Mit ‘Horror’ getaggte Beiträge

VIDEODROME zwingt den Betrachter fast dazu, ihn zu decodieren – zumindest legt er ihm diese Rezeptionshaltung sehr nahe. Nicht nur, um intradiegetische Realität von den Halluzination unterscheiden zu können, denen der Protagonist, TV-Senderchef Max Renn (James Woods) im Laufe des Films immer häufiger erliegt, sondern auch, um zu verstehen, was Regisseur Cronenberg eigentlich sagen möchte. VIDEODROME ist weniger ein handlungs- denn ein ideengetriebener Film, dessen Plot umso rätselhafter wird, je weiter er voranschreitet. Es geht um Snuff, Porno und Gewalt im Fernsehen, um das neue Medium Video, darum, wie der Mensch nach dem Verbotenen strebt und sich mit dem Fernsehen neue Möglichkeiten bieten, ihn dieses Bedürfnis zu erfüllen, um den Raum, den das TV-Gerät im Leben einnimmt und dabei Veränderungen bewirkt: psychisch, aber auch physisch. Es liegt nahe, Cronenbergs Film mit dem Begriff der „Medienkritik“ zu Leibe zu rücken: Die Welt, die er zeichnet, ist keine schöne und die Bilder, die sich Renn auf der Jagd nach dem neuesten Kick zu Gemüte führt, verursachen erhebliche Schäden. Viele Texte, die man zu VIDEODROME findet, handeln von Cronenbergs angeblicher Kritik an kommerziellem Fernsehen und Videos: davon wie der Kanadier Gewalt und Pornografie verurteilt, wie er eine Welt antizipiert, in der wir alle TV-Junkies sind, abhängig vom nächsten Fix, der natürlich stärker sein muss als der vorangegangene. Aber ich glaube, dass man dem Film damit nicht gerecht wird. Erstens weil Cronenberg sich selbst mit Horrorfilmen einen Namen machte und eher nicht dem Kreis medienverurteilender Moralapostel angehört, zweitens, weil die Welt, die er zeichnet, viel zu komplex ist für einfache Gut-Böse-Schemata. Und medial aufbereitete Gewalt und Pornografie natürlich viel zu interessant, um sie rundheraus zu verdammen. Was auch VIDEODROME belegt.

Max Renn betreibt also den kleinen privaten Fernsehsender Civic-TV. Um mit den Großen konkurrieren zu können, muss er seinen Zuschauern für kleines Geld etwas bieten, was der Wettbewerb nicht im Angebot hat: Sex und Gewalt sind die Marktlücke, in die er vorstößt, je abseitiger und perverser, umso besser. Sein Techniker Harlan (Peter Dvorsky) macht nichts anderes, als Fernsehsignale aus aller Welt aufzufangen und die nächste große Sensation für Renn zu suchen. Er findet sie in einem Programm namens „Videodrome“: billig produzierte, aber immens reale und verstörende Folter- und Mordszenarios ohne jede Handlung. Renn ist fasziniert und will mehr über das Programm und seine Macher erfahren. Bei seinen Nachforschungen kommt er einer Verschwörung auf die Schliche: Mit dem Programm wird ein Signal versendet, das Gehirntumore und Halluzinationen verursacht. Oder bildet Renn sich das alles nur ein?

Der Schluss, VIDEODROME wende sich gegen mediale Moral- und Sittlichkeitsverstöße liegt zunächst einmal nahe: Max Renn ist ein kapitalistischer Zyniker, der jedem, der seine Werte hinterfragt, antwortet, er reagiere ja nur auf ein bestehendes Bedürfnis. Womit er allerdings Recht hat: Der Mensch, nicht nur in VIDEODROME, ist ein triebgesteuertes Wesen. Die Manipulatoren, denen Renn auf die Schliche zu kommen meint, sind gesichtslose Konzerne, die diese Nachfrage nutzen, um ihre Saat zu streuen. Sex und Gewalt sind das Vehikel für sie und die Menschen werden geradezu abhängig nach dem Stoff, der ihnen dargeboten wird. Die Welt von VIDEODROME wäre wahrscheinlich besser, wenn es das Programm, um das es geht, nicht gäbe. Auf der anderen Seite sind weder die gezeigte Gewalt noch der gezeigte Sex schädlich. Es ist das hinter ihnen versteckte Signal, das körperliche und psychische Reaktionen hervorruft, und für das sie lediglich als attraktives Vehikel dienen. Klar ist aber auch: Die Macht von Fernsehbildern ist groß und es gilt, einen reflektierten Umgang mit ihnen zu erlernen.

VIDEODROME ist ein Paradebeispiel dafür, wie man mit vergleichsweise geringen Mitteln große Wirkung erzielt und was ihn so faszinierend macht ist neben seinem Thema das einzigartige World Building. Dafür braucht Cronenberg keine detaillierten Greenscreen-Backgrounds, keine aufwändigen Sets. Vielmehr spielt VIDEODROME überwiegend in kleinen Innenräumen, die auf eine eher unauffällige, aber sehr effektive Art und Weise designt sind. Renns Appartment etwa ist unaufgeräumt und dunkel, statt Fenstern dienen Glasbausteine neben der Eingangstür als Lichtquelle. Hier lebt ein Nachtmensch, ein Junkie, jemand, der es gewohnt ist, vor dem Fernseher einzuschlafen, der 99 Prozent seines Lebens ausmacht. Das sieht man an dem kurzen Blick auf seine wie ein lästiges Provisorium gestaltete Küche. Wenn sich der Film dann doch einmal nach draußen bewegt, zeigt sich eine Welt, die durch die audiovisuelle Revolution in eine Art Dickens’sche Vormoderne zurückgeworfen wurde: TV-Junkies mit eingefallenen Gesichtern und groben Mänteln stürmen in die kargen Räume der „Cathode Ray Mission“, einer Art Obdachlosenheim, in der es statt Eintopf Fernsehen für die Hungrigen gibt. Skandalöse Fernsehshows werden von dekadenten Geschäftsleuten gedealt wie Opium aus Fernost. Dass VIDEODROME in den kanadischen Metropolen Toronto und Montreal statt in New York oder Los Angeles gedreht wurde, trägt ebenfalls zum Gesamteindruck bei: Cronenbergs erstes echtes Masterpiece ist immer gerade so weit off, dass man die Desorientierung nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen kann bzw. dass man gar nicht wirklich merkt, desorientiert zu sein. Aber es ist diese sensible Störung, die das wesentlichste Element des Films ist, indem es dem Regisseur gelingt, den Zustand Renns auf de Zuschauer zu übertragen. Man fragt sich mehrfach, ob man jetzt etwas verpasst habe (etwa weil man kurz eingeschlafen sei), fühlt sich durch die Bilder des Films unangenehm bedrängt, auf eine rätselhafte Art und Weise stimuliert. Zu Cronenbergs hier zum ersten Mal explizierter Philosophie des „Neuen Fleischs“ passt es auch, dass VIDEODROME gleichermaßen Kopffilm wie extrem körperlich ist. Die Szenen um die eingebildete Vagina-artige Öffnung in Renns Bauch lassen sich durchaus als pornografisch beschreiben. Oft möchte man wegschauen, hat das Gefühl, die Bilder kommen einem zu nah, aber wie unter Hypnose schaut man dann doch hin.

Ich denke, dass es das ist, worum es Cronenberg ging: darum, die Kraft des Mediums zu bebildern, das Welten vor einem erschafft und über diesen Prozess Gefühle und körperliche Zustände hervorruft, die echt sind. Ob diese Kraft gut oder böse ist, hängt davon ab, was man mit ihr macht. Allerdings lassen sich diese beiden Seiten auch nicht immer klar voneinander trennen. So bin immer ich auch noch nicht ganz dahinter gekommen, ob VIDEODROME mich nun intelligenter gemacht oder einfach nur extrem verstört hat. Was ich weiß ist, dass seine Kraft unerschöpflich ist. Mit jeder Sichtung trifft er mich wieder bis ins Mark und aktiviert etwas in mir, das ich nicht beschreiben kann. Ist das das Neue Fleisch?

 

Ich glaube ja, dass Filme einen finden. Damals, in den Neunzigern, war DUST DEVIL ein Titel, der mich eigentlich brennend hätte interessieren müssen, aber die Tatsache, dass er in Deutschland nur gekürzt auf Video erschienen war, schreckte mich ab. Außerdem hatte ich die Befürchtung, er sei mir zu artsyfartsy, was mich davon abhielt, mich weiter um den Film zu bemühen. Vor ein paar Jahren ersteigerte ich zwar eine ungeschnittene US-DVD, die blieb aber ebenfalls ungesehen. Erst die deutsche Bluray-Veröffentlichung des Final Cuts von Stanleys Film rückte ihn wieder in mein Gedächtnis. Und nach der um fast drei Jahrzehnte verspäteten Erstsichtung muss einräumen: DUST DEVIL ist fantastisch. Anstatt mich darüber zu grämen, nicht schon vor 28 Jahren zu dieser Erkenntnis gekommen zu sein, freue ich mich darüber, dass DUST DEVIL gestern – allein zu Hause, mit leichtem Hangover und bei tropischen Temperaturen – der nahezu perfekte Film war. Und weil ich zunächst fälschlicherweise die offizielle gekürzte deutsche Fassung in den Player geschoben habe (wir müssen hier irgendwann mal darüber reden, wie man die Auswahlmöglichkeiten in Menüs gestaltet, die nur zwei Punkte haben), habe ich ihn mir sogar zweimal angeschaut. Späte, aber große Liebe.

DUST DEVIL wird geprägt von Stanleys einzigartiger Sensibilität, seinem ernsthaften Interesse für Magie, Schamanismus, Naturphilosophie, Mystik und alte Kulturen, seiner Liebe für das expressive, von eindringlicher audiovisueller Gestaltung geprägte Genrekino der Siebzigerjahre, aber auch von der vor diesem Hintergrund erstaunlichen Fähigkeit, seine Filme erzählerisch nicht zu überfrachten. DUST DEVIL ist eigentlich ein mit dem Serienmörderfilm kurzgeschlossenes und übersinnlich gewendetes Road Movie, das sich demnach durch äußerste Geradlinigkeit und Zielstrebigkeit auszeichnet: Eine Frau (Chelsea Field) nimmt einen mysteriösen Anhalter (Robert Burke) auf und geht eine Affäre mit ihm ein, muss dann aber erkennen, dass es sich bei dem attraktiven Mann um einen Dämon handelt, der „schwache“ Menschen sucht und opfert, um die fleischliche Form verlassen und ins Schattenreich zurückkehren zu können. Dem Killer auf den Fersen ist zum einen ein schwarzer, alternder Kriminalbeamter (Zakes Mokae), der durch die Apartheid-Erfahrung sowie den Tod seines Sohnes und die anschließende Trennung von seiner Gattin hart geworden ist, sowie der gehörnte Ehemann der Protagonistin. In einer Geisterstadt in der Wüste kommt es zur finalen Konfrontation zwischen den Parteien. (Der ein oder andere fühlt sich angesichts der Inhaltsangabe vielleicht an Robert Harmons THE HITCHER erinnert, um nur einen sehr naheliegenden Vergleich zu nennen.) Und Stanley gelingt es nicht trotz, sondern gerade wegen der Einfachheit des Plots (die sich auch in den rotglühenden Bildern karger Wüsteneien widerspiegelt), DUST DEVIL zum Oszillieren zu bringen wie die Luftschichten einer Fata Morgana.

Mythen von Windgeistern, Hexerei, okkulte Opfermorde, private Beziehungskrisen und gesellschaftspolitische Ereignisse wie der institutionalisierte Rassismus, der Südafrika bis in die frühen Neunzigerjahre plagte, oder Namibias Streben nach Unabhängigkeit spielen allesamt in DUST DEVIL hinein und machen ihn zu einer unheimlich dichten, sinnlichen, ja, beinahe holistischen Erfahrung. Dazu kommen unverkennbar Einflüsse aus dem australischen Kino, dem Giallo (Argentos L’UCELLE DALLE PIUME DI CRISTALLO wird genauso explizit referenziert wie der Hammer/Shaw Bros.-Crossover THE LEGEND OF THE SEVEN GOLDEN VAMPIRES) oder auch dem Italowestern, dem modernen Serienmörderfilm oder dem Horrorfilm generell. Man weiß als Betrachter nie so genau, in welche Richtung sich der Film als nächstes bewegt, aber man vertraut sich Stanley nur zu gern an, weil es ihm immer wieder gelingt, zu überraschen. Und weil der Film einen unwiderstehlichen Sog entwickelt. Einen wichtigen Beitrag liefert gewiss auch das Setting des Films: Die Namib bietet eine eindrucksvolle Kulisse, die Akzente der südafrikanischen Nebendarsteller bringen eine eigene Melodie, an der man sich noch nicht totgehört hat – und ein unverwechselbarer Darsteller wie Zakes Mokae bekommt endlich einmal einen Part, in den er sich mit seinem markanten Kiefer verbeißen kann. DUST DEVIL ist ein rauschhafter, gelichzeitig aber auch sehr kontrollierter oder vielleicht besser: reifer Film – was durchaus erstaunlich ist, denn Stanley absolvierte ja erst zwei Jahre zuvor sein Debüt. Kontrolliert ist hier aber nicht gleichzusetzen mit „kalt“ oder „technisch“: Es bedeutet viel mehr, dass sich Stanley nie komplett in seinen Bildern verliert. Im Fokus stehen einerseits die beiden menschlichen Protagonisten andererseits die Titelfigur und ihre jeweilige Mission, die existenziell nachvollziehbar ist. Die hypnotische Stimmung, die glutstarrenden Bilder der Wüste, die Allusionen an Naturmagie, Hexerei und Schöpfungsmythen, der fantastische Score von Simon Boswell: Sie unterstreichen die Geschichte, bilden einen gleichberechtigte Facette des Ganzen, aber gewinnen nie die alleinige Kontrolle. Wie kunstvoll alles ineinandergreift zeigt sich in der gleich auf mehreren Ebenen magischen Szene in einem heruntergekommenen Drive-in-Kino mitten in der Wüste, dessen Besitzer und Vorführer Spiralen mit weißen Steinen in den roten Wüstensand legt und sich über sein Argento/Hammer-Double-Feature freut.

Nach diesem Wunderwerk war das Interesse Hollywoods nur allzu verständlich. Mein Gott, was hätte Stanleys Verfilmung von „The Island of Dr. Moreau“ für ein Meisterwerk werden können, wenn man ihm etwas mehr Vertrauen (und vielleicht einen erfahrenen Berater) an die Seite gestellt hätte. Wie die Geschichte weiterging, wissen wir ja. Ich bin froh, dass Stanley mittlerweile zurück ist, aber bedenkt man, welches Versprechen er mit DUST DEVIL einst gab, kann man den Verlauf seiner Karriere dennoch kaum anders als als „tragisch“ bezeichnen.

 

 

 

 

Eben schrieb ich noch über den Krokodilhorror, heute geht es mal wieder um Sharxploitation, die Königsdisiplin des Tierhorrorfilms. Vor ein paar Jahren avancierte der Vorgänger 47 METERS DOWN mit seinem minimalistisch-klaustrophobischen Szenario zu einem Überraschungserfolg: zwei hübsche Damen, eingesperrt in einem Haikäfig auf dem Meeresgrund, umkreist von Haien und mit langsam zu Neige gehendem Sauerstoff. Stellt sich die Frage, wie man für das Sequel einen draufsetzt, ohne den „Markenkern“ völlig ad absurdum zu führen. Roberts, der auf den Regiestuhl zurückkehrte und das Script wieder zusammen mit Ernest Riera verfasste, entschied sich für die naheliegende Lösung des Problems: Statt zwei hübscher Frauen sind es nun vier, statt in einem Käfig werden sie in den labyrinthischen Gängen einer versunkenen Maya-Stadt eingeschlossen und die Haie sind gruselige Mutationen mit zugewachsenen Augen. Für etwas menschliches Drama sorgt der Konflikt zwischen den Halbschwestern Mia (Sophie Nélisse), die in der Schule gemobbt wird, und Sasha (Corinne Foxx), die dabei tatenlos danebensteht.

47 METERS DOWN: UNCAGED ist ein Film, der es mir schwer macht, viele Worte über ihn zu verlieren. Ich gehöre als mittelalter Herr sicher nicht zur anvisierten Zielgruppe, fand schon den Vorgänger alles andere als prall und habe mir dieses Teil allein zu Hause via Amazon Prime zu Gemüte geführt, weil ich Haifilme mag. Trotzdem hatte ich mehr von dieser Fortsetzung erwartet: Die Regie ist furchtbar uninspiriert und undiszipliniert, der Film eher an preisgünstigem Thrill, an Schocks und Gekreisch interessiert, als daran, sein klaustrophobisches Szenario behutsam aufzubauen und die Schrauben langsam und unaufhörlich festzuziehen. Dass die Protagonistinnen mittels Hightech-Taucherhelmen in der Lage sind, miteinander zu reden (und dies auch unaufhörlich tun), hat mich schon in 47 METERS DOWN geärgert. Es erscheint mir als eine Art Kapitulation der Autoren vor einem ganz wesentlichen Merkmal des Unterwasser-Films: der Einschränkung der Kommunikation. Anstatt sie als problematisierendes, die Spannung steigerndes Element zu verwenden, ziehen Roberts und Riera erneut den Schwanz ein. (Im Vorgänger fiel das allerdings noch etwas unangenehmer auf, weil das superavancierte Equipment den Hauptfiguren dort von einem abgetakelten Veranstalter dubioser Haitouren zur Verfügung gestellt wurde.) Aber das ist längst nicht die einzige Verfehlung: Der Blick auf den Stand der Sauerstoffreserven erfolgt immer dann, wenn es gerade in den Kram passt und mit dem Verbrauch verhält es sich genauso. Im einen Moment bleiben drei der Mädels in einer Luftblase zurück, um den versiegenden Sauerstoff zu sparen, im nächsten Moment tauchen Sie dann plötzlich an der richtigen Stelle des Labyrinths auf, um ihre Freundin aus einer Gefahrensituation zu befreien. Niemand redet da mehr vom Sauerstoffmangel. Die Dimensionen der Höhle sind für den Zuschauer ebenfalls nicht nachvollziehbar: Glaubt man im einen Moment, die Mädels seien unrettbar verschüttet, findet sich dann doch immer wieder schnell ein Ausweg. Die Momente, die als große Nervenzerrer angelegt sind, haben bei mir nicht funktioniert, weil die Haie als seltsam leblose CGIs durchs Wasser gleiten: Sie haben mich irgendwie an Zeppeline erinnert. Und das weder Mia noch Sasha etwas passiert, ist eigentlich von Anfang an klar.

Zum Glück nimmt der Film zum Ende ein bisschen Fahrt auf. In der vielleicht bewegendsten – nein, der einzig bewegenden – Szene des Films rettet sich eines der Mädchen vor dem Hai, indem es seine Sauerstoffflasche abwirft, in die er sich verbissen hat, nur um dann wenige Sekunden später elendig zu ertrinken: Den Moment, in dem die Panik der langsamen Erkenntnis des sicheren Todes Platz macht und das Leben aus ihrem Gesicht weicht, fängt Roberts in einer Aufnahme ein, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Auch der Schluss-„Gag“ lässt noch einmal aufmerken: Die letzten fünf Minuten des Films entschädigen etwas für die hektische Betriebsamkeit der ersten 85 Minuten, die bei mir nur Gleichgültigkeit ausgelöst haben. Das ist umso ernüchternder, als ich Haifilme eigentlich immer irgendwie mag. Das hier ist aber definitiv nichts für mich. Daran ändert auch die Anwesenheit von Sylverster Stallones Tochter nichts.

 

Der Krokodilfilm startete anno 1980, als Lewis Teagues immer noch sehr sehenswerter ALLIGATOR erschien, zwar mit einigem Rückstand auf Haie, Piranhas, Grizzlybären, Giftschlangen, Spinnen, Käfer, Kaninchen, Ameisen, Bienen, Vögel, Kraken, Hunde, Katzen, Killerwale oder Riesenaffen, die zu diesem Zeitpunkt schon eine Weile im ertragreichen Geschäft des Tierhorrorfilms zu Hause waren, aber im Vergleich zu einigen der genannten hat er in den letzten 20 Jahren einiges an Boden gut gemacht. Neben den nicht totzukriegenden Mockbusters aus dem Hause Asylum oder vergleichbarem Käse wie Tobe Hoopers CROCODILE, dessen Sequel oder de Rossis KILLER CROCODILE II erschienen auch immer wieder ernstzunehmendere Produktionen, wie zum Beispiel der Überraschungshit LAKE PLACID, Titel wie ROGUE oder BLACK WATER oder jetzt eben CRAWL. Auch Ajas Film darf als Argument pro Krokohorror gewertet werden. Wenngleich man sich schon mit einem kleinen Tränchen an die Zeit erinnert, als der Franzose mit HAUTE TENSION als große Hoffnung am Horrorhimmel erschien. Ob er aber damals bereits davon träumte, einmal mainstreamiges Gebrauchskino wie PIRANHA oder eben CRAWL drehen zu dürfen? Wahrscheinlich eher nicht. Nun gut, es gibt schlimmere Schicksale.

CRAWL erzählt seine Krokodilhorrorgeschichte als Belagerungssszenario mit eingebautem Countdown: Mitten in einem Hurricane begibt sich die jugendliche Schwimmerin Haley (Kaley Scodelario) zum Haus ihres Vaters (Barry Pepper) und findet ihn bewusstlos im Kriechkeller unter seinem Haus. Beim Versuch, den Verletzten zu bergen, macht sie Bekanntschaft mit dem Grund für seine Lage: ein aggressiver Alligator. Weil der Wasserspiegel kontinuierlich steigt und ein Aussitzen der Situation unmöglich macht, Hilfe von außen zudem nicht zu erwarten ist, muss Haley einen Ausweg aus der Todesfalle finden. Das Dumme ist nur: Draußen ist es auch nicht besser…

CRAWL, das muss man neidlos anerkennen, ist maßgeschneidertes, funktionstüchtiges Spannungskino, an dem es rein handwerklich nichts auszusetzen gibt. Aja versteht es, Szenario mit jeder Minute klaustrophobischer werden zu lassen und die erlösende Rettung mit immer neuen unvorhergesehenen Hindernissen zu verbauen. Und wenn die Flucht aus dem Haus gelungen ist und man denkt, das Schlimmste sei überstanden, wird noch einmal eine Schippe draufgelegt. Flankiert wird der Survival-Horrortrip von einer Vater-Tochter-Geschichte, die den Ansprüchen eines Charakterdramas sicher nicht genügt, aber dank der engagierten Leistung von Barry Pepper und Kaley Scodelario ihre Wirkung trotzdem nicht verfehlt. Das ist auch die größte Stärke des Films: Er behandelt seine Geschichte und die Charaktere mit Ernst, Engagement und Drive und macht so über den Großteil der Zeit vergessen, dass er doch nur die xte Version eines reichlich abgehangenen Stoffs darstellt. Erst vor ein paar Jahren versuchte sich etwa der Sharxploiter BAIT an einem ganz ähnlichen Szenario – allerdings deutlich weniger erfolgreich und deutlich käsiger.

So ganz kann CRAWL seine Beheimatung in der epigonalen Exploitation aber nicht verhehlen: Das Drehbuch dreht sich die Dinge immer mal wieder so, wie es ihm in den Kram passt und nimmt es nicht so streng mit Konsequenz und Konsistenz. Der erleiden die beiden Protagonisten haarsträubende Verletzungen, die ihre missliche Lage noch bescheidener machen, nur um ein paar Minuten später wieder herumzuturnen, als sei nichts passiert. Papa Dave läuft mit seinem offenen Schienbeinbruch zu Höchstform auf, kaum dass er sich selbst eine Schiene gebastelt hat, und Haleys diverse Bisswunden tangieren sie im Laufe des Films kaum mehr als ein Kratzer, nachdem zuvor ein großes Drama aus ihnen gemacht wurde. Solche Schlampigkeiten unterminieren Ajas Ehrgeiz, die Dinge besser zu machen, letztlich immer wieder und entzaubern den Film, der bisweilen schnurrt wie ein gut geölter Hochleistungsmotor. Am Ende bleibt aber trotzdem ein unterhaltsamer, spannender, nicht zuletzt verdammt gut aussehender Reißer, der sich auf das Wesentliche besinnt, dämlichen Kokolores weitestgehend erfolgreich vermeidet und nicht mit doofen Anbiedereien nervt. Das ist eigentlich mehr, als man von einem Krokodilfilm im Jahre 2019 erwarten durfte.

 

 

Das wäre mal ein interessantes Thema für ein Buch: „Filme, die grotesk irreführend vermarktet wurden“. THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA dürfte darin einen prominenten Platz einnehmen, zumal diese Vermarktung auch noch funktioniert hat, wenn auch anders, als von den Machern wahrscheinlich intendiert: In Großbritannien landete der Titel auf der Liste der berüchtigten „Video Nasties“ – und das, obwohl er sich zwischen prominenten Kollegen wie Fulcis ZOMBI 2, ANTHROPOPHAGUS, CANNIBAL HOLOCAUST, I SPIT ON YOUR GRAVE oder Sadiconazista wie LA BESTIA IN CALORE ausnehmen musste wie ein empfindliches, fragiles Pflänzchen. Was dachte der eingefleischte Gorebauer wohl, als er THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA zu Dosenbier und den Kartoffelchips verköstigte, eine sensenschwingende Amazone erwartete, die Männern die Köpfe vom Leib schnitt, stattdessen aber mit einem ruhigen, zärtlichen Psychogramm über sexuellen Missbrauch und schwerste Traumatisierung konfrontiert wurde?

Fulci-Experte Stephen Thrower stellt den Irrtum richtig und beschreibt den Film in seiner kleinen Einführung auf der Arrow-Bluray als „nicht plot-getriebenes“, „enigmatisches“, „elliptisches“ und „traumgleiches“ Charakterdrama. Was meines Erachtens aber auch nicht ganz präzise ist, denn THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA ist in seiner Bildwelt eigentlich erdrückend profan. Gedreht wurde am Strand von Malibu, in Santa Monica und am Venice Beach, aber statt von kalifornischer Sonne beschienen zu werden, durchzieht den Film ein diesiger, herbstlich-grauer Dunst. Die Settings sind eng, dunkel, staubig und unaufgeräumt. Die Mordszenen sind beinahe antiklimaktisch inszeniert. Die Charakteristika, welche man für gewöhnlich mit Filmen assoziiert, die auf dem schmalen Grat zwischen Realität und Wahnsinn wandeln – Surrealismus, grelle Effekte, filmische Verfremdungstechniken – sind hier nahezu vollständig abwesend. Trotzdem trifft Thrower den Nagel mit seiner Diagnose auf den Kopf, was beweist, wie geschickt Cimbers Inszenierung ist, wie sensibel Robert Thoms Script und wie subtil Dean Cundeys Fotografie. Auch wenn THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA nie ganz abtaucht in die Seelen- und Gedankenwelten seiner Protagonistin, ist er dennoch voll und ganz von ihrer Disposition ergriffen. Er hat einen eigenen Rhythmus, eine eigene Sensibilität, eine eigene Sprache. Es ist schwer, zu erklären, was es ist, was den Film so einzigartig macht. Aber das Gefühl ist da.

Molly (Millie Perkins) ist eine mittelalte, attraktive und sympathische Frau, die sich als Kellnerin über Wasser hält, diverse flüchtige Liebschaften hat, unter anderem mit Long John (Lonny Chapman), dem Wirt der Kneipe, in der sie arbeitet, den beiden jungen Söhnen ihrer Schwester Cathy (Vanessa Brown) verklärende Geschichten iüber den angeblich auf See verschollenen Vater erzählt – und nebenbei ein Alkoholproblem kultiviert. Schon früh zeichnet sich ab, dass mit ihr etwas nicht stimmt: Cathy teilt die liebevolle Erinnerung Mollys an den gemeinsamen Vater überhaupt nicht, bezeichnet ihn als Schwein und scheint etwas über ihre Schwester zu wissen, was diese selbst verdrängt hat. Die Flucht in die Scheinwelt des Fernsehprogramms gründet für Molly auf weit mehr als auf dem Wunsch nach Ablenkung von einem tristen Alltag – und es dauert nicht lange, da offenbart sich ihre tiefe seelische Zerrüttung und das schreckliche Geheimnis ihrer Vergangenheit.

Inhaltlich fügt sich THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA nahtlos in das Genre des Serienmörderfilms als Psychogramm, aber seine Herangehensweise ist doch eine ganz eigene. Weder betrachtet Cimber seine Protagonistin mit der nüchternen Distanz eines Wissenschaftlers, noch macht er sich ihre Sicht auf die Welt ganz zu eigen. Seine Perspektive ist vielmehr von Empathie, Menschlichkeit und dem Wunsch, zu verstehen, geprägt. Seine Mörderin – Opfer väterlichen sexuellen Missbrauchs – ist kein blutgieriges Monster, aber durchaus ein Rätsel, nicht zuletzt für sich selbst. Wenn Molly zur Mörderin wird, sie sich für die erlittenen Verletzungen an den Männern rächt, ist sie ein anderer Mensch: An ihre Taten hat sie danach keine Erinnerung mehr, es ist, als erwache sie aus traumlosem Schlaf. In ihrem „normalen“ Leben ist sie hingegen zärtlich, mitfühlend, liebevoll – vielleicht ein bisschen zu in sich gekehrt, zu sorglos, zu zufrieden mit einem Leben, in dem eigentlich fast nichts stimmt. Diese Kluft durchmisst der Film auch stilistisch: Cimber lässt seine Charaktere keinen „authentischen“, aus dem Leben gegriffenen Smalltalk führen: Die Dialoge sind sehr geschrieben, poetisch mitunter und sie sorgen im Verbund mit Cundeys Bildern dafür, dass THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA wie durch einen Nebel zu einem spricht. Der Film ist enigmatisch, wie Thrower sagt, aber vor allem deshalb, weil er trotz aller bildlichen Klarheit seltsam entrückt scheint. Wie eine Erinnerung, von der man nicht genau weiß, ob sie nicht doch nur ein Traumfragment ist.

Das Script schrieb Robert Thom, der damalige Ehemann von Hauptdarstellerin Millie Perkins aus akuter Geldnot und griff dafür auf (auto)biografische Details aus seiner und Perkins‘ Familie zurück. Aus seiner feder stammen auch die Drehbücher zu Paul Bartels DEATH RACE 2000, Roger Cormans BLOODY MAMA und Robert Aldrichs superbizarrem THE LEGEND OF LYLAH CLARE, was in der Schnittmenge tatsächlich einen guten Eindruck von THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA vermittelt. Millie Perkins‘ Filmkarriere wiederum begann 1959 im Alter von 21 Jahren mit der Hauptrolle in George Stevens‘ THE DIARY OF ANNE FRANK, die sie ohne jede Schauspielausbildung ergatterte. Man prophezeite ihr eine große Karriere, doch das Studiosystem war nicht das rechte Umfeld für sie: Sie fiel in Ungnade und landete schnell bei B-Film und Fernsehen. Sie lebt immer noch und ist mittlerweile 82 Jahre alt. Matt Cimbers claim to fame ist zum einen die Tatsache, dass er der letzte Ehemann von Jayne Mansfield war, zum anderen der Skandalfilm BUTTERFLY, eine Verfilmung von James M. Cains gleichnamigem Hardboiled-Roman, in dem die damals bereits fast 30-jährige Sängerin Pia Zadora ein minderjähriges Mädchen spielt, das ein Verhältnis mit seinem Vater (Stacy Keach) beginnt. Der Film wurde von der Kritik einhellig verrissen und großzügig mit Raspberry Awards und Nominierungen in allen wichtigen Kategorien bedacht. Seine Filmografie, die auch die Blaxploiter THE BLACK SIX, LADY COCOA und THE CANDY TANGERINE MAN, den Barbarinnen-Film HUNDRA umfasst, klingt demnach ziemlich spannend. THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA ist in jedem Fall ein Ausnahmewerk, das in einer gerechten Welt als Klassiker in einem Atemzug mit Titel wie REPULSION, PSYCHO oder THE COLLECTOR genannt werden würde, um jetzt nur mal drei naheliegende Referenztitel zu nennen.

 

 

 

Anstatt sich darum zu kümmern, die überfällige Miete für sein Appartement aufzutreiben und so seinen Rauswurf zu verhindern, verknallt sich Sam (Andrew Garfield) in eine mysteriöse Blondine und stürzt sich dann Hals über Kopf in die Ermittlungen in einer gewaltigen Verschwörung, als sein Schwarm über Nacht spurlos verschwindet. Es geht um einen Hundemörder, eine Serienkillerin mit Eulengesicht, unterirdische Bunker (oder Grabstätten), sie Entführung eines prominenten Wohltäters, geheime Botschaften in Popsongs und die Geheimnisse, die sich in die Topografie von Los Angeles und der Traumfabrik Hollywood eingeschrieben haben.

UNDER THE SILVER LAKE ist das Gegenteil von IT FOLLOWS, mit dem Regisseur Mitchell vor wenigen Jahren ziemlichen Wirbel machte: Begeisterte der Horrorfilm mit einer cleveren, abstrakten Prämisse, die dann konsequent mit Bedeutung aufgeladen wurde, ist Mitchells neuestes Werk ein (über Gebühr aufgeblasenes) 140-minütiges Epos, dessen Thema das Suchen nach Bedeutung selbst ist. UNDER THE SILVER LAKE ist der jüngste Spross einer Filmtradition, die bis in die Zeiten des Noir zurückreicht und solche unterschiedlichen Beiträge wie SUNSET BOULEVARD, CHINATOWN, THE DAY OF THE LOCUST, THE LONG GOODBYE, MULHOLLAND DRIVE, THE BLACK DAHLIA oder zuletzt MAPS TO THE STARS und INHERENT VICE vereint. Gemein sind diesen Titeln die kritische Auseinandersetzung mit der Unterhaltungsindustrie, die längst nicht so unschuldig ist, wie sie sich vordergründig gibt, und der resignative Schluss, dass die gesamte verkommene Stadt auf Leichen gebaut wurde: ein neuzeitliches Sodom gewissermaßen, dessen Einwohner unter dem Dauerbeschuss der Zeichen langsam wahnsinnig werden und das nur darauf wartet, weggespült zu werden. Das Subgenre bietet Platz für melancholische Dramen (Wilders SUNSET BOULEVARD), bittere Crime-Stoffe (CHINATOWN, THE DAY OF THE LOCUST und THE BLACK DAHLIA) oder aber postmoderne surrealistische Komödien (THE LONG GOODBYE, MULHOLLAND DRIVE, MAPS TO THE STARS und INHERENT VICE), die sich über die Legendenbildung lustig zu machen scheinen. UNDER THE SILVER LAKE gehört zu letzterer Tradition, wobei ich nicht so genau weiß, ob sein Regisseur wirklich „in on the joke“ ist oder ob er nicht doch, wie sein Protagonist, an die große Verschwörung glaubt. Das ist aber nicht das einzige Problem des Films.

UNDER THE SILVER LAKE handelt wohl in erster Linie von der Sinnsuche der Millennials: Sam sollte einer Arbeit nachgehen, aber er hat keine Lust dazu. Seine Zimmerwände zieren die Poster alter Hollywood-Klassiker, mit der Gegenwart und ihrer Kultur scheint er nur wenig zu tun zu haben. Das Mädchen, in das er sich verliebt, sieht selbst aus wie eine Wiederkehr des klassischen Hollywood-Starlets und auf der Suche nach ihr muss er nicht nur lernen, dass die Songs und Helden, die er vergöttert, Fälschungen sind, sondern auch, dass diese Welt nur dazu existiert, die Reichen glücklich zu machen und das Fußvolk in einem Stadium der Sedierung zu halten. Das ist gewiss eine Sicht auf die Welt, den Spätkapitalismus und die Kulturindustrie, über die man produktiv diskutieren kann: Aber sie ist eben auch nicht so revolutionär, dass man sie in einem derart verklausulierten Zweieinhalbstünder verpacken muss, der noch dazu fast gänzlich ohne den dringend nötigen Humor, die überdrehten visuellen Einfälle oder den scharfen Biss auskommt. UNDER THE SILVER LAKE bemüht nicht ganz überraschend das gedrosselte Tempo, das man mit Schlafwandelei oder Tagträumerei assoziiert, aber Mitchell macht den Fehler, zu glauben, dass man seine wilden Verschwörungsfantasien per se genauso faszinierend findet wie er oder sein Protagonist. Letzterer ist schon das Hauptmanko: Sam ist relatable in seiner Gelangweiltheit, aber weder besonders sympathisch noch irgendwie interessant. Man erfährt fast nichts über ihn und wenn doch, möchte man eigentlich nichts mehr mit ihm zu tun haben. Dann ist da der schon erwähnte Mangel an Drive: Wenn ein Film schon nicht darauf setzt, dass man mit ihm mitfiebert oder antizipiert, worauf er hinausläuft, sollte der Weg zum unbekannten Ziel wenigstens mit Attraktionen gepflastert sein, aber Momente, die herausstechen, sind in UNDER THE SILVER LAKE rar gesät. Die Begegnung mit einem greisen Songwriter, der anscheinend alle Hits seit den Fifties geschrieben hat – darunter auch „Smells like teen spirit“, die Hymne über Selbstbehauptung, Individualität und Auflehnung – ist so ein Highlight, aber vieles wirkt leider wie ein lebloser, bemühter Abklatsch der großen Vorbilder. Ich mag diese Art von Filmen eigentlich – aber mein Interesse an UNDER THE SILVER LAKE nahm während des Schauens kontinuierlich ab, bis ich ihn eigentlich nur noch aus Pflichterfüllung zu Ende geschaut habe. Schlecht ist er nicht, aber der bescheidene IT FOLLOWS war ca. hundertmal befriedigender – und nebenbei auch anspruchsvoller.

 

 

 

Anlässlich seines letzten Spielfilms, des unsäglichen 31, hatte ich bereits überlegt, ob man bei Rob Zombie von einen kreativen Absturz sprechen muss oder ob seine sehr spezielle Spielart der Exploitation einfach nur die natürlichen Ermüdungs- und Abnutzungserscheinungen zeigt. Man kennt das aus der Popmusik, wenn eine beim ersten Mal noch geniale und originelle Idee in der fünften Wiederholung so gnadenlos nervt, dass davon rückblickend auch das Original beeinträchtigt wird. Zombies Kino, eine stets an der Schwelle zur Hysterie stehende Verquickung von True-Crime-Grittiness, Seventies-Worship, greller Americana und Zirkus- und Jahrmarktfetisch, stieß selbst in seinen besten Filmen bisweilen an seine Grenzen, in einem Desaster wie 31 schien dann nur noch das Niederbrennen mit Stumpf und Stiel eine angemessene Reaktion. Dass die kreative Bankrotterklärung einem Film wie THE LORDS OF SALEM folgte, der doch eine Verfeinerung der bekannten Stilistika zeigte und eine dringend nötige Weiterentwicklung des Filmemachers andeutete, warf weitere Fragen über Zombies Verfassung auf, die mit 3 FROM HELL zwar nicht gerade verstummen, deren Beantwortung aber längst nicht mehr so interessant scheint. Die Fortsetzung seines vielleicht beliebtesten Films THE DEVIL’S REJECTS (der seinerseits ein Sequel zum Debüt HOUSE OF 1.000 CORPSES war), ist keinesfalls eine Rückkehr zu alter Form, zeigt im Gegenteil erhebliche Ermüdungserscheinungen und inszenatorische Mängel, ist aber weit vom erbarmungswürdigen Niveau des indiskutablen Vorgängers entfernt. Man könnte ihn wohlwollend als das Sich-Einrichten im Mittelmaß bezeichnen.

Nach den Ereignissen des Vorgängers sind die mörderischen Fireflys – Captain Spaulding (Sid Haig), Otis B. Driftwood (Bill Moseley) und Baby (Sheri Moon Zombie) – inhaftiert und zu Volkshelden mutiert. Spaulding wird hingerichtet, Otis gelingt mithilfe seines Bruders Winslow (Richard Brake) die Flucht und gemeinsam erwirken die beiden auch die Freilassung von Baby, indem sie die Familie von Gefängniswärter Dallas Harper (Jeff Daniel Willis) erst als Geiseln nehmen und dann gnadenlos abschlachten. Die Flucht führt sie nach Mexiko, wo sie allerdings von einem ebenso mordlustigen Kartell ausgemacht und in eine wilde Schießerei verwickelt werden.

Das Hauptmanko von 3 FROM HELL geht schon aus der Inhaltsangabe hervor: Eigentlich hat Rob Zombie nichts mehr zu erzählen. Ja, seine Charaktere sind reizvoll, wenngleich seine Sympathie für ein paar vollkommen geisteskranke, brutale Mörder durchaus Fragen aufwirft, aber er weiß nicht mehr, was er mit ihnen noch anfangen soll. Der Film beginnt mit einer arhythmischen Aneinanderreihung von Fernseh- und Found-Footage-Bildern, die den Betrachter auf den neuesten Stand bringt (und den Eindruck von Unreife hinterlässt, den sich Zombie nach über 20 Jahren im Business eigentlich nicht mehr leisten sollte), und spult dann seine Story ab, die nach der langen Pause der Killerfamilie mehr als unbefriedigend wirkt. Nicht nur hat Zombie nichts zu erzählen, alles mutet wie wie ein lauwarmer Abklatsch vergangener Filme an. Manche Szenen – etwa ein unbeholfener Dialog zwischen Otis und Winslow über Bogart und Cagney – rufen nackte Fremdscham hervor, Sheri Moon Zombie, deren Interpretation der verführerisch-sadistischen Mörderin immer schon schwierig war, strapaziert in einem noch weiter ausgebauten Part erheblich die Nerven, die ausgestellte Brutalität gegenüber der bürgerlichen Familie um den Gefängniswärter scheint in ihrer mitleidlosen Grausamkeit einfach unnötig und kaltherzig, die Gastauftritte alter Genre-Recken – Austin ASSAULT ON PRECINCT 13 Stoker, Dee Wallace, Daniel Roebuck und Clint Howard – sind reine Pflichterfüllung ohne echten Mehrwert, die Frische eines damal so radikalen Films wie HOUSE OF 1.000 CORPSES vermisst man an allen Ecken und Enden. Trotzdem: Die Reduktion ist nach dem Chaos des völlig aus dem Ruder gelaufenen 31 ein Schritt in die richtige Richtung, und ein paar schöne Momente hat der Film dann auch. Dass Zombie, der noch vor 15 Jahren einiges Potenzial offenbarte, noch einmal einen richtigen Entwicklungssprung macht, möchte ich nach 3 FROM HELL allerdings bezweifeln. Der Zug ist wohl abgefahren.

 

Abgesehen von einigen Kurz- und Dokumentarfilmen (darunter sein Beitrag zur Anthologie THEATRE BIZARRE) ist die Lovecraft-Adaption COLOR OUT OF SPACE Stanleys erster Spielfilm seit er 1996 als junger Regisseur vom Set des legendär des gebeutelten THE ISLAND OF DR. MOREAU gefeuert wurde (die Geschichte dieses Fiaskos behandelt die sehenswerte Dokumentation LOST SOUL: THE DOOMED JOURNEY OF RICHARD STANLEY’S THE ISLAND OF DR. MOREAU). Nach den vielbeachteten, ungewöhnlichen HARDWARE und DUST DEVIL sollte die Verfilmung des Romans von H. G. Wells der auftakt einer großen Hollwood-Laufbahn sein, doch eine ungünstige Kombination aus Unerfahrenheit, zu großem Ehrgeiz, Studio-Bullshit, egomanischen Stars und Pech bedeutet das komplette Gegenteil: Für mehrere Jahre tauchte Stanley völlig ab, an eine Karriere im Filmgeschäft war nicht mehr zu denken. Dass er mit COLOR OUT OF SPACE nicht nur die Gelegenheit bekam, seine einzigartigen, bisweilen wagemutigen Ideen in einem professionell produzierten, mit Nicolas Cage zudem prominent besetzten Film zu verwirklichen, wäre für sich genommen schon ein Grund zum Feiern gewesen; dass er das in ihn gesetzte Vertrauen vollends bestätigt, ist fast zu schön um wahr zu sein. Man darf nur nicht darüber nachdenken, was Stanley in den vergangenen 25 Jahren möglicherweise geleistet hätte, hätte er sich damals gegen den MOREAU entschieden.

Stanleys COLOR OUT OF SPACE hält sich vergleichsweise eng an die Lovecraft’sche Vorlage, verlegt die Geschichte in unsere Gegenwart, ändert einige Namen sowie den Handlungszeitraum und tilgt den für den Autoren typischen Rückblenden-Ich-Erzähler, der im Film lediglich in einem kurzen Voice-over zu Anfang und Ende als solcher in Erscheinung tritt. In den Mittelpunkt rückt stattdessen die fünfköpfige Familie um Papa Nathan Gardner (Nicolas Cage), seine krebskranke Gattin Theresa (Joely Richardson) sowie die drei Kinder Lavinia (Madeleine Arthur), Benny (Brendan Meyer) und Jack (Julian Hilliard). Die Krankheit der Mutter wirft einen Schatten über das gemeinsame Leben in einem abgelegenen Landhaus, das Nathan in eine Alpaka-Farm verwandelt hat, Tochter Lavinia rebelliert leise, aber alle sind sichtlich bemüht, den Frieden aufrechtzuerhalten. bis ein Meteor, der eines Nachts auf dem Grundstück einschlägt, diese Anstrengungen schließlich zunichte macht. Er legt nicht nur die schwelenden Konflikte bloß, sondern unterwirft die Gardners und die ihr Grundstück umgebende Natur einer unheimlichen Verwandlung: Fremdartige Blumen beginnen zu sprießen, Gemüse und Früchte aus dem Garten wachsen riesenhaft an und werden ungenießbar, ein pinkfarbenes Licht legt sich über die Wälder, ein seltsames Pfeifen dringt aus dem Brunnen, Tiere verwandeln sich und erst werden die Wahrnehmung der Menschen, dann schließlich auch ihre Körper massiv beeinträchtigt. Ward (Elliott Knight), der eigentlich Wasserproben in der Umgebung entnehmen wollte, wird mit der außerirdischen Lebensform und der unheimlichen Verwandlung der Gardners konfrontiert.

Lovecraft-Verfilmungen hatten bisher in der Regel erhebliche Schwierigkeiten, einerseits die bizarren Visionen des Schriftstellers in Bilder zu kleiden, die die kosmische Dimension des Werks bewahrten, andererseits eine filmische Form für die meist in der Form eines Erlebnisberichts oder Tagebucheintrags verfassten Geschichten zu finden. Lovecraft bediente sich einer sehr blumigen, adjektivreichen Sprache, die aber eher diffuse Assoziationen denn konkrete Bilder evozierte. Beim Lesen hat man immer den Eindruck als sehe man die Kreaturen, die der Autor beschreibt, durch einen Schleier – oder als fehlten die geeigneten Perzeptoren, um zu verstehen, was sich da vor einem aufbaut: ein sehr geschicktes dichterisches Stilmittel, um unbegreifliche Außerweltlichkeit in Wörter zu kleiden, ohne gleich eine komplett eigene Sprache und Grammatik erfinden zu müssen. Auch die Perspektive der rückblickenden Ich-Erzählung trägt dazu bei: Lovcraft-Protagonisten leiden meist an einer Art posttraumatischem Stresssyndrom, die Erlebnisse, die sie schildern, lassen sie an ihrem Verstand und an allen bisherigen Gewissheiten zweifeln. Ihre Geschichte zu erzählen, wird für sie zu einem Mittel, das Unbegreifliche handhabbar zu machen. Ein Filmemacher – ein Horror-Filmemacher überdies – steht vor dem Problem, etwas zeigen zu müssen (man will den beschriebenen Nebel ja durchstoßen und wissen, wie diese „Ziege mit den 1.000 Jungen“ aussieht), aber damit genau das zu zerstören, was die Faszination dieser Geschichten ausmacht: das Unnennbare.

COLOR OUT OF SPACE hat als Verfilmung den Vorteil, dass die Vorlage ohne einen der Großen Alten auskommt, die femdartige Lebensform gar nicht materiell in Erscheinung tritt, sondern eben nur als „Farbe“ und dann in der Veränderung, die sie im Kontakt mit irdischen Lebensformen hervorruft. Innerhalb des Lovecraft’schen Werks kommt ihr damit fast so etwas wie ein Metacharakter zu: Wie beschreibt man eine Farbe, die außerhalb unseres Farbspektrums liegt, mit Worten? Nun, in Stanleys Film ist sie vor allem Pink, würde ich sagen, aber das tut dem Gelingen des Films keinen Abbruch, der sehr schön zwischen Familiendrama, Katastrophenfilm, Alien-Invasion-Sci-Fi, bizarrer Komödie und Body Horror oszilliert. Alles beginnt sehr ruhig und Nicolas Cage gelingt es mit seinem leicht schrulligen Papa ausgezeichnet, Sympathien zu wecken. Auch wenn er später unter dem Einfluss des außerirdischen Organismus zusammenbricht und seinen inneren Jack Torrance kanalisiert, steigert er sich nie in den Overdrive seines Megaactings: Er versteht, dass es angesichts des tosenden Effektwahnsinns um ihn herum nur einer kleinen Dosis seines unnachahmlichen Stils bedarf. Er ist vor allem eine tragische Figur: ein verschrobener Typ mit wenig natürlicher Autorität, der immer noch unter der Erziehung seines toten Vaters laboriert, von seinen Kindern nicht recht ernst genommen wird und sich für seinen Auftritt im Fernsehen schämt, wo er von gemeinen Bauchbinden zum Dorftrottel abgestempelt wird. Dass es ihm nicht gelingt, seine Familie zu retten, ist doppelt schmerzhaft, weil er doch so gern ein starker, beschützender Vater und Ehemann wäre. Die „Farbe aus dem All“ is auch sein ganz persönlicher Fluch.

Stanley erfindet das Rad mit COLOR OUT OF SPACE nicht neu. Er kombiniert bekannte Zutaten lediglich auf neue Art und Weise, kann sich dabei auf seinen guten Geschmack, feine Antennen für das Zwischenmenschliche-Innerfamiliäre, einen sehr abseitigen Humor und das tolle Produktionsdesign verlassen, das Erinnerungen an den ungleich teureren ANNIHILATION weckt. Wie sich der Wald da langsam in einen fremdartigen Urwald verwandelt, ohne dass die Gardners groß Notiz nähmen, lässt sich durchaus auch als Allegorie auf die allgemeine Entfremdung des Menschen von der Natur lesen.

 

 

LEPRECHAUN ist ein Relikt der Neunzigerjahre, ein Überraschungshit in den USA, der zu einem Zeitpunkt von der mit A NIGHTMARE ON ELM STREET losgetretenen Erfolgsmasche um klugscheißende Horrormonster profitierte, als die eigentlich schon abgenudelt war. Der kleinwüchsige Warwick Davis interpretierte die irische Sagengestalt, einen Kobold, der einen Topf voll Gold bewacht, als boshaften, schadenfrohen kleinen Sprücheklopfer, der der eigentliche Held der Filme war. Nach dem Erfolg des ersten Teils, in dem Jennifer Aniston ihr Debüt feierte, folgten die kontinuierlich billiger (wenngleich nicht unbedingt schlechter) werdenden Sequels, die schließlich nur noch auf Video/DVD vermarktet wurden. Die Reihe fand 2003 ihr vorläufiges Ende mit LEPRECHAUN: BACK 2 THA HOOD, bis LEPRECHAUN: ORIGINS 2014 das heute unvermeidliche „Reboot“ darstellte, das aber 2018 mit dem direkt an den ersten Teil anknüpfenden LEPRECHAUN RETURNS gleich wieder annulliert wurde. Kein Wunder, möchte ich hinzufügen.

LEPRECHAUN: ORIGINS gründet auf der nicht ganz falschen Annahme, das sprücheklopfende Kobolde mit Zylinder, die einen Goldschatz bewachen, nicht mehr so richtig als Antagonisten für einen zeitgeistigen Horrorfilm taugen, erliegt aber dem Irrtum, dass ein charakter- und persönlichkeitsloser Ork ein guter Ersatz sei. Das ist ungefähr so, als würde man JAWS neu auflegen, aber den Weißen Hai, der Urlauber frisst, durch einen Mann mit einem ungewöhnlich großen Mund ersetzen. Kann man machen, aber sollte man dem Ganzen dann nicht konsequenterweise einen komplett anderen Titel geben? Die „Story“ dreht sich um ein paar amerikanische Studenten, die in Irland dem titelgebenden Monster zum Fraß vorgewerfen werden sollen, und der um diese hauchdünne Prämisse gestrickte Film spielt sich als quälend öde Hatz ab, die schon nach 30 Minuten auserzählt, mithin stinklangweilig und zudem auch noch potthässlich fotografiert ist. Der „irische“ Wald ist in einem Depressionen fördernden Graubraun gehalten, das an den Durchfall eines Mangelernährten erinnert, und immer, wenn der Leprechaun auftritt, ein völlig anonym bleibendes Monstrum, dreht der Kameramann hektisch am Schärferegler rum, damit man bloß nicht zu viel erkennt. Es ist wirklich verdammt lange her, dass mich ein Film so hart abgenervt und geärgert hat wie dieses Stück Scheiße, bei dem wirklich gar nix zusammengeht. Mehr sage ich dazu nicht.

kaufen hilft!

Veröffentlicht: März 20, 2020 in Film
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Weil es hier derzeit nicht so viel zu lesen gibt – ich schaue derzeit vor allem CALIFORNICATION und die zweite Staffel von TRUE DETECTIVE – habe ich mal wieder einen Einkaufstipp. Ich war fleißig in den letzten Wochen und das erste Resultat meiner Arbeit liegt jetzt in den Regalen der Onlinehändler oder der gut sortierten Elektrofachmärkte. Das Nic-Cage-Frühwerk VAMPIRE’S KISS war lange völlig vergessen, bevor es dank diverser GIFs und Clips zum Internetphänomen wurde. Der Film liefert ein ideales Showcase für Cages „Megaacting“, zeigt aber auch, dass es sich hier um weit mehr als simples „Overacting“ handelt. Dank Cages Performance reift dieses Indie-Kleinod um einen psychotischen New Yorker Literaturagenten, der sich plötzlich für einen Vampir hält, zur schwarzhumorigen, kafkaesken Parabel über die Vereinsamung im Spätkapitalismus (die durchaus ihrer Zeit voraus war) heran. Den Film, der in Deutschland lange nicht verfügbar war, gibt es jetzt als hübsches, knallrotes Mediabook mit einem Booklet von yours truly. Viel Spaß damit!