jaws (steven spielberg, usa 1975)

Veröffentlicht: Juni 17, 2015 in Film
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Meiner kurzen Vorstellung lässt es sich schon entnehmen: JAWS ist für mich ein ganz besonderer Film. Es war wahrscheinlich der erste „erwachsene“ Film, den ich bewusst – im Alter von acht Jahren – wahrnahm, der erste, der mich nachhaltig, über das flüchtige Amüsement hinaus, beeindruckte und damit meine Liebe zum Film entfachte. Die Videoaufzeichnung, die meine Eltern bei einer Fernsehausstrahlung gemacht hatten, avancierte schnell zu einem der abgenudeltsten Tapes der stetig wachsenden Sammlung, JAWS zu einem meiner meistgesehenen Filme. Der vorläufige Schluss- und Höhepunkt meiner Liebesbeziehung zu ihm war die Vorführung des Films im Werkstattkino in München vor nun auch schon wieder acht Jahren. Seitdem habe ich JAWS nicht mehr gesehen, sodass es mal wieder Zeit für eine Auffrischung – diesmal in HD von der Konserve – war.

Filmhistorisch gilt JAWS, bei aller Verehrung, die ihm als meisterlich gefertigtem Spannungsfilm zuteil wird, gemeinsam mit STAR WARS als Sargnagel für das New-Hollywood-Kino und als Geburtsstunde des Eventkinos, das das Hollywoodkino heute im Wesentlichen bestimmt. Einiges spricht für diese Einschätzung: Spielberg setzte mit JAWS aus Affekt und Thrill, auf eine emotionale gut reaction seines Publikums, auf eine einfache, sofort packende Prämisse und eine im besten hitchock’schen Sinne ausgefeilte Inszenierung seiner packenden Set Pieces. Der Film wurde, unterstützt von einer ausgeklügelten Marketingkampagne, zum Megablockbuster und Massenphänomen, der das Genre des Tierhorrorfilms wenn schon nicht neu erfand – es geht auf den klassischen Monsterflick der Fünfziger zurück –, so doch entscheidend wiederbelebte. Während Filmemacher in den vorangegangenen sechs, sieben Jahren am amerikanischen Äquivalent zur Nouvelle Vague arbeiteten und die Siebzigerjahre für viele Filmfreunde zu einem der besten Kinojahrzehnte machten, leitete JAWS gewissermaßen einen backlash ein: Weg von den Filmen, die aus dem Leben gegriffene Geschichten erzählten und dabei erzählerisch neue Wege gingen, hin zum marktträchtigen Konzept, zum Spezialeffekt und zur sprichwörtlichen filmischen Achterbahnfahrt.

Ironischerweise zählte aber auch Spielberg in den frühen Siebzigerjahren zu jenen revolutionären Wunderkindern und movie brats, die das New Hollywood bestimmten und denen man zutraute, dem altvorderen Hollywood-Opakino, das zum Ende der Sechzigerjahre arge Abnutzungserscheinungen zeigte, ein neues, frisches Gesicht entgegenzusetzen. Das tat er dann zwar auch, aber doch anders, als es sich viele erhofft hatten. JAWS zeigt in vielen Szenen, gerade in seiner ersten Hälfte, was das New Hollywood damals auszeichnete: einen unverstellten Blick auf den amerikanischen Alltag, Figuren mit Brüchen, Macken und Neurosen statt strahlender Helden, eine Kamera, die ihre Bilder nicht aus sicherer Distanz aufnahm, sondern sich „unters Volk“ mischte, sowie Dialoge, die bei aller Geschliffenheit niemals geschrieben anmuteten. Bei genauerer Betrachtung erweist sich JAWS als Vermählung und Synthese der beiden einander sonst antithetisch gegenüber gehaltenen Stile und lässt sich als Schlüsselfilm betrachten, der den in den Siebzigerjahre vollzogenen Umbruch des Hollywood-Kinos auf strukturalistischer Ebene widerspiegelt und verhandelt.

Das Inselkaff Amity ist ein wuseliges Örtchen wie aus einem Capra-Film, mit einfachen Leuten, deren Leben insgesamt so unbeschwert ist, dass ein kaputter Holzzaun schon einer Katastrophe gleichkommt. Doch das amerikanische Idyll ist trügerisch. Nicht nur, weil die Katastrophe in Form des gefräßigen Hais in den undurchsichtigen Tiefen vor dem Urlaubsstrand lauert, sondern vor allem, weil der politische Filz und wirtschaftliche Interessen eine adäquate Lösung des Problems verhindern. Der Protagonist, Chief Brody (Roy Scheider), ist nicht nur qua eigener psychischer Disposition ein Held wider Willen – er ist wasserscheu und nicht besonders konfliktsicher, der Job in einem vom Verbrechen geplagten New York war ihm zu hart und er siedelte in die Provinz um, um ein ruhiges Familienleben führen zu können –, sondern auch qua Intention seiner Arbeitgeber, der Politiker um Bürgermeister Vaughn (Murray Hamilton). Brody ist die typische lame duck, eingestellt, um eine Ordnung zu wahren, die eh nie in Gefahr ist. Als das Unerwartete eintritt, lässt Vaughn keinen Zweifel daran, dass er seinen „Polizeichef“ in erster Linie als willfährigen Befehlsempfänger eingestellt hat, der weder Widerworte gibt noch lästige Fragen stellt. Die moralische Sicherheit und Integrität, die etwa James Stewarts unwahrscheinliche Helden bei aller physischen und intellektuellen Durchschnittlichkeit auszeichnete, ist bei Brody heftig ins Wanken geraten: Er ist ein typisches Produkt der Siebzigerjahre, ein Zögerer und Zauderer, jemand, der seinem eigenen Urteil nicht mehr vertraut, und der deshalb auf andere angewiesen ist.

Wenn er also das emotionale Zentrum des Films ist, die Identifikationsfigur für den Zuschauer, so sind es der Meeresbiologe und Haiexperte Hooper (Richard Dreyfuss) und schließlich der bärbeißge Haijäger Quint (Robert Shaw), die seine Entscheidungen lenken und beeinflussen und ihm bis zum Finale auch nahezu jede aktive Handlung abnehmen. Die beiden verkörpern dabei Antipoden: der „jugendliche“ Hooper ein Intellektueller, aufmüpfig und respektlos, dabei offensichtlich aus wohlhabendem Haus und damit ein argwöhnisch betrachteter Fremdkörper unter dem aus mittelständischen Unternehmern und Fischern bestehenden Inselvolk Amitys (der Gegensatz von innen und außen spielt eine wichtige Rolle in JAWS und man könnte in interpretatorischem Überschwang vielleicht argumentieren, es ginge für Brody nicht zuletzt darum, sich in der Inselgesellschaft zu behaupten, ohne – wie die Beute eines Hais – assimiliert zu werden), der Kriegsveteran Quint eine Vaterfigur, ein Tatmensch und Handwerker, der sowohl für Hoopers akademischen Habitus als auch für Brodys „Eierlosigkeit“ nur Verachtung übrig hat. JAWS lässt sich in der zweiten Hälfte, in der Brody und Hooper an Bord von Quints marodem Kahn „Orca“ mit diesem auf Haijagd gehen, als unverhohlene Paraphrase auf Herman Melvilles klassischen Roman „Moby Dick“ lesen, mit Quint als Nachfahre des besessenen Kapitän Ahab und Brody und Hooper als modernisierte stand-ins für Ismael und Queequeg. Quint, ein Relikt aus vergangenen Tagen und damit auch ein Repräsentant jenes klassischen Heldentypus, den das Hollywoodkino über Jahrzehnte bevorzugt hatte, bezahlt seine Besessenheit am Schluss mit seinem Leben: Es bleibt den beiden „Grünschnäbeln“, einem neuen Männerschlag mit eigenen Methoden, überlassen, das Biest zur Strecke zu bringen. So muss sich auch Spielberg gefühlt haben (und Dreyfuss‘ Hooper ist mit seinem Vollbart, der Brille und dem nerdigen Gehabe durchaus eine Art alter ego des Regisseurs).

Es ist natürlich vor allem seine zweite Hälfte, die JAWS seinen noch heute geltenden Ruf eingetragen hat (und mit dem von John Milius für Robert Shaw geschriebenen U.S.S.-Indianapolis-Monolog eine Sternstunde des Kinos bereithält, die immer wieder aufs Neue beeindruckt und fesselt), ein Beispiel für höchste inszenatorische und schauspielerische Ökonomie und ein in seiner Perfektion geradezu beängstigendes Timing, aber ich habe gestern vor allem über die erste Hälfte gestaunt, die als keineswegs langsamer Aufbau dient. Wie Spielberg in nur wenigen Szenen Figuren und Handlungsort einführt und dabei gleichzeitig die Geschichte vorantreibt, ist meisterlich. Jede noch so anscheinend bedeutungslose Szene hält durch kleine Regieeinfälle und die stilsichere Kompostion von Bild, Ton (!) und Schnitt einen weiteren Höhepunkt bereit. JAWS tritt zu keiner Sekunde auf der Stelle, trotzdem lässt er sich Zeit, vor dem Auge des Betrachters ein in sich vollkommen geschlossenes Bild entstehen zu lassen. Amity und seine Bewohner sind keine Kulissenstadt, keine Pappkameraden, sondern bilden ein glaubwürdiges Soziotop, das vor Leben nur so pulsiert. Ich weiß nicht, wie ich JAWS anders beschreiben soll, als als Meisterwerk: Wahrscheinlich könnte ich mein Leben mit diesem einen Film fristen und mir würde immer wieder irgendetwas, irgendein Detail auffallen, das mich überrascht und begeistert und meine Liebe zu ihm vertieft. Gestern war es die seltsame Schlusseinstellung. Zur Erinnerung: Brody besiegt den Hai kurz bevor die Reste der „Orca“ im Meer versinken, Hooper taucht wieder auf, gemeinsam paddeln die beiden auf einem behelfsmäßigen Floß zurück zur Küste, mit dem Rücken zum Publikum. Es wäre ein idealer Schluss, doch stattdessen gibt es einen Schnitt und eine Totale zeigt als verträumten Nachgedanken den menschenleeren Strand vom Amity, an den sanft das nun wieder friedliche Meer brandet. Zu leiser, beruhigender Musik, in die sich die natürliche Geräuschkulisse mischt, laufen die Credits. Diese statische Schlussaufnahme wirkt wie aus einer anderen Zeit und rundet den Film an einer Stelle ab, an der eigentlich bereits alles gesagt ist. Die Blu-ray offenbart, dass es tatsächlich nicht nur um de Kulisse geht: Man sieht zwei kleine Punkte – mutmaßlich Hooper und Brody – am Strand ankommen und langsam aus dem Wasser stapfen, aber an der meditativen Wirkung dieser Einstellung ändert das nichts. Am Ende eines Films, der das Medium Film als Entertainmentmaschine neu erfand, mutet sie wie eine Verbeugung vor den alten Klassikern an, deren Zeit zwar unweigerlich abgelaufen war, deren Erbe, so scheint Spielberg sagen zu wollen, aber immer noch lebendig bleiben sollte, als reicher Bilderschatz, den es von nun an mit neuer Bedeutung aufzuladen galt.

Kommentare
  1. Funxton sagt:

    Love my way 🙂

  2. Ghijath Naddaf sagt:

    Ja, grosser Film. Aus der Rückschau wirken die Anwürfe gegen Spielberg und Jaws albern.
    Wenn heutige Blockbuster nur ein Zehntel der Klasse dieses Films hätten, wäre ich zufrieden.
    Richtig fand ich auch Spielbergs Entscheidung, die Affäre zwischen Brody´s Frau und Hooper, die
    in der Romanvorlage breiten Platz einnimmt, nicht in den Film zu übernehmen.
    Und das Hooper und Brody am Ende den Strand erreichen, ist mir auch erst auf Blu-Ray aufgefallen.

    • Oliver sagt:

      Den Benchley-Roman habe ich nie gelesen, wohl aber das „Buch zum Film“ von Joseph Sargents viertem Teil. 🙂
      Ich muss mich auch immer wieder darüber wundern, wenn vor allem jüngere Leute meinen, die Effekte von JAWS seien schlecht. Na gut, am Ende sieht man, dass Bruce eine Attrappe ist, aber ansonsten finde ich es grandios, wie er eingesetzt wird. Die Szene am Pond oder der Schockmoment, der dem berühmten Spruch „You’re gonna need a bigger boat“ vorausgeht, packen mich immer wieder. Mir ein Rätsel, wie man von diesem Film nicht gefesselt sein kann und sich über solche Trivialitäten aufregen kann.

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