Abgesehen von einigen Kurz- und Dokumentarfilmen (darunter sein Beitrag zur Anthologie THEATRE BIZARRE) ist die Lovecraft-Adaption COLOR OUT OF SPACE Stanleys erster Spielfilm seit er 1996 als junger Regisseur vom Set des legendär des gebeutelten THE ISLAND OF DR. MOREAU gefeuert wurde (die Geschichte dieses Fiaskos behandelt die sehenswerte Dokumentation LOST SOUL: THE DOOMED JOURNEY OF RICHARD STANLEY’S THE ISLAND OF DR. MOREAU). Nach den vielbeachteten, ungewöhnlichen HARDWARE und DUST DEVIL sollte die Verfilmung des Romans von H. G. Wells der auftakt einer großen Hollwood-Laufbahn sein, doch eine ungünstige Kombination aus Unerfahrenheit, zu großem Ehrgeiz, Studio-Bullshit, egomanischen Stars und Pech bedeutet das komplette Gegenteil: Für mehrere Jahre tauchte Stanley völlig ab, an eine Karriere im Filmgeschäft war nicht mehr zu denken. Dass er mit COLOR OUT OF SPACE nicht nur die Gelegenheit bekam, seine einzigartigen, bisweilen wagemutigen Ideen in einem professionell produzierten, mit Nicolas Cage zudem prominent besetzten Film zu verwirklichen, wäre für sich genommen schon ein Grund zum Feiern gewesen; dass er das in ihn gesetzte Vertrauen vollends bestätigt, ist fast zu schön um wahr zu sein. Man darf nur nicht darüber nachdenken, was Stanley in den vergangenen 25 Jahren möglicherweise geleistet hätte, hätte er sich damals gegen den MOREAU entschieden.
Stanleys COLOR OUT OF SPACE hält sich vergleichsweise eng an die Lovecraft’sche Vorlage, verlegt die Geschichte in unsere Gegenwart, ändert einige Namen sowie den Handlungszeitraum und tilgt den für den Autoren typischen Rückblenden-Ich-Erzähler, der im Film lediglich in einem kurzen Voice-over zu Anfang und Ende als solcher in Erscheinung tritt. In den Mittelpunkt rückt stattdessen die fünfköpfige Familie um Papa Nathan Gardner (Nicolas Cage), seine krebskranke Gattin Theresa (Joely Richardson) sowie die drei Kinder Lavinia (Madeleine Arthur), Benny (Brendan Meyer) und Jack (Julian Hilliard). Die Krankheit der Mutter wirft einen Schatten über das gemeinsame Leben in einem abgelegenen Landhaus, das Nathan in eine Alpaka-Farm verwandelt hat, Tochter Lavinia rebelliert leise, aber alle sind sichtlich bemüht, den Frieden aufrechtzuerhalten. bis ein Meteor, der eines Nachts auf dem Grundstück einschlägt, diese Anstrengungen schließlich zunichte macht. Er legt nicht nur die schwelenden Konflikte bloß, sondern unterwirft die Gardners und die ihr Grundstück umgebende Natur einer unheimlichen Verwandlung: Fremdartige Blumen beginnen zu sprießen, Gemüse und Früchte aus dem Garten wachsen riesenhaft an und werden ungenießbar, ein pinkfarbenes Licht legt sich über die Wälder, ein seltsames Pfeifen dringt aus dem Brunnen, Tiere verwandeln sich und erst werden die Wahrnehmung der Menschen, dann schließlich auch ihre Körper massiv beeinträchtigt. Ward (Elliott Knight), der eigentlich Wasserproben in der Umgebung entnehmen wollte, wird mit der außerirdischen Lebensform und der unheimlichen Verwandlung der Gardners konfrontiert.
Lovecraft-Verfilmungen hatten bisher in der Regel erhebliche Schwierigkeiten, einerseits die bizarren Visionen des Schriftstellers in Bilder zu kleiden, die die kosmische Dimension des Werks bewahrten, andererseits eine filmische Form für die meist in der Form eines Erlebnisberichts oder Tagebucheintrags verfassten Geschichten zu finden. Lovecraft bediente sich einer sehr blumigen, adjektivreichen Sprache, die aber eher diffuse Assoziationen denn konkrete Bilder evozierte. Beim Lesen hat man immer den Eindruck als sehe man die Kreaturen, die der Autor beschreibt, durch einen Schleier – oder als fehlten die geeigneten Perzeptoren, um zu verstehen, was sich da vor einem aufbaut: ein sehr geschicktes dichterisches Stilmittel, um unbegreifliche Außerweltlichkeit in Wörter zu kleiden, ohne gleich eine komplett eigene Sprache und Grammatik erfinden zu müssen. Auch die Perspektive der rückblickenden Ich-Erzählung trägt dazu bei: Lovcraft-Protagonisten leiden meist an einer Art posttraumatischem Stresssyndrom, die Erlebnisse, die sie schildern, lassen sie an ihrem Verstand und an allen bisherigen Gewissheiten zweifeln. Ihre Geschichte zu erzählen, wird für sie zu einem Mittel, das Unbegreifliche handhabbar zu machen. Ein Filmemacher – ein Horror-Filmemacher überdies – steht vor dem Problem, etwas zeigen zu müssen (man will den beschriebenen Nebel ja durchstoßen und wissen, wie diese „Ziege mit den 1.000 Jungen“ aussieht), aber damit genau das zu zerstören, was die Faszination dieser Geschichten ausmacht: das Unnennbare.
COLOR OUT OF SPACE hat als Verfilmung den Vorteil, dass die Vorlage ohne einen der Großen Alten auskommt, die femdartige Lebensform gar nicht materiell in Erscheinung tritt, sondern eben nur als „Farbe“ und dann in der Veränderung, die sie im Kontakt mit irdischen Lebensformen hervorruft. Innerhalb des Lovecraft’schen Werks kommt ihr damit fast so etwas wie ein Metacharakter zu: Wie beschreibt man eine Farbe, die außerhalb unseres Farbspektrums liegt, mit Worten? Nun, in Stanleys Film ist sie vor allem Pink, würde ich sagen, aber das tut dem Gelingen des Films keinen Abbruch, der sehr schön zwischen Familiendrama, Katastrophenfilm, Alien-Invasion-Sci-Fi, bizarrer Komödie und Body Horror oszilliert. Alles beginnt sehr ruhig und Nicolas Cage gelingt es mit seinem leicht schrulligen Papa ausgezeichnet, Sympathien zu wecken. Auch wenn er später unter dem Einfluss des außerirdischen Organismus zusammenbricht und seinen inneren Jack Torrance kanalisiert, steigert er sich nie in den Overdrive seines Megaactings: Er versteht, dass es angesichts des tosenden Effektwahnsinns um ihn herum nur einer kleinen Dosis seines unnachahmlichen Stils bedarf. Er ist vor allem eine tragische Figur: ein verschrobener Typ mit wenig natürlicher Autorität, der immer noch unter der Erziehung seines toten Vaters laboriert, von seinen Kindern nicht recht ernst genommen wird und sich für seinen Auftritt im Fernsehen schämt, wo er von gemeinen Bauchbinden zum Dorftrottel abgestempelt wird. Dass es ihm nicht gelingt, seine Familie zu retten, ist doppelt schmerzhaft, weil er doch so gern ein starker, beschützender Vater und Ehemann wäre. Die „Farbe aus dem All“ is auch sein ganz persönlicher Fluch.
Stanley erfindet das Rad mit COLOR OUT OF SPACE nicht neu. Er kombiniert bekannte Zutaten lediglich auf neue Art und Weise, kann sich dabei auf seinen guten Geschmack, feine Antennen für das Zwischenmenschliche-Innerfamiliäre, einen sehr abseitigen Humor und das tolle Produktionsdesign verlassen, das Erinnerungen an den ungleich teureren ANNIHILATION weckt. Wie sich der Wald da langsam in einen fremdartigen Urwald verwandelt, ohne dass die Gardners groß Notiz nähmen, lässt sich durchaus auch als Allegorie auf die allgemeine Entfremdung des Menschen von der Natur lesen.