Das Leben ist immer dann am aufregendsten, es hält immer dann die eindrücklichsten Erfahrungen bereit, wenn die Routine, die man mit den Jahren entwickelt, aufbricht, wenn die Handlungs- und Interpretationsmuster, die man sonst anwendet, nicht mehr greifen und einen die Macht des Seins ganz unvermittelt, ungefiltert, unrationalisiert und somit mit voller Härte trifft.
Hier geht es deshalb auch ausnahmsweise einmal nicht um einen Film. Oder nur ganz am Rande. Ich bin zum zweiten Mal Vater geworden. In den späten Abendstunden des vergangenen Montags ist unser Sohn geboren worden, ein kleines, knautschiges, noch sehr hilfloses, aber wunderhübsches kleines Würmchen, zu dem der Name Rupert, den wir uns für es ausgedacht haben, perfekt passt. Auch unsere mittlerweile vierjährige Tochter Selma ist ganz aus dem Häuschen darüber, nun ein „Brüderchen“ zu haben und „große Schwester“ zu sein. Sie weiß natürlich noch nicht genau, was das bedeutet, aber man spürt schon, dass da eine Ahnung von Verantwortung in ihr heranwächst, ein Gefühl, dass sie noch nicht beschreiben könnte, aber dennoch spürt.
Auch für Leena und mich ist das logischerweise etwas Besonderes. Ja, alles, was man über die Erfahrung der Geburt des zweiten Kindes sagt, stimmt: Man erlebt das alles deutlich gelassener – wenigstens bis zu dem Moment, wo es dann konkret wird –, und, weil man mit der Erziehung des/der Erstgeborenen reichlich beschäftigt ist, mehr nebenbei. Die große Euphorie über den wachsenden Kugelbauch ist deutlich abgemildert. Man kennt das ja schon. Es ist ein bisschen schade, dass man das nicht mehr in der Form zelebrieren kann wie beim ersten Mal, aber so ist das. Der Mensch ist ziemlich anspruchsvoll und was ihn einmal nahezu umgehauen hat, ist beim zweiten Mal nur noch old news. Wie ich sagte: bis zur Geburt. Denn dann ist die Aufregung und Spannung deutlich größer, der Schleier, der sich beim ersten Mal noch schützend und dämpfend über einen gelegt hat, leichter, durchsichtiger. Dabei zuzusehen, wie mein Sohn auf die Welt kam, hat mich umgehauen. Nicht wörtlich, aber doch im übertragenen Sinne.
Ich habe in den vergangenen Wochen mehrfach mit meinen Kollegen von der über Film schreibenden Zunft diskutiert und im Clinch gelegen. Das Flublatt für aktivistische Filmkritik des VDFK (Verband für deutsche Filmkritik e. v.) habe ich mitgezeichnet, weil ich finde, dass Filmkritik mehr leisten muss, als Empfehlungen auszusprechen. Sie sollte zur Auseinandersetzung anregen und Film nicht bloß als Konsumgut betrachten. Trotzdem, und das ist eben der Punkt, in dem sich meine Meinung von anderen meiner Kollegen unterscheidet, halte ich es für wichtig, ein gewisses Maß an Sachlichkeit und vielleicht auch ein Stück kritische Distanz zu wahren. Was hat das mit der Geburt meines Sohnes zu tun? Film bleibt, auch im allerbesten Fall, immer noch Film. Es gibt Filme, die entwickeln eine immense Kraft, sind in der Lage, die natürliche Barriere, die zwischen ihm und dem Betrachter besteht, zu überwinden, aber sie treffen auch dann nicht so unmittelbar, wie das Ereignisse tun, die einen direkt betreffen, an denen man als Mensch aktiv teilnimmt und partizipiert. Es wird niemals einen Film geben, der mit mir das „anrichtet“, was die Geburt meiner beiden Kinder mit mir gemacht hat. Und ich halte es für wichtig, diesen Unterschied, diese Differenz anzuerkennen und zu wahren. Max Goldt hat einmal sinngemäß – und natürlich polemisch – über Literatur gesagt, dass kein Buch so unverzichtbar sei wie Musik. Um das auszuweiten: Keine Art von Kunst kann mit dem Leben in seinen besten Momenten konkurrieren. Ich liebe Filme, halte Film für die avancierteste und spannendste Kunstform, und auf meine DVD-Sammlung zu verzichten, wäre ungefähr gleichbedeutend mit dem Verlust eines Arms oder Beins (natürlich nicht wirklich, aber you catch my drift). Aber er ist für mich wahrscheinlich dann doch nicht von existenzieller Bedeutung: Ich könnte, wenn ich müsste, auch ohne leben. Das ist kein Mangel des Mediums: Im Gegenteil ist seine Verzichtbarkeit ein Teil seines Reizes. Film ist eben nicht Brot, Wasser und Sauerstoff. Er ist Müßiggang, ein Add-on, das der Mensch sich gönnt, weil er es kann, nichts, was er zum Leben braucht.
Gestern, als der erste Schub von Glückshormonen und Adrenalin bereits etwas abgeklungen war, ich meinen Sohn im Arm hielt und ihn einfach nur ansah, habe ich etwas erlebt, das hingegen unverzichtbar ist und kein Surrogat oder Äquivalent kennt. Als ich da also dieses Produkt meiner Selbst betrachtete, meinen „Erben“, um es pathetisch zu formulieren, da hatte ich einen Eindruck von Ewigkeit. Man nenne es, wie man wolle: spirituell, kosmologisch, whatever. Ich hatte eine Erfahrung, die mein eigenes Sein und auch das meines Sohnes überschreitet, transzendiert. In meinem Arm hielt ich ein Stück unbegrenzter Zukunft. Ich glaube nicht an den einen Sinn des Lebens. Aber doch daran, dass man einen Platz im großen Ganzen einnehmen kann, die Gewissheit erlangt, etwas Bleibendes hinterlassen zu haben. Mein Leben ist nun, nachdem ich zwei Kinder in die Welt gesetzt habe, nicht beendet und ich habe durchaus noch etwas vor. Aber ich habe, um noch einmal Filmterminologie zu bemühen, die Möglichkeit für ein Sequel in der Geschichte der Menschheit und dieses Planeten offengelassen. Ich habe den Plan, der in jedem Menschen angelegt ist, ausgeführt.
Vater zu sein, hält unendlich viele Erfahrungen, auch schmerzhafte, aber eben auch Glücksmoment bereit, die man durch nichts, rein gar nichts ersetzen kann. Man kann sich das, ein gewisses Maß an Intelligenz und Einfühlungsvermögen vorausgesetzt, sicherlich vorstellen und intellektuell nachvollziehen, aber es gibt keine Möglichkeit, es auf andere Art und Weise zu spüren, als wenn man eben selbst Vater (oder Mutter for that matter) wird. Und ich werde das nicht dadurch trivialisieren, dass ich behaupte – und tatsächlich meine –, dass ein Film mein Leben in diesem Maße verändert hat. Es war mir wichtig, das an dieser Stelle einmal loszuwerden.
Als nächstes schaue ich dann wahrscheinlich STEP UP 3.
Gefällt mir:
Like Wird geladen …