Mit ‘Science Fiction’ getaggte Beiträge

VIDEODROME zwingt den Betrachter fast dazu, ihn zu decodieren – zumindest legt er ihm diese Rezeptionshaltung sehr nahe. Nicht nur, um intradiegetische Realität von den Halluzination unterscheiden zu können, denen der Protagonist, TV-Senderchef Max Renn (James Woods) im Laufe des Films immer häufiger erliegt, sondern auch, um zu verstehen, was Regisseur Cronenberg eigentlich sagen möchte. VIDEODROME ist weniger ein handlungs- denn ein ideengetriebener Film, dessen Plot umso rätselhafter wird, je weiter er voranschreitet. Es geht um Snuff, Porno und Gewalt im Fernsehen, um das neue Medium Video, darum, wie der Mensch nach dem Verbotenen strebt und sich mit dem Fernsehen neue Möglichkeiten bieten, ihn dieses Bedürfnis zu erfüllen, um den Raum, den das TV-Gerät im Leben einnimmt und dabei Veränderungen bewirkt: psychisch, aber auch physisch. Es liegt nahe, Cronenbergs Film mit dem Begriff der „Medienkritik“ zu Leibe zu rücken: Die Welt, die er zeichnet, ist keine schöne und die Bilder, die sich Renn auf der Jagd nach dem neuesten Kick zu Gemüte führt, verursachen erhebliche Schäden. Viele Texte, die man zu VIDEODROME findet, handeln von Cronenbergs angeblicher Kritik an kommerziellem Fernsehen und Videos: davon wie der Kanadier Gewalt und Pornografie verurteilt, wie er eine Welt antizipiert, in der wir alle TV-Junkies sind, abhängig vom nächsten Fix, der natürlich stärker sein muss als der vorangegangene. Aber ich glaube, dass man dem Film damit nicht gerecht wird. Erstens weil Cronenberg sich selbst mit Horrorfilmen einen Namen machte und eher nicht dem Kreis medienverurteilender Moralapostel angehört, zweitens, weil die Welt, die er zeichnet, viel zu komplex ist für einfache Gut-Böse-Schemata. Und medial aufbereitete Gewalt und Pornografie natürlich viel zu interessant, um sie rundheraus zu verdammen. Was auch VIDEODROME belegt.

Max Renn betreibt also den kleinen privaten Fernsehsender Civic-TV. Um mit den Großen konkurrieren zu können, muss er seinen Zuschauern für kleines Geld etwas bieten, was der Wettbewerb nicht im Angebot hat: Sex und Gewalt sind die Marktlücke, in die er vorstößt, je abseitiger und perverser, umso besser. Sein Techniker Harlan (Peter Dvorsky) macht nichts anderes, als Fernsehsignale aus aller Welt aufzufangen und die nächste große Sensation für Renn zu suchen. Er findet sie in einem Programm namens „Videodrome“: billig produzierte, aber immens reale und verstörende Folter- und Mordszenarios ohne jede Handlung. Renn ist fasziniert und will mehr über das Programm und seine Macher erfahren. Bei seinen Nachforschungen kommt er einer Verschwörung auf die Schliche: Mit dem Programm wird ein Signal versendet, das Gehirntumore und Halluzinationen verursacht. Oder bildet Renn sich das alles nur ein?

Der Schluss, VIDEODROME wende sich gegen mediale Moral- und Sittlichkeitsverstöße liegt zunächst einmal nahe: Max Renn ist ein kapitalistischer Zyniker, der jedem, der seine Werte hinterfragt, antwortet, er reagiere ja nur auf ein bestehendes Bedürfnis. Womit er allerdings Recht hat: Der Mensch, nicht nur in VIDEODROME, ist ein triebgesteuertes Wesen. Die Manipulatoren, denen Renn auf die Schliche zu kommen meint, sind gesichtslose Konzerne, die diese Nachfrage nutzen, um ihre Saat zu streuen. Sex und Gewalt sind das Vehikel für sie und die Menschen werden geradezu abhängig nach dem Stoff, der ihnen dargeboten wird. Die Welt von VIDEODROME wäre wahrscheinlich besser, wenn es das Programm, um das es geht, nicht gäbe. Auf der anderen Seite sind weder die gezeigte Gewalt noch der gezeigte Sex schädlich. Es ist das hinter ihnen versteckte Signal, das körperliche und psychische Reaktionen hervorruft, und für das sie lediglich als attraktives Vehikel dienen. Klar ist aber auch: Die Macht von Fernsehbildern ist groß und es gilt, einen reflektierten Umgang mit ihnen zu erlernen.

VIDEODROME ist ein Paradebeispiel dafür, wie man mit vergleichsweise geringen Mitteln große Wirkung erzielt und was ihn so faszinierend macht ist neben seinem Thema das einzigartige World Building. Dafür braucht Cronenberg keine detaillierten Greenscreen-Backgrounds, keine aufwändigen Sets. Vielmehr spielt VIDEODROME überwiegend in kleinen Innenräumen, die auf eine eher unauffällige, aber sehr effektive Art und Weise designt sind. Renns Appartment etwa ist unaufgeräumt und dunkel, statt Fenstern dienen Glasbausteine neben der Eingangstür als Lichtquelle. Hier lebt ein Nachtmensch, ein Junkie, jemand, der es gewohnt ist, vor dem Fernseher einzuschlafen, der 99 Prozent seines Lebens ausmacht. Das sieht man an dem kurzen Blick auf seine wie ein lästiges Provisorium gestaltete Küche. Wenn sich der Film dann doch einmal nach draußen bewegt, zeigt sich eine Welt, die durch die audiovisuelle Revolution in eine Art Dickens’sche Vormoderne zurückgeworfen wurde: TV-Junkies mit eingefallenen Gesichtern und groben Mänteln stürmen in die kargen Räume der „Cathode Ray Mission“, einer Art Obdachlosenheim, in der es statt Eintopf Fernsehen für die Hungrigen gibt. Skandalöse Fernsehshows werden von dekadenten Geschäftsleuten gedealt wie Opium aus Fernost. Dass VIDEODROME in den kanadischen Metropolen Toronto und Montreal statt in New York oder Los Angeles gedreht wurde, trägt ebenfalls zum Gesamteindruck bei: Cronenbergs erstes echtes Masterpiece ist immer gerade so weit off, dass man die Desorientierung nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen kann bzw. dass man gar nicht wirklich merkt, desorientiert zu sein. Aber es ist diese sensible Störung, die das wesentlichste Element des Films ist, indem es dem Regisseur gelingt, den Zustand Renns auf de Zuschauer zu übertragen. Man fragt sich mehrfach, ob man jetzt etwas verpasst habe (etwa weil man kurz eingeschlafen sei), fühlt sich durch die Bilder des Films unangenehm bedrängt, auf eine rätselhafte Art und Weise stimuliert. Zu Cronenbergs hier zum ersten Mal explizierter Philosophie des „Neuen Fleischs“ passt es auch, dass VIDEODROME gleichermaßen Kopffilm wie extrem körperlich ist. Die Szenen um die eingebildete Vagina-artige Öffnung in Renns Bauch lassen sich durchaus als pornografisch beschreiben. Oft möchte man wegschauen, hat das Gefühl, die Bilder kommen einem zu nah, aber wie unter Hypnose schaut man dann doch hin.

Ich denke, dass es das ist, worum es Cronenberg ging: darum, die Kraft des Mediums zu bebildern, das Welten vor einem erschafft und über diesen Prozess Gefühle und körperliche Zustände hervorruft, die echt sind. Ob diese Kraft gut oder böse ist, hängt davon ab, was man mit ihr macht. Allerdings lassen sich diese beiden Seiten auch nicht immer klar voneinander trennen. So bin immer ich auch noch nicht ganz dahinter gekommen, ob VIDEODROME mich nun intelligenter gemacht oder einfach nur extrem verstört hat. Was ich weiß ist, dass seine Kraft unerschöpflich ist. Mit jeder Sichtung trifft er mich wieder bis ins Mark und aktiviert etwas in mir, das ich nicht beschreiben kann. Ist das das Neue Fleisch?

 

John Woo drehte zwischen 1993 und 2003 sechs Filme in Hollywood (die Fernseharbeiten ONCE A THIEF und BLACK JACK nicht mitgezählt): HARD TARGET, BROKEN ARROW, FACE/OFF, MISSION: IMPOSSIBLE 2, WINDTALKERS und eben PAYCHECK. Er war der erste und außerhalb seiner Heimat wohl auch der berühmteste der Hongkong-Regisseure der Neuen Welle, die Anfang/Mitte der Neunzigerjahre nach „drüben“ geholt worden waren, doch anstatt das US-amerikanische Actionkino zu revolutionieren, wie es sich viele Verehrer des HK-Kinos allgemein und seiner Heroic-Bloodshed-Opern im Besonderen hofft hatten, bekam man nur eine gestutzte, geglättete und ihrer emotionalen Spitzen beraubte Version. Mit HARD TARGET und FACE/OFF fielen aller Blödheiten zum Trotz immer noch zwei ziemliche Kracher ab, aber aus künstlerischer Sicht muss man seinen zehnjährigen Ausflug nach Tinseltown als kreativen Schuss in den Ofen bezeichnen. Wie bezeichnend, dass er diese Phase seines Lebens mit einer Adaption von Philip K. Dick abschloss, die den einstigen Bilderstürmer kaum noch erahnen lässt und dann auch noch mit PAYCHECK betitelt ist. Ich hoffe, dass sich Woos Sackgasse finanziell gelohnt hat.

Michael Jennings (Ben Affleck) ist ein Top-Ingenieur, der regelmäßig gut dotierte Aufträge erhält, technische Innovationen aus der Welt der Computer nachzubauen und zu verbessern. Damit er danach keine Geheimnisse verraten kann, wird ihm zum Abschluss seiner Arbeit stets die Erinnerung gelöscht. Als sein Bekannter Rethrick (Aaron Eckhart) ganze drei Jahre von Jennings Leben auf diese Weise  kaufen will, zögert der nur kurz: De Bezahlung ist einfach zu gut. Doch als er „aufwacht“, stellt er erschrocken fest, dass er die 90 Millionen, die er in drei Jahren Arbeit verdient hat, kurz zuvor angeblich höchstselbst gegen einen Umschlag voll wertlosen Plunders engetauscht hat. Und dann wird er auch noch vom FBI verhaftet. Mithilfe einer Schachtel Zigaretten und einer Brille aus dem ominösen Briefumschlag gelingt ihm jedoch die Flucht. Zufall? Nein, denn es sieht so aus, als habe Jennings an einer Maschine gearbeitet, mit der man in die Zukunft schauen kann …

Ein Jahr vor PAYCHECK war die von Steven Spielberg inszenierte und mit Tom Cruise besetzte Dick-Adaption von MINORTY REPORT ein großer Erfolg gewesen. Auch da ging es im Grunde um den Blick in die Zukunft – und die berühmte Szene, in der Cruise Computergrafiken auf einem riesigen Bildschirm mit bloßen Händen bewegt und manipuliert, wird in Woos Film gleich in den ersten zehn Minuten kopiert. Der visionären Kraft Spielbergs hat Woo allerdings nicht viel entgegegenzusetzen – und noch nicht einmal die Liebhaber seiner elegant inszenierte Ballereien kommen auf die Kosten. PAYCHECK, der für mich alten Sack noch unter „aktuell“ fällt, sieht heute aus wie ein Relikt der Neunziger und könnte, bis auf ganz wenige Aufnahmen, die den Actionmagier erkennen lassen – es gibt eine ganz schöne Verfolgungsjagd, von jedem inszeniert worden sein. Der Einsatz der Zeitlupe, einst ein Markenzeichen Woos, wirkt hier wie weniger wie ein erzählerisches Stilmittel als vielmehr wie ein Zugeständnis an ein saturiertes Publikum, dem schon eine Episode von EIN FALL FÜR ZWEI zu rasant ist. Diese Mischung aus Ruckel-SloMos, verfremdeten Erinnerungsfetzen und anderen visuellen Gimmicks, die nur wenig später dankenswerterweise auf der Müllhalde der Filmgeschichte landeten, schockierte anno 2003 keinen mehr, zu desillusioniert war man da bereits, was Woos Hollwood-Schaffen anging, aber rückblickend ist das schon ziemlich bitter.

Dass PAYCHECK trotzdem keine totale Zeitverschwendung ist, liegt an seinem Drehbuch bzw. der cleveren Idee Dicks und dem, was Drehbuchautor Dean Georgaris daraus macht: Der Film ist ähnlich Banane wie FACE/OFF, hat einen Hauptdarsteller, dessen Underacting gar nicht so weit entfernt ist vom Overacting des Duos Travolta & Cage, eine gnadenlos unterforderte Uma Thurman und Aaron Eckhart mit dem schlimmsten Messdienerscheitel diesseits von Philipp Amthor. PAYCHECK ist der klassische Fall eines Films, der sich für unfassbar clever hält, der eigentlich nur gemacht wurde, um diese vermeintlich unfassbare Cleverness zur Schau zu stellen, sich dann aber recht schnell als nur halb so schlau entpuppt. Am Ende läuft alles doch wieder nur auf das Abspulen gut abgehangener Klischees hinaus, aber es ist eben diese Art von High-Concept-Cleverness, die irgendwie Spaß macht und über die plastikhafte Hässlichkeit des Film hinwegtröstet.

 

Abgesehen von einigen Kurz- und Dokumentarfilmen (darunter sein Beitrag zur Anthologie THEATRE BIZARRE) ist die Lovecraft-Adaption COLOR OUT OF SPACE Stanleys erster Spielfilm seit er 1996 als junger Regisseur vom Set des legendär des gebeutelten THE ISLAND OF DR. MOREAU gefeuert wurde (die Geschichte dieses Fiaskos behandelt die sehenswerte Dokumentation LOST SOUL: THE DOOMED JOURNEY OF RICHARD STANLEY’S THE ISLAND OF DR. MOREAU). Nach den vielbeachteten, ungewöhnlichen HARDWARE und DUST DEVIL sollte die Verfilmung des Romans von H. G. Wells der auftakt einer großen Hollwood-Laufbahn sein, doch eine ungünstige Kombination aus Unerfahrenheit, zu großem Ehrgeiz, Studio-Bullshit, egomanischen Stars und Pech bedeutet das komplette Gegenteil: Für mehrere Jahre tauchte Stanley völlig ab, an eine Karriere im Filmgeschäft war nicht mehr zu denken. Dass er mit COLOR OUT OF SPACE nicht nur die Gelegenheit bekam, seine einzigartigen, bisweilen wagemutigen Ideen in einem professionell produzierten, mit Nicolas Cage zudem prominent besetzten Film zu verwirklichen, wäre für sich genommen schon ein Grund zum Feiern gewesen; dass er das in ihn gesetzte Vertrauen vollends bestätigt, ist fast zu schön um wahr zu sein. Man darf nur nicht darüber nachdenken, was Stanley in den vergangenen 25 Jahren möglicherweise geleistet hätte, hätte er sich damals gegen den MOREAU entschieden.

Stanleys COLOR OUT OF SPACE hält sich vergleichsweise eng an die Lovecraft’sche Vorlage, verlegt die Geschichte in unsere Gegenwart, ändert einige Namen sowie den Handlungszeitraum und tilgt den für den Autoren typischen Rückblenden-Ich-Erzähler, der im Film lediglich in einem kurzen Voice-over zu Anfang und Ende als solcher in Erscheinung tritt. In den Mittelpunkt rückt stattdessen die fünfköpfige Familie um Papa Nathan Gardner (Nicolas Cage), seine krebskranke Gattin Theresa (Joely Richardson) sowie die drei Kinder Lavinia (Madeleine Arthur), Benny (Brendan Meyer) und Jack (Julian Hilliard). Die Krankheit der Mutter wirft einen Schatten über das gemeinsame Leben in einem abgelegenen Landhaus, das Nathan in eine Alpaka-Farm verwandelt hat, Tochter Lavinia rebelliert leise, aber alle sind sichtlich bemüht, den Frieden aufrechtzuerhalten. bis ein Meteor, der eines Nachts auf dem Grundstück einschlägt, diese Anstrengungen schließlich zunichte macht. Er legt nicht nur die schwelenden Konflikte bloß, sondern unterwirft die Gardners und die ihr Grundstück umgebende Natur einer unheimlichen Verwandlung: Fremdartige Blumen beginnen zu sprießen, Gemüse und Früchte aus dem Garten wachsen riesenhaft an und werden ungenießbar, ein pinkfarbenes Licht legt sich über die Wälder, ein seltsames Pfeifen dringt aus dem Brunnen, Tiere verwandeln sich und erst werden die Wahrnehmung der Menschen, dann schließlich auch ihre Körper massiv beeinträchtigt. Ward (Elliott Knight), der eigentlich Wasserproben in der Umgebung entnehmen wollte, wird mit der außerirdischen Lebensform und der unheimlichen Verwandlung der Gardners konfrontiert.

Lovecraft-Verfilmungen hatten bisher in der Regel erhebliche Schwierigkeiten, einerseits die bizarren Visionen des Schriftstellers in Bilder zu kleiden, die die kosmische Dimension des Werks bewahrten, andererseits eine filmische Form für die meist in der Form eines Erlebnisberichts oder Tagebucheintrags verfassten Geschichten zu finden. Lovecraft bediente sich einer sehr blumigen, adjektivreichen Sprache, die aber eher diffuse Assoziationen denn konkrete Bilder evozierte. Beim Lesen hat man immer den Eindruck als sehe man die Kreaturen, die der Autor beschreibt, durch einen Schleier – oder als fehlten die geeigneten Perzeptoren, um zu verstehen, was sich da vor einem aufbaut: ein sehr geschicktes dichterisches Stilmittel, um unbegreifliche Außerweltlichkeit in Wörter zu kleiden, ohne gleich eine komplett eigene Sprache und Grammatik erfinden zu müssen. Auch die Perspektive der rückblickenden Ich-Erzählung trägt dazu bei: Lovcraft-Protagonisten leiden meist an einer Art posttraumatischem Stresssyndrom, die Erlebnisse, die sie schildern, lassen sie an ihrem Verstand und an allen bisherigen Gewissheiten zweifeln. Ihre Geschichte zu erzählen, wird für sie zu einem Mittel, das Unbegreifliche handhabbar zu machen. Ein Filmemacher – ein Horror-Filmemacher überdies – steht vor dem Problem, etwas zeigen zu müssen (man will den beschriebenen Nebel ja durchstoßen und wissen, wie diese „Ziege mit den 1.000 Jungen“ aussieht), aber damit genau das zu zerstören, was die Faszination dieser Geschichten ausmacht: das Unnennbare.

COLOR OUT OF SPACE hat als Verfilmung den Vorteil, dass die Vorlage ohne einen der Großen Alten auskommt, die femdartige Lebensform gar nicht materiell in Erscheinung tritt, sondern eben nur als „Farbe“ und dann in der Veränderung, die sie im Kontakt mit irdischen Lebensformen hervorruft. Innerhalb des Lovecraft’schen Werks kommt ihr damit fast so etwas wie ein Metacharakter zu: Wie beschreibt man eine Farbe, die außerhalb unseres Farbspektrums liegt, mit Worten? Nun, in Stanleys Film ist sie vor allem Pink, würde ich sagen, aber das tut dem Gelingen des Films keinen Abbruch, der sehr schön zwischen Familiendrama, Katastrophenfilm, Alien-Invasion-Sci-Fi, bizarrer Komödie und Body Horror oszilliert. Alles beginnt sehr ruhig und Nicolas Cage gelingt es mit seinem leicht schrulligen Papa ausgezeichnet, Sympathien zu wecken. Auch wenn er später unter dem Einfluss des außerirdischen Organismus zusammenbricht und seinen inneren Jack Torrance kanalisiert, steigert er sich nie in den Overdrive seines Megaactings: Er versteht, dass es angesichts des tosenden Effektwahnsinns um ihn herum nur einer kleinen Dosis seines unnachahmlichen Stils bedarf. Er ist vor allem eine tragische Figur: ein verschrobener Typ mit wenig natürlicher Autorität, der immer noch unter der Erziehung seines toten Vaters laboriert, von seinen Kindern nicht recht ernst genommen wird und sich für seinen Auftritt im Fernsehen schämt, wo er von gemeinen Bauchbinden zum Dorftrottel abgestempelt wird. Dass es ihm nicht gelingt, seine Familie zu retten, ist doppelt schmerzhaft, weil er doch so gern ein starker, beschützender Vater und Ehemann wäre. Die „Farbe aus dem All“ is auch sein ganz persönlicher Fluch.

Stanley erfindet das Rad mit COLOR OUT OF SPACE nicht neu. Er kombiniert bekannte Zutaten lediglich auf neue Art und Weise, kann sich dabei auf seinen guten Geschmack, feine Antennen für das Zwischenmenschliche-Innerfamiliäre, einen sehr abseitigen Humor und das tolle Produktionsdesign verlassen, das Erinnerungen an den ungleich teureren ANNIHILATION weckt. Wie sich der Wald da langsam in einen fremdartigen Urwald verwandelt, ohne dass die Gardners groß Notiz nähmen, lässt sich durchaus auch als Allegorie auf die allgemeine Entfremdung des Menschen von der Natur lesen.

 

 

Douglas Trumbull war eine Legende und Institution, was die Entwicklung von visuellen Effekten anging, trug maßgeblich zum Erfolg solcher Meilensteine bei wie 2001: A SPACE ODYSSEY, THE BLADE RUNNER, CLOSE ENCOUNTERS OF THE THIRD KIND, THE ANDROMEDA STRAIN oder STAR TREK. Mit seinen Regiearbeiten hatte er weniger Glück: SILENT RUNNING heimste über die Jahrzehnte immerhin Kultstatus ein, nachdem er zunächst floppte, doch als auch sein gut zehn Jahre später entstandener BRAINSTORM sein Publikum verfehlte, war seine Karriere als Filmemacher mehr oder weniger beendet (da spielten allerdings noch andere Aspekte rein, ich komme später dazu). An Ambition mangelte es auch diesem Projekt nicht: Das von Trumbull erdachte Showscan-Verfahren, das sein Film etablieren sollte, scheiterte aufgrund seiner schwierigen Umsetzbarkeit, weil es eine Umrüstung aller Kinos erfordert hätte, die BRAINSTORM zeigen wollten. Die Idee hinter dem 60-Bilder-pro-Sekunde-Widescreen-Verfahren war visionär: Trumbull wollte die virtuellen Sinneserfahrungen, die seine Charakter im Film durchliefen für den Zuschauer nachfühlbar machen. In der finalen Version ist der Effekt vereinfacht, aber immer noch eindrucksvoll: Wann immer sich die Figuren in die virtuelle Realität begeben, wechselt das Format vom normalen 1,85:1 in das breite Cinemascope. Leider bleibt BRAINSTORM erzählerisch und dramaturgisch weit hinter seinen zukunftsweisenden technischen Ideen zurück.

Die Wissenschaftler Michael Brace (Christopher Walken) und Lillian Reynolds (Louise Fletcher) haben eine Apparatur erfunden, mit der die Sinneseindrücke, Gedanken, Erinnerungen und Emotionen von Menschen aufgezeichnet und mittels einer Applikatur auf Dritte übertragen werden können: Sie sind in der Lage zu schmecken, was der andere schmeckt, zu fühlen, was er fühlt, zu sehen was er sieht. Die Erfindung weckt die Begehrlichkeiten des Militärs und weil der Finanzier Alex Terson (Cliff Robertson) finanzielle Interessen nicht ganz ablegen kann, geht er einen Deal ein, mit dem er sowohl Brace als auch Reynolds verprellt. Doch die wollen sich ihr Projekt nicht einfach abnehmen lassen.

BRAINSTORM erfindet das Rad mit seiner Geschichte nicht neu, strickt sie ziemlich offenkundig um seine visuellen Effektequenzen, nimmt sie aber dennoch wichtiger, als sie es eigentlich verdient hat. Das Drehbuch bemüht sich, seinen Figuren Tiefe zu verleihen und schießt dabei hoffnungslos übers Ziel hinaus – vor allem die Eheprobleme von Michael und seiner Gattin Karen (Natalie Wood) werden gnadenlos breitgetreten, inklusive Rückblenden in ihre glückliche Datingzeit, aber auch das Miteinander der Wissenschaftler wird hier in einer Art und Weise porträtiert, die den Eindruck erweckt, es mit einem Wissenschafts- und Charakterdrama zu tun zu haben -, sodass am Ende für den eigentlichen Plot kaum noch Zeit bleibt. Der Showdown ist reiner Kintopp, mit Robotern, die sich auf Braces Geheiß gegen ihre Schöpfer verschwören und ein heilloses Chaos anrichten, das Happy End kann kaum verbergen, dass es eine reine Notlösung war: Natalie Wood kam unter bis heute dubiosen Umständen während der Dreharbeiten ums Leben und wurde von Trumbull zum Teil durch ein Stand-in ersetzt – gegen den Willen des Studios wohlgemerkt, das den Film am liebsten in einem Giftschrank hätte verschwinden lassen.

Es gibt viele gute Ansätze und ein paar nachhaltig im Gedächtnis bleibende Szenen in BRAINSTORM und wenn die „Trips“ visualisiert werden, ist das im Kino mitunter spektakulär (wenngleich der Film seinen Gimmick- und Showcase-Charakter nie ganz verbergen kann), aber im Großen und Ganzen ist er zerfahren, uneinheitlich und unausgewogen. Streckenweise habe ich mich königlich gelangweilt und wenn es dann endlich wieder zur Sache geht, ist alles viel zu schnell wieder vorbei. Das Finale ist nach dem langen Aufbau schlichtweg eine Enttäuschung, da können auch die guten Darsteller nichts retten, allen voran natürlich Walken, aber auch Fletcher und Robertson nicht. Kein „Brainstorm“ also, eher ein Hirnpups.

Naja, habe ich ihn jetzt auch mal gesehen.

 

Hatte mir der direkte Vorgänger JURASSIC WORLD bei der Erstsichtung mit einigen Abstrichen noch ganz gut gefallen, relativierte sich das bei der kürzlich erfolgten Zweitbetrachtung deutlich: Sind der Überraschungseffekt und die damit einhergehende Freude über ein Wiedersehen mit den Dinos erst einmal verpufft, bleibt von dem Film nicht mehr viel übrig als ein technisch kompetent gemachtes Effektspektakel ohne jede eigene Idee und Charme. In der Zeichnung seiner beiden Protagonisten stellt der Film sogar einen herben Rückfall in die Fünfzigerjahre dar, als auf Stöckelschuhen durch die Karriere rasende Powerfrauen noch regelmäßig von hemdsärmeligen Machotypen auf den Mutterinstinkt geeicht werden mussten. Dass von der Fortsetzung JURASSIC WORLD: FALLEN KINGDOM, die direkt an das megaerfolgreiche Reboot anknüpft, keine allzu großen Sprünge erwartet werden durften, war klar, aber beim mittlerweile fünften Eintrag in die Reihe ist die Luft schon beim ersten Durchgang raus.

Handlungstechnisch setzt dieser Teil seine Geschichte spiegelbildlich zu Spielbergs THE LOST WORLD fort: Nach der Katastrophe im Themenpark droht nun ein Vulkanausbruch, die seitdem frei lebenden Dinos auszurotten. Also engagiert der im Auftrag des Dinopark-Urhebers Lockwod (James Cromwell) agierende Eli Mills (Rafe Spall) die einstige Parkleiterin Claire (Bryce Dallas Howard) und den Raptorspezialisten Owen (Chris Pratt), um eine Evakuierungsaktion anzuführen. Wie man es von der Serie mittlerweile gewöhnt ist, ist dieser Plan aber eigentlich nur Vorwand für etwas Gemeines: Mills will nämlich den Indoraptor kreieren, eine neue, intelligente Killermaschine, um sie den Mächtigen dieser Welt als Waffe zu verhökern. In seinem britischen Anwesen kommt es zur Auktion und zur Auseinandersetzung mit dem tödlichen Biest.

Na, klingt das alles bekannt? Das liegt daran, dass in JURASSIC WORLD: FALLEN KINGDOM wirklich alles Second Hand, geklaut oder zitiert ist. Von der Wiedervereinigung des sich von nun an bis zum romantischen Happy Ende anzickenden Protagonistenprächens über den erneuten Besuch der von Ruinen des alten Parks übersäten Insel bis hin zu dem an Camerons ALIENS erinnernden Plan des Schurken und das ebenfalls von dort entlehnte Design des Indoraptors besteht dieser fünfte Teil einzig und allein aus Versatzstücken. Das ist an und für sich noch nicht verwerflich, auch wenn ich es schon bedauerlich und traurig finde, dass eine 200-Millionen-Dollar-Produktion sich solche Ideenarmut erlauben kann, aber die Lust- und Spannungslosigkeit, mit der diese Versatzstücke aneinandergereiht werden, ist beachtlich. Drei Tage, nachdem ich den Film gesehen habe, ist eigentlich nur eine Sequenz im Gedächtnis geblieben: die schöne Suspense-Szene, in der die beiden Helden mit dem eingeschläferten T-Rex in einem Transportcontainer gefangen sind. Der Rest ist reinstes Fast Food, das aber mit der großen Geste des Luxusdinners serviert wird, anstatt eben mit dem deutlich sympathischeren und bescheideneren Gestus eines JURASSIC PARK III. Spätestens , wenn der T-Rex zum mittlerweile dreiunddrölfzigsten Mal zu seiner triumphalen Schreipose ansetzt, möchte man den Machern zurufen, dass es kein Surrogat für echte Begeisterung und Leidenschaft gibt. An den Kassen lief auch dieser Film freilich wie geschnitten Brot und durchbrach die Eine-Milliarde-Schallmauer. Nuff said.

Streng genommen ist Joe Johnstons JURASSIC PARK III der Film, der das Franchise tötete, das keine zehn Jahre zuvor noch einen Aufbruch zu neuen Effektufern bedeutet (und zu schier unerschöpflicher Rendite versprochen) hatte. Er erwirtschaftete zwar einen deutlichen Gewinn und gehörte zu den erfolgreichsten Filmen seines Jahrgangs, spielte aber weniger Geld ein als seine beiden Vorgänger und führte im Anschluss zu einer fast 15-jährigen Pause, die erst mit dem Reboot JURASSIC WORLD beendet wurde. Dass Johnstons Sequel nicht mehr die ganz große Begeisterung hervorrief, liegt wahrscheinlich im Understatement des Filmes selbst begründet, der kaum einen Hehl daraus macht, nicht viel mehr sein zu wollen als ein 90-minütiger Monsterfilm mit Achterbahncharakter, aber ohne jeden Langzeiteffekt. Selten kam ein Eventfilm so entspannt daher.

Die Story – ein Junge (Trevor Morgan) geht auf der Dino-Insel verloren, seine getrennten Eltern (Téa Leoni und William H. Macy) engagieren den Paläontologen Dr. Alan Grant (Sam Neill) mit fadenscheinigen Begründungen, um ihn wiederzufinden und vor etwaigen Dinoattacken zu retten – ist lediglich lose Prämisse, das Personeninventar ist merklich aufgeräumt, der Plot läuft zielstrevig auf sein Finale zu und im Zentrum des Interesses stehen die Dinos sowie die entsprechenden Action-Set-Pieces. Diese lassen zwar vielleicht die Eleganz von Spielbergs Arbeiten vermissen, machen aber kaum weniger Spaß. Der neue Spinosaurier bekommt ein paar eindrucksvolle Auftritte, doch der Höhepunkt dürfte die ausgedehnte Sequenz um die Pteranodone sein, die mit ihren Luftangriffen eine neue Dimension bringen und die wahrscheinlich spektakulärste „Innovation“ eines Films darstellen, der sich sonst damit begnügt, über Jahrzehnte erprobte Monsterfilm-Schemata abzuspulen.

Man kann durchaus kritisieren, dass das vielleicht ein bisschen wenig für eine 90-Millionen-Dollar-Produktion ist und am Ende wenig hängenbleibt. Ja, erzählerisch/inhaltlich war hier ohne Zweifel Meister Schmalhans Küchenmeister, aber das war ja streng genommen schon bei Spielbergs Vorgänger so, der seine Geschichte aber trotzdem auf 120 Minuten Läge aufblies und einen Showdown hinten anklebte, der auch nicht so das Gelbe vom Ei war. Da lobe ich mir Johnstons Bescheidenheit bzw. seine Konzentration auf das Wesentliche (der Mann ist eh gnadenlos unterschätzt). Für mich ist JURASSIC PARK III neben dem Original wahrscheinlich der Höhepunkt der Reihe, weil er genau das liefert, was ich von einem Dinofilm erwarte und den ganzen unnötigen Ballast eherzt über Bord schmeißt.

Und diese Sequenz mit den Pteranodonen, die finde ich einfach nur geil.

Damals, als das Sequel zu JURASSIC PARK in die Kinos kam, war ich, glaube ich, einfach mit anderen Sachen beschäftigt: Ich habe nicht viel mitbekommen von dem Film und davon, wie er aufgenommen wurde, habe ihn dann erst etwas später auf Video zum ersten Mal gesehen – und mochte ihn. Vielleicht ist es nur meine subjektive Wahrnehmung oder meine lückenhafte Erinnerung, aber gemessen an dem Wirbel, den der Vorgänger verursacht hatte, und den Erwartungen, die damals regelmäßig an einen neuen Spielberg geknüpft wurden, hinterließ das Sequel kaum Spuren. Und 25 Jahre später lässt sich der Eindruck, es hier zwar mit einem wie immer hoch professionell gefertigten, aber doch seltsam unambitionierten Film zu tun zu haben, kaum wegwischen.

Tricktechnisch ist THE LOST WORLD erwartungsgemäß noch eine ganze Ecke besser als der Vorgänger, überzeugt in dieser Hinsicht auch heute noch, und hat natürlich mehr Dinos und mehr direkte menschliche Interaktion mit ihnen. Die Hauptattraktionen sind eine T-Rex-Familie, die eine ebenso verschworene Einheit bildet, wie ihre menschlichen Konterparts, natürlich die Velociraptoren und eine ganze Horde kleiner hühnerähnlicher Saurier, die zwar für sich genommen wenig furchteinflößend sind, aber im Rudel dann doch ausreichen, um es mit dem fiesen Peter Stormare aufzunehmen. Die spannendste Sequenz spielt an Bord eines über eine Klippe hängenden Anhängers, in dem sich die drei Helden – Jeff Goldblums Chaostheoretiker Malcolm, seine Ex-Flamme Sarah (Julian Moore) und der Fotograf und Umweltaktivist Nick (Vince Vaughn) befinden, während die Tyrannosaurier versuchen, ihn über den Abhang zu schubsen. Im Gedächtnis hängen bleibt auch eine schöne Szene, in der die Velociraptoren den Saurierjägern um Roland Tembo (Pete Postlethwaite) in hohem Gras nachstellen, dafür mutet das Finale, in dem der T-Rex in einer deutlichen Reminiszenz an KING KONG die Straßen von San Diego unsicher macht, wie eilig hinten angeklebt an. Dazu kommt eines der krassesten Plotholes, die ich kenne: Das Schiff mit dem T-Rex treibt führerlos in den Hafen, an Bord sind alle tot, aber das Dinosaurier, das für den Tod der Besatzung verantwortlich sein soll, ist nach wie vor in seiner Kammer im Rumpf des Schiffes eingesperrt. Ich habe normalerweise kein Problem damit, die Logik bei einem Film hinten anzustellen, aber hier fügt sich diese Schlamperei nur zu gut ins Gesamtbild eines Filmes, der sehr deutlich erkennen lässt, wo die Prioritäten lagen. Gegenüber den großen schuppigen Stars und der Technik, mit der sie zum Leben erweckt wurden, war ein schlüssig konstruiertes Drehbuch offensichtlich zu vernachlässigen.

Nun war auch JURASSIC PARK kein großer erzählerischer Wurf, aber man fieberte dennoch mit seinen Protagonisten mit. Hier sind die privaten Probleme, die Malcolm, seine Tochter Kelly (Vanessa Chester) und Sarah zu überwinden haben, jederzeit als müde Drehbuchkniffe durchschaubar, die Spielberg mit Leben zu füllen, sich kaum Mühe macht, und Vince Vaughns Nick verschwindet sogar, ohne auch nur ein kleines „Auf Wiedersehen“ geschenkt zu bekommen. Dafür hätte es das „Wunderkind“ gewiss nicht gebraucht. Auch wenn sich das wie ein Verriss liest, finde ich THE LOST WORLD durchaus unterhaltsam und kurzweilig. Er macht Spaß und liefert hinsichtlich seiner Titelkreaturen ordentlich ab. Aber von seinem Macher ist man dann doch andere Kaliber gewöhnt. In Spielbergs Werk rangiert THE LOST WORLD ohne Zweifel eher im unteren Drittel.

Jack Golds irgendwie seltsamer, aber auch sehr schöner Siebzigerjahre-Endzeit-Katastrophen-Telekinese-Thriller hat jetzt von Koch Media das Mediabook-Treatment erfahren. THE MEDUSA TOUCH, wie er im Orginial heißt, ist nicht unbedingt ein Must-See, kein unsterblicher Genreklassiker, aber wenn man Science Fiction und Horror liebt, wird er einem fraglos das Herz erwärmen. Heute, rund 40 Jahre nach Entstehung, ist er vielleicht nicht mehr ganz so erschreckend wie er es mit seinen Anspielungen auf aktuelle Katastrophen wahrscheinlich damals war, aber er hat eine schwer zu benennende misanthropische Qualität, die von seinem feinen britischen Humor nie vollständig überlagert wird. Darüber hinaus gab er Richard Burton in den letzten Zügen, äh, Jahren seiner Karriere noch einmal die Gelegenheit, von  jenem Werkzeug Gebrauch zu machen, dem er seinen Weltruhm verdankte: seiner Stimme. Dazu gibt es den wie immer saucoolen Lino Ventura, die entzückende Lee Remick, jede Menge britischer Veteranen, die man immer gern sieht, und ein Booklet von mir. Runde Sache, oder?

Ich erinnere mich noch daran, was ich anhatte, als ich JURASSIC PARK im Sommer 1993 im Kino sah. Vielleicht liegt das an mir (oder der Klamotte), aber ich denke, es sagt doch auch etwas darüber aus, als wie bahnbrechend wir Spielbergs Film damals empfunden haben: Das war nicht einfach ein Kinobesuch, wir nahmen Teil an einem historischen Ereignis. Zwar waren digitale Effekte seinerzeit nichts Neues mehr – schon zwei Jahre zuvor hatte James Cameron mit T2 – JUDGMENT DAY ein neues Zeitalter des Kinos eingeläutet (den Grundstein dafür hatte er weitere zwei Jahre zuvor selbst mit THE ABYSS gelegt) -, aber Spielbergs Film setzte dennoch einen neuen Maßstab. JURASSIC PARK war nicht nur Aufbruch und Machtdemonstration, sondern auch vielleicht der letzte Coup des oft als „großes Kind“ apostrophierten Regisseurs, das letzte Geschenk, das er sich und seinen Seelenverwandten mit diesem Film machte, bevor er sich dann in Richtung des respektablen Dramas und Erwachsenensein abwendete.

Heute, 27 Jahre nach seinem Erscheinen, begnügt sich das Eventkino längst nicht mehr mit der bescheidenen Idee, ein paar Dinosaurier als lebensechte Animationen auf die Leinwände zu bringen: Es werden ganze Welten aus der Maschine gezaubert, Filme haben sich visuell und im Produktionsverlauf immer mehr Computerspielen angenähert und neue technische Effekt-Errungenschaften sind kaum noch eine Schlagzeile wert. Wir haben uns daran gewöhnt, dass es eigentlich nichts mehr gibt, was nicht zeigbar ist, alles immer noch ein bischen detaillierter, lebensechter und spektakulärer geht. Insofern ist es auch kein Wunder, dass JURASSIC PARK heute geradezu bescheiden und altmodisch anmutet. Das betrifft nicht unbedingt die Qualität der Effekte, die erstaunlich gut gealtert sind, zwar nicht so filigran und fein anmuten, wie wir das von Computeranimationen heute gewöhnt sind, aber auch nicht so grob sind, dass sie aus dem Erlebnis reißen würden. Nein, es ist sein dem Monsterfilm der Fünfzigerjahre verpflichteter erzählerisch-dramaturgischer Entwurf, der so gar nicht zu dem Aufbruch in die Zukunft passen mag, den JURASSIC PARK effekttechnisch markiert. (Über Camerons AVATAR ließe sich ganz Ähnliches sagen.) Da gibt es das bekannte – und darüber hinaus sehr als überschaubare – Figureninventar und einen grob skizzierten Plot, der ohne viel Getue losgetreten wird und dann zielstrebig auf das große Finale zusteuert. Im MIttelpunkt steht Sam Neil als Paläontologe Grant, der die Enkelkinder des Parkerfinders Hammond (Sir Richard Attenborough) vor den Dinos beschützen und seiner Kollegin Ellie (Laura Dern) so nebenbei beweisen muss, dass er ein würdiger Vater ihrer noch zu zeugenden Kinder ist. Während er sie durch den Park geleitet, steht es an Ellie, gemeinsam mit dem Jäger Muldoon (Bob Peck) die ausgefallenen Sicherheitssysteme wieder in Gang zu bringen. Der als humoriges Element eingeführte Chaostheoretiker Malcolm (Jeff Goldblum) liegt da längst flach, ausgeschaltet von einer läppischen Beinverletzung, mit Hammond als ebenfalls nutzlos herumstehendem Gefährten. Alle anderen Beschäftigten des noch auf seine Eröffnung wartenden Parks sind da bereits mit einem Schiff abgefahren, um einem heraufziehenden Sturm zu entkommen. Man vergleiche das nur mit JURASSIC WORLD, der das Franchise vor ein paar Jahren zu neuem Leben erweckte und dabei einen riesigen, von tausenden Touristen bevölkerten Park ins Chaos stürzte.

Spielbergs Entscheidung, JURASSIC PARK als eher überschaubares Freiluft-Kammerspiel mit Dinos anzulegen, ist aber aus mehreren Gründen ein kluger und richtiger Schachzug, der eindrucksvoll darlegt, warum der Mann über einen Zeitraum von 40 Jahren Hit um HIt produzierte und dabei immer wieder neue Maßstäbe setzte. Zum einen machte es Sinn, die neue Effekttechnologie (die sich auf Handlungsebene im wissenschaftlichen Coup des Dinosaurier-Clonings spiegelt) erst langsam einzuführen, den Zuschauer eben nicht in einen überfüllten, voll funktionstüchtigen Dinopark zu stecken, sondern ihm mit den Protagonisten eine Sneak Preview für V.I.P.s zu gewähren. Spielberg teasert in seinem Storyentwurf gewissermaßen an, was seine Zuschauer in Zukunft erwarten durften, ohne jedoch alles zu offenbaren – was technisch wahrscheinlich auch noch gar nicht möglich war, jedenfalls nicht in der Perfektion, die er ohne Zweifel anstrebte. Es fällt auch auf, wie oft hier noch handfeste Animatronics eingesetzt werden, um die CGIs zu stützen. In Detailaufnahmen oder wenn eine direkte Interaktion mit den menschlichen Darstellern erforderlich ist, sieht man immer wieder liebevoll modellierte Saurierköüfe oder Gliedmaßen oder, wie im Fall des erkrankten Triceratops, auch einen ganzen Plastiksaurier. Diese Effekte sind von erstaunlicher Qualität und verstärken den Effekt der CGI, anstatt ihn zu mindern. Ein Trauerspiel, dass man sich heute von dieser traditionellen Technik fast vollständig verabschiedet hat.

Wenn JURASSIC PARK inhaltlich auch nicht die Wurst vom Teller zieht, Spielberg den Focus ganz klar auf seine technischen Errungenschaften legt und sich darauf konzentriert, einen Rahmen für sie zu schaffen, in dem sie am besten zur Geltung kommen, so muss man doch neidlos konstatieren, dass die zentralen Suspense-Szenen ihre Wirkung auch 30 Jahre später und nach etlichen Sichtungen nicht verfehlen. Meine Kinder, „alten“ Filmen gegenüber voreingenommen und außerdem effekttechnisch ziemlich verwöhnt, kreischten, hüpften und schlugen die Hände vor die Augen, als Tyrannosaurus und Velociraptoren ihre jeweiligen großen Auftritte feierten, die Protagonisten in immer ausweglosere Situationen getrieben wurden und sich jedem Aufatmen todsicher der nächste Schock anschloss. Spielbergs Timing bei der Orchestration solcher Spannungsmomente ist einfach unerreicht und im Falle von JURASSIC PARK reichen die zwei ausgedehnten Sequenzen – die Konfrontation mit dem T-Rex am Zaun sowie die Jagdszenen mit den Raptoren am Ende – völlig aus, um den Puls bedrohlich in die Höhe zu treiben. Anders als JAWS ist JURASSIC PARK kein Überfilm, weil er leidglich die technische Verfeinerung eines bereits etablierten Schemas darstellt, aber er zeigt dennoch die Meisterschaft seines Urhebers für diese Art gestreamlinten Familien-Entertainments. Es gibt einfach niemanden, der das besser konnte oder kann als er.

 

THE INCREDIBLE MELTING MAN wurde in Deutschland mit dem humorigen Titel PLANET SATURN LÄSST SCHÖN GRÜSSEN veröffentlicht, der dem sehr tragischen Schicksal seines Protagonisten zwar nicht gerecht wird, aber doch eines der schöneren Beispiele kreativer deutscher Titelschmiedekunst darstellt. Wer auch immer auf die Idee gekommen war, hatte des Pudels Kern getroffen: THE INCREDIBLE MELTING MAN ist ein ziemlich absurder Film und ein wüstes Mischmasch aus verschiedenen Einflüssen und Elementen, gleichermaßen aus der Zeit gefallen wie up to date. Er ein throwback zu den fortschrittsskeptischen Sci-Fi- und Monsterfilmen der Fünfzigerjahre, mit dem Look & Feel der damals so zahlreich in Südkalifornien entstehenden Serienepisoden und natürlich den schleimigen Spezial- und Make-up-Effekten von Rick Baker, mit denen Sachs die Brücke zum damals populär werdenden Splatterfilm schlug. Angeblich hatte Baker noch einige ekligere Masken in petto, die aber nicht zum Einsatz kamen, weil der Hauptdarsteller Rebar mit allzu heftigen Schweinereien nichts zu tun haben wollte. So oder so ist der Film vor allem wegen dieser Effekte in Erinnerung geblieben: Wie der arme Astronaut Steve West da langsam, blutig und überaus schleimig zerfließt, ist tatsächlich immer noch überaus effektiv, auch wenn Baker zur Umsetzng des Effekts wahrscheinlich nichts verwendete, was man nicht im heimischen Baumarkt finden und mit etwas Geschick und Know-how selbst zusammenbasteln kann. THE INCREDIBLE MELTING MAN ist damit auch der Pionier des Mini-Subgenres des „Schmelzfilms“, dessen bis heute unerreichte Sternstunde JIm Muros wunderbarer STREET TRASH ist.

Erzählerisch-dramaturgisch lässt sich der Film auf die Monster-on-the-loose-Formel reduzieren, die anno 1977 schon gut abgehangen war: Der kurze Prolog zeigt, wie der Astronaut Steve West der Sonnenstrahlung ausgesetzt wird. Nach einem Schnitt liegt er dann schon komplett vermummt im Krankenhausbett. Er ist der einzige Überlebende der Besatzung, warum ihn nicht dasselbe Schicksal ereilte wie seine Kollegen, ist unklar. Neben einer ekligen Hautkrankheit hat er auch ziemlich schlechte Laune mitgebracht: Als er allein ist, reißt er sich die Bandagen vom Leib, bringt seine Krankenschwester um und flieht. Der Rest des Films handelt von den Bemühungen des Wissenschaftlers Ted Nelson (Burr DeBenning) ihn zusammen mit dem Militärmann General Michael Perry (Myron Healey) ausfindig zu machen, bevor er weiteren Schaden anrichten kann – zumalungewiss ist, inwiefern seine Symptome ansteckend sein könnten. Steve murkst sich derweil durch die Landschaft, bis er am Haus Nelsons angekommen ist.

Vor allem die erste Hälfte des Films macht Laune, weil THE INCREDIBLE MELTING MAN so schön unbedarft ist, wie oben beschrieben auf sympathische Art und Weise die sorglose Naivität alter Sci-Fi-Heuler mit der eKaltschnäuzigkeit zeitgenössischer Schocker verbindet. In der zweiten Hälft versandet die Chose dann aber merklich: Die Geschichte ist zu diesem Zeitpunkt bereits auserzählt und Sachs hat Mühe, die Spannung aufrechtzuerhalten, zumal die Situation nicht weiter dramatisiert wird. Wir erfahren nichts weiter über den „Schmelzmann“, die Gründe für seine rätselhafte Krankheit oder seinen Rachefeldzug. Das Stalk and Slash wird so etwas ermüdend: Man erwartet, dass die Geschichte weitergeht, aber das tut sie nicht. Erst mit dem Showdown besinnt sich Sachs wieder auf die Stärken der ersten Hälfte, namentlich die krude Mischung aus Ekel und Mitleid. Die Schlussminuten sind je nach Perspektive entweder tieftraurig oder aber bitterböse und schwarzhumorig und zeichnen sich durch jene Liebe zum Detail und zur Beobachtung aus, die man in arg formelhaften den 30 Minuten zuvor vermisst hat.

Trotzdem hat sich THE INCREDIBLE MELTING MAN seinen Platz in den Annalen des Spaltterfilms redlich verdient, gerade weil er zeigt, dass die Hinwendung zu Blut und Gekröse weder zwingend mit Zynismus und Misanthropie noch mit grotesk und comichaft überzeichneter Alberei einhergehen muss. In der Brust des Schmelzmannes wohnt eine alte Seele, die ihn zu einem Leidensgenossen etwa seines schrumpfenden Kollegen aus dem Jack-Arnold-Film macht. Sachs‘ etwas altbackene Inszenierung kehrt diese Parallelen hervor, selbst wenn sein titelgebender Antiheld sich nur als schwindende Spur durch den Film zieht, der nie selbst die Stimme heben darf. Eigentlich wird sein Schicksal dadurch nur noch bewegender: Wir können nur ahnen, was in ihm vorgeht, während er sich selbst zwischen den Fingern zerrinnt.

In Nebenrollen sind Lisle Winters, der unglückliche Liebhaber aus DePalmas SISTERS, Janus Blythe aus Cravens THE HILLS HAVE EYES sowie der Regisseur Jonathan Demme zu sehen.