû ohara, japan 1985)

Veröffentlicht: März 30, 2016 in Film
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femleopWeil es über diesen Pinku eiga nicht so wahnsinnig viel zu sagen gibt, ein paar angelesene Takte für diejenigen hier, die mit dem Begriff noch nichts anzufangen wissen: „Pinku“ bedeutet zunächst mal tatsächlich genau das, was man dahinter vermutet, nämlich „pink“, steht aber in Anspielung auf die Farbe nackter Haut (und vielleicht auch des weiblichen Allerheiligsten) für das japanische Äquivalent zu unserem Pornofilm. „Äquivalent“, weil es kulturell bedingt gewaltige Unterschiede gibt und der Vergleich mit dem Porno ziemlich hinkt. Das in prachtvollsten gynäkologischen Details und Großaufnahmen abgelichtete Liebesspiel, das den kommerziellen Pornofilm westlicher Prägung auszeichnet, wird im japanischen Pinku eiga nämlich wesentlich keuscher dargestellt: Eregierte oder geöffnete Geschlechtsteile sowie das dynamische Rein-Raus dürfen in Japan nicht gezeigt werden, werden entweder verpixelt, geblurt oder durch Mittel der Inszenierung verdeckt. Mancher Fachmann vermutet hinter diesem Zeigeverbot auch den Grund für die künstlerische Qualität, die mancher Pinku-Regisseur mit seinen Werken erreichte: Es mussten kreative Wege gefunden werden, etwas zu zeigen, was nicht gezeigt werden durfte, während der westliche Pornofilmer einfach stumpf draufhalten konnte. (Eine These, für die einiges spricht, die aber natürlich außer Acht lässt, dass es ja auch wichtige Porno-Auteurs in den USA und Europa gab und gibt.) Dieser Mangel an Explizität ist auch der Hauptgrund, warum der Pinku eiga eher mit unserem Sex- und Softerotikfilm zu vergleichen ist.

Die ersten Pinku eiga entstanden zu Beginn der Sechzigerjahre, ab Ende des Jahrzehnts entdeckten mit Nikkatsu und Toei die beiden wichtigsten japanischen Filmstudios das kommerzielle Potenzial des Genres und begannen ihre eigenen Reihen: Nikkatsu begründete die sogenannte „Roman Porn“-Serie, Toei startete die Marke „Pinky Violence“, mit Action und Gewalt versetzte Pinku eiga. Die wie am Fließband produzierten Filme – allein Nikkatsu veröffentlichte von 1971 bis 1988 im Schnitt drei Pinku eiga pro Monat – zeichneten sich durch streng eingehaltene formale wie strukturelle Kriterien aus: Ein Pinku eiga durfte eine Laufzeit von rund 60 Minuten nicht überschreiten, musste in dieser Zeit eine genau festgelegte Mindestanzahl von Sexszenen haben und innerhalb nur weniger Tage für ein geringes Budget inszeniert werden. Das Genre erfreute sich bei den zahlenden Zuschauern großer Beliebtheit und brachte einige auch außerhalb Japans beachtete Werke hervor, was nicht zuletzt daran lag, dass die Studios ihren Regisseuren bei der Ausgestaltung der Filme relativ freie Hand ließ. Auch hierzulande bekannt sind zum Beispiel die Filme um FEMALE PRISONER SCORPION, die Elemente des WIP- mit denen des Rape-and-Revenge-Films verquicken, oder die „historischen“ Pinku eiga der TOKUGAWA-Reihe. Neben dem Pinku-Pionier Kôji Wakamatsu erreichten so Filmemacher wie Teruo Ishii, Norifumi Suzuki (sein Nunsploitation-Film SCHOOL OF THE HOLY BEAST wurde vor einigen Monaten bei uns auf arte ausgestrahlt), Yasuharu Hasebe, Shunya Ito oder Tatsumi Kumashiro große Bekanntheit, andere, auch heute noch tätige Filmemacher mit Pinku-Vergangenheit sind etwa Takashi Ishii und Kyoshi Kurosawa. Und um meinen kurzen Exkurs hier abzurunden, verkündete Nikkatsu erst vor wenigen Wochen, ihre seit fast 30 Jahren beerdigte „Roman Porno“-Reihe demnächst wiederbeleben zu wollen.

Womit es jetzt an der Zeit wäre, noch ein paar Takte zu MEHYÔ (internationaler Titel: FEMALE LEOPARD) zu sagen. Es geht um eine junge, natürlich attraktive Frau, die nach Jahren der Abwesenheit in das Haus ihrer mittlerweile verstorbenen Eltern zurückkehrt, das sich nun im Besitz ihres Bruders befindet, eines erfolgreichen Malers. Der wird von seiner herrischen Gattin gemanagt, die auch exklusive Orgien für ihn organisiert, bei denen junge Frauen gequält, gedemütigt und schließlich vergewaltigt werden. So richtig scharf ist der Maler aber natürlich auf seine Schwester … – Die Geschichte kommt ohne allzu große Überraschungen aus, wird dank der flockigen Kürze und der kompetenten Regie aber trotzdem nicht langweilig. MEHYÔ bietet außerdem einige wunderbar schmierige Einlagen in scheußlichem Eighties-Chic und eine grandios theatralische Zeitlupensequenz. Für kommende Ausflüge in den bunten Irrwitz der Pinku eiga lässt dieser Beitrag zwar noch ganz viel Luft nach oben, war aber schon einmal ein ganz guter Eisbrecher, der Lust auf mehr macht. Mehr dann in Kürze.

 

GogoAuf dem Dach eines traurigen Apartmenthauses beobachtet der Schüler Tsukio (Michio Akiyama) die Vergewaltigung des Mädchens Poppo (Mimi Kozakura) durch eine Bande Jugendlicher mit einer Mischung aus Wut, Trauer, Abscheu und Faszination. Das Mädchen fleht die Jungen nach vollbrachter Tat an, sie umzubringen, aber sie lachen nur, ziehen von dannen und lassen sie zurück. Als Poppo wieder zu sich kommt, nähert sich Tsukio ihr an. Die beiden kommen ins Gespräch, teilen ihre Missbrauchsvergangenheit miteinander: Poppo berichtet von einer vergangenen Vergewaltigung und vom Selbstmord ihrer Mutter, Tsukio zeigt ihr eine Wohnung mit vier Leichen, Nachbarn, die ihn zu einer Orgie gezwungen und die er danach umgebracht hatte. Immer wieder ihre Bitte an ihn, sie zu töten, immer wieder seine Weigerung. Dann kommen die Vergewaltiger zurück …

Kôji Wakamatsu hatte zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Films (wunderbarer internationaler Verleihtitel: GO, GO, SECOND TIME VIRGIN) schon eine bewegte Vergangenheit hinter sich: Sein erster Film datiert zwar erst auf das Jahr 1963, doch weil Wakamatsu in die Fließbandproduktion von Nikkatsu eingespannt war, inszenierte er allein in den ersten drei Jahren seiner Karriere 20 Filme. Sein 1965 gedrehter Pinku eiga KABE NO NAKA NO HIBE GOTO (in Deutschland als GESCHICHTEN HINTER DEN WÄNDEN bei der 15. Berlinale gestartet) stieß dann jedoch auf wenig Gegenliebe bei der Regierung, bekam schwere Zensurprobleme und entzweite ihn mit seinem bisherigen Arbeitgeber. Wakamatsu gründete nach der Entlassung seine eigene Produktionsfirma, mit der er in den Folgejahren im Guerillamodus kleine, sperrige und provokante Filme drehte, von denen YUKE YUKE NIDOME NO SHOJO einer der bekanntesten ist. Mit nur rund 5.000 Dollar, einem Drehort und vier Tagen Zeit gelang Wakamatsu ein atmosphärisch dichtes, ungemein deprimierendes, aufwühlendes und wütendes Coming-of-Age-Drama mit heftigen Gewaltschüben, einprägsamer, bisweilen konfrontationaler Bildsprache in Schwarzweiß und Farbe und einem kompromisslosen Ausgang.

Wakamatsu, der oft mit den politischen Filmemachern der Nouvelle vague verglichen wird und offen mit seiner angeblichen Yakuza-Vergangenheit kokettierte, machte nie einen Hehl aus seinen subversiven Absichten. Japan bekommt in YUKE YUKE NIDOME NO SHOJO dann auch kein allzu schmeichelhaftes Zeugnis von ihm ausgestellt: Seine beiden Protagonisten sind völlig allein gelassen von ihren Eltern, der Gesellschaft und dem Staat, Opfer barbarischer Demütigung und Gewalt, ziellos Treibende, für die es schon zu Beginn des Films keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft mehr, allenfalls auf vorübergehende Linderung gibt. Wakamatsus Sympathie ist bei ihnen, doch die Gesellschaft, die ihnen mit Desinteresse und Unverständnis begegnet, verachtet er genauso wie den Zuschauer, der sich möglicherweise in der Hoffnung auf Thrill, Gewalt und nackte Sensationen ins Kino verirrt hat: „Fuck You! Fuck You!“, brüllt Poppo ihm einmal in einem verzweifelten Versuch der Wahrung ihrer individuellen Hegemonie entgegen. Ihren Frieden haben Tsukio und Poppo nur in der sonnendurchglühten, schattenlosen Einsamkeit auf dem Dach und den rund 24 Stunden, die YUKE YUKE NIDOME NO SHOJO mit seiner Handlung abdeckt. Nicht genug, um ein Leben zu leben. Aber mehr als genug für einen unvergesslichen Film.

132975Ein kurzer Blick auf einige der im Netz zu diesem Film verfügbaren Texte (die meisten anlässlich der DVD-Veröffentlichung durch Synapse entstanden) reicht aus, um eine Vielzahl von Synonymen für den Begriff „strange“ zur Hand zu haben. Die Rezensenten sind sich erstaunlich einig, es bei Ishiis Klassiker des ero-guro (so der sich aus dem Wortpaar „erotic-grotesque“ ableitende Fachausdruck für eine besondere Spielart des japanischen Horrorfilms) mit einem wilden, bizarren, enigmatischen, albtraumhaften und surrealen Film zu tun zu haben, den man nicht so sehr intellektuell-rational begreifen, sondern rein sinnlich und gefühlsmäßig erschließen sollte. Dieser Schluss liegt nahe: Ishii verquickt in seinem Drehbuch gleich mehrere Geschichten des berühmten japanischen Horrorautoren Edogawa Rampo (was der japanischen Schreibung von „Edgar Allan Poe“ entspricht) auf eine solch hermetische Art und Weise, dass der Versuch, seinen Film nachzuerzählen, schon im Ansatz scheitern muss. Hinzu kommt die expressive Bildsprache, eine wahre Flut gleichermaßen berückend schöner wie abstoßender Bilder, von denen die Figur des verrückten, etwas an Wells‘ Dr. Moreau erinnernden Arztes Komoda sicher das einprägsamste ist. Ishii engagierte dafür den Künstler Tatsumi Hijikata, einen wichtigen Pionier des sogenannten Butoh-Ausdruckstanzes, der in einem eng anliegenden Gewand und unterstützt durch Ishiis Schnitt in spastischen, aber seltsam anmutigen Bewegungen durch den Film tanzt wie ein Derwisch oder ein in einem geheimnisvollen Balzritual befindliches Tier. Es geht um Mord, Wahnsinn, Gedächtnisverlust, Doppelgängerschaft, Inzucht, bizarre Experimente und eben – wie der internationale Verleihtitel HORRORS OF MALFORMED MEN schon sagt – um Deformierungen und Mutationen. So weit so strange.

Erstaunlich ist aber, und hier verkennen die meisten Rezensenten m. E. eine der bestechendsten Eigenschaft von KYÔFU KIKEI NINGEN, dass diese höchst seltsame Geschichte von Ishii auf eine Art und Weise erzählt wird, die vermuten lässt, dass er sie selbst im Gegenteil für sehr luzide und einleuchtend hielt. Mindestens die erste Hälfte ist absolut stringent und von einem geradezu klassischen Spannungsaufbau geprägt. Ishii etabliert eine aus dem Noir bekannte Schablone, nämlich die des unter Amnesie leidenden Mannes, der versucht, die Lücken in seiner Erinnerung zu schließen und sich deshalb auf eine Reise in seine Vergangenheit begibt. Ishiis Protagonist Hirosuke Hitomi (Teruo Yoshida) verzeichnet dabei sehr schnell die ersten Erfolge, findet viel versprechende Hinweise und nimmt die Rolle eines kürzlich Verstorbenen – und nun wie durch ein Wunder Wiederauferstandenen – ein, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Von dort führt ihn sein Weg auf eine vor der Küste liegende Insel, auf der der erwähnte Komoda eine Schar missgestalteter Freaks um sich versammelt hat. Erst hier beginnt Ishii sich völlig von einengenden Erzählkonventionen freizumachen und die albtraumhaften Bilder anzuhäufen. Trotzdem ist das Verrückteste an seinem Film, dass er den sich entfaltenden Irrsinn nach klassischem Whodunit-Schema in einem erklärenden Schlussmonolog Komodas zu zähmen versucht. Man lauscht dessen Worten, die doch eigentlich Klarheit bringen sollten, aber einen stattdessen noch viel tiefer in die Verzweiflung stürzen. Die Ruhe und Besonnenheit von Komodas Worten steht in krassem Gegensatz zu der labyrinthisch verschachtelten Geschichte, die er erzählt, das Ziel seiner Erläuterungen, nämlich Klarheit zu schaffen, verfehlt er nicht nur, er erreicht das komplette Gegenteil.

Ich war unmittelbar nach dem Film ein wenig enttäuscht, eben weil ich nach dem ruhigen Aufbau etwas völlig anderes erwartet hatte. Aber nun, mit zwei Tagen Abstand, in denen mich KYÔFU KIKEI NINGEN nicht wirklich losgelassen hat, glaube ich, dass eine Zweitsichtung einige Fehlschlüsse meinerseits ausmerzen könnte. Ein beeindruckend singulärer Film auf jeden Fall, dessen immense Kraft die Menschen damals scharenweise in Panik aus den Kinos trieb. In diesem Zustand würde ich auch gern kommen.

stray_cat_rock_female_boss2028197029Die Motorradfahrerin Ako (Akiko Wada) macht Bekanntschaft mit Mei (Meiko Kaji), der Anführerin einer Girl-Gang und kommt dieser zu Hilfe im Kampf gegen eine rivalisierende Bande, woraufhin sie zur neuen Anführerin avanciert. Zeitgleich versucht Meis Freund Michio (Kôji Wada) sich Zugang zur rechtsnationalen Seiyu Group zu verschaffen, indem er ihnen verspricht, seinen Kumpel, den Boxer Kelly (Ken Sanders), dazu zu überreden, einen Kampf zu schmeißen. Als Ako an Kellys Ehre appelliert, fasst er sich ein Herz und besiegt seinen Kontrahenten. Michio muss nun um sein Leben fürchten und die Mädels um Mei und Ako sich gegen die Gangster der Seiyu Group zur Wehr setzen.

NORA-NEKO ROKKU: ONNA BANCHô ist der Auftakt zu einer fünfteiligen Filmserie, die das Studio Nikkatsu als Konkurrenzprodukt zu Toeis ganz ähnlich gelagerter Reihe ZUBEKÔ BANCHÔ konzipierte, welche wiederum wesentlich von Roger Cormans THE WILD ANGELS inspiriert war. Biker- und Juvenile-Delinquents-Filme waren seit den Fünfzigerjahren ein Riesenthema in den USA, erlebten in der Zeit von Hippies, freier Liebe und Flower Power aber einen zweiten Frühling, an dem man sich auch in Fernost erfreuen wollte. Der Nikkatsu-Nachzieher erwies sich am Ende gar als erfolgreicher: Zwischen 1970 und 1972 entstanden fünf Filme um die weibliche Rockergang, von denen Yasuharu Hasebe die ersten drei inszenierte, bevor er von Toshiya Fujita abgelöst wurde, bei Toei war hingegen schon nach vier Filmen und ein Jahr früher Schluss. Wer die Filme unter ihrem internationalen Verleihtitel sucht, unterliegt akuter Verwechslunsgefahr: Der erste Teil von Toeis Reihe firmiert als DELINQUENT GIRL BOSS: BLOSSOMING NIGHT DREAMS, das Pendant von Nikkatsu, um das es hier geht, hingegen unter STRAY CAT ROCK: DELINQUENT GIRL BOSS, ALLEYCAT ROCK: FEMALE BOSS oder auch FEMALE JUVENILE DELINQUENT LEADER: STRAY CAT ROCK. Puh. (Die Existenz der SUKEBAN-Filme, die international GIRL BOSS heißen, verkompliziert die Sache noch weiter.)

Ich wollte ONNA BANCHÛ wirklich gern mögen, muss aber doch eingestehen, am Ende ziemlich enttäuscht gewesen zu sein. Man merkt dem Film deutlich an, dass er ein eilig rausgehauenes Kommerzprodukt ist, mit dem Hasebe – der sich einige Jahre später mit drei berüchtgten Pinkus einen ebensolchen Namen machte – offenkundig nicht so viel anzufangen wusste. Alles beginnt recht schwungvoll, mit tollen Impressionen aus den weniger glitzerigen Vierteln Tokyos und geilen Inszenierungsideen des Regisseurs. Meiko Kaji ist ein echter Hingucker mit ihren langen schwarzen Haaren, der Sonnenbrille und dem Wildleder-Outfit, Popstar Akiko Wada überrascht mit ihrer tiefen Stimme und darf im Verlauf des Films auch ein paar melancholische Lieder singen. Aber irgendwann versumpft die Geschichte bald im nur wenig involvierenden Gerangel und es scheint, als habe auch Hasebe recht schnell das Interesse verloren. ONNA BANCHÔ schleppt sich seinem Finale entgegen, Ako steigt wieder auf ihren heißen Ofen und fährt davon. Eigentlich sollte sie der Star der Serie werden, doch das Publikum machte da nicht mit und erkor stattdessen die scharfe Mei zu seinem Liebling. Die hatte am Ende von ONNA BANCHÔ zwar ihr Leben lassen müssen, durfte für die Sequels demnach aber die Wiederauferstehung von den Toten feiern. Mal sehen, wann ich die nachschiebe.

 

sunglass_menagerie_01Mein erster Film von Seijun Suzuki dürfte zumindest hierzulande auch einer seiner bekanntesten (bzw. einer seiner wenigen bekannten) sein, bekam von Rapid Eye Movies sogar eine schöne Blu-ray unter dem internationalen Verleihtitel BRANDED TO KILL spendiert. Ich wusste zum Glück ungefähr, was mich erwarten würde: dass Suzuki eben nicht für klassisches Erzählkino und psychologisch ausgereifte Charaktere, sondern eher für wüst-poppige Genredekonstruktionen, krasse Abstraktion, visuelle Experimente und Improvisation steht. Was ich nicht erwartet hatte, ist dieser doch sehr leichtfüßige Humor. Seijun Suzuki entpuppt sich auch im auf der Scheibe enthaltenen Interview als enorm witziger Zeitgenosse, ein 90 Jahre alter Opa, der den Schlauch vom Atemgerät in der Nase und den Schalk im Nacken hat. Auf die Frage, wie er zu dem Namen „Seijun“ gekommen sei (er wurde als „Seitaro Suzuki“ geboren), erzählt er, dass er eines Tages mit mehreren Filmfreunden aufgrund anhaltender Erfolglosigkeit zu einer Wahrsagerin gegangen sei, die ihnen geraten haben, ihre Namen zu ändern. Als der Erfolg auch mit dem Namen Seijun ausblieb, beschwerte er sich bei ihr, woraufhin sie ihm sagte, er müsse zehn Jahre warten. Und dann fügt er mit einem Lachen hinzu, dass er zehn Jahre später von seinem Arbeitgeber Nikkatsu gefeuert wurde.

Das Studio wusste wohl nicht so recht, was sie mit den wild ins Kraut schießenden Filmen Suzukis machen sollten. Nach TÔKYÔ NAGAREMONO (aka TOKYO DRIFTER) einem psychedelischen Farbenrausch, der kommerziell einfach nicht zu vermarkten war, zwangen sie ihn dazu, wieder in Schwarzweiß zu drehen. Sie hofften, seine enorme, nicht zu bändigende Kreativität zügeln zu können. Pustekuchen. Er dankte es ihnen mit KOROSHI NO RAKUIN, der zunächst wie eines jener düster-melancholischen Yakuza-Melodramen beginnt, die damals wie am Fließband produziert wurden, sich jedoch schon nach kurzer Zeit in eine wilde, nur lose zusammenhängende Abfolge abstruser Sex- und Actionszenen verwandelt. Die Hauptfigur, Gorô Hanada, Killer Nr. 3 (Jô Shishido), will über die erfolgreiche Erfüllung mehrerer Aufträge zur Nummer 1 aufsteigen, doch das Schicksal ist ihm dabei im Weg. Er berauscht sich am Geruch von kochendem Reis, tobt mit seiner nymphomanen Ehefrau durch alle Räume seiner expressionistisch ausgeleuchteten Designerwohnung, verliebt sich in eine mysteriöse Schmetterlingssammlerin und hat am Ende keine Zeit mehr, seinen Triumph zu feiern, weil ihm selbst eine Kugel im Herzen steckt. Visuell ist KOROSHI NO RAKUIN grandios, zudem getragen von einer ganz eigenen, bizarren Logik, die sich auch im mitunter geradezu elliptischen Schnitt widerspiegelt. Suzuki hat keine „Authentizität“, keinen Realismus im Sinn, ihm geht es allein um die größtmögliche Wirkung seiner Bilder, die in ihrer Gestaltung mitunter an Comic-Panels denken lassen. In der schönsten Szene des Films springt Gorô aus dem Fenster einer Wohnung, in die er eben eingedrungen ist, um der Entdeckung zu entgehen, doch wenig später taucht er wieder im Blickfeld auf, weil er genau auf einem aufsteigenden Heißluftballon gelandet ist. Vergleichbare Momente gibt es zuhauf, aber sie dürfen selten länger als ein paar Sekunden stehen bleiben, dann werden sie schon wieder vom nächsten Einfall abgelöst.

Dieses frenetische Tempo ist in Verbindung mit der bewussten Eindimensionalität der Figuren und der dadurch bedingten emotionalen Leere aber auch der Grund, dass sich bei mir irgendwann leichte Ermüdungserscheinungen einstellten. KOROSHI NO RAKUIN hat bei heutiger Erstsichtung auch den Nachteil, dass es seit Suzukis Pionierarbeit Dutzende Filmemacher gegeben hat, die Ähnliches versucht, klassische Genrestoffe bis auf das nackte Skelett entkleidet haben. Vielleicht muss ich den Film aber auch nur noch einmal unter etwas anderen Bedingungen sehen, denn der stilistische Reichtum, den KOROSHI NO RAKUIN bietet, ist schon beeidnruckend.

ai-no-corridaDie Geschichte von AI NO KORÎDA basiert zunächst einmal auf einem Kriminalfall, der die japanische Öffentlichkeit im Jahr 1935 erschütterte: Die ehemalige Prostituierte Abe Sada strangulierte während des Liebesspiels ihren Partner und Arbeitgeber Ishida Kichizo, schnitt ihm anschließend Hoden und Penis ab, wickelte diese in eine Zeitung und verließ mit ihnen den Ort des Geschehens, bis sie drei Tage später festgenommen wurde und gestand. Weil hinter ihrem Verbrechen keine niederen Motive standen, sie vielmehr glaubhaft vermittelte, ihren Partner aus Liebe ermordet zu haben, wurde Abe Sada zu einer beinahe kultisch verehrten Figur, die nach ihrer Freilassung im Jahr 1941 nicht nur zahlreiche Bücher, Bühnenstücke und Filme inspirierte, sondern auch als eine Art Vorkämpferin von Gleichstellung und sexueller Selbst-bestimmung angesehen und interviewt wurde. Ihre damaligen Aussagen wurden von der Polizei akribisch protokolliert und hielten wortgetreu Einzug auf den Film, der somit für sich in Anspruch nehmen kann, der „wahren“ Sada Abe ziemlich nahezukommen.

Dabei interessierte der eigentliche Kriminalfall Regisseur Oshima eher indirekt, nämlich nur insofern, als er eine geeignete Folie für die ihm vorschwebende Auseinandersetzung mit sexueller Repression und der filmischen Darstellung von Sexualität darstellte. Die ursprüngliche Idee zu AI NO KORÎDA hatte Oshima, als er in Frankreich die zahlreichen aus dem Boden schießenden Pornokinos sah und besuchte. Die Möglichkeit, Sex auf der Leinwand zeigen zu können, faszinierte ihn, zugleich wusste er, dass die in Japan vorherrschende Zensur ein solches Unterfangen unmöglich machen würde. Und als er sich einige der in Japan populären Pinku eiga ansah, war ihm auch klar, dass er in diesem Stil nicht würde inszenieren können. Die Abbildung von Sex zur Er- und Anregung des Publikums war nicht das, was ihn reizte. Von daher ist es auch unpassend, AI NO KORÎDA als „Porno“ zu bezeichnen, selbst wenn das aus juristischer Sicht wahrscheinlich zutreffend ist: Es gibt sowohl eregierte Penisse zu sehen als auch den expliziten Akt als solchen, der von den Darstellern nicht simuliert, sondern tatsächlich ausgeführt wird. Aber Oshima lässt den Zuschauer nicht in Form von Großaufnahmen, niedrigen Blickwinkeln und suchender Handkamera am Liebesspiel partizipieren, vielmehr hält er ihn auf respektvoller Distanz, macht ihn zum neutralen Beobachter, statt zum lüstern starrenden Voyeur. Sex ist das alles bestimmende erzählerische Element des Films, nicht bloß vordergründig ornamentales Detail, sondern der treibende Motor des Narrativs. Oshima war der Überzeugung, dass der Begriff und die Vorstellung des „Obszönen“, die wesentliches Argument für die Tabuisierung von Sexualität und ihrer Darstellung im Film sind, auf einem Zirkelschluss beruhen: Wir halten Dinge für obszön, weil sie nicht sichtbar sind. Die Idee des Obszönen ließe sich mithin ganz einfach auflösen, indem man das Zeigeverbot, dass das Obszöne begründet, aufhöbe. Was offen gezeigt wird, wird zwangsläufig zur Normalität. Unter diesem Credo steht auch die Inszenierung der Sexszenen in AI NO KORÎDA: Sex ist immer da, so selbstverständlich für seine Protagonisten und den Fortgang seines Films wie in anderen Filmen der Dialog oder die Schießerei.

Es ist die Kluft zwischen dieser von Sada (Eiko Matsuda) und Kichizo (Tatsuya Fuji) individuell empfundenen Normalität und den gesellschaftlichen Vorstellungen von Obszönität, die die beiden in die Isolation treibt, sie stigmatisiert, vor sich selbst entfremdet und so die finale Katastrophe herbeiführt. Die beiden müssen sich in der Heimlichkeit einer Herberge treffen. Sada verkauft sich an einen alten Mann, um ihre gemeinsame Beziehung zu finanzieren. Die Menschen beginnen, abfällig über die beiden zu reden und sie zu meiden, diffamieren sie als „Perverse“. Ihr gemeinsames Miteinander bleibt davon nicht unbeeinflusst: Sadomasochistische Spiele werden als Rückversicherung ihrer selbst mit in den Sex einbezogen, Sada muss sich von ihrem wohlhabenden Gönner schlagen lassen, um den Widerspruch zwischen ihrem Sein und dem gesellschaftlich propagierten Normalzustand irgendwie verarbeiten zu können. Dieser sozialkritische Aspekt wird von Oshima allerdings nie wirklich explizit ausformuliert, etwa in Form eines Monologs oder einer exemplarischen Szene. Sada und Kichizo scheint nicht bewusst zu sein, dass sie in offener Opposition zu den Werten ihrer Gesellschaft stehen: Sie handeln lediglich so, wie sie müssen. Einmal läuft Kichizo eine Straße entlang, auf der die Armee marschiert und er läuft ihr entgegen, drückt sich an den Häuserwänden entlang an den Soldaten vorbei wie ein Flüchtiger, der fürchtet, erkannt zu werden: Es ist die einzige deutlich als solche intrepretierbare politische Aussage, ein Bild mit Symbolcharakter, zu dem Oshima sich hinreißen lässt, ansonsten bleibt er stets bei seinen beiden Hauptfiguren und ihrer beispiellosen Liebe füreinander, die Aussagekraft genug hat.

AI NO KORîDA wurde heimlich gedreht: Niemand durfte mitbekommen, was Oshima mit seinen Darstellern hinter verschlossenen Studiotüren anstellte. Das Material wurde dann nach Frankreich geschickt, dort entwickelt und montiert. Nach anfänglichen Skandalisierungsversuchen – vor der Premiere bei der Berlinale 1976 wurde der Film etwa von der deutschen Staatsanwaltschaft als „harte Pornografie“ beschlagnahmt – wurde AI NO KORîDA schließlich weltweit als Kunstwerk und Meisterstück des erotischen Kinos erkannt. In Japan hingegen harrt es bis heute seiner ungekürzten Aufführung. Der „normale“ Filmseher wird sich von der schieren Menge grafischer Sexszenen und ihres bisweilen entfesselten Einfallsreichtums – besonders im Gedächtnis bleibt der Einsatz eines hartgekochten Eis – möglicherweise überfordert fühlen (was Oshimas Ansichten zur „Obszönität“ bestätigt), aber der Unterschied zum objektivierenden Blick, den die exploitative Pornografie vor allem auf den weiblichen Körper wirft, und zu den Kategorien der Ökonomie, der sie die sexuellen Beziehungen ihrer Protagonisten gnadenlos unterwirft, könnte größer kaum sein. In den Augen von Sada und Kichizo – die Verwandlung, die Matsuda und Fuji in ihrer anbetungswürdigen Darbietung vollziehen, ist total – sieht man bedingungslose Liebe und eine Lust, die zu groß ist, als dass sie sich von der Politik oder den Vorstellungen einer arbiträren Moral bändigen lassen ließe. Wenn man nicht so l(i)eben kann, wie man will, ist es tatsächlich besser zu sterben. Oder zu töten.

091229061915763115145848Vor kurzem habe ich bei einem Treffen mit dem lieben Patrick vom Bahnhofskino geplaudert und unser Gespräch führte uns irgendwann auch zu den modernen Fernsehserien, zum Hype um das „Golden Age of Television“ und die damit implizierte Behauptung, Fernsehen sei früher wesentlich schlechter und billiger gewesen. Gut, Serien waren damals noch anders angelegt als das heute der Fall ist, aber der Aufwand hinter ihnen war mitunter kaum weniger beträchtlich. Und ein fürs Fernsehen produziertes Werk wie Frank De Felittas Gruselschocker DARK NIGHT OF THE SCARECROW beweist, dass der Unterschied zwischen Kino und Fernsehen in den frühen Achtzigerjahren noch deutlich weniger ausgeprägt war als heutzutage. Nicht umsonst hat der Film die fast 40 Jahre seit seiner Erstausstrahlung überdauert, ist in dieser Zeit zu einem innig geliebten Klassiker gereift, der außerdem längst den Sprung ins HD-Zeitalter geschafft hat und so manchem heute mit x-fachem Budget fürs Kino gedrehten Horrorfilm locker die Wurst vom Brot zieht.

Die Story ist denkbar einfach und erinnert etwas an die schwer moralischen Schuld-und-Sühne-Fabeln, die im Rahmen der TALES FROM THE CRYPT-Serie verabreicht werden: In einem kleinen Kaff irgendwo im amerikanischen Heartland wirft eine Gruppe von Männern um den Briefträger Hazelrigg (Charles Durning) ein äußerst kritisches Auge auf die Zuneigung des örtlichen Schwachkopfes Bubba (Larry Drake) zu kleinen Kindern. Ihrer Meinung nach ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein Unglück geschieht, denn hinter einem geistig Behinderten versteckt sich fast zwangsläufig ein Mörder. Doch noch bevor sie prophylaktische Maßnahmen ergreifen können, tritt anscheinend ein, was sie vorhergesehen haben: Die kleine Marylee stirbt in den Händen des Zurückgebliebenen. Bubba flieht vor dem eilig zusammengetrommelten Lynchmob, verkleidet sich als Vogelscheuche auf einem Feld, wird jedoch aufgespürt und kaltblütig erschossen. Wenig später erfahren die Mörder, dass Marylee mitnichten tot ist, sie bloß das Opfer einer Hundeattacke geworden war und ihr Leben de facto nur dem schnellen Eingreifen Bubbas verdankt. Doch da ist es natürlich schon zu spät. Aufgrund mangelnder Beweise freigesprochen, fallen die nur wenig schuldbewussten Männer wenig später nacheinander einem unbekannten Rächer zum Opfer …

De Felittas Film bietet kaum inhaltliche Überraschungen, läuft mit äußerster Stringenz und Konsequenz auf sein Ende zu. Es ist allein seine Inszenierung, die dafür sorgt, dass man gebannt vor dem Bildschirm ausharrt, bisweilen – vorausgesetzt man schaut den Film nachts und allein – dieses unangenehme Frösteln spürt, das zeitgenössische Filme kaum noch zu erzeugen verstehen, weil sie sich zu sehr zum großen Effektbuhei versteigen. Es sind vor allem diese unangenehme Ruhe, der Verzicht auf Musik im entscheidenden Moment im Gegensatz zum Tosen und Schwellen der Streicher, das heute meist bemüht wird, der Einsatz von Totalen, die die ganze Unausweichlichkeit des Bevorstehenden betonen, und das einfache, aber ungemein effektive Design der Vogelscheuche, die DARK NIGHT OF THE SCARECROW seine beachtliche Wirkung verleihen. Das und Charles Durnings Darbietung: Sein Hazelrigg ist ein hassenswertes Arschloch, der hinter seinem fröhlichen Apfelkuchen-Gesicht die unauslotbaren Abgründe der Bigotterie verbirgt. Wie er im Laufe des Films vom kontrollierten, „kalten“ Vernunftmörder zum hysterisch herumirrenden Angsthasen degeneriert, ist eine wahre Freude. Toll!

visiting-hours-movie-posterVielerorts wird dieser erstklassige Film fälschlicherweise mit dem Etikett des Slasherfilms versehen. Im Jahr 1982 erschienen, fällt VISITING HOURS zwar mitten hinein in die Hochzeit dieses Horrorfilm-Subgenres – und möglicherweise begünstigten die Erfolge von FRIDAY THE 13TH und Konsorten auch seine Entstehung -, aber wenn man es genau nimmt, ist er mit als Serienmörderfilm deutlich treffender bezeichnet.

Anders als im Slasherfilm, der mit den erwähnten Metzelabenteuern von Jason Voorhees ganz zu sich kam, nachdem der italienische Giallo, Bob Clark mit BLACK CHRISTMAS und natürlich John Carpenter mit HALLOWEEN wichtige Vorarbeit geleistet hatten, steht hier nämlich nicht ein monströs überhöhter Maskenmann im Mittelpunkt, auch nicht seine blutig ausgewalzten Morde, die durch eine Minimalhandlung nur alibihaft miteinander verbunden werden, sondern ein Frauenmörder (Michael Ironside), dessen krankhafte Disposition von Regisseur Lord wenn schon nicht akribisch analysiert, so doch immerhin ausreichend thematisiert wird, und die Frage, ob er sein neu auserkorenes Opfer, die für Frauenrechte eintretende Fernsehjournalistin Deborah Ballin (Lee Grant), erwischen wird oder ob ihm die Polizei zuvorkommt.

VISITING HOURS ist eine perfekt organisierte, grandios konstruierte und im besten Sinne altmodische Thrillmaschine, die die hohe Intensität der Exposition über die gesamte Laufzeit aufrecht erhält und im weiteren Verlauf zahlreiche Wendungen offeriert, ohne allerdings mit unnötig cleveren „Twists“ zu nerven. Die Leistung Lords besteht dann auch nicht so sehr darin, den Zuschauer mit Taschenspielertricks aufs Glatteis zu führen, als vielmehr darin, ihn mit überaus geduldigen Timing zu quälen. Klassische Suspense: Man weiß als Zuschauer (fast) immer ganz genau, was die ahnungslosen Protagonisten als nächstes erwartet und sieht ihnen hilflos und mit wachsender Verzweiflung dabei zu, wie es sich dann genauso entfaltet, wie man es selbst vorhergesagt hat.

Michael Ironside, als Ekelpaket eh immer eine Bank, gibt als undurchsichtiger, schwerst traumatisierter Frauenhasser eine Paradevostellung ab und liefert einen wichtigen Beitrag dazu, dass VISITING HOURS im richtigen Maße schmerzhaft ist. Die Geschichte ist eben, das unterscheidet ihn ebenfalls vom Slasherfilm (den ich sehr mag, dass mir da keine Missverständnisse aufkommen), nicht bloß irgendein Quatsch, der lediglich einen willkommenen Vorwand für die Arbeit der Effektleute liefert, seine Opfer nicht irgendwelche persönlichkeitsarmen Bimbos. Nein, hier geht es um echte Menschen, echte Schmerzen und ein auch 25 Jahre später noch in realiter existierendes gesellschaftliches Problem. Die Journalistin Ballin wird einmal für ihren Mut gelobt, sich für die Rechte der Frauen einzusetzen: Es gehe nicht um Frauen, antwortet sie sinngemäß, es geht um Menschen. Das trifft in VISITING HOURS sowohl auf die Opfer als auch auf den Killer zu. Das Schlussbild spricht in dieser Hinsicht Bände.