yuke yuke nidome no shojo (kôji wakamatsu, japan 1969)

Veröffentlicht: März 30, 2016 in Film
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GogoAuf dem Dach eines traurigen Apartmenthauses beobachtet der Schüler Tsukio (Michio Akiyama) die Vergewaltigung des Mädchens Poppo (Mimi Kozakura) durch eine Bande Jugendlicher mit einer Mischung aus Wut, Trauer, Abscheu und Faszination. Das Mädchen fleht die Jungen nach vollbrachter Tat an, sie umzubringen, aber sie lachen nur, ziehen von dannen und lassen sie zurück. Als Poppo wieder zu sich kommt, nähert sich Tsukio ihr an. Die beiden kommen ins Gespräch, teilen ihre Missbrauchsvergangenheit miteinander: Poppo berichtet von einer vergangenen Vergewaltigung und vom Selbstmord ihrer Mutter, Tsukio zeigt ihr eine Wohnung mit vier Leichen, Nachbarn, die ihn zu einer Orgie gezwungen und die er danach umgebracht hatte. Immer wieder ihre Bitte an ihn, sie zu töten, immer wieder seine Weigerung. Dann kommen die Vergewaltiger zurück …

Kôji Wakamatsu hatte zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Films (wunderbarer internationaler Verleihtitel: GO, GO, SECOND TIME VIRGIN) schon eine bewegte Vergangenheit hinter sich: Sein erster Film datiert zwar erst auf das Jahr 1963, doch weil Wakamatsu in die Fließbandproduktion von Nikkatsu eingespannt war, inszenierte er allein in den ersten drei Jahren seiner Karriere 20 Filme. Sein 1965 gedrehter Pinku eiga KABE NO NAKA NO HIBE GOTO (in Deutschland als GESCHICHTEN HINTER DEN WÄNDEN bei der 15. Berlinale gestartet) stieß dann jedoch auf wenig Gegenliebe bei der Regierung, bekam schwere Zensurprobleme und entzweite ihn mit seinem bisherigen Arbeitgeber. Wakamatsu gründete nach der Entlassung seine eigene Produktionsfirma, mit der er in den Folgejahren im Guerillamodus kleine, sperrige und provokante Filme drehte, von denen YUKE YUKE NIDOME NO SHOJO einer der bekanntesten ist. Mit nur rund 5.000 Dollar, einem Drehort und vier Tagen Zeit gelang Wakamatsu ein atmosphärisch dichtes, ungemein deprimierendes, aufwühlendes und wütendes Coming-of-Age-Drama mit heftigen Gewaltschüben, einprägsamer, bisweilen konfrontationaler Bildsprache in Schwarzweiß und Farbe und einem kompromisslosen Ausgang.

Wakamatsu, der oft mit den politischen Filmemachern der Nouvelle vague verglichen wird und offen mit seiner angeblichen Yakuza-Vergangenheit kokettierte, machte nie einen Hehl aus seinen subversiven Absichten. Japan bekommt in YUKE YUKE NIDOME NO SHOJO dann auch kein allzu schmeichelhaftes Zeugnis von ihm ausgestellt: Seine beiden Protagonisten sind völlig allein gelassen von ihren Eltern, der Gesellschaft und dem Staat, Opfer barbarischer Demütigung und Gewalt, ziellos Treibende, für die es schon zu Beginn des Films keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft mehr, allenfalls auf vorübergehende Linderung gibt. Wakamatsus Sympathie ist bei ihnen, doch die Gesellschaft, die ihnen mit Desinteresse und Unverständnis begegnet, verachtet er genauso wie den Zuschauer, der sich möglicherweise in der Hoffnung auf Thrill, Gewalt und nackte Sensationen ins Kino verirrt hat: „Fuck You! Fuck You!“, brüllt Poppo ihm einmal in einem verzweifelten Versuch der Wahrung ihrer individuellen Hegemonie entgegen. Ihren Frieden haben Tsukio und Poppo nur in der sonnendurchglühten, schattenlosen Einsamkeit auf dem Dach und den rund 24 Stunden, die YUKE YUKE NIDOME NO SHOJO mit seiner Handlung abdeckt. Nicht genug, um ein Leben zu leben. Aber mehr als genug für einen unvergesslichen Film.

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